Es war einmal eine Prinzessin. Sie war sehr verwöhnt und lebte mit ihren Eltern in einem prächtigen Schloss. Die Leute im Dorf mochten sie nicht, denn alles, an was sie dachte, war eine alberne goldene Kugel.
Alle Wünsche waren ihr bisher erfüllt worden, doch ein Wunsch schien unerfüllt zu bleiben: Die Prinzessin wollte einmal in ihrem Leben den Weihnachtsmann sehen, denn sie liebte das Weihnachtsfest über alles. Ihre Eltern hatten ihr erklärt, dass es äußerst schwierig sei, den Weihnachtsmann zu treffen, da er immer nur schnell die Geschenke brächte und dann wieder weiter müsse. Jedes Jahr legte sich die Prinzessin auf die Lauer und jedes Jahr schien irgend etwas dazwischen zu kommen, so dass sie den Weihnachtsmann immer verpasst hatte. Auch dieses Jahr ging es nicht anders zu.
Die Prinzessin war ärgerlich und traurig zugleich. Ausgerechnet heute, am Heiligen Abend, hatte sie ihre wunderbare goldene Kugel verloren. Warum war sie auch so leichtsinnig gewesen und hatte sie mit zum Brunnen genommen! Jetzt lag sie irgendwo auf schlammigem Grund und moderte vor sich hin. Es war entsetzlich. Gerade als die Prinzessin in ihr königliches Taschentuch schnäuzen wollte, hörte sie eine Stimme, die da rief:
„Prinzessin, ich kann Euch die Kugel zurückbringen!“ Die Prinzessin hörte augenblicklich auf zu heulen und starrte in die pechschwarze Tiefe des Brunnens. Da erblickte sie einen grässlichen, grünen Frosch, der sie mit seinen großen Glubschaugen anblickte.
Der bildhübschen Königstochter lief ein Schauder über den Rücken, doch der Frosch fuhr unbeirrt fort: „Aber nur unter einer Bedingung ...!“ „Und die wäre ..?“, fragte die Prinzessin aufgeregt. „ ... ich darf mit Euch Weihnachten feiern!“ Die Prinzessin überlegte. Sie hatte noch nie mit einem hässlichen Frosch das Weihnachtsfest gefeiert und konnte sich auch nichts Grässlicheres vorstellen. Doch ihre goldene Kugel war ihr allerliebstes Spielzeug und sie wollte sie um jeden Preis zurück. Also willigte sie ein. Fröhlich sprang der Frosch aus dem Brunnen, überreichte der Prinzessin die goldene Kugel und nahm sie bei der Hand. Seine Hand war glitschig und kalt, ja, sie klebte sogar ein wenig. Die Prinzessin biss die Zähne zusammen und marschierte Hand in Hand mit dem Frosch zurück zum Schloss. Dort wartete man bereits auf sie. Der Weihnachtsbaum war festlich geschmückt und köstlicher Gänseduft erfüllte die königlichen Hallen.
Alles könnte so schön sein, wenn nur nicht dieser grässliche Frosch wäre ... Der König wunderte sich über den außergewöhnlichen Spielgefährten seiner einzigen Tochter und hoffte, dass sie endlich ein netteres Wesen bekommen hätte. „Wer sich um so eine armselige Kreatur kümmert, der muss im Herzen gut sein!“, dachte er bei sich. Der Frosch hatte in kurzer Zeit die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der ganze Hofstaat lauschte andächtig seinen Geschichten vom Geiste der Weihnacht und vom Teilen. Dann sang man Weihnachtslieder und es stellte sich heraus, dass der Frosch sie alle kannte und sogar mitsingen konnte. Alle waren begeistert von ihm und der Hofmaler fertigte sogar ein großes Ölgemälde von ihm an, das in die Eingangshalle gehängt werden sollte.
Die Prinzessin schmollte immer mehr. Keiner schenkte ihr Beachtung, alles schien sich nur noch um den Frosch zu drehen. Verärgert lief sie in ihr Zimmer und knallte die Tür zu.
„Das war das grässlichste Weihnachtsfest, das ich je erlebt habe! Ein ekliger Frosch hat meinen Platz eingenommen und ich habe schon wieder den Weihnachtsmann verpasst!“, dachte sie und warf sich wütend auf ihr Bett. „Am liebsten würde ich den Frosch an die Wand schmeißen!“, ging es ihr durch den Kopf. In diesem Moment klopfte es und der Frosch stand vor der Tür.
„Wo bleibt Ihr denn, die Gans wird gerade serviert!“, quakte er mit seiner ungewöhnlich tiefen Stimme. Da sprang die Prinzessin auf und warf den Frosch mit aller Macht an die Wand, dass es nur so klatschte. Plötzlich begann das ganze Schloss zu beben. Eine riesige Qualmwolke erfüllte den Raum und der Prinzessin stockte der Atem. Insgeheim hoffte sie, dass jetzt ein wunderschöner Prinz vor ihr stehen würde. Aber als der Qualm sich etwas gelichtet hatte, erkannte sie etwas Rotes. Dann blickte sie in das Gesicht eines schrulligen Alten, der sie freundlich anblickte.
„Ja, da staunst du, Prinzessin! Ich bin kein Prinz, sondern der Weihnachtsmann. Du hast mich von einem bösen Zauber erlöst und ich bin froh darüber. Aber jetzt lebe wohl, ich muss noch schnell einige Geschenke verteilen ...!“
Während er das sagte, wehte ein eisiger Windhauch die letzten Rauchschwaden davon und ein helles Glöckchengeläut erfüllte den Raum. Sechs prächtige Rentiere samt Schlitten sausten durch die Luft. Der Weihnachtsmann sprang gekonnt hinein und winkte zum Abschied. Nachdenklich blickte die Prinzessin ihm hinterher. Plötzlich schämte sie sich sehr und fühlte sich sehr elend. Wie konnte sie ihr eigennütziges Verhalten nur wieder gutmachen? Da fiel ihr Blick auf die goldene Kugel.
„Ich werde sie verkaufen und damit Brot für die Leute im Dorf spenden!“, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Und so machte sie sich gleich auf den Weg zum königlichen Schatzmeister, der ihren Wunsch erfüllte.
Seit jenem Tage war die Prinzessin wegen ihrer Großherzigkeit und Güte bei allen Leuten beliebt. Und sie verschwendete nie mehr einen Gedanken an ihre goldene Kugel.
Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2020
Alle Rechte vorbehalten