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Leseprobe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FCKNG Halloween

Dylan Mercier

Spin-off Bad Boys of Vancouver 4

Red Maple Reihe - Teil 3

Über die Story

Wenn die Vergangenheit deine Zukunft bestimmt …

Dylan Mercier hat es geschafft, seiner kriminellen Vergangenheit den Rücken zu zukehren und ist auf dem besten Weg, MMA-Champion zu werden. Auf der angesagtesten Halloween Party der Stadt wird er unerwartet zum Retter von Jara-Delia Cortes, einer umwerfenden Blondine, die von seinem ärgsten Gegner bedrängt wird.
Die gegenseitige Anziehung ist stark, aber eine Beziehung passt so gar nicht zu Dylans Lebensstil.
Als er die heiße Jara Monate später erneut trifft, ist beiden klar, dass das Schicksal sie erneut zusammengeführt hat.
Doch auch Jaras Vergangenheit ist heikel, scheint dem Glück der beiden im Weg zu stehen und stellt Dylans Gefühle auf eine harte Probe.
Dann bringt eine Drohung seines Rivalen Jara in große Gefahr, und Dylan muss alles auf eine Karte setzen.

Wird er diesen Kampf um alles oder nichts gewinnen?

Diese Geschichte ist ein Spin-off zum 4. Band FCKNG New Year - Cole Mitchell.

Band 3 der Red-Maple-Reihe - gefährlich, actiongeladen & leidenschaftlich.

Vorwissen aus der Bad Boys of Vancouver Reihe ist nicht zwingend notwendig, jedoch empfehlenswert.

Über die Autorin

Summer Alesilia ist das Pseudonym einer in Deutschland lebenden Autorin. Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von Ulm. Sie hat schon immer gerne gelesen, der Gedanke, selbst ein Buch zu schreiben, kam ihr erst 2017.

Sie liebt es, Leidenschaft, Herzschmerz und Liebe aufs Papier zu bringen. Ebenso Cliffhanger, Dramatik und spannende zwischenmenschliche Beziehungen. Selten passt ihre Geschichte in nur ein einziges Genre, oft ist es eine komplexe Mischung. Von zarter Liebe bis harte Obsession ist bei ihr alles vertreten. Ob es immer ein Happy End für die Protagonisten sein muss?

Wenn sie nicht schreibt oder liest, schaut sie gern Serien und Filme oder unternimmt etwas mit ihrer Familie.

Ihre Ideen nimmt sie so gut wie immer aus alltäglichen Situationen, die Orte ihrer Geschichten kennt sie teilweise aus erster Hand.

Hauptberuflich ist sie wie die Protagonistin ihres Debütromans in der Männerbranche tätig.

Wie ihr Name andeutet, ist sie ein Sommermensch, liebt das Meer und das mediterrane Lebensgefühl. Dies lässt sie auch in ihre Geschichten einfließen.

 

 

Dylan Mercier

 

Bad Boys of Vancouver

Red Maple 3

 

 

 

Summer Alesilia

Impressum

 

© Summer Alesilia

1. Auflage – Oktober 2023

 

Buchsatz: Summer Alesilia

Covergestaltung: Massimo Pedicillo

@NessunoMass

Lektorat und Korrektorat: Vivian Valentine,
Grace C. Node, Marina Ocean

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Summer Alesilia

c/o Autorenservice Gorischek

Am Rinnergrund 14/5

8101 Gratkorn

Österreich

 

summeralesilia@gmail.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung auch von Teilen des Werks oder von Abbildungen, jede Übersetzung, jeder auszugsweise Nachdruck, Mikroverfilmung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen und multimedialen Systemen bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers.

 

 

 

 

 

 

Für alle, denen Gerechtigkeit am Herzen liegt

 


Kapitel 1

Mein Kopf schnellt zurück, als mich ein harter Kinnhaken trifft. Ich schmecke Blut, erst danach spüre ich den Schmerz. Fuck! So war das hier nicht geplant.

Schnell hebe ich meine Fäuste vors Gesicht, um mich vor weiteren Schlägen zu schützen, derweil versuche ich, klar zu sehen. Ich kneife ein paarmal die Augen zusammen – es hilft. Mit einer seitlichen Kopfbewegung lockere ich den Nacken. Als sich mein Blick auf mein Gegenüber richtet, kann ich gerade noch dem nächsten Hieb ausweichen und ducke mich eilig zur Seite weg. Gleichzeitig sehe ich die Chance, Juran mit einem Punch auf die Rippen zu überraschen. Hart landet meine rechte Faust an seinem Brustkorb. Er krümmt sich und Schweiß tropft auf den Boden. Sofort verpasse ich ihm mit der Linken einen Schlag gegen das Auge und treffe ihn. Er stöhnt. Dann weicht er einen großen Schritt zurück und schüttelt den Kopf.

Wir richten uns beide wieder zur vollen Körpergröße auf und umkreisen uns wie Grizzlybären, die um ihr Territorium kämpfen. Und wir zerfleischen uns wortwörtlich. Das Auge, das ich eben getroffen habe, ist inzwischen etwas zugeschwollen, seinen Nasenrücken ziert ein Cut. Dem Gefühl nach sieht mein Gesicht nicht besser aus, denn alles fühlt sich taub und wund an, der Kiefer schmerzt, und ich höre das Blut in den Ohren rauschen.

»Ich werde dich fertig machen!«, droht er mir.

Als er seine Lippen zu einem hämischen Grinsen verzieht, soll mich das wohl einschüchtern, jedoch lässt es mich kalt. Wir sind beide etwa auf demselben Niveau, die Erfolgsbilanz spricht allerdings für mich. Es wird kein Spaziergang mich zu besiegen, genauso wenig wird es für mich leicht.

Die Zurufe, die Jubelschreie und die Beschimpfungen aus dem Publikum sind zu einem gleichklingenden Hintergrundgeräusch verschmolzen. Mein Fokus liegt auf dem Knockout von Yu, wie er hier genannt wird. Die Bezeichnung leitet sich von deinem Nachnamen Yudinov ab. Sein Bizeps hat den Umfang eines Frauenoberschenkels, sein Oberkörper ist trainiert, breit und kräftig. Auf jeden normalen Menschen wirkt seine Statur einschüchternd, mir ist das ebenfalls gleichgültig. Ich stehe ihm in nichts nach, vielmehr überrage ich ihn, wenn auch nur um drei Zentimeter.

Er geht auf mich los und ich reagiere, weiche zurück. Sein angetäuschter Faustschlag gibt ihm die Möglichkeit, mich mittels eines Trittes gegen das Knie, einknicken zu lassen. Schnell versuche ich, mich aus dem Gefahrenbereich zu rollen und aufzuspringen, werde aber von einem Fußtritt in meinen Bauch daran gehindert. Er ist so hart, dass es mich herumwirft und ich mit einem dumpfen Aufprall mit dem Rücken auf den Brettern lande. Das Kotzgefühl ist verheerend, die Schmerzen von dem Kick in den Magen ebenso. Als er sich auf mich stürzen will, um mir den Rest zu geben, landet mein Fuß an seiner Schläfe. Aus dem Liegen heraus treffe ich ihn so hart, dass er neben mir auf den Boden knallt. Juran ist so benommen, dass er keine Reaktion mehr zeigt. Schnell stehe ich auf und entferne mich von ihm. Möglicherweise ist das hier noch nicht zu Ende.

So war das definitiv nicht geplant, aber mir soll es recht sein.

Mein Fokus liegt auf Juran und seiner möglichen Konter, der erst mal ausbleibt. Die monotonen Laute des Publikums schwellen an und neben erfreutem Johlen höre ich auch einige Buhrufe. Die Schmerzen sind in den Hintergrund gerückt. Eine Welle der Euphorie trifft mich stärker, als es die Kicks und Punchs meines Widersachers eben getan haben. Freude über den Erfolg breitet sich in meinen Adern aus und vermischt sich mit dem Adrenalin. All das Training, all die harten Stunden, haben sich jetzt ausgezahlt.

Nun lichtet sich der Nebel, und die Scheinwerfer an der Hallendecke tauchen wieder in meinem Sichtfeld auf. Der Schiedsrichter ist schützend über Juran gebeugt, reckt die Hand in die Höhe und macht damit den Sieg offiziell. Mein Gegner signalisiert ihm, dass er bei Bewusstsein ist, und schafft es, sich aufzurichten.

Wie ein Tiger laufe ich durch das Achteck ohne die Szene mit Juran aus den Augen zu verlieren. Sein schwarzes schulterlanges Haar ist schweißnass und klebt strähnig in seinem Gesicht und am Hinterkopf.

Mühsam richtet er sich auf und für einen Moment scheint er mit der Entscheidung des Schiedsrichters nicht einverstanden zu sein, denn er wirkt wütend. Neben mir höre ich die Stimme meines Trainers, der mich fragt, wie es mir geht. Ich nicke Norman kurz zu und versuche, die Anspannung loszuwerden. Nach ein paar tiefen Atemzügen, die mir schmerzhaft in den Oberkörper fahren, schaffe ich es, ruhiger zu werden. Grimmig sehe ich mir das Schauspiel von Juran Yudinov an. Er weiß nicht, wann er es gut sein lassen muss und redet unbeirrt weiter. Der Schiri macht ihm schließlich durch Androhung einer Strafe klar, dass die Diskussion beendet ist.

Der Sieg ist meiner!

In der Masse der Zuschauer sehe ich Aidans Gesicht. Mein Freund kommt an das Netz und sieht mich zufrieden an. Ich freue mich, dass er den Sieg mitansehen konnte, schließlich ist er extra wegen des Fights von Seattle nach Vancouver gekommen. Leider ist der Kontakt, nachdem er die Stadt verlassen hatte, um seine Baseballkarriere voranzutreiben und privat glücklich zu werden, nur noch sporadisch. Ich wünsche ihm nur das Beste und gönne es ihm, schließlich sind wir zusammen durch MMA stärker geworden und haben dadurch ein neues Ziel im Leben gefunden. Und die gemeinsamen Jahre davor, als wir miteinander bei den Canadians Baseball gespeilt haben, werde ich natürlich auch nie vergessen. Es war eine geniale Zeit und viele schöne Stunden, die wir dort verbracht habe.

Endlich verkündet der Ringrichter offizielle meinen Sieg. Etliche Minuten vergehen, in denen die beteiligten Leute zu mir kommen und sich mit mir freuen. Anschließend verlassen wir das Achteck und gehen zum Nachcheck. Mein Freund und Trainer Norman begleitet mich. Ein Cut oder Ähnliches habe ich nicht, aber mein Gesicht ist geschwollen und erste Hämatome bilden sich. Der Check bei Dr. Simmons geht zum Glück schnell und bestätigt mir, dass nichts gebrochen oder ernsthaft verletzt ist. Dennoch ist mir klar, dass die nächsten Tage nicht ohne Schmerzmittel vergehen werden. Nach einem Blick in den Spiegel weiß ich nun auch, dass ich Juran schlimmer zugerichtet habe, als er mich. Es ist ein befriedigendes Gefühl, als Sieger des Unified-Schwergewichtskampfes hervorzugehen. Zu lange ging die Vorbereitung, zu lange besteht die Rivalität mit Juran. Immer wieder hat er große Töne gespuckt und sich bereits vorher, als Champion feiern lassen. Tja, das hat er jetzt davon.

Ich erinnere mich an vorletztes Jahr, als ich Aidan in das Kellergewölbe gebracht und wir beide gekämpft haben. Damals noch illegal. Er wollte den Schmerz, so sagte er, den genauen Grund hat er mir nicht verraten. Aber er musste etwas Schlimmes erlebt haben, zumindest habe ich das zwischen den Zeilen herausgelesen. Wirklich darüber gesprochen haben wir nie. Genauso wenig auch über meine Beweggründe.

Es war wohl reiner Zufall als mich Norman, mein Trainer und inzwischen auch Mentor, in diesen Hallen im Untergeschoss bei einem der illegalen Fights entdeckt hat. Seit nunmehr einem Jahr trainieren wir; jeden verdammten Tag habe ich Blut und Wasser geschwitzt, bis mir weder meine Arme noch meine Beine gehorcht haben. Davon abgesehen, dass ich nicht nur die gesamte Fitness immens verbessert habe, hat es auch den Effekt, einen Körper zu haben, der einem Mode- oder Sportmagazin entsprungen sein könnte. So zumindest waren die Worte von Lisa, der hübschen Brünetten, mit der ich vor ein paar Monaten eine kurze Beziehung geführt habe. Es hat leider nicht funktioniert. Erst fand sie toll, was ich tue, dann konnte sie damit nicht mehr leben. Aktuell halte ich es daher eher unverbindlich, auch wenn das nicht mein Ding ist. Doch gewisse Bedürfnisse müssen gestillt werden, denn schließlich bin ich ein Mann, kein Mönch.

Norman reicht mit ein Glas Wasser mit einer speziellen Vitamin- und Elektrolytlösung und ich trinke es gierig aus. Wir sehen uns schweigend an.

»Was ist da heute passiert?«, fragt er mich nach einer Weile.

Ich weiß, was er meint, ich war zu Beginn nicht in der Form, in der ich gern gewesen wäre. Der Sieg stand auf der Kippe und ich, vermutlich auch Norman, hatte Angst, dass es negativ ausgehen könnte. »Wenn ich das wüsste, hätte ich etwas dagegen getan«, blaffe ich ihn an.

»Ich glaube, du warst nicht ganz bei der Sache. Das ist fatal, wie du siehst. Der Gegner nutzt jede Möglichkeit, um dich zu schlagen. Der gute Ausgang war wohl eher ein Glückstreffer oder Juran war unkonzentriert.« Normans Stimme ist trotz der aufgeladenen Stimmung ruhig und besonnen. Aber ich weiß, dass es täuscht. Innerlich kocht er.

»Das weiß ich alles selbst! Ach fuck! Es kotzt mich wirklich an, auch wenn ich am Ende gewonnen habe«, grummele ich vor mich hin und denke an die ersten und letzten Minuten des Kampfes.

»Zu Beginn war er dir überlegen, aber du hast eine Chance gesehen und sie dann genutzt. Das hättest du vielleicht einfach früher machen sollen«, ergänzt nun auch Aidan, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat.

Gedanklich stimme ich meinem Freund voll und ganz zu.

»Du wirst bis zu eurem Wiedersehen härter trainieren und lernen, noch fester zuzuschlagen«, erklärt Norman monoton.

Meine Antwort besteht aus einem einfachen Nicken.

* * *

Zwei Wochen später sehe ich wieder wie ein Mensch aus und gehe ins Baseballstadion zu einem Spiel der Canadians, Vancouvers Baseballmannschaft. Inzwischen habe ich das Baseballspielen aufgrund meiner Wettkämpfe nahezu aufgegeben. Vielmehr fungiere ich hierbei als gelegentlicher Hilfstrainer, begleite und motiviere die Jungs, wenn ich freie Zeit finde. Wir haben es bewusst locker und ohne feste Termine vereinbart, denn MMA fordert mittlerweile den Hauptteil meiner Zeit. Und auch wenn Aidan nicht mehr im Team ist, bleibe ich der Mannschaft im Herzen treu. Es würde mir gefallen, irgendwann einmal die Hauptverantwortung als Coach zu haben, aber noch ist dieser Zeitpunkt nicht gekommen. Das ist vermutlich etwas, das ich tun werden, wenn ich zu alt für MMA bin.

So lange genieße ich es, hin und wieder mit ihnen zu trainieren und Übungsspiele zu bestreiten. Dabei bekomme ich den Kopf frei. Die Zeit ist knapp, denn Norman triezt mich jeden verdammten Tag. Nicht mal am Sonntag lässt er mich in Ruhe, holt mich spätestens um neun Uhr morgens aus dem Bett. Aber meine Partyexzesse sind ohnehin weniger geworden. Vielleicht liegt es am Alter, möglicherweise auch daran, weil Aidan mir nicht mehr regelmäßig auf den Sack geht, dass wir ausgehen sollen. Trotzdem vermisse ich das und natürlich auch ihn.

Dafür muss jetzt Norman herhalten! Ich habe meinen Freund gebeten, oder besser gesagt dazu gezwungen, mich an Halloween in einen Club zu begleiten. Die Partys im Red Continental sind legendär und ich habe mal wieder richtig Lust auf Drinks und Musik. Er muss mitkommen – allein losziehen möchte ich nämlich nicht. Die Freunde aus meiner Jugendzeit treffe ich nur noch selten. Wir telefonieren an den Geburtstagen, sehen uns aber praktisch nicht mehr. Wir all haben unsere Gründe, die keiner aussprechen muss.

Da Norman und ich uns auch privat gut verstehen, spricht nichts dagegen, zusammen mit ihm einen draufzumachen. Der Kerl, so cool er auch ist, sollte auf jeden Fall mal ein wenig lockerer werden. Vor allem aber glaube ich, ein bisschen weibliche Zuwendung würde ihm guttun und ihn nicht so verbissen wirken lassen. Norman hat aktuell nur den Sport als Ausgleich. Vermutlich hat er das selbst eingesehen, denn es waren nur wenige Worte nötig, ihn zu überreden.

Ich kenne keinen Mann kurz vor der fünfzig, der so ist wie er. Er trägt Lederjacken, Bikerboots, immer einen Fünftagebart, fährt eine Harley und ist auch ansonsten alles andere als langweilig. Klar, es gibt diverse Biker des hiesigen MCs in der Stadt, aber mit denen hatte ich bislang nie etwas zu schaffen. Und wie cool die sind, kann ich noch weniger einschätzen.

Wir trainieren täglich unverändert, was auch gut so ist, schließlich steht noch dieses Jahr der nächste Kampf an. Zwar nicht gegen Juran, aber jeder Fight ist wichtig und bringt zudem Kohle und Punkte.

31. Oktober

* * *

Es ist kurz nach elf, als wir das Red Continental betreten. Überall tummeln sich verkleidete Menschen. Heute war hier erst eine geschlossene Gesellschaft, sogar eine Biker-Hochzeit meine ich, jedoch jetzt ist der Club für alle offen. Unsere Kostüme haben Norman und ich zusammen ausgesucht. Mein Trainer geht als römischer Krieger und ich gehe als Spartaner. Helme tragen wir nicht, aber ansonsten den typischen Brustpanzer, Arm- und Beinschutz in Leder und den Umhang. Normans Lenden ziert ein Bracae, eine antike Beinbekleidung und mein Heiligtum wird von einer charakteristisch roten Tunika verdeckt. Unsere Kunststoffschwerter, die wir beide an einem Gürtel tragen, perfektionieren das jeweilige Kostüm.

Im Inneren steuern wir als Erstes eine der unzähligen Bars an. Erfreut stelle ich fest, dass, obwohl ausnahmslos alle verkleidet sind, unsere Kostümierung aufzufallen scheint. Viele Frauen, aber auch Männer blicken uns interessiert an. Neben sexy Zombiedamen, heißen Hexen oder scharfen Vampirinnen, gibt es im Grunde kein Kostüm, das nicht getragen wird. Und wirklich alle sind knapp, reizvoll und regen die Fantasie an. An einer der Bars flirtet eine sexy Catwoman mit einem Thor. In der Nähe sehe ich einige Biker, keine Ahnung, ob die echt oder verkleidet sind.

In unseren Mischgetränken entdecke ich gefärbte Eiswürfe in Kürbisform. Ich finde das witzig, denn ich liebe solche kleinen Details. Auch die restliche Deko ist voll gruselig, wie bei The Walking Dead oder so.

Norman hält mir sein Glas entgegen und ich stoße mit ihm an.

»Auf einen amüsanten Abend mal ganz ohne Sport«, sage ich und sehe ihn schmunzelnd an.

Norman zieht eine Augenbraue noch oben. »Aber nur wenn du Sex nicht zum Sport zählst.«

Jetzt schießen meine beiden Brauen hoch. »Verdammt! Was ist mit dir passiert? Alienentführung oder Gehirnwäsche?«

»Weder noch. Ich sehe hier nur ganz klar eine Menge Möglichkeiten und habe für mich beschlossen, dass ich heute mal fünfe gerade sein lasse.«

»Das sage ich dir doch schon die ganze Zeit, Mann. Das Leben ist zu kurz, um es nicht zu leben!«

Wir nicken uns zu, trinken einen Schluck und wenden uns anschließend dem Dancefloor zu. Ich erkenne ein Supergirl und eine Wonderwoman tanzen, ein Stück weiter steht eine Dame, die wie Luzifers Braut aussieht. Als ich ihr Dekolleté sehe, wäre ich wirklich gern der Höllenfürst.

Gerade als ich überlege sie anzuquatschen, höre ich aus einiger Entfernung einen bekannten Akzent. Ich weiß auf der Stelle, wem er gehört, was meine Laune in den Keller sinken lässt. Grimmig drehe ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt, und erkenne seine hässliche Visage. Der Wunsch, ihm diese ordentlich zu polieren, breitet sich in meinem Innersten aus. Neben ihm entdecke ich seinen Kumpel, der immer wie ein Schatten an ihm klebt und ihn auch jetzt begleitet. Juran ist komplett schwarz gekleidet und trägt Teufelshörner. Um den Hals hängt eine massive Silberkette, an der ein Pentagramm befestigt ist. Damit hat er mir auf jeden Fall das Satanskostüm für alle künftigen Halloweenpartys verdorben. Sein Freund soll wohl Batman darstellen, zumindest deutet sein Outfit etwas Derartiges an. Und nun vermasselt mir der dämonische Wichser auch noch die Tour bei der Dame mit dem prallgefüllten Ausschnitt. Sein Anmachspruch ist billig, aber die Dämonin scheint von ihrem neuen Lord mehr als angetan zu sein. Vielleicht sollte ich mich einfach an eine griechische Göttin halten. Vorhin habe ich so eine Aphrodite gesehen und muss sagen, dass sie ohnehin viel attraktiver war als die Teufelsbraut. Und allein optisch würden wir besser zusammenpassen.

Juran textet die Frau zu, weswegen er mich nicht bemerkt. Aber auch so habe ich keine Bock auf eine Konfrontation. Natürlich hat ihn Norman ebenfalls entdeckt und rollt mit den Augen, als er in dessen Richtung nickt.

»Sollen wir uns in eine andere Ecke verziehen?«, fragt er mich und scheint Gedanken lesen zu können.

»Klar«, meine ich und deute auf eine der Emporen. »Lass uns von da oben mal einen Blick über die Leute werfen.«

Wir schlängeln uns durch die Menge, gehen eine der Treppen hinauf und lehnen uns an das Geländer. Während wir trinken, sprechen wir nur wenig miteinander. Die Musik ist ohnehin sehr laut. Stattdessen beobachte ich die Leute um uns herum, begutachte einige von ihnen länger. Irgendwann entdecke ich die blonde Aphrodite in dem weißen, bodenlangen Gewand wieder. Einen Teil ihres Haars trägt sie kunstvoll geflochten um ihren Kopf, dabei sind glitzernde Blätter eingearbeitet. Ihre restliche Mähne ist offen und fällt in Wellen über den Rücken. Sie ist wirklich ein heißer Feger, wirkt aber durch ihre Körpergröße, die kaum mehr als einen Meter sechzig ist, fast kindlich. Automatisch bleibt mein Blick an ihr haften. Schließlich gesellt sich eine dunkelhaarige Frau zu ihr und sie unterhalten sich. Ihre Bekannte ist als Hexe verleidet. Als mich Norman anquatscht, weil sein Drink leer ist, verliere ich sie leider aus den Augen. Doch sollte sie mir noch mal über den Weg laufen, spreche ich sie auf jeden Fall an.

Wir verlassen die Galerie und suchen uns eine neue Bar. An dieser gibt es Fruchtgummis in Augapfelform in unsere Getränke. Genial und absolut widerlich!

Nachdem ich auch diesen Drink geleert habe, fühle ich mich dazu berufen, mich zu bewegen. Ich bin kein guter Tänzer, aber ein bisschen Arme, Beine und Hüfte wackeln bekomme ich hin, ohne mich dabei total zu blamieren. Norman will erst mal unsere Plätze an der Bar verteidigen, außerdem meint er, dass er noch einen Drink braucht, bevor er sich auf den Dancefloor wagen würde.

Nach einigen Liedern, die der DJ wirklich geil gemixt hat, habe ich den Kopf wieder frei und wäre bereit für ein weiteres Getränk. Zuvor werde ich mich jedoch erleichtern und Platz für Nachschub schaffen. Die Toiletten erreiche ich zügig und nachdem ich fertig bin und Hände gewaschen habe, mache ich mich auf den Rückweg.

Gerade als ich den Gang verlassen will, entdecke ich am Ende des Flurs, wo es meines Wissens nach zu den Betriebsräumen des Clubs geht, einen Batman vorbeilaufen. Im nächsten Moment höre ich Jurans Stimme, dann sehe ich ihn. Seine Hand umschließt den Oberarm einer Frau, die offensichtlich nicht sehr begeistert ist, ihn zu begleiten, denn sie stemmt sich dagegen und will seine Finger von sich schieben. Ich kann sie nicht richtig sehen, da sie von Jurans breiter Statur verdeckt wird. Sofort bin ich alarmiert. Hier geht etwas vor, dass definitiv nicht in Ordnung ist. Auch wenn es mir egal sein sollte, ist es das nicht. Dann verlassen sie die T-Kreuzung des Flugbereichs und ich höre sie nur noch, ohne sie zu sehen.

»Cerdo asqueroso. Suéltame. Ahora!«, vernehme ich ihre Stimme. Sie scheint ihn zu beschimpfen. »Wohin bringst du mich?«, fragt sie nun mit einem südamerikanischen Akzent.

»Halt deine Schnauze«, knurrt Juran und wirkt aggressiv.

Einen Moment überlege ich, was ich tun soll, aber mein Gewissen würde mir keine Ruhe lassen, wenn ich das Ganze hier ignorieren würde. Zumal ich noch eine Rechnung mit dem Dreckskerl offen habe. Schnell laufe ich ihnen nach und sehe wie Juran und die Frau in einem Raum verschwinden. Die Witzfigur von Batman bleibt davor stehen. Was zum Teufel geht hier vor sich?

Meine Beine tragen mich automatisch weiter und nach wenigen Schritten bemerkt mich Jurans Freund, der Sascha heißen müsste. Warum mir das gerade jetzt einfällt, ist mir völlig schleierhaft. Meine Gehweise beschleunigt sich, als ich den Flur entlanglaufe. Anhand seines Gesichtsausdrucks scheint er mich nun auch zu erkennen.

»Was machst du hier? Verschwinde!«, ruft er und läuft mir entgegen, um mich von der Tür fernzuhalten. Und mit jedem Schritt, dem ich mich ihm nähere, spüre ich den Zorn in mir aufsteigen.

»Ich habe euch gesehen!«, rufe ich und sehe Sascha in dem Moment ein Messer ziehen. Das hier ist definitiv kein harmloser Spaß. Was für krimineller Abschaum die beiden doch sind. Noch bevor er damit auf mich losgehen kann, trete ich ihm mit einem gezielten Kick gegen die Hand. Das Messer fliegt an die nächste Wand und fällt klappernd auf dem Linoleumboden. Er starrt auf seine leeren Finger und seine Augen weiten sich ungläubig. Ich hole mit aller Kraft aus. In dem Moment als er sein Gesicht wieder zu mir wendet, landet meine Faust mit voller Wucht in seiner Visage. Keine drei Sekunden später fällt er wie ein nasser Sack zu Boden. Wutschnaubend blicke ich zu ihm herab und ergötze mich für einen Augenblick an dem Blitzknockout.

Doch schließlich erinnere ich mich an den Grund, warum ich hier bin, und trete auf die Tür mit der Aufschrift Office zu. Ich reiße sie auf und stürme hinein. Das Bild was sich mir bietet, lässt mich für eine Sekunde erstarren, dann aber erschließt sich mir, was Juran dabei ist zu tun.

»Runter von ihr, Arschloch!«, brülle ich und balle meine Hände zu Fäusten.

 

Kapitel 2

Das alles passiert fast zu schnell für meinen Verstand. Mein Blut kocht förmlich in den Venen. Dazu ist mein gesamter Körper angespannt, doch der Anblick von diesem Wichser lässt mich erstarren. Mitten im Raum bleibe ich stehen. Als sich Jurans Gesicht zu mir dreht, sehe ich in seiner Mimik nur perverse Gelassenheit sowie diese ekelhafte Arroganz. Er rührt sich nicht, bleibt unverändert auf der Frau liegen und starrt mich zornig an. Noch hat er seine Hose nicht heruntergelassen. Sie erkenne ich weiterhin nicht, denn seine Masse verdeckt mir die Sicht. Aber ich höre sie leise wimmern und schluchzen.

»Wie bist du an Sascha vorbeigekommen?«, fragt er hörbar angepisst.

»Du meinst deinem putzigen Türsteher? Der befindet sich im Land der Träume.« Als könnte mich dieser Lauch aufhalten.

Ich höre Jurans verärgertes Brummen. »Verschwinde!«, knurrt er und drückt seine Arme durch, um sich aufzurichten. »Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin!«

»Und ich sagte: Runter von ihr, Arschloch!«

»Wenn ich aufstehe, dann schlage ich dich zu Brei – bestenfalls!«

»Steh auf!«, wiederhole ich meine Forderung. »Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier eine Frau missbrauchen lasse.«

»Ich habe dich gewarnt.« Juran erhebt sich und wirkt nun richtig sauer. Kurz werfe ich einen Blick auf die Frau. Außer blondem langen Haar sehe ich nur noch weißen Stoff. Sie hat sich auf der kleinen Couch zusammengekauert und ihr Gesicht abgewendet. Ich bemerke, wie sie zittert.

Im nächsten Moment stürmt Juran auf mich zu. Ich weiche aus und nutze seinen Schwung, stoße ihn weiter, so dass er gegen den Schreibtisch prallt. Schnell bin ich hinter ihm und gebe ihm genau in dem Augenblick einen Punch mitten in sein Gesicht, als er dieses zu mir dreht. Ich knurre einen Fluch, weil der Schlag so hart war, dass auch meine Faust schmerzt. Aber ich habe ihn gut erwischt, denn aus seiner Nase läuft sturzbachartig Blut.

»Fuck!«, brüllt Juran. Sein wütender Blick trifft mich, während er seine Hand auf das Gesicht legt. Leider habe ich nur ein schadenfrohes Grinsen für ihn übrig.

Er stürmt abermals auf mich zu, seine blutbeschmierte Faust landet auf meinem Brustkorb, weil ich nicht schnell genug zurückgewichen bin. Dem Kinnhaken jedoch kann ich ausweichen. Mit einem Kick meines Knies in seinen Magen und einem Tritt gegen sein Kniegelenk sinkt er auf die Holzdielen des Büroraums. Heute ist er in richtig schlecht drauf, anders als bei dem Fight. Vielleicht sollte er nicht so exzessiv feiern?

Sein wütender Anblick lässt mich innehalten. Ich schnaufe schwer und bereite mich auf einen weiteren Schlagabtausch vor. Doch als Juran sich aufrichten will, knickt sein Bein ein und er jault vor Schmerzen auf. Offenbar habe ich ihn nachhaltig verletzt. Warum habe ich das nicht genauso zu Beginn der ersten Runde vor ein paar Wochen im Achteck geschafft?

»Hast du genug?«, frage ich provokativ. Seine hasserfüllten Augen treffen mich abermals. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich längst Geschichte.

»Die Sache ist noch nicht vorbei. Das wirst du mir büßen.« Ein wütendes Brüllen erfüllt den Raum. Juran hält sich sein Knie und lässt sich schließlich auf den Rücken fallen. »Yobanneo dno«, flucht er. Ich verstehe kein Wort, aber sicher hat er mir keinen schönen Tag gewünscht. »Das nächste Mal werde ich dich fertig machen! Und dann gehört die kleine Schlampe mir.«

»Wenn das so ist, dann ist die Sache definitiv nicht vorbei!« Einen Moment starre ich ihn böse an, dann richte ich mein Augenmerk auf das Sofa. Allerdings ist die Frau verschwunden. Jedoch höre ich ein Schluchzen, gehe in die Richtung, aus der es kommt, und entdecke sie in der Ecke hinter der Couch. Sie hat die Arme um ihre angewinkelten Beine geschlungen und ihr Gesicht verdeckt. Ich erkenne nur lange schlanke Gliedmaße, wunderschönes gewelltes Haar und goldfarbene Haut. Sie ist klein, grazil und gleicht einem Engel.

»Was bist du doch für ein Schwein!«, lasse ich Juran meine Meinung über ihn wissen. Schnell laufe ich zu der Frau. Ich kann mir vorstellen, was in ihr vorgeht. Es muss die Hölle auf Erden sein, wenn so ein Berg von Mann auf einem liegt und einen zu etwas zwingt, das man nicht möchte. Ich beherrsche mich mühsam, als ich mich an sie wende.

»Hey du! Ich werde dich jetzt hochnehmen und hier wegbringen«, sage ich leise. Als ich sie berühre, zuckt sie dennoch zusammen. Ich hebe sie im Brautstil auf meine Arme und sofort krallt sie sich an den Lederriemen meines Kostüms fest. Sie wiegt nichts. Gleichzeitig kommt mir ihr Parfüm in die Nase. Ein warmer, sinnlicher Duft reizt meine Geruchsnerven und stellt etwas Seltsames mit meinem Verstand an.

Juran jault immer noch, als ich mit großen Schritten das Büro verlasse und den Flur entlanglaufe. Unschlüssig, wohin ich gehen soll, sehe ich mich um. Ich entdecke am Ende des Gangs eine Tür mit einem roten Kreuz und laufe darauf zu. Sie ist nicht verschlossen und ich stoße sie auf. Im spärlichen Licht des Flurs erkenne ich eine Pritsche und lege die junge Frau dort ab. Schnell schließe ich ab und schalte auf dem winzigen Schreibtisch die Leuchte an.

Ich richte meinen Fokus wieder auf die Liegefläche. Der kleine Goldengel hat sich aufgesetzt. Ein Träger ihres Kostüms ist gerissen und sie versucht, den Stoff oben zu halten. Ihr gesenkter Blick lässt mich sie noch immer nicht richtig erkennen, aber nun, da wir in einer ruhigen und sicheren Umgebung sind und ich sie genauer betrachten kann, kommt sie mir bekannt vor. Langsam nähere ich mich der Liege. Einen Schritt von der Pritsche entfernt gehe ich in die Hocke.

Als ich mich an sie wende, lasse ich meine Stimme sanft klingen. »Geht es dir gut? Wie kann ich dir helfen?« Es dauert eine Weile, bis sie zögerlich ihren Kopf hebt und mich vorsichtig, durch ihr Haar hindurch, ansieht. Endlich sehe ich ihr Gesicht richtig – es trifft mich wie der Blitz. Sie ist die hübsche Göttin, die ich vorhin angeschmachtet habe. Was hat sie nur mit Juran zu schaffen? Oder war sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?

Ihr Make-up ist verschmiert, ihre Nasenspitze und Wangen sind gerötet und ihre vollen Lippen leicht geöffnet. Geistesabwesend streicht sie mit der freien Hand über den Oberarm der anderen Seite.

»Mir gehts gut« flüstert sie.

»Soll ich dich zur Polizei bringen, damit du Anzeige erst…«

»Nein! Keine Policía.« Sie reißt ihre Augen auf und wirkt panisch.

»Okay, keine Cops. Ganz wie du willst.«

»Soll ich jemanden anrufen … dich nach Hause fahren?«

Sie schüttelt den Kopf und streicht sich dann eine Haarsträhne hinter das Ohr. Von der geflochtenen Frisur ist nicht mehr viel übrig.

»Hier kannst du nicht bleiben!«, gebe ich zu bedenken. Ich stehe auf und mustere sie. Als ich ihr Gesicht genau betrachte, bemerke ich etwas. Ihr rechte Wange scheint geschwollen zu sein und durch ihr Make-up schimmert ein dunkler Schatten hindurch. Ohne nachzudenken, strecke ich die Hand aus und berühre sie dort. Zischend weicht sie zurück und legt nun selbst ihre Finger darüber. Sie wirkt überrascht und streicht noch einige Male über ihre Wange, tastet sie prüfend ab.

»Hat er dich geschlagen?«, frage ich alarmiert und spüre die Wut in mir aufsteigen.

»Es ist … nichts«, weicht sie aus.

»Von wegen! Deine Wange ist bereits angeschwollen und der Bluterguss ist auch durch deine Schminke zu erkennen. Also erzähl mir nichts«, brumme ich und sehe sie streng an. »Kannst du aufstehen?«

Sie nickt. »Ich denke schon«, antwortet sie.

Ich strecke ihr die Hand entgegen. Einen Moment blickt sie auf meine Handfläche, dann legt sie behutsam ihre Finger hinein. Bei der ersten Berührung zuckt sie zusammen. Die Verbindung mit ihr lässt einen kleinen Schauer meinen Arm hinaufkriechen. Irritiert blickt sie mich mit ihren graugrünen Augen an, scheint in meinem Gesicht etwas zu suchen, was ihr sagt, dass sie mir vertrauen kann. Ich will sie hier nicht zurücklassen, schließlich weiß ich nicht, ob Juran irgendwo auf sie wartet oder sie sucht. Außerdem ist sie viel zu verängstigt und sollte um diese Uhrzeit nicht allein durch Vancouver pilgern.

Kaum das sie aufsteht, zittern ihre Muskeln und beim ersten Schritt knickt ihr das Bein weg. Ich stütze sie ab, bevor sie fällt. Offenbar hat sie das alles mehr mitgenommen, als sie mir zeigen will. Schnell hält sie sich an mir fest und sieht mich entschuldigend an.

»Es dreht sich alles. Ich habe ein bisschen getrunken.«

»Das liegt jetzt sicher nicht am Alkohol. Ich bringe dich in ein Hotel. Da bist du sicher und du kannst dich ausruhen.«

Sie gibt kein Widerwort, blickt mich aber misstrauisch an. Ich spüre förmlich, wie sie mit sich ringt. »Bitte vertrau mir, ich möchte dir wirklich nur helfen. Okay?« Sie nickt schließlich.

Meine Hand umschließt noch immer ihre und sie folgt mir langsam. Zusammen gehen wir aus dem Raum und betreten einen zum Glück leeren Flur. Ich finde den Personalausgang und durch diesen verlassen wir das Red Continental. Während wir die Nebengasse zur Hauptstraße entlanglaufen, knickt sie noch ein paar Mal ein. Und jedes Mal wird sie unsicherer und sieht mich peinlich berührt an. Als es wieder passiert, drehe ich sie kurzerhand zu mir, greife an ihre Schenkel und hebe ich sie hoch. Anstatt Gegenwehr, mit der ich ehrlicherweise gerechnet habe, legt sie ihre Arme um meinen Nacken, ihre Beine an meine Hüfte und schmiegt ihr Gesicht an meinen Hals. Wow, es fühlt sich gut an. Ihr Zittern wird schwächer, nachdem ich eine Hand auf ihren Rücken lege, sie dort stütze und mit der anderen halte.

Das Hotel ist nur einen Block entfernt und wir werden nicht lange brauchen. Die wenigen Leute, die uns um diese Uhrzeit entgegenkommen, blicken uns neugierig an. Hin und wieder gibt sie ein leises Seufzen von sich, so als würde es ihr gefallen, mich zu spüren, oder dass ich sie trage und beschütze. Und jedes Mal rieselt mir ein kleiner Schauer die Wirbelsäule hinab. Zumindest ist die Vorstellung so schön, dass ich sie in meinem Kopf so stehen lasse. Erst vor dem Eingang stelle ich sie vorsichtig auf ihre Beine. Es fühlt sich verdammt gut an, ihren Körper an meinen zu drücken und ihren warmen, sinnlichen Duft einzuatmen. Sachte berühre ich sie an ihren Schultern und warte bis sie sicher auf ihren Füßen steht. Ich sehe sie an, mustere ihr Gesicht, im Weiteren ihre Wange, die durch Jurans Zuwendung deutlich sichtbare Spuren trägt. Allein dafür hat er das, was ich eben mit ihm gemacht habe, mehr als verdient.

»Komm«, fordere ich sie auf. Zusammen betreten wir den Check-in-Bereich. Ich betätige die Glocke und nach einer Weile kommt ein verschlafen aussehender Kerl an den Empfang.

»Hi. Habt ihr ein Zimmer frei?«, frage ich und ziehe die Frau, deren Namen ich immer noch nicht kenne, an meine Seite. Interessiert mustert der junge Kerl unsere Erscheinung und wird sich sicher einiges denken, aber soll er doch.

»Jupp! Die Kreditkarte bitte! Eine Nacht?« Schnell nicke ich und schiebe ihm meine Karte hin. Nachdem er sie belastet hat, gibt er sie mir zurück und reicht mir den Schlüssel. Wir gehen in die Richtung, die er mir nennt, und betreten wenig später das uns zugeteilte Zimmer. Während ich an der Tür stehen bleibe, läuft sie schwankend auf das Bett zu.

»Brauchst du noch etwas?«, frage ich sie.

Sie schüttelt den Kopf und lässt sich erleichtert darauf sinken.

»Du solltest die Wange kühlen«, erkläre ich, weil ich spüre, dass es Zeit ist, sie in Ruhe zu lassen. Gleichwohl möchte ich sie nicht verlassen, so irrational dieser Wunsch auch ist. Sie wirkt in der aktuellen Situation so zerbrechlich, was ich absolut nachvollziehen kann. Ich glaube, unter normalen Umständen und wenn sie nicht gerade in so einer Misere steckt, hat sie genug Feuer im Hintern, um sich zu wehren. Aber jetzt und hier ist sie mental völlig durch den Wind.

»Das werde ich«, flüstert sie und berührt wohl eher unwillkürlich die Stelle, an der Juran sie erwischt hat. Ich werde ihn wiedersehen, im Achteck, und dann werde ich ihn meine Abscheu, für das, was er getan hat, spüren lassen. Wie kann ein Kerl, der annähernd zwei Meter groß ist und vermutlich das Dreifache von der Frau wiegt, sie schlagen und fast vergewaltigen? Was für ein armseliges Schwein er doch ist.

Zeitgleich wollen wir etwas sagen, unterbrechen uns aber nach nur einer Silbe. »Du zuerst«, biete ich ihr an und lächle.

Sie atmet tief durch und blickt mir fest in die Augen. »Woher kennst du Juran?«, fragt sie zaghaft.

Ich lache einmal freudlos auf, schließe aber jetzt wenigstens die Tür hinter mir. Offenbar möchte sie nicht, dass ich gehe und ich freue mich darüber, mehr als ich es sollte. »Wir sind … Rivalen. Ja, so könnte man es ausdrücken.«

Sie sieht mich neugierig an. »Und wobei seid ihr das?«

»In einem Sportwettkampf. Wir sind beide in der MMA-Schwergewichtsklasse und hatten vor etwa vier Wochen einen wichtigen Fight.«

Ihr Augen werden groß. »Wow, ich hätte jetzt viel erwartet, aber das ganz sicher nicht. Du warst ihm heute überlegen, dann hast du bei eurer letzten Begegnung auch gesiegt?«

Ich presse die Lippen aufeinander und sehe sie frustriert an. »Ja, nur nicht so souverän wie vorhin«, brumme ich und starre an die Wand, an der das Bett steht. Sie gibt einen überraschten Laut von sich. Dann schweigen wir.

»Wie … heißt du überhaupt?«, fragt sie schließlich.

»Dylan. Und du?«

»Jara-Dalia. Aber nenn mich einfach Jara«, sagt sie lächelnd und zuckt mit den Schultern.

»Und woher kennst du Juran?«, frage ich nun, weil es mich wirklich interessiert. Ihre Mimik verfinstert sich, während sie versucht, die richtigen Worte zu finden. Da ich nicht wie ein Trottel herumstehen will, ziehe ich mir den kleinen Sessel an die Seite ihres Betts und setze mich darauf. Immer wenn sie glaubt, dass ich nicht hinsehe, schmunzelt sie verhalten. Anscheinend habe ich mich nicht getäuscht und sie möchte, dass ich bleibe – zumindest für eine Weile. Der Brustpanzer meines Kostüms ist jedoch so ungemütlich, dass ich noch mal aufstehe, ihn öffne und ablege. Auch das Kunststoffschwert werfe ich auf den Boden. Amüsiert sieht sie mir dabei zu.

»Der Krieger zieht nach dem Kampf seine Rüstung aus.« Sie sieht mich an, länger als es normal wäre. Aber ich mag die Art, wie sie mich betrachtet.

»Du schuldest mir noch eine Antwort«, erinnere ich sie an meine Frage, als ich mich auf den Sessel fallen lasse und einen meiner Füße auf dem anderen Knie ablege.

Sie seufzt. »Er ist oft Gast in der Bar, in der ich hin und wieder arbeite. Und offenbar hat er meine Freundlichkeit mit Sympathie oder sogar Zuneigung verwechselt, als wir uns in Red Continental über den Weg gelaufen sind.«

»Weißt du, was du für ein Glück hattest, dass ich euch zufällig gesehen habe?«, platzt es aus mir heraus, während mir erneut das Ausmaß von Jurans Tat klar wird.

»Ja! Du … hast mich gerettet, vor etwas ganz Schrecklichem. Es war … Ich konnte mich einfach nicht wehren.« Bei dem letzten Wort hat ihre Stimme angefangen zu zittern. Sie legt ihre Hand über den Mund und erstickt damit ein Wimmern.

Ich beuge mich vor und nehme ihre Finger zwischen meine. »Das alles ist nicht deine Schuld. Und zum Glück ist es gerade noch einmal gutgegangen. Du solltest dich von solchen Kerlen fernhalten. Nicht alle sind …«

Ein Klingeln unterbricht meinen Satz. »Ach verdammt«, murmle ich und suche mein Handy. Erst nachdem ich Normans Namen auf dem Display lese, erinnere ich mich an ihn und daran, dass ich meinen Kumpel einfach im Red Continental vergessen habe. Schnell gehe ich ran.

»Norman, verdammt …«

»Sag mal! Wo zum Teufel steckst du?«, unterbricht er mich.

»In einem Hotel – lange Geschichte.« Ich drücke mit den Fingern meinen Nasenrücken.

»In einem Hotel? Du hättest ruhig Bescheid sagen können, dass du eine Frau aufgerissen hast.« Seine Stimme klingt belustigt und beleidigt gleichzeitig.

»Nein, so ist das nicht. Aber ich kann dir das jetzt nicht alles erzählen. Lass uns morgen reden. Einverstanden?«

»Ja, wenn du meinst. Wir trainieren früh. Kein Erbarmen. Und dafür, dass du mich hast sitzenlassen, bekommst du eine zusätzliche Trainingseinheit.«

Ich rolle mit den Augen, als ich seine Schadenfreude in der Stimme höre. Er scheint es zu lieben seinen Machtposition zu nutzen. »Bis morgen«, verabschiede ich mich von ihm und lege auf.

»Ein Freund, mit dem du heute im Club warst?«

Ich nicke. »Ich hatte ihn völlig vergessen.« Wir schmunzeln uns gegenseitig an, dann werde ich jedoch wieder ernst. »Wie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.01.2024
ISBN: 978-3-7554-6676-5

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