1. Angebunden
2. Ein Engel kommt zum Dinner
3. Es duftet nach Rosen
4. Ausgerechnet Weihnachten
5. Weihnachtswichteln
6. Der Tag, an dem der Osterhase, die Zahnfee ...
7. Gibt es noch mehr?
8. Der Elch im Klassenzimmer
9. Wann wird es endlich Weihnachten?
10. Das Licht
11. Schwanenhimmel
12. Schritte in der Nacht
13. Der kleine Weihnachtsengel
14. Da brennt ein Licht
Ich saß im Bus und starrte gelangweilt auf die vorbeiziehende Landschaft. Es schneite dicke Flocken, der Schnee blieb bereits liegen. In drei Wochen war schon Weihnachten. Die Zeit verging einfach viel zu schnell. Noch ungefähr zwei Kilometer, dann würde ich endlich zu Hause sein. Vor drei Tagen war ich achtzehn geworden und hatte das heute gleich ausgenutzt, um mir selber eine Entschuldigung für den lästigen Sportunterricht zu schreiben.
Sehr geehrte Frau Wortmann,
leider kann ich heute nicht am Sportunterricht teilnehmen, da ich starke Bauschschmerzen habe.
Mit freundlichen Grüßen
Emily Hermann
Die Lehrerin hatte mich skeptisch angesehen und sich wahrscheinlich gedacht, dass die Bauchschmerzen nur eine faule Ausrede waren, um nicht an der rhythmischen Sportgymnastik teilnehmen zu müssen.
Der Bus war wie immer rappelvoll. Die jüngeren Schüler nervten durch Geplapper und Geschrei. Einige Sitze vor mir saß Kai aus dem Nachbardorf. Er war meine große Liebe, doch er hatte mich noch nie beachtet. Wieso auch? Ich war eine graue Maus, die immer in Deckung ging. Und doch hörte ich nie auf zu träumen. Eine besonders dicke Schneeflocke klatschte an das Busfenster und rutschte langsam herunter. Sie sah aus wie ein Eiskristall und glitzerte wunderschön. Ich starrte sie an und wünschte mir etwas. Ich wünschte mir, dass Kai mich in die Arme nehmen würde. Gleichzeitig wusste ich, wie lächerlich das alles war. Ich war achtzehn und glaubte an die Wunderkräfte von Schneeflocken! Wie peinlich war das denn!
Endlich war der Bus an der Haltestelle angekommen. Ich wollte aufstehen, doch irgendetwas zog mich nach hinten. Ich versuchte es noch einmal. Schließlich drehte ich mich um und erkannte, dass meine Jacke fest hing. Und nicht nur das: Ein frecher Fünftklässler hatte anscheinend während der Fahrt mit den Kordeln meiner Jacke unzählige kleine Knoten gemacht und mich am Sitz festgebunden. Der Junge und seine Freunde lachten laut. Ich bekam Panik, denn die Bustür ging schon wieder zu.
„Ich bin festgebunden! Warten Sie noch kurz!“, rief ich hysterisch dem Busfahrer zu. Augenblicklich wurde es still, alle Schüler drehten sich neugierig zu mir um. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Was musste Kai jetzt von mir denken? Doch der Busfahrer kannte keine Gnade.
„Tut mir leid, aber ich muss weiter!“, sagte er durch das Mikrophon und gab Gas.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich endlich alle Knoten auf und war befreit. Das euphorische Getrampel und Gejohle im Bus nahm kein Ende. Der pausbäckige Junge grinste mich frech an. Seine Zahnspange funkelte im Sonnenschein, er sah aus wie ein kleines Monster. Und dann passierte es. Ich holte aus und gab dem Jungen eine Backpfeife, dass es nur so klatschte. Augenblicklich fühlte ich mich besser.
Der Bus hatte das nächste Dorf erreicht und hielt an. Das Schauspiel war vorbei. Die Bustür öffnete sich und ich stieg mit erhobenem Kopf, ohne nach rechts und links zu blicken, aus. Bevor der Bus abfuhr, hörte sie noch, wie die Schüler Beifall klatschten. Gerade als ich mein Handy aus der Tasche holen wollte, um meine Mutter anzurufen, tippte mir von hinten jemand auf die Schulter und sagte:
„Coole Aktion!“ Kai war gleich hinter mir ausgestiegen und lächelte mich an. Mir fiel vor Schreck das Handy aus der Hand. Kai bückte sich und hob es auf.
„Wie kommt es, dass du schon so früh aus hast?“, fragte er neugierig.
„Ich, äh, habe mir heute selber eine Entschuldigung für Sport geschrieben!“, erzählte ich und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Bist du denn schon achtzehn?“, fragte Kai interessiert nach. Um uns herum tobte inzwischen ein kleines Schneegestöber, doch das störte mich nicht im Geringsten. Ich konnte das hier alles nicht fassen. Es war der pure Wahnsinn.
„Ja, ich hatte vor drei Tagen Geburtstag!“, antwortete ich mit klopfendem Herzen.
„Alles Gute nachträglich!“, sagte Kai lächelnd und nahm mich dabei zärtlich in die Arme.
Die alte Frau saß traurig in ihrem Lehnstuhl und betrachtete ihre faltigen Hände. Das laute Ticken der alten Wanduhr nahm sie schon seit 40 Jahren nicht mehr wahr. Vergilbte Fotos hingen an den Wänden, verrutscht im Fotorahmen und vollkommen schief. Eine dicke Staubschicht hatte sich auf den Schränken gebildet – wozu sollte sie noch sauber machen? Gestern hatte auch noch der jüngste ihrer drei Söhne den Besuch am Weihnachtsfest abgesagt. Den Grund hatte sie schon wieder vergessen. Eigentlich war es auch egal. Er kam nicht. Genau wie seine Brüder. Der eine lebte weit weg in Amerika.
„Nur für ein paar Tage so eine lange Reise zu unternehmen, das lohnt sich doch gar nicht!“, hatte er ihr erklärt und versprochen, auf der nächsten Dienstreise nach Köln bei ihr vorbeizuschauen. Sie wusste, wie das ablaufen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2016
ISBN: 978-3-7396-8235-8
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die dem Weihnachtsstress entkommen wollen.