Cover

Spurlos verschollen

 

Immer wieder

schleichen sie

durch deine Träume

 

Du hörst sie

jede Nacht

wenn sie kommen

doch du kannst sie nicht sehen

denn sie haben kein Gesicht

 

Doch sie haben Hände

mit denen sie greifen

immerzu

nach Dir

 

Es ist zwecklos

zu rennen

sie sind schneller

sie kommen wieder

jede Nacht

 

 

 Es wurde langsam dunkel. Ariane und Tom standen eng umschlungen auf ihrem kleinen Balkon, hielten ein Sektglas in der Hand und starrten in den Abendhimmel. Leichte Flocken fielen vom Himmel, überall gingen die Lichter an.

„Eigentlich war es doch ganz schön hier, besonders zur Weihnachtszeit hat es mir immer gut gefallen!“, flüsterte Ariane und blickte wehmütig auf die gepackten Umzugskartons, die sich hinter ihnen im Wohnzimmer auftürmten. „Ja!“, stimmte Tom ihr zu.„Aber es ist gut, einen neuen Anfang zu machen. Besonders, weil wir jetzt endlich die Green Card haben! Heiligabend blicken wir dann auf den Michigansee, ist das nicht wunderbar!“ Doch Ariane seufzte und wischte sich heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Als Tom und sie vor einigen Monaten an der Green Card Lottery teilgenommen hatten, hätte sie nie im Traum daran gedacht, dass ausgerechnet sie gewinnen könnte. Tom, als ihr Ehemann, hatte damit natürlich auch gewonnen. Dabei war Ariane sich gar nicht so sicher, ob sie überhaupt in den USA leben wollte. Eigentlich war es immer Toms Wunsch gewesen. Oft hatte er ihr von Chicago vorgeschwärmt: vom Michigansee, von der grandiosen Aussicht vom Sears Tower, von der Offenheit der Amerikaner. Ariane war noch nie im Ausland gewesen. Alles Neue machte ihr Angst. Sie liebte feste Gewohnheiten und wiederkehrende Rituale. So hätte sie immer auf Mallorca den Sommerurlaub verbringen können und im Herbst in der Eifel wandern können.

Doch Tom wollte immer etwas Anderes sehen. Neue Orte entdecken, neue Kontinente erobern. Ihm zu Liebe hatte sie immer alles mitgemacht: Sie war durch Lappland gewandert, durch die Fjorde Alaskas gepaddelt und hatte tagelang im Basislager vom Mount Everest geduldig auf ihn gewartet. Nie hatte sie verlauten lassen, dass ihr etwas nicht so gefallen hatte. Sie hatte sogar Fotobücher über jeden Urlaub erstellt und unzählige Reisetagebücher geschrieben.

Wie sollte sie Tom jetzt ihre Zweifel gestehen? Sie hatte das Gefühl, dass es zu spät dafür war.

Tom war seit Wochen wie umgewandelt, sprach von nichts anderem mehr als von seinem Amerikatraum, der endlich Wirklichkeit zu werden schien. Er wollte in Chicago als importer/exporter arbeiten. Wie das genau funktionieren sollte, wusste Ariane nicht. Angeblich kannte er dort jemanden, der ihm unter die Arme greifen wollte. Ariane sollte anfallende Sekretärinnenaufgaben erledigen. Dabei war sie noch nicht einmal in der Lage, eine Einkaufsliste zu erstellen ...

 

Ariane war sich im Zweifel, ob das neue Leben auf dem anderen Kontinent überhaupt das richtige für die war. Eigentlich wollte sie lieber in ihrem kleinen Blumenladen an der Ecke der Straße arbeiten. Sie liebte ihre Pflanzen und sprach jeden Tag mit ihnen. Tom lachte darüber, wenn sie ihm davon erzählte. Dann fühlte sie sich klein und dumm und unbedeutend. Sie fühlte sich wie eine graue Maus, die keine eigene Meinung und keine großartigen Zukunftspläne hatte. Tom war immer der, der alles wusste und der alles konnte. Wieso er ausgerechnet sie und nicht eine von seinen Glamourfrauen geheiratet hatte, war ihr schon immer ein Rätsel gewesen.

Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden. Die ersten Sterne blitzten auf. Ariane erkannte den großen Wagen und freute sich wie sie sich jedes Mal freute, wenn sie ihn entdeckt hatte.

 

„Schau, der große Wagen!“, rief sie fast euphorisch wie ein Kind, das sich freut, wenn es die ersten Schneeflocken im Jahr sieht. Der Sekt war ihr zu Kopf gestiegen. Tom nahm Ariane in die Arme. Wie hübsch sie aussah mit ihren glühenden Wangen und den dunklen schwarzen Haaren, die ihr in leichten Wellen auf die Schulter fielen. „Ein letztes Mal, dass wir ihn von Deutschland aus sehen!“, flüsterte er ihr ins Ohr und füllte die leeren Sektgläser ein drittes Mal.

 

Gerade wollte er wieder mit Ariane anstoßen, da leuchtete ein Stern besonders hell. Ariane konnte ihren Blick nicht von ihm wenden. „Meinst du, ob es dort oben Leben gibt?“, fragte sie gedankenverloren. „Was für eine dusselige Frage!“, raunte Tom verärgert. Er hasste es, wenn Ariane solche Themen ansprach. Doch Ariane fuhr unbeirrt fort. „Was denkst du, beobachten sie uns?“ Diese Seite an ihr gefiel ihm überhaupt nicht. Ariane las regelmäßig ihr Horoskop, sie sah Zeichen in irgendwelchen Bleiklumpen und philosophierte oft über ein Leben auf anderen Sternen.

Ariane ignorierte den schroffen Ausspruch ihres Mannes. „Ich glaube irgendwie, dass wir nicht alleine im Universum sind!“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Mann. Tom leerte sein Glas in einem Zug und ging zurück in die ausgeräumte Wohnung.

Der Stern war unterdessen noch heller geworden. Ariane wunderte sich. War das ein Flugzeug? Das merkwürdige Ding bewegte sich langsam aber sicher auf sie zu. Es schien zu brennen.

„Tom, komm schnell, irgendetwas stimmt da nicht am Himmel!“, rief sie aufgeregt. „Da ist irgendeine Explosion, ein Stern explodiert! Ein brennender Stern kommt direkt auf uns zu!“ „Hör auf zu spinnen und leg dich zu mir!“, antwortete Tom genervt. Doch Ariane war sich inzwischen ganz sicher, dass sie gerade Zeuge einer ungewöhnlichen Erscheinung am Himmel geworden war. Auf so einen Moment hatte sie schon lange gewartet.

„Tom, ich sehe ein Sternenfeuer!“, schrie sie entsetzt und aufgeregt zugleich.Tom interessierte das immer noch nicht. Dafür kannte er seine Ariane zu gut. Schon oft hatte sie aus einer Mücke einen Elefanten gemacht und Kleinigkeiten zu großen Staatsaffären

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 17.04.2016
ISBN: 978-3-7396-5792-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die nachts nicht schlafen können.

Nächste Seite
Seite 1 /