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Charlys Traumreise

 

Die kleine Charlotte wurde von allen nur Charly genannt. Sie war sehr verträumt und malte gerne. Besonders gerne malte sie bunte Vögel.

 

 

 

 

 

Eines Nachts hatte sie ein besonderes Erlebnis, von dem ich euch heute erzählen werde.

Sie war wie immer um acht Uhr ins Bett gegangen. Das war eigentlich viel zu spät, fand die Mama, aber Charly wollte auf keinen Fall früher schlafen gehen. Sie war immer sehr beschäftigt mit ihren Puppen, Stofftieren und mit ihrer Legoeisenbahn. 

Nachdem sie dann endlich alle Puppen und Stofftiere zum Schlafen gelegt hatte, machte sie sich auch fertig und kuschelte sich unter ihre flauschige Decke, die Oma Leni ihr gehäkelt hatte. Die Decke war weich und warm und ganz leicht. Charly fühlte sich beschützt und geborgen. Das war toll.

 

Als sie schon eine Weile geschlafen hatte, passierte etwas. Charly schlug die Augen auf. Irgendein Geräusch hatte sie geweckt. In ihrem Zimmer war es dunkel, doch die Augen gewöhnten sich mit der Zeit an das Schwarze und sie konnte die Umrisse ihrer Spielsachen erkennen. Wie spät es wohl war? Im Haus war es ganz ruhig, kein Laut war zu hören. Die Eltern waren sicher längst im Bett.

Da hatte Charlotte plötzlich Durst auf ein Glas Milch. Vorsichtig krabbelte sie aus dem Bett und tastete nach dem Lichtschalter an der Wand. Sie fand ihn nicht. Egal, sie kannte den Weg. Langsam und ganz vorsichtig drückte sie die Klinke ihrer Kinderzimmertür hinunter. Sie lauschte angestrengt. Wie leise alles war! Dann ging sie die Treppe herunter. Die Stufen fühlten sich kalt an. Doch, was war das? Charly schrie auf. Sie war auf etwas Warmes und Weiches getreten! Augenblicklich wusste sie, was es war.

 

 

„Minka!“, rief sie und die Katze sprang davon. Weiter ging es. Gleich war sie in der Küche. Der Kühlschrank brummte und der Mond schien durch das Fenster. Charlys Herz klopfte wie wild. Es war ein richtiges Abenteuer, nachts Milch zu trinken!

Schnell hatte sie den Kühlschrank geöffnet. Das grelle Licht tat in ihren Augen weg. Endlich, der Milchkarton. Charly trank direkt aus der Packung. Herrlich! Da stand ja auch der Schokokuchen vom Nachmittag. Sie und ihre Eltern hatten ein Teil davon gestern im Garten unter dem Apfelbaum gegessen. Er hatte so lecker geschmeckt! Plötzlich spürte sie Hunger.

„Es wird keiner merken, wenn ich mir ein Stück nehme!“, dachte sie.

Als sie das Kuchenstück gegessen hatte, machte sie sich auf den Rückweg durch das dunkele Haus. Nach einigen Minuten lag sie wieder im Bett und war irgendwie stolz , dass sie alles geschafft hatte. Leider konnte sie jetzt nicht mehr einschlafen. Sie probierte es mit Schafezählen, doch das klappte auch nicht.

 

 

 

Dann stellte sie sich ihren besten Kindergeburtstag vor und hoffte, dass sie einen schönen Traum haben würde. Leider klappte auch das nicht.

„Dann muss ich wohl noch ein bisschen spielen!“, dachte sie und ging wieder die Treppe hinunter.

 

 

Es war eine warme Sommernacht und Charly ging hinaus in den Garten. Eine Grille zirpte und die Zweige des alten Kastanienbaumes rauschten leise im Wind. Es war alles friedlich und still. Irgendwo im Dorf krähte ein Hahn und ein anderer Hahn antwortete. Charly hatte plötzlich eine Idee. Sie lief zu ihrer Schaukel, die an einem Ast des Kastanienbaumes hing. Mit einem Satz sprang sie hinauf und nahm kräftig Anschwung. Dann schaukelte sie in die Nacht und hatte das Gefühl, dass ihre nackten Füße die Sterne berühren würden. Sie spürte den Nachtwind auf ihrem Gesicht und ein tolles Kribbeln im Bauch.

„Nachts zu schaukeln ist irgendwie viel schöner als am Tag!“, ging es ihr durch den Kopf.

 

Allmählich wurde es hell und Charly hatte das Gefühl, dass sie schnell in ihr Zimmer zurück schleichen sollte, den sonst würde es bestimmt Ärger geben. Niemand hatte ihren nächtlichen Ausflug bemerkt. Endlich konnte sie einschlafen. Sie lächelte im Schlaf und nahm sich vor, morgen Nacht noch einmal in den Garten zu gehen. Dann träumte sie ihren schönsten Traum von tausend Sternen, die vom Himmel auf sie herabregneten.

 

 

Wenig später stand der Vater in der Küche. Er hatte Durst auf ein Glas Milch, doch der Karton war leer. Auch von dem leckeren Kuchen war kaum noch etwas übrig.

„Seltsam!“, dachte er und ging hinaus in den Garten.

 

 

 

Die Schaukel seiner Tochter wiegte sich leicht im Abendwind. Übermütig sprang er auf das Brett, doch leider war er zu schwer und das Seil riss. Unsanft landete er auf dem Boden, alles tat ihm weh.

„Gut, dass morgen Sonntag ist, da habe ich Zeit, alles zu reparieren!“, dachte er. In diesem Moment sprang ihm etwas Weiches und Warmes in das Gesicht und kratze ihm quer über die Nase.

„Minka!“, schrie er ärgerlich und machte sich auf den Weg zurück in sein Bett. Leise deckte er sich zu.

Seine Frau knipste verärgert das Licht an.

„Du hast mich geweckt, es ist vier Uhr morgens! Was fällt dir ein! Wie siehst du eigentlich aus?“, schimpfte sie.

 

Der Vater konnte lange nicht seinen Schlaf finden. Er nahm sich vor, nie wieder nachts im Garten herumzuschleichen. Dann schlief er ein und träumte von einem Tiger, der hinter einem Busch auf ihn lauerte.

 

 

Impressum

Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2017

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