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Frohe Weihnachten, Marie!

 

Marie sprang mit einem Satz aus dem Bett. Ihr kleiner Radiowecker war angesprungen und dudelte fröhlich:

 

"Last christmas I gave you my heart but the very next day you gave it away ..."

 

 

Schnell drückte sie die AUS Taste, obwohl sie das Lied gerne noch gehört hätte. Doch sie konnte nicht riskieren, dass die großen Schwestern aufwachten, mit denen sie sich das Zimmer teilte. Marie wollte den Morgen alleine genießen, denn die große Familie brachte immer viel Stress mit sich.

 

Sie war überglücklich, denn bald waren sie da: die Weihnachtsferien. Sie liebte die Weihnachtszeit, den Schnee und alles, was dazu gehörte. Dezember war ihr absoluter Lieblingsmonat, da gab es nichts dran zu rütteln.

 

 

Viele Leute lachten sie deshalb aus und fanden es seltsam, dass Marie so ein Winterkind war. Marie vermutete, dass es in ihren Genen lag, denn ihre Oma war ebenfalls sehr begeistert von der kalten Jahreszeit.

Als Kind hatte die Oma bei einer Wildfütterung geholfen und sie hatte Marie erzählt, wie sehr sie es geliebt hatte, im Schuppen auf den Heuballen zu sitzen und durch ein kleines Fenster die Hirsche und Rehe zu beobachten, die durch den Schnee gestapft kamen und Kastanien und Heu fraßen. 

 

 

Die Oma hatte Marie das Stricken beigebracht und das Plätzchenbacken. Einmal hatten sie sogar zusammen ein Pfefferkuchenhaus gebastelt. Doch leider hatte sich Tobias drauf gesetzt, was Marie ihm bis heute nicht richtig verziehen hatte.

 

Marie war sehr froh darüber, dass Oma Erna im selben Haus wohnte und sie nicht weit fahren musste, um sie zu sehen.

 

 

Schnell lief sie zu ihrem Adventskalender und machte ein Türchen auf.

 

Ein Schokoweihnachtsmann!

 

Er sah so echt aus, Marie wollte ihn am liebsten gar nicht essen. Doch wenn sie ihn aufheben würde, so wie sie es letztes Jahr gemacht hatte, würde er in einem halben Jahr nicht mehr schmecken. Also stopfte sie sich ihn schnell in den Mund. Lecker!

 

 

Noch ehe ihre anderen Geschwister zum Frühstück in der Küche erschienen waren, war sie schon fertig und suchte nur noch ihren Sportbeutel. Den fand sie schließlich unter unzähligen Jacken.

Dann hörte sie Türenknallen und Getrampel. Die Geschwister waren aufgestanden und kamen lärmend die Treppe herunter.

 

Vorbei war es mit der Ruhe!

 

„Wieso bist du schon so früh auf?“, wunderte sich ihr Bruder Tobias, der sich verschlafen über die Augen wischte.

„Bald ist Weihnachten, da habe ich gute Laune!“, antwortete Marie fröhlich."Ich bin eben nicht so ein Morgenmuffel wie du!"

Sie pfiff leise vor sich hin und sagte: "Ich spüre es, heute wird ein ganz toller Tag!"

Tobias verdrehte die Augen. Er war wirklich ein Morgenmuffel und die schrille Schwester konnte er im Moment kaum ertragen.

Marie hatte den Weihnachtshit von WHAM im Ohr und trällerte laut und falsch: "Last christmas I gave you my heart ...!"

"Deine gute Laune nervt total!", motzte auch Leonie, Maries große Schwester. Sie war gerade in die Küche gekommen und hatte wild abstehende Haare. Deshalb trug sie immer eine Mütze.

 

 

"Du bist aufgedreht wie ein Uhrwerk! Hast du zuviel Kaffee getrunken? Und außerdem: Ich hasse dieses Lied abgrundtief!"

"Ich trinke keinen Kaffee und ich liebe diesen Song!", antwortete Marie freundlich. Sie wollte sich ihre gute Laune nicht verderben lassen und spürte, dass sie das Haus schnell verlassen musste, um nicht noch mehr Sprüche abzubekommen.

 

 

Schnell zog sie ihre Winterjacke an und stapfte hinaus in den Schnee.

Es war noch dunkel und die Straßenlaternen waren noch an. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, an einigen Stellen war es glatt. Marie nahm Anlauf und schlitterte eine kurze Strecke. Dann formte sie einen Schneeball und warf ihn hoch in die Luft. Jemand hatte einen Schneemann gebaut. Marie hatte das Gefühl, dass er sie anlächelte.

 

 

Da sah sie plötzlich eine Sternschnuppe am Himmel. Ganz groß und leuchtend.

 

„Wow!“, dachte Marie. „Das ist ungewöhnlich! Sternschnuppen gibt es doch nur im August! Das ist bestimmt ein Zeichen!“

 

Schnell wünschte sie sich, dass Torben aus der siebten Klasse einmal „Hallo“ zu ihr sagen würde. Sie mochte Torben schon seit drei Monaten, doch er hatte Marie noch nie wahrgenommen. Langsam wurde es Zeit!

 

Im Oktober, beim Terry Fox Lauf, hatte sie sich unsterblich in Torben verliebt.

 

 

Er hatte vor dem Lauf in der Aula den Schülern über das Leben von Terry Fox etwas erzählt. Im Scheinwerferlicht hatte er auf der Bühne gestanden und alle waren ganz still gewesen.

 

"Stellt euch vor, der krebskranke Terry Fox ist mit nur einem Bein quer durch Kanada gelaufen, um Geld für die Krebsforschung zu sammeln. Heute laufen wir Runden und eure Sponsoren werden euch Geld geben, das in die Terry Fox Stiftung eingeht ...!"

 

Marie hatte andächtig dagesessen und Torbens Rede gelauscht. Hinterher war sie der Überzeugung, dass nur er ihre große Liebe sein konnte.

Durch umfangreiche Recherche hatte sie im Laufe der Zeit viele Dinge über ihren Schwarm herausgefunden:

Er schwamm bei den Orkas und spielte in der Theater AG die Hauptrolle in "Ein Sommernachtstraum".

Er wohnte in Goslar und hatte drei ältere Geschwister.

Torben war Klassensprecher der 7c und Schülersprecher.

Außerdem war er Schlagzeuger der Band "The Sound", die für wohltätige Zwecke auftrat und schon oft in der Zeitung gestanden hatte.

Torben hatte beim Kreativwettbewerb Grünstrich den ersten Platz gewonnen: Seine Collage gegen die Verschmutzung der Meere war sogar in der Aula aufgehängt worden. Marie hatte sie längst schon mit dem Handy abfotografiert und als Hintergrundbild ausgewählt. Torben war einfach der Beste. Überall und immer!

 

In ihren Träumen war Marie mit Torben zusammen. Sie waren das perfekte Paar. Torben lachte über Maries Witze und sie trafen sich jeden Tag. Manchmal lernten sie für die Schule zusammen, manchmal hingen sie einfach nur gemeinsam ab und beobachteten die weißen Federwolken, die am Himmel vorbeizogen. Torben hatte Marie ein Freundschaftsarmband geschenkt, das sie jeden Tag trug. Es machte ihr gar nichts aus, dass es aus einem Kaugummiautomaten war. Das Zusammensein mit Torben war einfach wunderschön. Aber leider nur in ihren Träumen.

 

 

Nur Maries beste Freundin Lotte war in ihr großes Geheimnis eingeweiht.

 

Lotte hatte gesagt: "So toll finde ich Torben nicht. Er gibt immer ganz schön an und gut aussehen tut er gar nicht! Seine Nase ist viel zu groß für das kleine Gesicht!"

 

Marie war ziemlich empört gewesen, doch sie hatte sich gefreut, dass Lotte nicht in ihn verliebt war.

 

Marie kniff die Augen zusammen und wünschte sich ihren Wunsch so doll sie konnte. Vorsichtshalber blieb sie noch einige Sekunden stehen. Dann öffnete sie die Augen wieder und ging weiter.

 

 

In der Ferne erkannte sie schon Lotte, die wie immer an der Ecke auf sie wartete.

 

„Noch vier Tage bis Weihnachten! Ist das nicht einfach klasse?“, rief Lotte aufgeregt. Auch sie hatte gute Laune, was für morgens um sieben Uhr sehr ungewöhnlich war.

„Es ist so eine traumhafte Zeit! Alles kann passieren, die Welt liegt uns zu Füßen!“, freute sich Marie.

 

Fröhlich gingen sie weiter zur Bushaltestelle.

 

Sie spazierten gerade am Bauernhof von Bauer Grüne vorbei, da sah Marie plötzlich etwas Schreckliches.

 

 

"Lotte, Rex ist nicht an der Kette!", schrie sie aufgebracht. Auch Lotte fing an zu zittern. Der Schäferhund Rex galt als der gefährlichste Hund im ganzen Dorf und er war deshalb immer an einer langen Eisenkette. Heute lief er aus irgendeinem Grund frei auf dem Hof herum. Anscheinend hatte er die Mädchen noch nicht gesehen, denn er schnüffelte aufgeregt an dem stinkenden Misthaufen und kratze hektisch mit seinen riesigen Pfoten, als wollte er etwas Wichtiges ausgraben.

Bauer Grüne war nicht zu entdecken. Kein Mensch war in der Nähe.

Wer hatte den Hund bloß losgemacht?

Oder hatte er so doll an der Kette gezogen, dass sie gerissen war?

 

"Schnell, lass uns umkehren!", schlug Marie vor. Sie war ganz blass vor Schreck.

"Und der Bus? Der fährt doch gleich!", gab Lotte zu bedenken.

"Willst du gebissen werden oder nicht?", fragte Marie mit zitternder Stimme und sah Lotte an, als ginge es um Leben und Tod. Lotte überlegte.

 

 

Sie musste doch zur Schule, oder?

 

Durfte man wegen einem unangeleinten Hund fehlen?

 

Bestimmt nicht!

 

Die Lehrer stellten sich immer so an und ließen kaum etwas durchgehen. Außerdem würde sie den Vokabletest verpassen und sie hatte so viel dafür gelernt! Sie hatte sich sogar das dicke Englischbuch unters Kopfkissen gepackt, damit wie durch Magie die Wörter im Schlaf in ihre Gehirnzellen eindringen würden. So richtig glaubte sie zwar nicht daran, aber  man sollte nie etwas unversucht lassen. Jetzt tat ihr Nacken weh. Außerdem müsste sie den Test vermutlich nachschreiben und hätte bis dahin die Hälfte der Wörter wieder vergessen.

 

Ob Rex wirklich beißen würde? Klar, es gab diese wilden Gerüchte über ihn, dass er vor Jahren einmal ein Kind in den Arm gebissen hätte und einem Einbrecher die Hose zerfetzt hatte, der Postbote brachte den Grünes schon lange keine Briefe mehr, aber stimmte das wirklich? Im Dorf wurde viel gequatscht und getratscht.

 

Da hatte der Hund sie auch schon gesehen. Mit großen Sätzen rannte er auf sie zu und bellte sein lautes Schäferhundebellen, das immer ein bisschen heiser klang. Er flog fast durch die Luft und Marie hatte das Gefühl, dass er Superkräfte hatte. Vielleicht war es kein normaler Hund, sondern ein Höllenhund. Die Zunge hing ihm weit aus dem Maul und Sabber tropfte in alle Richtungen. Es war ein Hund des Grauens.

Die Mädchen schrien um Hilfe und blieben wie angewurzelt stehen. Was sollten sie tun? Schützend hielten sie ihre Schulranzen vor ihren Bauch und Marie war froh, dass sie dicke Winterstiefel anhatte. Da musste sich die Bestie erstmal durchbeißen! Lotte dachte darüber nach, ihr Butterbrot dem Hund zum Fraß hinzuwerfen. Doch die Brotdose war tief unten in ihrem Ranzen und sie hatte keine Zeit mehr, sie herauszuholen ... Sie waren verloren! Zur falschen Zeit am falschen Ort, wie man so schön sagt.

 

In letzter Sekunde sprang der Hund an ihnen vorbei und wollte sich auf eine kleine, schwarze Katze stürzen, die unmerklich hinter den Mädchen herangeschlichen war.

Die Katze war schneller und rettete sich wie durch ein Wunder auf einen Baum.

 

 

Die Mädchen nutzen den Augenblick und rannten um ihr Leben zur Bushaltestelle. So schnell waren sie noch nie gelaufen.

Marie blickte sich nicht mehr um. Sie gab alles und spürte, wie ihr Herz raste. Da hörten sie einen lauten Pfiff. Bauer Grüne schrie: "Rex! Hierher! Du alter Ausreißer!"

Erst jetzt wurden die Mädchen wieder ruhiger und konnten aufatmen.

"Das war knapp!", schnaufte Lotte. Marie zitterte am ganzen Körper.

"Morgen gehen wir lieber einen Umweg!", sagte sie.

 

Eingehakt gingen die Freundinnen weiter.

 

 

Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Bushaltestelle und durch das Laufen hatten sie sogar Zeit gewonnen.

 

"Ich habe solche Angst vor Rex, hoffentlich wird er bald mal vom Trecker überfahren!", wünschte sich Marie.

Lotte nickte. "Ja, da hast du recht. Aber auf der anderen Seite finde ich es so schrecklich, dass der arme Hund sein Leben an einer Kette verbringt. Keiner kümmert sich richtig um ihn, ist doch klar, dass er durchdreht!" Marie nickte und bereute schon ihre harten Worte. "Lass uns von etwas anderem reden!", schlug sie vor. Das fand Lotte auch.


 „Ich hatte so einen verrückten Traum letzte Nacht. Stell dir vor, ich habe einen Eisbären im Wald getroffen. Er hat mir zum Geburtstag gratuliert und mir ein Geschenk gegeben. Ich wollte es gerade auspacken, da bin ich aufgewacht ...!“, erzählte Lotte aufgeregt.

 

 

Geschenk!“, rief Marie plötzlich verzweifelt aus. „Ich habe das Wichtelgeschenk vergessen! Heute sollten es alle mitbringen!“

 

Ihre gute Laune war mit einem Schlag verschwunden.

 

„Lauf doch noch schnell nach Hause!“, schlug Lotte vor.

Doch da hörten sie schon das Busgeräusch.

„Zu spät!“, sagte Marie tonlos. „Was soll ich nur machen? Ich werde eine Strafarbeit bekommen und dann kann ich heute Nachmittag nicht mit dir Schlitten fahren!“ Marie war den Tränen nahe.

„Warte, noch ist nichts verloren. Vielleicht können wir ein Geschenk improvisieren!“, schlug Lotte vor. Die Mädchen waren in den Bus gestiegen und hatten sich gleich hinter den Busfahrer gesetzt. Lotte wühlte in ihrer Tasche.

„Ich habe nur einen Apfel und ein Butterbrot, was ich dir geben kann. Aber das ist kein tolles Wichtelgeschenk!“, sagte sie kläglich.

 

Marie starrte aus dem Fenster. Der Bus fuhr langsam durch das Dorf und es wurde allmählich hell.

 

 

„Bis auf die Sache mit Rex hatte der Tag so gut angefangen, doch jetzt ist alles aus!“, jammerte sie.

„Hast du Geld mit? Wir können bei Tante Emma noch etwas kaufen!“, schlug Lotte vor. Doch Marie schüttelte den Kopf.

Lotte war unermüdlich. „Ich weiß was! Schreib doch schnell ein Gedicht!" Schon fing sie an zu reimen: "Wenn weiße Flocken langsam fallen und Silvester alle knallen ...“

„Wer will denn schon ein Gedicht bekommen, das ist doch ein schreckliches Geschenk! Meine Oma würde sich vielleicht freuen, alle anderen würden mich auslachen ...“, antwortete Marie zerknirscht. Sie ärgerte sich sehr, denn zu Hause hatte sie einen großen roten Strumpf mit Süßigkeiten gefüllt. Das wäre ein tolles Wichtelgeschenk gewesen!

Lotte war nachdenklich geworden. Vielleicht hatte Marie recht. Gedichte waren etwas für die ältere Generation.

"Was hast du eigentlich als Wichtelgeschenk mit?", fragte Marie ihre Freundin schließlich.

"Ich habe eine Tasse bemalt und mit Bonbons gefüllt!", antwortete Lotte und zeigte Marie die schöne Tasse mit dem lachenden Rentier.

 

 

"Du bist einfach perfekt, du denkst immer an alles und du kannst alles!", seufzte Marie und sie wünschte sich in diesem Moment, nur ein bisschen so perfekt zu sein wie Lotte. Vielleicht würde sich Torben dann endlich für sie interessieren!

 

Ach, Torben!

 

Mit ihm würde sie sicher nie ins Gespräch kommen. Sie war Lichtjahre von ihm entfernt und spielte nicht in seiner Liga.

 

Er schwamm bei den Orkas, sie hatte nur das Seepferdchen geschafft und hatte sich noch nicht getrau, vom Dreier zu springen.

Er spielte eine Hauptrolle in der Theater AG, sie konnte sich kein einziges Gedicht merken und schrieb sich immer alles in die Hand.

Er war Schülersprecher, sie hatte den Mülldienst in ihrer Klasse.

Er spielte Schlagzeug, Marie konnte lediglich ihrer Blockflöte einige falsche Töne entlocken. Sie wusste noch nicht mal, wo ihre Blockflöte war, denn nach dem letzten Weihnachtsfest hatte sie sie irgendwo verloren.

Marie war die graue Maus, in die er sich sicher niemals verlieben würde.

 

Sie war eine Pechmarie, die immer alles vergaß und verschusselte.

 

Sie war Luft.

 

Lotte betrachtete ihre Freundin voller Mitleid. Da fiel ihr etwas auf.

 

"Marie, flipp jetzt nicht aus, du hast da ...!"

"Was?",fragte Marie gereizt.

Lotte bekam es mit der Angst zu tun.

"Ach, nichts!", sagte sie ausweichend.

"Jetzt sag schon! Was habe ich? Du kannst Sätze nicht so anfangen und dann nicht beenden! Das ist gemein!", schimpfte Marie.

Lotte atmete tief durch und dann sagte sie es.

 

"Du hast einen ganz großen Pickel auf der Nase!"

 

"Oh nein! Wieso ist mir das heute Morgen nicht aufgefallen! Ist der eben gewachsen? Ich hasse die Pubertät! Das darf doch nicht wahr sein!", rief Marie. Sie hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen weggezogen wurde.

"Hast du einen Spiegel?", fragte sie Lotte verzweifelt. Lotte schüttelte den Kopf. "Als ob ich immer einen Spiegel mit mir herumschleppe! Am besten gehst du in der Schule gleich auf die Toilette und guckst ihn dir an!"

"Wieso soll ich ihn mir angucken? Ich kann doch sowieso nichts daran ändern!", sagte Marie resigniert.

"Eben wolltest du noch einen Spiegel haben!", entgegnete Lotte genervt.

"Ach, ich weiß auch nicht, was ich will! Ich will wieder zurück in mein Bett!", jammerte Marie und fuhr sich verzweifelt durch die Haare.

 

Der Bus hielt kurze Zeit später vor der Schule und die Kinder stiegen aus. Sie mussten noch einen kurzen Fußweg bis zur Schule zurücklegen.

 

„Heute ist nicht mein Tag! Gleich gibt es die Strafarbeit!“, murmelte Marie.

 

Da platzte Lotte der Kragen.

 

„Marie, lass dir doch von so einer Kleinigkeit nicht den Tag verderben! Du hast etwas vergessen, das passiert nun mal. Aber ich kann dein Gejammer nicht mehr ertragen! Reiß dich mal zusammen!“

Marie schossen Tränen in die Augen. Jetzt war Lotte auch noch böse mit ihr! Doch Lotte konnte ihr nie lange böse sein. Höchstens drei Minuten.

"Zum Glück haben wir heute Sport!", versuchte Lotte Marie aufzuheitern.

"Sport ... ja, aber erst in der 6. Stunde! Und bis dahin haben wir viele schreckliche Dinge!", antwortete Marie und dann fiel es ihr auf. Sie zuckte plötzlich zusammen, als hätte sie einen heftigen Stromschlag bekommen.

 

"Ich habe meinen Sportbeutel im Bus vergessen!"

 

"Jetzt kannst du es nicht mehr ändern. Du musst ins Sekretariat und Frau Sander muss bei der Busgesellschaft anrufen!", erklärte Lotte, der so etwas auch schon einmal passiert war.

"Ich glaube, ich fahre gleich wieder nach Hause. Der Tag wird immer schrecklicher! Außerdem habe ich einen fetten Pickel auf der Nase!", heulte Marie.

"So dick ist er gar nicht, ich wünschte, ich hätte es dir nicht gesagt!", seufzte Lotte.

 

Schweigend gingen die Mädchen weiter. Lotte fiel jetzt auch nichts mehr ein, womit sie die Freundin aufheitern konnte. Sie grübelte und grübelte, doch in ihrem Kopf herrschte eine große Leere. Da sah sie auf einmal einen knallroten Zeppelin am Himmel. Er kam gerade zur rechten Zeit, das war ein Zeichen.

 

"Marie, guck mal nach oben! Ein Zeppelin!", schrie Lotte aufgeregt.

Marie bekam einen Schreck, weil Lotte so laut geschrien hatte. Sie rutschte plötzlich aus und fiel auf den Gehweg auf einen spitzen Stein. Laut schrie sie auf: "Au!" Einige Kinder fingen an zu lachen.

„So ein Pechtag!“, heulte Marie. Missmutig rappelte sie sich wieder auf und klopfte sich den Schnee ab. Der Zeppelin war längst weg.

Lotte sah es zuerst.

 

„Marie, du hast ein Loch hinten in der Hose!“

 

„Wo?“, fragte Marie entsetzt.

„Genau am Po!“, antwortete Lotte.

„Oh nein! So kann ich niemals in die Schule! Alle werde mich auslachen und Sprüche machen!“

„Binde dir doch deinen Pullover um, dann sieht das Loch keiner!“, schlug Lotte vor.

„Komm, wir müssen uns beeilen, es hat schon geklingelt!“

 

Marie zog ihren Rollkragenpullover aus und band ihn sich wie einen Gürtel um die Hose, so dass das Loch verdeckt war. Jetzt fror sie, weil sie im T-Shirt da saß.

 

"Ich kriege bestimmt eine Erkältung und werde Weihnachten krank!", dachte sie verbittert.

Neugierige Blicke blieben an ihr hängen und auch Frau Rößler, die gerade die Klasse betrat, sah Marie stirnrunzelnd an.

 

 

„So warm ist es heute auch wieder nicht!“, sagte sie. „Kinder, lasst die Jacken an, in der Schule ist die Heizung ausgefallen!“

„Auch das noch!“, dachte Marie entsetzt, die jetzt schon Gänsehaut auf den nackten Armen hatte. Ihre Zähne klapperten laut.

„Die Wichtelgeschenke geben wir uns später, wir fangen an mit dem Vokabeltest. Wer weiß, ob wir nicht heute früher Schluss bekommen wegen der ausgefallenen Heizung!“, sagte Frau Rößler.

„Vokabeltest?“, fragte Marie Lotte entsetzt.

Lotte nickte. „Hast du nicht gelernt?“

„Nein, ich habe mein Wichtelgeschenk gebastelt. Dabei habe ich den Test wohl vergessen!“, jammerte Marie.

Dann ging es auch schon los. Marie wunderte sich. Alle Wörter kamen ihr absolut unbekannt vor. Sie wusste fast keine einzige Vokabel! Jetzt fing sie sogar an zu schwitzen, obwohl sie nur ein T - Shirt trug!

 

„Ich kontrolliere den Test sofort, dann bekommt ihr ihn gleich zurück!“, sagte Frau Rößler.

Marie hätte sich am liebsten in ein Loch verkrochen. Doch das ging leider nicht.

 

Plötzlich hörten die Kinder ein Knacken und dann kam die Durchsage des Hausmeisters: „Die Heizung geht jetzt wieder, gleich wird es überall warm werden!“

Alle waren sehr enttäuscht, denn man hatte schon mit einem frühen Schulschluss gerechnet.

 

Frau Rößler korrigierte wie immer sehr schnell, während die Schüler eine Aufgabe erledigten. Dann rief sie jeden einzeln nach vorne. Als Marie aufgerufen wurde, blickte die Lehrerin sehr streng unter ihrer Brille hervor. Das war kein gutes Zeichen.

 

„Marie, ganz klar, du hast nicht gelernt. Was hast du gestern Nachmittag bloß gemacht? Ihr hattet doch genug Zeit!“

„Ich habe mein Wichtelgeschenk gebastelt!“, stotterte Marie leise.

„Dann kannst du es mir jetzt ja abgeben!", forderte die strenge Lehrerin. Ihre Augen wirkten hinter der dicken Brille groß und unheimlich. Marie hatte furchtbare Angst und fühlte den stechenden Blick bis ins Knochenmark.

„Ich habe es zu Hause vergessen!“, flüsterte Marie. In diesem Moment rutschte der Rollkragenpullover unmerklich auf den Boden und das Loch in der Hose wurde sichtbar. Einige Kinder kicherten leise.

 

Frau Rößler starrte Marie an. Dann fragte sie: "Was hast du da auf der Nase, Kind? Ich glaube, der Pickel hat sich böse entzündet!"

 

Das war zu viel Pech. Blind vor Tränen stürmte Marie hinaus und rannte ziellos durch die Schule. Fast hätte sie den dicken Hausmeister umgerannt, der ihr wütend hinterher guckte. Frau Rößler rief etwas, doch das störte sie nicht. Marie wusste, dass sie sowieso eine deftige Strafarbeit bekommen würde. Da kam es auf das Weglaufen auch nicht mehr an.

 

Was für ein Albtraum!

 

Und der Tag hatte so gut angefangen!

 

 

 

Draußen schneite es heftig und alles sah aus wie im Märchen. Das passte gar nicht zu den schrecklichen Erlebnissen. Marie brauchte dringend frische Luft. Sie lief nach draußen auf den Pausenhof und hockte sich auf die eingeschneite Treppe.

 

Was sollte sie tun?

 

Den nächsten Bus nach Hause nehmen?

Der fuhr erst in vier Stunden.

 

Ihre Mutter anrufen?

Das würde auch nichts bringen, denn die Mutter würde sie ganz bestimmt nicht abholen und sie außerdem  ausschimpfen.

 

Marie saß bewegungslos einfach nur so da und starrte vor sich hin.

"Ich möchte ein Eisbär sein!", dachte sie im Stillen. "Dann hätte ich meine Ruhe!"

 

 

Sie war fast schon ein bisschen eingeschneit, da spürte sie plötzlich eine Kältewelle in sich aufsteigen. Dann war da dieser ziehende Schmerz.

"Blasenentzündung!", schoss es ihr durch den Kopf. Wie oft hatte ihre Mutter ihr gesagt, dass sie sich nicht einfach so auf kalte Stufen setzen sollte.

"Leg immer ein Kissen unter!", hatte die Mutter gesagt. Doch wo sollte sie jetzt ein Kissen hernehmen? Als wenn man immer ein Kissen parat hätte ...

 

In diesem Moment kam jemand die Treppe hoch. Maries Herz schlug schneller.

 

 

Das war doch nicht ...?

 

Das konnte doch nicht ...?

 

Es war tatsächlich Torben aus der siebten Klasse! Maries Gedanken drehten sich im Kreis.

 

Wieso kam er jetzt erst zur Schule? Das war seltsam, aber völlig egal. Vielleicht hatte er einen Termin beim Kieferorthopäden gehabt, da kam man immer erst später.

Torben kam näher und näher. Kaum waren sie auf einer Höhe, da blickte er sie an.

Marie saß wie versteinert da und erlebte alles wie in Zeitlupe.

 

„Frohe Weihnachten, Marie!“, sagte Torben.

 

„Frohe Weihnachten, Torben!“, antwortete Marie.

 

Torben ging weiter und Marie lächelte. Sie spürte Schmetterlinge im Bauch und konnte gar nicht mehr aufhören, versonnen vor sich hinzulächeln. Die Blasenentzündung war plötzlich zur Nebensache geworden.

 

 

Irgendwann rannte sie in das Schulgebäude zurück mit der Gewissheit, dass heute der beste Tag des Jahres gewesen war.

 

 

 

Ein kleiner Zeichenkurs

 

 

 

 

 

 

Lesetipps für die kalte Jahreszeit:

 

 

In diesem Band gehen die Abenteuer mit Lotte und Marie weiter. Die gemeinsame Silvesterparty endet mit einer Katastrophe: Lottes treuer Hund Barth flieht kurz vor Mitternacht panikartig ins Dorf, weil ein Silvesterknaller ihn erschreckt hat. Die Mädchen müssen eine große Suchaktion starten, ohne dass Lottes Vater davon erfährt. Aber überall lauern Gefahren: So trifft Hendrike den schrecklichen Christoph vor der Dorfkirche und erlebt ihr blaues Wunder.

Endlich taut der Schnee weg und die Kinder bauen mit vereinten Kräften ein Baumhaus in Lottes Garten. Doch am nächsten Tag ist es komplett zerstört. Wer ist der geheimnisvolle Baumhauszerstörer? Da kann nur Onkel Kurt helfen.
Pechvogel Lotte bleibt auch nichts erspart. Den 102. Geburtstag von Tristans Oma wird sie wohl nie vergessen.

In dem Buch sind Illustrationen enthalten.

 

 

Hallo liebe Kinder!

 

Ich bin die Weihnachtsmaus Milla. Jedes Jahr, wenn es Weihnachten wird, komme ich auf die Erde und bringe die Geschenke für die lieben Mäusekinder. Das ist ganz schön viel Arbeit, denn ich muss alles alleine machen und habe keine Helfer. Darum fange ich auch immer schon am ersten Oktober an. Ja, ihr habt richtig gehört.

Am ersten Oktober verteile ich meine ersten Geschenke und die Mäusemütter verstauen sie in der Vorratskammer. Mäusefamilien sind in der Regel sehr groß und darum sind es immer sehr viele Geschenke. Ihr fragt euch, was das für Geschenke sind. Es sind kleine Spielsachen oder Käsestangen zum Knabbern. Bücher sind natürlich auch dabei und kleine Puppen für die Mäusemädchen.

 

 

 

 

Lesetipp

 

Weihnachtsgeschichte mit vielen Bildern und Ausmalbildern zum Ausdrucken

 

Rudolph hat es satt. Jedes Jahr an Weihnachten hat er Stress. Er möchte nicht mehr das rotnasige Rentier sein und endlich einmal ein ruhiges Weihnachten verbringen.

Darum verlässt er eines Nachts seinen warmen Stall und zieht hinaus ins kalte Feld.

 

Ob die Entscheidung richtig war?

Die Autorin

 

Dörte Müller, geboren und aufgewachsen im Harz, denkt sich für ihr Leben gern Geschichten aus.

Hat die Sommer ihrer Kindheit an der Ostsee verbracht.

Spielte in ihrer Jugend mit einer Freundin auf Dorffesten Akkordeon.

Hört gerne Hits aus den Achtzigern und Bruce Springsteen.

Findet, dass Santiago de Compostela in Galizien ein magischer Ort ist.

Läuft jeden Tag sechs Kilometer am Rhein entlang. Träumt davon, am Meer zu leben und Aquarelle zu malen.

Impressum

Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2017

Alle Rechte vorbehalten

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