Glück ist Liebe, nichts anderes.
Wer lieben kann, ist glücklich.
(Hermann Hesse)
„Ich muss nur noch mal kurz in den Baumarkt, bin gleich wieder da!“, sagte mein Freund Olaf und fuhr rasant auf den übervollen Parkplatz. Ich schluckte. „Aber beeil dich! Wir wollen doch ins Kino!“, rief ich ihm hinterher. Doch diesen Satz hörte er schon nicht mehr. Der hell erleuchtete riesengroße Baumarkt hatte meinen Freund schon in seinen Bann gezogen. Ich war verlassen und allein in unserem Auto zurück geblieben.
Heute war ein ganz besonderer Tag. Wir waren nun schon drei Jahre zusammen und hatten uns vorgenommen, diesen Anlass auf ganz besondere Weise zu feiern. Erst wollten wir uns im Kino einen Film ansehen und dann hatten wir geplant, irgendwo romantisch Essen zu gehen und Wein zu trinken.
Es fing an zu schneien und mir wurde langsam kalt im Auto. Sollte ich nicht lieber im Baumarkt auf meinen Freund warten? Andererseits hasste ich Baumärkte. Dort gab es nichts, aber auch gar nichts, für das ich mich interessierte. Weder die Kloschüsseln noch die unzähligen Schrauben und Bretter oder die endlosen Teppichrollen konnten mein Interesse wecken.
Schließlich wurde es mir im Auto aber doch zu kalt. Wir hatten noch 20 Minuten Zeit, dann würde der Film beginnen. Allzulange durfte Olaf also nicht durch die Gänge schlendern und sich irgendwelche Unterlegscheiben ansehen.
Während ich widerwillig auf den Baumarkt zuging, stellte sich mir plötzlich die Frage, was Olaf eigentlich im Baumarkt wollte. Andererseits brauchte er ständig etwas aus dem Baumarkt, irgendein Teil schien ihm immer zu fehlen. Meistens waren es Gegenstände, von denen ich noch nie gehört hatte und deren Namen mir vollkommen unbekannt waren. So hatte ich irgendwann einmal aufgehört nachzufragen. Und das war gut so.
Im Baumarkt war es im Gegensatz zum Auto angenehm warm. Ich entschied mich dazu, vorne an den Kassen stehen zu bleiben. Sonst würden wir uns womöglich noch verfehlen und die Katastrophe wäre komplett. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und hielt nach Olaf Ausschau. Er war noch nicht an den Kassen und schien sich noch irgendwo im hinteren Teil des Marktes zu befinden. Ich seufzte.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, wurde ich plötzlich angesprochen.
Neben mir stand ein pickliger Mitarbeiter, der wahrscheinlich gerade sein Schülerpraktikum absolvierte und die Leute ansprechen musste. Er trug einen dieser roten Kittel und eine dicke Hornbrille, so wie sie heute komischerweise wieder modern sind.
„Nein, ich warte nur auf jemanden!“, gab ich genervt zur Antwort. Der Junge lachte. „Na dann, viel Glück!“, meinte er und schlurfte davon. Idiot! Ich sah auf die Uhr. Nur noch zehn Minuten. Was sollte ich tun? In dem kleinen Fernseher, der neben mir stand, wurde gerade ein Video gezeigt, wie man ein Waschbecken fachgerecht einbaut. LANGWEILIG! Wieso liefen hier nicht unterhaltsame Filme, Sketche von Loriot oder wenigstens die Nachrichten? Meinetwegen könnten sie auch „Hör mal, wer da hämmert!“ zeigen! Es gab doch so viele Möglichkeiten, etwas zu verbessern! Aber keiner schien ein wirkliches Interesse daran zu haben.
Schließlich entschied ich mich doch, die Gänge nach Olaf abzusuchen. Irgendwo musste er doch stecken. Wahrscheinlich hatte er ganz vergessen, dass wir ins Kino wollten und vielleicht war es sogar noch schlimmer und er hatte unseren Jahrestag vergessen, obwohl wir ihn bereits geplant hatten. Das wäre entsetzlich!
Irgendwo wurden Bretter zersägt – grelles Neonlicht flimmerte über mir.
„Ein Mitarbeiter bitte zum Sanitärbereich!“ , hallte es durch die Lautsprecher. Ich fragte mich, wie es wohl sein müsste, hier zu arbeiten. Ob die Mitarbeiter auch selber alle Heimwerker waren?
Systematisch lief ich die Gänge ab. Langsam wurde ich panisch. Wo steckte Olaf nur? Das konnte, das durfte einfach nicht wahr sein! Wir hatten doch Jahrestag!
„Achtung!“, schrie plötzlich eine Männerstimme. Dann wurde ich von hinten gepackt und zur Seite gezogen. Ein Gabelstapler rauschte an mir vorbei. „Das war knapp!“, sagte jemand. Ich drehte mich um und blickte wieder in das grinsende Gesicht des pickligen Jünglings. „Jetzt hast du eine gute story für deine Praktikumsmappe!“, sagte ich und fand mich unglaublich witzig. Der junge Mann sah mich verdutzt an. „Wieso Praktikumsmappe? Ich bin der Filialleiter!“ Mein Herz sackte mir bis in die Hose und hörte für einige Sekunden auf zu schlagen. Wie tief konnte ich noch sinken? Wie schlimm konnte es noch werden? Hier stand ich nun an unserem Jahrestag in einem grässlichen Baumarkt und hatte mich soeben bis auf die Knochen blamiert. Mir schossen die Tränen in die Augen und mir wurde urplötzlich irgendwie schlecht.
Da ertönte plötzlich wieder eine Stimme aus den Lautsprechern: „Sarah, ich liebe dich. Willst du meine Frau werden? Dann komm sofort in den Sanitärbereich!“
Es war an einem Samstag im März um 19 Uhr. Aufgeregt stand ich vor dem Spiegel und machte mich fertig. Es war mein erstes date nach einem Jahr, ich war es gar nicht mehr gewohnt, mich für jemanden richtig schön zu machen.
Ich hatte Nils auf der Plattform „date smart“ kennen gelernt und wir hatten drei Monate miteinander e – mails ausgetauscht. Dabei hatten wir uns immer besser verstanden: Wir schwärmten beide für Schillers Dramen und liebten Rotwein über alles. Ich las seine witzigen mails mit Begeisterung, sie hellten meine tristen Tage deutlich auf.
Endlich hatten wir den Mut gehabt, uns einmal richtig zu verabreden. Treffpunkt war die Haltestelle „Stadion“. Dort wollten wir mit der Linie eins in die Innenstadt zum Theater fahren und uns Schillers „Räuber“ ansehen. Ich hatte keine Ahnung, wie Nils aussah, darum hatten wir Erkennungszeichen vereinbart: Er sollte eine Jeans und eine Globetrotterjacke tragen, ich einen schwarzen Rock und einen Mantel.
Ich war wieder einmal sehr früh fertig und machte mich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Es war noch recht kühl und ich fror in meinen schwarzen Stöckelschuhen. Halb so wild, bald würde ich im Theater sitzen, neben meinem Traummann. Diese Aussicht ließ mich meine Eisfüße schnell vergessen. Ich wollte zwanzig Minuten früher am Ziel sein, damit ich auf jeden Fall die Erste war und innerlich etwas ruhiger wurde. Doch was musste ich sehen? Auch er war schon da. Stand lässig an der Laterne und lächelte zu mir herüber.
Ich wandelte wie auf Wolken – ganz klar: Genauso hatte ich ihn mir vorgestellt: Ca. 1.80 groß, dichte, schwarze Locken. Meine Aufregung war augenblicklich verschwunden.
„Hi!“, lächelte ich ihn an.
„Hi!“, antwortete er ebenso lächelnd. Was für tolle Grübchen er hatte ...!
Die Bahn kam und wir stiegen gemeinsam ein. Zum Glück waren noch viele Plätze frei und wir konnten nebeneinander sitzen. Wir brauchten gar nicht viel zu sagen, wir hatten uns ja so viel schon per mail erzählt. Ich wusste praktisch alles über ihn und er über mich. Daher saßen wir wie zwei alte Freunde in der Bahn und lächelten uns ab und zu an.
„Ich freue mich schon auf die Räuber!“, sagte ich schließlich, um ein kleines Gespräch anzufangen. Er runzelte die Stirn und lächelte wieder so süß. Doch er schwieg und starrte wieder aus dem Fenster. Er hatte mir oft geschrieben, dass er sehr schüchtern ist. Aber genau das mochte ich an ihm.
Endlich hielt die Bahn am Theater. Ich sprang auf und er lächelte wieder.
„Wir sind da!“, sagte ich, denn ich wunderte mich, dass er nicht mit aufstand.
„Wo?“, fragte er verwirrt.
„Am Theater!“, erklärte ich ihm.
„Ich fahre ins Kino!“, entgegnete er.
Wollte er mich auf die Probe stellen? Wusste er nicht mehr, was wir abgesprochen hatten? Ich war ein wenig verwirrt. Doch er sah mich ebenfalls verwirrt an und lächelte so süß. Männer ...! Immer müssen sie ihren Willen durchsetzen und immer wissen sie auch genau wie. Also gab ich nach.
„Welchen Film willst du denn sehen?“, fragte ich. Inzwischen war die Bahn weitergefahren und ich hatte mich wieder hingesetzt.
„Den neuen Bond!“, sagte er und sah mich dabei merkwürdig an.
„Na gut, wenn du es so entschieden hast ...!“, stieß ich hervor. Ich war schon etwas enttäuscht, denn ich hatte mich ja so auf „Die Räuber“ gefreut. James Bond
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2016
ISBN: 978-3-7396-9300-2
Alle Rechte vorbehalten