Mein Name ist Mariella Delmonde und wie Sie vielleicht der Presse entnommen haben, war meine Woche von eher, sagen wir, ungewöhnlicher Natur. Sie wissen nicht, warum? Seltsam, es war schließlich in jeder erdenklichen Zeitung DAS Thema, aber nun gut, ich möchte Ihnen berichten, wie es schließlich dazu kam, dass ich im Arbeitszimmer meines Anwesens tot aufgefunden wurde.
Um Ihnen die Umstände dieses bedauerlichen Vorfalls näher zu bringen, werde ich am Abend vorher beginnen. Ein sonniger Tag im Mai neigte sich dem Ende zu. Bald würde die Sonne hinter den Hügeln dieser idyllischen, wenn auch aus meiner Sicht eher kitschigen, Gegend versinken. Das beeindruckende, im viktorianischen Stil erbaute Gut der Familie meines vor einem Jahr verstorbenen Ehemanns erhob sich am Ende einer schier endlosen Allee inmitten einer äußerst grünen Umgebung. Mein Mann Maximilian Delmonde war hier aufgewachsen und hatte es schließlich von seinem Vater geerbt, bis es letzten Endes in meinen Besitz übergegangen war.
An jenem Abend saß ich mit Thomas Schilling, einem sehr guten und langjährigen Freund der Familie, mit einer Tasse Tee auf der Veranda und wir plauderten über dies und jenes. Der große Mann von knapp fünfzig Jahren, dem man die Liebe zu gutem Essen ansah, trug ein anständig gebügeltes blaues Hemd und eine graue Hose. An ihm war alles irgendwie geordnet bis hin zu seinem dunklen Haar, das er zu einem sauberen Seitenscheitel gekämmt hatte. Also, wie gesagt, wir saßen auf der Veranda und er fragte bald: „Und bist du dir auch ganz sicher?“ Er nahm einen Schluck und die in letzter Zeit immer öfter auftretenden Sorgen in seinen von Fältchen umgebenen Augen waren schwer zu übersehen. Ach ja, der gute und stets loyale Thomas!
„Ja, ich denke schon. Max würde es auch verstehen.“
„Ist es nicht vielleicht ein wenig übereilt?“
„Ich habe dir doch bereits erklärt, wie es ist.“
In diesem Moment öffnete sich die Haustür und Joanne, die untersetzte 59-jährige Haushälterin aus England trat heraus. Ihr graues Haar war zu einem strengen Knoten gebunden und sie trug ein schwarzes, hochgeschlossenes Kleid. „Verzeihen Sie, Madam. Ich würde gerne mit Ihnen das Menü für morgen Abend abklären.“
Ich blickte zu ihr auf. Maximilians Vater war es gewesen, der sie eingestellt hatte. Mein Einzug vor fast neun Jahren war ihr nicht bekommen und das hatte sich in all der Zeit kaum geändert. Aber zugegeben, ihre Arbeit erledigt sie immer gewissenhaft und zufrieden stellend. Zudem ist sie eine hervorragende Köchin, was das Menü bewies, das sie mir auf einer kleinen Karte präsentierte:
Vorspeise: Vol-au-vent mit Tunfisch
Hauptgericht: Gefüllte Wachtel mit Serviettenknödeln
Dessert: „Rosiges Ende“
„Rosiges Ende?“ Nach einem kurzen Blick auf die Speisekarte sah Thomas mich an. „Was kann ich mir denn darunter vorstellen?“
„Eine kalte Nachspeise, die aus Himbeer- und Erdbeereis und noch weiteren roten Sorten besteht, garniert mit essbaren Rosenblättern.“
„Du bist doch allergisch gegen Erdbeeren.“
Das stimmt, doch wie viele Besucher kannte auch ich Joannes selbst gemachtes Eis, das einem süßen Traum gleich kam. Der Anlass am nächsten Tag passte perfekt dazu. Bei meiner Portion konnte man das Erdbeereis ja weglassen. Joanne zugewandt sagte ich mit einem Lächeln: „Ich bin voll und ganz einverstanden. Die Gäste werden sicher sehr zufrieden sein. Es war eine gute Idee von Ihnen, das Essen hier zu arrangieren.“
Mit einem steifen „Ja, Madam“ nahm Joanne das Blatt und verschwand wieder. Wenn ich mich so zurückerinnere, habe ich sie, glaube ich, nie lächeln gesehen.
Mit einem Blick auf seine Armbanduhr verabschiedete sich Thomas bald und erklärte mir, am kommenden Tag früh raus zu müssen. Der strebsame Thomas! Hätte ich mich nur noch einmal von ihm richtig verabschieden können.
Die letzte Nacht vor meinem Tod war sicher nicht meine ruhigste. Irgendwann rissen mich pochende Kopfschmerzen aus dem Schlaf. Durch die Seitentür gelangte ich ins Bad nebenan, wo ich vor dem Spiegelschrank über dem Waschbecken schnell feststellen musste, dass die Tabletten aus waren. Zum Glück gab es ja noch eine weitere Schachtel, wofür ich ins Arbeitszimmer im Parterre musste. Meinen roten Morgenmantel aus indischer Seide übergeworfen stieg ich in der Dunkelheit die große, sich windende Treppe hinunter, die unsere Eingangshalle beherrschte.
Das Büro lag im nördlichen Teil des Hauses hinter dem Wohnzimmer. Früher hatte es meinem Mann gehört und erinnerte auch heute noch sehr an ihn. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er gerne gelesen, sodass während seiner „Herrschaft“ die Wände mehr und mehr zu drei übergroßen Bücherregalen geworden waren, von denen eins einen Wandsafe einrahmte. Sie beherbergten von Goethe über Hugo bis hin zu moderneren Autoren ein großes Spektrum an Literatur. Seine Favoriten aber, ein paar Kriminalromane, standen auf dem großen Eichenschreibtisch und wurden von zwei kunstvoll gefertigten Buchstützen aus Holz am Fallen gehindert. Ich hatte nicht viel verändert, bis auf ein Bild von Maximilian vor der Bücherreihe.
Die Schmerztabletten lagen in der oberen Schublade. Ich stellte ein Glas Leitungswasser aus der Küche ab und nahm kurz im ledernen Chefsessel Platz. In einer Erinnerung tauchte mein Mann auf, der in diesem, jetzt vom weißen Mondlicht erhellten, Raum lieber gelesen als gearbeitet hatte. Das wiederum hatte er bevorzugt vor Ort im Verlag in der Stadt getan, wo das Treiben niemals ruhte. Hier hatte er gesessen, war in ferne Länder gereist oder hatte mysteriöse Todesfälle gelöst. Nach einem tiefen Seufzer spülte ich eine Tablette runter, als mich ein plötzliches Knarren in die Realität holte. Ich horchte auf, doch es war schon wieder verklungen. Was war hier los? Zwei Uhr dreizehn verriet mir die Uhr neben der Bücherreihe und ein Blick, dass ich es mir nicht eingebildet hatte, denn durch den Schlitz schimmerte ein sich bewegender Lichtstrahl. Ich bewegte mich leisen Schrittes um den Tisch herum durch den Raum. Mein Blick wanderte über das Regal zu meiner Rechten. Ich griff in eine Reihe und zog einen dicken, vergilbten Band hervor. Ideal als Waffe. Es würde einen eventuellen Langfinger definitiv niederstrecken. Langsam trat ich an die Tür heran, hielt einen Moment inne. Das Buch bereithaltend, packte ich die Türklinke und… Ich riss die Tür auf und zuckte kurz zusammen, fing mich aber sofort wieder. Mit dem Schürhaken vom Kamin im Wohnzimmer und einer Taschenlampe in den Händen stand Joanne im dunkelblauen Bademantel vor mir, das Haar immer noch zum Knoten gebunden. Der überraschte Ausdruck in ihrem Gesicht wurde innerhalb eines Augenblicks wieder zu der versteinerten Miene.
„Verzeihen Sie, Madam. Ich hörte etwas, das nach einem Einbrecher klang.“
„Das ist doch nur verständlich“, sagte ich mit einem Lächeln auf den Lippen, „es tut mir Leid. Ich konnte einfach nicht schlafen.“
„Soll ich Ihnen vielleicht einen Tee machen?“
„Nicht nötig.“ Ich sah vom Buch zum Haken. „Gut, dass wir gezögert haben.“
Joanne reagierte nicht auf meinen kleinen Scherz und sagte nur: „Dann wünsche ich eine gute Nacht, Madam.“
„Gute Nacht, Joanne.“
Nun konnte ich durchschlafen und gegen halb sieben stand ich auf. Nach der üblichen Morgentoilette begab ich mich ins Erdgeschoss in den Südflügel, wo das Speisezimmer lag. In diesem mit sündhaft teuren Mahagonimöbeln ausgestatteten Raum würde bald ein wichtiges Geschäftsessen das Leben einiger Menschen verändern. Die Kanten des sechs Meter langen Tisches waren in präziser Kleinstarbeit verziert worden. An den Wänden hingen bunt bemalte Teller aus allen Ecken der Welt und die Fenster, die nach Süden herausgingen, waren von roten Samtvorhängen eingerahmt. Alles Überbleibsel aus der Zeit von Maximilians Eltern. Ich setzte mich an das Tischende mit dem Rücken zum Fenster, wo ein frisch zubereitetes Omelett und eine herrlich duftende Tasse Kaffee auf mich wartete. Ja, ich vermisse Joannes köstliches Essen. Sie kam herein, als ich mit dem Frühstück beginnen wollte, in der Hand die zusammengefaltete Zeitung.
„Guten Morgen, Madam. Der Zeitungsjunge war wieder einmal zu spät.“
„Danke, Joanne.“
„Ich beginne jetzt mit den Vorbereitungen des Dinners.“
„Ist Sarah schon da?“ Die Küchenhilfe Sarah kam immer zu größeren Anlässen.
„Sie wird in einer halben Stunde zur Arbeit erscheinen.“
„Gut, dann zaubern Sie uns ein unvergessliches Mahl.“
Joanne nickte ausdruckslos wie immer und verschwand. Ich nahm einen Bissen und betrachtete die erste Seite. Ein mir bekanntes Gesicht grinste mich vom Titelbild an. Mit seiner Frau im Arm wirkte Guillaume Malentu irgendwie zufrieden, wofür wohl nicht zuletzt die Schlagzeile über dem Foto verantwortlich war:
DELMONDE-VERLAG:
BALD IM BESITZ VON G.M. ÉDITIONS?
Für einen kurzen Moment musste ich lächeln. Ja, die prekäre Wirtschaftssituation war auch an uns nicht spurlos vorüber gezogen, was sinkende Auftragszahlen und mehrfache Entlassungen mit sich gezogen hatte. Guillaume Malentu, ein aus Belgien stammender Verleger, war der wohl größte Konkurrent meines Mannes gewesen und nun hatte er ein lukratives Kaufangebot gemacht. Ich sah mir noch einmal das Foto an. Da grinste er in die Kamera, neben seiner Frau, mehr als einen Kopf größer als er, mit diesem unsäglich hässlichen giftgrünen Halstuch mit orangefarbenen Punkten, das sie ihm immer für Geschäftsreisen mitgab. Sein Glückstuch. Lächerlich, nicht wahr? Ich fragte mich, ob er es auch an diesem Abend bei sich haben würde.
Im Artikel unter dem Foto ging es um die finanzielle Lage des Verlags, Malentus Interesse daran und die Frage, ob ich das Erbe meines Mannes wirklich einfach so verkaufen würde. Der Bericht lieferte nichts Neues und da mein Tagesverlauf noch einiges zu bieten hatte, ließ ich das Blatt liegen und beendete mein Frühstück.
Im Arbeitszimmer schob ich eine halbe Stunde später ein beschriebenes Blatt Briefpapier in einen Umschlag, den ich zuklebte. Briefmarke und Anschrift auf das Kuvert und ich stand auf, als Joanne hereinkam. „Madam, ich störe ungern, aber Sie haben Besuch.“
„Wer ist es?“
„Mr. Holm. Ich habe ihn ins Wohnzimmer geführt.“ Sie warf einen beiläufigen Blick auf den Umschlag, „soll ich ihm sagen, dass Sie beschäftigt sind?“
Ich überlegte und schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich komme gleich. Könnten Sie Sarah zu mir schicken? Ich muss sie mir für ein paar Minuten leihen.“
„Jawohl, Madam.“
Nachdenklich betrachtete ich das Kuvert, als die 18-jährige Küchenhilfe hereinkam. Ich gab ihr den Brief und bat sie, ihn in den Briefkasten zu werfen, der mit ihrem Fahrrad etwa zehn Minuten entfernt lag. Fröhlich lächelnd nickte sie und ich folgte ihr in die Eingangshalle. Sie verließ das Haus, während ich an der Treppe vorbei auf den offenen Raum zuging. Dort drin wartete er. Stefan Holm, Geschäftsführer des Delmonde-Verlags. Wo sollte ich bei Stefan Holm nur anfangen?
Ich atmete tief ein und betrat den großzügigen, mit altmodischen Stücken möblierten Raum. Stefan saß mit einem Glas Cognac in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand im hohen Sessel zurückgelehnt am Kamin und blickte auf, als er mich sah. Ein verschmitztes Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Guten Morgen, Chefin. Ich störe doch nicht.“
„Wie kommst du bloß darauf?“
Sicher erkannte er die Ironie in meiner Stimme, ignorierte sie jedoch. „Ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich nachher nicht alleine kommen werde.“
„Du bringst deine Assistentin
Isabelle mit?“
„Ich bringe meine Verlobte
Isabelle mit.“
Er setzte das Glas auf dem Tisch vor ihm ab und stand auf. Einen gewissen Stolz auf meine Körpergröße konnte man mir durchaus zusprechen, bedeutete sie gleichzeitig eine gehörige Portion Respekt seitens der Mitarbeiter. Aber gebe ich zu, dass die große und attraktive Gestalt Stefans früher einen gewissen Reiz auf mich gehabt hatte. Dieses markante Kinn, sowie das volle und selten gebändigte braune Haar waren Teil seiner anziehenden Erscheinung, die mich jedoch inzwischen völlig kalt ließ.
„Du bist gekommen, um mir das zu sagen?“
Nun stand er vor mir und zog an seiner Zigarette. „Nicht nur“, antwortete er und blies den Qualm zur Seite, „ich dachte, ich horche persönlich, was mir bald bevorsteht.“
„Ich fürchte, du musst dich bis heute Abend gedulden.“
Er wandte sich ab und ging zum Fenster. Dort draußen stand sein rotes Cabrio, sein Augapfel. Wieder zog er an seiner Zigarette und blies den Rauch in die bodenlange Gardine. „Sicher kennst du die Gerüchte um einen möglichen Verkauf des Verlags?“
„Mir ist da so etwas zu Ohren gekommen.“ Ich versuchte, möglichst emotionslos zu wirken, doch es war schwer, da klar schien, worauf er hinauswollte. „Und du würdest gerne von mir erfahren, was ich wohl zu verkünden habe?“
„Eigentlich glaube ich zu wissen, was du sagen willst“, erwiderte Stefan und drehte sich um. Er sah mich mit seinem typischen Grinsen an, wie immer, wenn er zu triumphieren glaubte. „Wir wissen doch beide, was du sagen möchtest.“
„So?“ In diesem Moment widerte er mich mehr an als alles andere. „Dann verstehe ich immer noch nicht, warum du hier bist.“
Er trat auf mich zu und seine Augen verengten sich: „Ich wollte nur sicher gehen, dass du noch weißt, das ich dich und deinen Mann in der Hand habe.“ Und mit diesen Worten verließ er den Raum. Erneut konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Dann blickte ich hinaus und sah ihn in seinen Wagen einsteigen und wegfahren.
Nach dem Mittagessen schaute ich in der Küche nach dem Rechten. Auf der gegenüberliegenden Seite stand Joanne an der Arbeitsplatte am Fenster und schien gerade die Wachteln mit einem Messer zu bearbeiten, während Sarah am Küchenblock in der Mitte des Raumes Datteln entkernte. Als ich eintrat, schaute Sarah auf. Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Der Brief ist gerade auf dem Weg nach Hamburg.“ Bei diesen Worten hob Joanne den Kopf, hielt kurz inne und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit.
„Danke, Sarah. Sollte irgendetwas sein…“
„Alles klar, Frau Delmonde.“ Sie strahlte und ich ließ sie wieder allein. Es war Joannes Reaktion gewesen, die mich auf einen Gedanken brachte und zu einer Idee führte. Sollte ich wirklich… Dieser Abend bot immerhin die perfekte Gelegenheit.
Eine Tür weiter war das Zimmer der Haushälterin, das ich bisher nur ein Mal betreten hatte. Nach Maximilians Tod hatte ich begonnen, nachzuforschen, warum Joanne so wenig von mir hielt. Ich betrat das Zimmer und schreckte für eine kurze Sekunde zurück, dachte dann aber an das letzte Mal. Auch da hatte der an manchen Stellen abgewetzte Holzboden hinter der Tür geknarrt. Ich hielt einen Augenblick inne. Nichts. Niemand hatte mich gehört. Also trat ich weiter ein. Viel zu bieten hatte der schlichte Raum nicht. Ein altes Einzelbett, ein zweitüriger Schrank und neben dem Bett eine Nachtkommode. Auf der Ablage stand eine Flasche Schlafmittel mit ihrem Namen drauf. Das letzte Mal war alles unauffällig gewesen, bis ich die obere Schublade aufgezogen hatte. Jetzt stand ich wieder davor. Noch immer kein Laut. Eine Buche vor dem Fenster ließ kaum Licht hinein. Obwohl es draußen warm war, man konnte leichte Sommerkleidung tragen, überkam mich ein leichter Schauer. Ich öffnete die Schublade, in der auf der Wäsche einer älteren Dame ein in schwarzes Leder gebundenes Buch lag. In den Buchdeckel waren ineinander geschwungene rote Lettern eingearbeitet. Es waren ihre Initialen. JT. Joanne Tillman. Ich nahm es heraus. Hätte ich es aufgeschlagen, hätte ich auf der ersten Seite das Datum des ersten Eintrags gelesen, das schon einige Jahrzehnte zurücklag, doch ich widerstand dem Verlangen.
Er ist so anders als sein Vater. Ein verzogener Playboy. Er soll eines Tages den Delmonde-Besitz erben
? Zeilen, die ich nie vergessen werde. Kurze Zeit später saß ich wieder im Sessel in Maximilians Büro, das im Vergleich zu Joannes Kammer soviel Wärme ausstrahlt. Sie hatte seinen Vater verehrt, wie sie Max gehasst hatte. Schon bei meinem ersten Besuch hatte sie mich nicht für voll genommen, doch hatte mit ansehen müssen, wie ich allmählich meinen Platz in der Familie eingenommen hatte. All die Empörung hatte sie niedergeschrieben. Dabei heißt es, die Briten seien so gefühlskalt. Jetzt sah sie es in ihrer Aufgabe, das Haus zu schützen. Ich schob es beiseite und holte aus der Schublade einen neuen Bogen Briefpapier. Mit großer Vorsicht wählte ich die Worte aus, die nicht den Anschein erwecken dürften, als klängen sie wohl überlegt.
In der Küche lief wie erwartet weiterhin alles reibungslos. Wenig später stand ich vor dem Spiegel im Schlafzimmer und begutachtete mich. Das dunkelblaue Kostüm, bestehend aus einem Rock, der mir bis knapp über die Knie ging und einen Blazer, schmiegte sich hervorragend an meinen Körper. Beim Gedanken an das Bevorstehende konnte ich nicht verhindern, dass sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen festsetzte, auch wenn es nur wenig Platz einnahm. Sicher, es war ein großer Schritt, doch Max würde ihn auch gehen. Ich fragte mich nur, wie weit Stefan gehen würde, um sein Ziel zu erreichen, nur war das wirklich wichtig?
Im Bad trug ich dezente Schminke auf, als die Erinnerung an das hochkam, was mich und Stefan verband. Es war ein Essen gewesen, wo mein Mann ihn mir als neuen Direktor des Verlages vorgestellt hatte. Wir hatten uns auf Anhieb verstanden, doch es mir war nicht entgangen, dass Maximilian ihn nicht wirklich hatte ausstehen können. Aber das sollte mich jetzt nicht kümmern, als es an der Schlafzimmertür klopfte.
„Frau Delmonde“, kam es von der anderen Seite. Es war Sarah. „Ich will nicht stören, aber Ihr erster Gast ist schon da und erwartet Sie.“
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Stefan würde niemals so pünktlich kommen. Das lag nicht in seiner Art. Es konnte also nur…
„Monsieur Malentu wartet im Wohnzimmer.“
„Ist gut. Ich komme sofort.“
„Okay. Der Tisch ist übrigens gedeckt und das Essen ist auch so gut wie fertig.“
„Danke, Sarah.“ Dann war nichts mehr zu hören. Ich schlüpfte in meine schwarzen Pumps und verließ das Zimmer mit den Worten: „Lasst die Show beginnen.“
„Merci beaucoup, Mademoiselle. C’est très joli“, hörte ich zu meiner Rechten, als ich die Treppe hinunter stieg. Sarah kam aus dem Wohnzimmer und schmunzelte verlegen, bevor sie wieder in der Küche verschwand. Ich trat ein und Guillaume Malentu wandte sich vor dem Kamin stehend um. Er schien bestens gelaunt zu sein und bei diesem Anblick sah man, dass er nicht aus dem modisch viel gepriesenen Frankreich stammen konnte, wie man dem Namen nach meinen würde. Zu dem beigefarbenen Anzug und dem dunkelroten Hemd trug er einen scheußlichen Schlips mit grünen und gelben Streifen. Überdies schauten unter der Hose braune Wildlederstiefel hervor. Und wirklich: In der Jacketttasche steckte das Tuch. Der kleine rundliche Mann mit dem blonden Haar hob ein volles Champagnerglas: „Bonjour, Mariella. Schön, dich nach all den Jahren wieder zu sehen.“
Er trat näher und streckte sich, um mich auf beide Wangen zu küssen. Ich setzte mein oft genutztes Lächeln auf. „Es ist toll, dass du es bei deinem sicher vollen Terminplan einrichten konntest, herzukommen.“
„Aber ich bitte dich, Mariella. Wie kann ich auf so eine Einladung denn nicht antworten? Nach allem, was zwischen Max und mir vorgefallen ist, war ich doch sehr überrascht, von dir zu hören.“
„Ach wirklich“, gab ich zurück, „der Zeitungsartikel hat mir aber etwas anderes verraten.“ Ich beobachtete ihn. Sein Grinsen zuckte jetzt etwas nervös.
„Ich wollte natürlich nichts vorweg greifen, aber es ist ja kein Geheimnis, wie es um den Delmonde-Verlag steht. Und die Einladung schien mir doch eine klare Botschaft zu sein. Pardon, ich wollte dich nicht kränken.“
„Nein, nein, schon gut. Das ist nur zu verständlich. Wir erwarten noch meinen Geschäftsführer und seine seit kurzem frisch Verlobte.“
Er setzte sich auf das rote Samtsofa, gegenüber dem kalten Kamin, während ich im Sessel Platz nahm, wo zuvor noch Stefan gesessen hatte. Sarah brachte ein Glas und vom Wagen am Fenster eine halbvolle Flasche Cognac. Sie schenkte mir ein und verschwand mit einem verlegenen Lächeln an Guillaume gerichtet.
„Es war une dispute terrible“, begann Guillaume plötzlich zu rekapitulieren, „zwei Männer und das ehrgeizige Ziel, den größten Verlag Europas aufzubauen.“
„Aber das ist Jahre her“, winkte ich ab und trank einen Schluck.
„Et pour cette raison je dis, wir machen einen großen Fortschritt heute Abend.“ Er hob sein Glas und ich erwiderte das fröhliche Lachen mit einem verhaltenen Lächeln, als wir anstießen. In dieser Sekunde hörte ich vor dem Haus einen Wagen vorfahren, dessen Motor erstarb. Ich stellte mein Glas ab und stand auf. Ein Blick aus dem Fenster und ich sah das rote Cabrio. Wenige Sekunden später hörte ich Stimmen und dann kam Joanne: „Madam, Mr. Stefan Holm und Ms. Isabelle Roth sind da.“
„Kann das Essen serviert werden?“
„Jawohl, Madam.“
„Dann führen Sie die beiden ins Speisezimmer.“
„Sehr wohl, Madam.“
Ich wandte mich wieder Guillaume zu, der genüsslich den Rest seines Weines trank. Er setzte das Glas ab und ich bat ihn, mir zu folgen. An der Eingangstür stand ein hölzerner Kleiderständer, an dem eine fliederfarbene Strickjacke und eine dazupassende Handtasche hingen, die zweifelsfrei nicht mein Stil waren.
Sie saßen links von meinem Platz und ein weiteres Gedeck fand sich Stefan gegenüber. Für einen kurzen Moment fiel mein Blick auf seine Begleitung, die das pure Klischee einer jungen Geliebten darstellte. Isabelle war kaum mehr als zwanzig Jahre alt und hatte langes blondes Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Das bisschen Stoff, was man als leichtes Sommerkleid bezeichnete, präsentierte jedem ein offenherziges und gut gefülltes Dekolleté, auf dem eine teure Kette lag.
Bei meinem Anblick stand Stefan auf, während Isabelle mich böse anfunkelte. Da war wieder dieses sichere Grinsen auf seinen Lippen, das in dem Moment wieder erlosch, als Guillaume neben mir auftauchte. Ihn hatte er wohl nicht erwartet. Wir traten wir ein und Guillaume eilte um den Tisch herum, um Isabelle mit einer Kusshand euphorisch zu begrüßen: „Bonjour, Mademoiselle et félicitations! Mariella hat mir von Ihrer Verlobung erzählt.“
Isabelle bedankte sich und strahlte bei der Erwähnung des freudigen Ereignisses in meiner Gegenwart. Stefan versuchte seine Unsicherheit zu verbergen, indem er mit Mühe die Mundwinkel etwas nach oben zog. Aber mir war klar, was er dachte. Er schüttelte Guillaume die Hand und dann setzten wir uns alle.
„Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid“, leitete ich meine kleine Ansprache ein, „heute ist ein historischer Abend für den Delmonde-Verlages, aber widmen wir uns erst dem Genuss, bevor das Geschäftliche zur Sprache kommt.“
Als erstes schenkte Sarah uns Wein ein. Dann brachten sie und Joanne die Vorspeise. Während des Essens erzählte Isabelle betont fröhlich von den ach so tollen und aufwendigen Hochzeitsvorbreitungen, wobei sie immer wieder mit Blicken auf meine Wenigkeit betonte: „Wir freuen uns beide so sehr auf das Fest“ oder „Das wird der schönste Augenblick in unserem Leben“. Ach, wie niedlich!
Es folgte die Wachtel mit den Knödeln und wie schon das Vol-au-vent war auch dieser Gang ausgezeichnet. Dazu ein gut gewählter Rotwein, der Guillaume ein sehr zufriedenes „Excellent“ entlockte. Da lag er nicht ganz falsch. Selten hatte Joanne seit Maximilians Tod besser gekocht, vielleicht war es sogar der Höhepunkt der letzten Monate. Schade, dass dies auch das letzte Dinner war.
Nachdem wir nun also das Hauptgericht beendet hatten, kam Joanne zu mir und beugte sich vor. Im Flüsterton erklärte sie: „Madam, in der Küche ist ein kleines Missgeschick geschehen. Einer der Dessertteller ist hinuntergefallen. Ich bitte zu entschuldigen, dass sich der Nachtisch um wenige Minuten verzögert.“
„Ist gut“, sagte ich und als sie den Raum wieder verließ, stand ich auf und sprach zu den Gästen: „Das ist eine exzellenter Zeitpunkt, um den Grund für dieses formidable Dinner zu verkünden.“ Guillaumes Grinsen wurde breiter, was Stefan mit großem Argwohn verfolgte. Ich ignorierte das und fuhr fort: „In der letzten Zeit gab es viele Gerüchte um die Zukunft des Verlages.“
Zu früh brachten Sarah und Joanne vier schön dekorierte Teller herein. Jeden hatten sie mit fünf Eiskugeln in unterschiedlichen Rottönen zu einem Kreis gelegt, der mit frischen Himbeeren gefüllt war. Drumherum waren die Rosenblätter drapiert. Sarah setzte einen Teller vor mir ab und entschuldigte sich. „Unfälle können passieren.“ Und im aufmunternden Ton fügte ich hinzu, ihre Arbeit sei für diesen Abend erledigt, sie könne nach Hause fahren. Es würde nicht schön werden und das brauchte sie nicht mit ansehen. Bevor sich Joanne wieder in die Küche begab, bat ich sie mir ein Glas Wasser ins Arbeitszimmer zu stellen. Ich wandte mich wieder meinen Gästen zu.
„Also, um es kurz zu machen: Ich habe den Verlag an einen jungen Mann namens Jakob Schäfer überschrieben, der zurzeit in Hamburg studiert.“
Einen kurzen Moment herrschte Stille. Ich genoss es in vollen Zügen. Während es in Stefan brodelte, und Isabelle wortlos neben ihm saß, nahm Guillaume sein Weinglas hoch und prostete mir zu. „Incroyable! Mariella, Sie haben mich ganz schön an der Nase herumgeführt. Aber wer ist dieser Jakob Schäfer?“
„Ein Sohn meines Mannes aus Zeiten, bevor wir uns kennen gelernt haben. Er stammt aus einer kurzen Liaison während eines Familienurlaubs an der Elbe. Maximilian hat mich vor seinem Tod gebeten, im Fall meines Ausstiegs ihm das Geschäft zu überlassen. Er wollte seinem Sohn in eine möglichst sichere Zukunft bieten.“
„Ich bin schon enttäuscht, aber ich sage auch immer, die Familie geht vor.“
„Warum?“ Es platzte aus Stefan heraus, sein zorniger Blick auf mich gerichtet.
„Du glaubst doch nicht, ich überlasse einem Ganoven Maximilians Lebenswerk.“
Plötzlich stieß er empor, riss mit der ruckartigen Bewegung seinen Stuhl um und die Farbe in seinem Gesicht verdunkelte sich. Mit dem Finger deutete er erst auf mich und dann auf Guillaume. „Ich weiß alles über euch, wie Sie und Max Geld nach Liechtenstein abgeschoben haben.“
„Das ist Jahre her“, antwortete ich ruhig, „Max hat das beendet. Er hatte genug davon und du bist auch kein weißes Blatt. Du hast ihn erpresst, um Geschäftsführer zu werden. Auch nicht gerade die feine englische Art, oder?“ Da waren sie wieder. Die Kopfschmerzen hatten sich zurückgemeldet und ich schloss kurz die Augen.
„Ist alles in okay mit dir?“ Als ich sie wieder öffnete, sah Guillaume mich besorgt an. „Schon gut. Ich bin sofort wieder da.“ Ich verließ gerade den Raum, da schrie Stefan: „Hau jetzt ja nicht ab!“ Ich schloss die Tür hinter mir. „Madam, das Wasser steht bereit.“ Joanne kam näher und beäugte mich. „Stimmt etwas nicht, Madam?“ „Nein, nein. Ich brauche nur einen kurzen Moment Ruhe.“ Und dann war sie auch schon wieder weg. Ich setzte meinen Weg fort, doch erneut wurde ich aufgehalten, als ich gerade an der Treppe vorbei war.
„Das kannst du nicht machen“, rief Stefan. Ich drehte mich um. Er war hinaus gestürzt und stand jetzt in der Eingangshalle. Seine Verlobte tauchte im Türrahmen auf und verfolgte unsicher den Vorfall.
„Du siehst doch. Ich kann“, erwiderte ich noch immer mit Contenance. Ein paar schnelle Schritte vorwärts und er griff in die Handtasche am Ständer. Ich wusste, wonach er suchte. Kurz nach ihrer Einstellung war Isabelle eines Tages nach der Arbeit überfallen und von Stefan in letzter Minute gerettet worden. Er hatte ihr empfohlen, niemals ohne Schutz aus dem Haus zu gehen und so hatte sie sich eine Handfeuerwaffe zugelegt. Mit dieser versuchte er mich jetzt zu bedrohen.
„Willst mich etwa hier und jetzt erschießen?“ Ich bewahrte weiterhin die Contenance und versuchte, die Kontrolle über die Situation zu behalten. Währenddessen beruhigte sich Stefans zitternde Hand langsam wieder, in der er die Pistole hielt.
„Du zweifelst?“ Da war wieder dieses sichere Grinsen. „Durch dich habe ich von dem Betrug erfahren und konnte so Geschäftsführer des Verlags werden. Du verbaust mir den Weg jetzt nicht.“ Er machte noch einen Schritt vor und hielt weiterhin Waffe auf mich gerichtet. Als er fortfuhr, klang er fast schon liebevoll: „Denk nur an die gemeinsame Zeit. Ich habe dich getröstet, als dein Mann keine Zeit für dich hatte.“
„Es war nichts weiter als eine kleine Affäre. Es war gut, solange es gedauert hat.“
„Das stimmt.“ Er legte den Kopf zur Seite. „Traurig, dass es so enden muss.“
Im Hintergrund sah ich Isabelle, die ihren Verlobten mit einer Mischung aus Angst und Eifersucht beobachtete. Guillaume hatte sein Handy herausgeholt, doch ich deutete ihm mit einem unauffälligen Kopfschütteln, nichts zu unternehmen.
„Doch das muss es ja gar nicht.“ Seine Absicht war zu offensichtlich und amüsierte mich innerlich. „Du brauchst mir nur die Firma zu überschreiben.“
„Du kommst zu spät. Die Besitzurkunde ist längst auf dem Weg nach Hamburg.“
„Kann man rückgängig machen. Dafür braucht’s nicht viel.“
„Nur eine Kleinigkeit“, ich lächelte, „mein Wille, sie dir zu überlassen.“ Er schluckte, doch ich setzte noch einen drauf: „Und das würde ich niemals tun.“
Ich sehe jetzt noch den Ausdruck in seinen Augen, wie dieser sich verfinsterte, dann aber trat Isabelle vor und näherte sich ihm von hinten. Sie legte eine Hand auf seine Schulter und sah ihn bittend an: „Lass es gut sein Schatz. Für die opferst du doch nicht deine Freiheit.“ Abfällig sah sie mich an und kam dann ganz dicht an ihn heran. Fast schon im Flüsterton sagte sie: „Die kriegen wir noch ganz anders dran.“ Stefan erwiderte ihren Blick kurz und schaute dann wieder zu mir. Ihm schien etwas klar zu werden, denn schließlich senkte er die Waffe, die ihm Isabelle vorsichtig aus der Hand nahm. Ich tat so, als wäre das alles gerade nicht geschehen und schlug ihnen vor, wieder ins Esszimmer zu gehen und ihren Nachtisch zu verzehren. Ich würde mich derweil für ein paar Minuten zurückziehen. Dabei ließ ich mir meine mittlerweile stärker gewordenen Kopfschmerzen nicht anmerken.
Vor dem Safe stehend tippte ich eine achtstellige Ziffer ein. 1-5-0-9-1-8-9-0. Ein grünes Licht brannte auf und ich öffnete die Tür. Unterlagen lagen völlig unsortiert darin herum. Ins obere Fach hatte ich einen grauen Ordner gelegt, dessen Inhalt interessierte mich nicht weiter, kannte ich ihn doch schon wie den von Joannes Buch. Papiere zum Konto in Liechtenstein. Maximilian hatte sie aufbewahrt, falls Guillaume mal Probleme machen sollte. Ich legte es zum Buch auf den Tisch, setzte mich in den Sessel und verharrte für eine Minute. Maximilian stand da auf dem Foto am Hamburger Hafen in seiner legeren Urlaubskleidung und lächelte mich an. Es war wie eine Ermutigung, denn ich konnte nicht umhin, diese Entscheidung als nur schwer zu überwindende Mauer zu sehen, doch dann…
„Ja, bitte komm so schnell es geht“, sagte ich Thomas später am Telefon.
„Willst du mir denn nicht sagen, was los ist?“
„Bitte, komm einfach!“
Jemand klopfte und ich verabschiedete Thomas. „Herein!“
Joanne trat ein. „Madam, Ihre Gäste fragen nach Ihnen“, fragte sie und warf einen flüchtigen Blick auf das Glas. Ich lächelte schwach. „Die drei sollen sich noch ein paar Minuten gedulden.“
„Ja, Madam.“ Als sie den Raum verließ, wandte sie sich noch einmal um und ich sehe diesen abwertenden Ausdruck in ihren Augen vor mir, der nie deutlicher gewesen war. „Sie haben also den Delmonde-Verlag an seinen unehelichen Sohn weitergegeben?“
„Das habe ich.“
Sie senkte den Blick und schloss die Tür hinter sich. Ich nahm den Umschlag aus der Schublade und holte den Brief heraus, um ihn noch mal zu lesen, wobei ich merkte, wie langsam meine Sinne zu schwinden begannen.
Lieber Thomas,
es tut mir leid, dass du mich so vorfindest. Zu spät habe ich Joannes Plan erkannt. Sie hat das Essen geplant. Zusammen mit dem Konkurrenten, der eine Mitwissende seiner illegalen Geldgeschäfte aus dem Weg räumen und einem Geschäftsführer, der durch Erpressung an den Verlag wollte, hat sie das getan.
Ich nahm den Füllfederhalter aus dem Becher und setzte am letzten Satz an:
Als Stefan erfahren hat, dass der Verlag an Jakob ging, hat er sich die Waffe seiner Verlobten geschnappt und wollte mich vorzeitig töten, wurde jedoch schnell gestoppt. Joanne hat von meinen Kopfschmerzen gewusst und mir eine Überdosis Schlafmittel untergejubelt. Die Beweise liegen hier
Die letzten Zeilen wurden immer undeutlicher. Das Buch und der Ordner lagen bereit, genauso der Brief. Das Kuvert ging zurück in die Schublade und den Füller ließ ich zu Boden fallen. Joannes Flasche verschwand unter den ganzen Abfall im Eimer und ich lehnte mich zurück, während das Schlafmittel langsam seine Wirkung entfaltete. Ich wurde müde und legte ich den Kopf zurück. Meine Lider wurden schwerer, als mein Blick auf das leere Glas vor mir fiel. Mein Mann hatte es auch getan. Er hatte gedacht, sein Leben würde dem Bach runter gehen. Erst meine Affäre, dann Stefans Erpressung und schließlich auch noch die Wirtschaftskrise. Es tut mir leid, Maximilian, aber es wird schon wieder gerichtet werden.
Ich hörte wie von ganz weit weg das Klingeln der Haustür. Kommissar Thomas Schilling war eingetroffen und das zauberte ein letztes Lächeln auf mein Gesicht, bevor ich die Besinnung verlor.
Mein Name ist Mariella Delmonde und vor knapp einem halben Jahr wurde ich darüber aufgeklärt, ich habe dank eines inoperablen Hirntumors nur noch wenige Monate zu leben und ich wollte lieber schnell und schmerzlos sterben.
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2010
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