Eine Fahrt quer durch die Gefühle
Die etwas andere Liebesgeschichte
Roadtrip-Love Teil 2
Summer Alesilia
nach einer Idee von M.P.
Jedes Jahr aufs Neue …
Laura und Mike sind frisch verliebt. Leider sehen sie sich entfernungsbedingt kaum und wollen das dringend ändern.
Sie beschließen zum Andenken an ihr Kennenlernen auf einen weiteren Roadtrip zu gehen - einmal quer durch Europa. Wunderschöne gemeinsame Tage voller Abenteuer und Spaß.
Doch bereits vor der Abfahrt nimmt das Chaos seinen Lauf: Fremde Anhalter, ungeplante Zwischenstopps und zu viel Alkohol verursachen Probleme, die die beiden Frischverliebten wirklich nicht gebrauchen können. Doch das ist erst der Anfang ...
Na dann – gute Reise und einen schönen Urlaub!
Summer Alesilia ist das Pseudonym einer in Deutschland lebenden Autorin. Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von Ulm. Sie hat schon immer gern gelesen, der Gedanke, selbst ein Buch zu schreiben, kam ihr erst 2017.
Sie liebt es, Leidenschaft, Herzschmerz und Liebe aufs Papier zu bringen. Ebenso Cliffhanger, Dramatik und spannende zwischenmenschliche Beziehungen. Selten passt ihre Geschichte in nur ein einziges Genre, oft ist es eine komplexe Mischung. Von zarter Liebe bis harte Obsession ist bei ihr alles vertreten. Ob es immer ein Happy End für die Protagonisten sein muss?
Wenn sie nicht schreibt oder liest, schaut sie gern Serien und Filme oder unternimmt etwas mit ihrer Familie.
Ihre Ideen nimmt sie so gut wie immer aus alltäglichen Situationen, die Orte ihrer Geschichten kennt sie teilweise aus erster Hand.
Hauptberuflich ist sie wie die Protagonistin ihres Debütromans in der Männerbranche tätig.
Wie ihr Name andeutet, ist sie ein Sommermensch, liebt das Meer und das mediterrane Lebensgefühl. Dies lässt sie auch in ihre Geschichten einfließen.
1. Auflage
Deutsche Erstauflage Mai 2023
© Summer Alesilia
Summer Alesilia
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnergrund 14/5
8101 Gratkorn
Österreich
summeralesilia@gmail.com
Buchsatz: Summer Alesilia
Cover: Massimo Pedicillo (NessunoMass)
Für M, E und A
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Social Media
Kapitel 1
2 Tage vor Reisebeginn
Samstag
Mike sah sich in dem hellen Raum um und vernahm die leise, stimmungsvolle Musik. Die Leuchtspots direkt über seinen Bildern, setzten diese raffiniert in Szene. Selbst jetzt, wo er sie mit eigenen Augen sah, konnte er es nicht so recht glauben. Nach dem überraschenden Geldsegen seiner Großtante hatte er sich natürlich umgehend daran gemacht, seinen Traum zu verwirklichen. Da er zu der Zeit ohnehin ohne Job war, stellte es kein Problem dar, seine ganze Energie auf dieses Ziel zu richten. Über ein Einkommen in der Zwischenzeit musste er sich keinerlei Gedanken machen.
Jetzt, nach einem knappen halben Jahr war es nun so weit: Seine erste Ausstellung würde in wenigen Stunden beginnen. Aber nicht etwa in Füssen. Nein, auch nicht in Frankfurt oder Berlin. Er befand sich in der inoffiziellen Kunsthauptstadt Wien. Hätte ihm das jemand vor einigen Wochen erzählt, er hätte ihn ausgelacht und für übergeschnappt gehalten. Aber er war jetzt tatsächlich mitten in Österreichs Hauptstadt, auch wenn er es nicht ganz begreifen konnte.
Jedoch war das Organisieren einer Ausstellung es zu Anfang schwieriger, als er gedacht hatte. Es war alles andere als leicht gewesen, einen Agenten zu finden, der sich für ihn ins Zeug legte. Dank vieler Argumente seiner Tante sowie der Aussicht einer großzügigen Provision für jedes verkaufte Bild war dann doch endlich einer der besten bereit gewesen, seine europaweiten Beziehungen zu nutzen, um eine gute Location für Mikes Vernissage zu finden. Natürlich war dieser Erfolg ein bisschen Fijara geschuldet, denn sie war eine gute Kundin im Kunstgewerbe und durchaus bekannt für ihre Kaufkraft. Möglicherweise war es die Befürchtung des Agenten, dass sie nie wieder einen Kunstgegenstand über ihn erwerben würde, die ihn motiviert hatte. Wer wusste das schon? Inzwischen waren die Gründe egal, denn nun stand seine Ausstellung und wenn es nach ihm ginge, hätte es genau jetzt losgehen können.
So wartete Mike inmitten der riesigen Räumlichkeit mit den stuckverzierten Decken, inklusive dem Ausblick auf das Kunstmuseum Albertina, welches sich auf dem gleichnamigen Platz befand, und knetete nervös seine Hände. Er griff zu dem Krawattenknoten und lockerte diesen etwas, denn plötzlich überkam ihn ein Gefühl der Enge. Er und eine Krawatte! Das war so wie mit Vampiren und Knoblauch. Es passte einfach nicht zusammen. Außerdem war es seit wenigen Tagen sehr warm und so nervte ihn der Strick um den Hals noch mehr. Er wollte mit den Fingern durch sein braunes Haar fahren, konnte sich aber gerade noch davon abhalten. Er hatte es frisiert, denn er wollte einen anständigen Eindruck hinterlassen. In einiger Entfernung befand das Buffet, an dem die letzten Vorbereitungen getroffen wurden. Tabletts mit Gläsern standen bereit und der große Kühlschrank mit diversen gekühlten Schaumweinen summte leise vor sich hin.
Kurz musste er an das gestrige Telefonat mit Laura denken.
Laura!
Was sie jetzt wohl tat? Die Verbindungsqualität war eine einzige Katastrophe. Während sie sich unterhalten hatten, lag er auf seinem Hotelbett, blickte durch das Fenster über Wiens Dächer.
»Ich wünschte, du wärst jetzt hier. Es ist so schade, dass du nicht dabei sein kannst«, sagte er zu Laura, die sich über tausend Kilometer entfernt in Bulgarien aufhielt.
Sie seufzte und dann herrschte eine kurze Pause. »Ich doch auch. Aber denk einfach daran, dass wir in ein paar Tagen zusammen sein werden. Und das nicht nur übers Wochenende.« Ihre Stimme hatte diesen warmen und samtigen Klang und wirkte zuversichtlich. Genau das gab ihm die Kraft weiterzumachen.
Er brummte nur und antwortete im schmollenden Ton: »Aber trotzdem ist es doof!«
Dann hörte er sie leise kichern, denn sie hatte immer einen Heiden Spaß, wenn er so mürrisch war. Ebenso bemerkte sie gleich, dass es einfach seine Art ohne ernste Hintergründe war.
»Und wie ist Wien? Sicher schön«, fragte Laura und klang wehmütig.
»Ja, zumindest das, was ich gesehen habe. Leider war es nicht sehr viel bisher! Und morgen kann ich froh sein, wenn ich neben einigen weißen Wänden, ein paar interessierte und spendable Gesichter erblicke.«
»Das hoffe ich sehr«, meinte sie und ein Rauschen war in der Leitung zu hören.
»Ich freue mich schon, dich zu sehen.« Diesmal war er es, der seufzte. »Du fehlst mir«, gestand er ihr. Allerdings war das sogar untertrieben, denn gerade jetzt wünschte er sich mehr als alles andere, dass sie neben ihm lag und morgen an seiner Seite wäre. Mike hoffte, dass es nach ihrer gemeinsamen Reise endlich besser werden würde. Er wollte sie nicht nur einmal im Monat übers Wochenende sehen, er wollte morgens neben ihr aufwachen und sie küssen, wann ihm der Sinn danach stand.
»Du fehlst mir auch«, sagte sie leise ins Telefon.
Doch er entschied, das Thema nicht weiter vertiefen, schließlich würden sie sich in wenigen Tagen sehen. Sie plauderten noch eine Weile über ihre Familie, bei der sie aktuell war. Sie erzählte, was sie bisher erlebt und gesehen hatte. Zum Schluss wünschte sie ihm viel Vergnügen und noch mehr Glück für morgen.
Als sie aufgelegt hatten, dachte er über die derzeitige Situation nach. Beide waren viel zu sehr in ihrem Alltag eingespannt. Mike hatte mit der ganzen Vorbereitung seiner Vernissage unglaublich viel zu tun. Ebenso war Laura aktuell beruflich stark beansprucht. Doch früher oder später wollten beide nicht mehr halb Süddeutschland durchqueren müssen, um sich zu sehen. Natürlich hatte sie sich bereits nach einem Job in seiner Nähe umgesehen, allerdings war das nicht so leicht, wie sie gehofft hatte. Nun war sie seit einer Woche bei ihren Großeltern und anderen Verwandten in ihrer Heimat. Er hätte sie gern dabeigehabt, seine erste Ausstellung mit ihr erlebt, aber wie so oft, war es nicht so problemlos, die jeweiligen Wünsche und Pläne auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Den Urlaub hatte sie schon länger geplant, seine Vernissage kam lediglich dazwischen.
So hatten sie einen Plan gefasst, der im Anschluss an seine Bilderausstellung beginnen sollte.
Er würde zu ihr nach Bulgarien fliegen. Zusammen wollten sie in Andenken an ihr Kennenlernen eine gemeinsame Reise von ihren Wurzeln bis hin zu seinen in Irland wagen. Rund dreieinhalbtausend Kilometer quer durch Europa, vom äußersten Südosten bis in den höchsten Nordwesten. Die Vorstellung an viele gemeinschaftliche Stunden Autofahrt, gute Gespräche und tolle Erlebnisse sowie etliche Nächte in den unterschiedlichsten europäischen Städten zusammen mit seiner Liebsten, verbesserten seine Laune erheblich. Dennoch hatte er die ein oder andere Befürchtung.
Konnte so eine derart lange Fahrt mit zwei so chaotischen Menschen überhaupt gutgehen? Was würde alles misslingen, wenn sie eine so große Distanz zurücklegten?
1 Tag vor Reisebeginn
Sonntag
Laura war umgeben von unzähligen Frauen in sämtlichen Altersklassen. Die unterschiedlichsten Verwandten tummelten sich in der großen Küche, die auch gleichzeitig als Esszimmer diente. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war und bevor sie in ein fremdes Land auswanderten, hatte sie hier viel Zeit verbracht. Später beschränkten sich diese Aufenthalte auf die großen Sommerferien in Deutschland. Die schulfreien Wochen waren immer Großelternzeit gewesen. Mit den Dingen, die sie hier erlebt hatte, könnte man ein Abenteuerbuch für Kinder füllen.
Es war damals ein Schock gewesen, als sie erfahren hatte, dass sie bald nicht mehr täglich hier sein konnte. Ihr Vater hatte eine Stelle bei der bulgarischen Botschaft in Berlin angenommen, war dort für einige Bereiche zum Thema Sicherheit zuständig. Finanziell eine enorme Verbesserung, jedoch emotional eine Katastrophe. Damals zogen sie im Sommer nach Deutschland. Unmittelbar zum Ende der zweiten Klasse, mit gerade einmal acht in ein fremdes Land zu gehen, war für sie die schlimmste Strafe. Nachdem sie drei Jahre in Berlin verbracht hatten, in einer riesigen Stadt, ohne wirklich Freunde gefunden zu haben, zogen sie nach Hannover. Laura kam inzwischen gut mit der Sprache klar und an die Mentalität hatte sie sich gewöhnt, wenn nicht sogar angepasst. Auch ihr größerer Bruder Silvan entwickelte sich gut, jedoch war es für beide nicht so leicht gewesen, ihre alte Heimat hinter sich zu lassen.
Deswegen freute sie sich jetzt umso mehr, endlich wieder hier zu sein, auch wenn das Durcheinander zunächst gewöhnungsbedürftig war. Aber nach einigen Tagen hatte sie sich gut eingelebt. Auch sprach sie inzwischen perfekt bulgarisch, sogar mit dem dazugehörigen Dialekt. So stand sie mit ihrer Großmutter, ihrer Großtante, ihrer Tante und einer Cousine zweiten Grades sowie einer weiteren entfernten Verwandten in der Küche und bereitete schwatzend das Mittagessen zu. Lautes Stimmengewirr und köstlicher Duft erfüllten den Raum. Der Eintopf mit Rindfleisch und saisonalem Gemüse köchelte gemütlich vor sich hin. Die Gewürze und das Aroma der Zutaten hatten sich schon überall verbreitet und kündeten eine schmackhafte und typisch bulgarische Mahlzeit an. Kawarma — lecker!
Ihr Großvater, ihr Bruder sowie die Männer der anwesenden Frauen waren früh in den großen Garten aufgebrochen. Diesen erreichten sie mit einem Kleinlaster, in dem alle Platz fanden. Ihr Opa baute dort das Obst und Gemüse an, welches in dem Eintopf und vielen weiteren Gerichten verwendet wurde. Was nicht verbraucht werden konnte, wurde in der Tiefkühltruhe oder in Einmachgläsern konserviert, um später im Jahr darauf zugreifen zu können. Lautes Rattern kündigte die Ankunft der Männerschar an, so als hätten sie den Duft bis zu sich in den Garten wahrgenommen. Der Motor wurde abgestellt, Türen geöffnet und wieder geschlossen, dann waren viele Stimmen, die alle durcheinanderredeten zu hören und wurden lauter. Einen Moment später steckte der Erste seinen Kopf in die Küche, wurde aber gleich mit einer Schimpftirade von Lauras Oma des Raums verwiesen. Übersetzt bedeuteten ihre Worte, dass er und seine Bande erstmal die Hände waschen und sich der Arbeitskleidung entledigen sollte, bevor sie auch nur einen Blick in das Zimmer werfen durften. Wenige Minuten später saßen alle gewaschen am Tisch und warteten, dass sie mit einer deftigen Mahlzeit versorgt wurden.
Laura half beim Befüllen der Teller und reichte diese an die Meute weiter. Als jeder einen Eintopf vor sich hatte, wurden die Hände zu einem kurzen Gebet gefaltet, danach machten sich die Mannsbilder wie Verhungernde darüber her. Laura beobachtete einen Moment das rege Treiben, dann begann sie schmunzelnd zu essen. Ihr Bruder, mit dem sie in ihre Heimat gekommen war, sorgte dafür, dass sie sich unter all den Leuten, die sie lange nicht mehr gesehen hatte, nicht so fremd fühlte. Die Abende verbrachten sie meistens gemeinsam. Dadurch hatte sie genügend Ablenkung, um Mike nicht ständig zu vermissen.
Gestern hatte die Vernissage stattgefunden und seit dem Telefonat am Vortag hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Es war sicher spät geworden und sein Flugzeug ging bereits am Mittag. Anderthalb Stunden Flug und eine gut einstündige Autofahrt musste er hinter sich bringen, dann konnte sie ihn endlich wieder berühren, küssen und verliebt anstarren.
Diese banalen Dinge kamen in den letzten Wochen viel zu kurz. Denn jeder hatte seine Arbeit und sein Leben. Mike verfolgte seinen Traum und tat alles, was ihm einfiel, um mit seinen Zeichnungen Geld zu verdienen. Unter dem Strich war die Besichtigung seiner Bilder in angemessenem Ambiente sicher der erste Erfolg.
***
Warum hatte es, kaum dass Mike das Flugzeug verlassen hatte, zu regnen angefangen? Wobei er froh sein konnte, dass sich die Gewitterfront erst jetzt richtig ausbreitete und ihm nicht die Landung erschwert oder gar ganz verhindert hatte. Inzwischen war er müde, freute sich aber, in absehbarer Zeit Laura in seine Arme schließen zu können. Dass dies in einem Vorort von Samokov sein würde, war dabei erstmal völlig egal. Nur die Tatsache zählte.
Nach rund einer Stunde, die er mit dem Warten auf sein Gepäck und dem Anmieten eines Leihwagens verbracht hatte, konnte er endlich losfahren. Die Fahrt würde er hoffentlich ohne Zwischenfälle hinter sich bringen. Dass es immer noch wie aus Eimern schüttete, stresste ihn genug. Er kannte den Zustand der Straßen nicht und bei dem Weg musste er sich auf das Navi verlassen. Zunächst kämpfte er aber mit der Sprache und schaffte es, mithilfe seiner Übersetzungsapp auf dem Handy die Einstellung des in die Jahre gekommenen Geräts zu verändern. Auch das Fahrzeug wirkte alles andere als vertrauenswürdig. Zwar war es noch kein übermäßig alter Wagen, aber er hatte schon einige Kilometer auf der Anzeige und war nicht sonderlich gut behandelt worden. Zumindest sah der Innenausstattung abgenutzt aus. Er war froh, dass sich Laura vor Ort um ein größeres Auto bei einer internationalen Autovermietung gekümmert hatte. Als dann der Motor ein merkwürdiges Geräusch machte, glaube er an eine Verschwörung gegen ihn. Inmitten der bulgarischen Pampa irgendwo im Nirgendwo zu stranden, stand nicht auf seinem Plan. Zum Glück verschwand das Rasseln nach ein paar Minuten im Leerlauf.
Er fuhr vom Flughafengelände und bog auf die Straße, die ihm das Navi vorschlug ein. Eine Weile befand er sich noch in Sofia, aber die Gebäude wurden immer weniger und letztlich tuckerte er über eine Landstraße. Nach etwa der Hälfte der Zeit führte die Straße an einem Stausee vorbei.
Sofort zogen ihn die Aussicht und die traumhafte Umgebung in den Bann. Er liebte es, zu schwimmen, am liebsten im Meer, aber auch ein See war besser als ein Schwimmbad. Die Landschaft kitzelte seine Sehnerven und projizierte zahllose Gebilde auf die Leinwand in seinem Kopf. Wasser zur einen, Berge auf der anderen Seite. Ein Bild für Götter oder eben einen Künstler wie ihn. Es wäre jetzt für ihn Entspannung pur, einfach an einer Stelle zu halten und zu zeichnen. Aber natürlich tat er es nicht, auch wenn er diverse Stifte, verschiedenen Papiere und etliche Blöcke dabeihatte. Vielleicht würde sich eine Gelegenheit ergeben und lieber war er vorbereitet, als dann das Nachsehen zu haben.
Er freute sich auf Laura und das Kennenlernen ihrer bulgarischen Familie. Nach einer weiteren halben Stunde zeigten erste Schilder den Namen Samokov und das Navi versprach ihm, dass er in wenigen Minuten bei der Adresse sein würde.
Nach einer Viertelstunde hatte er das Gerät so sehr verwirrt — oder war es andersherum? — dass er nicht mehr wusste, wo er war. Als es hieß, er sei am Ziel, befand er sich mitten auf einem geschotterten Feldweg und hätte dem Schaf, welches am Straßenrand stand und ihn verdutzt ansah, zuwinken können. Seufzend griff er nach seinem Handy und versuchte Laura anzurufen. Er hatte jedoch kein Netz, weswegen er langsam weiterfuhr, bis er wählen konnte.
»Hallo! Bist du schon da?«, frage sie direkt und er musste sarkastisch lachen.
»Wenn ich wüsste, wo da ist«, brummte er und sah sich ratlos um. »Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Kennst du eine vorwitzige braune Ziege mit einer Glocke um den Hals?«
»Was?«, fragte sie und hörte sich sichtlich verwirrt an. »Welche Ziege?«
»Ja, sie steht an der Straße und guckt mich skeptisch an. Ich glaube, die mag mich nicht.«
»Mike«, stöhnte sie, »wo zum Teufel bist du und warum redest du wirre Sachen? Bist du betrunken?«
Nun musste er über ihren strengen Ton sowie die bizarre Situation lachen.
»Noch nicht, aber das kann sich demnächst ändern. Die Adresse, die du mir gegeben hast, kennt dieses Navi nicht. Und ich weiß nicht, wo ich bin. Hilfe?«
»Wie soll ich wissen, wo du bist? Beschreibe bitte deine Umgebung oder so, dann könnte ich dir vielleicht helfen.«
»Also ich war auf einer Hauptstraße, dann musste ich rechts abbiegen und anschließend sollte ich links fahren, bin aber vorbeigefahren. In einiger Entfernung habe ich einige Hochhäuser erkannt und an den Seiten direkt vor mir ein paar vereinzelte Häuser, aber jetzt sehe ich nur noch diese unheimliche Ziege.«
»Vereinzelte Häuser sagst du? Dann bist du anscheinend in der Nähe. Wirst du zu den Gebäuden zurückfinden?«
»Ich versuch es. Nur kann ich diese Schilder hier kaum entziffern.«
»Ich komme an die Straße. Was für eine Farbe hat dein Auto?«
»Rot.«
»Okay. Bis gleich«, sagte sie und kicherte.
»Ich freue mich.« Mike legte auf und versuchte, sich zu konzentrieren. Er drehte mit dem Wagen um und rollte die Straße zurück. Er war weitergefahren, als er dachte, aber letzten Endes landete er genau dort, wo er vorhin falsch abgebogen war. Langsam fuhr er den Weg entlang und blickte links und rechts zu den Häusern, die meisten hatten ein kleines Grundstück davor. Teilweise waren die Gebäude nicht fertig gebaut worden, denn viele waren unverputzt und machten den Eindruck, als würde es noch einige Jahre dauern, bis man diese fertigstellen würde. Die Straße war prunklos, die Mauern um die Häuser ebenfalls. Es war früher Abend und nicht sonderlich viel los. Die Luft war warm und stickig, denn hier schien kein einziger Tropfen Regen gefallen zu sein.
Plötzlich machte er in dem ganzen Grau der Gegend, braunes Haar aus und wusste, dass es nur Laura sein konnte. Er fuhr mit Schwung direkt auf das Grundstück und hinterließ eine Staubwolke, als er abrupt bremste.
Sie grinste ihn nur an und blieb gebannt stehen, als er ausstieg und so schnell ihn seine Füße trugen, zu ihr eilte. Mit einem erleichterten Seufzen umarmte er sie.
»Willkommen in Samokov«, rief sie und quietschte, als Mike sie einmal herumwirbelte.
Kapitel 2
Reisetag 1
Montag
Mike nahm seine Aussage, die er zu Weihnachten getroffen hatte, zurück. Lauras Familie war nicht nur groß, sie war riesig und übertraf die der O´Sullivans um Längen. Er hatte auch verstreute Angehörige in Irland, aber nicht jede zweite Person war über zig Ecken mit ihm versippt, so wie es hier bei Laura den Eindruck machte. Mike liebte hin und wieder Trubel und wurde erst bei größeren Gruppen überfordert, aber das Aufeinandertreffen mit Markows und Co. war heftig. Gestern fühlte er sich zur Geburtstagsfeier von Milan zurückversetzt, als er ständig umarmt und geherzt wurde. Vermutlich war neben der Familie auch die Nachbarschaft gekommen, um ihn zu bestaunen. Das Abendessen glich einem Dorffest, bei dem er die Attraktion war. Er hasst es, dass er bestenfalls nur Wortfetzen verstand. Das Lernen von Bulgarisch, sodass er auch mal einen Satz begriff, notierte er gedanklich auf seiner bereits langen To-do-Liste. Immer wieder fragte er bei den wenigen Treffen mit Laura, was dies und jenes in ihrer Sprache hieß und brach sich beim Nachreden meistens die Zunge. Wenigstens konnte er sich mit ihrem Bruder auf Deutsch unterhalten und das tat er auch. Da sie sich gut leiden konnten, amüsierten sich beide hervorragend. Das obligatorische Schnapstrinken nach dem Essen durfte nicht fehlen, aber er beließ es bei einem. Dennoch wurde bis spät in die Nacht getrunken, gegessen und gefeiert.
Mike grinste bei der Erinnerung an gestern und drehte dann sein Gesicht zu Laura. Das Bett, in dem sie schliefen, glich einem etwas größeren Klappbett. Eine der Federn drücke ihm unangenehm in die Hüfte, aber was nahm er nicht alles in Kauf, um bei ihr zu sein. Nach dem Mittagessen würden sie aufbrechen und ihre lange Fahrt antreten.
Er fragte sich ernsthaft, wie seine Liebste auf dieser beengten Liege neben ihm gut geschlafen hatte. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und wanderte küssend zu ihrem Mund. Dadurch wachte sie auf, streckte sich und kuschelte sich dichter an ihn heran.
»Bist du schon wach?«, fragte sie schlaftrunken und gähnte gegen seine Brust.
»Sieht ganz so aus«, antwortete er und begann sie unter einem Arm zu kitzeln, bis sie quietschte.
»Du kannst es wohl nicht mehr erwarten, mit mir das Land zu verlassen und wie ein Vagabund durch die Gegend zu reisen?«, feixte sie atemlos.
Er lächelte und gab ihr anstatt einer Antwort einfach einen Kuss. Danach sprang er auf und bereute es augenblicklich, als seine Hüfte ein bedenkliches Knacken von sich gab.
***
Nach der Morgenroutine saßen sie mit deutlich weniger Verwandten am Frühstückstisch. Zwei Männer und zwei Frauen ergänzten die Zweisamkeit der beiden. Wo Silvan geblieben war, wusste er nicht. Aber vermutlich schlief er noch. Mike und Laura waren als eine der Ersten ins Bett gegangen.
Wenn er sich richtig erinnerte, waren die anwesenden Frauen Lauras Oma und eine Tante sowie die dazugehörigen Ehemänner. Der jüngere der beiden Männer an der Tafel hatte Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, und Mike vermutete, dass es deren Bruder sein musste.
Er lauschte Lauras bulgarischen Worten und beobachte fasziniert, wie selbstverständlich sie sich inmitten ihrer Familie agierte. Mike griff nach einem Teller, auf dem etwa ein Dutzend halbmondförmige Teigfladen lagen und die ihn ganze Zeit verführerisch ansahen. Er wandte sich mit der Platte in der Hand an Laura.
»Was ist das?«, fragte er zur Sicherheit flüsternd.
»Das ist Pitki. Die besteht aus Hefeteig, der mit einer Art Feta gefüllt und in Öl gebacken wird.«
»Hm, das hört sich gut an«, sagte er und nahm sich zwei davon.
Sie schmeckte sehr lecker. Er schlug sich mit den vielen anderen Dingen, die auf dem Tisch standen, den Magen voll. Laura aß ebenfalls gut, denn sie hatten eine lange Strecke vor sich und wollten sogar etwas früher losfahren. Sie mussten mit dem Auto zu einer Vermietungsfirma in der Stadt, da Laura hatte sich in Samokov um einen reisetauglicheren Wagen gekümmert. Die Möglichkeit, das Fahrzeug an jedem Standort innerhalb Europas abgeben zu können sowie der internationale Name der Vermietfirma sorgte zudem für ein sichereres Gefühl.
Nach dem Frühstück packten sie ihre Kleidung zusammen, verstauten diese in Lauras Koffer und trugen ihn vor das Haus. In der gestrigen Euphorie hatte Laura das Mietauto von Mike nicht genauer begutachtet. Ihr skeptischer Blick wurde nach der gründlichen Beschauung des gesamten Autos nicht optimistischer. Aber im Vergleich zu den anderen Fahrzeugen, die hier auf den Straßen unterwegs waren, sah dieses hier noch gut aus.
»Zum Glück holen wir uns nachher einen SUV«, sagte Laura bei dem Anblick der Roststellen.
Gerade als sie ihr Gepäck im Kofferraum verstauten, bog ein schwarzhaariger, bärtiger Kerl zu Fuß um die Ecke und lief zielstrebig auf Laura zu. Der Typ mit den Tattoos an den Armen war Mike bereits gestern aufgefallen. Immer wieder stand er bei ihr und unterhielt sich mit ihr. Meistens nicht sehr lange, aber stets nur dann, wenn er nicht in ihrer Nähe war. Er hätte ohnehin kein Wort verstanden, jedoch tat das nichts zur Sache. Auf die Frage, wer er sei, meinte sie lapidar, dass es ein Nachbar wäre. Er hatte das Gefühl, das mit dem Typ etwas nicht stimmte, aber weil es bei ein paar wenigen Gesprächen geblieben war, schöpfte er keinen weiteren Verdacht.
Als Laura sah, wer er die Hofeinfahrt heraufkam, verdrehte sie die Augen. Hatte sie ihm nicht bereits deutlich gesagt, dass er sich fernhalten sollte. Warum konnte Hristo nicht auf sie hören? Sie hatte ihn lange nicht gesehen und beinahe hätte sie ihn im ersten Moment nicht wiedererkannt, so sehr hatte er sich optisch verändert. Früher sah er freundlicher aus, inzwischen passte seine Optik zu seiner Art von damals. Allerdings hatte sie seit Jahren keinen Kontakt zu ihm und wusste nicht, ob er noch immer das Schlitzohr von damals war. Dass er gestern hier aufgetaucht war, genau an dem Tag, als Mike hier eingetrudelt war, war vermutlich reiner Zufall. Dass er sich zur gleichen Zeit in ihrer gemeinsamen Heimatstadt aufhielt und die Gerüchteküche über ihre Ankunft auch vor ihm nicht Halt gemacht hatte, war Ironie pur. Sie hatte es geschafft ihm all die Jahre in Hannover aus dem Weg zu gehen und dann lief er ihr genau in ihrer Heimat über den Weg. Sie war sich nicht sicher, ob er zurück nach Bulgarien gegangen war und nun hier lebte, aber da es sie nicht wirklich interessierte, hatte sie auch nicht nachgefragt.
Sie sah zu Mike hinüber, der bereits einen skeptischen Blick auf den Fremden warf. Er blieb stehen, begrüßte sie auf Bulgarisch und erkundige sich nach ihrem Befinden. Sie versuchte, das Gespräch kurzzuhalten, und fragte Hristo ohne Smalltalk nach dem Grund seines Besuchs.
»Dein Bruder meinte, du fährst heute und da ich ebenfalls in Richtung Skopje muss, habe ich gehofft, dass ich ein Stück mit euch fahren kann.«
Gerade wollte Laura ihn darauf hinweisen, dass sie nicht sein persönliches Taxi war, als ihre Oma aus dem Haus kam. Zu ihrem Leidwesen liebte die alte Dame ihren Ex-Freund und war damals sehr unglücklich gewesen, als sie die Beziehung beendet hatte. Und Hristo, dieser Schleimer, schmierte ihrer Großmutter jedes Mal Honig ums Maul. Was erhoffte er sich davon?
Er lief auf sie zu und umarmte die alte Dame, als wäre es seine Baba. Laura spürte Mikes fragenden Blick förmlich in ihrem Rücken, ignorierte ihn aber bewusst. Sie musste sich überlegen, was sie ihm gleich erzählen würde.
Ihre Oma erkundigte sich nach dem Grund von Hristos Besuch. Als dieser es erklärt hatte, blickte ihre Großmutter sie auffordernd an. Laura verstand auch ohne Worte. Sie nickte und seufzte, weil sie wusste, dass sie nun in der Zwickmühle saß. Mike und sie wollten doch nur eine schöne Zeit verbringen. Was hatte sie verbrochen, dass nun alles anders kommen würde? Nun würde sie ihm erklären müssen, dass sie einen Anhalter mitnehmen müssten. Sie seufze ergeben und drehte sich um, schnappte dabei Hristos zufriedenes Grinsen auf und ärgerte sich über seinen Sieg. Zögerlich lief sie auf Mike zu, dessen Blick wie versteinert wirkte.
»Ich muss dir etwas sagen« fing sie an, lehnte sich ans Auto, wodurch sich er von den anderen beiden wegdrehte. »Hristo hat gefragt, ob wir ihn ein Stück mitnehmen können. Ich wollte ablehnen, aber ich möchte meine Oma nicht traurig machen. Es wäre nur eine kurze Strecke.« Laura sah ihn an und hoffte auf Mike Zustimmung. Ihre Hoffnung schwand, als er ein finsteres Gesicht machte.
»Das ist doch Mist! Wir wollten endlich allein und zusammen sein. Ich traue diesem Vogel nicht über den Weg. Wer ist das überhaupt? Ist es üblich, dass man den Nachbarn mitnimmt?«
Laura war ratlos. Sie wollte Mike nicht anlügen, aber wie würde er reagieren, wenn sie ihm verriet, wer Hristo wirklich war? Sie wählte das kleinere Übel und hoffe dennoch, dass er sie verstand. Dass sie es ihrer Oma zuliebe tat und nicht, weil sie diesen Kerl mochte.
»Nein, es ist nicht üblich. Aber er ist kein Nachbar. Er ist mein Ex-Freund. Hristo lebte früher in Hannover und wir waren damals, bevor ich nach Nördlingen gezogen bin, ein Paar. Wir haben uns mit zwanzig dort kennengelernt und wie es der Zufall so wollte, stammt er ebenfalls aus Samokov. Ich wusste bis gestern nicht, dass er auch hier ist.«
»Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Tut mir leid. Wirklich. Aber ich dachte nicht, dass wir ihn überhaupt noch einmal sehen würden … und es war nicht wichtig für mich. Wir wollten doch heute ohnehin fahren und …« Laura seufzte.
»Das hat ja gut geklappt. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ehrlich gesagt habe ich keinen Bock, einen Anhalter mitzunehmen. Und schon gar nicht deinen dubiosen Ex-Freund.«
Laura war verzweifelt. Natürlich hatte sie auch keine Lust, aber was würde ihre Oma von ihr oder von Mike denken? Sie wollte nicht, dass jemand schlecht von ihrem Freund dachte und sie wollte ihre Großmutter glücklich sehen. Auch wenn es bedeuten würde, ihrem Liebsten vor den Kopf zu stoßen.
»Ich habe auch keine Lust darauf. Aber ich möchte nicht im Streit von hier fort und noch weniger will ich, dass meine Oma denkt, du wärst nicht hilfsbereit. Denn das bist du! Kannst du dich an deinen letzten Anhalter erinnern?«
Grimmig sah Mike sie an. Dann allerdings lächelte er bei der Erinnerung. Einen Moment später wurde er ernst und sagte: »Wir nehmen ihn mit, wohin er möchte. Aber keinen Meter weiter. Verstanden!«
»Danke! Du weißt, dass ich dafür liebe.« Ohne nachzudenken, umarmte sie Mike und küsste ihn — extra lange und liebevoll. Sie hoffe, dass Hristo verstand, dass jeglicher Versuch in diese Richtung zwecklos war.
Sie löste sich von Mike, nickte ihrem Ex und ihrer Oma zu. Während beide ihr letztes Gepäck verstauten, verschwand Hristo im Haus von Lauras Familie. Als sie abfahrbereit waren, hupten sie. Alle noch anwesenden Verwandten kamen heraus, um sich zu verabschieden. Allerdings war von ihrem Bruder weit und breit keine Spur. Sie erinnerte sich, ihn bereits beim Frühstück nicht gesehen zu haben. Seit gestern Abend, als sie sich eine gute Nacht gewünscht hatten, war er verschwunden. Würde er ihre Abfahrt verpassen? Die Befürchtung ließ Laura traurig werden. Er wusste doch, dass sie heute abreisen wollten. Sie hatte jedoch keine Zeit für weiterführende Gedanken.
Sie wusste, dass die Verabschiedung ein Kampf werden würde. Während Mike die ihm überreichte Kühltasche auf die Rückbank stellte und von allen umarmt wurde, dauerte es bei Laura länger. Jeder wechselte mit ihr noch einige Worte, wünschte ihr eine gute Fahrt und unzählige andere Dinge.
Mike wartete so lange im Auto auf sie. Misstrauisch beobachtete er jedoch nicht sie, sondern diesen Mafiosoverschnitt Hristo. Er stand daneben und geduldete sich, bis das bulgarische Abschiedsprocedere abgeschlossen war. Nach endlosen Minuten kam Laura mit ihrem Ex im Schlepptau auf den Wagen zu. Mike fragte sich, weswegen dieser Typ nicht mal eine kleine Tasche mit sich führte. Allerdings kannte er weder seinen Reisegrund noch das genaue Ziel. Er hoffte einfach, dass sie ihn bald loswerden würden und Mike die restliche Fahrt mit seiner Laura allein fortführen konnte.
Als sie und Hristo eingestiegen waren, fuhr Mike unter mehrmaligem Hupen vom Hof. Alle winkten nochmals oder schickten Luftküsse.
Laura wies ihm den Weg zur Autovermietung in der Nähe des Bahnhofs in Samokov. Auf diese Weise sah Mike ein wenig von Lauras Geburtsort. Mike sprach nur das nötigste mit ihr, er fühlte sich durch den ungebetenen Fahrgast gehemmt. Zum Glück sagte der aber kein einziges Wort.
Nach einigen Fahrminuten erreichten sie die Vermietungsfirma und hielten auf einem der Parkplätze. Beide gingen in das Büro, um die Formalitäten zu erledigen.
Von Laura wusste er, dass sich ihr Onkel später um die Rückgabe des alten Autos kümmern würde. Das war eben der Nachteil einer hiesigen Firma, die Abgabe war nur vor Ort möglich.
Keine zehn Minuten später hatte Mike einen Blutdruck jenseits von Gut und Böse. Sein Allgemeinzustand war mehr als bedenklich. Anstatt des vereinbarten SUV von Mazda wurde ihnen ein Jeep Cherokee XJ angeboten. Das war noch nicht mal das Schlimmste, aber dieses Gefährt war Baujahr 2000 und machte keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Das Fahrzeug war eine Zumutung, aber was sollten sie machen? Er wollte endlich losfahren und jegliche Diskussion half nichts. Laura und er hatten schon einen Aufstand veranstaltet und den Mitarbeiter in Erklärungsnot gebracht. Bevor sie heute nicht mehr abfahren konnten, würde sie diesen nehmen. Wenigstens war dieses klapprige, fahrbare Etwas geräumiger.
Laura war ebenfalls aufgebracht. Sie hatte wild auf Bulgarisch diskutiert, aber ihr reservierter Wagen war kurzfristig benötigt und anderweitig vergeben worden. Zumindest bot ihnen die Autovermietung einen Preisnachlass an. Sie beschloss, sich nicht die Laune verderben zu lassen. Sie würden einfach Richtung Skopje fahren und damit dem Ziel ein Stückchen näherkommen. Mike würde ihren Ex abliefern und wäre im Anschluss endlich ungestört mit ihm.
Letztlich waren alles Formalitäten erledigt, sie luden ihr Gepäck um und ließen sich die Entgegennahme des Schlüssels von Mikes Mietwagen bestätigen. Sie erklärten, dass am Abend jemand kommen würde, um das Auto abzuholen. Hristo hatte von dem Theater nichts mitbekommen, weil er sich zum Telefonieren verdrückt hatte.
Von Samokov fuhren sie die B62 Richtung Westen. Da ihre erste Etappe nur etwa dreihundert Kilometer entfernt war, wählten sie den entspannteren Weg über die Bundesstraße.
Die drei ließen die Heimatstadt hinter sich. Laura sah in Mikes Gesicht, dass ihn die Umstände einiges an Aufmerksamkeit kostete. Der Asphalt hatte schon bessere Zeiten gesehen und die anderen Verkehrsteilnehmer fuhren rücksichtslos.
»Wie ist das Fahren für dich?«, erkundigte sich Laura.
»Etwas holprig, aber ich weiß, dass es noch schlechter geht. Sind das normale bulgarische Straßenverhältnisse?«
»Leider ja.« Laura schmunzelte, als sie sein verkniffenes Gesicht sah. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Rückbank und sah Hristo auf seinem Handy tippen. Er wirkte angespannt und seine Gesichtszüge
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2023
ISBN: 978-3-7554-6027-5
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