Cover

Der Traumprinz, der zum Laubfrosch wurde

 

 

Ein Frosch mit genug Kröten wird verdammt schnell zum Prinz.

(Claudio M. Mancini)

 

 

21 Uhr 30. Schon wieder so spät. Ich bringe meine zehnjährige Tochter ins Bett und decke sie sorgfältig zu.

„Schlaf gut!“, flüstere ich, gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und will mich aus dem Zimmer schleichen. Ich bin noch nicht ganz aus der Tür, da ruft sie mich schon zurück. Das macht sie jedes Mal.

„Mami!“ Ich zucke zusammen. „Heute gibt es keine Gute – Nacht – Geschichte mehr! Es ist schon wieder so spät geworden!“, erkläre ich ihr mit fester Stimme. Ich werde mich auf keine Diskussionen einlassen, denn morgen geht schließlich die Schule wieder los. Ich gehe aus dem Zimmer. Geschafft!

„Mami, wann warst du eigentlich das erste Mal so richtig verliebt?“ Ich erstarre. Mit so einer Frage habe ich überhaupt nicht gerechnet.

„Erzähle ich dir morgen Nachmittag!“, versuche ich mich herauszureden.

„Ich muss es jetzt wissen!“, beharrt Julia und sieht mich mit großen Augen an. Ich seufze. „Also gut! Rutsch zur Seite!,“ sage ich und lege mich zu ihr ins Bett.

„Ich erzähle dir das Märchen vom Traumprinzen, der zum Laubfrosch wurde.“

„Erzähl, wie es wirklich war. Ich bin zu alt für ein Märchen!“

„Man ist nie zu alt für ein Märchen! Also, hör gut zu ...“ 

 

 

„Es war im Sommer 1985, ich war gerade zwölf Jahre alt geworden und ging in die sechste Klasse einer Orientierungsstufe. Die Schule war riesig und ich fühlte mich manchmal ganz klein und verloren. Zum Glück war ich mit Julia befreundet. Sie war meine beste Freundin seit der ersten Klasse. Damals in der Grundschule hatten wir uns gleich am ersten Schultag kennen gelernt und zusammen einen Elefanten geknetet. Sie war damals neu in unser Dorf gezogen und ich hatte ihr alles gezeigt, was es zu sehen gab: den Holzspielplatz, den Einkaufsladen und den Frisör. Natürlich auch die unzähligen Bauernhöfe. Am liebsten spielten wir draußen, waren oft mit den Rädern in der Feldmark unterwegs. So war es auch am letzten Tag der Sommerferien 1985. Wir waren mit den Rädern bis vor den Waldrand gefahren, hatten eine große Decke dabei, Brötchen und Nutella.

Wir schauten auf unser Dorf, sahen die weißen Wölkchen vor einem knallblauen Himmel ziehen und dachten über unsere Zukunft nach.

 

„Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“, fragte Julia. Ich zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Auf jeden Fall möchte ich heiraten und drei Kinder haben!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Ich hatte sogar schon Namen für sie. „Meine Kinder sollen Julia, Thomas und Anton heißen!“, erzählte ich weiter. Julia musste lachen. „Julia? Du benennst ein Kind nach mir? Das finde ich ja toll! Dann mache ich das natürlich auch. Meine Kinder sollen Monika, Isabella und Rosalinde heißen!“, erklärte sie mir. „Und wir wohnen gleich nebeneinander!“, fuhr ich fort. „Oder im selben Haus! Ich wohne oben!“, rief Julia. „Nein, ich wohne oben!“, schrie ich. „Na gut. Dann wohnst du eben oben!“, gab Julia nach.„Bevor wir in das Haus ziehen, will ich aber noch für einige Monate nach Amerika!“„Was willst du denn da?“, fragte ich erschrocken. Ich konnte mir ein Leben ohne Julia überhaupt nicht vorstellen.„Vielleicht studieren oder arbeiten. Ich möchte so gerne viel von der Welt sehen. Du nicht?“ „Keine Ahnung. Mir gefällt es hier eigentlich ganz gut!“

Wir schwiegen eine Weile und bissen in unsere Nutellabrötchen. Eine Biene summte, irgendwo in der Ferne ratterte unermüdlich ein Trecker.

 

 

„Unsere Männer sind auch die besten Freunde und wir grillen jeden Samstag!“, nahm Julia das Gespräch wieder auf. „Und sonntags laden wir euch zum Schwimmen ein. Wir haben nämlich einen Pool im Garten!“, fuhr ich fort. „Wir haben auch einen Pool und ein Trampolin!“, ergänzte Julia. „Habt ihr auch Hunde?“, wollte ich wissen. „Ja, zwei. Einen Dackel und einen Schäferhund!“, antwortete Julia. „Wir haben einen Bernhardiner und einen Labrador. Unsere Hunde sind natürlich mit euren Hunden befreundet!“ „Auf jeden Fall!“„Was glaubst du, wann die Zukunft anfängt?“, fragte Julia schließlich. Ich sah sie verwundert an. „Vielleicht schon morgen, gleich nach den Sommerferien!“, vermutete ich.

„Dann sind wir doch erst in der sechsten Klasse! Ich glaube, dass die Zukunft erst anfängt, wenn wir ungefähr 18 Jahre alt sind!“, meinte Julia. Irgendwie machte mir die Zukunft ein bisschen Angst. Von zu Hause wegziehen, neue Freunde finden, arbeiten oder studieren ... wer wusste schon, was da alles auf uns zukam. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Aber eine Sache ließ mir in letzter Zeit keine Ruhe.

„Julia, warst du schon mal richtig verliebt?“, fragte ich leise.

„Ja, weißt du doch. In Steffen, den Freund von meinem großen Bruder.“

„Warum seid ihr eigentlich nicht mehr zusammen?“, wollte ich wissen. Ich hatte Julia nie danach gefragt und war nur froh, dass sie wieder mehr Zeit für mich hatte.

„Ich fand es einfach langweilig, ihm ständig beim Fußball zuzusehen. Außerdem war die erste Verabredung mit ihm eine Katastrophe: Ich musste die Eisbecher bezahlen und dann hat er sich an einem Kiosk noch eine Pferdewurst geholt!“ Ich starrte Julia entsetzt an. Julia sah plötzlich ganz ernst und erwachsen aus. „Und ich liebe Pferde über alles ...!“ , fügte sie mit tiefer Stimme hinzu. Das mit der Pferdewurst hatte sie mir noch nie erzählt! Wie eklig konnten Jungs sein! Julia erzählte vom Schlussmachen, als wäre es die einfachste Sache der Welt. „... als Steffen mir dann zum Geburtstag ein Batterieaufladegerät geschenkt hatte, brach für mich eine Welt zusammen. Wie gerne hätte ich eine Kette gehabt oder wenigstens einen kleinen Anhänger! Ich habe ihm einfach gesagt, dass ich jetzt Schluss mache. Er hat mit den Schultern gezuckt, hat sich umgedreht und ist gegangen!“

Tief beeindruckt hatte ich ihr zugehört. So offen hatten wir noch nie über ihre Beziehung mit Steffen gesprochen. Ich fand, dass Julia mir eine Menge voraus hatte, auch wenn das Zusammengehen mit Steffen nur drei Wochen gedauert hatte. Sie hatten sich bestimmt auch geküsst, da war ich mir ganz sicher. Aber fragen wollte ich Julia danach lieber nicht.

„Ich wäre auch so gerne mal verliebt!“, platzte es aus mir heraus. „Wie merkt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Dörte Müller
Bildmaterialien: Dörte Müller
Cover: Dörte Müller
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2016
ISBN: 978-3-7396-4009-9

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /