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Fricke.

Fricke.

Die Sommerzeit geht und nimmt dich einfach mit.

 

Susanne war ordentlich angetrunken, als ich sie fragte, ob sie mal was von Fricke gehört hätte. Sie beide kannten sich ja. Waren nicht wirklich befreundet, aber kannten eine Menge derselben Leute. Phillip war ja auch kurz da.

 

Susanne hielt sich mit der einen Hand an mir fest und mit der anderen an einer Sektflasche, als sie mir sagte, dass Fricke gestorben sei. Ich schaltete nicht so schnell und dachte, sie wäre gestorben im Sinne, dass sie sich zerstritten hätten. Ich fragte nach, warum der Streit gewesen wäre. Mit glasigen Augen schaute mich Susanne ungläubig, fast entgeistert an. Jetzt hielt sie sich mit beiden Armen an mir fest. Ob ich denn keine Zeitung lese? Fricke ist gestorben, tot, mausetot. Drogen. Goldener Schuss. Die Mutter hat sie nach acht Stunden in ihrem Zimmer gefunden. Dreckiger Stoff. stand doch alles in der Hamburger Morgenpost. Und der Phillip hatte wohl auch seine Finger mit im Spiel gehabt. Er hat ihr ja schließlich immer wieder Stoff besorgt. Susanne ließ meine Schultern los und torkelte von dannen. Meine Welt blieb plötzlich stehen. Mit einem fruchtbaren, ohrenbetäubenden Ruck. Es knallte als würde etwas explodieren. Mir wurde schwindelig, dass ich mich an einem Treppengeländer festhalten musste. Was hatte ich da gerade gehört? Fricke? Tot? Dieses bildhübsche, junge Mädchen? Wie alt war sie? Knappe siebzehn, eher sechszehn. Und Phillip? Was hatte er denn damit zu tun? In meinem Kopf herrschte totales Chaos. Wie in Zeitlupe flog alles an mir vorbei. Fremde Lippen küssten die meinen. Sie schmeckten nach ihr, in meinen Händen spürte ich ihre Haare... es roch nach ihr. Doch es war alles Einbildung. Verschwommen begann ich meine Umwelt wieder wahrzunehmen. Ich merkte, dass ich Tränen in den Augen hatte, die ich laufen lassen musste. An der frischen Luft ging es etwas besser. Ich musste jemanden fragen, der Fricke auch kannte, ob das alles stimmen konnte. Ich suchte Carsten und fragte ihn. Ja, Fricke war schon vor rund zwei Wochen gestorben, stand alles in der Zeitung.

 

Großer Artikel in der Hamburger Morgenpost. Jüngstes Drogenopfer in Hamburg. Wäre sogar ein Bild dabei gewesen.

 

Beerdigt wäre sie auch schon. Allerdings anonym auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Sah ja alles nach Selbstmord aus, da lief das alles ein wenig anders. Ein Urnengran hätte sie bekommen.  Wieder knallte es und die Welt blieb stehen. Völlig benommen versuchte ich, meine Sinne wieder zusammen zu bekommen. Und wieder huschte Fricke an mir vorbei. Es fühlte sich an, als würde sie mir einen leisen, letzen Kuss geben. Meine Sinne spielten mir wohl einen Streich. Ich habe nie verstanden, woher auf einmal diese unbändige, diese so unfassbare Trauer kam. Lag es daran, dass ich mich in sie verliebt hatte? Dass wir eine Nacht miteinander verbracht hatten, von der ich dachte, es gäbe noch mehrere? Dass ich es ihr ausgeredet hatte, sich umzubringen? Ich fühlte mich verantwortlich, mitschuldig an ihrem Tod. Wenn ich mich mehr um sie bemüht hätte, dann wäre es möglicherweise anders gekommen. Für uns beide. Wenn aber hätte im Raum steht, dann ist das haben zu spät.  Mir riss es an diesem Abend an der Alster die Seele aus dem Leib. Ich betrank mich fast bis zur Bewusstlosigkeit. Als ich mich ein paar Tage später wieder beruhigt hatte, knöpfte ich mir zuerst Phillip vor. Wir hatten eine sehr hitzige Unterredung bei ihm zu Hause. Er bestritt alles, was ich ihm vorwarf. Als er anfing zu weinen, zerstreuten sich meine Zweifel. Anfänglich. Ich hörte später wieder anderes über die Sache mit dem gestreckten Stoff und dem Goldenen Schuss. Phillip hatte Angst vor mir und machte mir mit Hilfe seiner Skinhead-Freunde das Leben schwer. Auf Abi-Feiern ließ ich mich besser nicht mehr blicken. Wir beide waren nie wieder wirkliche Freunde. Vorbei die Zeiten in Dänemark. Es war ja alles noch nicht solange her.

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Tag der Veröffentlichung: 12.09.2017

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