Cover

Ben ist einsam

 

Inhaltsverzeichnis

 

Ben ist einsam

 

Der Zaubervogel

 

Peter in Gefahr

 

Die Wanderung

 

 

 

Der sechsjährige Ben wohnte mit seinen Eltern am Rande einer großen Stadt. Die Familie war erst vor kurzem umgezogen, weil der Vater eine neue Arbeit angenommen hatte. Ben vermisste seine alte Heimat sehr und konnte noch nichts so richtig schön finden.

 

Alles war so anders und viel größer, als er es bisher gekannt hatte. Die Straßen waren voller, die Häuser standen dichter aneinander und es gab wenig Platz für Fahrradfahrer.

 

 

Oft fühlte sich Ben sehr einsam, denn er hatte keine Geschwister und auch kein Haustier. Manchmal hatte er von einem Hund geträumt, doch den konnte er wegen seiner Allergie nicht haben.

 

 

Auch einen Fisch oder einen Vogel wollten seine Eltern nicht kaufen.

 

 

"Wenn wir dann in den Urlaub fahren, wer passt auf das Tier auf? Es ist alles zu kompliziert!", hatte die Mutter Ben erklärt.

 

Das Einzige, was Ben gefiel, war sein kleines, gemütliches Zimmer. Es lag ganz oben unterm Dach und er hatte einen herrlichen Ausblick auf große Berge, die sich in der Ferne erhoben. Ganz oben auf dem größten Berg stand eine Burgruine, deren Silhouette sich weit in den Himmel erstreckte.

 

 

Auf dem obersten Turm befand sich eine Fahne, die im Wind wehte. Ben stellte sich immer vor, wie spannend es sein müsste, diese verfallene Burg zu erkunden und darin herumzuklettern. Ob es darin spukte?

 

 

Ob eine Prinzessin oben im Turmzimmer wohnte?

 

 

 

Oder ein verrücktes Monster?

 

 

Ob Drachen in Vollmondnächten um sie herum flogen und auf den Türmen eine Pause machten?

 

 

Ben hatte eine lebhafte Fantasie und erlebte dort oben auf der Burg die spannendsten Abenteuer. Einmal kämpfte er mit Rittern, ein anderes Mal musste er einen Drachen bezwingen und schließlich musste er eine wunderschöne Prinzessin retten, die in Lebensgefahr war.

 

 

In seinen Träumen war er immer sehr mutig, doch in der Wirklichkeit sah das meistens ganz anders aus. Er hatte Angst, in der Schule aufgerufen zu werden und fürchtete sich vor seiner Lehrerin, zu der er einmal aus Versehen im Unterricht „Mama“ gesagt hatte. Alle hatten gelacht und die Lehrerin auch. Dabei war das gar nicht schlimm gewesen, Ben ging ja erst in die erste Klasse und vielen Kindern war das auch schon passiert. Ben wäre jedoch am liebsten im Erdboden versunken und nie mehr aufgetaucht. Er war an diesem Tag  nach der Schule schnell nach Hause gefahren ohne nach links oder nach rechts zu gucken.

 

Zu Hause hatte er sich gleich sein Rätselbuch geschnappt und sich darin vertieft, um sich abzulenken. Doch die Knobelaufgaben waren schnell gelöst und Ben grübelte wieder über die peinliche Situation nach. Wenn er sie doch bloß aus seinem Kopf kriegen könnte ... Immer wieder hörte er sich „Mama“ sagen und immer wieder hörte er das Lachen der anderen Kinder.

 

Der kleine Ben schaute oft aus dem Fenster und träumte vor sich hin. Zu gerne würde er einmal auf die Berge klettern, die Aussicht genießen und die Burg erkunden. Doch immer, wenn er seine Eltern fragte, ob sie das einmal gemeinsam machen könnten, winkten sie ab und sagten: „Wir haben keine Zeit, das machen wir irgendwann einmal, aber nicht heute!“

 

Schließlich hatte Ben aufgehört zu fragen. Er wusste, dass seine Eltern viel arbeiteten und Geld verdienen mussten. Doch er war sehr traurig, dass niemand mit ihm etwas unternahm.

„Such dir draußen Freunde, in der Straße gibt es genug Kinder“, sagte der Vater immer. Das stimmte auch, doch die Kinder waren entweder ganz klein oder sie waren zu alt. Ben passte irgendwie nicht hinein in ihre Welt.

 

 

Einmal, als er mit dem Fahrrad am Ende der Straße unterwegs gewesen war, hatte jemand ihm etwas zugerufen, aber da hatte Ben Angst gehabt, dass man ihn veralbert haben könnte. Schnell war er davon gefahren, ohne sich noch einmal umzublicken.

 

 

Doch heute hatte Ben trotzdem gute Laune: Sein Geburtstag rückte immer näher und der Frühling hatte seinen Einzug gehalten. Überall blühten die rosa Kirschbäume auf und die Bienen summten in der Luft.

 

 

Ben hatte sich zum Geburtstag ein Fernglas gewünscht. Er hoffte, dass er damit etwas genauer erkennen konnte, wie die Burg aussah. Vielleicht konnte er ja auch entziffern, was auf der Fahne stand.

 

Eine Geburtstagsfeier mit Freunden hatte er nicht geplant. Er hatte sich einfach nicht getraut, einige Jungen aus seiner Klasse einzuladen.

Was, wenn ihnen die Party nicht gefallen würde?

Das wäre entsetzlich, dann würden sie ihn sicher verspotten und auslachen.

Für die meisten in seiner Klasse war er unsichtbar und das wollte er auch bleiben. 

 

 

 

 

 

Der Zaubervogel

 

Am Abend vor seinem Geburtstag war er so aufgeregt, dass er noch einmal aufstand und zum Fenster lief. Eine wunderschöne Eule rief ihren Abendgruß hinaus in die Nacht. Ben kannte ihn schon und darum fand das "HUHUHU" nicht unheimlich. Im Gegenteil: Er freute sich darüber und machte "HUHUHU" zurück. Das klang natürlich nicht so wie bei der Eule, aber die Eule schien den Gruß verstanden zu haben. Sie nickte Ben zu und flog davon.

 

Ben sah hinauf zur Burg. Die Fahne wehte im Abendwind. Aber was war das? War da ein Licht in einem Fenster? Ja, es leuchtete ganz hell. Das war noch nie passiert. Wieso hatte jemand ein Licht angemacht? Die Ruine war doch unbewohnt. Oder etwa nicht? Bens Herz fing an zu klopfen. Wenn er bloß da sein könnte! Er öffnete sein Fenster. Warme Luft strömte herein und er hörte einige Vögel zwitschern.

 

 

 

Der Mond stand schon hoch am Himmel und viele Sterne funkelten.

„Morgen bekomme ich endlich mein Fernglas!“, dachte er bei sich und konnte es kaum noch abwarten.

 

Gerade, als er das Fenster wieder schließen wollte, wehte eine bunte Feder zu ihm ins Zimmer. Ben hatte keine Ahnung, woher die Feder so plötzlich gekommen war und betrachtete sie neugierig. Sie sah ganz außergewöhnlich aus und glitzerte ein wenig. Feiner Sternenstaub schien aus ihr zu strömen und Bens Zimmer roch plötzlich irgendwie nach Zuckerwatte. 

 

Ben strich vorsichtig mit dem rechten Zeigefinger über die Feder und murmelte: "So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen." Genau in diesem Moment flog ein riesiger Vogel an seinem Haus vorbei. Der Vogel drehte sich in der Luft und ehe Ben alles richtig bereifen konnte, landete er auf dem Baum vor seinem Fenster. Der Vogel sah wunderschön aus. Wie ein Adler, der aber ganz bunte Federn hatte und einen sehr ungewöhnlichen Kopf.

 

 

Ben fragte sich, ob der Vogel wohl aus dem Zoo ausgebrochen war und er überlegte schon, zu seinen Eltern zu laufen und Meldung zu machen. Doch da fing der prächtige Vogel an zu sprechen.

„Hallo Ben! Ich bin der Traumvogel und ich erfülle dir gleich deinen sehnlichsten Wunsch. Ich nehme dich mit zu der Burg dort oben auf dem Berg. Da wolltest du doch schon immer mal hin, oder?“

„Ja, aber ....!“, stotterte Ben. Er hatte plötzlich Angst und wollte am liebsten das Fenster schließen. Andererseits lockte ihn das Angebot des Vogels.

„Warum hast du dir ausgerechnet mich ausgesucht?“, fragte er nach um Zeit zu gewinnen.„In dieser Straße wohnen doch so viele Kinder!“

„Erstens hast du gleich Geburtstag und zweitens interessieren sich die anderen Kinder nicht für die Burg. Sie spielen mit ihren Handys und haben kein Interesse an ihrer Umwelt. Darum ist die Wahl auf dich gefallen!“

„Bin ich denn auch rechtzeitig wieder zurück?“, fragte Ben. „Meine Eltern wollen mir morgen ein Fernglas schenken und wir essen bestimmt Kuchen!“

„Aber ja, du bist bald wieder zurück! Wenn du meine Dienste brauchst, rufe einfach Ven aqui, pajarito, das ist Spanisch und heißt Vogel komm hierher“, versicherte der schöne Vogel. Er hatte sanfte Augen und schien zu lächeln. Ben nickte.

„In Ordnung, dann nimm mich mit!“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da breitete der Vogel seine großen Flügel aus und Ben machte es sich darauf bequem. Dann flogen sie durch die Nacht, überquerten den breiten Fluss und waren dann im Nu auf der Burg.

 

 

Jetzt erkannte Ben, was auf der Fahne stand:

 

 

 

Ben konnte das alles nicht fassen, es war unglaublich. Er kletterte vom Vogel herunter und ein Ritter trat aus einer Tür hervor. Er nahm Ben an der Hand und führte ihn in einen großen Saal. Hier sah alles gar nicht so aus wie in einer verfallenen Ruine. Eine große Tafel war aufgebaut, viele Fackeln brannten an den Wänden. Ein Hofnarr erzählte Witze und es gab viele Kuchen zu essen. Auf den Plätzen saßen unzählige Leute, die Ben alle nicht kannte. Aber sie lächelten ihm aufmunternd zu und sangen „Happy Birthday to you“ Es waren auch Kinder dabei.

 

 

Ein Junge, der in Bens Alter war, nahm ihn an der Hand und führte ihn herum.

 

„Ich bin Peter, ich kann dir alles zeigen!“, erzählte er. Ben war verwirrt.

 

Was war das hier für eine verrückte Welt?

 

„Ist das alles ein Traum?“, fragte er den Jungen. Er hatte rote Haare und ganz viele Sommersprossen.

 

Seine Augen leuchteten in einem hellen Blau.

 

„Das darf ich nicht sagen. Genieße es einfach, das machen wir alle!“

 

Peter in Gefahr

Peter führte Ben eine steile Treppe empor. Dann waren sie ganz oben angekommen und standen vor einer Luke, die sie öffnen mussten. Ben beobachtete, wie Peter sanft das Schneckenhaus einer kleinen Schnecke berührte, die an der Luke klebte. Er schien ihr etwas zuzuflüstern und die Luke öffnete sich wie von Geisterhand.

Ben wollte noch fragen, wieso Peter die Schnecke gestreichelt hatte, doch der schöne Ausblick ins Tal verschlug ihm glatt die Sprache. Hier passierten sowieso so viele Dinge, die er nicht erklären konnte. Vielleicht sollte er Peters Rat einfach folgen und den Augenblick genießen.

Unten schlängelte sich der Fluss, er schimmerte im Mondlicht und sah aus wie verzaubert. Ben suchte etwas. 

„Dort ist mein Haus!“, rief Ben plötzlich ganz aufgeregt, als er ganz hinten am Horizont sein Kinderzimmerfenster mit dem Baum davor entdeckte. Wie winzig klein es von hier oben aussah!

„Ich wohne ungefähr da!“, sagte Peter und zeigte auf ein Haus, das ganz in der Nähe von Bens Haus stand.

„Dann sind wir ja fast Nachbarn!“, bemerkte Ben. „Warum habe ich dich nie auf der Straße gesehen?“

„Ich habe dich schon gesehen. Du bist mit deinem Fahrrad an mir vorbei gefahren. Ich habe Hallo gesagt, aber du hast mich wohl nicht bemerkt!“

Ben überlegte. „Warst du der Junge, der mit dem Kreidestein etwas auf die Straße gemalt hat?“ „Ja, der war ich. Ich male gerne!“, antwortete Peter.

„Ich zeige dir noch mehr!“, sagte Peter und die Jungen zogen weiter. Die Burg war unglaublich groß und hatte viele Gänge. Fast wie ein Labyrinth.

„Hat dich auch der Vogel abgeholt?“, fragte Ben, als sie eine kurze Pause machten, um zu verschnaufen. Peter wollte gerade etwas antworten, da bewegte sich der Boden unter ihnen. Es fühlte sich an wie ein Erdbeben.

„Hilfe!“, schrien die Jungen gleichzeitig. Dann hat sich der Boden auf und Peter sauste in die Tiefe. Ben konnte das alles gar nicht begreifen und starrte ihm hinterher.

„Peter, wo bist du?“, rief er in das große Loch hinein.

„Hier unten! Ich bin auf irgendwelchen Strohballen gelandet! Mein Knöchel tut so weh, ich glaube, er ist gebrochen!“, schrie Peter von unten. Es war nass und kalt, von der Decke tropfte es.

„Was soll ich tun? Wie kann ich dir helfen?“, rief Ben aufgeregt.

„Such den großen Vogel, der dich hierher gebracht hat, er kann uns retten!“, antwortete Peter. Er klang nicht mehr so fröhlich wie sonst. Ben wollte noch fragen, wo er den Vogel suchen sollte, doch dann gab es wieder einen Ruck und das Loch schloss sich wie von Geisterhand. Die Verbindung zu Peter war unterbrochen.

Ben hatte große Angst. Er zitterte am ganzen Körper und seine Hände waren ganz feucht. Er fühlte sich wie vor einigen Monaten bei seiner Einschulung, da war die Angst auch gekommen. Später hatte sie sich als vollkommen unnötig herausgestellt und er hatte darüber gelacht, dass er so viel Angst gehabt hatte.

 

Doch was sollte er jetzt tun? Das hier war nicht die Einschulung, sondern er musste sich auf die Suche nach dem Zaubervogel machen und das war ein richtiges Abenteuer, wie er es aus seinen vielen Büchern kannte.

 

Er lief den Weg zurück, um auf den Aussichtsturm zu gelangen.

„Von dort aus sehe ich den Vogel vielleicht und kann ihn rufen!“, dachte er bei sich und rannte so schnell er konnte. Endlich hatte er die Treppe erreicht. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, damit er schneller voran kam. Plötzlich versperrte ein dicker Frosch ihm den Weg. Er hatte eine Krone auf dem Kopf und sah aus, als wenn er frisch aus einem Märchenbuch gesprungen wäre.

 

 

„Du kannst hier nicht durch!“, quakte der Frosch in einer grässlichen Stimme. Ben wunderte sich inzwischen über gar nichts mehr und so kam es ihm nicht komisch vor, dass der Frosch sprechen konnte.

„Aber ich muss den großen Vogel finden und von oben habe ich sicher eine bessere Aussicht!“, erklärte Ben aufgeregt.

„Das ist ein guter Grund, aber bevor ich dich durchlasse, musst du ein Rätsel lösen!“, sagte der Frosch und rollte mit den Augen.

Bens Herz raste. Er war doch so schlecht im Aufgabenlösen. Er war sich sicher, dass er das niemals schaffen würde.

„Womit endet die Not und womit fängt der Tod an?“, fragte der Frosch. Ben musste nicht lange überlegen, denn diese Frage kannte er sogar, sie stand in seinem Rätselbuch auf Seite drei.

„Mit T!“, rief er aufgeregt. Der Frosch gratulierte ihm. „Das hast du toll gemacht, dafür lasse ich dich durch!“

 

Ben rannte weiter. Auf einmal spürte er Superkräfte in sich. Er hatte etwas geschafft und er war mutig. Das gab ihm Zuversicht. doch ihm war klar, dass er den Vogel holen musste, wenn er seinen neuen Freund und sich retten wollte. Obwohl er sich fürchtete, wurde ihm plötzlich klar, dass er einen Freund gefunden hatte. Das war ein schönes Gefühl und es gab ihm Kraft.

 

Doch da kam er plötzlich ins Stolpern. Fast wäre er der Länge nach hingefallen, doch er taumelte nach vorne und konnte sich gerade noch mit den Händen abstützen. 

"Du kannst hier nicht weiter!", bemerkte eine bunte, dicke Riesenraupe, die ihm anscheinend ein Bein gestellt hatte und sich jetzt vor ihm aufbaute.

 

"Aber ich habe es sehr eilig!", stammelte Ben.

"Ich bin Rabea, die Raupe und ich habe es hier wirklich nicht leicht. Den ganzen Tag krieche ich im Treppenhaus herum und mir ist immer so langweilig."

"Aber warum kriechst du denn nicht einmal nach draußen? In der Natur ist es doch bestimmt viel schöner!", sagte Ben. Die Raupe überlegte.

"Wenn ich dich durchlasse, bringst du mich dann nach draußen?", fragte sie. 

"Ich glaube, du bist zu groß für meine Tasche!", antwortete Ben.

"Das ist kein Problem, ich kann mich kleiner schrumpfen!", erklärte Rabea und mit einem Zischen wich alle Luft aus ihr und sie wurde ganz winzig.

Ben nahm sie vorsichtig in die Hand und steckte sie in seine Tasche. Dann lief er weiter.

"Aber du darfst nicht vergessen, mich auszusetzen, sobald du draußen bist!", rief Rabea aus der Tasche heraus. Ben nickte. Das würde er bestimmt nicht vergessen. 

 

Plötzlich spürte er einen leichten Luftzug und etwas Kaltes streifte sein erhitztes Gesicht.

„Hilfe!“, schrie er auf. Dann blickte er in zwei glühende Augen und dieses Etwas fing an zu lachen.

„Hahaha! Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Ich bin nur eine harmlose Fledermaus!"

 

 

Ben fiel ein Stein vom Herzen.

„Und du kannst sprechen wie alle anderen Tiere hier!“, bemerkte er.

„Eigentlich kann ich nicht sprechen, aber du bist einer der wenigen Menschen, die mich verstehen. Darum hat dich der Zaubervogel auch auf die Burg gebracht!“, erklärte die Fledermaus. Bens Herz fing an, schneller zu klopfen.

„Kannst du mir helfen, den Vogel zu finden? Peter ist in ein Loch gefallen und jetzt kommt er nicht mehr heraus!“, erklärte Ben der Fledermaus.

„Du musst ganz oben auf das Dach der Burg klettern und den Vogel rufen. Aber sei vorsichtig, es sind nicht nur nette Tiere hier unterwegs. Geh immer weiter nach oben, irgendwann kommst du an eine Dachluke. Damit du sie öffnen kannst, musst du vorher eine Aufgabe erfüllen. Aber dafür bin ich nicht zuständig, sondern die Burgschnecke."

Ben sackte das Herz bis in die Hose. War er denn immer noch nicht am Ziel? Wie viele Aufgaben musste er noch erfüllen?

Die Fledermaus bemerkte, dass Ben traurig wurde und richtig verzweifelt aussah.

„Keine Angst, es ist nicht so schwer, wie es sich anhört. Die Schnecke klebt an der Luke, du kannst sie nicht übersehen. Und ich habe gehört, dass sie sehr freundlich und hilfsbereit ist. Du darfst sie nur nicht verärgern.“

„Vielen Dank für deine Tipps, ich kann sie gut gebrauchen!“, seufzte Ben. „Aber eine Frage habe ich noch: Wie kann man eine Schnecke verärgern?“

Die Fledermaus zögerte nicht lange mit ihrer Antwort.

„Wie du ja weißt, sind Schnecken sehr langsam. Du darfst sie auf keinen Fall hetzen und die Geduld mit ihr verlieren. Wenn du zu ihr sagst, dass sie sich beeilen soll, wird sie dir die Luke niemals öffnen. Es kann sein, dass sie während ihrer Arbeit einschläft. Dann musst du geduldig warten, bis sie wieder aufgewacht ist!“

Ben war erleichtert und sagte: „Ich glaube, das kann ich schaffen. Vielen Dank für deine Ratschläge!“

„Gerne geschehen!“, entgegnete die Fledermaus und flatterte davon.

 

Ben kletterte weiter die steile Treppe empor. Da hörte er plötzlich ein Grummeln. Erschrocken drehte er sich um, weil er dachte, dass ein wildes Tier hinter ihm stehen würde. Doch da war niemand. Trotzdem hatte er das mulmige Gefühl, dass tausend Augen ihn beobachteten.

 

 

Jetzt grummelte es wieder. Da bemerkte er erst, dass es sein eigener Magen war. Ben hatte riesengroßen Hunger und fühlte sich plötzlich ganz schlapp. Verzweifelt suchte er in seinen Hosentaschen nach Kaugummi, doch außer einer Murmel konnte er nichts finden.

Er überlegte, wann der das letzte Mal etwas gegessen hatte. Das musste zum Abendbrot gewesen sein. Wie lange war das wohl schon her? Er hatte keine Ahnung, wie spät es jetzt war. Aber es war eigentlich auch egal. Schon wieder knurrte sein Magen.

"Ich muss mich irgendwie ablenken, damit ich nicht ständig an meinen Hunger denke!", überlegte sich Ben. Und dann fing er an, eine kleine Melodie zu pfeifen. Durch das Pfeifen lenkte er sich tatsächlich von dem Hungergefühl ab und stand dann vor der Luke.

Erleichtert atmete er auf. Jetzt musste er die Schnecke finden.

Da klebte sie auch schon an der Luke, genau wie es die Fledermaus beschrieben hatte. Verwundert sah die Schnecke ihn an.

 

 

"Ich schätze, du willst, dass ich die Luke öffne!", sagte die Schnecke.

"Ja, das wäre ganz toll. Ich muss nämlich den Vogel rufen, damit er meinen Freund retten kann!", erklärte Ben. Plötzlich fühlte er sich unendlich müde. Immer und immer wieder musste er alles erzählen und hoffen, dass ihm geholfen wurde.

"Das ist ein guter Grund. Ich werde dir helfen!", sagte die Schnecke. Doch noch während sie das sagte, klappten ihre Fühler nach unten und die Augen fielen zu. Dann war die Schnecke eingeschlafen. Sie schnarchte leise vor sich hin.

Ben war sich nicht sicher, ob er die Schnecke aufwecken durfte, denn er wollte sie auf keinen Fall verärgern. Und er wusste, dass seine Eltern immer sehr ärgerlich waren, wenn er sie weckte. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als geduldig zu warten. Er setzte sich auf die oberste Stufe und beobachtete die Schnecke. Das war so langweilig. Er wurde immer müder und müder und seine Augen fielen ihm fast zu.

"Halt, du darfst jetzt nicht einfach schlafen!", hörte er da plötzlich eine helle Stimme. Er sah sich um. Da erkannte er eine Kazte. Wie kam sie hier her? Das war ja ganz seltsam. War sie ihm gefolgt?

"Wieso darf ich mich nicht ein bisschen ausruhen?", fragte Ben verwirrt.

"Wenn du einschläfst, purzelst du alle Stufen wieder hinunter und kannst noch einmal von vorne anfangen. Das ist mir auch schon einmal passiert!", erklärte ihm die Katze.

"Aber ich bin so müde und ich muss auf die Schnecke warten. Erst wenn sie wach wird, kann sie mir die Dachluke öffnen!", erklärte Ben der Katze. Die Katze hörte aufmerksam zu.

 

 

 

 "Ich verstehe dein Problem und ich kann dir helfen!", sagte sie schließlich.

"Ich weiß nämlich, wie man die Schnecke wach bekommt!", fügte sie hinzu und warf Ben einen bedeutungsvollen Blick zu.

Ben war plötzlich wieder hellwach.

"Wie kannst du das schafffen?", fragte er neugierig und voller Hoffnung.

"Ganz einfach. Ich werde vor hier gleich meine Duftmarke hinterlassen. Das stinkt so fürchterlich, dass die Burgschnecke garantiert davon aufwachen wird. Dann will sie frische Luft und wird die Luke in Windeseile öffnen!", erklärte die Katze. Ben war begeistert. Die Idee mit der Duftmarke war wirklich toll!

Kurze Zeit später hörte Ben ein kleines Zischen und dann roch er es selber. Ein entsetzlicher Duft breitete sich im Turm aus. 

Die Katze grinste.

"Habe ich zu viel versprochen?", fragte sie.

Ben hielt sich die Nase zu, der Duft wurde immer intensiver.

Da fuhr die Schnecke die Fühler aus.

Sie riss die Augen auf und schrie: "Luft! Ich brauche Luft!" 

Mit voller Wucht stemmte sie sich gegen die Luke und kalte, frische Nachtluft strömte herein. Ben nutzte den Augenblick und und kletterte hinaus.

"Gleich bin ich am Ziel!“, ging es ihm durch den Kopf.

 

Endlich blickte er über das Tal. Die Nacht war noch schwärzer geworden als vorhin, es war alles sehr unheimlich.

 

 

Etwas zwickte ihn plötzlich in die Seite.

"Aua!", rief er aus. Da fiel ihm etwas ein: Er musste dringend die Raupe aussetzen! Schnell griff er in seine Tasche und holte sie hervor. 

"Danke!", sagte sie und schnappte nach Luft. Dann blickte sie ins Tal.

"Du hattest recht, das hier ist wunderschön!", flüsterte sie. Dann verabschiedete sie sich von Ben und kroch davon. Ben sah ihr nach, bis sie unter einem dicken Stein verschwunden war. 

Jetzt musste er schnell den Vogel rufen. Er durfte sich nicht mehr ablenken lassen.

 

„Vogel, wo bist du?“, rief er hinaus in die Nacht. Da fiel ihm ein, dass er etwas Spanisches sagen sollte, damit der Vogel zurück kam. Doch Ben konnte sich nicht mehr erinnern, wie der spanische Satz hieß. War es Ben alli parasito oder Ken Mani paraiso .

Ben rief: „ Klen mani paravito!“ Nichts passierte. Kein großer Vogel kam angeflogen. Dann versuchte er sich zu erinnern und schrie: „Ven hatschi paramito!“ Wieder tat sich nichts.

„Ich werde Peter nicht retten können und nach Hause komme ich auch nicht mehr! Dabei war ich so dicht am Ziel ...“, dachte er traurig und fing an zu weinen. Was für ein schrecklicher Geburtstag, der so aufregend angefangen hatte ... Seine Tränen tropften auf eine kleine Maus.

 

 

„He, wieso machst du mich nass?“, fragte sie ein wenig verärgert.

„Ich bin so traurig, weil ich alles vermasselt habe. Ein Zaubervogel hat mich abgeholt, aber ich habe den Satz vergessen, der ihn zurück bringt. Deshalb kann ich meinem Freund nicht helfen. Er ist verletzt und liegt in einem großen Loch!“

„Sei nicht traurig. Vielleicht kann ich dir helfen? Du bist ein guter Junge, wenn du einem Freund helfen willst. Was war das denn für ein Satz?“, fragte die Maus nach, die schon wieder ganz versöhnt war.

Ben wischte sich die Tränen weg.

„Das würdest du wirklich tun?“, fragte er voller Hoffnung. „Der Satz war Komm hier her, Vogel. Aber ich kann kein Spanisch und ich musste den Satz auf Spanisch sagen ...!“

„Nichts leichter als das! Ich bin eine spanische Maus, mein Name ist Maria Raton. Es ist gut, dass du mit mir gesprochen hast, sonst hättest du das nicht herausgefunden. Also, der Satz heißt: Ven aqui, pajarito!“

Ben prägte sich den Satz ganz genau ein und rief ihn hinaus in die Nacht.

 

Ven aqui, pajarito

 

Schon spürte er den Luftzug und wenige Sekunden später landete der prächtige Vogel mit den schönen Augen genau neben Ben und Maria Raton.

„Ich bin dir zu Diensten, du hast mich gerufen!“, sagte der Vogel und verbeugte sich leicht.

„Mein Freund Peter ist in Gefahr. Er ist in ein Loch gefallen und hat sich seinen Knöchel verletzt!“, sprudelte es aus Ben heraus. Der schöne Vogel zögerte keine Minute.

„Steig auf, ich bringe dich zu ihm und wir holen ihn ab. Es ist sowieso Zeit, dass ihr nach Hause kommt!“ Ben fühlte sich unendlich geborgen. Dankbar kletterte auf den Rücken des Vogels und verabschiedete sich von der Maus.

„Ich hoffe, ich sehe dich noch einmal wieder!“, rief Ben ihr zu. Maria Raton lächelte. “Na klar. Man sieht sich im Leben immer zweimal!” Dann flog Ben davon. Sie stoppten vor einem vergitterten Fenster der Burg. Der Vogel berührte es und es öffnete sich. Dann flogen sie hinein und sammelten Peter auf. Peters Augen leuchteten, als er Ben und den Zaubervogel sah.

„Ihr seid gekommen, ich wusste es!“, jubelte er und erhob sich von seinem Strohlager. Der Vogel berührte seinen verletzten Knöchel mit seinem Schnabel und Peter konnte wieder ganz normal gehen.

Er kletterte ebenfalls auf den Rücken des Vogels und sie flogen durch die Nacht, die gerade wieder etwas heller wurde.

„Vielen Dank!“, rief Ben ihnen hinterher, nachdem er als Erster absetzt worden war.

Der Vogel winkte mit seinen Flügeln und war bald nur noch ein winziger Punkt am Himmel.

 

 

 

Die Wanderung

 

„Ben, du musst aufstehen! Alles Gute zum Geburtstag!“

Ben öffnete verschlafen die Augen. Seine Eltern standen neben seinem Bett und hatten ein Geschenk in der Hand.

„Zieh dich schnell an, wir wandern heute zu der Burg!“, sagte der Vater fröhlich.

„Und oben auf dem Berg können wir Kuchen essen!“, schlug die Mutter vor.

„Aber ich muss doch zur Schule ...!“, stotterte Ben verwirrt.

„Nein, heute ist doch Sonntag. Hast du das schon vergessen?“, wunderte sich der Vater.

 

Schnell zog Ben sich an. Er hatte einen verrückten Traum gehabt. Von sprechenden Mäusen, Fröschen, Riesenraupen, Fledermäusen, Schnecken und von einem besonderen Vogel ... aber vor allen Dingen hatte er im Traum einen Freund gehabt. War das schön gewesen!

 

Angefangen hatte alles mit dieser Feder, die in sein Zimmer geweht war. Ob sie noch da war? Ruckarig sprang Ben aus dem Bett und guckte sich um.

 

"Suchst du etwas?", fragte seine Mutter verwundert.

"Ja, hast du eine bunte Feder gesehen?", antwortete Ben hektisch.

"Nein, aber du brauchst jetzt auch keine Feder!", entgegnete die Mutter und fuhr fort: „Wir haben schon alles gepackt, du solltest nur noch schnell dein Geschenk auswickeln!“

Das ließ Ben sich nicht zweimal sagen. Das mit der Feder war sicherlich auch ein Teil des unglaublichen Traumes gewesen ... Schnell hatte er das kleine Paket aufgerissen.

„Ein Fernglas!“, rief er überglücklich und rannte zu seinem Kinderzimmerfenster. Die Fahne auf der Burg flatterte fröhlich im Wind, er konnte sie ganz deutlich erkennen. 

 

 

Kurze Zeit später wanderte er mit seinen Eltern durch den Wald. Es ging steil bergauf, doch Ben wusste, dass die Mühe sich lohnen würde. Ab und zu machten sie eine Pause und tranken Wasser.

Ben hatte so viel Spaß wie schon lange nicht mehr.

Am Wegesrand saß ein kleiner Fuchs.

 

 

Ben wollte schnell ein Foto von ihm machen, doch schon war er wieder verschwunden.

"Bitte komm zurück!", rief Ben und er dachte wieder an seinen verrückten Traum und die sprechenden Tiere.

Ob der Fuchs ihn verstanden hatte? Es raschelte kurz und tatsächlich: Der Fuchs setzte sich kurz hin und schien sogar ein wenig zu lächeln. So konnte Ben doch noch sein Foto machen. Die Eltern staunten. "Wie hast du denn das hinbekommen? Hast du den Fuchs verzaubert?" Ben wurde rot. "Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich heute Geburtstag habe und dass heute so ein schöner Tag ist. Ein Glückstag!"  

 

Die Familie wanderte weiter. Alle hingen ihren Gedanken nach und genossen die Stille des Waldes.

 

 

"Das sollten wir öfter machen!", sagte Ben schließlich und strahlte seine Eltern glücklich an.

Die Mutter nickte und entgegnete: "Das werden wir auch! Ganz bestimmt!"

 

Oben auf der Burg waren sie nicht die einzigen Touristen. Viele Leute waren heute hier versammelt und machten Fotos oder tranken Kaffee. Ben war ein bisschen enttäuscht, weil alles so anders war als in seinem Traum.

 

 

Bens Mutter kaufte für jeden ein großes Eis am Kiosk und sie setzten sich auf eine Bank vor der Burg.

 

Da hörten sie plötzlich eine Stimme:" Peter! Beeil dich, wir müssen zurück!"

 

Ben horchte auf. Auf einmal lief ein Junge an ihm vorbei, er hatte rote Haare und viele Sommersprossen auf seiner Nase. Ben fiel vor Schreck fast das Eis aus der Hand. Das war der Peter aus seinem Traum!

 

"Was möchtest du nachher noch machen?", fragte die Mutter, die Bens Erstaunen gar nicht bemerkt hatte.

 

Ben musste lächeln.

 

"Ich glaube, ich fahre mit dem Rad noch mal unsere Straße entlang. Vielleicht finde ich ja einen Freund ...!" 

 

    

 

 

 

 

 

 

Bunter Vogel im Herbst

 

Erfinde einen bunten Vogel, der auf einem Zweig sitzt. Dann malst du ihn aus. Mit einem dicken Borstenpinsel tupfst du Herbstblätter um ihn herum. Fertig!

 

 

Ausmalbild zum Ausdrucken und Weitermalen: 

 

Drucke das Bild aus und zeichne weitere Muster in den Zaubervogel. Male dann alles mit leuchtenden Farben an. Viel Spaß!

 

 

 Bunter Vogel im Winter

 

Male zunächst den Hintergrund und lasse alles gut trocknen. Dann malst du auf einem Extrablatt einen bunten Vogel, den du ausschneidest und auf das Winterbild klebst.

 

 

 

 

Eine Burg zum Aus- oder Abmalen

 

 

 

Ein Fantasiebild zu Ende malen ...

 

 

 Ein Fantasievogel auf einer Einkaufstüte

 

Male mit Wachsmalstiften einen Fantasievogel auf eine Einkaufstüte aus Papier. Die Farben kommen sehr gut zum Leuchten und deine Einkaufstüte wird einzigartig.

 

 

 

Bunte Vögel aus Farbklecksen:

 

Male mit Wasserfarben bunte Farbkleckse auf ein Blatt. Lasse manchmal zwei Farben ineinander verlaufen, das sieht besonders schön aus.

Wenn die Tupfen trocken sind, ergänzt du mit einem dünnen Filzstift Flügel, Schnäbel, Federn. Fertig!

 

 

Weitere Bücher der Autorin:

 

 

 

Knuffy, das kleine Monster, findet das Leben in einem Buch sehr langweilig. Daher schlüpft das Monster eines Abends aus dem Buch heraus, um die Welt zu erkunden. Leider schafft Knuffy es nicht, rechtzeitig in das Buch zurückzukommen. Der kleine Ben ist völlig verzweifelt. Wo ist Knuffy und warum sind überall weiße Stellen im Buch?

 

 

Der kleine Osterhase Harry kann am Abend vor dem Osterfest nicht einschlafen, weil er so aufgeregt ist. Selbst der alte Trick seiner Oma kann nicht helfen.

Da klopft es an der Tür und eine frierende Katze bittet um Einlass.

 

Und als die aufgeregten Hühner erscheinen, flattert die Liste mit den Adressen hinaus in die Nacht ...

 

Impressum

Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 15.06.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle großen und kleinen Träumer, die nachts manchmal nicht schlafen können.

Nächste Seite
Seite 1 /