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Kapitel 1 - Der Umzug

“Bist du dir wirklich ganz sicher?”, fragte mich Mum jetzt schon zum zehnten Mal.

„Ja, Mum, bin ich“, versicherte ich ihr lächelnd.

„Aber du hast deinen Bruder jetzt schon ziemlich lange nicht mehr gesehen“, warf sie zögernd ein.

„Mum, Ryan und ich haben oft telefoniert oder geschrieben. Ich kenne ihn besser als je zuvor“, erwiderte ich. Sie musste ja nicht wissen, dass wir nur ungefähr einmal pro Monat Kontakt hatten.

„Und was ist, wenn du dich bei deinem Vater nicht wohlfühlst?“

„Das werde ich sicher! Mum, ich bin nur drei Stunden Autofahrt von hier fort. Außerdem hab ich mir das selbst ausgesucht, schon vergessen?“, fragte ich.

„Du gehst aber nicht, weil Michael und ich gerade geheiratet haben, oder? Du darfst nicht glauben, dass wir jetzt keinen Platz mehr für dich haben! Du hast immer einen Platz bei uns im Haus und wir würden uns auch total freuen, wenn du mit uns in Michaels Haus ziehen würdest!“, verkündete meine Mum ängstlich.

„Natürlich weiß ich das“, versicherte ich ihr und schlang meine Arme um sie.

„Ich will noch etwas Zeit bei Dad verbringen, bevor ich ins Ausland gehe und ich freue mich auch schon wieder auf Ryan“, erklärte ich ihr.

Meine Eltern hatten sich getrennt, als ich acht war und mein älterer Bruder ist damals bei Dad geblieben, während ich mit Mum weggezogen bin. Und jetzt, neun Jahre später, hat Mum wieder geheiratet. Ihren Mann Michael hat sie schon vor vier Jahren kennen gelernt und während dieser Zeit hatte ich auch schon zwei neue Geschwister bekommen. Die Zwillinge Sarah und David sind letzte Woche zwei Jahre alt geworden und befinden sich derzeit in einem sehr anstrengenden Alter. Aber ich liebte die beiden. Jetzt, wo Mum wieder geheiratet hat und zu Michael ziehen will, fühle ich mich irgendwie überflüssig. Michael hat nämlich auch zwei Kinder. Jason ist achtzehn und Sarah wird nächsten Monat fünfzehn. Und mit vier Geschwister in einem kleinen Haus zu wohnen will ich mir nicht einmal vorstellen. Außerdem müsste ich mir ein Zimmer mit Sarah teilen, da sich die Raumaufteilung sonst nicht ausgehen würde. Es ist nicht so, dass ich Sarah nicht mögen würde, sie ist nur ein bisschen anstrengend mit der Zeit. Klar, sie ist nur zweieinhalb Jahre jünger als ich, aber sie hat einfach etwas zickiges an sich, dass ich nicht ausstehen kann. Und ich will wirklich nicht, dass jedes Wochenende ein dutzend kreischende Teenager bei mir im Zimmer übernachten.

„Na gut, okay. Du musst aber immer daran denken, dass du jederzeit willkommen bei uns bist! Und du musst uns ganz oft besuchen kommen!“, schluchzte sie.

Ach Mum.

„Natürlich werde ich das! Wenn ich mich nicht wohl fühle, komm ich sofort wieder zurück. Aber ich glaube, auch Dad freut sich, dass ich jetzt für einige Zeit bei ihm wohne. Ich hab ihn ja fast nicht gesehen in der letzten Jahren“, warf ich ein.

Mum nickte nur und wischte sich die Tränen von der Wange.

Sie sah älter aus, wenn sie weinte. Einige ihrer dunkelblonden Haare hatten sich aus dem Haargummi gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Auch ihre Wimperntusche hatte sich bereits verschmiert und zwei schwarze Streifen zierten ihr Gesicht. Aber genauso liebte ich meine Mum. Chaotisch.

„Okay, geht schon wieder“, schniefte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen.

„Vielleicht solltest du dich abschminken, Mum“, riet ich ihr und drückte ihre Hand.

Sie nickte nur und verließ mit hängenden Schultern mein Zimmer.

Es tat weh, meine Mum so zu sehen, aber sie hatte jetzt eine neue Familie. Und auch, wenn sie mir immer wieder versicherte, dass ich mit ihr zu Michael ziehen konnte, möchte ich doch lieber wieder zurück in meine alte Heimat. Ich weiß nicht, was aus meinen alten Schulfreunden geworden ist, oder aus meiner damalig besten Freundin Selena, aber vielleicht würde ich sie ja wieder treffen.

Und ich freute mich wahnsinnig auf meinen Vater und meinen Bruder. In den letzten neun Jahren hatte ich sie nur ungefähr viermal gesehen, weil Mum nie Zeit hatte, so weit zu fahren. Zuerst wollte sie Dad nicht sehen, dann traf sie Michael, wurde schwanger und danach musste sie sich um die beiden kleinen Nervensägen kümmern.

Ryan hatte uns ein paar Mal besucht, Dad aber nie. Er mochte Michael nicht besonders, was ich irgendwie verstehen konnte. Dad hatte noch keine neue Frau gefunden und ehrlich gesagt, war ich ziemlich froh darüber.

Ich griff nach meiner letzten Tasche und warf mir noch meinen Rucksack über die Schultern, bevor ich ohne einen Blick zurück mein Zimmer verließ.

 

Das Haus sah noch aus wie damals. Die Farbe war nicht mehr ganz so schön und teilweise zierten graue Streifen den Verputz. Der Rasen im Garten war frisch gemäht, aber es blühten keine per Hand angesetzten Blumen in dem kleinen Blumenbeet in der Ecke. Auch der Teich sah leicht verwildert und vernachlässigt aus.

„Und? Hat sich viel verändert?“, fragte Jason, als er aus dem Auto stieg.

Mum hatte es nicht über sich gebracht, hierher zurückzukommen, deshalb hat Jason mich hergefahren.

„Nein, eigentlich nicht wirklich“, murmelte ich und sah mich genauer um.

Die alte Schaukel am großen Kastanienbaum schaukelte leicht im heißen Sommerwind. Ich erinnerte mich noch, wie Ryan sich damals den Arm gebrochen hat, als er mir zeigen wollte wie weit er von der Schaukel springen konnte. Ich lächelte und drehte mich zu Jason um.

„Weißt du, ich glaube, ich hab das hier alles ziemlich vermisst“, sagte ich und er legte den Arm um meine Schultern.

„Ich glaube, du wirst mir fehlen, Kleine“, meinte er und grinste mich an.

„Hey“, rief ich empört und wand mich aus seiner Umarmung.

„Ich bin überhaupt nicht klein“, rief ich und blickte hoch in sein Gesicht.

Nur, weil er um einige Zentimeter größer war als ich, musste er mich nicht immer so nennen.

„Klar“, erwiderte er lächelnd.

„Du bist doof“, meinte ich und streckte ihm meine Zunge raus.

„Du auch“, erwiderte er noch immer lächeln.

Ich grinste ihn an.

„Hey, da kommt jemand“, meinte er und deutete mit dem Kopf Richtung Haustür.

Ich drehte mich um und erblickte meinen Dad in der Tür. Er hatte sich kein bisschen verändert.

„Dad“, rief ich und lief auf ihn zu. Schwungvoll warf ich mich in seine Arme und drückte ihn an mich.

„Oh man, ich hab dich so lange nicht mehr gesehen“, murmelte ich an seinem T-Shirt.

„Wow, bist du groß geworden“, sagte er verwundert.

Triumphierend drehte ich mich zu Jason und streckte ihm die Zunge nochmals heraus.

„ Sind ja auch schon neun Jahre vergangen“, meinte ich und schaute ihn genauer an. Wenige graue Strähnen hatten sich in sein Haar geschummelt und er hatte mehr Falten als früher, aber er sah immer noch gut aus. Er war noch immer mein liebevoller Dad, den ich so vermisst hatte.

„Ich freue mich wirklich, dass du jetzt bei mir wohnst“, lächelte mein Vater und drückte mich noch einmal an sich.

„Ich mich auch“, versicherte ich ihm.

Hinter mir räusperte sich jemand verlegen.

Oh, dass ich Jason noch jemals verlegen erleben darf. Ha, dass musste ich mir merken.

„Dad, das ist Jason, Michaels Sohn. Er hat mich hergebracht“, erklärte ich ihm.

Mein Vater musterte Jason kurz, bevor er ihm lächelnd die Hand entgegen streckte.

„Hi, ich bin Andi, der Vater dieses wunderhübschen Mädchens hier. Ich finde, du bist mir gut gelungen“, fügte er noch an mich hinzu.

„Dad“, erwiderte ich empört, während Jason lachte.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen“, schleimte mein Halbbruder.

„Du kannst mich gern duzen“, grinste Dad. „Freut mich auch. Kommt doch erst mal rein, es ist verdammt heiß hier draußen“.

Ich schnappte mir Jasons Hand und zog ihn hinter meinem Dad den gepflasterten Weg bis zur Haustür entlang.

Im Inneren des Hauses war es schön kühl.

Interessiert blickte ich mich um. Eigentlich hatte sich nicht viel verändert. Das Schuhregal war noch immer vollgestopft mit allen möglichen, teilweise ziemlich schmutzigen Schuhen, der Spiegel neben der Garderobe hatte einen Sprung und das Familienbild von uns allen, das vor neun Jahren aufgenommen wurde, war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Es hingen weniger Bilder an den Wänden, und diese zeigten hauptsächlich Ryan, aber auch eines von mir war dabei. Ich lächelte und streifte mir die Schuhe von den Füßen.

Unachtsam ließ ich sie einfach mitten im Gang liegen. Hey, ich würde ab jetzt immerhin hier wohnen. Ich wollte Dad am Anfang keinen falschen Eindruck von mir vermitteln.

„Ryan ist noch bei der Bandprobe, er sollte aber jeden Moment nach Hause kommen. Er freut sich schon riesig auf dich“, meinte Dad und zwinkerte mir zu.

„Wollt ihr Kuchen?“, fragte er dann und stellte einen großen Schokoladekuchen auf den alten Holztisch.

„Du kannst backen?“, fragte ich verwundert.

Dad lachte. „Nein, nein, keine Angst. Den hab nicht ich gemacht sondern Sonja, unsere Haushelferin“

„Du hast eine Haushelferin?“, fragte ich zweifelnd. Hoffentlich war das nicht so eine Art Babysitterin Undercover, die auf mich aufpassen sollte.

„Ja, nachdem deine Mutter gegangen ist, brauchte ich Hilfe, und sie brauchte einen Job, also hab ich sie eingestellt. Und ich kann nach neun Jahren noch immer nicht Wäsche waschen, also ist sie geblieben“, erklärte mein Vater, während Jason und ich uns hinsetzen.

„Wollt ihr was trinken?“, fragte der ältere Mann und legte ein Stück Schokokuchen auf ein Teller.

„Klar, ich mach schon“, erklärte ich und sprang vom Stuhl auf. Die Gläser waren noch immer im selben Regal, was mich ungeheuer freute.

Ich füllte Johannisbeersaft in zwei Gläser und reichte eines davon meinem Bruder.

„Seit wann ist Ryan in einer Band?“, fragte ich Dad.

Dass mein Bruder musikalisch sein sollte konnte ich irgendwie nicht glauben. Naja, okay, er war damals auch erst zehn als wir weggezogen sind, da konnte ich das noch nicht so ganz beurteilen.

„Oh, seit zwei Jahren ungefähr. Er spielt Gitarre und Schlagzeug. Er schreibt auch einige Songs. Sie sind wirklich gut, aber mit den Auftritten klappt es irgendwie noch nicht so ganz“.

„Wieso denn nicht?“ fragte Jason interessiert.

„Weil es schwer ist für eine neue Band jemanden zu finden, der sie einstellen will. Sie hatten noch keinen einzigen Auftritt und niemand kann sich so recht vorstellen, wie sie klingen“, erklärte Dad.

„Hm“, machte ich. Mit Bands hatte ich absolut keine Erfahrung. Ich selbst war nicht gerade musikalisch. Ich hatte mal für zwei Jahre Gitarre gespielt, aber irgendwann hab ich es wieder aufgegeben. Es war einfach zu stressig. Schule, Lernen, Freunde treffen und dann auch noch Musikunterricht, das ging sich einfach alles nicht aus.

„Ich hab mal Schlagzeug gespielt, aber auch nicht sehr lange“, erzählte Jason, während er seinen Kuchen probierte.

Auch ich schob mir ein kleines Stück in den Mund.

„Wow, der ist wirklich lecker“, meinte Jason bewundernd.

„Ich muss diese Sonja unbedingt kennen lernen!“, rief ich und ließ mir den Kuchen auf der Zunge zergehen. Ich hatte noch nie etwas Besseres gegessen.

„Das wirst du schon noch früh genug“, lächelte Dad.

„Ach übrigens, ich hab dich in derselben Schule wie Ryan eingeschrieben, du bist zwei Jahre unter ihm. Ich hoffe, das ist okay für dich?“, fragte er.

Ich nickte zustimmend und kaute auf meinem Kuchen.

„Und, ähm, wie geht’s deiner Mutter so?“, fragte er stockend.

Wiederwillig schluckte ich meinen Kuchen hinunter. Heikles Thema…

„Gut. Sie will jetzt umziehen. Zu Michael“, erwiderte ich.

„Also, ich hab mich auf jeden Fall wirklich gefreut, als du mir erzählt hast, dass du jetzt bei mir wohnst“, lachte mein Dad.

„Sie wird mir abgehen“, warf Jason ein und wuschelte mir durch die Haare.

„Wer schimpft mich denn jetzt, wenn ich wieder zu spät nach Hause komme?“

„Ach, keine Sorgen, diesen Part wird meine Mum sicher ziemlich bald übernehmen“, versicherte ich ihm und lächelte scheinheilig. Der würde noch sein blaues Wunder erleben. Mit meiner Mum war nicht zu spaßen, bei solchen Dingen.

„Außerdem wird Sarah auch nicht mehr lange am Samstagabend zu Hause sitzen bleiben“, erinnerte ich ihn.

Jason verzog das Gesicht.

„Hm. Dann darf ich sicher den Aufpasser für das kleine Biest spielen“, murmelte er und steckte sich verärgert noch ein Stück Kuchen in den Mund.

Ich grinste.

„Dad?“, schallte es plötzlich aus dem Flur.

„Wir sind hier“, rief Dad laut und kurz darauf öffnete sich die Küchentür und Ryan stapfte herein.

Oh Gott, der war vielleicht groß geworden. Und hübsch. Und mit so etwas Schönem war ich verwandt?

„Jenna? Bist das wirklich du?“, fragte mein liebes Brüderchen verwundert und starrte mich an.

Ich nickte nur, stand auf und umarmte ihn stürmisch.

„Verdammt, bist du hübsch geworden“, murmelte Ryan in meine Haare.

„Wie geht’s dir?“, fragte ich ihn und löste mich widerwillig aus seiner Umarmung.

„Super“, antwortet er noch immer leicht geschockt.

„Letztes Mal als ich dich gesehen habe warst du, wie alt? Zwölf?“

„Dreizehn“, lachte ich.

„Hm“, machte er und starrte mich weiter an.

„Ryan, das ist Jason“, stellte ich meinen Stiefbruder vor.

„Hey“, sagte dieser und schüttelte meinem Bruder die Hand.

„Bist du der Sohn von Mums neuem Lover?“, fragte Ryan und grinste ihn an.

Jason nickte und grinste zurück.

„Ist Mum nicht mitgekommen?“, fragte Ryan leicht enttäuscht und ließ sich auf den freien Stuhl zwischen Dad und mir fallen.

„Nein, sie äh, hatte keine Zeit“, erwiderte ich.

„Hast du nicht gesagt, ihr seid im Guten auseinander gegangen?“, fragte mein Bruder an Dad gewandt.

Dieser verzog das Gesicht.

„Eigentlich schon“, murmelte er und schenkte sich noch Wasser ein.

„Naja, egal. Du musst unbedingt meine Freunde kennen lernen“, meinte Ryan.

Ich nickte begeistert. Ich konnte es gar nicht erwarten, alte Bekannte wieder zu treffen.

„Warte mal, hattest du letztes Mal nicht noch eine Zahnspange?“, fragte Ryan plötzlich.

Oh ja, die Zahnspange. Ein hässliches Ding, oben und unten. Wegen der hab ich mich ungefähr fünf Jahre lang ziemlich geschämt.

„Ah, die Zahnspange hat Jenna von nichts abgehalten“, warf Jason ein und grinste mich an.

„Wie meinst du das?“, fragte Ryan schmunzelnd.

Ich räusperte mich. „Ja Jason, wie genau meinst du das?“, fragte ich leicht ängstlich. Was hatte ich angestellt?

„Naja, ich sag nur Justin Parker“, meinte Jason und versteckte sich sofort hinter seinen Kuchen.

Ich sprang auf und deutete mit dem Finger auf ihn.

„Das hast du jetzt nicht gesagt“, rief ich wütend und überlegte, ob ich ihn gleich erdolchen sollte, oder dann, wenn weniger Zuschauer anwesend waren.

„Ich sag eh schon nichts mehr“, grinste Jason.

„Wer ist Justin Parker?“, fragten Ryan und Dad unisono.

„Äh“, machte ich. Konnte ich ihnen von meinem leicht exotischen Ex erzählen?

„Niemand?“, fragte ich eher, als das ich antwortete.

Mein Bruder sah mich prüfend an.

„Ja klar, und die Erde ist eine Scheibe“, erwiderte er.

„Ist ja auch egal“, meinte ich und wandte mich wieder meinen Dad zu.

„Also ich fange gleich am Montag mit der Schule an?“, fragte ich. Super Jenna, auffälliger hätte der Themenwechsel wirklich nicht sein können…

Dad nickte und schnitt noch ein weiteres Stück Kuchen für Ryan ab.

„Ich freu mich schon drauf“, erklärte ich scheinheilig und stopfte den leckeren Kuchen in meinen Mund.

„Ryan verzog seinen Mund zu einem Lächeln. „Ich werds schon noch raus bekommen“, versicherte er mir.

„Hey, hast du schon dein Zimmer gesehen?“, fragte Ryan und stand auf.

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich glaub nicht, dass sich viel verändert hat, oder?“, fragte ich und blickte meinen Dad an.

Er zuckte nur entschuldigend die Schultern und widmete sich einem Fleck auf seinem Hemd.

Ich hob die Augenbrauen. Was genau hatte diese beiden Männer mit meinem Zimmer angestellt?

„Würd mich wirklich interessieren, was sie damit gemacht haben, Kleine, aber ich muss wieder los. Vier Stunden Autofahrt stehen mir noch bevor“, warf Jason ein und stand auf.

Traurig nickte ich.

„Ich hol noch meine Koffer“, meinte ich und ging mit ihm hinaus zum Auto.

„Weißt du, du wirst mir wirklich, wirklich fehlen“, gestand ich ihm.

„Du mir mehr“, erwiderte er und umarmte mich fest.

„Wer macht denn jetzt die ganzen idiotischen Trinkspiele mit mir?“, schmunzelte er an meinen Haaren.

„Such dir halt endlich eine Freundin. Die Mädls stehen doch eh schlangenweise bei dir an“

Jason lachte laut auf.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, meinte er lachend.

„Doch sicher. Schau dich doch an“, erwiderte ich. Er war um einiges größer als ich, hatte braune längere Haare und hellblaue Augen. Alles in allem war er der Mädchenschwarm schlecht hin.

„Du bist die erste die es erfährt, wenn es so weit ist“, lachte er. „Du meinst, wenn du es schaffst, dass du eine deiner Bettbekanntschaften schwängest?“, fragte ich scheinheilig und trat vorsichtshalber einen halben Schritt zurück. „Du..“ , fing er drohend an, brach dann allerdings in Lachen aus. „Melde dich öfters“, meinte er noch und stieg in seine Auto. Traurig sah ich ihm nach. Ich werde mich wohl öfters bei ihm melden. Verdammt, Jason wird mir wirklich fehlen!

 

„Oh mein Gott!“, entfuhr es mir, als ich mein Zimmer sah. Nicht mehr das Kleinmädchenzimmer, das ich kenne! Die Wände waren in verschiedenen Grüntönen gestrichen, in der Mitte stand ein großes Doppelbett, alle mit Prinzessinnen-stickern beklebtem Regale waren entfernt worden und durch schlichte weiße Regale ersetzt worden. Einen neuen Schreibtisch hatte ich auch bekommen und eine kleine Spiegelwand hing neben der Tür.

„Gefällt es dir?“, fragte Ryan, der grinsend in der Tür stand und mich musterte.

„Das ist der Wahnsinn!“, rief ich und sah mir alles genauer an. „Dankeschön“, rief ich laut, damit mein Dad es auch hören konnte. „Er hat sich wahnsinnig gefreut, dass du wieder hier her ziehst“, murmelt Ryan und stellte meine Koffer ins Zimmer.

„Ich hab mich auch gefreut“, erwiderte ich.

„Sag mal, was ist eigentlich aus Selina geworden?“, fragte ich meinen Bruder neugierig.

„Ah“, entfuhr es ihm peinlich berührt. „Sie ist ähm… nicht mehr ganz so… ähm.. nett“, meinte er dann murmelnd.

„Soll heißen?“, fragte ich nach.

„Soll heißen, das Wort „Schulschlampe“ trifft es am ehesten“, meinte er dann schulterzuckend.

„Selina eine Schulschlampe? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen“, erwiderte ich zweifelnd.

„Überzeug dich einfach selbst. Du siehst sie ja am Montag“, meinte er.

„Okay“, sagte ich grübelnd. Meine ehemalige beste Freundin soll sich jetzt an jedes männliche Wesen ranschmeißen? Irgendwie konnte ich mir das nicht vorstellen. Was ist nur aus dem süßen sommersprossigen Mädchen von damals geworden? „Oh hey, du spielst in einer Band?“, fragte ich weiter.

Ryan lachte.

„Hat Dad dir das erzählt?“

Ich nickte begeistert.

„Ja, schon. Aber irgendwie passt es noch nicht so ganz“, meinte er leicht frustriert.

„Wieso, geht euch noch ein Mitglied ab?“, fragte ich.

„Nein, das nicht, aber den Songs fehlt irgendwas. Ich komm nur nicht drauf, was“, erklärte er.

„Ich kann ja mal probehören“, meinte ich dann sarkastisch.                         

Ich war wirklich kein Talent was Musik anging.

„Wirklich? Danke“, meinte mein Bruder und verließ mein Zimmer. Na hoffentlich machte er sich da nicht zu viele Hoffnungen.

Ich sah mich wieder in meinem neuen alten Zimmer um und fing an meine Sachen einzuräumen. Wie können zwei Männer nur so viel Gespür für ein Mädchenzimmer haben?

Kapitel 2 - The first day in the new college...

 Das Wochenende verging rasend schnell. Ich unternahm viel mit meinem Dad und auch mit Ryan. Die beiden zeigten mir, was sich alles verändert hatte in unserem kleinen Örtchen, während ich weg war. Das Schwimmbad wurde geschlossen und das leere Becken sieht einfach nur unheimlich aus. Ryan meinte, dass es der perfekte Ort für späte Partys wäre. Der Park wurde komplett neu angelegt, es wurde sogar ein kleiner Teich hinzugefügt.

Und es gab einen neuen Sportplatz. Die Rennbahn wurde erneuert, sowie der Beachvolleyball- und Basketballplatz. Sehr zu meinem Vorteil, denn ich liebe Sport! Auch wenn ich nicht sonderlich gut darin bin. Und dann war es soweit. Montagmorgen. Der erste Tag in meiner neuen Schule. Ich bin so neugierig, wen ich alles von meinen alten Freunden treffe.

Ryan war so nett und nahm mich mit dem Auto mit zur Schule.

Schon beim aussteigen drehten sich einige zu uns um, was mich wunderte. „Sag mal, hast du hier einen Beliebtheitsstatus, oder warum starren dich alle so an?“, fragte ich meinen Bruder.

Ryan lachte. „Die starren dich an, Kleine. Immerhin bist du mitten im Schuljahr hier her gewechselt! Und die Schule ist so klein, dass jede kleinste Neuigkeit ein gefundenes Fressen ist“, meinte er schulterzuckend.

„Neue Freundin?“, fragte plötzlich jemand neben mir und erst jetzt bemerkte ich die kleine Gruppe an Leuten, die sich neben meinen Bruder gestellt hatte.

Der Sprecher war männlich, ungefähr so alt wie mein Bruder und der Mädchenmagnet schlecht hin. Schwarze Haare, blaue Augen und mindestens 1,80.

Ryan lachte und schlang mir einen Arm um die Schultern.

„Nee, das ist meine Schwester Jenna. Jenna, das sind meine Leute“, stellte er mir seine Clique vor. Aha, Leute.

„Hi, Ryans Leute“, erwiderte ich und sah ihn fragend an.

Er grinste und stellte sie der Reihe nach mit Namen vor. Ich war verdammt schlecht im Namen merken, weswegen ich auch alle sofort wieder vergaß.

„Seit wann hast du denn eine Schwester?“, fragte der hübsche Junge verwirrt. Danny hieß er. Glaube ich…

„Seit 17 Jahren“, meinte Ryan.

„Und wie hast du es geschafft, sie so lange vor uns zu verstecken?“, fragte ein anderer. Blonde Haare, graue Augen und er sah noch besser aus als Dylan. Nur sein Name fiel mir nicht mehr ein. Verdammt! War ich hier in einem doofen Supermodelnest gelandet, oder warum sahen die alle aus wie junge Götter?

„Ich hab bei meiner Mum gelebt“, erklärte ich lächelnd.

„Ja, und dann bekam sie Sehnsucht nach ihrem Bruder“, warf Ryan ein und grinste frech.

„Ja klar“, meinte ich und verdrehte die Augen.

„Komm, ich zeig dir das Sekretariat. Bis später Leute“, sagte Ryan und wollte mich schon wegziehen, als ihn eine raue Stimme unterbrach.

„Ich muss da sowieso hin, ich kann sie mitnehmen“, erklärte der Sprecher.

Ich drehte mich um und mir blieb die Luft weg. Verdammt, war der hübsch. Schöner als alle anderen zusammen. schwarze Haare, die ihm lässig in die Augen hingen, strahlend graue Augen, die vor Leben nur so strahlten und ein kantiges Gesicht mit leichtem Bartschatten. Wieso tat Gott mir das an? Lauter gut aussehende Männer. Wie sollte ich hier die nächsten drei Jahre überleben?

„Na gut. Wenn es dir nichts ausmacht. Jenna, wir sehn uns später“, meinte mein Bruder und ließ mich alleine. Mieser Verräter.

„Na komm“, sagte der Schönling neben mir und ging los.

Wie war noch gleich sein Name?

Während er lässig neben mir zum Schulgebäude lief, drehte ich mich noch einmal kurz um und sah alle Blicke auf mir ruhen. Mein Bruder stand ganz vorne und grinste mich an. Mieser Verräter! Ich streckte ihm die Zunge raus und zeigte ihm den Mittelfinger, was bei den anderen zu heftigem Gelächter führte. Dann achtete ich schnell wieder auf den Weg vor mir, wäre echt peinlich, wenn ich jetzt hinfallen würde! Ein kurzer Seitenblick zu meinem verboten gut aussehenden Begleiter verriet mir, dass er meine kleine Liebeserklärung meines Bruders gegenüber nicht mitbekommen hatte. War vielleicht auch besser so.

„Also, du hast bei deiner Mutter gelebt?“, fragte er, während er sich einen Weg durch die mehr oder weniger gaffenden Schüler bahnte.

„Ähm“, ich räuspert mich kurz, „ Ja, neun Jahre lang“.

„Und wieso bist du jetzt wieder hier?“, fragte er weiter und sah mich von der Seite neugierig an.

„Sie hat wieder geheirate“, murmelte ich.

„Und der neue Mann ist ein aufgeblasener Spießer, der viel zu viel Kohle hat und mit deiner Mum jetzt die Welt bereist um in versifften Hotelzimmern unanständige Dinge zu machen?“, fragte er weiter.

Was?

„Äh, nein. Michael ist ganz okay. Nur sein Haus ist etwas zu klein und ich will mir mein Zimmer nicht mit einer pubertierenden fünfzehnjährigen teilen, die jeden Morgen einen Anfall bekommt, wenn sich eine neue Pickelkolonie in ihrem Gesicht gebildet hat“, erklärte ich schulterzuckend.

„Ah, ich verstehe. Da bist du lieber bei deinem Vater und Ryan“.

Ich nickte.

„So, da sind wir“, erklärte er und öffnete eine graue Tür mit Glasfenster.

Der Raum dahinter war so typisch für ein Sekretariat. Schreibtische mit arbeitenden Sekretärinnen, graue Plastikstühle an den Wänden, summende Drucker, klingelnde Telefone…

„Mrs. Conner, ich bringe eine neue Schülerin“, rief der Schönling laut, um die anderen Geräusche zu übertönen.

Eine Frau mit roten, fettigen Haaren und Brille drehte sich um und kam auf uns zu.

„Und du bist?“, fragte sie mich mehr unhöflich als neugierig.

„Ein Mensch“, entfuhr es mir, bevor ich nachdenken konnte.

Verwirrt sah sie mich an, wobei sie ihre kleinen Augen noch mehr zusammen zog, was wirklich komisch aussah.

Mein Begleiter begann zu grinsen und verzog sich zu einer anderen Sekretärin.

„Jenna Anderson, 17 Jahre alt, gerade hier hergezogen und in der 13. Klasse“, fasste ich ihr zusammen. „Bist du die Schwester von Ryan Anderson?“, fragte sie misstrauisch.

Hatte sie etwas gegen meinen Bruder?

„Ja?“, fragte ich eher, als das ich antwortete. Sofort verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck noch mehr und sie begann in einer der Schubladen des Schreibtisches herumzukramen.

„Hier ist dein Stundenplan und jetzt raus hier“, meinte sie verärgert.

Was hatte die denn? Beim hinaus gehen konnte ich sie noch so etwas wie „…noch eine Anderson..“ und „…eine Plage für die Schule…“ murmeln hören.

Tja, Brüderchen, da bin ich mal gespannt was du mir so zu erzählen hast, dachte ich grinsend.

Als ich das Sekretariat verlassen hatte starrte ich auf das Blatt Papier in meiner Hand.

Also, Mathematik in der 1. Stunde am Montag. Ach komm schon, was hatte ich verbrochen? Missmutig las ich weiter und der Rest war gar nicht so schlimm. Sport hatte ich erst am Mittwoch, Schwimmen dafür schon Morgen. Und freitags hatte ich bereits um 1 Uhr aus, das war eindeutig ein großer Pluspunkt für diese Schule.

„Na, zufrieden?“, fragte mich plötzlich jemand und neben mir stand der Typ vom Sekretariat.

„Ähm, ja, mehr oder weniger. Wo genau ist Raum 217?“, fragte ich. Da hatte ich nämlich seit zehn Minuten Unterricht und vielleicht sollte ich da an meinem ersten Tag auch kurz vorbei schauen. „Du hast Mathe beim Schröder?“, fragte mich mein namenloser Bekannter entsetzt.

Oh Gott, er konnte Emotionen zulassen, ich bin begeistert! Bis jetzt hatte er immer nur diese Eis Miene, so in der Art, ich kann alles, ich bin super, leckt den Boden auf dem ich gehe. Ich nickte.

„Mein herzlichstes Beileid“, entfuhr es ihm grinsend.

„Sag mal, lachst du mich aus?“, fragte ich ihn säuerlich. „Nee, wie kommst du denn darauf?“, meinte er lachend und drehte sich weg.

„Hey“, rief ich ihm wütend nach. „Was?“, fragte er lässig und drehte sich im gehen noch einmal zu mir um.

„Raum 217?“, fragte ich. „1. Stock ganz hinten“, erwiderte er und ging weiter.

Arschloch!

Was bitte war sein Problem?

Wütend ging ich die breite Steintreppe nach oben in den 1. Stock. Na toll, welche Seite meinte er mit „ganz hinten“? Rechts oder links?

Seufzend entschied ich mich für rechts. Was war das hier eigentlich für eine komische Schule in der nach dem 2. Läuten keine Schüler mehr am Gang standen? Die waren doch alle nicht normal hier.

Gott sei Dank waren die Türen nummeriert und so fand ich nach kurzem Suchen die richtige Tür.

Leise klopfte ich an und nach wenigen Sekunden ertönte ein wütendes „Herein“.

Na toll, der hört sich ja total nett an, dachte ich sarkastisch.

Ich öffnete die Tür und trat zögernd ein.

Der Lehrer, Herr Schröder, stand vorne an der Tafel, die Kreide noch in der Hand, und sah mich wütend an.

„Was gibt’s? Wieso stören Sie meinen Unterricht?“, schnaufte er.

Hm.. am 1. Schultag zu spät und dann auch noch diesen Hitzkopf als Mathelehrer. Toll, Jenna.

„Tut mir leid, ich bin eine neue Schülerin“, brachte ich mit leiser, aber fester Stimme hervor.

„Name?“, fragte Herr Schröder sogleich nach.

„Jenna. Ich bin Jenna Anderson“, erwiderte ich.

Sofort brach leises Getuschel aus. Hatte ich etwas im Gesicht?

„Anderson?“, fragte Herr Schröder sofort nach. Sein Gesichtsausdruck war absolut nicht zu deuten, eine Mischung aus Wut, Erstaunen und Unglauben.

„Ja“, meinte ich schulterzuckend.

„Gut“, räusperte sich Herr Schröder kurz und deutete dann auf einen freien Platz in der 3. Reihe.

„Setzen Sie sich“, sagte er kurz angebunden.

Gut, ich musste mich nicht vorstellen, Glück gehabt.

Leise lies ich mich auf den freien Stuhl fallen und sah meine Sitznachbarin kurz an.

„Hallo“, meinte ich schüchtern.

Oh ja, ich, Jenna Anderson konnte schüchtern sein. Es geschah nicht oft, aber es gab solche glorreichen Momente im Leben. „Hey“, erwiderte sie lächelnd. „Ich bin Chrissi“

„Jenna“, flüsterte ich zurück, da Herr Schröder mich böse ansah.

Und schon wenige Sekunden später hatte er sich vor unserem Tisch aufgebaut.

„Anderson, Sie sind hier zwar neu, aber trotzdem müssen Sie sich an gewisse Regeln halten. Regel Nummer 1, Reden verboten“, erklärte er und drehte sich wieder zur Tafel.

Er begann komplizierte Formeln an die Tafel zu schreiben und zu erklären wie und wann man diese am effektivsten einsetzte.

„Ist er immer so?“, fragte ich Chrissi ganz leise.

Diese nickte. „Oh ja und er hasst Schüler, die nicht brav auf ihren Stühlen sitzen und mitarbeiten“.

„Na toll“, meinte ich.

„Wieso bist du hier hergezogen?“, fragte sie flüsternd, ließ Herr Schröder allerdings nicht aus den Augen.

„Ich wollte mehr Zeit mit meinem Vater und meinem Bruder verbringen“, sagte ich ebenso leise.

„Also bist du wirklich Ryans Schwester?“, fragte sie erstaunt.

Ich nickte nur und packte Block und Schreibzeug aus meiner Tasche.

„Wow“, meinte sie nur. „Ich wusste nicht, dass er eine Schwester hat“.

„Irgendwie weiß das Keiner“, meinte ich.

„Kennst du ihn gut?“, fragte ich leise nach.

„Oh Gott, nein“, erwiderte sie sofort.

Verwirrt sah ich sie an.

„Ahm, deinen Bruder kennt man einfach an dieser Schule. Er ist eine Legende“, fing sie an zu schwärmen.

„Aha?“, fragte ich verwirrt.

„Und wieso ist er das?“

Plötzlich stürmte Herr Schröder wieder auf uns zu.

„ANDERSON“, fing er an zu schreien. Na toll. Toll gemacht, Jenna. 1. Schultag, 1. Unterrichtsstunde und schon hast du es dir mit deinem Mathelehrer vertan. Super.

„Ja?“, fragte ich scheinheilig nach und lächelte ihn nett an. Vielleicht fiel er ja auf diese Tour herein.

„Wieso stören Sie noch immer meinen Unterricht? Und das obwohl ich Sie erst vor zwei Minuten ermahnt habe?“, spuckte er mir entgegen.

„Ich hatte eine Frage wegen des Themas“, erwiderte ich eiskalt. Oh ja, im Lügen war ich super!

„Und wieso fragen Sie da nicht mich?“, meinte er sauer. Sein Gesicht sah lustig aus, es war rot angelaufen und leichter Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn. Außerdem pochte eine dicke Ader an seinem Hals ziemlich schnell. Nur mit absoluter Mühe konnte ich mir ein Lächeln verkneifen.

„Weil sie gerade so im Erklären waren, dass ich Sie nicht unterbrechen wollte. Es war wirklich nur eine belanglose Frage, was als letztes im Unterricht durchgenommen wurde. Vielleicht könnten Sie mir meine Frage jetzt beantworten?“, fragte ich lieb lächelnd.

„Glauben Sie wirklich, dass ich Ihnen das abkaufe?“, fragte der alte Mann mit gerunzelter Stirn.

„Ich verkaufe nichts, Sir. Ich habe eine Frage und würde mich sehr über eine Antwort freuen“, erklärte ich ihm mit langsamer, lauter Stimme. So, wie man halt mit alten Menschen sprach.

Die Klasse fing an zu leise zu lachen und Herr Schröder wurde noch roter im Gesicht.

Ähm, hab ich was falsches gesagt?

„Sie werden heute Nachmittag Nachsitzen, Fräulein Anderson“, sagte er noch bitter und drehte sich wieder zur Tafel.

Mist, heute wollte ich doch… Ach stimmt ja, neuer Ort, neue Leute, keine Freunde.

„Ich hab Zeit“, murmelte ich noch und wendete mich wieder meinem Block zu.

Die Stunde verging schleppend.

Chrissi wollte nicht mehr mit mir reden, weil Herr Schröder die ganze Zeit zu uns rüber sah und die anderen saßen auch alle da wie wenn sie bei der festen Freundin zum ersten Mal beim Abendessen mit den Eltern waren. Also wie kleine, süße Schäfchen die alle Fragen sofort mit Eifer beantworteten. Wo, verdammt nochmal, war ich hier gelandet?

Als es zur Pause läutete drehte Chrissi sich dann doch wieder zu mir.

„Puh, das war jetzt wirklich interessant“, meinte sie lächelnd.

Ähm.. Was?

„Du magst Mathe?“, fragte ich vorsichtig nach.

„Oh ja, ich liebe Mathe. Ich weiß, wahrscheinlich hältst du mich jetzt für verrückt“, seufzte sie.

„Nur ein bisschen“, lächelte ich.

Das brünette Mädchen grinste mich an und packte ihre Sachen zusammen.

„Was hast du jetzt?“, fragte sie.

Vorsichtig balancierte ich mein Federmäppchen und meinen Block auf der linken Handfläche und fischte mit der rechten meinen, schon leicht zerknitterten, Stundenplan hervor.

„Ähm… Englisch in Raum 103“, las ich ab und sah Chrissi fragend an.

„Okay, ich hab jetzt Turnen. Du gehst am besten den Weg zurück bis zum Sekretariat und dort rechts. Die Türen sind nummeriert“, verabschiedete sie sich von mir und verschwand aus dem Raum.

Seufzend nahm ich mein Zeugs und verließ ebenfalls den Raum.

Wie bitte konnte man Mathe lieben? Na gut, ich war gut in dem Fach, sogar sehr gut, aber ich hasste es trotzdem. Mathelehrer waren immer abgedreht. Naja, jedenfalls die, die ich bis jetzt hatte. Meistens alt, verschrumpelt, stanken aus dem Mund und solche Sachen. Nicht gerade ein gutes Argument, dieses Fach zu lieben.

Auf dem Gang starrten mich alle an. War diese verdammte Schule wirklich so klein, dass jeder wusste dass ich neu bin. Verdammt.

Als ich die Treppe nach unten ging hörte ich die Ersten hinter meinem Rücken tuscheln. Oh, wie ich es hasste.

Anscheinend hatte es sich schnell herumgesprochen, dass ich die Schwester von Ryan war, denn ich hörte immer wieder meinen Nachnamen. Wieso flippten eigentlich alle immer so aus, wenn sie den Namen Anderson hören? Was hat mein verschrobener Bruder dieser Schule nur angetan?

Im Klassenzimmer suchte ich mir schnell einen Platz weit hinten und setzte mich hin. Es kamen erst nach und nach die Schüler herein und ich wunderte mich, wieso nicht alle beim ersten Läuten auf ihren Plätzen saßen, so wie es zur ersten Stunde war. Doch tatsächlich schlenderten alle langsam herein und redeten noch. Meistens über mich, wie ich heraushören konnte.

Plötzlich stellte sich ein schwarzhaariges Mädchen vor mich hin. Sie hatte etwa Ellbogenlange Haare, war stark geschminkt, was ihr allerdings wirklich gut stand und hohe Schuhe. Und verdammt, diese Schuhe waren der Wahnsinn!

„Du sitzt auf meinem Platz“, zischte sie mich an.

Oups. Eisprinzessin?

„Hier gibt’s eine feste Sitzordnung?“, fragte ich gespielt erstaunt.

„Nein, aber ich bin schon immer auf diesem Platz gesessen“, erwiderte sie kalt.

Sie trug eine Jeans mit Rissen über den Knien und eine rot karierte Bluse, die sie lässig in die Jeans gesteckt hatte. Sie sah überhaupt nicht aus wie eine Zicke. Also warum zickte sie so herum?

„Ja, jetzt sitze ich hier, sorry. Aber da vorne in der ersten Reihe ist glaube ich noch etwas frei“, erklärte ich ihr und deutete nach vorne. Ein einziger Platz war noch frei, direkt vor dem Lehrertisch und neben einem Jungen der die ganze Zeit die Nase hochzog. Ekelhaft.

Zuerst schaute sie mich böse an, doch dann grinste sie mich plötzlich an.

„Ich mag dich. Wer bist du?“, fragte sie.

„Jenna“, stellte ich mich vor. Meinen Nachnamen kannte sie sicher schon.

„Gut, Jenna, du hast Mumm, aber das bekommst du noch zurück, darauf kannst du einen lassen“, meinte sie und drehte sich dann mit wehenden Haaren um, setzte sich nach vorne auf den freien Platz und ließ ihre Tasche fallen. Der Typ neben ihr bekam fast einen Herzinfarkt, als er bemerkte dass jemand neben ihm saß. Und als er dann registrierte dass es ein Mädchen war, fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.

Ich musste grinsen. Wieso auch immer, ich mochte dieses Mädchen sofort.

Als die Lehrerin den Raum betrat herrschte nicht wie vorher sofortige Stille, nein. Die Schüler redeten noch weiter, einige standen sogar noch herum. Es wurde auch nicht besser, als sie sich räusperte. Unsere Englischlehrerin war eine kleine Frau, die auch durch hohe Schuhe nicht größer wurde. Sie hatte eine schrecklich schlecht geschnittene Figur und einen knallroten Balzer an. Sie sah wirklich nicht aus wie eine Lehrerin.

Als endlich etwas Ruhe eingekehrt war, hob die schwarzhaarige Eisprinzessin sofort ihre Hand.

„Entschuldigen Sie bitte, aber wir haben eine neue Schülerin in unserer Mitte und es wäre toll, wenn sie sich kurz vorstellen würde“, erklärte sie der Englischlehrerin kurz.

Ah, wollte sie es mir so heimzahlen. Guter Schachzug, Prinzessin.

„Natürlich. Wenn du dich bitte kurz vorstellen könntest“, wandte sie sich dann an mich.

Zögernd stand ich auf. Vorstellrunden waren so gar nicht mein Ding.

„Nein, nein, komm doch bitte nach vorne“, warf die Lehrerin dann noch ein.

Mist.

Ich ging nach vorne und setzte ein falsches Lächelnd auf. Als ob irgendjemand hier meinen Namen noch nicht wusste.

Little Miss Princess sah mich grinsend an und nickte mir aufmunternd zu. Dieses Miststück. Wenn ihre Art nicht so cool wäre, würde ich sie hassen.

„Okay, also Hi, ich bin Jenna und komme aus Los Angeles. Ich bin siebzehn Jahre alt und vor einer Woche hier hergezogen“. Ich hoffe das reichte. Mehr mussten diese Menschen wirklich nicht wissen.

„Und wieso bist du hier zu uns gezogen?“, fragte Prinzessin scheinheilig.

Arg. Vielleicht mochte ich sie doch nicht.

„Weil ich mehr Zeit mit meinem Vater und meinem Bruder verbringen möchte“.

„Also bist du wirklich Ryans Schwester?“, fragte ein kleines, dickes Mädchen aus der letzten Reihe.

Ich nickte nur.

Und sofort ging das Getuschel wieder los.

Es wurde auch nicht leiser als unsere Englischlehrerin, Frau Schmith oder so, sich räusperte.

„Warum hast du dich so plötzlich entschieden hier her zu kommen?“, fragte Prinzesschen auch schon weiter. Miststück.

„Aus privaten Gründen, die ich euch nicht allen auf die Nase binden möchte“

Sollten doch nicht gleich alle wissen, dass ich nicht das nette Mädchen von nebenan war und es noch mehrere Gründe gab, wieso ich umgezogen bin.

„Gut, ich denke das reicht fürs Erste, Jenna. Setzt dich bitte wieder hin“, meinte Frau Smith und ich atmete auf. Juhu, ich lebte noch.

Und dann ging der Unterricht los.

Es war chaotisch und laut. Die Lehrerin konnte sich nicht wirklich durchsetzen und jeder tat irgendwas.

Während einige Mädchen ihre Augen nach schminkten spielten drei Jungs mit einem Radiergummi Tischfußball.

Es war sehr chaotisch und es war echt ein krasser Unterschied zur ersten Unterrichtsstunde.

Als es endlich läutete atmete ich auf. Und in diesem Affenstall sollte ich jetzt wirklich Englisch lernen? Das bezweifelte ich sehr stark.

Die schwarzhaarige Schönheit stolzierte vor mir aus dem Raum und verschwand um die Ecke. Dieses Mädchen hatte irgendetwas Geheimnisvolles an sich. Ich wusste nicht genau wieso, aber ich mochte sie.

 

Als ich aus der Schule trat hielt ich Ausschau nach meinem Bruder. Er war das einzige bekannte Gesicht, denn an die anderen konnte ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Doch ich konnte ihn nirgends entdecke, weshalb ich mich auf eine kleine Mauer rechts neben dem Schuleingang nieder ließ und mein kleines Notizheft herausholte. Die Pause war sowieso nicht so lange, die Zeit konnte ich mir mit zeichnen vertreiben.

Nicht, dass ich sonderlich begabt war, ich tat es einfach nur gerne. Ich zeichnete witzige kleine Figuren mit lustigen Gesichtern oder kleinen Sprechblasen. Meine große Leidenschaft waren kleine Cartoons. Nicht sonderlich lang, einfach nur ein paar Bilder die eine witzige Szene darstellten.

Ich bereute den Umzug hierher nicht. Noch nicht. Natürlich vermisste ich Jason und meine Mum. Und auch die kleinen Nervensägen und Sarah vermisste ich. Doch ich war froh hier zu sein bei Dad und Ryan.

Was mich allerdings wirklich interessiert war, was mein Brüderchen angestellt hatte, dass er in der ganzen Schule so bekannt war. Es musste etwas Großes gewesen sein, denn sonst wäre er nicht auch bei den Lehrern so bekannt.

Während ich zeichnete verging die Zeit und auch der restliche Schultag flog nur so dahin. Zu Mittag aß ich heute nichts, neues Diätprogramm das ich sowieso nicht einhalten werde. Ich fand mich auch gar nicht so schlimm. Halt etwas pummeliger um die Hüften, aber sonst total okay. Diesen Diätquatsch machte ich eigentlich eher der Gesundheit zu liebe.

Als ich nach Unterrichtsende das Sekretariat betrat merkte ich sofort den Unterschied zu heute Morgen. Es war leiser. Nur noch eine Sekretärin saß herum, der Rest war wahrscheinlich schon nach Hause gegangen.

Ich räusperte mich kurz und sofort schaute die junge Frau von ihrer Arbeit auf.

„Entschuldigung,  ich habe dich gar nicht gehört“, entschuldigte sie sich lächelnd.

„Ich soll heute Nachmittag nachsitzen“, erklärte ich ihr kurz und sie lächelte mich mitleidig an.

„Welcher Lehrer“, fragte sie.

„Herr Schröder“, antwortete ich und sie verzog wissend ihr Gesicht.

„Na gut, hier hast du deine Überweisung“, sagte sie und drückte mir einen Zettel in die Hand.

„Da steht Raum und Uhrzeit drauf. Herr Schröder selbst ist heute Nachmittag in einer Konferenz, deshalb werdet ihr so eine Art stilles Arbeiten veranstalten“, erklärte sie mir freundlich.

„Dankeschön“, sagte ich höflich und wollte gerade das Sekretariat verlassen als mein Bruder herein kam.

„Jenna. Was machst du denn hier?“, fragte er verwundert.

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, gab ich zurück.

Ryan seufzte.

„Ich muss einen Nachsitzschein für Joe abholen“, meinte er.

„Wer ist Joe?“, fragte ich verwirrt.

„Und wieso holst du ihn ab?“

„Mein bester Freund. Du weißt schon, der Typ der dich ins Sekretariat gebracht hat?“, fragte er.

Ah, das arrogante Arschloch. Joe war also sein Name.

Ich nickte.

„Naja, er ist, ähm, verhindert“, stotterte mein Bruder.

Na klar. Eher behindert und zwar im Hirn.

„Und was machst du hier?“, fragte er mich.

„Ich hol mir meinen eigenen Nachsitzschein“, seufzte ich.

Ein ungläubiger Ausdruck legte sich auf das Gesicht meines Bruders.

„Echt jetzt, Jenna? Der erste Schultag?“, fragte er grinsend.

Ich nickte leicht.

„Gratulation. Willkommen in unserem Nachsitzteam“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter uns.

Ich drehte mich um und dort stand besagtes Arschloch vom Vormittag, der mich einfach so alleine gelassen hatte.

„Danke, dass du hier bist Ryan, ich hab es doch noch geschafft“, meinte er zu meinem Bruder und holte sich hinter uns am Schreibtisch einen Schein von der Sekretärin ab.

„Was hast du eigentlich angestellt?“, fragte mein Bruder Joe.

„Ich hab habe Deutsch geschwänzt“, erwiderte Joe bereitwillig.

„Und sie haben dich echt erwischt?“, fragte Ryan erstaunt.

„Jap. Ella hat mich verpfiffen“, grummelte er.

„Wieso tut Ella das? Ihr ward doch Freunde, oder?“, fragte Ryan.

Joe verzog das Gesicht.

„Ich glaub sie ist noch ein klitzekleines bisschen sauer auf  mich“, murmelte er.

Mir wurde das hier echt zu langweilig.

„Wie sehr mich eure Beziehungsprobleme auch interessieren Jungs, ich hab ein heißes Date. Bye“, sagte ich und verließ das Sekretariat.

Oh ja, ich hatte eine heiße Verabredung mit einem Raum voller Leute die nachsitzen durften. Toll.

Gott sei Dank war mir das Klassenzimmer schon bekannt und so musste ich nicht lange danach suchen.

„Hey, jetzt warte doch“, rief jemand hinter mir und ich entdeckte Joe der angejoggt kam und neben mir stehen blieb.

„Habt ihr eure Eheprobleme in den Griff bekommen?“, fragte ich ihn und starrte weiterhin auf meinen Zettel.

Wir bekamen anscheinend doch eine Aufsichtsperson, auch wenn es nicht Herr Schröder war. Oh man, und ich hatte schon die Hoffnung gehegt, dass ich abhauen konnte, ohne dass es jemand mitbekam.

„Klar. Wie war dein erster Schultag, Nachsitzkollegin?“, fragte er.

„Du meinst, nachdem du mich einfach so stehen gelassen hast?“, fragte ich sauer.

Mann war ich heute zickig! Wahrscheinlich bekam ich meine Tage oder so.

„Ich sollte dich zum Sekretariat bringen und das habe ich getan“, erklärte er und wühlte in seinem Rucksack herum.

„Ja und dann hast du mich ausgelacht und am Gang stehen gelassen. Herzlichen Dank!“, brummte ich.

„Hab dich nicht so, Jenna. Ich verspreche dir, dass ich dich nie wieder auslachen werde, okay?“, grinste er mich an und zog sein Handy aus seinem Rucksack.

„Ja klar“, meinte ich und betrat den Klassenraum.

Ich suchte mir einen Platz weiter hinten und hoffte irgendwie, dass Joe sich nicht neben mich setzte. Ich wusste nicht wieso, aber ich war noch immer sauer auf ihn.

Aber natürlich setzte er sich genau neben mich.

„Was machst du heute noch so?“, fragte er. Wollte er jetzt ernsthaft Smalltalk betreiben?

„Ich geh mit Dad und Ryan irgendwohin Essen“, antwortete ich kurz.

Eine verknautscht aussehende Lehrerin betrat den Raum. Sie war gerade mal Anfang vierzig, wirkte aber alt und verschlafen.

„So Leute, ich bin eurer Aufsicht für diese Stunde. Absolute Ruhe, sonst bleibt ihr noch länger hier“, sagte sie streng und setzte sich an ihren Schreibtisch.

Zuerst beobachtete sie jeden von uns.  Sie saß einfach nur da und starrte uns an. Wirklich unheimlich!

Also holte ich meinen Block hervor und begann zu zeichnen. Ich könnte jetzt ja endlich Outfits für eine gute Freundin von mir entwerfen.  Meli arbeitete in einem Theater und gerade hatte sie die einmalige Chance bekommen ihr eigenes Musical auf die Füße zu stellen. Sehr viel Arbeit für eine Person, deshalb habe ich ihr versprochen die Outfits zu übernehmen.

Also begann ich zu zeichnen. Im Musical ging es um einen Banküberfall. Ein Banküberfall der von drei Killern ausgeführt wurde. Sie hatten es eigentlich nur auf das Geld abgesehen aber einer von ihnen verliebte sich dann in die Bankangestellte und so brach Chaos aus.

Es wurden also keine wirklich ausgefallenen Outfits. Aber sie mussten trotzdem geplant werden.

Als ich meinen Block aufschlug entdeckte ich eine alte Zeichnung von Jason und mir, die ich mal von einem Foto abgemalt hatte. Er hatte seinen Arm lässig um meine Schultern geschlungen und erzählte mir einen Witz, weshalb ich gerade in Lachen ausbrach. Ich vermisste meinen Bruder schon ziemlich. Leider konnte er erst in zwei Monaten vorbei kommen, da er vorher keinen Urlaub bekam.

Vorsichtig strich ich über das Bild bevor ich umblätterte und auf einem leeren Blatt einen Mann skizzierte. Ich entwarf einige verschiedene Outfits, dann konnte Meli sich später eines aussuchen.

Die Stunde verging eigentlich ganz schnell. Und Joe bemerkte ich erst wieder als es läutete und er sich über meinen Block beugte.

„Du hast Talent“, murmelte er und studierte meine Zeichnungen.

„Ach quatsch, das sind bis jetzt ja nur Skizzen“, antwortete ich.

Wir verließen gemeinsam die Schule. Erst vor dem Schultor fiel mir ein, dass Ryan ja schon nach Hause gefahren war. Na toll, wie kam ich jetzt nach Hause.

„Ähm, Joe, kannst du mir sagen wo es hier eine Bushaltestelle gibt?“, fragte ich ihn.

„Wieso brauchst du eine Bushaltestelle?“, fragte er mich verwirrt.

„Ryan ist schon weg“.

Joe begann zu lachen.

„Quatsch keinen Scheiß, Jenna. Ich fahr dich nach Hause“, sagte er und steuerte auf den Parkplatz zu.

„Äh, danke?“, antwortete ich. Von den Plänen meines Bruders hatte er mir natürlich wieder einmal nichts erzählt.

Als wir bei Joes Auto angekommen waren stieg ich ein und schnallte mich an.

„Du wolltest ernsthaft mit dem Bus fahren?“, fragte er noch immer lachend.

„Ja natürlich, bevor ich hier drei Stunden in der Gegend herumrenne“, meinte ich.

Joe fuhr wie ein Irrer.

„Mann, die Ampel war gerade rot!“, rief ich entsetzt.

„Echt? Hab ich gar nicht gesehen“, meinte er nur und fuhr seelenruhig weiter.

„Du gefährdest mit deinem Fahrverhalten das Leben von anderen Leuten!“, warf ich ihm bitter vor.

Er sah mich eine Zeit lang von der Seite an.

„Schau auf die Straße, du Vollpfosten!“, fuhr ich ihn sauer an.

Das durfte doch nicht wahr sein. Dieser aufgeblasene Vollidiot überfuhr sämtliche Straßenschilder und Ampeln ohne mit der Wimper zu zucken.

„Okay, verdammt, bleib stehen!“, rief ich. Ich würde hier nicht länger mein Leben gefährden. Okay, ich hatte viele, sogar sehr viele Fehler gemacht, aber trotzdem liebte ich mein Leben.

„Was?“, fragte er verwirrt.

„Du sollst stehen bleiben!“, schrie ich ihn an.

Abrupt bremste er ab und blieb stehen.

„Wieso?“, fragte Joe verwirrt.

Ich riss die Autotür auf und stellte einen Fuß hinaus.

„Weil du fährst wie ein Verrückter, du Idiot! Du hättest mich umbringen können!“, schrie ich ihn an, sprang aus dem Auto und ging schnell in die Richtung, in die wir unterwegs waren.

Wie kann man nur so behindert sein? Autofahren war ja schön und gut. Und wenn man sein eigenes Leben durch unvorsichtiges Fahren gefährdet fand ich das zwar nicht gut, aber ja, das kann jeder selbst entscheiden. Aber wenn man dann das Leben von anderen, in diesem Fall mir, gefährdet, dann hört sich der Spaß auf.

Ich hatte schon einmal einen Unfall gesehen. Ich war nicht beteiligt gewesen, aber gesehen hatte ich ihn. War live dabei. Ein betrunkener Irrer hat einen Fußgänger, der die Straße überqueren wollte, überfahren. Der Fußgänger hatte keine Chance mehr, er war sofort tot. Und seine ganze Familie, seine Freunde und Nachbarn hatten jemanden verloren. Von einer Sekunde auf die andere, ohne jegliche Vorwarnung.

Wütend stapfte ich die Straße entlang.

„Jetzt komm schon Jenna, steig wieder ein“, meinte Joe und fuhr neben mich. Aus geöffnetem Fenster lehnte er sich heraus und redete mit mir.

„Zu dir? Niemals“, meinte ich sauer.

„Wieso nicht?“

Ich schnaubte. „Weil du fährst wie ein Betrunkener“.

„Ach komm, so schlimm bin ich nicht“.

„Oh doch, bist du! Ich frag mich wie du diesen beschissenen Führerschein überhaupt bekommen hast“, fluchte ich.

„Welchen Führerschein?“, fragte er verwundert.

Geschockt blieb ich stehen und starrte ihn an. Er hatte überhaupt keinen Führerschein?

„War ein Scherz. Komm schon Jenna, ich hab dich nur verarscht, natürlich hab ich einen Führerschein. Und jetzt steig wieder ein, ich fahr auch vorsichtig“.

Was? Oh, jetzt hat er endgültig ausgeschissen. Mit diesem Arschloch will ich nichts mehr zu tun haben!

Ich war sauer. Ich war wirklich sauer. Mein erster Schultag war ziemlich scheiße gewesen. Wenn die Anderen aus Ryans Gruppe auch so drauf waren, dann zog ich wieder zurück zu Mum.

„Mann Mädchen, ich kann dich doch hier nicht so alleine lassen“, meinte Joe wütend.

„Tja, ich gehe lieber als noch einmal zu dir ins Auto zu steigen“, fuhr ich ihn an.

„Na dann viel Glück“, zischte er, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und gab Gas.

Und dann war ich alleine.

Mitten im Nirgendwo auf einer Straße.

Hier fuhren noch nicht einmal andere Autos vorbei.

Und ich war wirklich verdammt sauer.

Kapitel 3 - Was für eine Nacht!

 

Nach zwei Stunden laufen kam ich zu Hause an. Wieso war die Schule eigentlich so weit weg?

Verschwitzt und noch immer sauer schloss ich die Haustür auf und warf meine Schultasche in eine Ecke.

„Hallo?“, rief ich laut und zog meine Schuhe aus.

Ryan kam polternd die Treppe herunter.

„Wo warst du so lange?“, fragte er verwundert.

„Ich bin nach Hause gelaufen“, schnaubte ich. Ich ging Richtung Küche und stelle einen Teller Nudeln in die Mikrowelle. Die musste Sonja gemacht haben, denn wenn mein Dad noch immer so war wie früher verbrannte er sogar Wasser.

„Was? Joe wollte dich doch mitnehmen?“, meinte er.

Ich deutete ihm den Vogel.

„Bei dem Volltrottel steig ich nie wieder ein“, murmelte ich.

„Was hat er gemacht?“, fragte Ryan.

„Er hätte mich fast umgebracht mit seiner Raserei. Dieser Idiot beachtet keine Ampeln oder Schilder. Er fährt einfach wie es ihm gefällt“, regte ich mich auf.

Ryan seufzte.

„Das macht er nur bei Mädchen“, murmelte er und schüttelte den Kopf.

„Was?“

„Naja, normalerweise ist Joe ein guter Fahrer. Nur wenn er Mädchen mitnimmt, fährt er wie ein Irrer. Er will halt angeben. Ich meine, hast du sein Auto gesehen? Das ist der Wahnsinn!“, meinte mein Bruder.

„Ja ganz toll, dann soll er diesen Scheiß gefälligst lassen“, erwiderte ich, holte meine Nudeln aus der Mikrowelle und stapfte in mein Zimmer.

Ich schaltete meinen Laptop ein und überprüfte neben dem Essen meine Emails und Nachrichten.

Mum wollte wissen wie es mir ging und ob ich gut angekommen war.

Jason beschwerte sich, dass ich nicht da war und Lucy nervte.

Und Meli hatte mir wegen den Entwürfen geschrieben. Ich machte meine ersten Entwürfe noch schnell fertig und scannte sie ein. Ich war gespannt was sie dazu sagte.

Meine Gedanken rasten um Joe. Ich konnte einfach nicht aufhören an ihn zu denken. Also, positiven ersten Eindruck nennt man etwas anderes. Zuerst behandelt er mich wie ein Niemand, dann lacht er mich aus, ignoriert mich und kommt dann wieder angekrochen. Bin ich ein verdammter Lückenfüller, oder wie?

Plötzlich leuchtete ein Symbol auf meinem Laptop auf und ich erkannte eine Nachricht von Meli.

Jenna! Wie geht’s dir? - fragte sie.

Sehr gut, danke und dir? – fragte ich zurück.

Auch. Danke für die Entwürfe, die sind toll!

Haha, es sind nur Entwürfe, da fehlt noch sehr viel! – schrieb ich.

Ich würd sie sofort nehmen!

Das hört man gerne! Wie geht’s dir mit der Musicalproduktion?

Anstrengend! Meine Tänzer sind alle ziemlich scheiße und ich muss mich auch noch um das ganze andere kümmern, ich kann sie einfach nicht alle trainieren… - schrieb Meli.

Hm.. Das hörte sich nicht so gut an. Die Tänzer waren das wichtigste bei einem Musical.

Oh Scheiße! Und was willst du jetzt machen?

Ich weiß es nicht. Ich hab überlegt noch ein zweites Casting zu machen, aber ich weiß nicht ob das so viel bringt… L - schrieb Meli.

Na dann hol dir doch einfach Hilfe?? – riet ich ihr.

Und woher? Gute Tänzer findet man nicht an jeder Ecke…

Wie wärs mit deinem Bruder? – meinte ich. Ihr Bruder, Michael, war ein begabter Tänzer. Er konnte Moves einfach so aus dem Stehgreif erfinden oder sofort nachtanzen.

Michael hat sich letzte Woche die Hand gebrochen. Er kann zwar einfache Sachen tanzen, aber nichts schwierigeres. Konditionstraining und Dehnen übernimmt er für mich.

Oh je, armer Michael!

Shit, wie hat er das angestellt? – fragte ich entgeistert.

Autounfall.. L Aber es geht ihm soweit gut. – schrieb sie.

Oh man, er auch? Wieso hatte jeder Probleme damit sich an die Verkehrsregeln zu halten?

Kennst du sonst noch jemanden? – fragte sie.

Eigentlich kannte ich niemanden mehr, der so gut tanzen konnte. Wir hatten früher einmal eine Tanzgruppe, Michael und Meli waren auch dabei. Und ich. Aber ich war zu weit weg um die Anderen zu trainieren und der Rest von unserer Gruppe war ziemlich scheiße. Alle waren irgendwo im alltäglichen Jugendkram verstrinkt, manche mehr, manche weniger.

Wie wärs mit deiner Schwester Luzy? Kann sie tanzen? – fragte Meli.

Hm.. konnte Luzy tanzen? Eigentlich hab ich sie noch nie so richtig in Action gesehen.

Keine Ahnung, aber frag sie!! – machte ich ihr Mut.

Mann Jenna, kannst du nicht wieder zurück kommen? Du wärst eine perfekte Trainerin J - schrieb Meli.

Haha, nein ich war absolut keine gute Tänzerin. Wie schon erwähnt, mir fehlte das Musikgefühl. Und andere Leute trainieren? Ja klar, sonst noch was?

Sorry Meli, aber das geht nur, wenn du mit all deinen Tänzern zu mir kommst J - antwortete ich.

Ich glaub nicht, dass ich mir die Buskosten leisten kann. Naja, ich muss leider los, wir hören uns! – verabschiedet sich meine Freundin und schon bald zeigte ein kleines rotes Licht an, das sie offline war.

Ich wünschte Meli alles Gute für ihre Aufführung!

„Sag mal, was ziehst du heute Abend zum Essen an?“, fragte Ryan ohne anzuklopfen.

„Mann hast du mich erschreckt“, rief ich aufgescheucht.

„Keine Ahnung, wo gehen wir denn hin?“, fragte ich und strich mir durch die Haare. Sollte ich sie noch waschen?

„Black Jack heißt der Laden. Ist so ein nobles Restaurant. Und später will ich dir noch einen Club zeigen, der ist cool“, erklärte mein Bruder und ließ sich neben mir aufs Bett fallen.

„Okay, also was schönes anziehen?“, fragte ich nach und stand auf. Ich ging zu meinem Schrank und versuchte etwas Passendes zu finden. Normalerweise brauchte ich nicht lange um ein passendes Outfit zu finden, aber heute war einfach nicht mein Tag.

Rotes Kleid, schwarzes Kleid? Rock mit Bluse oder doch eine normale Jeans? Ich hasste Klamotten.

„Das ist gut“, meinte Ryan plötzlich und hielt ein schwarzes T-Shirt mit Wasserfallausschnitt hoch. Ich hatte es wahllos aufs Bett geschmissen, da es mir zu unscheinbar erscheint.

„Echt? Mit Jeans?“, fragte ich.

Total Klischeehaft, der Bruder hilft der Schwester beim Klamottenaussuchen. Wie im Buch!

„Mhm. Sieht toll aus. So nehm ich dich auch mit in die Öffentlichkeit“, scherzte er und verließ mein Zimmer.

„Arschloch“, rief ich ihm noch lachend hinterher.

Aber er hatte schon Recht, das Outfit sah gar nicht so schlecht aus. Noch hohe Schuhe mit vielen Riemchen und ich war fertig.

Haare waschen konnte ich morgen früh auch noch, also steckte ich sie nur zu einem hohen Pferdeschwanz hoch. Ich war nicht so heikel mit meinem Aussehen. Ich sah nun mal so aus, wie ich halt aussah. Und wenn es den Anderen nicht passte dann hatten sie eben Pech gehabt.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich mit Mathe. Nachsitzen am ersten Schultag war keine Glanzleistung von mir und dieser Fall musste sich auch nicht unbedingt wiederholen.

 

Gegen sechs Uhr kam Dad von der Arbeit und wir fuhren los. Schon von außen sah das Restaurant ziemlich schick aus. Und hier gingen die Beiden wirklich öfter Essen?

„Ward ihr überhaupt schon einmal da drinnen?“, fragte ich sie misstrauisch.

„Eigentlich nicht“, sagte Dad entschuldigend und lächelte mich an.

Also machten sie das ganze Theater nur für mich? Oh Gott, ist das lieb von den Beiden!

„Aber es gibt ja bekanntlich für alles ein erstes Mal“, meinte Ryan und stieg aus dem Auto.

An der Eingangstür zum Restaurant wurden wir gleich von einem Schnöselig aussehenden Kellner begrüße. Der brachte uns zu unserem Tisch. Er hatte einen großen Schnurrbart im Gesicht und einen schwarzen Anzug an.

Auch die restlichen Kellnerinnen waren sehr elegant gekleidet. Hier passierte es wohl nicht so oft, dass sich jemand beim Abräumen mit Essen bekleckerte.

Naja, egal.

„Guten Abend, ich bin Stacy, eure Bedienung für heute Abend“, stellte sich ein Mädchen etwas älter als ich vor. Sie sah nett aus, hatte blonde Haare und rote Wangen.

Sie brachte uns die Speisekarten und dann begann der Kampf.

Was bitteschön sollte ich hier essen? Alles hörte sich total lecker an und ich war auch schon wieder ziemlich hungrig. Auch Ryan kämpfte mit der Entscheidung, nur Dad war schnell.

„Was nimmst du?“, fragte ich ihn.

„Nummer 52. Hast du dich schon entschieden?“, antwortete er.

Hm.. Nummer 52-Steak- hörte sich gut an, aber wenn Dad das schon bestellte wollte ich doch was Anderes nehmen.

„Ich kann mich nicht entscheiden“, klagte ich.

„Ich glaub, ich nehm…“, fing Ryan an, aber dann brach er wieder ab.

Dad lachte. „Entscheidet euch doch einfach spontan“, schlug er vor.

Okay, spontan entscheiden. Das schaffte ich. Ähm… Fisch. Oder Spaghetti. Scheiße. Essen war grausam!

Doch dann kam mir die rettende Idee. Ich schloss einfach meine Augen und deutete mit meinem Finger auf irgendein Gericht.

Okay, Nudeln mit Tomatensoße. Einfach, aber lecker.

Ryan entschied sich dann nach einer Ewigkeit für ein Kotelett und wir konnten bestellen.

„Hey Dad, ich will Jenna später noch das Dragons zeigen“, meinte Ryan lächelnd.

„Natürlich, wie lange wollt ihr bleiben?“, fragte er.

„Hm.. Keine Ahnung“, überlegte mein Bruder.

„Morgen ist Schule, vergesst das nicht“, ermahnte Dad.

Brav nickten wir.

Das Essen kam schnell und schmeckt wirklich, wirklich lecker.

„Wow, wie viel bezahlen wir denn für dieses Essen?“, wollte ich mit vollem Mund wissen.

„Viel zu viel, aber heute ist es in Ordnung“, grinste Dad.

Viel zu schnell verging das Essen. Wir redeten über die Schule, wobei ich nicht erwähnte dass ich heute schon nachsitzen musste, über Dads Arbeit und vieles mehr. Ryan erzählte von seiner Band, dass sie zu viert sind und eigentlich gar nicht so schlecht klangen. Und ich erzählte auch von Jason und Luzy und dass ich sie wahnsinnig vermisste.

Als Dad die Rechnung bekam verließen wir diesen edlen Schuppen.

„Kannst du uns vorm Dragons absetzen“, fragte Ryan Dad, als wir ins Auto einstiegen.

„Natürlich. Bleibt aber nicht zu lange. Und falls irgendetwas ist, ruft bitte an“, meinte er fürsorglich. Lieb von ihm.

Ryan und ich nickten.

Das Dragons war kein besonders großer Club. Naja, von außen sah er halt nicht so groß aus. Einige Leute standen davor Schlange. Für einen Clubbesuch hatte ich anscheinend nicht die passenden Klamotten an, denn alle anderen Mädls waren mit kurzen Röcken und engen T-Shirts bekleidet. Naja, eigentlich wollte ich auch gar nicht so aussehen wie sie.

Als ich mich hinten anstellen wollte zog Ryan mich nach vorne.

„Hey, was machst du da?“, fragte ich ihn. Ich wollte mich jetzt wirklich nicht vordrängen.

„Ach Jenna, mach dir keine Sorgen“, seufzte er lächelnd. Er ging ganz nach vorne und begann mit einem der Türsteher zu sprechen.

Plötzlich tippte mir jemand an die Schulter.

„Hey, du hast da wirklich eine tollte Tasche, wo hast du die her?“, frage mich ein blondes Mädchen, ungefähr in meinem Alter.

„Danke“, antwortete ich. „Ich glaub ich hab sie aus New York, bin mir allerdings nicht mehr ganz sicher“, erzählte ich ihr lachend.

„Wow, nach New York will ich auch unbedingt mal. Wie hat es dir dort gefallen?“, fragte sie.

„Ganz gut, eigentlich. Zum Urlaub machen ist es toll, aber ich könnte niemals in so einer großen Stadt wohnen!“, sagte ich.

„Kann ich mir vorstellen. Ist sicher ein bisschen einengend, oder?“, murmelte sie.

„Ja schon“. Ich musterte sie. Sie sah anders aus, als die anderen Mädchen, die um sie herum standen und mich nur kalt musterten. Sie trug wie ich, eine Jeans und ein Netzshirt.

Ryan schlang seinen Arm um meine Schulter. „Komm Jenna“, sagte er und zog mich hinein.

Ich warf dem Mädchen hinter mir noch ein freundliches Tschüss zu, bevor ich an den grimmig dreinblickenden Security Männern vorbei ging.

Drinnen war es laut und voll. Aber toll. Es war ein berauschendes Gefühl endlich wieder einmal aus zu gehen. Als ich das letzte Mal aus war, war ich noch zu Hause bei Jason und Meli.

„Wieso ist hier montags so viel los?“, rief ich Ryan zu.

„Heute sind zwei berühmte DJs da. Fast alle die ich kenne sind hier“, antwortete er nah an meinem Ohr. Er zog mich weiter ins Innere des Clubs und mir wird bewusst, dass das Gebäude eigentlich ziemlich groß ist. Mehrere Bars und Tanzflächen. In den Ecken gemütliche Sitzecken mit kleinen Tischen. Über uns erstreckte sich auf einer Art Balkon der V.I.P. Bereich.

Wir drängelten uns durch tanzende, betrunkene Menschen und ich begann zu lachen.

„Was ist?“, rief Ryan, als er kurz stehen blieb um einem rothaarigen, torkelndem Jungen auszuweichen.

„Mir ist nur gerade aufgefallen, dass ich eigentlich ziemlich selten nüchtern in einem Club bin“, rief ich ihm grinsend zu.

„Du bist siebzehn“, antwortete er nur und schüttelte gespielt tadelnd den Kopf.

„Na und?“, rief ich zurück und wir schoben uns weiter durch die Menge.

Unser Ziel war eine kleine Sitzecke, auf der sich schon einige Leute niedergelassen hatten. Erst auf dem zweiten Blick erkannte ich, dass es sich um Ryans Freunde aus der Schule handelte.

Danny winkte mir erfreut zu, die anderen lächelten mich an. Doch an ihre Namen konnte ich mich nicht mehr erinnern. Ich ließ mich neben ein brünettes Mädchen fallen und Ryan verschwand wieder.

Danke Bruder, dass du mich hier ganz alleine lässt, dachte ich.

„Jenna, oder?“, fragte die Brünette neben mir.

„Ja genau. Und du bist?“, fragte ich zurück.

„Mara“, antwortete sie.

„Okay. Ich bin mir sicher, Ryan hat dich schon vorgestellt, aber ich bin wirklich schlecht darin, mir Namen zu merken“, gestand ich lachend.

„Kein Problem, ich auch. Aber für mich ist es einfacher, immerhin muss ich mir nur einen neuen Namen merken“, grinste sie.

Ja, da hatte sie verdammt recht.

Ryan ließ sich wieder neben mich fallen und stellte mir einen Becher hin.

„Was ist das?“, wollte ich wissen.

„Orangensaft“, meinte er zwinkernd.

Entsetzt sah ich ihn an.

Ryan grinste und begann dann zu lachen.

„War nur ein Scherz. Irgendwas mit Wodka glaube ich“, antwortete er und hob seinen Becher hoch. Zweifelnd nahm ich meinen und stieß gegen seinen.

Langsam kostete ich das Zeug, aber es war gar nicht so schlecht.

„Hey Ryan, lass mich doch mal deine Schwester zu quatschen“, ertönte eine Stimme neben Ryan und plötzlich war er weg. Danny ließ sich neben mich fallen und grinste mich an.

„Na, wie geht’s Ryans Schwester?“, fragte er.

„Ganz gut, wie geht’s dir Ryans Freund?“, frage ich ihn.

„Auch super. Ich hätte dich für viel zu brav eingeschätzt, als dass du an einem Montag aus gehst. Und das, obwohl wir morgen Schule haben“, lachte er.

„Bin ich wirklich so brav rüber gekommen, als ich heute Morgen aus dem Auto ausgestiegen bin?“, fragte ich ihn entsetzt.

„Ja, bist du. Keine hohen Schuhe, oder kurzen Röcke. Du warst ja noch nicht mal richtig geschminkt“, meinte er.

„Oh, tut mir Leid. Ich wusste ja nicht, dass ich mich anziehen muss als wäre ich auf der Fashion-week“, erwiderte ich spitz.

„Kein Grund sauer zu werden, Prinzessin. Mir gefällst du auch so ganz gut“, meinte er mit einem Zwinkern.

„Na, da hatte ich jetzt aber Glück“, sagte ich ironisch.

„Kommst du mit an die Bar?“, fragte mich Mara.

Ich nickte und wir schubsten Danny von der Bank, damit wir aufstehen konnten.

Nach langem und anstrengendem Gedrängel erreichten wir die Bar.

Moment Mal, das Mädchen hinter der Bar kam mir seltsam bekannt vor.

„Woher kenne ich sie?“, fragte ich Mara.

„Oh, das ist Dana. Sie geht auch auf unsere Schule“, erklärte sie mir.

Natürlich, das Mädchen aus Englisch, dass mich nicht mag.

Sie hatte eine Hotpants und ein schwarzes Flatter-shirt an. Und noch immer dieselben Schuhe wie in der Schule. Ihre Haare hatte sie zu einem hohen Zopf gebunden und erst jetzt kamen durch ihre schwarze Haarmähne lila und blaue Strähnen hervor. Sie sah toll aus.

„Hey Dana“, rief Mara laut und lehnte sich über die Bar.

Dana nickte ihr kurz zu und öffnete dann geschickt zwei Bier, um sie den beiden Typen neben uns zu geben. Als sie das Geld eingesammelt hatte wandte sie sich uns zu.

Grinsend sah sie mich an.

„Na, wenn das nicht unsere Englisch-queen ist“, meinte sie und verstaute dass Geld in einer kleinen schwarzen Tasche.

„Was kann ich euch bringen“, fragte sie an Mara gerichtet.

„Wie wärs mit zwei Tequila“, fragte sie mich.

Ich nickte und Dana begann zwei Gläser zu füllen.

„Du arbeitest neben der Schule also hier“, fragte ich sie.

Dana nickte. „Sieht ganz so aus, oder?“, meinte sie.

„Eigentlich wollte ich ja da hinauf“, erklärte sie und deutet zu den DJs. „Aber die meinten nur, dass ich zuerst mal als Barkeeperin helfen soll“.

„Ich würd das nicht aushalten. Die ganze Nacht lange zu schuften“, antwortete ich nur.

„Ach, das bisschen Arbeit. Hier, geht aufs Haus. Wir sehen uns in Englisch“, sagte sie, stellte uns unser Getränke hin und wandte sich an die nächsten Kunden.

Ich konnte mir nicht helfen, dieses Mädchen war einfach cool.

Als wir ausgetrunken hatten zog Mara mich auf die Tanzfläche. Eigentlich mochte ich tanzen. Allerdings nur, wenn ich alleine war. Oder betrunken. Mara war wirklich gut. „Wo hast du das denn gelernt?“, rief ich ihr bewundernd zu.

„Nirgends“, meinte sie und zuckte mit den Achseln.

Nach einiger Zeit wurde ich müde, und so war ich nicht begeistert, als sich ein warmer Arm um meine Schulter legte. Doch als ich ihn abschütteln wollte, wurde ich nur noch enger an ihn gezogen.

„Darf ich jetzt nicht einmal mehr mit meiner Schwester tanzen?“, rief Ryan mir zu und dreht mich im Kreis.

Erleichtert atmete ich aus.

„Doch, sicher“, rief ich und drehte mich wieder zurück.

Ryan war gut. Und es machte richtig Spaß mit ihm zu tanzen.

Nach einiger Zeit wurde ich wirklich müde und ich setzte mich an die Bar und sah den andern zu. Nebenbei tippte ich eine SMS an Jason und schickte ihm ein Foto von meinem tanzenden Bruder.

„Na, keine Lust mehr“, fragte mich jemand neben mir.

Ich blickte auf und erblickte einen der Security Männer. Nein warte, den kannte ich doch.

„Joe?“, fragte ich verwirrt.

Er nickte nur.

„Du arbeitest hier auch?“, frage ich verwirrt. Ah, deshalb sind wir so schnell und ohne warten herein gekommen.

„Wieso auch?“, fragte er.

„Ich hab heute schon jemanden getroffen, der hier arbeitet“, antwortete ich.

„Na dann“, sagte er und rieb sich müde übers Gesicht.

„Sorry, wegen heute“, meinte er dann.

Was meinte er? Ah ja, er wollte mich unter die Erde bringen. Naja, eigentlich war er nicht alleine Schuld. Ich hatte auch überreagiert. Es ist ja nichts passiert. Und nicht jedes Mal musste gleich ein Unfall passieren, wenn man zu schnell fuhr. Ich hatte vermutlich einfach schlechte Erfahrungen mit Schnellfahrern gemacht. Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht war ich auch einfach schon zu müde, aber ich nickte einfach.

„Schon vergessen“, sagte ich.

„Ich such jetzt mal Ryan“, meinte ich und drängelte mich in die Menge hinein.

Ich fand ihn mit Mara, Danny und dem blonden Jungen, dessen Namen ich noch immer nicht wusste an einer Bar.

„Hey“, meinte ich und lehnte mich gegen ihn.

„Schon müde?“, fragte er leicht nuschelnd. Ganz nüchtern war er anscheinend auch nicht mehr.

„Ja“, antwortete ich.

„Gut, dann fahren wir nach Hause“, sagte er und wandte sich den Anderen zu. „Wollte ihr mit uns mitfahren? Ihr könnt auf der Couch schlafen“, bot er den anderen beiden an.

Ebenfalls müde nickten sie und Dad holte uns nach wenigen Minuten ab.

Mara wurde ins Gästezimmer einquartiert und der blonde Junge schlief auf der Couch.

„Ich hoffe, es hat dir gefallen“, meinte Ryan, als er beim Zähne putzen neben mir im Bad stand. Mittlerweile war es halb vier Uhr morgens und in drei Stunden musste ich schon wieder aufstehen.

„Oh ja, es war toll, danke“, erwiderte ich müde und fiel dann nach wenigen Minuten erschöpft ins Bett.

Kapitel 4 - Prügel für die Partyvögel

Mein Wecker war brutal. Und überlebenswillig. Ich schlug ihn zwei Mal gegen die Wand. Erst beim dritten Mal erstarb das lästige Piepen. Vermutlich aber für immer. Toll, ich hatte meinen Wecker auf dem Gewissen.

Mühevoll setzte ich mich im Bett auf. Wieso genau war ich auch so blöd und ging an einem Montagabend aus? Das war ja fast so wie zu Hause. Nur dass ich da den Dienstag dann einfach schwänzte. Ich schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben.

Im Bad genehmigte ich mir zu aller erst eine kalte Dusche. Das beste Mittel um wach zu werden.

Nachdem ich mich fertig geschminkt hatte und meine Zähne geputzt waren trottete ich hinunter in die Küche, wo Ryan schon Frühstück in sich hinein schaufelte.

„Morgen“, murmelte er verschlafen.

„Guten Morgen“, antwortete ich und strich mir nur kurz ein Marmeladenbrot und schenkte mir etwas Kaffee ein.

„Wie spät ist es?“, fragte Ryan müde.

„Ähm.. kurz vor sieben“.

„Gut“

„Hast du die anderen schon geweckt?“, fragte ich.

„Welche anderen?“, fragte er verwirrt.

„Na, Mara und den blonden Typen, die wir gestern mitgenommen haben“.

„Scheiße!! Weck du bitte Leo auf!“, rief er und sprang von seinem Stuhl.

Ah, Leo war also sein Name.

Gemütlich schlenderte ich hinüber ins Wohnzimmer.

„Guten Morgen!“, rief ich laut und kniete mich neben Leo, der schnarchend auf der Couch lag.

Er rührte sich keinen Zentimeter.

„Hey, wach auf!“, rief ich ihm ins Ohr und schüttelte ihn an der Schulter.

Doch er gab noch immer keine Lebenszeichen. Sein Schnarchen stockte nur kurz, ging dann aber wieder regelmäßig weiter.

Nach kurzem Überlegen schlug ich ihm einfach ins Gesicht und zog ihm die Decke weg.

Verschlafen schlug er blinzelnd die Augen auf und sah mich verwirrt an.

„Was ist?“, fragte er und rieb sich übers Gesicht. „Hast du mich etwa geschlagen?“, fragte er geschockt.

„Nein, das musst du geträumt haben. Los, steh auf, in zehn Minuten fahren wir zur Schule“, sagte ich und stand auf.

Mit einem kurzen Blick auf ihn grinste ich ihn an.

„Schicke Boxershorts“, meinte ich und verließ das Wohnzimmer.

Mara kam neben Ryan in die Küche und sah schon hellwach aus. Im Bad war sie anscheinend auch schon, denn ihre Schminke passte und war nicht mehr verschmiert.

„Wo ist Leo?“, fragte Ryan.

„Der müsste gleich kommen“, sagte ich und trank meinen Kaffee aus.

„Willst du auch einen?“, fragte ich Mara.

Sie nickte und ich goss ihr eine Tasse ein.

Nachdem ich meine Tasche geholt hatte und Leo seine Hose gefunden hatte konnten wir los fahren.

„Sag mal“, begann Leo und drehte sich zu mir um, „ Hast du mich heute Morgen wirklich geschlagen?“, fragte er ernst.

„Nein, hab ich dir doch schon gesagt“, sagte ich ebenso ernst.

„Wieso tut dann mein Gesicht weh?“, fragte er verwirrt.

„Keine Ahnung, vielleicht bist du drauf gelegen?“, meinte ich und konnte mein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken.

„Aber…“, fing Leo an.

„Ehrlich, sehe ich so aus als würde ich einen unschuldigen schlafenden Jungen einfach so aus dem Bett prügeln?“, fragte ich und schaute ihn mit Hundeblick an.

„Ähm…“, machte er und sah mich verwirrt an.

„Sag jetzt ja nichts falsches“, lachte Ryan.

„Nein, tust du nicht, sorry“, sagte er dann und grinste mich an.

„Kein Problem, ich verzeih dir“, sagte ich und lachte.

Mara sah mich wissend an und musste ihr Grinsen verstecken.

Als wir an der Schule ankamen waren wir schon reichlich spät dran.

Wir sprinteten in die Schule und ich kramte meinen Stundenplan hervor.

Geschichte. Uäh.

Ich lief in den 1. Stock und suchte das passende Klassenzimmer.

Gerade noch vor der Lehrerin betrat ich das Klassenzimmer und ließ mich auf den letzten freien Platz in der zweiten Reihe fallen.

Die Stunde verging langsam und wurde auch nicht besser, weil mir jemand die ganze Zeit Papierkügelchen ins Haar schmiss. Als unsere Lehrerin kurz mit dem Rücken zu uns stand drehte ich mich wütend um und entdeckte Danny hinter mir.

Frech grinste er mich an und winkte mir zu.

Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Miss Anderson“, rief mich die Lehrern, Frau Ampt oder so, auch schon auf.

„Ja?“, fragte ich freundlich und versuchte ein nettes Lächeln.

„Wann war der dreißigjährige Krieg?“, fragte sie.

„Ähm…“, machte ich. Was?

„Haben Sie meine Frage nicht verstanden?“, fragte sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

Ich nickte nur.

„Na gut, wann war der dreißigjährige Krieg?“, fragte sie erneut.

Super, ich wusste es noch immer nicht.

Plötzlich zischte das Mädchen neben mir „1618“.

„1618?“, wiederholte ich lauter.

„Lassen sie es nächstes Mal nicht wie eine Frage klingen, dann lasse ich die Antwort gelten“, meinte sie gutmütig und Danny hinter mir begann zu lachen.

„Mister Duchard“, wandte sie sich an Danny und nun konnte ich mein Grinsen nicht unterdrücken „ Wie lange dauerte dieser Krieg?“

„Äh“, kam es aus der Reihe hinter mir.

Ach komm schon, wieso bekam er die leichte Frage? Dreißigjähriger Krieg? Dauer dreißig Jahre? Das war doch logisch!

Doch Danny wusste die Antwort nicht und bekam ein Minus.

Ach Danny.

„Hey. Danke übrigens“, zischte ich meiner Sitznachbarin zu.

Sie hatte rote lange Haare, die sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte und unzählige Sommersprossen im Gesicht.

„Kein Problem“, sagte sie und wandte sich sofort wieder dem Unterricht zu.

Man, alles Streber hier.

Nachdem die Stunde zu Ende war packte ich meine Sachen. An der Tür traf ich dann auf Danny, der anscheinend auf mich gewartet hatte.

„Ernsthaft? Du weißt nicht wie lange der dreißigjährige Krieg gedauert hat?“, fragte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Das schockt mich auch“, ertönte plötzlich die Stimme unserer Lehrerin hinter uns.

„Mister Duchard, Sie sollten sich ein Beispiel an Miss Anderson nehmen“, meinte sie und stolzierte an uns vorbei.

„Hat sie mich gerade gelobt?“, fragte ich verwirrt.

„Hat sie dich grade gelobt?“, wiederholte Danny meine Frage und starrte ihr hinterher.

„Ja hat sie“, meinte das Mädchen, das vorher neben mir gesessen hatte und ging lachend weiter.

„Cool, der zweite Schultag und ich wurde schon gelobt“, freute ich mich.

„Bäh“, machte er und schlang seinen Arm um meine Schulter.

„Wieso warst du gestern so schnell weg?“, fragt er mich. „Du hast das Beste verpasst!“.

„Bald?“, fragte ich ihn entsetzt. Welche Zeitrechnung hatte dieser Mensch.

„Ja.“, antwortete er tot-ernst.

Wie lange war er bitte dort?

„Hast du überhaupt geschlafen?“, fragte ich ihn während wir den Gang entlang schlenderten.

„Nein“, lachte er und kramte ihn seinem Rucksack nach einem Kaugummi.

„Was hast du jetzt?“, fragte er.

Ich zog den verknitterten Zettel aus meiner Hosentasche und schaute nach.

„Deutsch“, antwortete ich.

„Na dann, viel Spaß, wir sehen uns beim Mittagessen“, rief er und ging die Treppen hinunter.

Ich seufzte und machte mich auf zu meinem neuen Klassenzimmer.

 

Der Vormittag verging schleppend und ich war froh, als ich die Cafeteria betrat. Ich sah mich um, entdeckte aber niemanden den ich kannte.

Seufzend holte ich mir mein Tablett mit Essen. Heute gab es Lasagne. Aber sie sah nicht gerad vielversprechend aus. Hm.

Als ich fertig war sah ich noch immer niemanden, den ich kannte, deswegen beschloss ich mein Essen draußen am Schulhof zu Essen.

Hier draußen waren fast keine Schüler und ich setzte mich auf die Mauer, auf der ich gestern schon saß.

Die Sonne schien mir ins Gesicht und ich schloss kurz die Augen.

Als ich sie wieder öffnete stand Dana vor mir.

„Na, hast du niemanden gefunden zu dem du dich setzen kannst?“, fragte sie mich provozierend und ließ sich neben mich fallen.

„Ich find es hier draußen gemütlicher“, wich ich ihr aus.

„Na klar“, sagte sie wissend und holte einen Apfel aus ihrer Tasche.

„Du siehst überhaupt nicht müde aus“, stellte ich staunend fest. Hatte sie nicht die ganze Nacht gearbeitet.

„Sollte ich?“, fragte sie.

„Du hast die ganze Nacht gearbeitet?“, meinte ich.

„Ja und? Ich hab den ganzen Vormittag geschlafen“, sagte sie.

Verwirrt sah ich sie an.

„Jetzt tu nicht so unschuldig Jenna, ich weiß ganz genau dass du nicht das brave Mädchen bist, das du hier zu sein vorgibst“, meinte sie und stand auf.

„Und woher willst du das wissen?“, fragte ich sie alarmiert.

„Du hast dich selber verraten indem du mich gerade so schockiert ansiehst“, meinte sie.

„Aber keine Angst, ich mag dich noch immer nicht, also werde ich es auch keinem weiter sagen“, sagte Dana und stolzierte ins Schulinnere.

Was? Wer verdammt noch mal war dieses Mädchen und wieso wusste sie Dinge über mich, die niemand hier wusste?

 

Wenig später tippte mir Mara an die Schulter.

„Na du, ganz alleine?“, fragte sie.

„Jap“, machte ich und lächelte sie an. „Aber über Gesellschaft würde ich mich freuen“.

Sie ließ sich grinsend neben mich fallen.

„Weißt du Jenna, ich mag dich. Du schlägst meinen Bruder, das find ich Klasse“, meinte sie.

„Wen schlage ich?“, fragte ich verwirrt nach.

„Leo“.

„Ihr seid Geschwister? Sorry, das wusste ich nicht“, antwortete ich verwirrt. Sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich.

„Ja. Zwei verschiedene Väter, jetzt merkt man das nicht so“, erklärte sie.

„Hm“, machte ich und sah sie an.

„Ach, mach dir keine Sorgen. Ich versteh mich prima mit meinem Vater und Leos ist auch nicht so schlimm. Wir sehen uns öfters, da er immer noch vorbei kommt“, sagte sie schulterzuckend.

„Er kommt noch immer vorbei, obwohl sie geschieden sind?“, fragte ich.

Mara lächelte.

„Nein, nicht geschieden. Leo war so eine Art Unfall. Aber ein guter Unfall, wie sie immer bezeugen. Mum und Leos Vater sind gute Freunde. Und mein Vater ist auch ganz okay, auch wenn er Mum vor zwei Jahren verlassen hat.“, meinte sie.

„Wieso hat er das denn gemacht?“, fragte ich entsetzt.

„Er hat im Krankenhaus eine falsche Prognose bekommen, die sagten ihm damals er wäre unsterblich krank und weil er meiner Mum das nicht antun wollte hat er uns verlassen. Es stellte sich dann aber heraus, dass das nicht stimmte. Meine Mum konnte ihm aber nie verzeihen, dass er einfach so gegangen ist und deswegen haben sie fast keinen Kontakt mehr“, erklärte sie mir und zuckte lächelnd die Schulter.

„Oh“, machte ich überfordert.

„Tut mir Leid, wenn ich dich jetzt etwas überfahren habe“, sagte sie und verzog das Gesicht.

„Kein Problem, ich bin froh, dass du mir das erzählst. Ich wusste nicht dass Leo dein Bruder ist. Meiner hat mir das nämlich verheimlicht“, murmelte ich.

„Ach komm“, lachte sie. „Ryan gibt sich solche Mühe. Seit du da bist ist er wie ausgewechselt. Er freut sich wirklich“, sagte Mara.

„Ryan ist ein toller Bruder“, erwiderte ich lächelnd.

„Das kann ich nicht beurteilen, aber er ist ein guter Freund“, sagte sie und lächelte. „Wie sieht es aus, hast du eigentlich einen Freund?“, fuhr sie fort.

Wenn das kein gekonnter Themenwechsel war. Ich musste schmunzeln.

„Nein, hab ich nicht. Du?“

„Auch nicht“, meinte sie traurig.

„Aber?“, fragte ich nach.

„Verliebt“, grinste sie.

Ah, Mara war verknallt. Mal schauen ob ich auch erfahre in wen.

„Aha?“, fragte ich grinsend. „Kenn ich ihn?“.

„Nein. Aber du lernst ihn noch kennen. Er spielt mit Ryan, Joe und Danny in der Band“, sagte sie.

„Ah, die sind alle dabei?“. Das hatte ich nicht gewusst. Ich wusste nur das Ryan dabei war.

„Ja. Und Daniel. Sie sind nicht mal schlecht“, meinte sie zuversichtlich.

„Wieso haben sie dann keine Auftritte?“, fragte ich verwirrt.

„Niemand will eine unbekannte Band spielen lassen“, erwiderte Mara traurig.

„Daniel also“, sagte ich.

„Aber hey, das darfst du niemanden erzählen!“, rief sie.

„Ehrensache“, versprach ich.

Die Klingel ertönte genau richtig und ich erhob mich.

„Was hast du?“, fragte Mara.

„Schwimmen“, strahlte ich.

„Und da freust du dich so?“, meinte sie verständnislos.

„Na klar. Schwimmst du nicht gerne?“, fragte ich zurück.

Mara schüttelte angewidert den Kopf.

„Ist doch irgendwie ekelhaft. Da sind schon so viele Leute drinnen geschwommen und das ganze Chlor, das man dann überall kleben hat“, erklärte sie.

Ich lachte. „Das Chlor ist ja dazu da, dass es nicht so ekelhaft ist“, versuchte ich sie zu überzeugen.

„Oh nein, das ist trotzdem ziemlich widerlich. Ich schwimme nicht gerne“.

„Was machst du dann wenn du Unterricht darin hast?“, fragte ich sie, während wir zum Schuleingang schlenderten.

„Entweder ich sage dass ich krank bin, oder meine Tage habe“, grinste sie.

Ich musste lachen.

„Das hört sich ja gut an“, erwiderte ich.

„Na dann, wir sehen uns später. Kommst du heute zur Bandprobe der Jungs?“, fragte sie.

„Klar, wenn Ryan mich noch einlädt“, zwinkerte ich.

Ich winkte ihr zu und ging in Richtung Schwimmhallen. Ich war schon reichlich spät dran und beeilte mich beim Umziehen.

Die Schule hatte zwei große Schwimmbecken nebeneinander. In einem trainierte schon eine Schulklasse und schwamm eine Bahn nach der Anderen.

Meine Klassenkameraden standen in kleinen Gruppen am Beckenrand und unterhielten sich. Ich suchte nach einem bekannten Gesicht, fand aber keines. Seufzend ließ ich mich auf eine Bank fallen und drehte meine Haare zu einem hohen Knoten auf meinem Kopf.

Die Lehrerin ließ sich Zeit und als sie endlich auftauchte atmete ich erleichtert auf.

Ich fühlte mich nicht wohl, wenn ich niemanden kannte.

Doch hinter der blonden Lehrkraft traten noch drei Jungs durch die Tür und ich musste grinsen. Danny und Leo hatten mich noch nicht gesehen und machten verrückte Gestikulationen hinter dem Rücken der Lehrerin.

Lachend stand ich auf und stellte mich zu den anderen wartenden Schülern.

„So ihr Lieben, ich hoffe ihr ward bereits duschen, falls nicht, beeilt euch. Zum Aufwärmen schwimmt ihr bitte sechs Bahnen und wir treffen uns dann wieder hier“, erklärte sie und klatschte in die Hände.

„Na wen haben wir denn hier?“, ertönte plötzlich Dannys Stimme neben meinem Ohr und er legte seinen Arm um meine Schultern.

„Hey“, sagte ich und grinste ihn an.

„Wir haben also tatsächlich gemeinsam Schwimmunterricht, welche Bereicherung für meine Augen“, sagte er strahlend und ließ seinen Blick über meinen, nur mit einem Bikini bekleideten Körper, schweifen.

„Hey“, rief ich empört und schlug ihm gegen den Oberarm.

„Tja, Prinzessin, hier kannst du absolut gar nichts machen“, erwiderte er grinsend. „Hier können wir starren so viel wir wollen“, flüsterte er mir ins Ohr.

Ich begann zu lachen.

„Idiot“, meinte ich lachend und ging von ihm weg zum Beckenrand.

Mit einem, hoffentlich eleganten, Kopfsprung sprang ich ins kalte Wasser und begann meine Bahnen zu schwimmen. Ich liebte das Wasser. Je kälter es war, desto besser. Bei Wasser war meine Schmerzgrenze sehr niedrig, was ich selbst nicht verstand.

Ruhig spannte ich meine Muskeln an und legte ein schnelles Tempo vor. Je schneller ich fertig war, desto schneller konnte ich nachschauen wie gut die Anderen so waren.

„Du kannst uns nicht entkommen“, erklang Leos lachende Stimme neben mir.

Er schwamm auf meiner rechten Seite und spritze mir Wasser ins Gesicht.

„Wir sind überall“, ertönte es von links und als ich den Kopf drehte erkannte ich Danny, der sich durchs Wasser kämpfte.

„Wetten, ich bin schneller als ihr?“, fragte ich grinsend und begann Gas zu geben. Schnell hatte ich die beiden abgehängt und nach wenigen Sekunden erreichte ich das erste Mal das Beckenende. Ich drehte um, stieß mich von den kalten Fließen ab und schwamm weiter. Ich schwamm an den verdutzt dreinblickenden Jungs vorbei und nach kurzer Zeit hatte ich meine sechste Bahn vollendet.

Ich zog mich aus dem Becken und stand auf.

Danny und Leo waren weit zurück gefallen und staunend stellte ich fest dass ich die allererste war, die fertig wurde.

Ich beobachtete die Anderen und alle wurden mit der Zeit fertig.

„Du bist ziemlich fies“, warf Leo mir keuchend vor, als er sich neben mich fallen ließ.

„Ja, hättest du fair gespielt, dann hätten wir dich besiegt“, meinte Danny schwer atmend.

„Natürlich“, lachte ich.

Die drei Stunden vergingen rasend und schon bald stand ich in der Dusche im Mädchenumkleideraum.

Als ich fertig angezogen, meine Haare geföhnt und die verschmierte Schminke abgewischt war, verließ ich den großen, stickigen Raum.

Draußen stieß ich auf Leo.

„Du bist eigentlich gar nicht nett, Jenna“, sagte er anklagend und verzog das Gesicht.

„Wieso denn nicht?“, fragte ich unschuldig lächelnd.

„Zuerst schlägst du mich aus dem Bett, dann lügst du mich einfach eiskalt im Auto an und jetzt gerade hast du ziemlich geschummelt“, warf er mir vor.

„Wieso habe ich geschummelt?“, fragte ich ihn lachend.

„Na, hätten wir gemeinsam gestartet, hätten wir locker gewonnen“, meinte Leo.

„Ihr ward fast drei Runden weiter hinten, als ich schon fertig war“, erwiderte ich und sah ihn an.

„Trotzdem“, sagte er und ich musste lachen.

„Wie kommst du nach Hause?“, fragte er.

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist Ryan noch da“.

„Ich bring dich nach Hause, wenn du willst.“, bat er an.

„Fährst du so wie Joe?“, fragte ich misstrauisch.

„Was?“, fragte Leo verwirrt.

„Naja, fährst du auch so schnell wie Joe?“.

Leo lachte.

„Nein, ich bin ein braver Autofahrer“, versprach er mir und hielt mir die Schultür auf.

„Na dann, gerne“, antwortete ich.

Kapitel 5 - Bandprobe

 

Leo fuhr brav. Fast schon zu langsam, aber das war besser als anders herum.

„Mara ist also deine Schwester?“, fragte ich bei der Heimfahrt.

„Ja. Wusstest du das nicht?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

„Naja, so ähnlich sehen wir uns ja auch nicht.“, meinte er.

„Hey Jenna, heute Nachmittag ist Bandprobe, kommst du auch?“, wechselte er das Thema.

„Klar, bist du auch in der Band?“.

„Nee, das ist nichts für mich. Ich bin für die ganze Technik verantwortlich. Da wir allerdings keinen Auftritt bekommen ist da gerade nicht so viel zu machen“, erklärte er.

„In welchen Clubs habt ihr denn schon angefragt?“, fragte ich.

„Im Dragons, aber die lassen keine Lifebands spielen, dann im Magician, dort spielen allerdings nur ganz bekannte Bands. Und auf der Schulfeier letztes Jahr wollten sie uns zwar spielen lassen, aber dann ist ein Virus ausgebrochen und drei von den vier Musikern mussten strikte Bettruhe einhalten“, erzählte Leo.

„Oh shit. Und damit war die Chance dahin, oder?“.

Leo nickte.

„Was für Musik macht ihr eigentlich?

„Hm.. Genau kann man das nicht definieren. Ryan und Joe spielen Gitarre. Sie harmonieren einfach unglaublich geil zusammen. Sie spielen alles, sowohl ruhige Sachen als auch ganz fetzige mit E-Gitarre und Bass. Danny spielt Schlagzeug und ist auch echt gut drauf. Und Daniel spielt Keyboard. Du kennst ihn noch nicht, oder?“.

Ich schüttelte den Kopf.

„Daniel ist zwanzig und geht auf eine andere Schule. Wir kennen uns seit dem Kindergarten, aber irgendwann sind seine Eltern dann umgezogen und er musste mit.“, erklärte Leo im Schnelldurchlauf.

„Hört sich doch gut an. Wie lange spielen sie schon zusammen?“.

„Ungefähr ein Jahr jetzt. Sie sind wirklich gut“.

„Habt ihr schon mal überlegt wo anders aufzutreten? Also keinen berühmten Club anzustreben sondern einfach im Park oder so?“, fragte ich.

„Im Park?“, kam es skeptisch von Leo.

„Naja, es wäre immerhin ein Anfang und dann würden euch ein paar Leute kennen lernen“, erklärte ich.

„Keine schlechte Idee“, murmelte er nachdenklich.

„Hey, du musst mich hier raus lassen“, rief ich plötzlich als ich bemerkte dass er an meinem Haus vorbei fuhr.

„Stress dich nicht Jenna, wir fahren jetzt kurz zu mir, ich muss mir nämlich was holen und dann sammeln wir die Anderen für die Bandprobe ein.“

„Und wieso kannst du mich nicht Zuhause raus lassen und dann wieder abholen?“, fragte ich. Eigentlich wollte ich endlich aus diesen scheiß Sachen raus. Die Jeans klebte mir schon an der Haut.

„Weil Joe in die andere Richtung wohnt und ich absolut keinen Bock habe wieder zurück zu fahren“, erklärte er ruhig.

Toll. Leo hatte mich total hintergangen.

„Ach komm, das wird super. Hier sind wir schon. Willst du mit hoch oder hier warten?“, fragte er.

„Kann ich bei dir kurz aufs Klo?“, fragte ich.

„Klar“.

Leos Haus war schön. Naja, das Haus seiner Eltern war schön. Gelb gestrichen mit einem großen Garten.

Nachdem ich am Klo war suchte ich Leos Zimmer.

Ich folgte einfach den Geräuschen und fand mich in einem hellen, zusammengeräumten Zimmer wieder.

„Na, wer bist du denn?“, fragte eine Stimme und ich blickte zum Bett.

Scheiße, das war gar nicht Leos Zimmer sondern dass eines Jungen, der in einem Haufen von CD Hüllen herumkramte.

„Äh, sorry, ich dachte das ist Leos Zimmer“, versuchte ich mich herauszureden.

Hatten Leo und Mara noch einen Bruder?

„Kein Problem. Bist du seine Freundin?“, fragte er.

Was?

„Ähm.. Nein. Ich bin die Schwester von einem Freund von ihm“, erklärte ich ihm.

„Achso. Naja, was noch nicht ist kann ja noch werden“, sagte er. „Leos Zimmer ist eine Tür weiter“.

Dieser Typ hatte ja komische Vorstellungen.

„Danke“, murmelte ich und ging schnell wieder heraus.

Na, wenn der nicht komisch ist dann weiß ich auch nicht.

Leos Zimmer sah ganz anders aus. Überall lag Zeug herum und nichts war geordnet.

„Sorry, ich steh nicht so auf Ordnung“, meinte er schulterzuckend.

„Hast du noch einen Bruder?“, fragte ich gleich.

„Ja, Tom, hast du ihn schon getroffen? Er ist eigentlich ganz okay, nur manchmal hat er Crackphasen, da solltest du ihn nicht erwischen.

„Er nimmt Drogen?“, fragte ich.

„Hin und wieder. Aber er hat es im Griff“, sagte Leo schulterzuckend.

Na, wenn er meinte. Mich ging das ganze ja nichts an.

Leo kramte seinen Laptop unter einem Stapel Wäsche hervor und packte alles in eine große Tasche.

„Wir können“, sagte er und verließ vor mir sein Zimmer.

„Holen wir alle ab?“, fragte ich im Auto.

„Ryan müsste schon dort sein, Danny musste noch kurz nach Hause, also holen wir nur Joe und Daniel ab“, erklärte er.

„Und wo probt ihr?“

„Kennst du den kleinen See im nächsten Ort?“, fragte ich.

Ich schüttelte den Kopf. Noch nie davon gehört.

„Da steht ein kleines Haus, das gehört Joes Eltern. Dort proben wir meistens, weil dort niemand stört und nur wenige von diesem Ort wissen.“

„Ich fühle mich geehrt dass ich eine der Wenigen bin“, sagte ich lachend.

„Ehrensache, du bist Ryans kleine Schwester“, meinte er.

Wir hielten vor einem kleinen Haus mit schönem Holzbalkon.

„Wer wohnt hier?“, fragte ich.

„Joe“, antwortete Leo und hupte laut.

Nur wenige Minuten später kam Joe aus dem Haus mit einem Gitarrenkoffer in der Hand.

„Hey“, begrüßte er uns als er einstieg.

„Hallo“, sagte ich.

„Mann Joe, wo warst du heute? Ich hab dich in der Schule richtig vermisst“, lachte Leo.

„Ich war bis sieben im Club und musste zusammenräumen helfen. Dana ist gleich abgehauen jetzt durften wir Security-leute mithelfen“, schnaubte er.

„Wieso ist Dana abgehaut?“, fragte Leo.

„Keine Ahnung. Das Mädchen hat echt Probleme. Hat irgendwas von Tanzprobe oder so gemurmelt“, erklärte er.

„Um sieben Uhr morgens? Die spinnt doch“, erwiderte Leo verwundert.

„Naja, nächstes Mal muss sie helfen, sonst wird sie gefeuert“, meinte Joe kühl.

Wir erreichten Daniels Haus. Daniel wartete bereits vor der Haustür. Er sah ungewöhnlich aus mit seinen blauen Haaren, die er sich wild hoch-gegelt hatte.

Sonst war er allerdings nicht schlecht gebaut. Warum sahen hier eigentlich alle so gut aus? Da bekam man doch Komplexe!

„Hallo Zusammen!“, begrüßte Daniel fröhlich als er sich ins Auto fallen ließ.

„Hey, was geht?“, fragte Leo.

„Nicht viel, viel zu lernen im Moment. Man glaubt es kaum, aber Schule kann wirklich anstrengend sein“, lachte er.

„Und du bist?“, fragte er verwirrt.

Ich drehte mich halb um und grinste ihn an.

„Jenna“, sagte ich und streckte ihm die Hand hin.

„Freut mich Jenna. Wie komme ich zu dieser Ehre?“, sage er und zwinkerte mir zu.

„Ich bin Ryans Schwester“, erklärte ich ihm.

„Ryan hat eine Schwester?“, fragte er verwundert.

„Ja, stell dir vor. Und das schon seit siebzehn Jahren“, warf Leo kopfschüttelnd ein.

„Und was hast du die ganze Zeit gemacht?“, fragte Daniel. „Warst du im Knast?“.

„Nur kurz, die andere Zeit habe ich bei meiner Mutter gelebt.

Daniel grinste.

„Du gefällst mir. Ich sehe dir an dass du nicht so brav bist wie du aussiehst“, meinte er.

„Gestern war sie brav“, warf Leo ein.

„Warst du mit diesen Verrückten etwa schon aus?“, fragte Daniel.

„Naja, ausgehen konnte man das nicht nennen. Eher in einem stickigen Club herumsitzen und fast einschlafen“, erklärte ich.

„Gestern warst du noch anderer Meinung“, rief Leo empört.

„Hast du mich gestern etwa gefragt?“, fragte ich mit hoch gezogenen Augenbrauen.

„Nein, aber du sahst nicht müde aus“.

„Weißt du wie ich aussehe wenn ich müde bin“, fragte ich ihn ernst.

„Äh“, machte Leo.

„Na siehst du“, meinte ich triumphierend.

Joe und Daniel lachten.

„Mann Leo, mach dir keine Sorgen“, warf Daniel ein, „ Irgendwann musste ein Mädchen kommen dass dir Contra gibt“. Daniel lachte.

„Sie hat mich heute schon aus dem Bett geprügelt“, warf Leo ein.

„Hab ich gar nicht. Du kommst wirklich nicht damit klar, oder?“, rief ich.

„Du hast mich geschlagen. Als ich geschlafen habe!“, empörte sich Leo.

„Ich dachte wir hätten das schon geklärt“, meinte ich kopfschüttelnd, musste aber lächelnd.

„Mal ehrlich Jenna, man schlägt keine Jungs die schlafen“, warf Daniel lachend ein.

„Wie, du hast ihn wirklich aus dem Bett geprügelt?“, frage Joe amüsiert.

„Er hat geschnarcht. Und er wollte nicht aufstehen. Zuerst habe ich in ganz nett darum gebeten seinen königlichen Hintern von unserer Couch zu erheben. Hat er aber nicht getan also musste ich wirksamere Methoden ergreifen“, erklärte ich.

Joe begann lauthals zu lachen und Leo schob die Augenbrauen zusammen.

„Trotzdem“, sagte er eingeschnappt.

„Nächstes Mal nehme ich einen Kübel Wasser“, versprach ich.

Daniel lachte. „Wie gütig von dir“, sagte er.

 

Nach weiteren fünf Minuten Herumgealber erreichten wir das Haus am See. Es sah schon etwas heruntergekommen aus, hatte allerdings im Laufe der Jahre seinen Charme keinesfalls verloren.

Auf der großen Holzterrasse, die sich rund um das kleine Gebäude entlang zog standen bereits mein Bruder und Danny.

„Wo bleibt ihr denn so lange?“, rief Danny schon von weitem.

„Sorry, Jenna hat so lange gebraucht“, erklärte Leo.

„Bitte?“, rief ich empört.

„Mann Jenna“, meinte Ryan lächelnd.

„Ich war nicht mal zu Hause!“, rief ich wütend. „Dieses Mädchen hier neben mir hat sein Zeugs nicht gefunden, weil es nicht fähig ist sein Zimmer auf zu räumen“, schnaubte ich wütend und deutete auf Leo.

Dieser hob abwehrend die Hände.

„Wem glaubt ihr mehr? Mir oder ihr?“, fragte er prüfend in die Runde.

„Ihr“, meinte Daniel und schlug Leo gegen die Schulter.

„Tz“, schnaubte Leo und stapfte an mir vorbei ins Häuschen.

„Das hast du davon, wenn du Lügengeschichten erzählst“, rief ich ihm noch nach.

„Da hast du aber gerade ein Ego verletzt“, meinte Joe lachend und trug seine Gitarre ins Haus.

Ich ließ den Blick über die kleine Gartenanlage schweifen. Das Häuschen stand nur wenige Meter vom See weg. Dieser war wirklich nicht gerade groß und sah ziemlich kalt aus. Trotzdem war es hier irgendwie romantisch.

„Kommst du?“, wollte Ryan wissen und ich ging zu ihm. Er legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich ins Innere.

Wir betraten einen kurzen Flur und gingen durch eine unscheinbar wirkende Tür. Doch dahinter befand sich ein professionelles Studio. Wow, echt erstaunlich was die Jungs hier aufgebaut hatten.

„Wow“, sagte ich ehrfürchtig zu Ryan.

Ein riesiges Mischpult stach mir sofort ins Auge, an dem bereits Leo saß. Davor war eine Glasscheibe, die einen separaten, kleinen Raum abtrennte.

In besagtem Raum standen ein Schlagzeug, vermutlich Dannys, zwei Gitarrenständer, wobei auf einem bereits eine Gitarre lehnte, und ein Keyboard. Mikrofone waren überall verteilt. Das war ja wirklich unglaublich hier und musste ein Vermögen gekostet haben.

„Ich hoffe ihr habt sehr gute Alarmanlagen“, murmelte ich überwältigt.

„Wieso?“, fragte Joe.

„Na, das alles hier muss ein Vermögen wert sein“, erklärte ich.

„Ach, so teuer war das Zeug gar nicht“, meinte Ryan. „Wir haben ja alle zusammen gezahlt“.

Die Jungs begannen sofort damit ihre Instrumente einzustellen und zu stimmen und Leo werkte am Mischpult herum.

Ich entdeckte währenddessen einige gemütliche Sesseln und Sofas hinter dem Mischpult. Von da aus hatte man perfekte Sicht aufs Studio.

Wieso musste Ryan musikalisch sein und ich konnte nicht einmal einen Ton treffen. Naja, immerhin konnte ich ein wenig tanzen. Oder ich hatte mich in meiner Kindheit sieben Jahre lang komplett blamiert, ohne dass es mir jemand gesagt hatte.

„Sorry Leute, bin etwas spät“, kam plötzlich Maras Stimme von der Tür und sie ließ sich außer Atem neben mich fallen.

„Hey“, grüßte sie mich fröhlich.

„Wieso siehst du so fertig aus?“, fragte ich sie lächelnd. Ihre Wangen waren gerötet und die Haare hingen ihr im Gesicht.

„Ich hatte Stress mit der Polizei“, erzählte sie.

Ich musste lachen.

„Wieso?“, fragte ich dann aber doch nach.

„Diese Idioten wollten mir doch tatsächlich eine Geldstrafe anhängen, nur weil ich etwas zu schnell gefahren bin“, wütete sie.

„Mara, Autofahren kann gefährlich sein, wie oft soll ich das eigentlich noch sagen?“, schimpfte ich.

„Sorry, ich weiß ja, aber ich hatte es eilig“, erklärte sie.

„Wieso? Ist doch egal wenn du etwas später kommst“.

„Na, eben nicht“, flüsterte sie und warf mir einen bedeutenden Blick zu.

Was?

Ah, es ging um Daniel.

„Naja, so wie du jetzt aussiehst, wirst du ihn vermutlich nicht so beeindrucken“, erklärte ich ihr lächelnd.

Hektisch fuhr sie sich im Gesicht herum.

„Besser?“, fragte sie nach einiger Zeit.

Ich hielt ihr meine Wasserflasche hin.

„Versuchs mal mit Entspannen“, lächelte ich.

In den Lautsprechern knackte es plötzlich und Joes Stimme ertönte.

„Wir sind soweit, Leo“.

Leo drehte an Knöpfen und Schob Hebel hin und her, bis er anscheinend zufrieden war, denn er deutete der Band mit dem Daumen nach oben, dass sie beginnen konnten.

Sie sahen wirklich schon ziemlich professionell aus.

Ryan hatte sich die Gitarre umgehängt und lächelte konzentriert vor sich hin.

Danny am Schlagzeug grinste mich an und streckte mir kurz die Zunge heraus.

Daniel lächelte Mara an und rückte seine Notenblätter zurecht. Das Mädchen neben mir rutschte unruhig hin und her und lief rot an. Lief da etwa schon etwas zwischen den Beiden?

Ja, und Joe sah einfach nur mega scharf aus mit der roten E-Gitarre. Wie konnte so viel Schönheit nur in ein kleines Studio passen? Und damit meinte ich jetzt nicht nur Joe. Die ganze Band würde ein wahrer Frauenschwarm werden.

Danny fing an mit seinen Sticks gegeneinander zu schlagen und gab somit den Takt an. Er begann mit einem ausgebauten Schlagzeugsolo schon zu Beginn des Liedes und ich muss sagen: Beste Entscheidung ever!

Nach und nach stiegen dann die anderen Instrumente ein und es entstand wirklich ein toller song. Da würde ich am liebsten sofort aufspringen und dazu tanzen.

Die Jungs sprangen im Aufnahmestudio herum, und lachten dabei ausgelassen. Bis jetzt war das Lied nur instrumental, doch dann fing zuerst Daniel an dazu zu singen. Und das haute mich wirklich um. Wie konnte ein zwanzigjähriger Junge mit blauen Haaren nur so schöne Töne erzeugen?

Auch Mara neben mir schmolz dahin. Ihr traten sogar schon Tränen in die Augen, dabei war es nicht einmal ein ruhiges Stück. Im Gegenteil, das hier war wahre und richtig gute Partymusik.

Ich fischte ein Taschentuch aus meiner Tasche und hielt es Mara hin.

„Mach es nicht zu offensichtlich“, flüsterte ich ihr zu.

Nickend nahm sie es entgegen und täuschte einige Niesanfälle vor, um die Tränen wegwischen zu können.

Das Lied war gut und auch das nächste war wirklich super.

Ich verstand nicht wirklich, wieso die Jungs bis jetzt in keinem Club spielen durften.

Ich stand auf und ging zu Leo.

„Hey Leo“, flüsterte ich.

„Sie können dich sowieso nicht hören Jenna“, lachte er.

Ich grinste.

„Was gibt’s?“, fragte er.

„Kannst du sie aufnehmen und auf eine CD spielen?“, fragte ich ihn.

„Klar. Aber aus Datenschutzgründen muss ich dich natürlich fragen, was du damit vor hast“, meinte er.

Hm.. sollte ich ihm das wirklich verraten? Mir war vorhin nämlich eine wirklich tolle Idee gekommen.

„Ich brauch was zum Einschlafen am Abend“, log ich ihn an.

„Na dann“, meinte er und verschob ein paar Knöpfe auf seinem Spielbrett.

Ich ließ mich neben Mara fallen und genoss die Musik.

„Sie sind wirklich gut“, meinte ich.

„Oh ja, das sind sie wirklich“.

„Wer hat das alles geschrieben?“, fragte ich.

„Das Meiste kommt von Ryan. Aber auch Joe hat mitgewirkt. Die beiden sind die Hauptkomponisten dieser Werke“, erzählte sie.

Ich nickte. Wow, mein Bruder hatte es echt drauf.

Und dann fingen sie ein neues Lied an. Und dieses Mal war es eine ganz andere Musikrichtung. Mein Bruder hatte sich eine andere Gitarre geschnappt und fing an, zuerst ganz leise vor sich hin zu spielen. Es war eine Art Ballade und er sang vom Leben. Dieses Lied verursachte mir Gänsehaut.

Hoffentlich nahm Leo genau dieses Lied für mich auf.

Mara neben mir heulte schon wieder fast.

Mitten im Lied fing dann plötzlich mein Handy zu vibrieren an und ich verließ schnell den Raum um die Jungs nicht ab zu lenken.

„Hallo?“, fragte ich, da ich den Namen auf meinem Display überlesen hatte.

„Hey Jenna, hier ist Meli“, meldete sich meine Freundin.

„Hallo! Wie geht’s dir? Wow, ich freu mich so, dass du anrufst“, rief ich ins Telefon. Meli fehlte mir ziemlich hier.

„Man, Jenna, ich hasse es!“, schimpfte sie in den Hörer und ich konnte ein schluchzen hören.

„Was meinst du?“, fragte ich sofort nach und ging in den Garten hinaus.

„Die wollen das Musical absagen, weil sie meinen dass es zu 0815 ist“, beschwerte sie sich weinend.

„Wieso ist das zu 0815? Ich habe noch nie von so einem Musical gehört!“, fragte ich verwirrt.

„Sie sagen auch, dass mir die Tänzer und Schauspieler ja noch fehlen und deshalb sollte ich ernsthaft überlegen ob ich das Stück wirklich aufführen möchte. Das war sozusagen ein Todesstoß“, weinte sie.

„Aber Tänzer kannst du dir ja noch besorgen, oder?“, fragte ich sie.

„Ja, ich dachte ich hätte noch mehr Zeit. Mein Bruder kann nicht tanzen, deine kleine Schwester wäre zwar dabei und ich habe auch schon einige Andere gefragt, aber mir gehen noch immer einige ab und Musik habe ich auch erst zum Teil komponiert. Und wenn der Direktion meine Musicalidee generell nicht gefällt war das“, erklärte sie.

„Und wenn wir die Geschichte des Musicals einfach ein kleines bisschen umändern?“, fragte ich sie.

„Wie meinst du das?“, schniefte sie.

„Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir in der zweiten Klasse dieses Theater Stück mit der Prinzessin und dem Tod aufgeführt haben?“, fragte ich sie.

Kurz war es still am anderen Ende, doch dann lachte Meli.

„Gott, Jenna, das wäre die Idee! Das Konzept kam ja schon damals von uns, wir müssten die Geschichte nur noch genauer ausbauen“, rief sie begeistert.

„Aber dann müsstest du deine Bankräuber lassen“, warf ich beunruhigt ein.

„Ach ist doch egal. Aber das ist noch mehr Arbeit. Kannst du mir helfen?“, fragte sie mich bittend.

„Klar. Allerdings kann ich nicht so schnell kommen, weil ich ja noch Schule habe“, murmelte ich.

„Kein Problem. Ich komme einfach zu dir, oder wir treffen uns in der Mitte. Danke, Jenna, ich liebe dich!“, rief Meli noch ins Telefon und schon war die Leitung tot. Typisch Meli.

Gut, jetzt durfte ich also bei einer Musicalproduktion mitwirken. So hatte ich mir meine nahe Zukunft zwar nicht vorgestellt, aber es konnte ja trotzdem lustig werden. Besonders, da die Musicals meiner alten Musikschule immer recht lustig waren.

Ich drehte mich um und stapfte zurück zum Haus.

„Waren wir so schlecht, dass du sofort die Flucht ergreifen musstest?“, fragte Joe lachend. Er lehnte am Geländer der Terrasse und rauchte.

„Ihr wart wirklich toll“, versicherte ich ihm.

„Aber man raucht nicht“, tadelte ich ihn.

Er lachte mich aus. Er lachte mich wirklich aus.

„Klar Jenna“, meinte er und drückte seine Zigarette aus.

„Wir haben eine kleine Attentat auf dich vor“, meinte Joe plötzlich verschwörerisch.

Misstrauisch sah ich ihn an.

„Und die wäre?“, fragte ich vorsichtig nach.

„Du musst uns da bei einer, ähm, gemeinnützigen Aktion behilflich sein“, erklärte er mir.

Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl dabei.

 

Kapitel 6 - Abreibung für die Sprayer

 

Ryan beteuerte mir, dass ich wirklich nicht mit musste, wenn ich nicht wollte. Aber ehrlich gesagt war ich schon ziemlich neugierig, was die Gruppe ausheckte. Ziemlich legal hörte sich das Ganze nämlich nicht an.

„Ach, so schlimm wird das gar nicht“, lachte Danny.

„Mann, Danny, das ist meine kleine Schwester!“, regte sich Ryan auf.

„Ja und? Sie kann ja wohl selbst entscheiden ob sie uns helfen will, oder nicht“, entgegnete Danny.

„Bei was genau soll ich euch eigentlich helfen?“, fragte ich und setzte mich auf die Rückbank von Ryans Auto.

„Weißt du, wir sind ja einigermaßen bekannt an der Schule“, fing Danny an.

„Ja, das ist mir schon aufgefallen“, meinte ich und sah Ryan fragend an. Dieser schüttelte nur den Kopf und verzog das Gesicht. Passte ihm anscheinend gar nicht, dass ich mitkam.

„Das begann damit, als Ryan sich in dieses Mädchen verknallt hatte“, erzählte Danny.

„Arschloch“, zischte Ryan wütend und startete schnaubend den Motor.

„Ja, die Kleine hat ihm zuerst schöne Augen gemacht. Dann hat sie sich einfach einen Andren geschnappt. Ryan war so sauer, dass er dem Typen eines auswischen wollte, immerhin hat er ihm das Mädchen weggenommen. Zufälligerweise war Hausparty angesagt bei ihm. Und da die kleine Zicke Ryan provozierender Weise dazu eingeladen hatte, kamen wir auf die Idee die Party etwas aufzumischen“, grinste Danny und auch auf Ryans Gesicht bildete sich ein kleines Lächeln.

Uh, das gefiel mir. Ich liebte solche Aktionen.

„Was habt ihr gemacht?“, fragte ich interessiert.

„Zuerst nichts schlimmer. Abführmittel in die Bowle, Pfeffer in die Chips Schüssel, solche Sachen halt. Wir haben es nur unauffällig gemacht, sodass niemand mitbekam, dass wir dahinter steckten. Das war allerdings nicht so lustig, deshalb machten wir auch größere Aktionen“.

Ich sah in mit großen Augen fragend an.

„Du wirst schon sehen, also nur, wenn du uns auch helfen willst“, meinte Danny nur und sah mich fies lächelnd an.

„Klar will ich euch helfen“, rief ich aus.

Das hier war genau das, was ich zu Hause auch gemacht hatte. Mist, eigentlich wollte ich damit aufhören. Naja, egal, vernünftig konnte ich auch noch sein, wenn ich tot war.

„Bist du dir sicher?“, fragte Ryan sicherheitshalber nach.

„Klar! Hört sich doch lustig an“, meinte ich.

„Du hast ja komische Vorstellungen von lustigen Sachen“, erwiderte Ryan.

Ich lachte.

Die Autofahrt verging schnell und schon bald hatten wir Danny bei sich zu Hause abgesetzt und unser eigenes erreicht.

Dad saß bereits in der Küche und aß Spaghetti. Ihm gegenüber saß eine junge, blonde Frau, die ebenfalls einen Teller vor sich hatte.

„Da seid ihr ja. Sorry, dass wir mit dem Essen nicht auf euch gewartet haben“, erklärte Dad und wischte sich Tomatensoße aus dem Gesicht.

„Jenna, das ist Sonja, sie kocht für uns“, stellte mir Dad die blonde Frau vor.

Hm.. für eine Haushälterin war sie noch ziemlich jung. Ich schätze sie auf dreißig, nicht älter.

„Hi Jenna“, begrüßte sie mich und reicht mir die Hand.

„Hallo“, erwiderte auch ich und ließ mich dann neben meinen Dad fallen.

„Wollt ihr auch was?“, fragte Sonja und sprang sofort in der Küche auf und ab.

Die hatte vielleicht Energie, davon konnte ich nur träumen.

„Ja bitte, ich hab einen Bärenhunger“, antwortete ich und strich mir zur Untermalung meiner Worte über den Bauch. Es war ein anstrengender Nachmittag, nach dem Schwimmen direkt zur Bandprobe, ohne auch nur einen Müsliriegel oder sonstiges Essen in der Schultasche. Ich musste meinen Essensvorrat wirklich aufstocken!

„Der Kuchen von neulich war übrigens wirklich lecker“, lobte ich Sonja sogleich. Sie war wirklich unglaublich in der Küche. Wieso konnte ich nicht so gut kochen? Das hätte mir und meiner Familie schon zwei Lebensmittelvergiftungen erspart. Gut, daran dachte ich jetzt nicht so gerne zurück, war kein schöner Anblick.

„Danke, das freut mich, dass er dir geschmeckt. Ist ein Rezept von meiner Oma, ich kann es dir ja mal beibringen, wenn du willst“, bot sie gleich voller Eifer an.

„Das ist lieb von dir, aber ich bin wirklich unbegabt in kochen“, gestand ich ihr lachend.

„Ach, das kann man doch lernen“, versprach sie sofort grinsend.

Sie stellte einen dampfenden Teller Spaghetti vor mir ab und ich begann gierig zu essen.

„Hast du bei deiner Mutter nie gekocht?“, fragte Sonja.

„Nur ab und zu. Aber mir fehlte einfach die Zeit“, sagte ich mit vollem Mund.

„Das Schülerleben ist anstrengend, ich weiß“, meinte sie.

Tja, so oft war ich gar nicht in der Schule. Ich hing mit Freunden herum, war im Kino oder machte Bungeejumping von der alten Eisenbahnbrücke.

„Ja ich weiß, das ist schon ziemlich viel. Und die Lehrer meinen auch noch alle, sie müssten uns möglichst viel Hausübung geben“, jammerte ich und schlürfte meine Spaghetti. Wirklich lecker, vielleicht sollte ich mir doch Kochunterricht geben lassen.

„Und was hast du so in deiner Freizeit gemacht?“, fragte Sonja.

Hm.. Die Frau wollte wirklich was über mich wissen?

„Naja, ich hab viel mit Freunden unternommen“, umschrieb ich die Tatsache dass ich Schule geschwänzt hatte, „ich hab getanzt, war kurzzeitig in einem Club als DJ, das war mir aber zu anstrengend. Dann hab ich noch viel Sport gemacht. Mache ich eigentlich immer noch“, erzählte ich ihr.

„Und welchen Sport machst du so?“

„Volleyball, schwimmen, reiten, laufen, ich habe eigentlich so ziemlich alles einmal probiert. Je nachdem, welche Sportclubs es gegeben hat und welche Leute dort Mitglied waren“.

Sonja nickte.

„Hört sich wirklich interessant an. Hast du hier schon einen Sportclub gefunden?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Bis jetzt noch nicht, aber ich bin ja auch noch nicht so lange hier“.

„So richtige Sportclubs haben wir hier eigentlich nicht“, warf Dad ein.

„Wir hatten mal ein Volleyballteam, keine Ahnung, ob das noch existiert“, erzählte Ryan.

„Ich glaube das wurde aufgelöst“, sagte Dad.

„Naja, ich brauch ja keinen Sportclub oder eine Team. Ich kann auch so Sport machen“, meinte ich und aß meine Spaghetti auf.

 

Ryan riet mir, mich nicht zu auffällig anzuziehen, also entschied ich mich für eine schwarze, enge Jeans und eine dunkelblaue, leicht fallende Bluse. Und unbedingt flache Schuhe. Mein Bruder meinte, dass wir vielleicht weg laufen mussten.

Ich war wirklich schon neugierig was die alle vorhatten.

Um punkt halb neun trafen wir uns vor Joes Haus. Alle waren dunkel angezogen und ich tat mir wirklich schwer zu erkennen, wer nun wer war.

„So Leute, hier sind eure Masken“, rief Joe und teilte grüne Masken aus.

„Masken?“, fragte ich verwundert.

„Klar, wir wollen doch nicht, dass uns jemand erkennt“, antwortete Joe.

„Aber die ganze Schule weiß doch, dass ihr dahinter steckt, oder etwa nicht?“ erwiderte ich verwirrt.

„Sie vermuten es nur. Nur bei Ryan sind sie sich sicher, weil er damals ja die eine Aktion abgezogen hat“, erklärte er.

„Die Party vom Freund des Mädchens sprengen?“, fragte ich sicherheitshalber nach.

Joe lachte. „Nein, wir haben die Lehrerkonferenz platzen lassen und einige wichtige Notenblätter geklaut. Ryan wurde dabei vor der Schule vom Direktor geschnappt. Er hatte allerdings keine Blätter bei sich, deshalb konnten sie ihm nicht nachweisen, dass er wirklich etwas damit zu tun hatte. Eigentlich weiß jeder hier, dass wir es waren, aber die Lehrer hatten keine Beiweise, jetzt konnten sie uns auch nicht einfach so rausschmeißen“, erzählte Joe grinsend.

Wow, die hatten es wirklich faustdick hinter den Ohren. Eine Lehrerkonferenz sprengen? Auf so eine Idee wäre ich noch nie gekommen.

Alle Achtung, meinen Respekt hatten sie.

„Wir setzten die Masken hauptsächlich auf, weil der Typ, bei dem die Party ist, nicht von unserer Schule. Das heißt er weiß nicht dass wir dahinter stecken“, sagte Ryan.

„Und was habt ihr gegen ihn?“.

„Er hat unsere Schulmauer vor zwei Monaten mit Graffiti verschmiert und wir rächen uns jetzt ein bisschen dafür“, sagte Ryan und steckte die grüne Maske in die Hosentasche.

„Ist euch das Schulgelände etwa so wichtig?“, spottete ich.

„Eigentlich ist uns diese doofe weiße Mauer ziemlich egal, nur haben wir Ärger dafür bekommen weil jeder angenommen hat, dass wir dahinter stecken“, erklärte Joe wütend.

Verständlich.

„Gut, dann erklärt mir mal, was ich machen soll“, sagte ich.

Danny legte mir einen Arm um die Schulter und Joe und Ryan widmeten sich dem Kofferraum von Leos Auto, in dem haufenweise Zeugs gestapelt war.

„Das ist ganz einfach Prinzessin, du bist sozusagen unser kleiner Lockvogel“, sagte er.

„Was?“, fragte ich entsetzt.

„Du gehst als normaler Gast auf diese Party und wenn du merkst dass wir da sind lenkst du den Großteil der Partygäste irgendwie ab, damit vorerst niemand merkt, dass die Party gleich den Bach runter geht“.

„Und wie soll ich das bitte anstellen?“, fragte ich verwirrt.

„Lass dir etwas einfallen. Du bist ja nicht alleine, Mara wird dir helfen“, sagte er und deutete zu ihr hinüber. Mara sah schon mehr danach aus, als würde sie auf eine Party gehen, allerdings trug auch sie flache Schuhe.

Na toll, wie sollten wir das denn bitte schaffen?

„Und dann?“, fragte ich.

„Darüber mach dir mal keine Sorgen, wir nehmen dich schon wieder mit nach Hause“, sagte Danny lachend.

Hm, da war ich mir nicht so ganz sicher.

„Mach dir keine Sorgen, das wir super“, lachte Danny voller Vorfreude.

Ryan gab das Zeichen zur Abfahrt und Mara kam auf mich zu.

„Du hilfst mir also heute, das finde ich klasse. Es ist ziemlich schwer alleine so viel Aufmerksamkeit zu erregen“, lachte sie.

„Gut, dass du dich wenigstens auskennst“, meinte ich ehrlich und stieg hinter ihr in Leos Auto ein.

„Keine Sorge, wir haben jetzt erst mal Spaß auf der Party bis die Jungs alles vorbereitet haben.

Wir fuhren lange umher bis wir endlich eine Ansiedlung von Häusern erreichten, die nahe einem Wald lag. Aus einem der mittleren Häuser drang schon laute Partymusik und einige Jugendliche liefen draußen herum.

Ryans Auto, in welchem er selbst, Joe, Danny und Daniel saßen hatte schon weiter weg geparkt, damit niemand Verdacht schöpfte. Leo fuhr uns bis vor das Haus und ließ uns wie normale Partygäste aussteigen.

„Bis später Leo“, rief Mara ihm noch zu und kletterte aus dem Auto.

„Bis dann“, erwiderte er.

Als wir draußen waren brauste Leo auch gleich wieder davon.

Mara lachte ausgelassen und auch ich fing langsam an mich auf das vorstehende Ereignis zu freuen!

„Lasst den Spaß beginnen“, rief Mara laut und zog mich zum Haus.

 

Das Haus war riesig und modern eingerichtet. Allerdings bekam man von der Einrichtung nicht sehr viel mit, immerhin standen überall Plastikbecher und Chips tüten herum. Und es waren wirklich viele Jugendliche da. Aus Boxen, die in den verschiedenen Räumen verteilt waren drang laute Musik. Nicht schlecht die Musikauswahl. Mara zog mich hinter sich her durch die Leute. Ich drängte mich an zwei großen Kerlen vorbei, die den ganzen Eingang versperrten und sich gegenseitig mit Autoschlüsseln vor der Nase herumfuchtelten. Was gab es schöneres als an einem entspannten Partyabend vor den Freunden mit den Autos der Eltern an zu geben? Richtig, nichts.

Ich begann zu lächeln, als sich einer der Jungs zu mir umdrehte. Nur keinen Verdacht schöpfen lassen.

„Hey, na, konntest wohl nicht genug von meinem Hintern bekommen“, meinte er anzüglich und kam auf mich zu.

„Er war einfach zu monströs und direkt in meinem Weg, sorry“, lachte ich.

„Was?“, fragte er perplex nach.

Also wirklich intelligent sah dieses Exemplar eines betrunkenen Teenagers nicht gerade aus. Und ganz nüchtern auch nicht mehr.

„Komm Mara, wir gehen“, meinte ich und drehte mich zu ihr um.

„Was war das denn?“, fragte sie lachend und wir rannten fast aus dem Raum und versuchten möglichst viele Leute zwischen uns und dem Typen zu bringen. Dieser sah nämlich so aus als hätte er meine Worte schön langsam verstanden.

„Ich versuche nur die Partystimmung aufs Maximum zu bringen“, lachte ich und erkannte, dass wir es in die Küche geschafft hatten. Sehr gut, hier gab es was zu trinken.

Ich entdeckte Glasflaschen, die auf einer Anrichte aufgebaut waren und zog zwei Pappbecher aus einem Stapel.

„Was machst du da?“, fragte Mara verwirrt.

„Wir trinken jetzt auf Kosten eines Arschloches“, jubelte ich und füllte Wodka in die beiden Becher.

„Aber…“, fing Mara an, aber ich unterbrach ihren Einwand indem ich ihr den Becher in die Hand drückte.

„Keine Wiederrede“, sagte ich streng und stieß meinen Becher gegen ihren.

„Auf diesen Abend“, rief ich und lächelte.

Auch Mara schien sich langsam zu entspannen.

„Auf diesen Abend, du verrücktes Huhn“, entgegnete sie und wir kippten uns das Zeug hinunter.

Neben uns tauchte eine kleine Gruppe von Jungs und Mädchen auf und auch sie bedienten sich an den Getränken.

Sie alle sahen aus, als würden sie schon länger hier auf der Party sein und ich entschied, dass es Zeit war heraus zu finden wie der Veranstalter der Party hieß.

Lachend ging ich auf die Gruppe zu.

„Oh mein Gott, dich habe ich ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“, rief ich erfreut und tippte einem der Mädchen an die Schulter. Sie sah am Betrunkensten aus, also war sie leichte Beute.

Verwirrt drehte sie sich um und sah mich aus rot unterlaufenen Augen an.

„Wow, das ist jetzt wirklich schon lange aus. Wie geht’s dir? Du siehst einfach unglaublich gut aus, wo hast du dieses Oberteil her, das muss ja ein Vermögen gekostet haben“, säuselte ich weiter und umarmte das brünette Mädchen vor mir. Sie sah eigentlich ganz nett aus.

Und meine Worte zeigten anscheinend Wirkung, denn sie fing an zu lächeln.

„Oh wow, das stimmt, lange ist es her“, nuschelte sie und erwiderte meine Umarmung.

„Wie geht’s dir?“, fragte sie mich und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher.

„Wirklich gut, hier ist ja auch einiges los. Hast du schon die Anderen gesehen? Ich suche sie seit ungefähr einer Stunde und kann sie einfach nicht finden. Bist du mit ihnen her gekommen?“, fragte ich sie und ignorierte dabei die Anderen, die nebenbei standen und sich selbst unterhielten.

„Keine Ahnung, wo die schon wieder sind. Nein, ich bin mit Markus hier. Kennst du ihn schon?“, fragte sie mich und deutete auf einen blonden Jungen neben sich.

Sie streckte einen Arm aus und zog ihn am Ärmel zu sich herüber.

„Hey Markus, kennst du schon…“, fragte sie ihn und unterbrach sich selbst.

Mist, hoffentlich fiel ihr jetzt nicht auf dass sie mich überhaupt nicht kannte.

„Hi Markus, freut mich sehr, ich bin Georga“, stellte ich mich sofort vor und hielt ihm die Hand hin.

„Hey“, sagte er und starrte mich verwirrt an.

„Ist das dein Freund?“, wand ich mich wieder an das Mädchen und goss mir noch mehr Wodka in meinen Becher.

„Nein, Markus ist nur ein sehr guter Freund von mir. Weißt du Georga, ich hab mir damals, nachdem das mit Stefan passiert ist, geschworen, dass ich nie wieder was mit Mistkerlen anfange, also hab ich mich entschlossen, nie wieder einen Freund zu haben“, erklärte sie mir lallend. Oh man, die hatte ja schon einiges getrunken.

„Ich weiß auch nicht wieso ich jetzt hier auf Stefans Party bin, aber ich dachte mir, es wäre vielleicht eine gute Idee und dann hat mir Olivia erzählt dass du auch hier bist und dann dachte ich dass es eine gute Idee ist“, schloss sie und sah verwirrt in ihren Becher.

Ah, da war die Information, die ich wollte. Stefan gab also diese Party. Und ich war nun offiziell im Freundeskreis der betrunkenen Barbie aufgenommen. Toll!

„Oh man, Olivia hat dir erzählt, dass ich komme?“, fragte ich nach.

„Ja, sie sagte so zu mir, Lena, weißt du dass Georga heute auch zur Party kommt? Und dann musste ich einfach kommen“, murmelte sie und lehnte sich müde gegen Markus.

Wow, bin ich gut, jetzt hatte ich ihren Namen auch. Lena hieß sie also.

So, genug geforscht, jetzt war es Zeit Party zu machen.

„Na gut, Lena, es hat mich wirklich gefreut dich wieder zu sehen, aber ich muss jetzt mit meiner Freundin Stefan suchen gehen. Ist ja immerhin seine Party, da muss ich ihm Hallo sagen“, erklärte ich ihr und schnappte mir Maras Hand, die bisher verwirrt hinter mir gestanden hat.

„Okay, bye Georga, wir sehen uns später“, rief sie und winkte mir zu.

Schnell zog ich Mara aus dem Raum. Mit viel Glück hatte Lena bald vergessen dass sie mich überhaupt hier gesehen hatte.

„Mensch Jenna, was machst du?“, fragte Mara lachend.

„Ich besorg uns Informationen. Also die Party ist von einem Stefan und er hat eine Ex-Freundin, die Lena heißt“, lachte ich und schlenderte durch die Leute.

„Gut gemacht, Georga“, lobte mich Mara lachend.

„Ich danke, vielmals“, sagte ich. „Komm, wir tanzen“

Ich lief in die Mitte des Raumes, wo schon mehrere Jugendliche tanzten und begann mich zu bewegen. Die Musik hier war wirklich gut und da ich nun offiziell zwei Personen kannte, war es mir egal, ob mich die Anderen kannten, oder nicht.

Auch Mara fing neben mir an zu tanzen. Gemeinsam sprangen wir mit den anderen auf und ab und ich genoss die Party immer mehr. Als mich jemand von hinten antanzte ließ ich es zu. Ich kannte hier sowieso niemanden, also war es ziemlich egal.

„Ich kann mich gar nicht erinnern dich eingeladen zu haben“, flüsterte mir eine raue Stimme ins Ohr und warme Hände legten sich auf meine Hüften.

Was? Hatte ich wirklich das Pech ausgerechnet mit dem Gastgeber zu tanzen? Scheiße.

„Ich bin eine Freundin von Lena“, erwiderte ich und versuchte gelassen weiter zu tanzen.

„Ah na wenn das so ist, herzlich Willkommen. Ich bin Stefan und das ist mein Haus“, erklärte er mir.

Sein Haus?

„Tolle Party Stefan“, sagte ich und warf Mara einen genervten Blick zu. Doch auch sie war schon im Gespräch mit einem Jungen.

„Schön, wenn es dir gefällt. Hab auch ziemlich lange gebraucht meine Eltern davon zu überzeugen, dass sie heute weg fahren. Immerhin ist gerade mal Dienstag und sie halten nicht so viel von Partys unter der Woche“, erklärte er und drehte mich zu sich herum.

„Also wissen deine Eltern nichts von der Party?“, schlussfolgerte ich.

„Genau“, stimmte Stefan zu und nickte stolz.

Wow, das hätte ich jetzt nicht erwartet.

„Und wie willst du das alles bis Morgen wieder sauber machen?“, fragte ich ihn.

„Meine Freunde werden mir schon helfen“, lächelte er.

„Hm. Wenn das so ist, versuche ich nicht allzu viel Dreck zu machen“, versprach ich ihm lachend und drehte mich wieder von ihm weg.

Doch er packte meine Hand und begann mich im Kreis zu drehen.

„Das wäre wirklich nett von dir. Allerdings kannst du auch hier schlafen und mir dann selbst beim Aufräumen helfen“, meinte er an mein Ohr.

„Würde ich ja gerne, aber meine Mutter ist nicht so begeistert wenn ich unter der Woche einfach so bei fremden Jungs übernachte“, erklärte ich ihm.

„Aber sie hat nichts dagegen wenn du an einem Dienstag auf eine Party gehst?“.

Ich schüttelte den Kopf. Mum hatte ja auch nichts dagegen. Und Dad? Naja, ich glaube nicht, sonst hätte er was gesagt, immerhin waren wir gestern auch schon weg.

„Da hast du deine Eltern ja gut erzogen“, meinte er.

Ich nickte nur und machte mich von ihm los.

„Ich muss mal ganz dringend aufs Klo“, log ich ihn an und begann mich durch die tanzenden Leute zu drängen.

Eigentlich hatte ich nicht geplant den Sprayer persönlich kennen zu lernen. Hoffentlich hatte das keine Auswirkungen auf den Plan der Jungs.

Als ich in der Küche ankam holte ich mir eine Cola aus dem Kühlschrank und schaute mich um.

Wie bitte sollte ich in diesem Getümmel mitbekommen wann die Jungs hier waren?

Um das Risiko Mara zu verlieren etwas einzugrenzen ging ich wieder zurück auf die Tanzfläche.

Ich stellte mich neben die tanzenden und schreienden Teenager und schaute ihnen zu. Die Party hier war wirklich gut besucht und obwohl es noch nicht später als halb elf sein konnte lagen die ersten schon in den Ecken herum. Dieser Stefan musste wirklich bekannt sein auf seiner Schule, sonst wären nicht halb so viele Menschen hier.

„Alles klar bei dir?“, fragte jemand und lehnte sich neben mich.

Ich warf noch einen kurzen Kontrollblick zu Mara, bevor ich mich dem Typen neben mir zuwandte.

„Na klar“, lächelte ich.

Moment. Kannte ich den Typen neben mir nicht?

„Georga, richtig?“, fragte er.

Ah, das war Lenas Bekannter. Marcus glaub ich.

Ich nickte.

„Tolle Party, oder?“, fragte er und sah sich im abgedunkelten Raum um.

„Ja, ganz schön was los“, stimmte ich ihm zu.

„Oh ja, Stefan kennt viele Leute“, grummelte Marcus.

„Kennst du Stefan persönlich?“, fragte ich ihn.

„Ja, er geht in meine Klasse“, antwortete er.

„Du scheinst ihn nicht besonders zu mögen“, meinte ich und ließ es wie eine Frage klingen.

„Oh man, nein, ich hasse ihn. Er ist oberflächlich, arrogant und tut alles um bei den Mädls aufzufallen. Außerdem dealt er mit Drogen und hat mehrere illegale Aktionen geleitet. Erfolgreich, denn alle anderen die dabei waren sind aufgeflogen, er nie“, erklärte Marcus.

„Ernsthaft?“, fragte ich nach. So ein Arschloch.

„Und trotzdem sind alle hier auf seiner Party“, lachte er und schüttelte den Kopf.

„Vielleicht weil seine Party wirklich toll ist“, meinte ich und checkte mein Handy. Keiner hatte mir geschrieben, also tauchten die Anderen wirklich einfach so hier auf. Ich war schon sehr gespannt was sie machten.

„Partys schmeißen kann er wirklich“, stimmte Marcus zu. „Kennst du Stefan nicht?“, fragte er nach.

„Oh doch, ich kenne ihn, aber nicht so gut“, erklärte ich ihm lächeln.

„Also gehst du nicht auf unsere Schule?“, fragte er.

„Eigentlich komme ich aus San Franzisco“, sagte ich und suchte mit meinen Augen die Tanzfläche nach Mara ab. Erst als ich sie fand entspannte ich mich wieder.

„Und was machst du dann in diesem Kuhkaff hier?“.

„Ich gehe auf eine Party“, lachte ich. „Lust zu tanzen?“, fragte ich und stieß mich von der Wand ab.

„Klar“, stimmte Marcus zu.

Als mich Mara entdeckte grinste sie mich an.

„Woher kennst du Lena?“, fragte Marcus, als er mich an der Hand nahm und vor sich im Kreis drehte. Er konnte wirklich gut tanzen, wie ich feststellte.

„Ich hab sie mal im Urlaub kennen gelernt“, log ich ihn an.

„Ihre Eltern schleppen sie immer mit, wenn sie irgendwohin fahren“, meinte Marcus.

„Woher kennst du sie?“, fragte ich ihn.

„Wir gehen in dieselbe Klasse“.

„Wo ist Lena eigentlich?“.

„Ihr Bruder hat sie abgeholt. Sie hat wohl ein bisschen zu viel getrunken“, erklärte er grinsend.

Oh ja, Lena hatte definitiv zu viel getrunken.

Marcus drehte mich wieder herum, so dass ich jetzt mit dem Rücken an ihn gelehnt tanzte. Und da sah ich ihn plötzlich. Joe lehnte an der Wand und starrte zu mir herüber.

Ich legte den Kopf schief und sah ihn fragend an. Plötzlich begann er zu grinsen und zwinkerte mir zu. Er hielt den Daumen nach oben. Es ging also los.

Toll, was sollte ich jetzt machen?

Kurz überlegte ich, dann entschied ich mich kurzerhand und drehte mich rüber zu Mara, so dass ich gegen sie stieß.

Mit etwas Schwung ließ ich mich gegen sie fallen und fing dann fast augenblicklich an zu schreiben.

„Sag mal, kannst du nicht aufpassen?“, schrie ich sie an und Mara sah mich mit großen Augen an. Kurz zwinkerte ich ihr zu, bevor ich so tat als hätte ich mir den Fuß verletzt.

„Wieso springst du hier so herum, wenn noch Andere auf der Tanzfläche sind? Du brauchst einfach zu viel Platz!“, warf ich ihr laut vor.

Die ersten Partygäste drehten sich schon zu uns um.

Mara erwachte aus ihrer Starre und sah mich wütend an.

„Was soll das? Ich kann ja wohl nichts dafür, wenn du gegen mich fällst. Wer nicht tanzen kann soll es eben lassen!“, rief sie empört und fuchtelte mit den Händen vor ihrem Gesicht herum.

Wir mussten mehr Aufmerksamkeit erregen.

„Du behauptest dass ich nicht tanzen kann?“, rief ich empört und sprang ein paar Schritte zur Seite, sodass wir mehr Platz hatten und die Anderen unfreiwillig von der Tanzfläche gedrängt wurden.

„Ja, genau das habe ich gerade gesagt. Hast du einen Gehörschaden etwa auch noch?“, schrie Mara aufgebracht und fing an hin und her zu gehen. Sie hatte meine Taktik also verstanden.

„Was genau ist bei dir im Hirn eigentlich falsch?“, schrie ich sie an, schnappte mir einen leeren Becher aus der Hand eines Mädchens und warf ihn nach Mara. Wir mussten ein bisschen aktiver werden, wenn wir die Aufmerksamkeit der meisten Partygäste haben wollten.

„Mein Hirn funktioniert prima, aber bei dir muss da wohl etwas nicht stimmen. Immerhin beschuldigst du mich einfach so, dabei habe ich gar nichts gemacht“, schrie Mara und warf eine halbvolle Tüte Chips nach mir. Ich wich geschickt aus und stieß dabei gegen einen Stehtisch, auf dem mehrere Getränke standen.

Hm… Es konnte bestimmt nicht schaden ein bisschen Chaos zu verursachen.

Also schnappte ich mir einen halbvollen Becher und warf ihn, zwar ihn Richtung Mara, verfehlte sie aber absichtlich um einen halben Meter, sodass sich die Flüssigkeit auf den Klamotten zweier Mädls verteilte. Wütend starrten sie zu mir herüber und begannen mit zu streiten.

„Was wollt ihr zwei Bitches denn bitte?“, mischte Mara sich ein und schrie die beiden an.

„Das ist ja wohl eine Angelegenheit zwischen ihr und mir, also haltet eure aufgespritzten Lippen und lasst uns beide das wie zwei Erwachsene klären“.

Doch die Worte verfehlten ihre Wirkung bei den Beiden gezielt. Wütend fingen sie an auf Mara einzureden und warfen auch mit Chips und halbvollen Bechern um sich. Das Ganze führte dazu dass sich auch andere beteiligten und schon bald schrie die restliche Menge die Worte „Schlägerei! Schlägerei!“, im Chor.

Und das machten einige der Mädls wirklich. Sie zogen sich an den Haaren und kratzten den anderen durchs Gesicht. Erstaunt hielt ich kurz inne und suchte Mara in dem ganzen Chaos. Sie stand am anderen Ende des Tumults und diskutierte laut mit einer Blondine. Die hatte sich augenscheinlich einen Fingernagel abgebrochen, denn sie hielt ihre Hand in die Höhe und schluchzte.

Nur mit Mühe konnte ich ein Lächeln unterdrücken. Oh man, das war ja fast schon zu einfach gewesen.

Und dann ging plötzlich das Licht und die Musik aus. Stromausfall? Ernsthaft?

Die Leute begannen herumzulaufen und in Panik auszubrechen, immerhin war es beinahe stockdunkel in diesem Raum.

Plötzlich gaben die Lautsprecherboxen ein lautes Knacken von sich und ein schriller Ton erklang. Schnell hielt ich mir die Ohren zu und versuchte dem Gedränge zu entkommen.

Als das schrille Geräusch vorbei war ertönte Dannys verzehrte Stimme.

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kotzgemeinschaft. Wir hoffen Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt auf dieser beschissenen Party. Leider ist das feuchtfröhliche Vergnügen jetzt beendet, da irgendein braver, betrunkener Kollege in den Pool gekotzt hat. Wir wünschen euch noch eine wunderbarschöne Nacht, vergesst nicht die Blumen zu gießen, die Toiletten sind nämlich bereits verstopft, und falls sich das Gebäude zu drehen beginnt könnt ihr einfach in den Pool kotzen, da ist sowieso schon alles zu spät. Der Gastgeber möchte sich natürlich noch persönlich von jedem von euch verabschieden, also kommt doch alle in den Garten hinter dem Haus. Auf das dieses Arschloch nie wieder eine Party schmeißt!“, rief Danny und dann war der Lautsprecher tot.

Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Was hatten die Anderen gemacht? Die Menge begann zu murmeln und alle bewegten sich ins hintere Teil des Hauses, um in den Garten zu kommen. Ich schnappte mir Maras Hand, als sie an mir vorbeigehen wollte.

„Was haben sie gemacht?“, fragte ich sie.

„Also ganz sicher haben sie die Toiletten verstopft und in die Topfpflanzen gepinkelt“, lachte Mara.

„Und anscheinend versenken sie oben alles“, fuhr Mara fort und deutete auf ein kleines Rinnsal Wasser, das fröhlich die Treppe herunter lief.

„Echt jetzt?“, fragte ich und wir traten aus der Hintertür des Hauses. Fast alle Partygäste hatten sich dort schon versammelt und starrten alle in den Pool, der in den verschiedensten Farben glänzte.

„Was ist das?“, fragte ich verwirrt und bemerkte die glitschige Konsistenz des Wassers.

„Ich habe absolut keine Ahnung“, lachte Mara. „Oh schau“, rief sie und deutet zu einem kleinen Hasenstall im hinteren Teil des Gartens.

Doch im Stall war kein kleines, süßes Häschen. Im Stall saß zusammengekauert Stefan und schlug wütend auf die Gittertüren ein.

„Haben sie ihn etwa da hinein gesperrt?“, fragte ich entgeistert.

„Sieht ganz so aus“, entgegnete Mara lachend.

Plötzlich tauchte jemand mit einer grünen Maske neben mir auf und als er an mir vorbei ging flüsterte er „Lauf“ in mein Ohr.

Ryan.

Ich tippte Mara in den Oberarm und wandte mich zum Gehen.

„Es freut uns sehr dass ihr die Party dieses Arschloches besucht habt“, ertönte Dannys Stimme und ich erkannte ihn, mit der grünen Maske am Kopf. Er stand vor dem Hasenstall und hielt Stefan eine Karotte vor die Nase.

„Und nun meine treuen Partygäste möchten wir euch ersuchen dieses voll-gekotze Gelände zu verlassen, da einige Nachbarn die Polizei gerufen haben“, rief Danny stolz. Dann sprang er auf, rannte zum Zaun und schwang sich darüber. Und schon war er weg.

„Komm, beeil dich, hier ist gleich die Hölle los“, rief mir Mara ins Ohr und begann zu rennen.

Wir rannten zwischen den einzelnen Leuten hindurch, die aus dem Haus strömten um Stefan zu betrachten. Sie hatten die Ansage von Danny anscheinend nicht mehr mitbekommen. Doch einige andere waren schon dabei das Gelände fluchtartig zu verlassen.

„Komm“, rief Mara und wir sprinteten ums Haus herum und gelangten auf die Straße.

„Scheiße“, fluchte ich als ich am Ende der Straße bereits die Blaulichter des herannahenden Polizeiwagens erkennen konnte.

„Wohin?“, fragte Mara panisch.

Ich zog sie in die entgegengesetzte Richtung und wir liefen die Straße entlang und versuchten möglichst im Schatten der Bäume und Hecken zu laufen. Gott sei Dank hatten wir beide flache Schuhe angezogen.

Manchmal überholten wir andere davonlaufende Partygäste, doch mit der Zeit wurden die Straßenlaternen immer weniger und die Dunkelheit der Nacht umfing uns.

Ich wurde langsamer und Mara stützte sich keuchend auf ihren Knien ab.

„Sie haben ihn wirklich in einen Hasenstall gesperrt“, sagte ich noch immer verwundert. Wie kam man bitte auf so eine Idee?

„Oh man, das war jetzt witzig“, lachte Mara und lehnte sich an einen Baum.

„Sorry, dass ich dich angeschrien habe“, entschuldigte ich mich.

„Ach was, das war ein super Plan. Wen hast du denn gesehen? Ich habe die Jungs nicht einmal wahrgenommen“, gestand sie und lächelte entschuldigend.

„Joe war da“, erklärte ich ihr.

„Oh Gott, hoffentlich hat Daniel nicht gesehen wie ich mit diesem Typ getanzt habe“, rief Mara entsetzt und schlug die Hände vors Gesicht.

„Ach was“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Was ist, wenn er glaubt dass da was zwischen uns ist?“, jammerte Mara.

„Hey Mara, du hast doch nur mit ihm getanzt“, meinte ich.

„Okay, ja du hast Recht“, beruhigte sie sich.

Ich setzte mich neben sie auf den Gehsteig.

„Und äh, wo genau sind die Jungs?“, fragte ich nach einiger Zeit des Schweigens.

„Ich habe keine Ahnung. Normalerweise sollten sie schon hier sein“, erklärte Mara.

Ich checkte kurz mein Handy, aber niemand hatte versucht mich zu erreichen.

„Dann warten wir halt hier“, meinte ich.

„Bleibt uns nichts anders übrig. Wir können ja schlecht laufen“, sagte Mara und gähnte.

„Man, bin ich müde“, meinte sie.

„Ich auch. Die Jungs könnten schön langsam kommen, immerhin ist morgen wieder Schule und mein Tag war ziemlich anstrengend“.

„Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich morgen in die Schule gehe“, erklärte Mara müde.

„Nicht?“, fragte ich sie.

„Ich war gestern auch schon aus und war heute immerhin in der Schule. Also habe ich mir einen Schulfreien Tag verdient“.

Ich lachte. Mara hatte ja lustige Vorstellungen.

„Hey, ich glaube das sind sie“, sagte sie und deutete auf ein Auto, das neben uns zum Stehen kam.

„Ein Taxi, die Damen?“, ertönte Ryans Stimme aus dem heruntergelassenen Fenster.

„Sehr gerne, der Herr“, antwortete ich lächelnd und wir stiegen gemeinsam auf die Rückbank.

Joe saß vorne und grinste uns im Rückspiegel an.

„Gelungene Aktion“, lobte Mara die beiden Jungs. „Wie seid ihr denn auf die Idee mit dem Hasenstall gekommen?“, fragte sie.

„Das war ein Gedankenblitz als wir den Holzkasten gesehen haben. Eigentlich wollten wir ihn kopfüber vom Baum hängen lassen“, lachte Ryan.

„Der wird das Haus bis seine Eltern zurückkommen nicht sauber haben“, sagte ich lachend.

„Was?“, fragte Mara verwirrt.

„Naja, seine Eltern wissen nichts von seiner kleinen Feier und eigentlich wollte er das Haus bis morgen wieder zusammengeräumt haben“, lachte ich.

„Du hast mit ihm geredet?“, fragte Ryan. „Aber du wusstest ja nicht mal wer er ist?“.

Ich zuckte mit den Schultern. „So was findet man schnell heraus, auf wessen Party man ist“, lachte ich.

„Oh ja, Jenna hat sofort neue Freundschaften geschlossen“, lachte Mara.

„Du doch auch“, entgegnete ich grinsend.

„Das Beste war ja, dass dieser Stefan ernsthaft meinte, ich sollte ihm morgen beim Aufräumen helfen“, erzählte ich kopfschüttelnd.

„Wirklich?“, fragte Ryan. „So ein Trottel“.

„Oh ja, und er ist bei seinen Gästen gar nicht so beliebt wie er denkt“.

„Stimmt, der Typ mit dem ich getanzt habe, der mochte ihn überhaupt nicht“, erzählte Mara.

„Ja, Marcus mochte ihn auch gar nicht“, sagte ich und gähnte.

„Hey Ryan, kannst du mich nach Hause bringen?“, fragte Mara.

„Klar. Du kannst aber auch direkt zu Leo ins Auto, wenn du willst. Der fährt nämlich direkt hinter mir“, sagte mein Bruder und blickte in den Rückspiegel.

„Das wär natürlich noch besser“, sagte Mara.

„Joe, ruf ihn mal an“, forderte Ryan seinen Beifahrer auf.

Dieser wählte kurz.

„Hi Leo, deine Schwester will zu dir ins Auto. Was?“, Joe sah kurz zu Ryan. „Können wir dann Danny zu Hause raus lassen? Leo fährt dann nämlich Daniel nach Hause“, erklärte Joe.

Ryan nickte nur.

„Ja geht klar“, sprach Joe ins Telefon und legte kurze Zeit später auf.

Ryan blieb an der nächsten Kurve stehen und Mara verabschiedete sich.

„Bleib brav, Süße“, rief ich ihr hinterher und zwinkerte ihr zu. Immerhin würde sie jetzt mit Daniel in einem Auto fahren.

„Ach halt die Klappe, Jenna“, murmelte sie und schleppte sich aus dem Auto. Wow, die war ja wirklich fertig.

„Ich glaube es hat sie verletzt dass ich sie auf der Party angeschrien habe“, meinte ich grinsend.

„Euer Ablenkungsmanöver war toll“, entgegnete Ryan lachend. „Ich habe zwar nicht alles mitbekommen, aber das sah alles ziemlich chaotisch aus“.

„War es auch. Wegen euch hat sich jemand einen Fingernagel abgebrochen“, meinte Joe tadelnd und drehte sich mit ernstem Blick zu mir um. Dann fing er an zu lachen und drehte sich wieder nach vorne.

„War doch eine gute Idee deine Schwester mit zu nehmen“, sagte Joe an Ryan gewandt.

„Oh ja, da hast du ausnahmsweise einmal Recht“, pflichtete Ryan ihm bei.

Plötzlich ging die Autotür auf und Danny ließ sich auf Maras Platz fallen.

„Hey ihr Spasten. Was geht ab?“, fragte er und schnallte sich an.

„Man Jenna, ihr habt da drinnen ja einen richtigen Zicken-kampf losgetreten. Die Armen Mädls“, lachte Danny und schlug mir gegen den Oberarm.

„Dir tun ernsthaft die Mädls leid? Ihr habt den Typen in einen Hasenstall gesperrt“, rief ich empört. „Warte, was habt ihr mit dem Hasen gemacht?“, fragte ich neugierig.

„Frei gelassen“, lachte Ryan.

„Schade, ich wollte immer schon einen Hasen. Den hättet ihr ruhig mitbringen können“, sagte ich lachend.

„Bei der nächsten Party kriegt Jenna ihren Hasen“, lachte Danny.

Die Jungs unterhielten sich während der ganzen Fahrt über ihre Aktion und ich schlief vor Müdigkeit ein.

„Jenna, wach auf, ich muss hier aussteigen“, weckte mich Danny nach einiger Zeit und verschlafen stellte ich fest, dass ich an seiner Schulter lehnte.

„Schade, du warst ein tolles Kopfkissen“, murmelte ich müde.

Danny lachte.

„Nächstes Mal. Aber du kannst auf Joe weiterschlafen. Schwing deinen Hintern auf die Rückbank“, rief er nach vorne und schlug Joe mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.

„Das Mädchen braucht ein Kopfkissen“, rief er und stieg aus dem Auto. „Wir sehen uns morgen Leute“, rief er noch und verschwand im Haus.

„Danny hat gesprochen“, lachte Joe und ließ sich neben mich auf die Rückbank fallen.

„Na komm her“, meinte er und ich lehnte meinen Kopf gegen deine Schulter.

„Wehe du sabberst“, murmelte er noch, bevor ich wieder einschlief.

Das nächste Mal wurde ich erst wach als Ryan vor unserem Haus parkte. Und, tja, ich lag noch immer auf Joes Schulter. Aber ich war so müde, dass mir die ganze Sache auch morgen noch peinlich sein konnte.

Verwirrt sah ich die beiden an, als sie aus dem Auto stiegen.

„Na komm schon“, meinte Ryan und half mir aus dem Auto.

„Nicht mal bei Mum bin ich zwei Mal unter der Woche ausgegangen“, murmelte ich.

„Du kannst immerhin noch…“, er unterbrach sich und schaute auf seine Armbanduhr. „Du kannst immerhin noch vier Stunden schlafen“, sagte er dann.

„Nur?“, fragte ich entsetzt.

„Vielleicht mach ich es morgen wie Mara und bleibe zu Hause“, meinte ich.

„Nein, du gehst morgen schön brav zur Schule, sonst darf ich in Zukunft unter der Woche nicht mehr weg“, sagte Ryan bestimmt. Mist.

„Du schläfst heute hier?“, fragte ich Joe, während wir die kurze Auffahrt hoch gingen.

„Ja. Und bitte wecke mich morgen nicht so wie Leo auf“, lachte Joe.

„Ich werde mir Mühe geben“, lächelte ich.

Im Haus angekommen versuchten wir möglichst leise zu sein. Joe wurde im Gästezimmer einquartiert und ich ging gleich in mein Zimmer und zog mir eine kurze Boxershorts und ein Trägertop zum Schlafen an. Und dann hatte ich eine harte Entscheidung zu treffen. Sollte ich mir noch die Zähne putzen?

Dann fiel mir ein dass ich heute Wodka getrunken hatte und ich entschied mich dafür. Müde tappte ich den Flur entlang und stieß vor der Badezimmertür mit unserem Übernachtungsgast zusammen.

„Sorry“, murmelte ich.

„Ich will nur Zähne putzen“, sagte er und so standen wir kurze Zeit später gemeinsam vor dem Badezimmerspiegel und putzen unsere Zähne. Ein komisches Bild gab das ja schon ab.

„Vier Stunden Schlaf“, murmelte ich mit vollem Mund und verzog das Gesicht.

„Wenigstens ein bisschen Schlaf“, grinste Joe.

„Hoffentlich wird der Tag morgen nicht zu anstrengend“, meinte ich. Wenn ich morgen Mathe hatte, dann würde ich ganz bestimmt zu Hause bleiben.

„Morgen ist allgemein um ein Uhr Schluss“, erzählte Joe.

„Wieso?“, fragend sah ich ihn an. Wie er sich so mit meiner pinken Reservezahnbürste die Zähne putze. Richtig süß sah er aus.

„Lehrerversammlung“, erklärte er.

Ich nickte und spülte meinen Mund mit Wasser aus.

„Na dann bis morgen. Oder heute, wie man es nimmt“, verabschiedete ich mich und drehte mich um.

Mein Bett war mein neuer bester Freund, stellte ich fest und schlief fast augenblicklich ein.

Kapitel 7 - Der Geist des Musicals

 Mein Bruder war unerträglich am frühen Morgen. Besonders wenn man nur ein paar Stunden geschlafen hatte.

„Komm schon Jenna, schwing deinen Hintern aus diesem Bett“, weckte er mich und zog mir meine Decke weg.

„Ryan, lass mich“, versuchte ich ihn davon zu überzeugen mich noch ein kleines bisschen, wenigstens ein paar Minuten schlafen zu lassen.

Aber er war unerweichbar.

„Jenna, es ist schon fast sieben, wir müssen uns echt beeilen. Und Dad ist sauer, weil wir so spät nach Hause gekommen sind“.

„Ist doch egal“, meinte ich nur und wollte mich umdrehen. War mir doch scheiß egal ob ich eine warme, kuschelige Decke hatte oder eben nicht. Na gut, mit Decke war das schlafen schon um einiges bequemer. Aber es ging auch ohne.

„Ist es nicht“, stöhnte Ryan und zog an meinem rechten Arm.

„Doch ist es. Mann, ich glaube ich zieh zurück zu Mum“, stöhnte ich verschlafen.

„Nein das machst du nicht. Komm schon, sogar Joe ist schon wach“, schimpfte er und zog weiterhin an meinem Hand. Was nicht gerade angenehm war.

„Versuchs mal mit einem Kübel Wasser“, ertönte Joes Stimme von meiner Zimmertür. „Das hat sie gestern Leo gedroht“.

Mieser Verräter.

„Gar keine schlechte Idee“, meinte Ryan und ließ meinen Arm abrupt los. Nur um dann das Licht einzuschalten und die Vorhänge auf zu reisen. Da es Hochsommer war schien bereits die Sonne erbarmungslos in mein Zimmer.

Ich stöhnte gequält und verzog das Gesicht.

„Na, wird’s jetzt? Dein Kaffee geht sich nicht mehr aus. Wenn du dich beeilst kommst du noch ins Bad. Und das würde ich dir dringendst empfählen“, sagte Ryan beinhart und machte das Fenster sogar noch auf um frische Luft herein zu lassen.

„Ryan, du bist scheiße“, murmelte ich und schwang träge ein Bein aus meinem super bequemen Bett.

„Weiß ich. Und jetzt beeil dich!“, erwiderte er.

„Jaja, ich komm ja schon“, murmelte ich und schwang auch das zweite Bein aus dem Bett.

Aufstehen war so anstrengend.

„Ich kann dir wirklich einen Kübel mit Wasser bringen, wenn du möchtest“, schlug Joe mir vor.

„Nein danke“, lehnte ich ab und setzte mich nun vollends auf. Mit voll eingeschalteter Deckenbeleuchtung war es sowieso schwer weiter zu schlafen.

Also stand ich auf und streckte mich.

„Juhu, sie lebt“, jubelte Joe und verließ mein Zimmer.

Idiot.

Langsam schlurfte ich ins Bad und erschrak, als ich mich selbst im Spiegel sah. So konnte ich doch unmöglich zur Schule gehen. Meine Wimperntusche war im ganzen Gesicht verschmiert und ich hatte noch einen Kissenabdruck auf der linken Wange. Richtig sexy.

Schnell wusch ich mir das Gesicht und schminkte die verlaufene Schminke weg. Um das ganze Chaos in meinem Gesicht komplett ab zu waschen und neues MakeUp aufzutragen hatte ich schlicht und einfach keine Zeit. Dann ging ich heute halt mit Party MakeUp zur Schule. Oder das was davon noch übrig war.

Nachdem ich mir meine Zähne kurz geputzt hatte sprintete ich in mein Zimmer und zog mir die erstbesten Klamotten an, die ich fand. Eine Hotpants und ein grünes, enges, trägerloses Shirt. Na, egal. Wir hatten Sommer und wenn Joes Informationen richtig waren hatte ich heute nur fünf Stunden Unterricht.

Nachdem ich mein Zeug in meine Tasche geschmissen hatte schnappte ich mir noch einen Müsliriegel von meinem Schreibtisch und rannte die Treppe hinunter.

„Da bist du ja endlich. Los, komm wir sind extrem spät dran“, rief Ryan und ich sprintete gleich weiter aus der Haustür.

Joe saß bereits angeschnallt am Beifahrersitz also blieb mir nur die Rückbank.

„Du siehst noch genauso aus wie gestern“, kommentierte er mein Erscheinungsbild und grinste mich im Rückspiegel an.

„Zu wenig Zeit“, murmelte ich nur und stopfte ein Stück meines Müsliriegels in den Mund.

„Ich wollte dich nicht früher wecken, du hast so süß vor dich hin geschnarcht“, bemerkte Ryan als er ins Auto stieg.

„Danke Bruder“, schnaubte ich sarkastisch.

„Immer wieder gerne“, meinte er und startete das Auto.

„Mach lieber die Augen zu Jenna, wir sind spät dran und mir bleibt leider nichts anderes übrig als ein kleines bisschen über der Geschwindigkeitsbegrenzung zu fahren“, riet mir Ryan.

Panisch kniff ich die Augen zu und konzentrierte mich auf den Song, der gerade im Radio lief.

„Wieso musst du mir das überhaupt sagen“, meinte ich mit zusammengekniffenen Augen.

„Nur damit du dich darauf einstellen kannst, du Angsthase“, sagte er lachend.

„Na danke auch“, murrte ich. Ich war noch immer verschlafen und meine Motivation auf Schule war so gut wie gar nicht vorhanden.

Gott sei Dank fingen Ryan und Joe dann irgendein uninteressantes Gespräch an und ich konnte mich darauf konzentrieren, dass wir nicht gleich einen Unfall bauen würden. Manchmal war ich mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch irgendeine Auto-Phobie hatte. Vielleicht konnte man das diagnostizieren und es gab Pillen dagegen. Dann wäre ich auf ewig geheilt. Mann, ich war wirklich noch müde im Hirn.

Ich kramte meinen Stundenplan aus meiner Schultasche und strich ihn glatt. Heute war Mittwoch. Gut, wir hatten gleich in den ersten beiden Stunden Sport. Danach eine Doppelstunde Englisch und dann Religion. Das hörte sich doch nach einem ganz gemütlichen Vormittag an.

„Haben wir heute wirklich schon um Eins Schluss?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach und unterbrach so das Gespräch zwischen den Beiden.

„Ja, haben wir. Ich kann dich mit nach Hause nehmen“, antwortete Ryan.

„Danke“, meinte ich.

Schnell waren wir am Schulgebäude angekommen und der Schulhof war schon menschenleer.

„Bei Gelegenheit müsst ihr mir mal erklären wieso hier alle solche Streber sind“, murmelte ich als ich ausstieg und mir meine Schultasche über die Schulter schwang.

Die beiden Jungs lachten nur und gemeinsam rannten wir ins Gebäude hinein.

In der Aula trennten sich dann unsere Wege und ich rannte in Richtung Turnhalle. Deren Standort wusste ich Gott sei Dank schon, denn sie lag direkt neben der Schwimmhalle.

Ich war nicht die letzte, die in den Umkleiden erschien und die Mädels waren alle noch dabei sich um zu ziehen. Ich ging gleich durch in den Turnsaal und suchte unseren Coach. Eine Frau im mittleren Alter stand im Geräteraum und räumte Matten heraus.

„Entschuldigung“, rief ich und trat in den kleinen, miefigen Raum.

„Ja?“, fragte sie und drehte sich um. Sie trug einen alten Sportanzug und trug ihre schwarzen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz. Eigentlich sah sie ganz nett aus.

„Ich bin neu hier und habe mein Sportzeug noch nicht bekommen“, erklärte ich ihr meine Sachlage.

Ein negativer Punkt an dieser Schule war die einheitliche Sportkleidung. Aber ich hatte noch immer die kleine Hoffnung dass die Klamotten gar nicht so hässlich waren.

„Natürlich, komm mit. Wie heißt du?“, antwortete sie freundlich und verließ mit mir den Geräteraum.

„Jenna Anderson“, erklärte ich ihr.

„Ah, noch eine Anderson“, sagte sie.

„Ja, ich bin Ryans jüngere Schwester“, antwortete ich.

„Hoffentlich bist du besser in Sport als er. Mir ist noch nie so ein unsportlicher Junge begegnet“, meinte sie.

Lachend folgte ich ihr in die Lehrerumkleide. Dort standen mehrere alte Spinte nebeneinander. Aus Einem am Ende des Raumes holte sie ein in Plastikfolie eingeschweißtes Bündel und reichte es mir.

„Hier bitte. Komm einfach nach sobald du dich umgezogen hast“, sagte sie und ich verließ nickend den Raum.

Im Umkleideraum angekommen stellte ich fest, dass fast alle schon weg waren.

Nur noch ein paar Nachzügler banden sich ihre Turnschuhe zu.

Schnell zog ich mir mein Top über den Kopf und öffnete den Beutel.

Naja, so schlecht sahen die Klamotten doch nicht aus. Eine dreiviertel lange, lockere graue Sporthose und ein dunkelblaues kurzärmeliges Top. Dazu noch eine dunkelblaue Weste. Und ich entdeckte auch noch eine zweite Turnhose. Sie war kurz und auch dunkelgraue. Vermutlich für heiße Tage. Da wir Sommer hatten entschied ich mich für die kurze Turnhose und ließ die Weste zurück. Im Turnsaal war es auch nicht gerade kühl.

Da ich keine Turnschuhe mit hatte musste ich Barfuß turnen. Heute Abend durfte ich nur nicht vergessen mir die Füße zu desinfizieren.

Ich betrat den Turnsaal und sah dass sich die Klasse bereits in zwei Teams geteilt hatte. Couch Stefanie winkte mich zu sich heran und ich ging auf sie zu.

„So Leute, ich darf euch ein neues Mitglied vorstellen. Jenna, du kannst gleich ins rechte Team gehen. Wir spielen zum Aufwärmen eine schöne Runde Völkerball“, erklärte sie mit einer Motivation, die nur Sportlehrer aufbringen konnten, und ich stellte mich zu meinem Team.

Und plötzlich sah ich ein mir bereits bekanntes Gesicht. War das Mädchen mir gegenüber nicht Selena? Allerdings sah sie gar nicht mehr aus wie damals. Ihre damals brünetten Haare hatte sie sich blondiert. Sie war stark geschminkt und hatte ein Nasenpircing. Sie sah komplett verändert aus.

Ich lächelte ihr zu, aber sie schien mich nicht einmal zu erkennen. Na gut, dann eben nicht.

Wir fingen an zu spielen und schnell stellte sich heraus wer wirklich gut spielen konnte. Ich entdeckte Leo in meinem Team und gemeinsam beschlossen wir sie fertig zu machen.

„Siehst gut aus Jenna“, rief er mir von ganz hinten zu und reckte den Daumen nach oben.

„Verpiss dich Leo“, antwortete ich lachend und stellte mich in Kampfstellung. Ich war gut in Völkerball und das würde ich den Anderen jetzt auch zeigen.

Das andere Team hatte Aufschlag und ich hielt mich am Anfang zurück. Die Teams verloren schnell an Mitglieder. Auch Selena war schnell draußen. Aktiv mitspielen konnte man das wirklich nicht nennen, sie lief fast andauern kreischend vor dem Ball davon und versteckte sich hinter anderen Mitgliedern. Langsam verstand ich was Ryan damit gemeint hatte, dass meine ehemalige beste Freundin zickig geworden ist.

Irgendwann waren dann nur noch fünf Leute in unserem Team übrig und ich begann mich aktiv am Spiel zu beteiligen. Im anderen Team waren noch sieben und mein Kampfgeist war geweckt.

Als der Ball wieder zu uns geschossen wurde sprang ich vor ein Mädchen, das sich einfach wegduckte und fing den Ball somit ab. Blitzschnell rannte ich nach vorne und schoss den Ball auf einen Jungen, der abgelenkt zu den bereits abgeschossenen Leuten sah. Volltreffer!

„Sehr gut!“, rief Leo und klatschte mit mir ab.

So ging es einige Zeit hin und her und schon bald waren nur noch Leo, ich und ein weiterer Junge in unserem Team übrig. Aber auch die anderen waren nur noch zu dritt. Ein faires Spiel also.

„Komm schon Jenna“, rief Leo und lief vorne am Feld auf und ab. Schnell hatten wir herausgefunden dass das andere Team nicht sonderlich gut im Schießen war, also hatte Leo nichts zu befürchten. Unsere Taktik war einfach. Leo sprang immer hoch und fing den Ball ab. Dann warf er ihn zurück zu Tobi, dem anderen Jungen in unserem Team, oder mir. Wir konnten besser zielen und versuchten so das andere Team zu minimieren. Unsere Taktik funktionierte so gut, dass wir nach wenigen Minuten locker gewonnen hatten.

„Sehr gut gemacht. Das will ich gleich noch einmal sehen und diesmal mit ein bisschen mehr Körpereinsatz vom anderen Team“, rief Coach Stefanie laut und alle Schüler stellten sich wieder aufs Feld.

Und dieses Mal wurde es härter. Da jetzt bekannt war wer die guten Spieler waren, wurde auf diese bestimmt geschossen. Tobi wurde gleich nach wenigen Minuten abgeschossen und so hatten wir einen treuen Spieler verloren.

„Mensch Tobi“, rief Leo frustriert.

Der Ball flog hin und her und ich legte ein haarscharfes Ausweichmanöver hin und rutschte schmerzhaft einige Zentimeter am Turnsaalboden entlang. Aber es war mir egal. Sofort sprang ich wieder auf und fing den Ball ab, bevor er ein weiteres Teammitglied ausschalten konnte. Ich warf ihn auf die andere Spielseite und traf Selena an der Schulter. Das Mädchen hatte nicht einmal versucht sich weg zu ducken. Ich schüttelte nur den Kopf über so viel Dummheit.

Schlussendlich gewann das andere Team, da auch Leo und ich mit der Zeit abgeschossen wurden.

Coach Stefanie war zufrieden mit uns allen und ließ uns zur Entspannung, wie sie es betonte, zehn lockere Runden im Turnsaal laufen.

„Na, wie geht’s dir?“, fragte Leo als er neben mir her lief.

„Sehr gut, wie geht’s dir?“, fragte ich ihn.

„Gar nicht so schlecht. War nur hart heute Morgen aus dem Bett zu steigen. Mara hat es nicht geschafft“, erzählte er.

„Ja, das hat sie gestern schon gesagt“.

„War cool was ihr da gestern abgezogen habt. Du darfst jetzt auf jede Party mit“, grinste er und joggte locker neben mir her. Zehn Runden waren noch nicht so anstrengend und wir liefen locker nebeneinander her.

„Oh, danke“, lachte auch ich.

„Und Joe sah nicht so aus als hättest du ihn heute geweckt“, lachte Leo.

„Nein, die Beiden mussten mich wecken. Ich war einfach noch nicht bereit dazu mein Bett zu verlassen“, meinte ich schulterzuckend.

„Na hoffentlich hattest du Klamotten an“, lachte Leo und taumelte leicht hin und her.

„Nein, ich schlafe immer nackt“, verarschte ich ihn.

Aber mir war klar, dass er mir das nicht abkaufte.

„Haben sie dir wenigstens Wasser ins Gesicht geschüttet?“, wollte Leo hoffnungsvoll wissen.

„Nein, haben sie nicht“, grummelte ich.

„Schade. Aber ich weck dich nächstes Mal so, versprochen“, meinte er.

„Danke, das ist zu gütig von dir Leo“, lachte ich.

„Ach ja, ich habe deine CD mit“, sagte er dann noch.

„Klasse, danke“. Ich freute mich schon auf meinen genialen Plan. Hoffentlich würden sie mir verzeihen. Ich hatte nämlich vor eine Probe-CD einfach an einen Radiosender zu schicken. Mehr als abweisen konnten die dort ja auch nicht.

„Was machst du heute Nachmittag so?“, fragte Leo schon leicht keuchend.

Auch ich merkte wie die Anstrengung an meiner Lunge zerrte und atmete gezielter ein und aus.

„Ich werde ein Musical schreiben“, lachte ich.

„Ernsthaft?“, fragte er interessiert nach.

Ich erzählte ihm kurz von Meli aus San Franzisco und ihrem Problem.

„Das ist ja cool. Und ihr macht das so richtig professionell? Und braucht da zufällig eine Band?“, fragte er begeistert.

„Klar“, lachte ich.

„Na, wie wärs denn mit unserer Band?“, schlug er vor.

Wow, daran hatte ich noch gar nicht gedacht.

„Das ist eigentlich gar keine schlechte Idee. Aber Meli ist in San Franzisco und wir sind hier. Das sind gut drei Stunden mit dem Auto“, murmelte ich.

„Stimmt, daran müssten wir arbeiten. Aber wir könnten doch ein paar Mal rüber fahren und die restliche Zeit proben wir halt daheim“, meinte Leo hoffnungsvoll.

„Weißt du was, ich frag Meli einfach mal. Sie will sowieso bald vorbei kommen“, meinte ich lächelnd.

„Sehr gut, danke“, freute sich Leo.

Zum Abschluss mussten wir noch alle miteinander dehnen. Also, Coach Stefanie stand vorne und machte die Übungen vor und die ganze Klasse verteilte sich im Turnsaal und machte mit.

Eine entspannende Turnstunde.

Schon bald waren die beiden Stunden vorbei und wir wurden von Coach Stefanie entlassen.

Ich entschied mich nur kurz zu duschen und verließ schon bald wieder den Umkleideraum.

Ich machte mich gleich auf den Weg zu den Englischräumen. Zum Glück, denn Dana saß schon auf ihren alten Platz und sah nicht so begeistert aus als sie mich in den Raum kommen sah.

„Hey“, begrüßte ich sie und ließ mich zwei Tische vor ihr nieder. Nur nicht in die Nähe des Monsters.

„Hallo“, meinte sie und konzentrierte sich auf ihr Handy.

„Ich habe gehört du tanzt“, versuchte ich ein Gespräch zu starten.

„Wer hat das erzählt?“, fragte sie misstrauisch und schaute kurz von ihrem Handy auf.

„Joe“, antwortete ich.

„Ach der“, schnaubte sie nur.

„Also, stimmt es?“, fragte ich nach.

„Ja“, murmelte sie.

„Und bist du da in einer Gruppe oder so? Ich will nämlich auch wieder tanzen“, fragte ich sie.

„Mann du nervst“, schimpfte sie und ließ ihr Handy in der Tasche verschwinden.

„Ja, ich tanze in einer Gruppe. Aber meistens tanze ich einfach alleine“, sagte sie.

„Und nehmt ihr in dieser Gruppe auch neue Leute auf?“, fragte ich gleich nach.

„Eigentlich nicht, aber du kannst dich ja mal bei uns bewerben, vielleicht laden wir dich zum Vortanzen ein“, sagte Dana und grinste mich böse an.

Ich sollte vor denen vortanzen?

„Ne, lass mal. So wichtig ist mir das tanzen gar nicht. Nur schade, ich brauche nämlich noch Tänzer für ein Musical“, meinte ich so nebenbei und dreht Dana wieder den Rücken zu. Grinsend wartete ich auf eine Reaktion.

„Ein Musical?“, fragte sie nach einiger Zeit nach.

„Ja, eine Freundin von mir macht in San Franzisco eine Musicalaufführung und braucht noch Leute“, warf ich ein.

„Und ist diese Freundin eine bekannte Musicalproduzentin?“, fragte sie.

Ja, du hängst so was von an meiner Angel, Eisprinzessin!

„Ja, ich denke schon“, sagte ich. Ich musste ihr ja nicht erzählen dass es Melis erste Aufführung war.

„Na gut, vielleicht kann ich meine Gruppe mal fragen ob sie jemanden aufnehmen wollen“, willigte Dana dann zu.

„Danke, nett von dir“, meinte ich und suchte einen Müsliriegel in meiner Schultasche. Fand aber leider keinen. Also musste ich hungrig bleiben.

Die Klasse füllte sich schnell und schon bald waren alle Plätze belegt. Nur unserer Lehrerin ließ sich heute ziemlich viel Zeit.

Als sie dann mit einer Verspätung von zwanzig Minuten in die Klasse kam sah sie uns leicht gehetzt an.

„Tut mir Leid, im Lehrerzimmer gab es leider einen kleinen Unfall“, stotterte sie keuchend und breitete ihre Sachen am Lehrertisch auf.

„Was denn für einen Unfall?“, fragte ein Mädchen neben mir interessiert.

„Nichts von Bedeutung“, meinte unserer Lehrerin ausweichend.

Na, das hörte sich ja interessant an.

Die zwei Stunden vergingen ziemlich schnell und waren nicht ganz so chaotisch wie das letzte Mal.

Und auch die letzte Stunde verging und früher als erwartet stand ich vor dem Schultor in der Sonne und wartete auf mein Bruderherz. Der ließ sich wieder einmal sehr viel Zeit.

„Na du, wartest du auf Ryan?“, ertönte Joes Stimme neben mir und er ließ sich neben mir auf die Treppenstufe fallen.

„Ja. Hast du eine Ahnung wo er schon wieder steckt?“, fragte ich ihn und suchte meine Sonnenbrille in der Schultasche.

„Ich habe ihm vorher im Sekretariat gesehen. Aber heute kann er schlecht Nachsitzen“, meinte Joe.

„Ryan schafft sogar das“, seufzte ich.

„Na, bist du froh früher aus zu haben?“, fragte er mich.

„Vorher war ich froh, doch dann bin ich drauf gekommen, dass ich sowieso um Eins aus hätte“, lächelte ich.

Grinsend sah er mich an.

„Wirklich?“, fragte er. „Dann hast du ja heute Zeit und kannst mit zur Bandprobe kommen“.

Uh, aus seinem Mund hört sich das Ganze ja fast wie eine Verabredung an.

„Sorry, ich kann nicht. Ich muss ein Musical schreiben“, grinste ich.

Ich hatte meine Sonnenbrille gefunden und setzte sie mir auf die Nase.

„Du schreibst ein Musical?“, fragte Joe und zog die Augenbrauen zusammen. Verwirrt musterte er mich.

„Ja. Für eine Freundin“, erklärte ich ihm.

„Okay?“, meinte er nur dazu und lachte dann.

„Sind Musicals nicht irgendwie, naja, total schwul?“, fragte er dann zweifelnd.

„Nein, sind sie gar nicht“, regte ich mich sofort auf.

„Naja, ich mein ja nur. Da Singen und Tanzen Leute zu schlechter Musik“, fasst er seine Sicht zusammen und kratzte sich am Kinn.

„Schlechte Musik?“, fragte ich empört.

„Äh“, meinte er und verzog das Gesicht.

So Freundchen, du befindest dich knietief in der Scheiße. Ich bin gespannt wie du da wieder heraus kommen willst.

„Zu meiner Verteidigung, ich habe erst ein Musical in meinem Leben gesehen. Und das war in der Volksschule. Irgendwas mit dem Kasperl oder so“, warf er sofort ein und hob abwehrend die Hände.

„Du solltest dein Weltbild überdenken“, meinte ich und streckte meine Beine aus. Wegen dem Zeitmangel heute Morgen hatte ich nur blaue Flip Flops an den Füßen. Ein Glück dass ich mir vor ein paar Tagen noch meine Zehennägel gemacht hatte. Doch bei der Bewegung bemerkte ich ein leichtes Ziehen am Knie. Als ich es genauer betrachtete, entdeckte ich eine kleine Wunde. Das musste wohl das Ergebnis meines spektakulären Stunts heute in Sport sein. Naja, so schlimm sah es nicht aus.

„Du meinst Musicals sind gar nicht so blöd?“, fragte Joe nach und lächelte mich mit zusammengekniffenen Augen entschuldigend an.

„Musicals sind toll“, rief ich aus. „Tanzen, Singen und Musik gemeinsam! Außerdem kannst du einfach alles machen. Man hat so viele Möglichkeiten“, schwärmte ich.

„Okay, dann muss ich mir fast einmal eines anschauen“, meinte er lachend.

„Na ihr beide, was macht ihr hier. Sonnen?“, fragte eine Stimme hinter uns und Ryan ließ sich neben mich fallen.

„Ich warte auf dich, geliebter Bruder. Wo bist du geblieben?“, fragte ich sofort und stand auf.

„Ich musste noch herausfinden was da im Lehrerzimmer passiert ist“, sagte Ryan grinsend.

„Und, was ist passiert?“, fragte ich interessiert und zupfte meine Hotpants zu Recht.

„Die Kaffeemaschine ist explodiert und der Schröder hat sich die Hand verbrannt. War anscheinend total spektakulär und er musste mit dem Krankenwagen abgeholt werden“, erzählte er.

„Echt jetzt? Wie kann eine Kaffeemaschine explodieren. Ihr habt doch nichts damit zu tun, oder?“, fragte ich nüchtern.

„Jenna, was denkst du von uns?“, fragte Ryan empört.

„Naja, ich habe euch in den letzten Tagen besser kennen gelernt und genau das macht mir irgendwie Sorgen“, meinte ich entschuldigend und zuckte mit den Schultern. Was denn? Ich sagte doch nur die Wahrheit.

„Nein, also ich habe damit nichts zu tun. Du etwa?“, sagte Joe und blickte meinen Bruder fragend an. Dieser hob abwehrend die Hände.

„Ich war es nicht. Können Kaffeemaschinen wirklich nicht explodieren?“, fragte er.

„Anscheinend können sie es. Naja egal, kannst du mich dann nach Hause fahren?“, fragte ich Ryan.

„Klar. Lass uns fahren. Sollen wir dich mitnehmen?“, fragte er Joe. Dieser überlegte kurz, schüttelte denn aber den Kopf.

„Ne danke, ich glaube Leo ist noch da, der kann mich dann gleich mit zur Bandprobe nehmen“, meinte er dann.

„Na dann, bis später“, verabschiedete sich mein Bruder und wir schlenderten zum Auto

„Kommst du heute wieder mit zur Probe?“, fragte Ryan.

„Nein, ich muss Meli helfen. Sie führt ein Musical auf und braucht ein klein wenig Hilfe“.

„Hey das ist ja cool. Was genau macht sie?“, fragte er sofort interessiert nach. Ha, wenigstens einer der Musicals nicht „total schwul“ fand.

„Wir haben schon ein Grundkonzept aber die genaue Handlung muss ich heute erst schreiben“, erklärte ich ihm.

„Und das Musical wird dann in San Franzisco aufgeführt?“

„Ja genau. An meiner alten Musikschule. Allerdings ist Meli noch weit davon entfernt. Ihr fehlen noch Tänzer und Musiker. Und Schauspieler, die singen können findet man auch nicht an jeder Ecke“, erklärte ich ihm traurig.

Mittlerweile hatten wir das Auto erreicht und stiegen ein. In dem Wagen war es wirklich heiß und Ryan ließ sofort die Klimaanlage an, als wir eingestiegen waren.

„Machst du mit?“, fragte er und startete den Motor.

„Naja, ich helfe ihr beim Ablauf und bei den Entwürfen der Klamotten“, meinte ich schulterzuckend.

„Ach komm schon, du kannst tanzen, oder? Und wenn sie so dringend Leute braucht“, schlug er vor.

Frustriert schlug ich mir mit den Händen auf die Knie. „Wie stellst du dir das vor? Ich sitze hier, Meilenweit entfernt von San Franzisco. Ich kann doch nicht jeden Tag drei Stunden dahin und dann wieder drei Stunden zurück fahren“, murrte ich. Natürlich hatte ich schon daran gedacht selbst im Musical mitzuspielen.

„Meli kann ja ein paar Mal hier her kommen und wir können auch öfter raus fahren. Und sonst geht viel über Skype. Oder ihr könnt euch zusammenschreiben. Ihr müsst euch ja nicht immer gegenüber sitzen wenn ihr miteinander redet“, meinte Ryan.

„Ihr könntet ihr aber auch helfen und als Band dort auftreten“, schlug ich ihm vor.

„Meinst du echt?“, fragte er skeptisch.

„Na klar. Ihr spielt Gitarre, Keyboard und Schlagzeug. Und was wir sonst noch brauchen müssen wir uns halt dazu holen. Da findet Meli sicher jemanden aus ihrer Schule. Die spielen da ja alle Instrumente“, meinte ich.

„Hm“, machte Ryan nur.

„Ich frag Meli einfach mal was sie von der Idee hält“, schlug ich ihm vor.

„Ja mach das“, willigte Ryan ein.

 

Als wir zu Hause ankamen fanden wir niemanden im Haus. Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. War ja klar, dass niemand da war, wenn Dad noch bei der Arbeit war. Und Sonja ist anscheinend schon am Vormittag hier gewesen, denn am Tisch stand ein frischer Apfelkuchen. Und in meinem Zimmer fand ich einen frisch zusammengelegten Stapel Wäsche, den ich nur noch verräumen musste. Sonja war wirklich klasse.

Den ganzen Nachmittag machte ich nichts anderes als ein Konzept für das Musical aufzustellen.

Schon damals in der zweiten Klasse hatten wir eine kleine Theateraufführung gemacht. Es ging damals um eine Prinzessin. Also ein junges Mädchen, das gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder in einem Schloss lebte. Nun kam es so, dass das Mädchen einem befreundeten Prinzen versprochen war. Allerdings wollte sie ihn unter keinen Umständen heiraten, da er gemein und böse war. Die Eltern konnten allerdings nichts gegen die Vereinbarung machen, da diese schon vor Jahren getroffen wurde. Das Mädchen war so verzweifelt, dass sie sich selbst umbringen wollte. Der Tod fragte sie, wieso sie denn sterben wollte und sie erklärte ihm ihre Sachlage. Er verstand sie und schlug ihr einen Deal vor. Wenn sie ihm bei einer komplizierten Angelegenheit weiter half, dann würde er ihr auch helfen. Der Tod hatte nämlich vor Jahren eine Wette mit dem dunklen Reiter geschlossen. Es war nämlich so, dass der Tod die Menschen tötete. Der dunkle Reiter holte dann die ganzen Seelen und brachte sie ins Himmelreich. Blöderweise hat der Tod die Wette verloren und so schuldete er ihm eine Tafel Schokolade. Jetzt kam es allerdings ziemlich blöd wenn der Tod persönlich einfach so in eine Trafik spazierte und eine Tafel Schokolade kaufte. Immerhin sah er mit den dunklen Klamotten und der Sense nicht gerade vertrauenserweckend aus. Es war also die Aufgabe der Prinzessin ihm eine Tafel Schokolade zu besorgen. Das war gar nicht so einfach, da sie sich heimlich aus dem Schloss wegschleichen musste. Ihre Eltern waren nämlich gar nicht begeistert davon, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigte. Mit einigen Hürden schaffte sie es allerdings dann doch und verliebte sich in den Tod. Dieser löste dann als Gegenzug das Problem des Mädchens und ließ sie sterben. Bevor sie allerdings vom dunklen Reiter geholt wurde nahm der Tod sie zu sich und die beiden lebten gemeinsam. Das passte ganz gut, denn der dunkle Reiter, seines Zeichens ein Mädchen im Alter der Prinzessin, verliebte sich in den Küchenjungen, der auf dem Schloss arbeitete. Und da der dunkle Reiter, naja, also eigentlich die dunkle Reiterin nicht ohne ihren geliebten Küchenjungen leben wollte gab sie ihren Job auf und wurde wieder zum Mensch. Die Prinzessin nahm ihren Platz ein und sammelte an der Seite des Todes die Seelen der Verstorbenen ein um sie zum Himmelsreich zu bringen.

Die Geschichte hatten Meli und ich uns gemeinsam ausgedacht und schon damals war das Theaterstück gut angekommen. Ich schrieb fast drei Tage durchgehend an dem Drehbuch. Doch dann hatte ich es endlich komplett fertig und konnte es Meli schicken. Ich half ihr auch gerne bei den Tanzchoreografien. Aber die Songtexte musste sie übernehmen. Wie schon erwähnt konnte ich nicht so gut mit Tönen umgehen.

Seufzend rieb ich mir die Augen, als ich endlich auf „Senden“ gedrückt hatte und das ganze Manuskript auf dem Weg nach San Franzisco war. Schnell machte ich noch eine Sicherungskopie und dann klappte ich meinen Laptop zu. Von den Anderen hatte ich in den letzten Tagen nicht so viel mitbekommen. Am Donnerstag hatte ich Selena in der Schule getroffen und kurz mit ihr geredet. Sie war ganz erstaunt, da sie mich nicht erkannt hatte. Leider hatte Ryan wirklich Recht und sie war zu einer arroganten Zicke mutiert.

Die Jungs hatten mich öfters zur Bandprobe eingeladen, aber ich hatte immer zu tun. Die Zeit verging rasend schnell in den letzten Tagen und ich merkte, dass Dad sich Sorgen um mich machte.

„Jenna, kann ich kurz mit dir reden?“, fragte er mich beim Abendessen am Sonntag. Ryan war nicht da, er war mir irgendjemanden was trinken gegangen und würde erst spät nach Hause kommen.

„Klar Dad. Was ist los?“, fragte ich lächelnd. Heute hatte zur Abwechslung ich gekocht, weil Sonja mit ihrem Sohn in den Urlaub gefahren ist. Es gab Toast. Stinknormalen Käsetoast. Das hatte ich gerade noch so geschafft. Und ich war verdammt stolz auf mich. Mit etwas Ketchup schmeckte man das Verbrannte nicht einmal so schlimm heraus.

„Du hast dich in den letzten Tagen ziemlich zurückgezogen und ähm... ich wollte fragten ob… ahm… ist alles okay bei dir?“, fragte er nervös.

Lächelnd sah ich ihn an.

„Dad, bist du nervös weil du mit mir darüber reden musst?“, fragte ich ihn.

Entsetzt sah er mich an.

„Naja, du bist meine Tochter, die ich ziemlich lange nicht mehr gesehen habe. Im Grunde weiß ich leider nicht sehr viel von dir“, gestand er.

„Oh Dad“, seufzte ich. Er hatte ja so Recht.

„Mir geht’s gut. Ich hatte nur sehr viel zu tun wegen Meli und San Franzisco. Aber vorhin habe ich das ganze Drehbuch nach San Franzisco geschickt und habe jetzt wieder Zeit zum Atmen“, lächelte ich.

Verständnisvoll sah er mich an.

„Die Sache liegt dir am Herzen, oder?“, fragte er.

Ich nickte. Ja, die Sache lag mir komischerweise wirklich am Herzen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich meine alte Heimatstadt vermisste und so viel mehr mit meinen alten Freunden zu Hause in Kontakt war.

„Aber in der Schule passt alles, oder?“, fragte er sicherheitshalber nach.

„Ja klar. Ryans Freunde sind alle total nett und ich verstehe mich prima mit ihnen. Ich habe mir auch schon die Band angehört, sie sind wirklich super! Ich hoffe dass sie bald einen Auftritt bekommen“, erzählte ich ihm. Apropos Band, ich musste später noch etwas erledigen, fiel mir ein und ich lächelte.

„Ja, sie sind wirklich gut. Ryan hat mir eine CD gegeben“.

„Du hast sie noch nie live spielen gehört?“, fragte ich entsetzt.

„Nein, ich hatte bis jetzt noch keine Zeit. Ich hoffe irgendwann geben sie mir ein Privatkonzert“, lachte er.

„Das werden sie sicher“, stimmte ich ihm zu und räumte meinen Teller in den Geschirrspüler. Dad sah jetzt viel entspannter aus und half mir mit dem Geschirr.

„Dad, du siehst so erleichtert aus“, lachte ich.

„Äh.. ja. Wie gesagt, bis vor kurzem hatte ich irgendwie nur einen Sohn“, gestand er grinsend.

„Ich habe dich lieb Dad. Und ich bin froh hier zu sein“, sagte ich und umarmte ihn. Zuerst stand er überrascht da, doch dann legte er zögernd seine Arme um mich.

„Ich dich auch meine Kleine. Und ich freue mich mehr als du, dass du hier bist“, sagte er.

Ich blinzelte gerührt und löste mich von ihm. So viele Gefühlsduselei, das war ja nicht zum aus halten. Verstohlen wischte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel und säuberte den Tisch.

„Okay, ich bin dann oben. Muss noch etwas für die Schule morgen machen“, entschuldigte ich mich.

„Gut Schatz. Gute Nacht“, sagte Dad lächelnd und setzt sich mit einem Glas Rotwein vor den Fernseher.

„Nacht Dad“.

In meinem Zimmer angekommen wusste ich nicht so recht, was ich machen sollte. Für die Schule hatte ich nur noch einen kleinen Aufsatz zu schreiben und den hatte ich in wenigen Minuten fertig. Und dann stand ich wieder vor dem nichts. Spontan entschied ich mich dazu ein paar Fitnessübungen zu machen. SitUps und Kniebeugen. Sport hatte ich in letzter Zeit sowieso vernachlässigt. Und bei dem vielen Süßkram, den ich während des Schreibens der letzten Tage in mich hineingefressen hatte, würde ich bald wie eine Kugel in die Schule rollen. Eigentlich hielt ich nicht viel von solchen Fitnessübungen, aber es war schon dunkel draußen, und alleine wollte ich auch nicht joggen gehen.

Um kurz vor Zehn Uhr läutete dann mein Handy, und ich zuckte zusammen.

Freude breitete sich in mir aus, als ich sah, dass es Jason war.

„Hey geliebtes Brüderchen“, begrüßte ich ihn.

„Na, Kleine, wie geht’s dir so?“, fragte er sogleich. Es tat so gut seine Stimme zu hören.

„Naja, es geht. Jetzt, wo du anrufst gleich viel besser“, lachte ich ins Telefon. „Wie geht’s dir?“.

„Mir geht’s blendend. Aber was ist bei dir los? Sonst sprühst du ja immer vor Energie“, fragte er verwirrt nach.

„Naja, ihr fehlt mir ganz schön“, murmelte ich leise. Oh ja, Jenna Anderson hatte Heimweh.

„Ach Jenna, das lässt sich ganz leicht ändern!“, erklärte er mir.

„Und wie?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Ganz einfach! Ich komme dich besuchen“, sagte er und ich schrie vor Freude auf.

„Echt? Oh wow, das wäre klasse! Wann willst du kommen?“, fragte ich freudig herum hüpfend nach.

„Wie wärs mit Mittwoch? Wie lange hast du da Schule?“, fragte er.

„Ach, scheiß auf Schule, die schwänze ich einfach“, antwortetet ich schulterzuckend.

„Jenna Anderson, du verfällst in alte Muster“, lachte Jason. „Nein, kommt nicht in Frage, ich hole dich dann von der Schule ab. Dann kannst du mir gleich deine neuen Freunde vorstellen“, lachte er.

„Das hört sich sehr gut an! Und was machen wir dann?“

„Essen gehen?“, fragte er.

„Passt. Und wir gehen aus am Abend und du schläfst hier“, schlug ich ihm vor.

„Hört sich gut an. Aber nur, wenn dein Dad und Ryan nichts dagegen haben“, warf er ein.

Ach Jason.

„Haben sie nicht, glaube mir. Aber ich frage sie“, versprach ich ihm.

„Danke Jenna. Ich muss dir am Mittwoch dann etwas erzählen. Und du musst mir helfen“, meinte er kleinlaut.

„Was denn?“, fragte ich interessiert nach. Was hatte Jason ausgefressen?

„Ich sag es dir am Mittwoch. Hey, ich muss aufhören. Deine Mum treibt mich wirklich in den Wahnsinn. Heute hatte sie die glorreiche Idee, dass auch Männer bügeln lernen sollten. Mein Dad war im Krankenhaus, weil er sich mit dem Ding die Hand verbrannt hat“, grummelte er.

„Ehrlich? Oh nein, wie geht’s ihm?“, fragte ich besorgt nach.

„Soweit ganz gut, er hat eine schriftliche Bestätigung von der Ärztin, dass er die nächsten drei Wochen nicht bügeln darf“, lachte er.

„Wirklich? Wie cool! Gute Besserung wünsche ich ihm“, sagte ich lächelnd Armer Michael. Meine Mum war erbarmungslos, wenn es um Hausarbeit geht.

„Ich sage es ihm. So, ich muss wirklich aufhören. Bis Mittwoch Kleine, ich freu mich!“, sagte er noch.

„Bis dann Jason“, verabschiedete ich mich und legte auf.

Mit einem dümmlichen Grinsen legte ich mein Handy beiseite und setzte mich an meinen Laptop. Jason würde mich besuchen kommen! Das war so cool! Und das, obwohl ich noch gar nicht so lange hier bin. Etwas mehr wie eine Woche. Was war in so kurzer Zeit vorgefallen, dass er meinen Rat brauchte? Ob etwas mit der Familie nicht in Ordnung war? Aber das hätte er mir doch bestimmt gleich gesagt, wenn es etwas Schlimmes wäre, oder? Bestimmt! Jason war immerhin mein Bruder.

Ich nahm die CD, die Leo mir am Mittwoch nach dem Turnunterricht gegeben hatte und legte sie ins CD-Laufwerk meines Laptops. Leo hatte mehr Songs hinaufgespielt, als sie damals während der Probe gespielt hatten. Es befanden sich sieben Nummern auf der CD. Gespannt ließ ich die erste abspielen und erkannte das ruhige Lied, dass Ryan alleine gesungen hatte. Es war wunderschön und die Qualität war wirklich super. Kurz wischte ich mir über die Augen, um eine blöde Träne weg zu wischen. Was war nur los mit mir?

Ich überspielte die Songs auf meinen Laptop, was gar nicht so einfach war, da ich in solchen Dingen nicht gerade talentiert war. Aber nach einigem Hin und Her schaffte ich es dann doch. Der zweite Song war eine Rocknummer. Sie sangen davon, dass man leben sollte, solange man noch jung war. In den nächsten beiden Liedern sangen sie von Partys und Mädchen. Die beiden Songs gefielen mir nicht so besonders. Für mich war Musik nur gut, wenn die Melodie passte und der Text wirklich Sinn hatte. Und diese beiden Songs waren einfach… unvollständig. Ich nahm mir vor, Ryan später darauf aufmerksam zu machen. Der nächste Song war dann wirklich der Wahnsinn. Er begann mit einer einzelnen Gitarre. Und dann fing jemand an über die Liebe zu singen. Dass es nicht einfach ist, wahre Liebe in einer Welt wie unserer zu finden und dass man sich wirklich glücklich schätzen sollte, wenn man wahre Liebe kennt. Doch die Stimme kannte ich nicht. Ryan war es nicht, obwohl er fast alle Songs sang. Konnte es Joe sein? Ich war mir nicht sicher, aber das Lied und die Stimme war wunderschön. Und ich musste schon wieder fast heulen. Ich war so froh, dass ich zwei Familien hatte. Eine in San Franzisco, die sich gerade um ein paar Mitglieder erweitert hatte, und eine hier. Bei meinem Dad und Ryan. Und ich hatte sie alle total lieb. Das Lied war so schön, ich wollte es nicht an den Radiosender schicken. Das war meins. Ganz alleine meins.

Auch, wenn die anderen beiden Songs nicht an das fünfte Lied herankamen, fand ich ein passendes, das ich abschicken wollte. Es handelte vom Sinn des Lebens. Und es war wirklich sehr gut geworden.

Ich machte eine Kopie auf eine leere CD, beschriftete sie und suchte einen großen Briefumschlag aus dem Chaos in meinem Schreibtisch. Im Internet recherchierte ich nach einem geeigneten Radiosender. Als ich einen ganz in der Nähe fand beschriftete ich den Umschlag und steckte die CD hinein. Fertig! Jetzt musste ich das Ganze nur noch abschicken.

Müde ließ ich mich in mein Bett fallen. Es war ganz schön anstrengend, wenn man so gefühlsduselig war. Aber es stimmte, meine Familie in San Franzisco fehlte mir. Mum, die immer in Panik ausbrach, wenn sie bemerkte, dass das Haus in Chaos versank. Michael, der immer arbeiten musste und von Mum dann Anschiss bekam, weil er zu spät nach Hause kam. Sogar Luzy vermisste ich. Luzy, die immer herumsprang wie ein Gummiball und viel zu laut Musik von irgendwelchen Boybands hörte. Auch die Zwillinge fehlten mir, auch wenn es angenehm war, wenn niemand im Haus herum schrie. Und Jason. Jason vermisste ich eigentlich am meisten. Seine aufgedrehte Art. Und wie er immer für jeden Scheiß zu haben war. Natürlich war Ryan ein toller Bruder, aber Jason war jetzt schon mehrere Jahre mein Bruderersatz gewesen. Und er war ein verdammt guter Bruder.

In Gedanken bei meiner Familie schlief ich dann endlich ein.

 

Der Montagmorgen war stressig. Mein Wecker hatte in der Nacht den Geist aufgegeben und Ryan musste mich um kurz vor sieben aufwecken. Meinen Kaffee konnte ich nur noch kurz in eine Thermoskanne umfüllen und zum Frühstücken blieb keine Zeit mehr.

„Wenn du weiterhin so wenig isst, dann wirst du irgendwann noch daran sterben“, grummelte Ryan, als ich ins Auto stieg.

„Ich esse mehr als genug“, erwiderte ich nur.

„Du frühstückst nie“, warf er mir mit gerunzelter Stirn vor und startetet den Motor.

„Weil ich meistens die Zeit dazu nicht habe“.

„Dann steh doch früher auf“, schlug er vor und parkte aus unserer Auffahrt aus.

„Aber das ist so anstrengend. Außerdem ist Schlaf wichtig!“

„Essen doch auch“, entgegnete er säuerlich.

„Ryan, ich werde schon nicht magersüchtig, keine Sorge. Dafür mag ich Schokolade viel zu gerne“, lachte ich.

Mein Bruder murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Mann, der war heute wieder schlecht gelaunt.

„Wie war dein Abend gestern?“, fragte ich.

Ryan verzog das Gesicht.

„Nicht so super“, meinte er nur kurz angebunden.

Verwundert verzog ich den Mund.

„Warst du nicht mit Joe und Co. aus?“, fragte ich nach.

„Nein. Ich war mit einer alten Freundin etwas Essen. Und sie hat sich ziemlich verändert seit dem ich sie das letzte Mal gesehen hatte“, brummte er.

Ah, ein Mädchen.

„Positiv oder negativ?“, fragte ich nach.

„Negativ“.

Oje, also das hörte sich nach einem vergeudeten Abend an.

„Das tut mir Leid für dich“, sagte ich leise.

Leicht lächelnd sah er mich kurz an.

„Ach Jenna, du kannst doch nichts dafür“, sagte er sofort.

„Ja, ich weiß. Trotzdem ist es schade“, entgegnete ich.

„Kann man nichts machen. Menschen ändern sich“, meinte er.

Ja, da hatte er Recht. Selena war das beste Beispiel. Ich wollte nichts mit ihr zu tun haben. Immer wenn ich sie sah, zickte sie mit irgendwelchen anderen Tussis herum, oder klammerte sich an den Arm irgendeines Typen. Sie war einfach nicht mehr so wie ich. Sie hatte sich verändert.

„Ja, leider. Ach ja, Jason kommt am Mittwoch“, erzählte ich ihm und wechselte so das Thema.

„Cool. Er fährt extra her?“, fragte er verwundert.

„Ja. Er will reden“, lachte ich.

„Was wollt ihr sonst noch unternehmen?“.

„Keine Ahnung. Ich glaube, das entscheiden wir spontan. Kann man zum See, wo eurer Haus steht, auch anders zufahren?“, fragte ich nach.

„Ja, von der anderen Seite. Aber ihr könnte auch zum Haus, wenn ihr wollt. Joe hat sicher nichts dagegen“, lächelte er.

„Gut, danke“. Ich freute mich schon auf Mittwoch. Nur noch zwei Tage!

„Du Ryan, wieso habe ich eigentlich so oft mit einem von deinen Freunden Unterricht, obwohl ich unter euch eingestuft bin?“, fragte ich ihn. Diese Frage hatte ich mir schon oft gestellt. Die waren doch alle älter als ich, außer Mara vielleicht.

„Das ist ein neues Schulsystem. Sie haben es probeweise für dieses Jahr eingeführt. Soll den Zusammenhalt der Schülerschaft oder so fördern“, lachte Ryan.

„So ein Blödsinn“, meinte ich. Die Erwachsenen kamen vielleicht auf doofe Ideen.

„Ja, aber es funktioniert ganz gut, bis jetzt“, erklärte er.

Inzwischen waren wir an der Schule angekommen. Heute ausnahmsweise einmal nicht zu spät. Ich stieg aus und schloss die Autotür hinter mir.

„Wieso starren die mich eigentlich immer noch so doof an?“, fragte ich Ryan sauer. Obwohl ich jetzt schon länger hier bin gafft mich noch die halbe Schule an.

„Habe ich was im Gesicht kleben?“, fragte ich meinen Bruder sicherheitshalber.

Ryan lachte laut auf.

„Nein hast du nicht. Das liegt daran, dass du einfach verdammt scharf aussiehst. Und das darf ich dir als dein Bruder einfach direkt ins Gesicht sagen“, erklärte er grinsend.

„Was?“, fragte ich schockiert nach und blickte an mir herunter. Ich hatte eine normale, enge Jeans und ein weites rotes T-Shirt mit der Aufschrift „San Franzisco“ an. Dazu trug ich Turnschuhe.

„Was ist an meinem Outfit bitte so besonders?“, frage ich verwirrt nach.

„Es ist nicht dein Outfit, das bist du“, grinste mein Bruder.

Was?

„Okay?“, meinte ich verunsichert.

„Ich zeige es dir“, meinte er und drehte sich halb um.

„Hey Danny!“, rief er dem großen Kerl zu und dieser kam grinsend von seinem Auto zu uns herüber.

„Morgen“, begrüßte er uns. Er sah noch ein klein wenig zerknautscht aus.

„Hey“, erwiderte ich.

„Danny, wieso glaubst du, steht die halbe Schule auf Jenna?“, fragte Ryan ihn ernst.

„Na, weil sie hübsch ist“, sagte er ohne mit der Wimper zu zucken und grinste mich augenzwinkernd an.

„Echt jetzt?“, fragte ich stirnrunzelnd nach.

„Sie wollte es mir nicht glauben“, erklärte Ryan Danny lachend.

„Glaub es ruhig, es stimmt. Wir nehmen nämlich nur heiße Mädchen in unseren Freundeskreis auf“, lachte Danny.

Ich schlug ihm gegen die Schulter.

„Ach halt doch die Klappe“, schimpfte ich ihn, konnte ein kleines Lächeln aber nicht unterdrücken.

„Ich werde mir jetzt meine Klasse suchen. Der Schröder hasst mich nämlich, da muss ich nicht unbedingt zu spät kommen“, erklärte ich den Beiden und drehte ihnen den Rücken zu.

„Wir sehen uns in der Mittagspause“, rief Danny mir noch hinterher. War das etwa eine Drohung?

Auf dem Schulhof tummelten sich noch ziemlich viele Schüler, also konnte es noch nicht so spät sein. Trotzdem beeilte ich mich in mein Klassenzimmer zu kommen. Ich wollte es nicht riskieren wieder zu spät zu kommen. Oh man, mein Leben hatte sich wirklich verändert seit ich hier bin. Ich bin so… brav geworden. Meli würde mich nicht wieder erkennen.

Im Klassenzimmer ließ ich mich neben Chrissi fallen.

„Hey“, begrüßte ich sie.

„Hallo Jenna“, lächelte sie. „Wie geht’s dir?“

„Sehr gut. War nur stressig heute“, antwortete ich. „Dir?“

„Naja, es geht. Ich freue mich schon auf Mathe“, lachte sie.

„Ah, Mathe“, entgegnete ich und lachte ebenfalls.

„Nur den Schröder muss ich nicht unbedingt haben“, erzählte sie mir.

„Vielleicht ist er ja noch gar nicht wieder in der Schule“, mutmaßte ich. Vielleicht lag er ja noch im Krankenhaus mit seinen verbrühten Händen. Gut, so etwas wünschte man eigentlich niemanden, aber es handelte sich um den Schröder. Da konnte man ja einmal eine Ausnahme machen.

„Wieso? Was ist denn passiert?“, fragte sie verwundert nach. Kannte sie die Geschichte denn noch nicht?

„Die Kaffeemaschine im Lehrerzimmer ist explodiert und der Schröder hat sich dabei übel verbrannt“, erklärte ich ihr.

„Oh nein. Kaffeemaschinen können explodieren?“, fragte sie zweifeln und mit gerunzelter Stirn nach.

„Ich konnte es zuerst auch nicht glauben“

„Hoffentlich bekommen wir heute eine Vertretung. Dann wäre der Unterricht entspannter“, seufzte sie hoffnungsvoll.

„Ja, da hast du Recht“, pflichtete ich ihr bei.

Und tatsächlich betrat zehn Minuten später ein großer, gut gebauter und junger Mann die Klasse.

„Guten Morgen! Mein Name ist Herr Steiner und ich bin die Vertretung für Herrn Schröder. Ich unterrichte Mathematik, Geschichte und Politik. Vielleicht werden wir uns in nächster Zeit öfter sehen“, begann er mit lauter Stimmte, was die Klasse sofort verstummen ließ. Er sah eigentlich ganz freundlich aus. Und er war so jung. Ich schätzte ihn auf fünfundzwanzig. Älter konnte er nicht sein. Wie lange dauerte eine Lehrerausbildung eigentlich?

Herr Steiner erkundigte sich über den Stoff, den wir bis jetzt durchgenommen hatten und schickte dann jemanden aus der ersten Reihe zum Kopierer. Als wir alle unsere Übungszettel bekommen hatten begann er mit dem Unterricht. Er holte einzelne Schüler an die Tafel, die dann vorrechnen mussten.

„Sehr gut“, lobte er einen blonden Jungen, der rot anlief und sich wieder auf seinen Platz fallen ließ.

„Okay, wer will noch“, fragte er und ich hob meine Hand. Besser ich holte ein paar Mitarbeitspunkte, bevor der Schröder wieder hier war.

„Gut, komm an die Tafel“, meinte er und ich stand auf und schlenderte nach vorne. Die Aufgabe war einfach. Eine einfache Optimierungsaufgabe, das hatten wir zuhause schon letztes Jahr gehabt. Schnell löste ich die Übung und versuchte nicht allzu krakelig auf der Tafel zu schreiben.

„Sehr schön gemacht“, lobte er mich lächelnd und ich ließ mich wieder auf meinen Platz fallen. Herr Steiner trug alle Leute in eine Liste ein, die schon an der Tafel waren, um die Mitarbeit zu kontrollieren. Sehr fair von ihm.

Die Stunde verging schnell und machte wirklich Spaß. Hoffentlich blieb uns dieser Lehrer für einen längeren Zeitraum.

Kapitel 8 - Tanze, als hättest du nie etwas anderes gemacht

 Der Vormittag verging wirklich schnell und schon bald fand ich mich in der Cafeteria wieder. Ja, Essen! Ich war am Verhungern. Heute gab es Fisch. Zugegeben das war nicht mein Lieblingsessen, aber egal. Hauptsache etwas Essbares.

„Pass auf, dass du nicht auf dein Essen sabberst“, lachte Joe, der unerwartet neben mir aufgetaucht war.

„Ich habe solchen Hunger, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen“, erklärte ich ihm und nahm mir noch etwas Pudding als Nachspeise.

„Du solltest wirklich mehr Essen. Soll ich dir von Ryan ausrichten“, lachte Joe und bediente sich ebenfalls an der Nachspeisentheke.

„Danke, wär nicht notwendig gewesen“, grummelte ich. Wieso dachte er ich würde zu wenig essen?

„Kommst du?“, fragte Joe unerwartet und stapfte in die hinterste Ecke des Speiseraumes. Ich folgte ihm und entdeckte schon bald meinen Bruder, Danny, Leo und Mara an einem großen Tisch. Bei ihnen saßen noch zwei Mädchen und ein Junge, die ich nicht kannte.

„Gratuliere Joe, du hast es geschafft Jenna an unseren Tisch zu bringen, bevor sie auf mysteriöse Weise verschwindet“, gratulierte ihm Danny und ich ließ mich auf einen freien Stuhl neben ihn fallen.

„Hi Danny, freut mich dich zu sehen“, lächelte ich.

„Jenna, Jenna, du hast uns in letzter Zeit ziemlich hängen lassen“, tadelte er mich mit gespielt strengem Blick.

„Wieso?“, fragte ich verwirrt nach und steckte mir eine Gabel voll Kartoffeln in den Mund. Hm. Essen, lecker!

„Weil du nie Zeit hattest. Immer versteckst du dich. Baust du heimlich eine Rakete in eurer Garage?“, fragte Danny.

Ich begann zu lachen und musste mich echt bemühen nicht das ganze Essen über den Tisch zu spucken.

„Klar. Ich will zum Mond, damit ich dir von oben zusehen kann“, entgegnete ich und wischte mir die Lachtränen aus dem Gesicht. Ich? Eine Rakete bauen? Ich hatte schon meine Probleme dabei eine CD auf meinen Laptop zu überspielen.

„Okay, nimmst du mich dann wenigstens mit? Ich will auch zum Mond, dann können wir gemeinsam über den Planeten hüpfen und auf die Erde runter spucken“, grinste er.

„Klar, aber du darfst das Gepäck tragen“, entgegnete ich.

„Okay, abgemacht. Ich buche uns heute gleich ein Hotel dort oben. Hoffentlich haben die noch etwas frei“, murmelte er grinsend.

Lächelnd aß ich weiter. Der Junge hatte vielleicht Ideen.

„Hey, Jenna, das hier sind übrigens Maria, Elena und Jonas“, stellte Mara mir die drei Unbekannten Gesichter vor.

„Hallo“, begrüßte ich sie schüchtern und lächelte sie an.

Sie winkten mir kurz zu und waren dann sofort wieder in ein Gespräch mit Mara vertieft. Freunde von Mara also.

„Okay, Schwesterchen, das hier ist jetzt deine letzte Chance. Was machst du heute Nachmittag?“, fragte Ryan, der gegenüber von mir saß und mit seinen Kartoffeln kämpfte.

„Ich habe noch nichts vor“, antwortete ich.

„Kommst du mit ins Kino? Joes Freundin arbeitet dort heute und wir können billiger hinein“, erklärte mir Ryan. Joes Freundin? Verunsichert sah ich ihn an.

„Echt?“, fragte ich sicherheitshalber nach. Ich wusste nicht, dass er eine Freundin hatte.

„Ja, wir treffen uns um drei. Ich nehm dich dann einfach mit, Bandprobe fällt heute sowieso aus“, meinte Ryan.

Eigentlich war mir die Lust auf Kino vergangen. Wenn Joes Freundin uns billiger hinein ließ konnte ich auch gut darauf verzichten.

„Welchen Film wollt ihr denn sehen?“, fragte ich nach.

„Keine Ahnung. Da entscheiden wir normalerweise immer spontan“, grinste mein Bruder.

„Ich überleg es mir noch, okay?“, schlug ich vor. Dann konnte ich immer noch absagen, wenn ich wollte.

„Quatsch keinen Scheiß Jenna, natürlich kommst du mit“, mischte Danny sich ein. „Stell dir vor, wie wir im dunklen Kino nebeneinander sitzen und andere Leute mit Popcorn bewerfen“, raunte er mir vielversprechend zu.

Ich blickte ihn amüsiert an und bemerkte Maras vielsagenden Blick. Joe sah etwas verstimmt aus und schaufelte seinen Pudding in sich hinein. Und mein Bruder? Der sah leicht angepisst aus.

„Sag mal Danny, baggerst du da gerade meine Schwester an?“, fragte er grummelnd. Ich musste mich wirklich bemühen, um nicht in lautes Lachen aus zu brechen.

Mara hatte sich aus der Unterhaltung zurückgezogen und beachtete interessiert meinen Bruder. Und Joe ließ den Löffel sinken und starrte Danny interessiert an.

„Nein, ich kommuniziere nur mit ihr“, entgegnete er frech und grinste mich an.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf und begann meinen Pudding zu essen.

„Mal ehrlich, du kannst hier vor meinen Augen nicht einfach so mit meiner Schwester rummachen“, sagte er sauer und starrte Danny wütend an.

„Gut, ich mach dann im finsteren Kino weiter“, entgegnete er, stand auf und verließ mit einem Grinsen in meine Richtung den Tisch.

Und dann konnte ich mich nicht mehr zusammen reißen und brach in lautes Lachen aus. Das Ganze war einfach zu komisch gewesen.

„Wieso lachst du so?“, fragte Ryan sauer.

„Weil ihr echt lustig seid“, erklärte ich ihm und hielt mir den Bauch.

„Stört dich das nicht?“, fragte er dann verwundert?

„Was?“

„Na, wenn du einfach so von Fremden angemacht wirst.“

„Danny ist doch kein Fremder mehr. Außerdem sind wir Freunde“, erklärte ich ihm.

„Wer ist Peter Parker?“, fragte er dann unerwartet.

Verwirrt sah ich ihn an. Woher kannte er den Namen? Dann fiel es mir wieder ein. Jason hatte den Namen am ersten Tag erwähnt.

„Hör einfach nicht auf Jason. Der labert nur Scheiße den lieben langen Tag“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.

Mara grinste mich an.

„Jennas mysteriöse Liebhaber“, lächelte sie.

Ich grinste sie an und zwinkerte ihr zu.

„Du warst damals in San Franzisco ganz anders, oder?“, warf Joe mit einer unergründlichen Miene ein. Wie kam er denn darauf? Ich meine, ja, es stimmte schon. Aber wie kam er darauf?

„Ein klein wenig, ja“, gab ich zu und stocherte in meinem Essen herum. Der Appetit war mir irgendwie vergangen.

„Vermisst du dein altes Zuhause?“, fragte Mara mitfühlend.

Ich schürzte die Lippen. Schlechtes Thema. Um nicht zu verraten, wie sehr ich sie vermisste nickte ich nur leicht.

„Aber wir sind froh, dass du hier bist“, sagte Ryan und lächelte versöhnlich.

„Und am Mittwoch kommt Jason“, antwortete ich lächelnd. Mittwoch würde ein super Tag werden.

„Uh, Jason kommt“, äffte Mara meinen Bruder mit süßlicher Stimme nach. „Wer ist denn Jason, meine liebe, süße Jenna. Und warum hast du mir nichts von ihm erzählt“, schnurrte sie und stand auf um auf meine Seite des Tisches zu kommen.

„Das ist mein Geheimnis“, lächelte ich verschwörerisch. Dieses neugierige Plappermaul musste nicht alles wissen.

„Ach so ist das. Und wer ist dann Peter Parker“, fragte sie nach und ließ sich neben mich fallen.

„Komm schon Jenna, mir kannst du es sagen. Und die Jungs dort drüben hören uns sowieso nicht zu“, flüsterte sie verschwörerisch und stütze ihre Ellbogen auf den Tisch auf.

Ich schaute kurz zu den Anderen hinüber. Die drei Freunde von Mara waren verschwunden und nur noch Leo, Ryan und Joe saßen uns gegenüber. Ryan sah mich interessiert an und Joes Miene konnte ich nicht deuten. Und Leo war die ganze Zeit schon eher ruhig gewesen.

„Vergesst es“, sagte ich mit einem geheimnisvollen Lächeln und stand auf.

„Ich wette, der eine ist der Vater deines ungeborenen Kindes und mit dem anderen hattest du eine Affäre während eurer Beziehung“, mutmaßte Mara mit einem hinterhältigen Lächeln. So nicht, meine Liebe. Ich sag es dir ganz bestimmt nicht.

„Nah dran“, sagte ich und musste mir das Lachen wirklich verkneifen, als ich die Gesichter von Leo, Ryan und Joe sah. Einfach göttlich.

„Bis später“, verabschiedete ich mich und strich mir beim weg gehen auffällig über meinen Bauch, was die Andere auf keuchen ließ.

„Jenna ist schwanger?“, hörte ich Leos entsetzte Stimme.

Ich grinste vor mich hin, als ich die Cafeteria verließ. Ja klar, ich und schwanger, sonst noch etwas?

Der Nachmittag verging langsam und irgendwann begegnete ich Dana auf dem Schulflur.

„Anderson. Du kannst heute Abend mit zur Tanzprobe kommen“, sagte sie kurz angebunden.

Sie hatte ihre dunklen Haare heute zu ganz vielen Locken gedreht. Außerdem trug sie eine Hotpants und ein blaues, bauchfreies Top. Dazu grüne Converse.

„Cool, danke. Wo genau ist das?“, fragte ich sie.

„Ich hole dich einfach um sieben ab. Du findest alleine sowieso nicht hin“, murmelte sie noch und stolzierte an mir vorbei.

Verärgert sah ich ihr nach. Dieses Mädchen trieb mich noch in den Wahnsinn mit ihrer arroganten Art. Dabei wirkte sie eigentlich gar nicht so zickig.

Der restliche Tag lief nicht ganz so gut, wie der Vormittag. Erleichtert trat ich dann aus dem Schulgebäude und blinzelte in die Sonne. Der Schulhof war noch voll mit Leuten, die sich voneinander verabschiedeten oder noch redeten. Also ich war immer froh wenn ich so schnell wie möglich das Schulgeländer verlassen konnte. Suchend blickte ich mich um und entdeckte Ryan und seine Freunde neben dem Tor stehen. Ich schlendert auf sie zu und schob meine Sonnenbrille von meinen Haaren über meine Augen.

„Okay, ich will die Taufpatin werden“, rief Mara sofort und umarmte mich.

„Was?“, fragte ich sie überrumpelt.

Ryan sah mich leicht zerknirscht an und Joes Blick war irgendwie wütend.

„Wir wissen dass du schwanger bist, Jenna“, sagte Leo in ruhigem Tonfall und umarmte mich vorsichtig.

Und schon wieder brach ich in Lachen aus. Sie dachten es wirklich. Ernsthaft! Oh man, ich konnte nicht mehr, das war einfach zu witzig.

„Ich kann euch beruhigen“, japste ich nach Luft ringend. „Ich bin definitiv nicht schwanger. Und habe auch nicht vor es in den nächsten fünf Jahren zu werden“, lachte ich.

„Bist du nicht?“, fragte Leo verwirrt und ließ mich los. Ich schüttelte nur den Kopf. Ryan sah mich erleichtert an.

„Oh, Gott sei Dank. Ich wäre ein furchtbarer Onkel gewesen!“, rief er erleichtert aus.

„Nein, du wärst ein super Onkel“, sagte ich und nahm seine Hand. Lächelnd sah er auf mich herab.

„Dad wäre sicher nicht so begeistert gewesen“, warf er grinsend ein.

„Oh und Mum erst! Die hätte mir einen elend langen Vortrag über Verhütung gehalten“, stieß ich entsetzt aus und lehnte mich gegen meinen Bruder. Mum wäre zuerst auf hundertachtzig gewesen und hätte mich angeschrien, um mich später dann zu umarmen und sich zu freuen. Ich kannte meine Mutter einfach viel zu gut.

Die anderen lachten.

„Da wir das jetzt geklärt hätten, fahren wir nach Hause? Ich sterbe in diesen Klamotten“, warf ich ein und sah Ryan bittend an.

„Klar. Wer will mitfahren?“, fragte er in die Runde.

Joe und Mara meldeten sich, da Danny und Leo noch in irgendein Musikgeschäft fahren wollten.

Gemeinsam schlenderten wir zu Ryans Auto und ich ließ meinen Blick bewusst über die noch anwesenden Schüler schweifen. Mehrere Schüler starrten uns nach und einige senkten sogar verlegen den Kopf, als ich sie direkt ansah.

„Ich glaube, ihr hattet heute Morgen doch Recht“, murmelte ich an Ryan gewandt.

Dieser wandte sich um und schaute auch auf die Schülerschaft.

„Wir haben immer Recht. Aber die schauen eigentlich nur mich an“, lachte Ryan.

„Aha. Dann gibt es also wirklich so viele schwule Typen an dieser Schule“, stellte ich lächelnd fest und ließ mich auf die Rückbank fallen.

„Anscheinend schon“, antwortete Ryan.

„Bei was hattest du Recht?“, wollte Joe interessiert wissen. Er schien ziemlich erleichtert zu sein, als er hörte, dass ich nicht schwanger war. Aber wer konnte es ihm schon verdenken. Ich wäre auch ziemlich geschockt, wenn Mara mit ihren siebzehn Jahren schwanger werden würde.

Siebzehn war dann doch noch ein bisschen früh.

„Jenna wollte uns nicht glauben, dass ihr die halbe Schule zu Füßen liegt“, erzählte Ryan und ich lief rot an.

„Da könnte Ryan sogar Recht haben“, warf Joe grinsend ein und ich streckte ihm die Zunge heraus.

„Und die andere Hälfte liegt euch beiden zu Füßen“, grinste Mara.

„Ja, da hast du Recht“, pflichtete ich ihr bei. „Die sind alle halb verrückt geworden, als ich ihnen erzählt habe, dass du mein Bruder bist“, erzählte ich. Bei der Vorstellung wie alle nachgefragt haben, ob es stimmt, musste ich grinsen.

„Ja, dieser Titel ist zwar anstrengend, aber ich kann halt nichts für meine Schönheit“, meint Joe mit aufgesetzter Überheblichkeit.

„Ja klar, Joe. Du bist der King des Universums“, erwiderte Mara sarkastisch.

„Ich weiß Mara, ich weiß“, sagte er lächelnd.

„Hey, willst du noch mit zu uns kommen?“, fragte Ryan plötzlich Joe.

„Ihr beide“, warf ich ein und sah Mara fragend an. „Wir könnten uns an den Pool legen“, sagte ich um sie zu überzeugen.

„Gerne“, sagte Mara und auch Joe nickte.

„Aber ich habe kein Schwimmzeug mit“, warf Mara ein.

„Unterwäsche geht auch, mein Schatz“, sagte Ryan und warf ihr ein anzügliches Grinsen zu.

„Ja klar“, sagte Mara und schlug ihm lachend gegen die Schulter.

„Ich leih dir einen“, versprach ich ihr.

Als wir daheim ankamen war von Dad wieder einmal keine Spur. Aber Sonja arbeitete in der Küche. Ich glaube, sie machte Marmelade, aber so genau konnte ich das bei meinem Küchentalent nicht einschätzen.

„Hallo Sonja. Das duftet super lecker, was wird das?“, fragte ich sie, als ich mit den Anderen im Schlepptau unsere Küche betrat.

„Hallo. Apfelmus“, erklärte sie uns. Aha. Also keine Marmelade.

„Riecht total lecker“, sagte ich und sie lächelte.

„Komm Mara, ich zeig dir jetzt meinen Kleiderschrank“, lächelte ich und wir gingen hinauf in mein Zimmer.

„Wow, dein Zimmer ist der Wahnsinn“, rief sie aus und blickte sich interessiert um.

„Haben mein Dad und Ryan eingerichtet“, erzählte ich ihr stolz. Ja, mein Zimmer hatten die Beiden wirklich prima hinbekommen. Ich war selbst immer wieder begeistert, wenn ich es betrat.

„So, dann schauen wir mal, was wir finden“, meinte ich und öffnete meinen, zugegeben, riesigen Kleiderschrank

„Oh mein Gott, Jenna! Wo hast du diese ganzen Klamotten her?“, fragte Mara mich entsetzt. Ich habe ja gesagt, dass mein Kleiderschrank nicht gerade klein ist. Aber anscheinend fand Mara in gigantisch.

„Und was bitte ist das?“, fragte sie und holte ein schwarzes, kleines Stoffdings heraus. Sie drehte es in den Händen umher und versuchte herauszufinden.

„Ist das ein Rock?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.

Lachen nahm ich ihr den Stoff ab und zupfte ihn zu Recht.

„Nein, das ist ein Korsett“, erklärte ich ihr und zeigte ihr, wie man es richtig hielt. Es war ein knappes Korsett mit dunkelbraunem Lederimitat und es war am Rücken zu schnüren. Tja, solche Sachen habe ich damals in San Franzisco getragen.

„Ernsthaft? Und so etwas ziehst du tatsächlich an?“, fragte sie mich verwirrt.

„Habe ich mal, ja“, lachte ich.

„Oh wow, kann ich das probieren?“, fragte sie mich grinsend.

„Klar, warte ich helfe dir“, bot ich an und löste die Schnürung am Hinterteil des Kleidungsstückes.

Mara ließ ihr T-Shirt zu Boden fallen.

„Sorry Mara, BH ist nicht. Das geht sich nicht aus“, lachte ich.

Als wir es nach einigen Minuten geschafft haben, Mara in das Korsett zu zwängen, hatte ich leichte Probleme mit der Schnürung. Es war wirklich schon lange her, seit ich dieses Ding das letzte Mal getragen hatte.

Aber es sah toll an Mara aus. Es war ihr zwar ein kleines bisschen zu eng, aber wenn sie die Haare offen ließ, sah man das fast gar nicht.

„Steht dir gut“, sagte ich, während Mara sich vor dem Spiegel hin und her drehte. Lächelnd sah sie mich durch den Spiegel an.

„Aber man zieht das zu keiner kurzen Hose an, oder?“, fragte sie und sah zu ihrer kurzen Fransenjeans.

„Nein, eher nicht“, lachte ich. „Ich würde dir eine enge, schwarze Jeans empfehlen“, lachte ich.

„Wieso ziehst du das eigentlich nicht mehr an?“, fragte sie mich dann ernst und begann, sich wieder um zu ziehen.

„Weil ich dann aussehe wie Selena oder Dana“, erklärte ich ihr und ließ mich auf mein Bett fallen. Mit der Sonne im Gesicht schloss ich meine Augen.

„Dana ist eigentlich ganz okay. Manchmal ist sie ein kleines bisschen… naja, Dana eben. Aber im Großen und Ganzen ist sie nett“, sagte Mara ernst.

„Wirklich? Bis jetzt hat sie mir davon nicht so viel gezeigt“, meinte ich misstrauisch.

„Ja, so ist Dana eben. Naja, hast du jetzt Schwimmzeug für mich?“, fragte Mara und setzte sich neben mich aufs Bett.

„Klar“, sagte ich und sprang auf. Ich schob eine meiner Schubladen auf und kramte fünf verschiedene Bikinis hervor. Ich breitete sie vor Mara aus und ließ sie entscheiden.

„Oh wow, der ist schön. Kann ich den haben?“, fragte sie und hob einen dunkelblauen in die Höhe.

„Klar“, meinte ich und suchte mir selbst einen hellblauen aus. Nachdem wir uns umgezogen hatten schlenderten wir hinunter an den Pool. Von den Jungs war keine Spur zu sehen, also legten wir uns einfach auf die Liegen neben dem Wasser. Unser Pool war nicht gerade klein, aber für meinen Geschmack nahm er zu viel Platz vom Hintergarten ein.

„Warte, ich hole uns kurz noch etwas zu trinken“, sagte ich und machte mich auf den Weg in die Küche, wo Sonja noch immer vor dem Herd steht.

„Hi Sonja. Haben wir noch etwas von der Zitronenlimonade, die du gestern gemacht hast?“, fragte ich sie.

„Natürlich. Im Kühlschrank“, erklärte sie mir.

„Danke Sonja, du bist die Beste“, sagte ich und holte den großen Krug aus dem Kühlschrank.

Sonja lachte „Danke, Jenna“.

Mit zwei Gläsern, der Limonade und einer Packung Kekse lief ich wieder zu Mara hinaus.

„So, Jenna. Jetzt musst du mir sagen, wieso du früher so anders warst als jetzt!“, empfing mich Mara. Sie lag bereits in der Sonne und versteckte ihre Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille.

Ich stellte das Zeug aus der Küche auf einen kleinen Tisch zwischen unseren beiden Liegestühlen und legte mich auf meinen Liegestuhl. Mit wenigen Bewegungen band ich meine langen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz.

„Ich weiß nicht“, sagte ich und setzte mir meine Sonnenbrille auf die Nase.

„Es muss doch einen Grund geben“, meinte sie.

„Ich weiß es wirklich nicht Mara. Es gibt vermutlich tausende Gründe, aber ich glaube, hauptsächlich habe ich Dad und Ryan vermisst“, erzählte ich ihr.

„Und deshalb hast du alles zurück gelassen? Dein ganzes Leben?“

„Ja, ich glaube schon“, meinte ich leise.

„Du vermisst sie, oder?“, fragte Mara mich leise.

Ich nickte.

„Aber mein Bruder, also eigentlich Halbbruder, kommt mich am Mittwoch besuchen“, lächelte ich.

„Jason?“, fragte sie.

Ich nickte.

„Cool, dann lerne ich jemanden aus San Franzisco kennen“, lachte sie.

„Äh, hallo? Ich bin etwa nicht aus San Franzisco, oder wie?“, fragte ich gespielt empört.

Mara grinste „Doch sicher. Aber jetzt bist du hier und offiziell nicht mehr von dort“.

Ich grinste. „Klar“.

„Und wieso ziehst du dich dann auch so anders an? Ich meine, jetzt siehst du so brav aus“, fragte sie.

„Keine Ahnung. Ich wollte hier ein neues Leben beginnen. Das ganze illegale, gefährlich Zeug hinter mir lassen und einfach einmal normal sein“, entgegnete ich.

„Illegal und gefährlich?“, fragte sie mich entsetzt.

„Ich habe mich geändert“, murmelte ich.

„Kannst du mir ein Beispiel geben? Ich meine, dass schlimmste, was ich bis jetzt gemacht habe waren die Partys mit den Anderen“, lächelte sie schüchtern.

„Äh“, machte ich und runzelte die Stirn. Was konnte ich Mara erzählen, was sie nicht zu schlimm schockieren würde?

„Ich bin mal mit meinem Freund abgehauen, als ich vierzehn war“, lächelte ich entschuldigend.

„Naja, okay, so schlimm ist das nicht“, meinte sie.

„Ähm.. Er war vierundzwanzig, ein Schläger, vorbestraft und von der Polizei wegen Drogenhandel gesucht“, ergänzte ich leise.

„Was?“, fragte sie entsetzt und setzte sich ruckartig auf. Mit einer schnellen Bewegung schob sie sich die Sonnenbrille von den Augen und starrte mich an.

Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern.

„Ich bin doch zurück gekommen“, murmelte ich.

„Wieso hast du das denn gemacht?“, fragte sie mich verwirrt.

„Er war sehr überzeugend“, flüsterte ich.

„War das dieser Peter Parker, von dem Ryan beim Mittagessen erzählt hat?“, fragte sie weiter.

Ich nickte nur.

„Wir sind mit seiner Motorradgang ein paar Hundert Kilometer die Küstenstraße entlang und haben am Strand geschlafen“, sagte ich noch. Eigentlich waren das gar keine so schlechten Erinnerungen. Es war cool, unter dem freien Himmel zu schlafen. Die Sterne waren einfach unglaublich. In der Stadt sah man fast gar keine Sterne, wegen der vielen Lichter.

„Und dann?“, fragte sie weiter und blickte mich interessiert an.

Ich biss mir auf die Unterlippe.

„Die Polizei hat uns gefunden“, sagte ich.

„Was?“, rief sie entgeistert. „Ja und dann?“, fragte sie gespannt. Mara sah überhaupt nicht mehr schockiert aus, sondern sah mich eher bewundernd an.

„Na, was gibt es wichtiges zu flüstern“, ertönte plötzlich Ryans laute Stimme hinter uns und als ich aufblickte standen die beiden Jungs mit Sonnenbrillen im Gesicht hinter den Liegen.

„Ich bin wieder nach Hause“, beendete ich meine Erzählungen an Mara gewandt.

„Wir liegen in der Sonne, du blinder Mann“, lächelte ich und legte mich wieder bequemer hin.

„Aber…“, begann Mara, doch mit einem warnenden Blick brachte ich sie zum Schweigen.

„Es riecht hier nach Geheimnisse“, bemerkte Joe und ließ sich neben mich auf meine Liege fallen.

„Jenna, erzähl es uns. Wir sagen es auch nicht weiter“, meinte er und grinste mich vielversprechend an.

„Du nimmst mir meine Liege, Joe“, beschwerte ich mich.

„Komm schon Jenna“, meinte er und rutschte noch ein kleines bisschen zurück, sodass ich mich schon mit dem Arm am Boden abstützen müsste.

„Joe“, sagte ich warnend. Doch er ging einfach nicht weg.

Ryan ließ sich lachend auf eine andere Liege neben Mara fallen.

„Jenna“, sagte er und lächelte mich böse an.

„Na gut, ich sage es dir, aber dafür musst du aufstehen“, meinte ich dann und begann selbst zu lächeln.

Siegessicher stand Joe auf und auch ich erhob mich.

Ich beugte mich vor, sodass es aussah als würde ich ihm etwas ins Ohr flüstern, doch dann legte ich meine Hände auf seine Brust und stieß in den Pool hinein. Mit einem lauten Platschen landete er im kühlen Wasser.

Mara begann sofort zu lachen und auch Ryan sah mich grinsend an.

Nur Joe sah mich leicht sauer an, als er wieder auftauchte.

„Jenna, Jenna. Am besten, du beginnst du rennen und hörst nie wieder damit auf“, sagte er drohend und begann zum Rand zu schwimmen. Quietschen sprang ich ein paar Schritte zurück und begann zu laufen, während er sich elegant aus dem Wasser zog und hinter mir her joggte.

Schnell rannte ich um die Hauseckte und überlegte, wo ich mich am besten verstecken konnte. In der kleinen Gartenhütte? Oder hinter den Büschen vor dem kleinen Teich? Oder im Haus? Im Haus gab es bestimmt die meisten Verstecke, also lief ich ins Haus.

Gerade, als ich die Treppe hinauf laufen wollte legten sich zwei nasse Arme um meinen Bauch. Ich schrie kurz auf und versuchte mich lachend aus seinem Klammergriff zu befreien.

„Ich habe dich gewarnt“, sagte er und hab mich hoch.

Keuchen versuchte ich mich an ihm fest zu halten, um nicht auf den Boden zu knallen.

„Lass mich runter, Joe“, lachte ich.

Zittern schlang ich meine Arme um seinen Hals, um wenigstens ein kleines bisschen Halt zu haben. Kaltes Wasser tropfte von seinen Haaren in meinen Nacken und ich zuckte zusammen.

„Auf keinen Fall, Kleine. Wir gehen jetzt erst mal schwimmen“, sagte er ernst.

„Nein, das geht nicht!“, rief ich laut aus.

„Wieso denn nicht? Immerhin hast du mich hineingeschubst, also werde ich mich jetzt revanchieren“, meinte er und verließ mit mir auf den Armen das Haus.

„Bitte Joe, das Wasser ich viel zu kalt“, jammerte ich und klammerte mich an ihm fest. Trotz des kalten Wassers war seine Haut angenehm warm und weich.

„Na und? Das hättest du dir vorher überlegen müssen“, sagte er ernst.

„Oh Joe, bitte, bitte, du bekommst alles, was du willst“, jammerte ich. Unter keinen Umständen wollte ich ins kalte Wasser. Der kalte Pool hat ungefähr minus zehn Grad. Oder noch kälter. Wieso war das Wasser eigentlich nicht warm? Wir hatten Sommer, verdammt!

„Alles, was ich will ist, dich in den Pool zu werfen“, sagte er lächelnd.

„Schaut mal, wen ich gefunden habe“, rief er laut, als er um die Ecke bog. Ich sah Mara und Ryan noch immer auf den Liegen vor sich hin dösen.

„Ryan, du musst mir helfen“, rief ich ihm zu.

„Wieso denn?“, fragte er scheinheilig nach.

„Weil Joe gemein ist“, rief ich schnell, da wir uns immer weiter dem Pool näherten.

Lachend ging Joe weiter.

„Ach, Joe ist eigentlich ganz nett. Man darf ihn nur nicht verärgern“, meinte mein Bruder und blieb liegen.

„Mara! Hilf mir“, rief ich.

„Sorry Jenna, aber gegen Joe will ich mich nicht stellen“, meinte sie und zuckte mit den Schultern.

„Ach kommt schon“, jammerte ich und klammerte mich noch fester an Joes Hals, als er an den Rand des Pools trat.

„Nein Joe!“, sagte ich panisch.

Lächelnd blickte er auf mich herab.

„Nenn mir einen Grund, wieso ich es nicht tun sollte?“, fragte er.

„Weil… ich nett bin?“, antwortete ich zögernd.

„Falsche Antwort“, sagte er und wollte mich hinein werfen, doch ich klammerte mich an seinem Hals fest.

„Nein, das tust du nicht“, rief ich lachend aus.

„Doch, das tu ich“, sagte er grinsend und sprang mit einem lauten Platschen ins kalte Wasser. Mit mir in seinen Armen.

Als mich das kalte Wasser umfing zuckte ich zusammen. Es war noch viel kälter, als ich es mir vorgestellt hatte. Noch viel, viel kälter.

Zittern tauchte ich aus dem Wasser auf und atmete tief ein.

Ryan und Mara lachten mich aus.

Joe tauchte neben mir auf. „Wenigstens hattest du schon einen Bikini an“, bemerkte er trocken und blickte auf sein nasses T-Shirt und seine Jeans, die ihm an den Beinen klebte.

„Du bis richtig doof, Joe, weißt du das eigentlich?“, fragte ich lachen und schwamm auf ihn zu. Ich versuchte ihn unter Wasser zu drücken, schaffte es allerdings nicht. Er war einfach zu stark und stand da, wie ein Fels.

„Würdest du mehr essen, würdest du es schaffen“, rief Ryan mir von der Liege aus zu.

„Ja klar“, entgegnete ich und schwamm von Joe weg, der lachend versuchte mich unter Wasser zu drücken.

„Hey, das ist unfair! Du hast mich immerhin schon hier hinein gebracht“, sagte ich und versuchte vor ihm weg zu schwimmen.

Grinsend baute er sich vor mir auf, als ich den Rand des Beckens erreicht hatte und nicht mehr weiter konnte.

„Ich würde sagen, wir sind quitt“, flüsterte er mir ins Ohr und zog sich neben mir aus dem Becken.

Ich schob meine Gänsehaut auf das kalte Wasser und kletterte hinter ihm hinaus.

Ich wickelte mich zitternd in ein Handtuch und setzte mich wieder auf meine Liege.

„Und trotzdem wissen wir noch immer nicht dein Geheimnis“, sagte Ryan.

„Und das werdet ihr auch nie erfahren“, entgegnete ich und lächelte ihn lieb an.

„Na gut, wenn du meinst“, sagte er nur. So einfach zufrieden? Das war ja ganz was Neus.

„Wir fahren heute übrigens um halb neun ins Kino“, sagte Joe. Er hatte sich ebenfalls eines der Handtücher genommen und war kurz im Haus verschwunden, um seine nassen Klamotten gegen eine knielange Badehose zu tauschen. Nur gegen eine Badehose. Und verdammt dieser Kerl hatte einen Oberkörper. Ich musste mich wirklich zusammenreißen um nicht zu sabbern.

Doch dann erinnerte ich mich wieder an Joes Freundin. Joes Freundin, die uns billiger ins Kino ließ. Super.

„Ich kann nicht“, sagte ich trocken und setzte mir meine Sonnenbrille wieder auf.

„Wieso nicht?“, fragte mich Mara.

„Ich geh tanzen“, entgegnete ich mit einem kleinen Lächeln. Ich war schon gespannt, was die Eisprinzessin so drauf hatte.

„Tanzen?“, fragte mich Joe mit gerunzelter Stirn.

„Ja“, nickte ich.

„Und wohin?“, fragte Mara.

„Keine Ahnung. Dana nimmt mich zu ihrer Tanzgruppe mit. Ich muss fit bleiben fürs Musical“, sagte ich.

„Wie hast du es geschafft Dana zu erweichen?“, fragte mich Joe lächelnd.

„Ich habe ihr erzählt dass ich noch Tänzer in San Franzisco brauche“, erklärte ich ihnen grinsend.

„Und brauchst du?“, fragte Mara mich begeistert.

„Vermutlich schon. Wieso? Kannst du etwa auch tanzen?“

„Naja, so richtig professionell nicht, aber schon ein bisschen“, lächelte sie.

„Cool, wenn du willst dann kann ich dir Meli mal vorstellen“, versprach ich ihr.

„Ja, das wäre cool“, lächelte sie.

„Du musst trotzdem mit ins Kino kommen“, meinte Ryan ernst.

„Ach komm, wir können ja ein anderes Mal etwas machen“, versprach ich.

„Nein, Jenna, du hast uns die letzte Woche schon ziemlich vernachlässigt“, warf Joe ein.

„Stimmt, ich finde auch du solltest mitkommen“, sagte Mara.

„Ich kann ja dann nachkommen, wenn mein Date mit Dana vorbei ist“, versprach ich.

„Und als kleinen Ansporn wetten wir“, grinste Mara.

Misstrauisch sah ich sie an.

„Um was genau?“, fragte ich sicherheitshalber nach.

„Wenn du es nicht schaffst, rechtzeitig um neun zum Filmbeginn da zu sein, suche ich dir Klamotten aus deinem Schrank, die du dann einen ganzen Tag lang in der Schule tragen musst“, erklärte sie mir grinsen. Oh nein! In meinem Schrank waren wirklich schlimme Teile.

„Ähm…“, versuchte ich mich raus zu reden.

„Keine Wiederrede“, sagte Mara. „Sei einfach pünktlich, dann passiert dir schon nichts“.

„Was hast du alles in deinem Kleiderschrank versteckt?“, fragte Ryan misstrauisch.

„Lässt du sie dann im Bademantel zur Schule erscheinen?“, warf auch Joe ein.

„Ihr habt noch nie ihren Kleiderschrank gesehen“, sagte Mara lächelnd.

„Na gut“, willigte ich ein. Bis neun Uhr sollte ich es ja doch ins Kino schaffen. Hoffte ich zumindest.

 

Dana holte mich pünktlich um sieben Uhr vor meinem Haus ab. Sie trug bereits eine lockere Sporthose und ein weites, knallgrünes Sweatshirt. Der Radio in ihrem, wirklich beeindruckendem, Auto war auf volle Lautstärke gedreht und verwirrt stellte ich fest, dass mein Lieblingslied lief.

Ich ließ mich auf den Nebensitz fallen und schnallte mich schnell an.

„Ich hoffe du bist nicht so unsportlich wie dein Bruder“, begrüßte sie mich.

„Nein, schlimmer als er geht’s nicht mehr“, lächelte ich.

Als sie los fuhr zuckte ich kurz zusammen, aber Danas Fahrstil war gar nicht so schlimm.

„Wo genau fahren wir hin?“, fragte ich sicherheitshalber nach.

„In den nächsten Ort. Ist nicht so weit weg“, antwortete sie mir kurz angebunden.

„Und wie viele seid ihr?“

„Derzeit sind wir zehn. Aber zwei haben sich verletzt, also eigentlich sind wir zwölf“

„Und habt ihr einen Coach?“, fragte ich begeistert.

„Klar. Sie ist zweiundzwanzig und ein klitzekleines bisschen verrückt“, lächelte Dana.

„Das hört sich doch gut an“, murmelte ich.

„Wie lange dauert die Tanzstunde ungefähr?“

„Keine Ahnung. Kann in einer Stunde schon wieder vorbei sein. Unser Rekord liegt bei fünf Stunden“, erklärte sie mir.

Wow, fünf Stunden durchgehend tanzen? Das hielt doch niemand aus. Dann konnte ich wirklich im Bademantel zur Schule gehen.

Nach wenigen Minuten Autofahrt erreichten wir eine heruntergekommene Fabrikhalle. Von außen sah es hier nicht sehr vielversprechend aus. Doch es parkten schon einige Autos vor der Eingangstür, also war das hier kein inszenierter Mordplan von Dana.

Dana parkte das Auto und wir schlenderten auf die große Eingangstür zu.

Drinnen empfing mich behagliche Wärme und es erinnerte überhaupt nicht an ein Fabrikgebäude.

Wir befanden uns in einem großen Raum, einer Art Garderobe. Einige Jacken und Schuhe standen schon herum und auf einer Ledercouch saßen zwei Mädchen und unterhielten sich.

„Also da hinten ist die Umkleide“, erklärte mir Dana und zeigte auf eine rot gestrichene Tür. „Und die drei Türen führen zu verschiedenen Tanzräumen“, Dana zeigte in einen kleinen Gang, von dem vier Türen abgingen. „Die letzte Tür ist die Toilette. Unisex, ich hoffe das stört dich nicht“, grinste sie.

Da ich meine Sportsachen bereits an hatte folgte ich ihr gleich in der ersten Raum. Es war ein großer Tanzsaal mit verspiegelten Wänden. In einer Ecke stand eine große Musikanlage.

„Fang schon mal mit Dehnen an, Marie kann es nicht leiden, wenn wertvolle Zeit ihres Unterrichts dafür drauf geht“, wies mich Dana an.

Wie befohlen setzte ich mich auf den Boden und begann meine Beine zu dehnen. Nach der Reihe kamen einige Mädchen herein und auch sie begannen, sich auf zu wärmen.

„Hi, ich bin Marie“, stellte sich eine blonde Schönheit vor und streckte mir ihre Hand entgegen.

„Hallo, ich heiße Jenna“, entgegnete ich und stand auf.

„Dana sagte, dass du heute gerne mitmachen würdest. Das freut mich, neue Mitglieder sind immer willkommen“, lächelte sie mich an. Sie war wirklich hübsch, ihre langen blonden Haare hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und ihr Körper steckte in einem modischen Trainingsanzug. Sie sah aus wie eine Tanzlehrerin aus einem Film.

„Danke, dass ich mitmachen darf“, entgegnete ich lächelnd.

„Immer wieder gerne“, sagte sie und zwinkerte mir zu.

Marie begann den Unterricht mit einfachen Bodenübungen. Kleine Schrittfolgen, die wir nachtanzen sollten. Gut für die Koordination!

Zu meiner großen Freue, konnte ich dem Unterricht gut folgen.

Stellenweise schaltete Marie Musik ein, um zu sehen, ob jeder im Takt war. Sie musterte mich genauer und wandte sich dann mit einem zufriedenen Nicken ab. Es scheint, als hätte sich der Tanzunterricht früher doch ausgezahlt.

„So, Leute, wir machen jetzt die Choreo von Letzens, Jenna, du kannst zuerst zusehen, wenn du willst“, rief Marie und drückte auf einen Knopf an der Anlage.

Laut ertönte ein Song von einer meiner Lieblingsband. Ich stellte mich an den Rand und beobachtete den Rest der Gruppe. Es waren schon talentierte Mädchen dabei. Und Dana war eindeutig eine der besten Tänzerinnen hier. Dieses Mädchen hatte ein Taktgefühl, das war der Wahnsinn! Auch die vier Jungs, die die Truppe unterstützen, bewegten sich sehr gut.

Der Tanz war einfach, und so begann ich schon im zweiten Durchlauf Kleinigkeiten mit zu tanzen, während Marie andere Tänzer ausbesserte.

„Super Leute!“, feuerte Marie uns an und tanzte selbst lachend mit.

„Sehr gut, Jenna!“, lobte sie auch mich und ich grinste sie an.

Das Tanzen hatte mir wirklich gefehlt.

Aber ich bemerkte, dass meine Kondition nicht mehr die beste war, denn nach gut einer Stunde bekam ich Seitenstechen. Gott sei Dank fand Marie, dass es Zeit für eine Pause war.

„Jenna, du machst das wirklich sehr gut“, meinte Marie und stellte sich zu mir.

„Danke. Hast du die Choreo erfunden?“, fragte ich sie sogleich. Der Tanz war wirklich toll gewesen.

„Ja“, lachte sie „Das war eines meiner Mir-ist-so-langweilig-was-soll-ich-machen Projekte“, erklärte sie.

„Wirklich sehr, sehr gut“, sagte ich.

„Du hast früher schon getanzt, oder?“, fragte sie mich wissend.

„Ja, ich war damals schon in einer Tanzgruppe“, erzählte ich ihr.

„Das merkt man. Du musst nur ein bisschen an deiner Kondition arbeiten, ansonsten bist du spitze. Ich hoffe wir sehen dich hier öfter“, lächelte sie.

„Ja, ich freue mich, wenn ich wieder kommen kann“, entgegnete ich grinsend.

Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit kleinen Rythmusübungen. Und dann wurden noch Hebefiguren geübt. Die Jungs mussten ganz schön was mitmachen und jedes Mädchen einmal Hochheben. Aber das schafften sie locker, sie waren wirklich ziemlich gut trainiert.

„Lass mich bitte nicht fallen“, bat ich Marcus, als ich an der Reihe war.

„Keine Sorge. Du siehst so leicht aus, da muss ich mich nicht einmal anstrengen“, lachte er. Mit etwas Anlauf lief ich auf ihn zu und sprang dann in seine geöffneten Arme. Und es funktionierte sehr gut, denn Sekunden später balancierte er mich hoch über seinen Kopf auf seinen Händen. Ich musste nur noch meine Muskeln anspannen und schon sah es nach einer Hebefigur wie bei DirtyDancing aus.

Marie sparte wieder einmal nicht mit dem Lob und schon bald war die Tanzstunde vorbei.

„Danke dass du mich nicht fallen gelassen hast“, bedankte ich mich grinsend bei Marcus.

„Kein Problem, Jenna. Ich versuch es beim nächsten Mal dann wieder“, zwinkerte er mir zu und verließ den Tanzsaal.

„Können wir, oder bist du noch nicht fertig mit flirten“, fragte Dana und grinste mich zufrieden an. Wow, sie war wirklich gut drauf nach dem Tanzen.

„Klar“, lächelte ich und verließ hinter ihr den Raum.

„Kann man die Räume auch mieten?“, fragte ich sie.

„Natürlich. Du musst vorher nur Bescheid sagen. Wieso, willst du hier etwa proben?“, fragte sie mich.

„Ja, vielleicht“, lächelte ich.

„Wie hat es dir denn gefallen? Du bist wirklich nicht schlecht“, meinte sie. Das war doch eindeutig ein Lob aus dem Mund der Eisprinzessin, oder etwa nicht?

„Es war cool, ich würde gerne öfter mittanzen“, sagte ich und sah sie fragend an. Natürlich brauchte ich eigentlich keine Zustimmung von ihr, immerhin hat mich Marie schon eingeladen, aber trotzdem. Das hier war irgendwie Danas Ding und da wollte ich nicht einfach so hinein platzen.

„Cool. Bekomme ich dafür eine Rolle in eurem Musical?“, fragte sie sogleich. Ah, wir gehen also Kompromisse ein. Na, von mir aus.

„Klar. Ich werde dich bei meiner Freundin wärmstens empfehlen“, spottete ich lächelnd.

„Es wäre mir eine Ehre“, entgegnete sie ebenfalls spottend.

Lachen verließen wir das Gebäude. Die Eisprinzessin war gar nicht so kalt, wie ich immer dachte.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“, fragte sie, als wir schon im Auto saßen.

„Ja, bitte. Ich muss mich noch schnell umziehen und dann ins Kino“, erklärte ich ihr und schaute auf die Uhr. Fünfzehn Minuten vor neun Uhr, das konnte verdammt knapp werden.

„Klar, ich lass dich dann einfach bei dir raus“, sagte sie.

„Also, was ist das für ein Musical?“, fragte sie.

„Ich habe das Drehbuch letzte Woche geschrieben und muss es nur noch von meiner Freundin absegnen lassen, dann kann ich es dir schicken, wenn du willst“, bot ich ihr an.

„Und ihr macht das ganz alleine?“, fragte sie verwundert.

„Ja. Eigentlich ist es eine Eigenproduktion von Meli, aber da die Direktion ihr vorheriges Musical abgelehnt hat, brauchte sie Hilfe“, erklärte ich ihr.

„Dann ist es also doch ihr erstes Musical“, stellte Dana mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck fest.

„Naja, nicht ganz. Meli hat schon bei drei Aufführen Regie geführt, gemeinsam mit jemand anderen. Das hier ist ihre erste Eigenproduktion“

„Cool. Und wann kommt sie dich hier besuchen, sodass ich sie kennen lernen kann?“, fragte Dana gelassen und drehte die Musik etwas leiser.

„Ich weiß es noch nicht. Am Mittwoch kommt mein Bruder, aber ich glaube nicht, dass er Meli mitbringt“

„Okay. Und du hast das Drehbuch geschrieben, diese Meli führt Regie. Wer macht dann die Songtexte und Choreografien? Musik und das Bühnenbild?“, fragte sie zweifelnd.

„Ich mache die Choreo und Meli die Songtexte. Wir sind noch auf der Suche nach einer Band, aber ich glaube die Band meines Bruders würde ganz gut passen. Wir brauchen nur noch einige andere Instrumente dazu. Und das Bühnenbild wird von meiner alten Musikschule gestaltet“, sagte ich.

„Wenn du willst kann ich dir bei den Choreografien helfen“, bot Dana an.

Verwundert sah ich sie an.

„Äh.. Klar, wenn du willst“, sagte ich.

„Cool. So, da sind wir“, sagte Dana und hielt vor meinem Haus.

„Wir sehen und Morgen“, verabschiedete sie sich.

„Bis dann“, entgegnete ich und stieg aus dem Auto.

Die war ja wirklich gut drauf. Tja, was ein bisschen Sport und eine eventuelle Karriere als zukünftige Musicaldarstellerin nicht alles bei Menschen bewirkte.

Ich ließ meinen Blick auf meine Handy schweifen und stellte mit Entsetzen fest, dass es schon fast neun Uhr war. Mist, das schaffte ich doch nie!

 

„Dad, kannst du mich bitte schnell ins Kino fahren?“, brüllte ich durchs Haus und rannte hinauf in meine Zimmer. Schnell tauschte ich meine verschwitzten Sportklamotten gegen eine graue Röhrenjeans und eine ärmellose, rote Bluse. Dazu noch Ballerinas. Ich löste den Haargummi aus meinen Haaren und schüttelte sie kurz durch. Fertig!

Als ich wieder unten ankam stand mein Vater schon angezogen vor mir.

„Wohin denn?“, fragte er.

Ich liebte ihn dafür, dass er seine siebzehnjährige Tochter unter der Woche lange weg gehen ließ!

„Ins Kino. Aber wir müssen uns beeilen“, erklärte ich ihm gehetzt und sprang ins Auto.

„Wie lange brauchen wir bis ins Kino?“, wollte ich von ihm wissen, während er den Motor startete und aus der Garage fuhr.

„Ungefähr zehn Minuten“

Mist, das schaffte ich nicht mehr. Na gut, dann musste ich eben einen Tag Maras Klamottenauswahl anziehen. Doch vorher würde ich noch meinen Schrank entrümpeln! Damit Mara nicht auf dumme Gedanken kam!

Als wir zehn Minuten später das Kino erreichten zeigte die Uhr im Auto bereits zwanzig Minuten nach neun Uhr.

Aber ich hatte mich bereits mit meinem Schicksal abgefunden, morgen früh musste ich nur noch schnell die knappen Klamotten aus meinem Schrank entfernen. Zur Sicherheit! Das durfte ich ja nicht vergessen.

„Danke Dad“, sagte ich und drückte ihm einen Kuss auf die stoppelige Wange.

„Kein Problem“, nuschelte er berührt.

Das Kino war eher klein, aber sah von Innen sehr gemütlich aus. Mehrere bequeme Sitzlandschaften standen an den Wänden. Hinter der Popkorntheke stand ein gelangweilter Junge in meinem Alter und hinter der Kassa lehnte eine junge Frau mit roten, kurzen Haaren.

Ich ging auf sie zu.

Verdammt, in welchem Film waren die eigentlich? Hatten sie mir das gesagt?

„Ähm. Hi“, begrüßte ich die Kassiererin.

„Hallo“, entgegnete sie lächelnd.

„Welcher Film wird denn gerade gespielt?“, fragte ich sicherheitshalber nach.

„Der Kampf der Monsteraffen“, antwortete sie grinsend.

Echt jetzt?

„Na toll. Äh, ja, eine Karte bitte“, murmelte ich.

„Bist du Jenna?“, fragte sie mich mit gerunzelter Stirn.

„Ja?“, meinte ich verwirrt.

„Super, dann bist du also die Freundin von Joe, die noch nachkommt. Die Jungs haben dir bereits eine Karte bezahlt“, sagte sie und reichte mir eine Eintrittskarte.

„Danke“, murmelte ich überrascht.

„Gerne. Du gehst einfach den Gang hinunter bis zur letzten Tür. Saal 3. Viel Spaß“, wünschte sie mir und lächelte mich aufmunternd an.

Konnte es sein, dass das Joes Freundin war? Denn obwohl ich mir fest vorgenommen hatte sie nicht zu mögen, war sie eigentlich ganz sympathisch.

Ich schlenderte den dunklen Gang entlang bis zu einer großen Tür mit einer großen, weißen 3.

Im Kino war es finster und auf der Leinwand bekämpften sich bereits riesige Affen. Wunderbar, dachte ich sarkastisch.

Ich ließ meinen Blick umherschweifen, doch meine Leute waren einfach zu finden. Der Saal war nicht besonders voll.

Ich ging durch die Reihen wurde sogleich von Danny mit einem hektischem Winken begrüßt.

„Du bist zu spät“, raunte er mir zu und klopfte auf den Sitz neben sich.

„Genau, du bist zu spät“, bestätigte Mara grinsend, die neben ihm saß.

„Jaja, ich weiß“, gab ich zu und ließ mich neben Danny fallen.

Schweigend hielt Danny mir seine Tüte Popcorn hin und ich nahm mir eine Hand voll.

Auf der Leinwand bekämpften sich noch immer riesige Affen mit Schwertern, die größer als sie selbst waren.

„Wieso genau schauen wir uns das an?“, flüsterte ich Danny zu.

„Wolltest du nicht schon immer einen Kampf zwischen riesigen Mutantenaffen sehen?“, fragte er mich begeistert.

„Eher nicht, nein“, antwortete ich lächelnd.

„Was ist nur falsch mit dir?“, fragte er kopfschüttelnd.

Plötzlich drehte sich das Pärchen vor uns um und machte laut „Pscht“.

Ich schlug mir die Hand vor den Mund und versuchte nicht laut zu lachen. Auch Danny hatte sichtlich Mühe sich das Lachen zu verkneifen.

Und so ging es beinahe den ganzen Film durch. Wann immer ich zu Danny rüber sah musste ich anfangen zu lachen, und ihm ging es genauso.

Die Handlung des Films war so sinnlos, dass ich wirklich froh war, als der Abspann endlich lief.

„Wegen dir habe ich die Hälfte des Filmes verpasst“, warf Danny mir vor, als wir den Saal verließen.

„Freu dich doch. Das ist allgemeine Verblödung“, erklärte ich ihm.

„Überhaupt nicht. Du hast ja keine Ahnung von guten Filmen“, beschwerte er sich bei mir.

„Das soll ein guter Film gewesen sein?“, lachte ich laut.

„Natürlich. Was sind denn deiner Meinung nach gute Filme?“, grummelte er.

„Naja, auf jeden Fall kommen darin keine kämpfenden Affen vor“, entgegnete ich.

„Du hast sowas von verloren!“, rief Mara laut und grinste mir breit ins Gesicht.

„Jaja, ich weiß“, brummte ich.

„Und morgen Nachmittag komme ich zu dir und suche dir das perfekte Outfit aus“, freute sie sich und rieb die Hände aneinander.

„Nein, Mittwochs kann ich so nicht zur Schule“, warf ich sofort ein.

„Wieso nicht?“, fragend sah sie mich an.

„Na, weil Jason kommt“, erklärte ich ihr lächelnd.

„Eigentlich macht es keinen Unterschied, er hat dich ja früher auch schon gesehen“, warf Ryan ein.

„Um was genau geht’s bei euch?“, fragte Leo und gesellte sich, mit einer halb vollen Cola, zu uns.

„Jenna hat eine Wette verloren. Und jetzt darf ich ihr ein Outfit aus ihrem Schrank zusammenstellen, das sie dann einen ganzen Schultag lang tragen muss“, erklärte Mara mit einem bösen Grinsen.

„Was für Sachen hast du in deinem Schrank?“, fragte Leo verwirrt.

„Schlimme“, entgegnete ich müde.

„Ach ja, wem schulde ich das Geld für die Kinokarte?“, fragte ich in die Runde.

Ryan deutete auf Joe, der mich mit einem leichten Lächeln ansah.

„Ist egal Jenna. Ich lade dich dazu ein“, meinte er großzügig.

„Aber…“, wollte ich wiedersprechen, doch Joe unterbrach mich sofort.

„Du kannst dich ein anderes Mal sicher revanchieren“, meinte er.

„Ryan“, beklagte sich Danny sofort. „Wieso darf Joe deine Schwester anbaggern und ich nicht“.

Ich begann zu lachen. Dieser Junge hatte ja wirklich komische Vorstellungen.

„Das kannst du doch nicht unter „anbaggern“ verstehen“, entgegnete Ryan.

„Jetzt tu nicht so, als würde sich das nicht total versaut anhören“, beschwerte sich Danny sofort.

Ryan blickte verwirrt zwischen Danny und Joe hin und her.

„Hey Leute, niemand baggert mich an, okay?“, beschwichtigte ich und versuchte Ryan zu beruhigen.

„Ja klar“, brummte Danny und Joe zwinkerte mir lächelnd zu.

Oder etwa doch?

„Jetzt vielleicht noch nicht“, warf Mara ein, „ aber wenn ich mit dir fertig bin, dann werden sie dir reihenweise zu Füßen liegen“.

„Nicht Mittwochs“, wiederholte ich sofort.

„Jaja, Donnerstag passt auch. Oh, Donnerstag wird mein Lieblingstag diese Woche“, freute sich Mara. Sie lächelte zufrieden, wie ein kleines Kind.

„Gut Leute, ich bin müde, wir sehen uns dann morgen“, verabschiedete sich Leo und verließ mit Mara das Kino.

„Ja, ich denke ich werde auch nach Hause fahren“, sagte Danny.

„Nimmst du mich mit?“, fragte Joe ihn und dieser nickte nur.

„Gut Schwesterchen, ich würde sagen, wir fahren auch“, meinte Ryan und legte mir einen Arm um die Schultern. Müde nickte ich und verließ neben ihm das Kino.

Wir verabschiedeten sich von den Anderen und fuhren nach Hause.

Kapitel 9 - Schatten der Vergangenheit

 Der Dienstag war ereignislos und meine Vorfreude wuchs mit jeder Minute, die mich dem Mittwoch näher brachte. Mittwochmorgen sprang ich bereits um sechs Uhr zappelig in der Küche herum. So früh war ich normalerweise nicht wach, heute traf ich sogar Dad noch in der Küche an.

„Morgen“, begrüßte er mich verwundert.

„Hi Dad“, sagte ich und schenkte uns zwei Tassen Kaffee ein.

Viel zu selten stellte ich mir morgens die Frage, was ich frühstücken sollte, weshalb ich etwas ratlos vorm Kühlschrank stand.

Letztendlich entschied ich mich dann für Cornflakes.

„Wieso bist du eigentlich schon wach?“, fragte Dad.

„Jason kommt doch heute“, erklärte ich ihm voller Vorfreude.

„Ah ja, genau“, stimmte mein Vater nickend zu.

„Wann kommst du denn von der Arbeit?“, fragte ich ihn und ließ mich auf den Stuhl neben ihn fallen.

„Vermutlich erst so gegen sieben. Er bleibt doch über Nacht, oder?“, fragte er sicherheitshalber nach.

„Ja, ich glaube schon. Je nachdem, wie lange er Urlaub bekommen hat“, sagte ich kauend.

Gegen halb sieben kam Ryan in die Küche und musterte mich verwirrt.

„Du? Wach?“, nuschelte er verschlafen und warf einen prüfenden Blick auf die Küchenuhr.

„Ja. Ich. Essen“, entgegnete ich mit vollem Mund.

Mit einem verwirrtem Nicken fand er sich mit der ungewohnten Situation ab und ließ sich mir gegenüber auf den freien Platz fallen.

„Wie lange hast du Schule?“, fragte mein Bruder.

„Bis eins“, sagte ich. Heute hatten wir wieder Sport. Toll! Ich freute mich richtig darauf.

Nickend stützte Ryan sich auf einem Arm ab und langte mit der anderen über den Tisch um mir meine Kaffeetasse weg zu nehmen. Ich ließ es zu, da er meinen Kaffee sowieso nicht mögen würde. Und wie erwartet verzog er das Gesicht.

„Igitt“, stieß er fluchend aus und schob mir die Tasse wieder herüber.

„Das ist eine reine Schutzmaßnahme um meinen Kaffee vor koffeinsüchtigen Brüdern zu retten“, sagte ich gelassen und nippte selbst daran.

„Indem du tonnenweise Zucker hinein schmeißt?“, fragte er angewidert.

Ich nickte nur und schluckte genüsslich die heißte Flüssigkeit hinunter.

Mit angewidertem Gesicht stand er auf und holte sich seinen eigenen Kaffee.

Als ich fertig gefrühstückt hatte joggte ich noch ins Badezimmer um mir meine Zähne zu putzen. Kritisch musterte ich mich im Spiegel. Die kurze, dunkelgraue Hotpants war schon ziemlich ausgefranst, aber das verstärkte ihren Look nur. Dazu trug ich eine enge, dunkelgrüne Bluse, bei der ich die obersten Knöpfe geöffnet hatte, weshalb der Ausschnitt nun ja, nicht gerade jugendfrei war. Statt den üblichen Flip Flops trug ich heute ausnahmsweise knöchelhöhe Schnürstiefel und meine Haare hatte ich mir zu einem seitlichen chinesischen Zopf geflochten. Dazu legte ich noch etwas mehr MakeUp als sonst auf. Jason sollte mich immerhin wiedererkennen, wenn er mich sah.

Zufrieden stieg ich zehn Minuten später in Ryans Auto.

„Äh, was ich dir noch sagen wollte…“, begann Ryan sichtlich nervös.

„Hm?“, machte ich und sah ihn interessiert an.

„Wegen Danny…“, murmelte er.

„Ach Ryan, Danny ist ein Freund, aber da wird nie mehr sein. Er verarscht mich einfach und ich verarsche ihn genauso“, erklärte ich ihm lächelnd.

„Bist du dir sicher? Das sah gestern nämlich irgendwie anders aus“, meinte er misstrauisch.

Über so viel Misstrauen seinem besten Freund gegenüber musste ich lachen.

„Nein, du kannst beruhigt sein, da läuft nichts zwischen uns“, bestätigte ich ihm.

„Okay, gut. Und falls doch, würdest du es mir doch sagen, oder?“, wollte er sicherheitshalber wissen.

„Natürlich“, bestätigte ich ihm und grinste.

„Danke“, sagte er ehrlich und schenkte mir ein schiefes Lächeln.

Ryan hielt vor Joes Haus und drückte auf die Hupe.

„Meinst du nicht, du solltest so früh am Morgen noch nicht die ganze Nachbarschaft wach hupen?“, fragte ich ihn besorgt.

Ryan brach in Lachen aus.

„Hey, wir wohnen hier immerhin nicht und wenn Joe so dämlich ist und sein Auto kaputt macht, kann ich auch nichts dafür“, sagte er.

„Er hat sein Auto geschrottet?“, fragte ich entsetzt nach.

„Ja. Totalschaden“, bestätigte mein Bruder.

„Wie das?“

„Beim Angeben vor einer seiner „Freundinnen““, Ryan malte Gänsefüßchen mit den Fingern in die Luft, „Hat er einen Baum übersehen. Armer Baum“, meinte Ryan.

„Er ist nicht ernsthaft gegen einen Baum gefahren, oder?“, fragte ich entsetzt.

Meinem Bruder schien bewusst zu werden, was er mir da gerade erzählt hat und versuchte sofort, Joes Ruf in sichere Gewässer zu lenken.

„Nein Jenna, denk jetzt nicht falsch. Er ist weder zu schnell gefahren, noch hat er in irgendeiner anderen Weise den Verkehrsregeln widersprochen. Ihm ist einfach nur das Navi hinunter gefallen und er wollte es aufheben. Dabei hat er das Lenkrad leicht verrissen und ist gegen einen Baum geknallt“, erklärte Ryan eindringlich.

„Und seine „Freundin“ konnte ihm das Navi etwa nicht aufheben, oder wie?“, fragte ich sauer. Wie dumm konnte man eigentlich sein?

„Nein, es war ein teures Navi…“, setzte Ryan registriert an.

„Oh klar, und seine Tusse hätte ihm das wertvolle Teil mit ihren Fingernägeln sicher zerkratz“, stieß ich sarkastisch aus.

„Äh…“, machte Ryan und schlug hilflos die Hände gegen das Lenkrad.

Genau in diesem Moment stieg Joe hinten ins Auto ein.

„Morgen“, brummte er und lächelte uns über den Rückspiegel zu.

Angepisst verschränkte ich die Arme vor der Brust und schaute aus dem Fenster. Ich weiß, dass ich wenn es um Autos ging schnell überreagierte, aber wegen so einer dämlichen Sache sein Auto zu schrotten? Das war doch wirklich beschissen. Wenigstens hatte er sich anscheinend nicht wehgetan.

„Was herrscht hier denn für eine kalte Stimmung?“, stellte Joe grinsend fest.

Ryan seufzte.

„Egal. Können wir unsere Bandprobe heute später machen?“, fragte Ryan Joe und lenkte ihn somit ab. War wahrscheinlich auch besser für ihn, denn ich war noch immer ziemlich wütend auf den extrem geilen, ziemlich dämlichen Vollidioten auf der Rückbank.

„Klar, wieso?“, fragt er.

„Ich soll für meinen Dad noch etwas aus einem Technikladen holen und das könnte etwas länger dauern, weil die mir dort noch die ganze Bedingungsanleitung erklären wollen, oder so“, meinte Ryan grimmig und zuckte mit den Schultern.

„Na dann viel Spaß“, lachte Joe ihn aus.

Mein Handy begann zu summen und ich zog es aus meiner Handtasche. Lächelnd drückte ich auf Annehmen und stützte meine Füße am Armaturenbrett ab.

„Hey, na du?“, begrüßte ich Meli.

„Hey meine Süße, wie geht’s?“, fragte sie sofort.

„Sehr gut, und dir?“

„Super! Du hast wirklich fantastische Arbeit geleistet“, schwärme sie in den Hörer.

„Ich weiß, dass ich toll bin“, entgegnete ich ironisch.

„Nein wirklich, dein Drehbuch ist perfekt. Ich muss überhaupt nichts umändern! Und die Direktion hat es auch schon abgesegnet, das heißt, wir können anfangen“, kreischte sie in den Hörer.

Lachend hielt ich mir mein Handy weiter vom Ohr weg. Von diesem Geräusch konnte man taub werden.

„Klasse! Wann kommst du endlich hier her und besuchst mich in diesem Kuhkaff?“, fragte ich sie begeistert.

„Warum kommst du nicht zurück in die Großstadt?“, fragte sie mich ernst.

Und sie meinte es wirklich ernst.

„Na, weil ich jetzt hier wohne“, entgegnete ich leise.

„Aber wir vermissen dich alle so sehr“, jammerte sie.

„Ich euch doch auch. Aber ich habe mich entschieden“, sagte ich mit Nachdruck.

„Was ich dir noch sagen wollte…“, begann sie stotternd.

„Was?“, fragte ich nach.

„Peter ist wieder draußen“, sagte sie knirschend.

Ich holte scharf Luft und runzelte die Stirn.

„Ich dachte… also… hat der Richter ihn nicht zu fünf Jahren Haft verurteilt?“, fragte ich sie unsicher und begann auf meinem Fingernagel herum zu kauen.

„Ich glaube schon. Aber ich war damals nicht dabei“

„Ja, ich war bei der Gerichtsverhandlung“, murmelte ich.

„Warst du? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, entgegnete sie.

„Ich habe gesagt ich wäre seine Freundin“, erklärte ich.

„Was du damals auch warst“, warf Meli ein.

„Was ich damals auch war“, bestätigte ich auf meiner Unterlippe kauend.

„Hat er schon nach mir gefragt?“, fragte ich leise nach.

„Er hat Ben abgepasst“, sagte Meli.

„Und?“, fragte ich verunsichert. Seit ich hier bin war mein Selbstvertrauen stark gesunken. Woran lag das denn, verdammte Scheiße?

„Reg dich nicht auf, bitte. Er hat nur ein blaues Auge und eine angeknackste Rippe“, sagte Meli.

Ich knurrte leise und ballte meine Hand zu einer Faust.

„Ich bringe dieses Arschloch um“, rief ich wütend aus und registrierte den entsetzten Blick meines Bruders nicht.

„Hey, Jenna, beruhig dich. Ben meinte, er war eigentlich ganz nett“.

„Ganz nett?“, fragte ich leicht hysterisch, „Er schlägt Ben zusammen und du sagst er ist ganz nett?“

„Ähm…“, machte Meli unsicher. „Das war noch nicht alles“

„Was denn noch?“, murmelte ich und rieb mir müde über die Stirn.

„Er will dich zurück. Und er ist sauer auf dich, weil du ihn nicht aus dem Knast geholt hast“, erklärte sie noch mit ruhiger, angespannter Stimme.

„WAS?“, schrie ich jetzt in den Hörer. Was bildete sich dieses Arschgesicht ein?

„Glaubt er ernsthaft, dass ich ihn da raus hole? Wie bitte sollte ich das machen? Mit einem beschissenen Stripperkostüm in Polizeiuniform in den Knast einbrechen um einen Drogendealer heraus zu holen?“, knurrte ich stinksauer.

„Vom Stripperkostüm hätte er vermutlich nur geträumt“, lachte Meli.

„Ja, da kann er weiter träumen“, murmelte ich und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

„Was willst du jetzt machen?“, fragte mich Meli ernst.

„Ich lege mir einen Waffenschein zu“, sagte ich ernst und begann zu grinsen.

Meli lachte.

„Ja, bitte mach das“, lachte sie in den Hörer.

„Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen, oder?“, murmelte ich. „Wieso genau ist er schon draußen?“

„Wegen guter Führung und weil er andere Drogenkuriere auffliegen lassen hat“.

„Ah, Zusammenarbeit mit den Bullen also“.

„Genau“, stimmte Meli zu. „Du Jenna, ich muss aufhören, Lukas ist da“, sagte sie und ich konnte sie förmlich lächeln hören.

„Ah, habt ihr es endlich geschafft?“, fragte ich sie grinsend. Die beiden schlichen schon seit Monaten umeinander herum, hatten bis vor kurzem allerdings nichts auf die Reihe gebracht.

„Ja“, stimmte Meli freudig zu.

„Ich wünsche euch alles Gute und… Danke“, sagte ich und legte auf. Seufzend ließ ich den Kopf nach hinten fallen.

„Alles okay?“, fragte Ryan und mir wurde langsam bewusst dass ich vor meinem Bruder und Joe gerade eine Szene gemacht hatte. Mist!

„Nein. Ja. Ich weiß es nicht“, sagte ich unsicher.

„Wer war da? Jason?“, fragte Ryan.

„Nein. Meli“

„Und was wollte sie?“

Unsicher blickte ich ihn an. Würde er ausrasten? Oder noch schlimmer, würde er es Dad sagen?

„Wirst du Dad etwas davon erzählen?“, fragte ich ihn zur Sicherheit.

„Wenn du nicht willst, dann nicht“, sagte Ryan.

„Und du hältst dein Klappe?“, fragte ich an Joe gewandt. Er nickte mir im Rückspiegel zu.

„Peter ist aus dem Knast draußen“, murmelte ich.

„Wer ist Peter?“, fragte Joe.

„Mein Ex“, klärte ich ihn auf und drehte mich zu ihm um.

Joe verzog das Gesicht und schaute mich fragend an.

„Dieser Peter Parker?“, wollte auch Ryan wissen.

Ich nickte zustimmend.

„Wieso war er im Knast?“, fragte Joe.

„Drogenhandel. Sie haben ihn gefasst als wir zusammen mit seiner Gang… äh, wie soll ich sagen… durchgebrannt sind“, erklärte ich und zuckte unbeholfen mit den Schultern.

Ryan sah mich ungläubig lächelnd an.

„Ernsthaft?“, lachte er. „Meine Schwester ist siebzehn und ist schon einmal mit einem verrückten Drogendealer durchgebrannt“, fasste er amüsiert zusammen.

Joe sah nicht gerade begeistert aus. „Und was war dann mit dir?“, wollte er wissen.

„Ich bin abgehauen, bevor die mich auch festnehmen konnten. Per Anhalter bin ich zurück zu Mum. Ich habe mich in die Gerichtsverhandlung geschlichen und dort mitbekommen dass er zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde“, sagte ich und blickte Joe in die Augen.

Sein Blick war unergründlich. Eine Mischung aus Unglauben, Respekt und Ärger.

„Und jetzt ist er wieder draußen und hat diesen Ben zusammengeschlagen. Wieso?“, wollte Ryan wissen. Mittlerweile waren wir an der Schule angekommen und mein Bruder parkte sein Auto auf dem Parkplatz. Um uns herum herrschte reges Treiben, aber wir blieben einfach still im Waagen sitzen.

Ich seufzte schwer.

„Er will mich zurück und fand es nicht so toll, dass ich nicht versucht habe ihn da raus zu holen“, murmelte ich.

Und jetzt war Joes Blick wirklich geschockt. Auch Ryan sah nicht gerade begeistert aus, jedoch hatte er sich noch unter Kontrolle.

„Weiß er, dass du hier bist?“, fragte er sofort.

Ich schüttelte den Kopf.

„Aber ich muss zurück nach San Franzisco, wegen dem Musical“, warf ich ein.

„Ich komme mit und passe auf dich auf“, sagte Joe ernst und mir wurde warm. Ehrlich? Er wollte mich beschützen? Das klang ja, als wäre ich eine Prinzessin in Not und er der tapfere Ritter, der die holde Maid rettete. Naja, so in der Art war es ja tatsächlich.

Ich lächelte ihn dankbar an und sah die tiefen Falten, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten.

„Macht euch keine Sorgen, das wird alles schon wieder. Bis zum Musical sind es noch ein paar Monate und er bekommt mich schon nicht in die Finger“, sagte ich bestimmt und drückte kurz Ryans Hand.

„Okay. Aber pass auf dich auf. Versprochen?“, wollte mein Bruder wissen.

„Klar“, bestätigte ich.

„Gut“, nickte Ryan zufrieden und öffnete seine Autotür.

Auch ich stieg aus und holte meine Tasche vom Rücksitz. Heute hatte ich keine Schultasche mit, da ich mich gleich mit Jason treffen wollte.

„Meine allerliebste Jenna“, brüllte Danny über den ganzen Schulhof und kam auf uns zu geschlendert. Ryans Gesichtsausdruck verdunkelte sich merklich und auch Joe sah nicht gerade begeistert aus. Aber beiden lag vermutlich die Information, die ich ihnen gerade über meine Vergangenheit gegeben hatte, schwer im Magen.

„Was geht ab“, lachte er und umarmte mich kurz.

„Nichts“, entgegnete ich betont lässig und warf einen warnenden Blick zu den beiden Jungs hinter mir. Es musste nicht jeder die finsteren Seiten meiner Vergangenheit kennen, es reichte wenn die Beiden es taten.

„Ist das Maras Outfit? Sieht geil aus“, sagte er und betrachtete grinsend meinen Körper.

Lachend strich ich mir durch die Haare.

„Nein, Mara wäre das zu brav gewesen“, entgegnete ich.

„Oh, so brav siehst du gar nicht aus“, sagte er ernst und grinste mich zwinkernd an.

„Okay, genug Geturtelt, lasst uns rein gehen“, mischte Ryans sich plötzlich ein und schlang einen Arm um meine Schulter.

„Alles klar bei dir?“, fragte Joe leise und ging neben mir her zur Schule.

Mir war nicht ganz klar, ob er Danny oder Peter meinte.

„Ja“, sagte ich und lächelte ihn an.

Er lächelte zurück und ich biss mir auf die Lippe. Dieses Lächeln war der Wahnsinn. Wieso brachte mich dieser Kerl um den Verstand, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte? Okay, nein! Er brachte mich nicht um den Verstand! Das war sicher nur… eine kleine Schwärmerei. Oder so.

„Ich gehe heute mit dir zu Sport“, erklärte mir Ryan.

„Wieso das?“, fragte ich verwundert.

„Weil ich eigentlich immer mit dir Sport habe“, lachte er.

„Und wieso warst du letzte Woche dann nicht da?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Weil ich wichtigeres zu tun hatte“, grinste er.

Fragend sah ich ihn an.

„Die Kleine schwarzhaarige aus deiner Spanischklasse?“, warf Joe fragend ein und klopfte meinem Bruder lachend auf den Rücken.

Ryan äußerte sich nicht dazu sondern grinste einfach nur weiter vor sich hin.

Der restliche Unterricht verging schleppend und ich freute mich schon auf Jason. An meinen verrückten Ex dachte ich kein einziges Mal mehr.

 

Als die letzte Stunde endlich vorbei war suchte ich schnell meine Sachen vom Tisch und verließ lächelnd das Klassenzimmer.

Draußen empfing mich die Hitze und ich schob mir sofort meine Sonnenbrille über die Augen. Suchend sah ich mich um und entdeckte meine Bruder schnell. Lässig lehnte er an der Wand neben dem riesigen Eingangstor. Seine dunklen Haare hatte er mit Gel leicht aufgestellt und auf seiner Nase thronte eine dunkle Sonnenbrille. Er trug nur Shorts und ein schwarzes T-Shirt. Wenn er nicht mein Bruder wäre, hätte ich schon längst etwas mit ihm angefangen. So geil wie Jason immer aussah. Lächelnd lief ich auf ihn zu und als er mich entdeckte konnte er gerade noch seine Arme öffnen, bevor ich ihn stürmisch umarmte.

„Jason“, rief ich und drückte ihn an mich.

„Hi Schwesterchen“, begrüßte auch er mich lächelnd. „So stürmisch heute“

„Immer. Oh Gott, du hast mir so gefehlt!“, sagte ich und löste mich von ihm, um ihn genauer zu betrachten. Er sah gut aus. Wirklich sehr gut.

„Du hast dich gar nicht verändert“, stellte ich zufrieden fest.

Jason lachte laut auf „Süße, du bist erst ein paar Wochen weg“, meinte er nur.

„Viel zu lange“, sagte ich und umarmte ihn gleich noch einmal. Laut lachend legte er seine Arme wieder um mich und hob mich kurz hoch.

„Du siehst so brav aus, was ist los mit dir?“, stellte er stirnrunzelnd fest, als er mich wieder herunter ließ und musterte.

Ich blickte an mir hinunter.

„Die anderen finden, dass ich heute gar nicht mehr so brav wie sonst aussehe“, stellte ich lächelnd klar.

Ein schiefes Lächeln bildete sich auf dem Gesicht meines Stiefbruders und er legte den Kopf schief.

„Bist du jetzt umgestiegen auf hochgeschlossenen Blusen und weite Stoffhosen?“, fragte er necken.

Ich lachte laut auf. „Nein, so verdorben bin ich dann noch nicht“, grinste ich.

Zufrieden entspannte er sich wieder. „Gut zu wissen, ich habe mir schon Sorgen gemacht“, sagte er.

Lächelnd schob ich meine Sonnenbrille hoch.

„Ist dir eigentlich bewusste, dass dich hier ungefähr jeder anstarrt?“, fragte er neckend und ich drehte mich um. Tatsächlich gafften die alle. Hatten die etwa kein Leben?

„Ach, diese Schule ist echt komisch. Die versuchen hier tatsächlich etwas zu lernen. Wenn es läutet ist niemand mehr auf den Gängen und alle sind brav in ihren Klassen“, beschwerte ich mich bei ihm.

„Das heißt, du gehst tatsächlich jeden Tag zur Schule?“, fragte er erstaunt.

Ich nickte, was er mit einem verwunderten Augenaufschlag kommentierte.

„Was hat dieser Ort mit dir gemacht?“, fragte er und blickte sich suchend im Himmel um. „Wo sind diese Monster, die meiner kleinen Schwerster einer Gehirnwäsche unterzogen haben?“, rief er mit gespielt verzweifeltem Tonfall.

Lachend zog ich die Augenbrauen in die Höhe.

„Sie werden schon noch kommen, immerhin müssen sie auch dich umpolen“, meinte ich ernst.

Geschockt sah er mich an. „Ich muss hier raus“, murmelte er und grinste mich an. „Ich habe dich wirklich vermisst Jenna. Zuhause sind alle immer so unlustig und verstehen keinen Spaß“, beschwerte sich Jason bei mir.

„Tja, ich habe den Knast zu Hause früh genug verlassen“, lachte ich.

„Jaja, danke, dass du mich einfach so zurück lässt. Was machen wir jetzt eigentlich? Ich weiß ja, dass ich unglaublich gut aussehe, aber ich mache mir Sorgen, dass der Sabber von den Mädls hier den schönen Schulboden zerstört“, meinte er ernst und strich sich durch die Haare.

Lachend drehte ich mich um und tatsächlich, standen fast alle noch auf dem Platz, auf dem sie vorher auch gestanden hatten. Was war nur deren Problem.

„Hey Leute, sucht euch ein Hobby!“, brüllte ich laut über den Hof und zog Jason an der Hand vom Schulhof.

Lachend ließ er sich mit ziehen.

„Was haben wir jetzt vor?“, fragte er.

„Wie wärs mit Essen? Ich sterbe vor Hunger“, meinte ich und strich mir über meinen viel zu leeren Bauch. Ich hatte vor lauter Aufregung in den Pausen keinen Hunger, und das machte sich jetzt bemerkbar.

„Was ist nur los mit dir? Früher hast du mindestens drei Tafeln Schokolade zur Sicherheit in deiner Schultasche mit dir herumgeschleppt“, lachte Jason.

„Tja, ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen mir hier irgendwo Schokolade zu kaufen“, entgegnete ich schulterzuckend.

„Dann holen wir das schleunigst nach. Ich kann dich hier doch nicht durch Zuckerentzug sterben lassen“, meinte er und stieg in sein schwarzes, schnittiges Auto ein.

„Warum hast du nicht das Auto von Mum genommen? Deines schluckt doch so viel Sprit von San Franzisco hier her?“, fragte ich ihn verwundert und ließ mich auf den Beifahrersitz dieses super geilen Autos fallen.

„Ich kann doch meine Schwester nicht mit so einer alten Karre besuchen kommen“, lachte Jason. „Nein, deine Mum wollte mir ihr Auto nicht borgen. Sie meinte, dass sie noch wohin müsste und Dad hat sein Auto leider so sehr vernachlässigt, dass er es in die Werkstatt bringen musste“, erklärte er.

„Typisch Michael“ lachte ich.

Wir fuhren in die nächst größere Stadt, welche etwa eine halbe Stunde entfernt lag. Mit dem Bus dauerte es allerdings mehr als zwei Stunden.

„Halt!“, rief ich, als wir an einem großen Shop vorbei fuhren, in dessen Schaufenster Unmengen an Schokolade ausgestellt war.

Mein Bruder bremste abrupt ab und manövrierte sein Auto mit einem waghalsigen Manöver in eine viel zu kleine Parklücke. Aber es war mir egal. Bei Jason machte ich mir, aus welchem Grund auch immer, keine Sorgen beim Autofahren. Auf ihn konnte ich mich einfach immer verlassen.

Wir stiegen aus und ich eilte auf den Shop zu. Von Innen sah er noch besser aus, als von außen. Und es duftete herrlich nach frischer Schokolade.

„So, was brauchst du?“, fragte Jason und sah mich fragend an.

„Am besten alles“, murmelte ich ehrfürchtig und schritt wie in Trance auf eine Wand, voll mit Schokoladentafeln zu. In allen verschiedenen Geschmacksrichtungen. Von Karamell, über Erdbeere, bis hin zu Zartbitter. Alles war dabei.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine freundliche Stimme hinter mir und als ich mich umdrehte stand ein junger Verkäufer hinter uns.

„Ich brauche… Schokolade“, sagte ich intelligenter Weise.

Lächelnd sah er mich an. „Wirklich? Interessante Wahl. Was haben Sie sich denn so vorgestellt? Für einen bestimmten Zweck, oder als Geburtstagsgeschenk vielleicht?“, fragte er nach.

„Ich brauche etwas, das in der Schultasche nicht schmilzt. Und wenn es doch schmilzt, dann nur über meinen Mathesachen. Der Rest soll sauber bleiben“, erklärte ich ihm und Jason musste sich echt bemühen, sein Lachen zu unterdrücken. Amüsiert sah mich der junge Verkäufer an.

„Da muss ich fast fragen gehen, ob wir Mathematik feindliche Schokolade haben“, meinte er grinsend.

„Falls nicht, dann suche ich mir einfach hier ein paar Tafeln aus“, fügte ich noch hinzu und deutete vage auf das große, kalorienreiche Regal hinter mir.

Lächelnd nickte er und schenkte seine wertvolle Zeit einer intelligenteren Kundin.

„Aha?“, machte Jason grinsend und brach in lautes Lachen aus.

„Jaja“, meinte ich nur und versuchte nicht zu sabbern, als ich mich wieder zum Regal drehte. Was nahm ich nur.

Nach ungefähr vierzig Minuten hatte ich mich dann für fünf verschiedene Sorten entschieden und wir saßen wieder im Auto.

„Wenigstens hast du dich im Bezug auf Schokolade nicht verändert“, meinte Jason zufrieden.

Ich verstaute die Tafeln in meiner Tasche und wir fuhren weiter in ein kleines Restaurant.

Die Entscheidung war so schwer gewesen, dass ich mich jetzt wirklich auf ein verspätetes Mittagessen freute.

„Meli rennt schon im Kreis“, erzählte mir Jason gerade lachend, als uns der Kellner unser Essen brachte. Ich hatte ganz klassisch Fisch und Pommes bestellt.

„Wegen der Aufführung?“, fragte ich nach.

„Ja. Danke, dass du ihr das Drehbuch geschrieben hast. Sie war wirklich fertig, als die Direktion ihre vorherige Idee gestrichen hat“.

„Kein Problem, ich habe es gerne gemacht. Außerdem hatte ich das Konzept von früher ja noch im Kopf“.

„Und wie geht’s jetzt weiter?“, fragte er kauend.

„Sobald mir Meli die Songtexte und die Musik schickt mache ich die Choreografien und suche Tänzer. Ich hoffe, dass Ryans Band für uns spielt. Allerdings brauchen wir vermutlich noch mehr Instrumente dazu“.

„Hört sich doch nach einem Plan an. Meli hat mich schon gefragt, ob ich mitspielen will“, sagte er stirnrunzelnd.

„Wirklich? Und machst du?“, fragte ich ihn begeistert.

„Eigentlich… ich weiß es noch nicht.“, meinte er unentschlossen. „Sie wollte dich anfangs als Hauptrolle“.

„Was?“, fragte ich entsetzt und verschluckte mich an meiner Cola. Hustend versuchte ich wieder Luft zu bekommen und Jason schlug mir beruhigend mit der Hand auf den Rücken.

„Keine Sorge, ich habe ihr gesagt, dass du vermutlich eher im Hintergrund stehen willst“, beruhigte er mich.

„Ich kann noch nicht einmal singen“, meinte ich röchelnd.

„Klar kannst du singen“, entgegnete Jason kopfschüttelnd.

„Nein. Es hört sich an als würde eine Kreissäge sterben“.

Lachend nahm er einen Schluck von seiner eigenen Cola. „Na, wenn du meinst. Meli hat jetzt aber jemand anderen gefunden. Ich weiß nicht, ob du sie kennst. Sie heißt Ciara, ist achtzehn und hat eine unglaubliche Stimme“, schwärmte Jason. Moment. Was lief da?

„Aha?“, fragte ich nach und ließ mir nichts anmerken.

„Und woher kennt Meli sie?“, fragend sah ich ihn an.

„Sie gehen zusammen in die Klasse. Ciara ist neu, seit diesem Jahr“.

„Und sie ist wirklich in Ordnung? Ich meine, passt sie als Hauptdarstellerin?“, wollte ich wissen.

„Ja, sie ist absolut perfekt“, meinte Jason und plötzlich schien ihm bewusst zu werden, was ich da eigentlich machte. Zufrieden grinste ich ihn an.

„Und du stehst auf sie“, schloss ich lachend.

„Äh...“, machte er verlegen und fuhr sich durch die Haare.

Das war ein eindeutiges Ja!

„Das ich das noch erleben darf!“, rief ich laut aus. „Mein Bruder verknallt sich tatsächlich in ein Mädchen! Und ich bin kilometerweit weg. Traurig ist das, wirklich zum Heulen“, warf ich ihm vor.

Grinsend sah er mich an.

„Ja klar“, meinte er und winkte mit einer lässigen Bewegung der Hand den Kellner heran. Wir bezahlten und saßen bald darauf wieder in seinem Auto.

„Und? Wie ist sie so?“, fragte ich ihn jetzt neugierig.

„Sie ist groß, hat wunderschöne kastanienbraune Haare und eisblaue Augen. Außerdem mag sie tanzen und kann wirklich gut singen. Und sie wohnt nur drei Blöcke von uns entfernt“, schwärmte mein Bruder vor sich hin. Lächelnd sah ich ihn an. Ich freute mich richtig für ihn. Bis jetzt hatte er nie eine ernsthafte Beziehung, immer nur kurze Frauengeschichten, die nicht länger als drei Tage dauerten.

„Und wann lerne ich sie endlich kennen?“, fragte ich nach einiger Zeit.

„Sobald du wieder zurück bist“, lächelte er.

„Das kann ja noch ewig dauern“, meinte ich frustriert.

„Nee, so lange kannst du nicht warten. Meli braucht dich und die Zeit wird ganz schön knapp. Spätestens in zwei Wochen sollst du wenigstens für ein Wochenende kommen. Soll ich dir mit schönen Grüßen von Meli ausrichten“

Na ganz toll.

„Ähm… hast du schon gehört dass Peter wieder draußen ist?“, fragte ich ihn dann leise.

Sofort verdüsterte sich das Gesicht meines Bruders.

„Ja“, meinte er nur kurz angebunden.

Unsicher rutschte ich auf meinem Sitz herum.

„Und dass er mich sucht?“

Nickend blickte Jason mich kurz an, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte.

„Aber er weiß ja nicht, dass du jetzt hier bist. Und wenn du in San Franzisco bist, werde ich einfach immer auf dich aufpassen“, meinte er lässig. Doch in seinen Augen konnte ich lesen, dass es ihn mehr zusetzte, als er zugeben wollte.

„Wir müssen da hinein“, unterbrach ich die auftretende Stille und deutete in einen kleinen, verschlungenen Weg, der direkt zum Haus am See von Joes Eltern führte.

„Schön hier“, murmelte Jason und ging vom Gas, da der Weg nicht gerade für teure Sportwaagen geeignet war.

„Gehört Joes Eltern. Die Jungs machen hier immer ihr Bandproben“, erklärte ich ihm.

„Und ist die Band deines Bruders gut?“, wollte er wissen und stellte den Motor vor dem kleinen Häuschen ab.

„Ja, sie sind der Wahnsinn. Nur leider klappt es mit den Auftritten nicht so. Aber da habe ich schon ein bisschen nachgeholfen“, lächelte ich und stieg aus.

Gemeinsam schlenderten wir zum Ufer des Sees.

„Inwiefern?“, wollte Jason leicht lächelnd wissen.

„Ich habe eine Demo- CD an einen Radiosender geschickt. Nur bis jetzt hat sich noch niemand zurück gemeldet“, erklärte ich ihm.

„Soso, du spielst also Glücksfee“, lachte Jason. „Weiß die Band wenigstens davon?“.

Verlegen schüttelte ich den Kopf.

Lachend zog Jason sich seine Schuhe aus und schlüpfte aus den Socken.

„So hinterhältig wie immer“, kommentierte er meine Aktion.

„Jaja, ich weiß“, grinste ich und schlüpfte ebenfalls aus meinen Schnürstiefeln.

Gemeinsam wateten wir ein wenig in das Wasser hinein. Es war ziemlich kalt und auf meiner gesamten Haut bildete sich eine Gänsehaut.

„Wie geht’s den Zwillingen?“, fragte ich.

„Sarah hat Dad letztens mit Spaghetti beworfen“, erzählte er lachend. „Und David war nicht so begeistert, weil sie dann die gesamte Aufmerksamkeit bekommen hat. Also hat er seinen offenen Trinkbecher über den Tisch ausgeleert. Auf Luzys Hausaufgaben. Die war davon nicht so begeistert“

„Das kann ich mir irgendwie vorstellen“, meinte ich lächelnd.

„Ansonsten geht es ihnen gut. Luzy wird immer anstrengender. Fast jedes Wochenende übernachten irgendwelche Mädls bei uns. Alle nicht älter als fünfzehn. Letzte Woche konnte ich nicht einmal vom Bad in mein Zimmer, weil sie kreischend im Flur gestanden haben“, beschwerte sich mein Bruder.

Lachen sah ich ihn an. „Die stehen halt auf dich. Und wahrscheinlich hast du nicht mehr als eine Boxershorts getragen“.

Er verzog das Gesicht.

„Na siehst du. Also ich kann sie verstehen. Immerhin siehst du schon ziemlich geil in Boxershorts aus“, sagte ich und spritzte ihm eine Hand voll Wasser ins Gesicht.

„Ich weiß ja, dass ich unwiderstehlich bin, aber die nerven trotzdem“, entgegnete er und bespritzte mich ebenfalls mit dem kalten Wasser.

„Dann sag Luzy, dass sie ihre Hündchen gefälligst irgendwo einsperren soll“, schlug ich ihm vor.

„Die nervt das ja auch total. Aber sie meint, sie kann nichts machen. Alle Übernachtungspartys finden bei uns statt, weil keine von ihnen einen älteren Bruder hat“, meinte er grimmig.

„Fühl dich geehrt, die stehen wenigstens auf dich“, lachte ich.

„Jaja. Hey, da ist gerade ein Auto gekommen“, meinte Jason plötzlich und ich drehte mich um. Tatsächlich stand ein mir unbekanntes Auto neben dem von Jason.

„Keine Ahnung, wer das ist“, meinte ich schulterzuckend.

„Dann lass uns mal nachsehen gehen“, schlug er vor und wir zogen uns unsere Schuhe wieder an.

Bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass es Joe war, der an der Brüstung lehnte und uns beobachtete. Ich winkte ihm kurz zu und schlenderte dann gemeinsam mit Jason in seine Richtung.

Joe lehnte lässig am Geländer und rauchte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er uns.

„Hey“, begrüßte ich ihn.

„Hi“, erwiderte er nur.

Ziemlich still heute.

„Joe, dass ist Jason, Jason Joe“, stellte ich die beiden einander vor.

„Hi, freut mich“, sagte Jason grinsend.

Joe nickte ihm kurz zu.

„Sorry, dass wir hier sind, ich hoffe das ist okay? Ryan meinte, dass du sicher nichts dagegen hast“, erklärte ich ihm sofort.

„Kein Problem“, meinte er dann und zog an seiner Zigarette. Schnaubend wich ich dem Rauch aus.

„Die Anderen kommen dann später zur Bandprobe“, erklärte er noch. Dann drehte er sich um und ging ins Haus.

Verwundert starrte ich ihm hinterher. Was war dem denn über die Leber gelaufen?

„Nett“, meinte Jason nur kurz und ich begann zu lachen. Mit einer wegwerfenden Handbewegung zog ich ihn ebenfalls in die Hütte.

„Und hier proben sie immer?“, fragte er mich und sah sich bewundernd um. Ich führte ihn in den Raum mit dem Mischpult, da das der einzige Raum war, den ich kannte.

„Ja. Haben sie sich alles selbst gekauft“, erklärte ich stolz und deutete auf das ganze wichtig aussehende Zeug.

Ich schlüpfte aus meiner nassen, weißen Weste, die ich mir vorher übergeworfen hatte und legte sie über eine der Ledersofas.

„Beginnst du dich jetzt vor mir aus zu ziehen?“, fragte Jason mich belustigt.

Lachend sah ich ihn an. „Und von was träumst du nachts?“, erwiderte ich.

„Hi“, ertönte Ryans Stimme hinter uns und als ich mich umdrehte stand er im Türrahmen. Grinsend kam er auf Jason zu und reichte ihm die Hand.

„Hi Jason, wie geht’s?“, fragte er locker und grinste ihn an.

„Ryan, freut mich dich wieder zu sehen“, begrüßte auch Jason ihn. „Gut. Das kleine Biest hier, hat mich den ganzen Tag gut aufgeheitert“, meinte er und deutete auf mich.

„Ich?“, fragte ich verwundert und streckte ihm frech die Zunge heraus.

„Jaja, Jenna kann ganz amüsant sein“, bestätigte Ryan lachend.

„Und ihr probt hier immer?“, fragte Jason sofort interessiert und Ryan begann ihm irgendwelche Einzelheiten zu erklären. Wie langweilig.

Also trat ich wieder in die Sonne hinaus und sah dabei zu, wie Danny sein Auto neben das von Jason abstellte.

„Sag mir jetzt nicht, das ist dein Auto“, begrüßte mich Danny und blieb ehrfürchtig vor Jasons Waagen stehen.

Lachend schüttelte ich den Kopf.

„Nein, gehört Jason“

„Wow, das ist vielleicht ein Schlitten. Von so etwas kann ich nur träumen“, murmelte Danny und starrte versunken auf das Auto.

„Weißt du, Jason sieht es nicht so gerne, wenn fremde Leute auf sein Auto sabbern“, bemerkte ich grinsend.

Kopfschüttelnd löste er sich vom Anblick des Autos und kam auf mich zu.

„Jenna, du bist immer wieder eine Bereicherung für meine Seele“, sagte er und umarmte mich kurz.

„Danke, das freut mich“.

„Danny, lass Jenna endlich los“, beschwerte sich Mara, die hinter ihm angerannt kam. Und auch Leo trottete zu mir.

„Du warst heute ganz schön schnell weg nach der Schule. Dabei wollte ich doch Jason kennen lernen“, schmollte sie und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Wange.

„Kannst du ja. Er ist drinnen und quatscht irgendwelche uninteressante Scheiße mit Ryan“, erklärte ich ihr.

„Oh toll. Er muss hübsch sein. Als ich aus der Schule kam standen alle Leute da, als hätten sie einen Geist gesehen“, grinste Mara.

„Die spinnen doch alle“, sagte ich.

Kopfschüttelnd folgte ich der lachenden Mara ins Haus.

Ich stellte sie alle der Reihe nach vor und nachdem auch Daniel eingetroffen war, begannen sie zu spielen.

Ich saß neben Jason und Mara auf den Sofas und hörte ihnen gespannt zu.

„Hey Jenna. Ihr kommt heute Abend doch mit ins Dragons, oder?“, fragte mich Leo.

„Klar“, erwiderte ich sofort.

„Dragons?“, fragend sah mich Jason an.

„Das ist ein Club hier. Ich war auch erst einmal dort“

„Du willst heute noch ausgehen? Dann muss ich mich vorher aber noch für zwei Stunden hinlegen. Ich bin heute immerhin schon ziemlich früh weg gefahren“, meinte er schulterzuckend.

„Okay. Dann fahren wir jetzt nach Hause und treffen uns später alle“, schlug ich vor und stand auf.

Nickend stimmte Leo zu und drehte sich wieder zu seinem Mischpult.

Ich winkte den Jungs kurz zu und dann fuhren wir nach Hause.

 

Als Ryan nach Hause kam, hatte Jason bereits mehr als drei Stunden geschlafen. Als ich ihn aufweckte, sprang er frisch und munter aus dem Gästebett.

„Dein Ernst? So wenig Schlaf und du bist so gut drauf?“, fragte ich ihn entgeistert.

„Wir sprechen hier von einem kurzen Mittagsschlaf und keiner ganzen Nachtschicht“, erklärte er mir.

„Ah ja“, machte ich und verdrehte die Augen.

„Also, wie sieht es mit dem Ausgehen hier aus? Erhältst du deine wöchentlichen Alkoholrationen?“, fragte er grinsend.

„Die gehen hier sogar noch öfter aus, als wir damals. Ich bin fast jeden Tag irgendwo unterwegs“, erklärte ich ihm.

Ungläubig sah er mich an.

„Ehrlich?“, fragte er misstrauisch nach.

„Oh ja, und sie sind auch nicht so brav hier“, lachte ich und erklärte ihm in Kurzfassung vom Party crashen.

„Na, das hört sich doch schon eher nach dir an“, grinste Jason.

Mein Handy vibrierte und ich zog es aus der Hosentasche. Mara hatte mir eine SMS geschrieben und fragte, was ich heute anziehen würde.

„Und was ziehst du an?“, fragend sah Jason mich an.

„Keine Ahnung“, ich zuckte mit den Schultern.

„Egal was, Hauptsache du siehst gut darin aus, ich will mich nicht schämen müssen mit dir“, lachte er und kassierte dafür einen Schlag gegen die Schulter.

Ich ging in mein Zimmer und stellte mich vor meinen Kleiderschrank. Und dann rief ich Mara zurück.

„Hey. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll“, erklang ihre verzweifelte Stimme vom anderen Ende der Leitung.

„Ich weiß es auch noch nicht“, entgegnete ich sofort und schob ein paar Kleiderbügel in meinem Schrank hin und her.

„Es ist das Dragons, also ist es egal, ob es freizügig ist, oder nicht. Vielleicht ein Kleid?“, fragte sie.

„Ja, das hört sich gut an. Ich muss nur noch schauen, ob ich hier irgendwo etwas Passendes finde“, meinte ich skeptisch. Mein Vorrat an Kleidern war eher notdürftig.

„Gut, ich stell ein paar Kombinationen zusammen und schicke sie dir dann“, sagte sie nach einiger Zeit und ich konnte sie direkt überlegen hören.

Ich stimmte zu und begann, nachdem ich aufgelegt hatte, in meinem Schrank herum zu kramen. Ein Kleid also.

Nachdem ich alle sechs Kleider, die ich besaß hervorgeholt hatte, betrachtete ich sie skeptisch. Nur drei kamen für einen Partyabend in Frage. Nach einer halben Ewigkeit entschied ich mich für ein schwarzes Stoffkleid, das mir locker bis zu den Knien reichte und um die Taille eng war. Es hatte etwas breitere Träger und der Rücken war mit dünnen Schnüren versehen. Dazu wählte ich eine hellbraune, taillierte Lederjacke und hohe, schwarze Schuhe. Fertig, das würde schon irgendwie gehen.

Ich verschwand kurz (Ich bin ein Mädchen, definiere kurz…) im Bad und drehte mir meine Haare zu vielen Locken, die locker mein Gesicht umrandeten. Um neun Uhr war ich dann fertig angezogen und geschminkt.

Erst dann fiel mir ein, dass Mara mir ja ein Foto schicken wollte und als ich mein Handy gefunden hatte, waren tatsächlich vier neue Nachrichten von ihr. Die Kombination, die sie ausgewählt hatte, passte super zu ihr. Ein kurzes Schwarzes, mit einem Bolerojäckchen und hohen dunkelgrauen Schuhen.

Ich schrieb ihr kurz zurück und ging dann barfuß hinunter in die Küche.

Dort saß der Rest meiner Familie bereits am Tisch.

„Na ihr“, begrüßte ich sie und setzte mich dazu.

„Gut gemacht“, lobt mich Jason und sah mich lächelnd an. Er kannte mich von früher, mehr muss ich dazu wirklich nicht sagen.

„Ist das nicht ein bisschen zu kurz?“, wollte Dad wissen und sah mich skeptisch an.

„Dad, es geht immerhin fast bis zu den Knien“, rechtfertigte ich mich sofort. Gott sei Dank hatte ich die Lederjacke schon an, jetzt sah er die Rückenansicht des Kleides nicht.

„Ja, aber mit den hohen Schuhen…“, meinte er noch.

„Mach dir keine Sorgen“, beschwichtigte Jason ihn. „Ich passe schon auf sie auf“, versprach er meinem Vater und zwinkerte mir dabei verschwörerisch zu. Ja, er würde aufpassen, dass ich nicht zu wenig Alkohol bekam.

„Okay“, willigte Dad dann wiederwillig ein.

„Gut, dann fahren wir“, meinte Ryan und stand auf. Mein Erscheinungsbild hatte er nur mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert.

Wir standen auf und ich versprach Dad, nicht zu spät nach Hause zu kommen.

„Fahren wir direkt hin?“, fragte ich.

Ryan schüttelte den Kopf und ich ließ mich mit Jason auf die Rückbank fallen.

„Wir holen Leo und Mara“, erklärte er und parkte das Auto rückwärts aus. Ryan hatte sich bereit erklärt, Autofahrer zu spielen. Falls er dann doch etwas trinken würde, würden wir uns einfach ein Taxi nehmen.

Wir hatten das Haus schnell erreicht und begeistert sah ich Mara an.

„Wow“, machte ich nur und musterte sie. Das Kleid passte ihr wirklich hervorragend. Es ging ihr bis zur Mitte der Oberschenkel und sie sah wirklich hammermäßig damit aus.

„Du rede nicht. Wo hast du dieses Kleid ausgegraben?“, fragte sie mich ehrfürchtig. Ich freute mich, denn sie hatte den Rücken ja noch nicht gesehen.

„Aus meinem Schrank“, lachte ich.

„Oh, ich freue mich schon! Morgen komme ich nach der Schule mit zu dir“, rief sie freudig aus.

Jason sah mich verwundert an und ich zuckte mit den Schultern.

„Wette verloren“, lachte ich.

„Hey, wie lange bleibst du eigentlich?“, fragte ich ihn plötzlich.

„Morgen Abend muss ich wieder zurück“, meinte er.

„So bald?“

„Ja leider. Immerhin muss ich Meli seelisch unterstütze“, lachte er.

„Na gut“, meinte ich wiederwillig.

„Ist es das?“, fragte er und deutete auf das Dragons. Der Club sah schon ziemlich voll aus und eine lange Schlange stand vor der Eingangstür.

Ryan nickte.

„Ziemlich viele Leute“, murmelte Leo und verzog das Gesicht. „Arbeitet Joe heute?“

„Ja. Er lässt uns rein“, erwiderte mein Bruder und parkte auf dem letzten freien Parkplatz.

„Also, das ist praktisch“, lachte Jason und half mir aus dem Auto. Mit den hohen Schuhen war das gar nicht so einfach. Sofort zupfte ich mir mein Kleid zu Recht und strich mir noch einmal durch die Haare.

„Du wirst ihm schon gefallen“, flüsterte mir Jason zu und legte einen Arm um meine Schultern.

„Wem?“, fragte ich und sah ihn verwundert an.

„Na, dem Typen von heute“, lächelte er wissend.

„Joe?!“, fragte ich sofort.

Jason nickte.

„Wie kommst du… also, warum…?“, fragte ich geschockt. Wusste er etwas, das ich selbst noch nicht einmal wusste.

„Na, es war offensichtlich, dass er heute ziemlich eifersüchtig war, als er uns zusammen gesehen hat. Und er fällt genau in dein Beuteschema“, lachte er.

„Ach komm“, meinte ich nur und machte eine wegwerfende Handbewegung. Was der schon wieder laberte.

„Jaja, du wirst schon noch sehen“, sagte er und wir gingen zum Eingang, an den wartenden Leuten vorbei.

Ich wollte nichts von Joe. Er war einer von Ryans Freunden. Und ja, er sah schon ziemlich gut aus, und war gar kein so großes Arschloch, wie ich am Anfang dachte, aber trotzdem. Hier in diesem kleinen Örtchen konnte ich nicht mit jedem dahergelaufenen, gutaussehenden Typen etwas anfangen. In der Großstadt war das möglich, hier nicht.

Kopfschüttelnd ging ich neben Jason und Mara zum Eingang. Ryan redete, wie schon beim letzten Mal, kurz mit Joe, den ich diesmal in seiner Uniform auch wirklich erkannte. Breitbeinig stand er da, mit einem schwarzen Headset im Ohr. Er nickte und der Türsteher ließ uns bereitwillig hinein. Ich grinste ihn an und er nickte mit dem Kopf.

War heute wohl wirklich nicht gut drauf. Oder eifersüchtig. Nein. Nein, er war sicher nicht eifersüchtig. Wieso sollte er? Das hier war doch nur mein Stiefbruder.

Der Club war wirklich voll und eine Menge Jugendlicher drängten sich auf der Tanzfläche.

„Verdammt, es ist Mittwoch“, lachte Jason. „Ist hier immer so viel los?“

„Immer!“, antwortete Ryan und musste gegen die Lautstärke anbrüllen.

An der Garderobe gab ich meine Jacke ab und ich hörte Jason und Mara gleichzeitig nach Luft schnappen, als sie jetzt auch die Rückenansicht meines Kleides betrachten durften.

Jason grinste nur, er kannte das Kleid schon von früher.

„Also, das ist… wow“, sagte Mara und Ryan nickte nur.

„Gut, dass Dad das nicht gesehen hat“, grinste Ryan. Ich lachte, der hätte mich niemals aus dem Haus gehen lassen.

„Los, an die Bar“, rief Leo dann begeistert und wir folgten ihm nur zu gerne.

Jason bestellte ein Runde Tequila für uns alle und ich ließ meinen Blick suchend hinter die Bar aber von Dana war weit und breit keine Spur. Wahrscheinlich arbeitete sie heute Nacht nicht.

„Auf Jason, weil er mich besuchen gekommen ist“, rief ich und hob mein Tequila Glas in die Höhe.

Die anderen taten es mir gleich und wir stießen unsere Gläser aneinander. Ich kippte mir den Inhalt in den Mund und bemerkte zufrieden das brennende Gefühl in meinem Hals. Alkohol war toll, wenn man nicht zu viel davon trank. Automatisch wurde man selbstbewusster.

Die anderen bestellten sofort nach und keine zwanzig Minuten später hüpfte ich lachend auf der Tanzfläche herum.

Leo tanzte hinter mir und so ausgelassen hatte ich den Blondschopf noch nie gesehen.

Gegenüber von uns tanzte Ryan mit Mara. Wenn sie nicht in Daniel verknallt wäre, wären die beiden ein tolles Paar. Schade eigentlich.

Die Musik dröhnte mir in den Ohren und ich lehnte mich gegen Leo.

„Kommst du mit an die Bar?“, schrie er mir ins Ohr. Ich nickte und er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her durch die Menschenmasse. Heute waren wieder extrem viele Leute im Dragons. Und es war Mittwoch. Verdammt, hier ging es schlimmer zu als in einer Großstadt.

Leo bezahlt mir einen Cocktail.

„Danke“, rief ich ihm ins Ohr und drehte mich um, sodass ich die Menge beobachten konnte.

Lächelnd stellte, ich fest, dass ich heute zu den Geilsten gehörte. Selbstlob stinkt bei jedem Anderen, bei mir nicht.

„Hast du Jason gesehen?“, fragte ich Leo. Er schüttelte den Kopf und beugte sich zu einem Barkeeper, der hinter der Bar stand. Sie unterhielten sich kurz und dann setzte Leo sich wieder zu mir.

„Thom meinte, er ist vorhin nach oben verschwunden“, erzählte er mir laut schreiend. Die Musik hier war gut, keine Frage, aber eine Spur zu laut. Aber egal.

„Danke“, bedankte ich mich wieder und bannte mir einen Weg durch die tanzende Menge. Ich stolperte über eine am Boden liegende Handtasche. Kurz bevor ich Bekanntschaft mit dem extrem dreckigen Boden machte, schlang sich ein Arm um meinen Bauch und zog mich hoch. Ich atmete erleichtert aus und strich mir ein paar Haarsträhnen hinters Ohr, die nach vorne gefallen waren.

Grinsend stand Danny vor mir.

„Na, hat dich meine Schönheit doch so sehr geblendet?“, fragte er lachend und half mir wieder hoch.

„Ja, sie strahlt heller als die Discokugel. Und dein Ego übertrifft das Ganze noch um ein paar Watt“, erwiderte ich lächelnd.

„Du siehst toll aus“. Bewundernd sah er mich an und ich rechnete es ihm hoch an, dass sein Blick nicht, wie bei vielen anderen, an meinem Ausschnitt hängen blieb.

„Danke. Du siehst auch nicht übel aus“, erwiderte ich. Und er sah echt nicht schlecht aus in seinem Hemd, dass er oben locker geöffnet hatte.

„Wo hast du die anderen gelassen?“ Danny sah mich fragend an.

„Ich bin gerade auf der Suche nach Jason“, erklärte ich ihm.

„Ich komme mit“, bot er bereitwillig an. Ich lächelte und ging ein paar Schritte weiter. Als ich bemerkte, dass er mir nicht folgte drehte ich mich wieder um.

„Was?“, fragte ich ihn genervt.

„Willst du heute jemanden flachlegen, oder wieso hast du dieses Kleid an?“, fragte er bewundert. Ah, verstehe. Er hatte den Rückenteil des Kleides bemerkt.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf und machte mich weiter auf die Suche. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.

Ich drängte mich weiter durch die Menschenmassen, bis ich irgendwann vor der Treppe stand, die nach oben in den V.I.P. Bereich führte. Okay, wenn Jason es bis da hinauf geschafft hatte, schaffte ich das doch locker.

Selbstbewusst trat ich auf den Security zu, der breitbeinig vor der Treppe stand.

Ich lächelte ihn an und blieb vor ihm stehen.

„Hi“, sagte ich und setzte mein schönstes Lächeln auf.

Er nickte mir nur knapp zu, aber ich bemerkte, dass er mich von oben bis unten musterte.

„Was muss ich machen, damit ich für fünf Minuten da hinauf kann?“, fragte ich ihn zuckersüß und stellte mich neben ihn. Wie durch Zufall berührte meine Schulter die seine. Naja, meine Schulter berührte eher seinen Oberarm. Mann, der Typ war ein Hochhaus!

„Du brauchst eine V.I.P. Karte“, sagte er knapp, doch seine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben.

„Schade. Eigentlich suche ich nur meinen Bruder. Der sollte nämlich eigentlich auf mich aufpassen und jetzt ist er mit irgendeinem Freund da oben verschwunden“, erklärte ich ihm und verzog den Mund. Zerknirscht sah ich ihn an.

„Du siehst nicht so aus, als könntest du nicht auf dich selbst aufpassen“, meinte er und blickte auf mich herab.

„Genau das sage ich meiner Mutter auch immer“, rief ich aufgeregt aus und grinste ihn breit an. Ich musste ihn nur auf meine Seite ziehen.

„Leider ist sie ziemlich streng bei so etwas. Deswegen muss ich ihr auch alle paar Stunden eine SMS schreiben, dass ich noch lebe. Und mein idiotischer Bruder hat mein Handy“, schloss ich und sah ihn verzweifelt an. Oh man, wenn ich so weiter macht, fing ich zu heulen auch noch an.

Unsicher sah er mich an.

„Bitte, ich bin auch in zwei Minuten wieder hier herunten“, versprach ich ihm und sah ihn mit großen Augen an.

Seufzend klickte er das rote Absperrseil aus seiner Verankerung und ließ mich durch.

„Na gut, zwei Minuten“, murrte er, doch ich bemerkte, dass er leicht lächelte.

„Dankeschön“, freute ich mich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Schnell ging ich nach oben und sah mich kurz um. Hier war genau so viel los wie unten. Gemütliche Sitzecken standen überall herum und alles war restlos überfüllt. Ich bannte mir einen Weg durch die Masse und hielt nach meinem Bruder Ausschau. Manchmal wurde ich von Typen begraptscht oder fand mich auf einem fremden Schoß wieder, doch ich kommentierte alles mit einem kleinen Lächeln. Sollten sie doch sehen, was sie nie bekommen würden.

Ich drängte mich noch in die letzte Ecke und entdeckte dort nur ein Paar, das wild herum knutschte. Ich wollte mich gerade abwenden, als ich Jasons rotes Hemd erkannte. Lächelnd drehte ich mich zurück und blieb provokant neben ihm stehen. Irgendwann wurde es dem Mädchen zu viel und sie funkelte mich wütend an.

„Was ist dein Problem, Anderson“, keifte sie. Verwirrt sah ich sie genauer an und erkannte Dana. Im düsteren Licht hatte ich sie überhaupt nicht erkannt. Lachen sah ich sie an. Dana machte mit Jason rum. Na, wenn das nicht mal etwas war.

„Ich wollte nur mal sehen, wo mein Bruder abgeblieben ist“, erklärte ich ihr lachend.

„Nicht hier, wie du siehst“, brummte sie sauer.

„Doch, ich habe ihn gefunden. Viel Spaß noch“, sagte ich und winkte ihnen kurz zu, bevor ich mir wieder einen Weg nach unten suchte.

Die verwirrte Dana und den lachenden Jason ließ ich zurück.

Kapitel 10 - Meeting the docotor

 Als ich die Treppe wieder nach unten kam zwinkerte ich dem Sicherheitsmann kurz zu und stürzte mich dann ins Getümmel. Wenn möglich, war der Club noch voller geworden. Suchend sah ich mich um, nach einem bekannten Gesicht.

Doch alles war voller Nebel und ich sah schon leicht verschwommen. Seufzend strich ich mir einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und drängte mich zwischen zwei Mädchen hindurch, die verzweifelt versucht möglichst tief beim Tanzen in die Hocke zu gehen. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Was genau wollten sie damit erreichen? Ich meine, wer es nicht schafft, der soll es doch einfach lassen. Auf diesen Mörderschuhen. Es gab schon komische Menschen auf dieser Welt. Ich quetschte mich zehn Minuten lang durch die stinkenden und schwitzenden Leute, doch fand niemanden. Also lehnte ich mich seufzend an die Bar. Egal, trinken konnte ich alleine auch. Mit einem Handwinken winkte ich dem Kellner zu, der sich sogleich auf den Weg zu mir machte.

Ich bestellte etwas Starkes und musterte ihn. Schlecht sah er nicht aus mit seinen blonden, kurzen Haaren und dem roten Hemd. Ich lächelte ihn an, als er abkassierte.

Plötzlich ertönte eine raue Stimme neben meinem Ohr.

„Na Süße, was machst du denn hier so alleine?“.

Ich drehte mich verwundert um und starrte in das Gesicht eines betrunkenen Typen. Und er stank gewaltig nach Alkohol. Igitt!

„Alleine, wie du schon sagst, will ich auch weiterhin bleiben“, erwiderte ich kühl und drehte mich wieder um.

„Aber, aber. So eine Schnecke wie du wird doch wohl nicht schüchtern sein“, nuschelte er und legte dreist eine seiner riesigen Hände auf meinen Hintern.

„Nimm deine dreckigen Hände da weg“, zischte ich ihn sauer an. Solche Typen meinten auch immer, sie wären die besten und könnten sich alles erlauben.

„Wieso denn? In Wirklichkeit stehst du doch drauf“ lallte er und kam meinen Gesicht gefährlich nahe.

Warnend hob ich meine Hand vor sein Gesicht.

„Also entweder, du nimmst jetzt deine Hand von meinem Hintern, oder ich trete dir so stark in die Eier, dass du von hier bis nach Mexiko fliegst“, drohte ich ihm zischend.

Er grinste mich mit verschwommenem Blick an und starrte mir direkt in den Ausschnitt.

„Ich steh auf dich, du kleines Biest“, raunte er mir ins Ohr und ließ seine Hand tiefer wandern.

Und dann riss mein Geduldsfaden endgültig ab. Ich stellte mein Glas zur Seite und schlug ihm mit der flachen Hand fest ins Gesicht.

Verwirrt sah er mich an, als ich meine schmerzende Hand ausschüttelte. Verdammt tat das weh!

„Was war das denn?“, fragte er mich verwirrt und sah mich mit zu Schlitzen verzogenen Augen an.

„Ich habe dir doch gesagt du sollst deine dreckigen Pfoten da weg nehmen“, zischte ich ihn an.

„Jetzt hörst du mir mal gut zu, du kleines Miststück“, zischte er wütend und drängte mich fest gegen die Bar. Der Tresen drückte unangenehm in meinen Rücken und die Luft entwich mir zischend.

„Du machst gefälligst das, was ich will. Immerhin bist du hier diejenige, die fast nichts an hat und alle Männer hier aufgeilt“, lallte er mit bedrohlichem Unterton.

„Ach ja?“, entgegnete ich sauer. „Ich bin schon ein großes Mädchen“, meinte ich sarkastisch. „Ich muss nicht mehr das machen, was man mir sagt“.

Ungläubig sah er mich an. Und dann holte er aus und schlug mir mit der Hand ins Gesicht. Ungläubig zuckte ich zusammen, als der Schmerz explodierte. Tränen traten mir sofort in die Augen und ich strich mir mit der Hand über die schmerzende Wange. Kurz konnte ich nichts mehr sehen und am Rande meines Sichtfeldes tanzen viele kleine, bunte Sterne.

Der Typ starrte mich noch immer lüstern an, doch dann wurde er plötzlich von mir weg gerissen und ich sackte sofort zusammen. Alkohol gemischt mit Adrenalin und Schmerzen bekamen mir anscheinend nicht so wirklich.

„So Freundchen, wieso genau schlägst du ein Mädchen“, zischte eine laute, wütende Stimme über mir und als ich hoch blickte erkannte ich einen der Security Leute, der den Typen mit nach hinten gedrehten Händen fest hielt.

„Sie ist selber schuld“, lallte er nur und versuchte sich aus dem Griff zu befreien.

„Ja natürlich“, zischte er streng. Dann wandte er sich mir zu. „Alles okay mit dir?“, fragte er mich besorgt.

„Ich glaube schon“, murmelte ich und versuchte mich wieder auf zu rappeln. Ein scharfer Schmerz schoss mir durch den Bauch und ich sackte wieder zusammen.

„Moment, gleich geht’s besser“, sagte er und drückte auf dem Knopf in seinem Ohr herum. Während er den schwankenden Typen mit einer Hand fest hielt, half er mir hoch. Freundlicherweise stand ein Mädchen auf und ließ mich auf ihren Barhocker setzen. Ich rieb mir noch immer meine Wange. Ich hatte rasende Kopfschmerzen und durch meinen Bauch zuckte ein stechender Schmerz. Ich hatte wahrscheinlich einfach schon zu viel Alkohol in mir. Auch meine Sicht war schon leicht verschwommen.

„Was ist los Peter?“, fragte plötzlich Joe und tauchte in meinem Blickfeld auf. Als er mich bemerkte verfinsterte sich sein Blick sofort und er kam fluchend auf mich zu.

„Alles klar bei dir?“, fragte er sofort und nahm meine Hand von meinem Gesicht.

Ich nickte leicht, doch sofort bekam ich wieder Kopfschmerzen und ich ließ es bleiben.

„Was ist passiert?“, fragte Joe und wandte sich an Peter, oder wie der andere eben hieß.

„Dieses Arschloch hier hat sie geschlagen und gegen die Bar gedrückt. Sieht so aus als hätte sie starke Kopfschmerzen und Bauchschmerzen“, fasste er kurz zusammen.

„Gut. Ich übernehme sie und du siehst, dass dieses Arschloch hier nie wieder rein komme“, zischte Joe wütend und starrte ihn finster an.

Peter nickte und bugsierte den Kerl durch die tanzende Menge.

„So, jetzt schauen wir uns das ganze mal an“, murmelte Joe und setzte sich vor mich in die Hocke.

„Weißt du wer ich bin, Jenna?“, fragte er und fasst meine Hände, sodass er meine Wange begutachten konnte.

„Joe“, sagte ich. Ich lallte, was mir überhaupt nicht passte.

„Sehr gut. Wo hast du Schmerzen?“, fragte er sogleich nach.

Ich deutete auf meinen Kopf und auf meinen Bauch. Eigentlich wollte ich schlafen. Plötzlich war ich todmüde. Wieso genau war ich noch einmal hier.

„Jenna, bleib bei mir“, ertönte Joes Stimme neben meinem Ohr. „Wir fahren jetzt ins Krankenhaus und die schauen sich das dort an. Okay?“, fragte er mich und sah mich prüfend an.

Ich nickte ihm nur zu.

„Hast du eine Ahnung wo Ryan ist?“, fragte er dann weiter und hob mich hoch, sodass ich in seinen Armen lag. Mein Kopf war schwer. Und er tat so weh. Ich wollte nur mehr schlafen. Nur noch schlafen.

„Ich schreibe ihm nachher“, hörte ich Joe murmeln. „Bitte nicht einschlafen Jenna. Wie geht’s deinem Kopf?“, fragte er mich, vermutlich um mich wach zu halten.

„Ich fühle mich, als hätte ich drei Flaschen Wodka alleine ausgetrunken“, flüsterte ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter, während er mich aus dem Club trug.

Ich spürte das Vibrieren von Joes Brust, als er lachte.

„Entweder du hast zu viel getrunken, oder eine Gehirnerschütterung“, stellte er fest.

„Was wäre besser?“, fragte ich müde.

„Zu viel getrunken wäre mir lieber“, nuschelte er.

Als wir den Club verließen stieß mir die kalte Luft wie ein Faustschlag ins Gesicht.

„Ich bringe sie ins Krankenhaus. So ein Arschloch hat sie ziemlich fest geschlagen“, hörte ich Joe sagen.

„Alles klar. Kommst du wieder?“

„Keine Ahnung. Ich sag dir noch Bescheid“.

Ich schloss meine Augen und genoss die sanften Bewegungen. Nur wurde ich dadurch immer müder.

Ein leises Klicken zeigte mir, dass Joe sein Auto aufgesperrt hatte.

„Hast du dein Auto nicht geschrottet?“, fragte ich leise.

„Ja, das ist das Auto meines Vaters“, sagte er und setzte mich auf den Beifahrersitz. Er lehnte sich über mich drüber, um den Sicherheitsgurt zu befestigen. Ich ignorierte die Schmerzen, die er dadurch auslöste und genoss seine warmen Berührungen. Ich war eindeutig betrunken.

„Wir fahren jetzt ins Krankenhaus. Dauert nur fünf Minuten“, erklärte er mir, als er sich wieder etwas zurück beugte. Er stütze seine Hand am Armaturenbrett ab und die andere an meiner Kopflehne.

„Was machst du nur Jenna“, murmelte er und sah mir in die Augen. In meinem Magen wurde es schlagartig warm und ich öffnete leicht die Lippen.

„Ich bin nicht schuld“, erwiderte ich leise.

„Weiß ich doch“, sagte er und strich mir kurz mit dem Handrücken über meine unverletzte Wange. Er sah mich noch einen kurzen Moment lang an, dann wandte er sich abrupt ab und stieg auf der Fahrerseite ein.

„Fehlst du denen ihm Club nicht, wenn du einfach so weg fährst?“, wollte ich von ihm wissen.

Joe startete den Motor und parkte rückwärts aus.

„Nein, nicht wirklich. Heute sind ziemlich viele Security Leute da. Und so muss ich nicht aufräumen“, grinste er.

„Ach, du benutzt mich also als Ausrede“, lächelte ich.

„Das würde ich niemals wagen“, entgegnete er grinsend.

„Na klar“

„Wie geht’s deinem Kopf?“, fragte er.

„ Ist gar nicht so schlimm“, sagte ich. Der stechende Schmerz war nicht mehr so schlimm und nur ein dumpfes Klopfen war zurück geblieben.

„So schlimm hat er mich nicht erwischt. Eigentlich muss ich gar nicht ins Krankenhaus“, meinte ich sofort.

„Doch, du solltest dir das Ansehen lassen“, entgegnete Joe.

„Die paar Kopfschmerzen kommen sicher vom Alkohol. Ich sollte wirklich nicht so viel trinken“, murmelte ich.

„Hast du denn mehr als sonst getrunken?“, wollte Joe wissen und sah kurz zu mir herüber.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, eigentlich nicht.“

 

Joe schürzte die Lippen und bog nach links in eine Seitenstraße ein.

Mein verschwommener Blick hatte sich größtenteils geklärt und ich konnte wieder scharf sehen, jedoch hatte ich noch immer ziemliche Kopfschmerzen.

„Keine Sorge, wir sind bald da“, sagte er nach einer Weile.

Ich drehte vorsichtig den Kopf und sah ihn an.

„Sorry, dass ich dir den Abend vermiese“, entschuldigte ich mich kleinlaut und verschränkte meine Hände ineinander.

„Wieso solltest du?“, fragte er mich mit leichter Resignation in der Stimme und sah mich kurz von der Seite an.

Ich verzog den Mund und schaute aus dem Fenster.

„Na, weil ich dich von der Arbeit abhalte und du jetzt die betrunkene Schwester deines Freundes ins Krankenhaus fahren musst“, fasste ich zusammen. „Was ich allerdings noch immer völlig übertrieben finde, weil es mir wirklich gut geht“.

Joe lächelte leicht und bog auf den Parkplatz des riesigen Krankenhauses ein. Und es war wirklich riesig. Viele der Fenster waren noch immer hell erleuchtet und ein Rettungswagen mit Blaulicht stand vor der Eingangstür.

„Ich fahre die betrunkene Schwester meines besten Freundes gerne in der Nacht mit dem Auto herum. Nur das mit dem Krankenhaus gefällt mir nicht ganz so“, sagte er noch, bevor er ausstieg und auf die Beifahrerseite des Autos herüber kam.

Er öffnete die Tür und beugte sich über mich, um mir bei meinem Sicherheitsgurt zu helfen. Eigentlich hätte ich das Scheißding auch alleine weg bekommen, aber wenn Joe es macht, war es gleich viel lustiger. Und romantischer.

„Ich kann alleine gehen“, sagte ich schnell, als er Anstalten machte mich auf seine Arme zu heben. Grinsend sah er mich an.

„Klar“, sagte er nur und hielt mir die Autotür auf. Schwankend stieg ich aus, und das lag bestimmt an den Kopfschmerzen und nicht am Alkohol. Oder?

„Hast du deine Handtasche mit?“, fragte er.

Ich nickte und hob sie vom Boden des Autos auf. Doch die Bewegung war anscheinend nicht so toll für meinen Kopf. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Schläfe und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Ich wankte und ließ mich gegen Joe fallen, der vorsichtshalber direkt neben mir gestanden hatte. Ich kam sofort wieder zu mir und blinzelte in Joes geschocktes Gesicht.

„Alles okay“, murmelte ich und wollte mich aus seinen Armen lösen.

„Gar nichts ist okay. Lass dich jetzt bitte tragen, Jenna. Du bist gerade vor meinen Augen umgekippt“, murmelte er und hielt mich weiterhin fest.

Ich sah ihn an. In diese wunderbaren Augen. In die Augen, in die ich sicher nicht verliebt war. Mann, der Typ machte es mir aber auch wirklich verdammt schwer. Konnte er nicht hässlich sein? Oder wenigstens einen negativen Charakter haben? Aber nein, er musst scharf sein und auch noch total freundlich! Immerhin fuhr er mich mitten in der Nacht durch die Gegend.

Ich bemerkte, dass ich in Gedanken wegdriftete und schüttelte leicht den Kopf.

„Na gut“, murmelte ich und die Falten auf seiner Stirn legten sich für einen kurzen Moment. Joe schloss das Auto ab und hob mich dann hoch auf seine Arme. Wieder legte ich meinen Kopf an seine Schulter, weil ich einfach nicht mehr die Kraft dazu hatte, meinen Dickschädel hoch zu halten.

Am Rande bekam ich mit, wie wir das Krankenhaus betraten und Joe jemandem erzählte, was passiert war. Ich war einfach so verdammt müde. Konnte ich nicht ein bisschen schlafen?

„Nein, kannst du nicht. Wach bleiben“, hörte ich Joes Stimme direkt an meinem Ohr.

Mist. Hatte ich laut gedacht?

„`kay“, murmelte ich.

Ich spürte das Vibrieren von Joes Brust, als er lachte.

„Das war mein ernst“, sagte er und ich konnte sein Grinsen spüren.

„`kay“, murmelte ich wieder.

Ich spürte wie Joe sich auf einem Sessel oder so etwas niederließ. Er rückte mich kurz zurecht und schob mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Wenn wir hier fertig sind, kannst du so lange schlafen, wie du willst“, sagte er in mein Ohr.

Unwillig öffnete ich meine Augen einen Spalt breit.

„Versprochen?“

„Versprochen!“, flüsterte er.

„Jenna Anderson“, ertönte eine laute Stimme durch den großen, nur spärlich beleuchteten Raum.

„Hier“, antwortete Joe für mich. Ein junger Arzt kam aus einem der Zimmer und ging zügig auf uns zu. Er sah keineswegs müde aus und hatte heute Nacht anscheinend schon mehrere Besucher, da auf seiner Hose einige rote Blutflecken prangten.

„Tut mir Leid, dass Sie warten mussten, wir hatten einen Notfall“, entschuldigte er sich und reichte zuerst mir, dann Joe die Hand.

„Also, was ist denn passiert?“, fragte er an Joe gewandt und dieser beschrieb schon wieder in kurzen Sätzen, was passiert war.

„Na gut, dann schauen wir uns das mal an. Kannst du laufen, Jenna?“, fragte der junge Arzt und sah mich prüfend an.

„Ja“, meinte ich nur und stand vorsichtig auf. Dann wandte ich Joe den Rücken zu und folgte dem Arzt in eines der Krankenzimmer.

„Nimm Platz“, sagte er freundlich und deutete auf einen bequem aussehenden Sessel.

Er fragte mich einige Fragen und tastete sowohl meinen Bauch, als auch meinen Kopf ab. Nachdem er einige Untersuchungen und ein Röntgen gemacht hatte erklärte er mir, dass ich nichts Schlimmes hatte.

„Eine leichte Gehirnerschütterung. Du solltest dich nicht zu ruckartig bewegen und dich nicht überanstrengen. Wenn du willst kannst du von der Schule ein paar Tage zu Hause bleiben. Im Bauch habe ich nichts gefunden, vermutlich bekommst du einen Bluterguss. Aber wenn du in ein paar Tagen noch immer Beschwerden hast, kommst du bitte wieder, okay?“

„Na klar“, versprach ich ihm.

„Du bist wenigstens ein angenehmer Fall. Mit meinem letzten Patienten konnte ich nicht einmal richtig sprechen, weil er so gelallt hatte“, grinste der Arzt.

„Fällt das nicht unter ärztliche Schweigepflicht?“, grinste ich.

Lachend sah er mich an.

„Nein, das sind allgemeine Fakten. Außerdem weiß der Kerl morgen sowieso nichts mehr“, schloss er.

„Freut mich, dass ich eine angenehme Patientin war“, lachte ich und er begleitete mich noch hinaus zu Joe.

Dieser stand sofort auf und kam uns entgegen, als er mich sah.

„Und?“, fragte er sofort nach.

„Nichts Schlimmes. Nur eine leichte Gehirnerschütterung“, sagte ich und lächelte ihn an.

Sofort fiel die Anspannung von ihm und er lächelte.

„Gut. Das ist wirklich gut“, sagte er.

„Dann wünsche ich euch noch einen schönen Morgen“, verabschiedete sich der Arzt und verschwand wieder in seinem Zimmerchen.

„Du hast mir einen ziemlichen Schreck eingejagt“, gab Joe zu und legte stützend einen Arm um meinen Rücken.

Wir gingen den langen Gang von der Unfallambulanz zum Ausgang entlang.

„Sorry, war keine Absicht“, sagte ich.

„Jaja, das sagen sie dann alle“, grinste er.

„Stimmt, ich hatte das von Anfang an geplant“, sagte ich dann lachend.

Lächelnd schüttelte Joe den Kopf.

„Und weißt du was? Du bist eigentlich schon ziemlich gemein“, sagte er dann euphorisch.

„Wieso? Weil ich mich von einem Typen krankenhausreif schlagen lasse?“

„Nein. Weil du so ein Kleid anziehst und mir das erst bewusst wird, wenn du mit einem anderen Typen in einem Krankenzimmer verschwindest“, meinte er grinsend und zwinkerte mir zu. Ah ja, das Kleid. Das hatte ich ja total vergessen.

„Na, eifersüchtig“, neckte ich ihn. Ja, ich hatte noch Restalkohol im Blut. Viel Restalkohol.

„Ach nein, der Arzt ist doch viel zu alt für dich“, meinte er sicher.

„Ach, die paar Jahre auf oder ab“, sagte ich und er boxte mir leicht gegen die Schulter.

„Also fängst du dir jetzt was mit alten Männern an, oder wie?“, wollte er wissen.

„Nein, er ist nicht so mein Typ. Immerhin war seine Hose voller Blut. Wenn er nicht Arzt wäre hätte ich es mit der Angst zu tun“, erklärte ich ihm.

„Ja klar“, lächelte er und öffnete mir wieder die Autotür.

„Aber dir ist schon bewusst, dass du hier in einem kleinen Ort bist, oder?“, fragte er nach, als er sich selbst hinter das Steuer fallen ließ. Aber er startete nicht den Motor sondern saß einfach nur da und lächelte mich an.

„Klar, wieso?“

„Na, da laufen ziemlich viele kranke Typen herum“,erklärte er mir.

„Und in einer Großstadt etwa nicht?“, wollte ich wissen.

„Na ja, die hier siehst du immer wieder“.

„Ach komm, ich kann gut auf mich selbst aufpassen“.

Er sah mich zweifelnd an.

„Also bis jetzt habe ich nur positive Komplimente erhalten. Du bist der erste, der das Kleid kritisiert“, meinte ich stirnrunzelnd.

Er sah mich einfach nur an.

„Es sieht ja auch toll aus“.

Das war es. Mehr sagte er nicht, sondern startete einfach nur den Motor.

Was wollte er mir damit sagen? Es gefiel ihm, aber ich sollte es nicht anziehen? Oder gefiel es ihm nicht und er fand es nuttig, wie ich herum lief? Konnte der Typ nicht in klaren Sätzen sprechen? Das wäre viel hilfreicher für meinen angeschlagenen Kopf. Wahrscheinlich mochte er mich noch nicht einmal. Ich war vermutlich wirklich nur die kleine Schwester seines besten Freundes. Und eigentlich war er auch angepisst, weil er mich ins Krankenhaus fahren musste. Verdammt, was war aus der selbstbewussten Jenna geworden?

Die schwamm im Alkoholdelirium.

Über das ganze Nachdenken fielen mir mit der Zeit die Augen zu.

Ein leichtes Rütteln an meiner Schulter ließ mich aus einem leichten Schlaf erwachen.

„Wir sind da“, hörte ich Joes Stimme.

„Danke. Für alles“, sagte ich und schnallte mich ab.

„Ich bringe dich noch zur Tür“

„Nein, das schaffe ich schon, danke“, entgegnete ich und stieg aus.

Ich stolperte vorsichtig zur Haustür und kramte nach dem Schlüssel. Nach langem Suchen hatte ich ihn endlich gefunden und schloss die Tür auf. Doch bevor ich hinein ging, drehte ich mich noch einmal um. Joes Auto stand noch immer in unserer Einfahrt und er sah mich leicht lächelnd an. Anscheinend gefiel ihm mein Kleid doch mehr, als er zugegeben hat. Ich lächelte und hob kurz die Hand zum Abschied. Dann drehte ich mich um und betrat das Haus.

 

Als ich aufwachte, war es draußen noch dämmrig. Wie lange hatte ich denn bitte geschlafen? Anscheinend nicht lange genug, denn mein Kopf dröhnte wie verrückt. Vorsichtig griff ich nach meinem Wecker. 5 Uhr. Mist nur zwei Stunden Schlaf. Und ich sollte in die Schule gehen? Ah, nein, ich musst ja nicht, hatte der Arzt gesagt. Erleichtert ließ ich mich wieder in meine Kissen zurückfallen. Aber mit diesen Schmerzen konnte ich beim besten Willen nicht weiter schlafen. Gut, dann holte ich mir eben kurz eine Schmerztablette. Vorsichtig tapste ich die Treppe hinunter in die Küche. Ich erschrak heftig, als ich Jason am Küchentisch sitzen sah. Er hatte nur ein Glas Wasser vor sich stehen und stütze die Hände in den Kopf.

„Harte Nach, was?“, fragte ich und ging an ihm vorbei zum Schrank mit den Medikamenten. Ich kramte darin herum und suchte nach den Kopfschmerztabletten.

„Wie kommst du denn darauf“, entgegnete mein Bruder seufzend und nahm einen großen Schluck von seinem Wasserglass.

Ich fand die Tabletten und legte ihm eine vor die Nase. Dankend sah er mich an und schluckte sie gleich hinunter.

„Wie bist du nach Hause gekommen?“, fragte ich ihn und ließ mich neben ihn fallen. Ich griff nach seinem Glas und schluckte selbst das Wundermittel hinunter.

„Ryan hat mich mitgenommen. Du?“, entgegnete er.

„Ich war im Krankenhaus. Joe hat sich eingebildet, dass er mich unbedingt fahren muss“, erklärte ich ihm.

Jason hob den Kopf und grinste mich an.

„Gut, ich sehe es ein. Du hast dich kein bisschen geändert“, lachte er, hielt sich aber sofort wieder den Kopf.

„Ach komm schon“, entgegnete ich grinsend.

„Joe hat dich also gefahren?“, wiederholte er und zog grinsend die Augenbrauen hoch.

War klar, dass ihn nicht interessiert wie es mir ging, oder wieso ich im Krankenhaus war.

„Ja. Es war seine Idee“

Jason lachte.

„Du bist so was von verschossen in den Typen“, meinte er dann.

Ich sah ihn an. War es denn so? War ich wirklich in ihn verliebt? Nein, so schnell konnte man sich doch in niemanden verlieben, oder? Und war es wirklich Liebe?

„Schon gut, du kannst dir darüber ja noch klar werden. Sagen wir einfach, du findest ihn gut“

„Findest du denn Ciara gut?“, fragte ich im Gegenzug.

Und ja, er fand Ciara gut. Sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort.

„Na, egal. Ich sollte mich jetzt dann wirklich auf das Musical konzentrieren. Ich habe keine Zeit um in jemanden verschossen zu sein“, erklärte ich ihm.

„Na, wenn du meinst. Was machen wir heute?“.

„Also, ich gehe jetzt erst einmal ins Bett. Du kannst mich ja dann wecken, wenn du wieder nüchtern bist“, grinste ich und stand auf.

„Alles klar“, entgegnete mein Bruder mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

„Und Jenna, vielleicht solltest du das Kleid ausziehen, bevor du wieder ins Bett gehst“, empfahl er mir.

Verwundert blickte ich an mir hinunter.

Ah ja, ich hatte es wirklich noch an. Anscheinend war ich vor zwei Stunden noch müder als jetzt.

„Okay. Gute Nacht“, sagte ich und verließ die Küche.

In meinem Zimmer angekommen zog ich mir nur kurz das Kleid über den Kopf und ließ mich dann wieder ins Bett fallen.

 

Als ich das nächste Mal aufwachte schien die Sonne durch mein Fenster. Direkt in mein Gesicht. Grummelnd drehte ich mich auf die andere Seite. Verdammt, jetzt war ich wach. Aber meine Kopfschmerzen hatten sich auf ein Minimum beschränkt. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es schon elf Uhr Vormittags war. Also beschloss ich, endlich auf zu stehen. Es drehte sich kurz alles, aber ich fing mich sofort wieder. Ich sprang kurz unter die Dusche, da ich mich schon ziemlich ekelhaft fühlte. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte kämmte ich mir meine Haare durch. Föhnen wäre zu anstrengend, also ließ ich sie einfach Luft trocknen. Ich wischte mir noch die restliche Schminke aus dem Gesicht und betrachtete mich dann im Spiegel. Eigentlich sah ich gar nicht so schlimm aus, für das, was letzte Nach passiert war. Auf meinem Bauch zeichnete sich tatsächlich ein großer Bluterguss ab. Und er war erst im Anfangsstadium und tat höllisch weh.

Danach wechselte ich meine Bettwäsche und warf die benutze Kleidung zur Wäsche.

„Na, auch schon wach“, begrüßte Jason mich in der Küche. Er saß am Tisch und Sonja hatte ihm Nudeln gekocht.

„Guten Morgen, Sonja“, begrüßte ich auch sie. Die junge Frau stand am Herd und rührte in verschiedenen Töpfen herum.

„Hallo Jenna. Wie geht’s dir? Jason hat mir erzählt, dass du heute nicht zur Schule musst“.

Ich nickte. „Ja, wegen so einem betrunkenem Kerl habe ich jetzt eine Gehirnerschütterung. Aber ist gar nicht so schlimm, die Kopfschmerzen lassen langsam nach“, erklärte ich ihr.

„Okay, gut. Wo die Schmerzmittel sind weißt du ja. Möchtest du etwas essen?“

Ich überlegte nur kurz. „Ja, aber ich mache mir selbst etwas, danke“, lächelte ich. Sonja war wirklich total okay.

„Ryan war stinksauer. Du solltest dein Handy lieber nicht einschalten“, riet Jason mir und aß seelenruhig seine Nudeln. Verwirrt sah ich ihn an.

„Wieso ist er sauer?“

„Na, weil er die ganze Nacht nicht wusste, was mit dir los war. An dein Handy bist du nicht gegangen und Joe war auch weg. Ich habe versucht ihn zu beruhigen, aber das hat irgendwie nicht so richtig funktioniert. Die drehen hier alle durch, in diesem Kaff“, erklärte er mir kopfschüttelnd.

„Auf einer Skala von 1 – 10, wie schlimm ist es?“

„Ungefähr 12. Er war echt auf hundertachzig“.

„Hmm“, machte ich und suchte mir aus dem Kühlschrank etwas Essbares. All zu viel Hunger hatte ich noch nicht.

„Naja, das mache ich später mit ihm aus. Was machen wir heute?“, fragte ich meinen Bruder.

Schulterzuckend sah er mich an.

„Nichts anstrengendes“, lachte er.

„Ach ja, bevor ich es vergesse, hier ist ein Brief für dich, Jenna“, ertönte Sonjas Stimme aus dem Vorhaus und Sekunden später trat sie mit einem Briefumschlag in die Küche. Sie legte ihn vor mir ab und verschwand wieder im Keller.

„Was ist das?“, fragte Jason neugierig.

Ich zuckte mit den Schultern und riss das Kuvert auf.

Es handelte sich um einen Brief von einem Radiosender.

„Oh mein Gott“, stieß ich voller Freude aus.

„Was?“, fragte Jason sofort und linste seitlich auf das Blatt Papier.

Es war tatsächlich vom Radiosender, an den ich die Demo-CD der Jungs geschickt hatte. Und die waren so begeistert von den Liedern, dass sie sie im Sender spielen wollen! Anbei haben sie einen Vertrag geschickt. Wenn die Jungs den unterschreiben, werden ihre Songs im Radio sogar angekündigt.

„Wow. Respekt, ich hätte nicht gedacht, dass das gleich so gut funktioniert“, lobte Jason die Band.

Ich sprang auf und schlang ihm die Arme um den Hals.

„Das ist der Wahnsinn“, freute ich mich und hüpfte wie ein Gummiball auf und ab. Was meinem Kopf nebenbei gesagt nicht ganz so gut gefiel. Also beschränkte ich mich auf ein breites Grinsen und ließ mich wieder auf den Küchenstuhl fallen.

„Und wann willst du es ihnen sagen?“, fragte mein Bruder kauend.

„Hm“, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Hoffentlich waren sie nicht sauer, weil das hinter ihrem Rücken erledigt hatte.

„Sie werden dir schon nicht den Kopf abreißen“, zwinkerte Jason.

„Hoffentlich“

Wir verbrachten den restlichen Tag indem wir uns Filme ansahen und uns über alte Fotos von uns lustig machten. Alles in Allem ein sehr ruhiger und entspannter Tag. Um vier Uhr beschlossen wir dann, den Jungs bei der Bandprobe zu zusehen. Ich tauschte meine Jogginghose gegen ein helles Sommerkleid und steckte den Brief in meine Handtasche.

„Alles klar?“, fragte Jason, als ich mich neben ihm ins Auto setzte.

„Ja. Du bist schon wieder nüchtern und fahrfähig, oder?“, fragte ich sicherheitshalber und schnallte mich an.

Jason lachte.

„Ich weiß ganz genau, dass ich, wenn ich mit dir wohin fahre, keinen Tropfen Alkohol im Blut haben darf“, erklärte er mir gütig und schaltete die Zündung ein.

„Okay, ich vertrau dir“, entgegnete ich nur.

„Wie hast du eigentlich den Führerschein bestanden?“, fragte mich mein Bruder lächelnd.

„Indem ich brav gefahren bin und möglichst viel Abstand von den anderen Autos gehalten habe“, lachte ich zurück.

„Na klar. Oder du hast den Fahrlehrer bestochen“, vermutete Jason.

„Natürlich, ohne das Bestechungsgeld wäre ich niemals durch gekommen“, sagte ich sarkastisch.

„Mädchen und Autos. Das passt einfach nicht“, murmelte er.

„Hey! Das stimmt doch gar nicht. Nur ich kann mit Autos nicht. Bei Meli sieht das ganze wieder ganz anders aus“, versuchte ich ihm zu erklären.

„Stimmt. Die hat sich jetzt übrigens ein Neues gekauft. Sieht toll aus! Aber du wirst es eh sehen, wenn du kommst. Wann wäre das eigentlich?“

„Ich weiß es nicht“, sagte ich schulterzuckend. „Vielleicht in zwei Wochen oder so?“, schlug ich vor.

„Ich werde es ihr ausrichten“

„Du bist aber auch zu gütig. Herzlichen Dank allerliebster Bruder“, bedankte ich mich bei ihm und lächelte ihn an.

„Aus dir spricht der Restalkohol“, stellte er fest.

„Aber nicht doch, ich bin immer so“, lachte ich.

„Jaja, erzähl das deinem Therapeuten“, lächelte er.

Wir bogen in die Abbiegung zum Haus am See ein.

„Also, ich muss zugeben, das hier ist schon ein sehr schöner Ort“.

„Finde ich auch. Und man sieht nicht gleich, dass er existiert. Normalerweise fahren alle Autos daran vorbei“

Jason parkte das Auto neben dem von Ryan und ich stieg aus. Die Sonne knallte heiß vom Himmel und ich hielt mir schützend die Hände über die Augen.

„Komm, lass uns rein gehen. Ich sterbe hier draußen noch“, meinte Jason und wir schlenderten nebeneinander zum Eingang. Der See lag friedlich da und glitzerte verführerisch in der Sonne.

„Glaubst du, das Wasser wird irgendwann so warm, dass man darin baden kann?“, fragte ich und deutete auf das Wasser.

Mein Bruder zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, aber du wirst es sicher bald herausfinden“, meinte er verschwörerisch.

„War das eine Drohung?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.

„Nein, eine Feststellung“

„Klar doch“, entgegnete ich und schüttelte grinsend den Kopf.

Ich stieß die Tür zur Hütte auf und sofort schlugen mir Gitarrenklänge entgegen.

„Ein Wunder, dass die alle schon wieder nüchtern sind“, grinste Jason.

„Ja, die vertragen mehr, hier draußen auf dem Land“, lachte ich und stieß ihn mit den Ellbogen in die Rippen.

„Hey“, regte er sich auf, doch bevor er die Geste bei mir wiederholen konnte schlüpfte ich in den Probenraum. Nur Leo saß hinter dem Mischpult, ansonsten war der Raum leer. Hinter der Fensterscheibe saßen Ryan, Daniel, Joe und Danny an ihren Instrumenten. Sie sahen alle mehr oder minder wach aus.

„Du schlägst mich und läufst dann davon?“, regte sich Jason gespielt auf.

„Hey Leo“, begrüßte ich den blonden Jungen. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht drehte er sich zu uns um.

„Hey. Na, wie geht’s euch? Schon wieder fit?“, fragte er.

„Klar“, entgegnete ich und ließ mich auf eines der Sofas fallen. Die Bewegung war nicht wirklich angenehm. Sitzen generell war nicht einfach, mit einem riesigen Bluterguss am Bauch.

„Sie schlägt mich einfach so“, beschwerte sich Jason bei Leo und ließ sich neben mir auf das Sofa fallen.

„Ja, so ist Jenna“, lachte Leo. „Wieso warst du heute nicht in der Schule?“

„Ich habe eine Freistellung“, erklärte ich ihm.

„Und weswegen? Zu viel Alkohol, oder wie?“, grinste er.

Lachend strich ich mir die Haare aus dem Gesicht. Durch das Luft trocknen fielen sie mir in vielen, wilden Locken ins Gesicht.

„So ähnlich. Gehirnerschütterung“

Und im Gegensatz zu allen anderen, normalen Leute, die sich Sorgen um mich machen würden, fing Leo schallend zu lachen an.

„Ernsthaft?“, fragte er stockend und hielt sich den Bauch.

„Hey, das war nicht meine Schuld“, verteidigte ich mich sofort.

„Na klar“, entgegnete Leo.

„Hey, kümmere du dich lieber um die Band“, beschwerte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Leo war wirklich unmöglich, lachte mich einfach so aus.

„Tut mir Leid“, entschuldigte er sich halbherzig und drehte sich grinsend wieder zur Glasscheibe um.

Die Jungs spielten ein Lied nach dem Anderen. Ryan war so konzentriert, dass er mich gar nicht wahrnahm. Und auch die Anderen sangen und spielten konzentriert. Nur Daniel grinste mich an und nickte mir kurz mit dem Kopf zu.

„Die sind heute ja alle total fixiert auf ihre Musik“, stellte ich fest.

„Die haben alle noch so viel Alkohol im Körper, dass es ihnen schwer fällt, sich richtig zu konzentrieren“, lachte Jason.

„Sprichst du aus Erfahrung, oder was?“, wollte Leo amüsiert wissen.

Mein Stiefbruder nickte. „Mehr oder weniger“

„Leo, ich muss dir etwas beichten“, gestand ich und stand auf.

„Wen hast du umgebracht“, wollte er wissen und schob noch schnell ein paar Knöpfe hin und her, bevor er sich wieder zu mir umdrehte.

„Ähm“, nervös spielte ich mit dem Saum meines Kleides. „Kannst du dich noch daran erinnern, dass du mir eine Demo CD von der Musik gemacht hast?“, fragte ich ihn.

Er nickte und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Was ist damit?“

„Naja, ich habe sie an einen Radiosender geschickt“, rückte ich mit der Wahrheit heraus. Unsicher sah ich ihn an. Zuerst war da Erstaunen in seinem Gesicht, doch dann fing er zu grinsen an.

„Ehrlich? Und haben sie es abgelehnt?“, fragte er neugierig nach.

„Nicht so ganz“, entgegnete ich erleichtert. Er schien nicht sauer zu sein. Ich kramte den Brief aus meiner Tasche und reichte ihn ihm.

Aufmerksam las Leo sich das Stück Papier durch.

„Das ist der Wahnsinn“, freute er sich. Erleichtert stieß ich die Luft aus.

Lachend sprang er auf und umarmte mich. Ich zuckte kurz vor Schmerzen zusammen, aber er ließ sofort wieder von mir ab. Leo drückte einen Knopf am Mischpult und sprach in ein Mikrofon: „Hey Leute, ihr habt keine Ahnung, was Jenna gemacht hat“.

Die Jungs sahen ihn verwirrt an und dann schienen sie endlich Jason und mich zu bemerken. Sofort legten sie ihre Instrumente beiseite und verließen das Studio.

„Was hast du angestellt?“, wollte Danny wissen, er als Erster durch die Tür kam.

Entschuldigend hob ich die Hände und ließ mich auf dem Sofa zurück fallen.

„Gar nichts“, verteidigte ich mich grinsend.

Ryan war der nächste, der herein kam.

„Alles klar bei dir?“, wollte er wissen und setzte sich zu mir.

„Ja mir geht’s gut“, erwiderte ich und lächelte ihn an.

Ryan nahm mein Kinn in eine Hand und drehte meinen Kopf, sodass er meine Wange begutachten konnte.

„Ich bringe den Typen um“, murmelte er.

„So schlimm ist es gar nicht“, sagte ich und entzog mich seinem Griff.

Doch Ryan war anscheinend anderer Meinung.

„Komm schon Ryan, es ist ja nichts passiert. Ich lebe noch und der Arzt meinte, das alles okay ist“, sagte ich beruhigend.

„Hm“, machte mein Bruder. Stirnrunzeln sah er Jason an.

„Macht sie das öfters?“, wollte er von ihm wissen.

„Regelmäßig“, meinte dieser schulterzuckend.

Seufzend lehnte Ryan sich zurück.

„Also, was gibt’s, dass Leo so begeistert ist?“, fragte er dann und blickte zu Leo.

„Deine absolut geniale Schwester hat unserer Lieder geklaut“, begann Leo.

Verwirrt sahen die Jungs alle zu mir.

„Und sie dann an einen Radiosender geschickt“, fuhr Leo fort.

Er hielt den Brief in die Höhe und las laut vor, was der Radiosender geschrieben hatte.

Zuerst war die Band ziemlich überfahren, doch dann fingen sie zu grinsen an.

„Die wollen unsere Songs im Radio spielen?“, fragte Daniel ungläubig.

Nickend sah ich ihn an.

„Du bist einfach der Wahnsinn“, rief Danny laut und umarmte mich stürmisch.

Stöhnend hielt ich mir den Bauch.

„Alles klar bei dir?“, fragte er sofort und ließ mich wieder los.

„Natürlich. Tut mir Leid, dass ich das hinter eurem Rücken gemacht habe“, entschuldigte ich mich offiziell.

„Egal. Immerhin finden sie unsere Musik cool“, freute sich Joe. Ihn hatte ich heute noch gar nicht wahrgenommen. Von allen sah er am besten aus heute. Keine Augenringe und kein verschlafener Blick. Wie machte er das?

Ach ja, er war gestern ja in der Arbeit. Also, kein Alkohol.

„Ja, dann unterschreiben wir den Kack mal“, lachte Daniel und kramte einen Stift aus einer der Schubladen. Er beugte sich über das Stück Papier und schrieb seinen Namen darauf. Die anderen taten es ihm gleich und bald hatten alle unterschrieben.

„Sehr gut, ich schicke ihn zurück“, sagte ich und nahm den Brief wieder an mich.

„Cool, danke Jenna“

„Keine Ursache“, entgegnete ich. Eigentlich freute ich mich mehr als sie. Immerhin hatte ich es geschafft, dass sie bekannt wurden. Denn einen Radiosender hörten viele Leute.

Jason neben mir kramte sein Handy hervor.

„Sorry Süße, ich muss jetzt dann fahren. Soll ich dich noch nach Hause bringen?“, fragte er.

„Ähm, nein danke, ich fahr mit Ryan mit“, fragend sah ich Ryan kurz an und er nickte zustimmen.

„Gut, hat mich gefreut euch alle kennen zu lernen“, sagte Jason und verabschiedete sich von den Jungs mit einem Handschlag.

„Hat uns auch gefreut“, entgegnete Ryan ernst.

„Und wir sehen uns bald, wenn unsere Schwester endlich einmal ihre Faulheit überwindet und ein Musical auf die Füße stellt“, grinste Jason. Ryan grinste mich an.

„Wenn ich die Band bis dahin überzeugt habe, aufzutreten“, lachte ich. Die Jungs sahen alle ein bisschen verwundert aus, aber das war mir egal. Wir brauchten eine Band, sie hatten eine Band. Leider, hatte sie da kein Mitspracherecht mehr, sie waren schon fix eingeplant.

„Ich komme noch mit hinaus“, sagte ich und verließ mit Jason den Raum.

„Begeistert sahen sie ja nicht gerade aus“, meinte er. „Eher überrascht“

„Egal, sie müssen da durch“, entgegnete ich.

„Du bist erbarmungslos“, lächelte er. „Besuch uns bald und schöne Grüße an deinen Dad und Sonja. Sag ihr, sie mach die Beste Spaghetti Bolognese der Welt“.

Lachend umarmte ich ihn. „Klar, mach ich. Du gibst Mum einen Kuss von mir?“, fragte ich.

Nickend lächelte er mir zu.

„Und viel Glück mit Luzys Freundinnen“, rief ich ihm noch hinterher, als er ins Auto einstieg. Jason machte ein unglückliches Gesicht und startete den Motor. Durch das offene Fenster winkte er mir zu.

„Ich glaube ich ziehe zu dir auf Land“, lachte er und fuhr winkend davon.

Schade, dass Jason nicht länger bleiben konnte, er fehlte mir jetzt schon wieder.

Ich wartete noch so lange, bis sein Auto verschwunden war, dann ging ich zurück ins Haus.

Die Jungs saßen noch immer herum und freuten sich über den Brief.

„So Jenna, Jason ist also dein Bruder?“, fragte mich Daniel sofort und ich setzte mich vorsichtig auf die Lehne seines Sessels.

„Ja, was habt ihr denn gedacht?“, fragte ich verwirrt und sah sie nach der Reihe an. Und sie sahen wirklich alle ziemlich verwirrt aus.

„Naja, also ich dachte, er wäre dein Freund“, sagte Daniel und knuffte mich in die Seite.

Lachend sah ich sie an. „Wirklich? Nein, er ist mein Stiefbruder“, klärte ich die Jungs auf.

Ich sah zu Joe, der mich grinsend ansah. Ernsthaft? Dachten die alle ernsthaft Jason wäre mein Freund?

„Gut, dass du noch zu haben bist“, sagte Daniel verschwörerisch und zog mich von der Lehne auf seinen Schoß.

Lachend setzte ich mich so hin, dass der Schmerz nachließ.

„Na, wenn du meinst“, entgegnete ich. „Aber hey, solltet ihr nicht eigentlich proben?“, fragte ich sie dann.

„Ach, wir sind jetzt eh fast berühmt“, lachte Danny.

Joe nickte. „Ja, deswegen können wir für heute auch Schluss machen. Wer kommt mit auf ein Eis?“, fragte er und alle stimmten zu. Heute war das perfekte Eiswetter.

Beim Hinausgehen nahm Ryan mich kurz zur Seite.

„Wie geht’s dir? Joe hat mir heute erzählt, was passiert ist“.

„Bei mir ist alles okay. Die Kopfschmerzen sind fast weg und mein Bauch sieht auch nicht so schlimm aus“, erklärte ich ihm. Eine glatte Lüge, aber das war mir egal. Er sollte sich keine Sorgen um mich machen müssen.

„Gut. Das hätte schlimmer ausgehen können“, seufzte er.

„Hey Ryan, du gibst dir jetzt nicht die Schuld dafür. Es ist einfach passiert und es war auch nicht das erste Mal, dass ich im Krankenhaus war. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, keine Sorge“, beschwichtigte ich ihn.

„Ja, das habe ich schon gemerkt“, lächelte er. Beschützend legte er einen Arm um meine Schultern und wir schlenderten zu seinem Auto, an dem schon Joe lehnte.

„So schlimm siehst du heute gar nicht aus“, rief er mir zu und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.

„Na, herzlichen Dank, ich dich auch“, entgegnete ich grinsend.

Er drehte sich halb zu mir um und lächelte mir zu.

„Dafür schuldest du mir ein Eis“, sagte ich und streckte ihm die Zunge raus.

„Wofür, dafür dass ich meine wertvolle Zeit geopfert habe um dich ins Krankenhaus zu fahren?“, fragte er.

„Hey, du hast mich quasi entführt, ich wollte da gar nicht hin“, verteidigte ich mich.

„Es war nur zu deinem Besten“, erwiderte Joe.

„Jaja, ich weiß“

Ryan drehte das Autoradio auf und ließ die Fenster hinunter.

„Ich soll dir übrigens von Mara ausrichten, dass sie heute Abend vorbei kommt und du keine Chance hast, dich zu verstecken“, sagte er beiläufig.

„Aber der Arzt hat mir frei gegeben“, beschwerte ich mich. „Außerdem muss ich dringend in die Stadt“

„Das kannst du dir dann ja mit Mara ausmachen, ob du morgen zur Schule kommst, oder nicht“, lachte Ryan.

„Hey, ich schwänze morgen auch, also wenn du ein Taxi in die Stadt brauchst“, bot Joe mir an.

„Das wäre cool“, freute ich mich. „Hoffentlich kann ich Mara noch überzeugen“

„Jason war da, wegen dem Musical?“, fragte Ryan, während er über den unebenen Boden fuhr.

„Auch. Ich muss blad zurück nach San Franzisco und Meli helfen. Wie ist hier eigentlich die Busverbindung?“, fragte ich.

Joe zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich war noch nie dort“.

„Aber du kannst mein Auto haben, wenn du willst“, meinte Ryan.

„Ich weiß nicht, ob ich so eine weite Strecke selbst fahren will“, druckste ich herum. Drei Stunden, das war schon ziemlich lange.

„Du kannst ja Pause machen“, schlug Ryan vor.

„Ja, stimmt. Ich überleg mir das noch“, murmelte ich.

Mein Handy begann in meiner Tasche zu vibrieren und ich fischte es umständlich raus. Mara.

„Na, wie geht’s?“, begrüßte ich sie.

„Sehr gut und selbst?“, antwortete sie.

„Ich lebe“, sagte ich lachend.

„Was hast du gemacht?“, wollte sie wissen und ich konnte ihr Grinsen sogar durch das Telefon hören.

„Gehirnerschütterung und Bluterguss am Bauch“

Mara lachte. Eigentlich würden Leo und Mara ein gutes Paar abgeben. Beide waren gefühlslos.

„Danke, nett von dir“, sagte ich und schüttelte den Kopf.

„Das ist einfach so typisch für dich. Aber Gratulation, du hast die ersten paar Tage ohne größere Unfälle überlebt“

„Ja, stimmt, das ist die Landluft hier. Die ändert mich von Grund auf“, lachte ich.

„Ist Jason noch bei dir?“, fragte Mara dann und ich konnte sie im Hintergrund irgendetwas suchen hören.

„Nein, der ist vor zwanzig Minuten los“

„Gut, und wieso sitzt du nicht mit ihm im Auto und kommst hier her um mir zu helfen?“, fragte sie grummelnd.

„Weil ich ein Leben habe. Ich komme so bald, wie möglich versprochen. Ist das Wochenende in zwei Wochen zu spät?“, fragte ich sie und kaute auf meinem Fingernagel herum.

„Ähm.. warte ich schaue gerade nach. Nein, das ist okay. Aber kann ich dir schon ein paar Texte und Songs schicken? Dann könntest du vielleicht mit den Choreografien schon anfangen“, schlug sie vor.

„Ja, das wäre klasse. Ich habe ganz viel Zeit. Aber ich weiß noch nicht, wann ich wieder tanzen kann“, meinte ich zögernd. Wie lange dauert es, bis ein Handgroßer Bluterguss verschwunden ist? Mit einer Gehirnerschütterung kenne ich mich schon aus, aber Blutergüsse?

„Ich probier es einfach, und ansonsten muss ich die Theorie zuerst aufstellen“, meinte ich dann.

„Finde ich toll. Hat Jason dir schon von seiner neuen Freundin erzählt?“, fragte sie und ich konnte sie fast schon mit einem boshaften Lächeln vor mir sehen.

„Ja, Ciara. Er ist bis über beide Ohren in sie verknallt. Wie ist sie so?“, wollte ich wissen und mein Beschützerinstinkt war geweckt. Immerhin musste die Kleine schon in Ordnung sein, bevor sie was mit meinem Bruder anfangen durfte.

„Eigentlich ganz okay. Sie sieht nett aus und hat eine wahnsinnig gute Stimme“, schwärmte Meli.

„Wow, eine gute Stimme. Das sagt nichts über ihren Charakter aus“, warf ich ein.

„Sie ist wirklich freundlich, und ich glaube sie hat sich auch in Jason verknallt. Richtig süß, wie sie immer rot wird, wenn er mit ihr spricht“, meinte sie abwertend.

„Meli und die Liebe“, lachte ich. „Wie sieht es bei dir aus?“

„Normal. So wie es sein soll“, sagte sie.

„Du bist kalt wie ein Kühlschrank“, stellte ich grinsend fest.

„Du fehlst mir so sehr, Jenna. Ohne dich ist es hier ziemlich langweilig“, meinte sie.

„Du fehlst mir auch. Mir fehlt das Adrenalin, wenn ich mit dir unterwegs bin“, lachte ich.

„Und mir fehlt deine beruhigende Art und Weise und dass du mich von den richtig dämlichen Aktionen abhältst“, entgegnete sie.

„Lass die Finger von den richtig dämlichen Aktionen!“, riet ich ihr ernst.

„Ich mache seit Neuestem Parcouring. Das ist richtig witzig“, erzählte sie mir freudig.

„Das hast du sicher von Ben, oder?“, wollte ich misstrauisch wissen.

„Ja, er macht das auch. Aber jetzt gerade ist er im Krankenstand. Er kann jetzt ungefähr vier Wochen lang nichts mehr machen. Dieser Trottel ist drei Stockwerke tief gesprungen und hat beim Landen das Gleichgewicht verloren“, meinte sie.

„Drei Stockwerke? Wer bitte macht so etwas?“, wollte ich lachend wissen.

„Ach komm, du wärst auch gesprungen“, lachte Meli.

„Nein, wäre ich nicht. Nur wenn unten irgendwas Weiches gewesen wäre“

„Es war ein Müllcontainer drunter. Aber Ben hat ihn verfehlt“

„Selbst schuld. Vielleicht sollte ich ihn mal anrufen und ihm eine Standpauke a la Jenna Anderson halten“, überlegte ich laut.

„Mach das. Hey Jenna, ich muss los. Ich schicke dir heute Abend das Zeug, dass ich schon habe. Hast du eine Gitarre zu Hause? Bei manchen Sachen habe ich nämlich nur die Noten“, fragte sie.

„Ähm, warte kurz“, ich beugte mich vorn und fragte Ryan, welcher mir nickend zustimmte.

„Ja, haben wir. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich das noch hinkriege“, lachte ich.

„Frag Ryan, der macht das“, schlug sie vor.

„Okay, danke für den Tipp“, grinste ich.

„Ciao, ciao Jenna, Hab dich lieb“, verabschiedete sie sich.

„Ich dich auch, Bis bald“, entgegnete ich und drückte auf den roten Knopf meines Handys.

„Kann ich mir dann deine Gitarre ausborgen?“, wollte ich an Ryan gewandt wissen.

„Kannst du denn spielen?“, fragte er mich verwirrt.

„Ein klitzekleines bisschen“, entgegnete ich lächelnd.

„Also nicht“

„Nein, gar nicht“, gestand ich lachend. „Aber du kannst mir das Zeug ja vorspielen, wenn ich die Noten habe“ Ich klimperte mit den Augen.

„Mal sehen“, winkte er ab und parkte das Auto vor der Eisdiele. Die Anderen waren noch nicht da und so suchten wir drei schon einmal einen großen Tisch in dem klimatisierten Raum aus.

Ich rutschte gleich auf die Bank hinter den Tisch und griff nach der Eiskarte.

„Ich liebe Eis“, murmelte ich, während ich auf die bunten Eisbecher auf der Karte linste.

„Wer nicht“, meinte Joe und schielte neben mir auch auf meine Karte.

Es dauerte seine Zeit, bis ich mich letztendlich für einen Früchteeisbecher entschieden hatte.

Wir warteten mit der Bestellung noch, bis die Anderen eintrafen.

Daniel hatte noch Mara von zu Hause abgeholt und nach einer halben Ewigkeit traten sie durch die Schwingtür der Eisdiele.

„Na, wie geht’s?“, wollte Mara wissen, als sie sich neben mich fallen ließ.

„Gut, und dir? Ich muss dir leider gestehen, dass ich morgen nicht zur Schule kann“, erklärte ich ihr und erntete sofort einen bösen Blick.

„Wieso nicht? Willst du dich etwa schon wieder drücken? Wettschulden sind Ehrenschulden, meine Liebe“, meinte sie ernst und gestikulierte mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum.

„Ich bin noch freigestellt. Und ich bin doch nicht so blöd und gehe in die Schule, wenn ich zu Hause bleiben kann“, sagte ich ernst.

„Hm, okay. Aber ich komme nachher trotzdem mit zu dir und suche dir was für Montag aus“, stellte sie klar.

„Kein Problem“, entgegnete ich.

Die Kellnerin erschien an unserem Tisch und nahm unsere Bestellung auf. Nachdem alle bestellt hatten unterhielten sich die Jungs über ein Crash-Car Rennen, welches am Wochenende stattfand.

„Ist Jason schon weg?“, wollte Mara wissen und lehnte sich zu mir herüber.

„Ja, der ist vorher weg gefahren. Er soll heute Abend wieder zurück sein“, erklärte ich ihr.

„Hast du das im Club gestern Abend gesehen? Jason und Dana?“, fragte sie lachend.

„Oh ja! Das hat mich wirklich überrascht“, entgegnete ich. „Wie sieht es eigentlich bei dir aus?“, fragte ich leise und deutete mit dem Kopf auf Daniel, der uns gegenüber stand.

Mara wurde sofort rot und fing zu grinsen an.

„Nichts Neues“, gestand sie.

„Schade eigentlich. Wenn ich mich einmischen soll, sag es mir“, lachte ich und zwinkerte ihr zu.

„Oh Gott, bitte nicht“, lachte sie.

„Ach komm, ich habe schon viele Leute zusammengebracht“

„Und sind sie noch zusammen?“, wollte sie misstrauisch wissen.

„Einige ja“, lachte ich.

„Du könntest professionelle Kupplerin werden“, schlug Mara vor.

„Das wäre mein Wunschberuf“, lächelte ich.

„Was ist dein Wunschberuf?“, fragte Danny, der schräg mir gegenüber saß.

„Kupplerin“, sagte ich und nahm meinen Eisbecher entgegen, der gerade von einer Kellnerin gebracht wurde.

„Ah, ja, das würde zu dir passen. Ich werde dich dann anheuern“, meinte er und grinste mich an.

„Das freut mich. Aber billig bin ich nicht“, stellte ich sofort fest.

„Das war mir klar“, zwinkerte Danny.

Ich steckte mir einen Löffel Fruchteis in den Mund. Mmmh, war das lecker.

„Die machen hier besseres Eis, als in San Franzisco“, stellte ich kauend fest.

„Weil ihr dort drüben nur Fertigware habt“, entgegnete Ryan.

„Und das hier ist selbst gemacht?“, fragte ich erstaunt nach.

„Ja, hier schon. Aber wenn du woanders hin gehst, kannst du dir nie ganz sicher sein“

„Okay, dann werde ich in Zukunft nur noch hier Eis essen“, lachte ich.

„Wurde registriert“, antwortete Ryan.

„Kommt ihr am Wochenende mit?“, wollte Joe wissen und sah Mara und mich fragend an. Das Crash-Car Rennen.

„Klar. Wer fährt?“, wollte Mara sofort begeistert wissen.

„Ryan, Daniel und ich“, erklärte Joe, „und Leo und Danny sind unsere Reservemänner. Ihr könnt dann die leichtbekleideten Damen sein, die sich um uns tummeln“, lachte er.

„Ja klar“, meinte ich und deutete ihm den Vogel.

„Also ich bin dabei, das will ich unbedingt sehen“, lachte Mara.

„Wenn ich Zeit habe, komme ich auch“, ergänzte ich.

„Sehr gut“, lachte Ryan.

 

Als ich zu Hause meinen Laptop hochfuhr, warteten bereits zehn Nachrichten von Meli auf mich. Sie hatte mir, wie versprochen, die Songtexte und Melodien geschickt, die sie bereits hatte. Da Ryan noch nicht zu Hause war, borgte ich mir die alte Gitarre aus seinem Zimmer aus. Naja, für mich war sie alt. Für ihn war das verstaubte Ding wahrscheinlich ein Kunstwerk aus vergangenen Zeiten oder so. Ich setzte mich mit meinem Laptop und der Gitarre auf den Boden vor dem Bett und versuchte ein paar Töne heraus zu bekommen. Hörte sich eigentlich gar nicht so schlimm an. Nach ein paar traurigen Versuchen konnte ich sogar die Melodie einigermaßen nachvollziehen. Meli hatte sich wieder selbst übertroffen. Weil ich mir aber nicht ganz sicher war, ob das stimmt, was ich da zusammentextete, wählte ich kurzerhand ihre Nummer.

„Na Süße, was gibt’s“, meldete sie sich fröhlich.

„Ich verzweifle an deinen Songs“, lachte ich.

„Sind sie wirklich so schlecht?“

„Nein gar nicht, aber mein musikalisches Talent hält sich in Grenzen“, beschwor ich.

„Ach komm Jenna, langsam wird es langweilig. Du bist gut, und das weißt du. Also, lass mal hören, wie du glaubst, dass es gehört“, forderte sie mich auf.

Also spielte ich ihr die paar Töne vor, die ich mir schon angeeignet hatte.

„Hört sich doch genauso an, wie ich es geplant hatte. Was ist jetzt dein Problem?“, fragte sie verwirrt.

„Das geht sich mit dem Text nicht aus“, beschwerte ich mich.

„Du spielst, ich singe, na los“

Und so spielte ich, während sie dazu sang. Melis Stimme klang sogar über das Telefon bezaubernd.

„Hört sich doch gut an“, lachte ich.

„Hab ja auch ich geschrieben“, entgegnete sie. „Kannst du damit etwas anfangen?“

„Klar. Ich gebe mir Mühe, dass ich deine tollen Lieder nicht durch meine Choreo in den Dreck ziehe“, beteuerte ich ihr.

„Na dann, viel Glück“, wünschte sie mir grinsend.

„Danke, werde ich brauchen“, verabschiedete ich mich von ihr.

Ich brauchte vierzig Minuten, bis ich mir das nächste Lied eingelernt hatte. Es war aber auch wirklich gemein. Also, ein geniales Lied, aber gemein zu spielen.

„Was genau bringst du hier drin um?“, ertönte Ryans Stimme plötzlich hinter mir und ich zuckte zusammen.

„Deine Gitarre, tut mir Leid“, lächelte ich.

„Was machst du da?“, fragte er und betrat mein Zimmer. Ohne zu fragen ließ er sich neben mich fallen und sah sich die Zettel durch, die ich vor mir ausgebreitet hatte. Melis ausgedruckte Songs.

„Nicht schlecht. Von Meli, oder?“, fragte er und fuhr mit dem Finger die einzelnen Zeilen nach.

Ich nickte.

„Kannst du mir helfen? Ich bin überfordert“, gestand ich verzweifelt.

„Klar. Gib mal her“, er nahm mir die Gitarre vorsichtig aus der Hand. Ryan begann zu spielen und, oh Wunder, bei ihm hörte es sich nicht an, als würde jemand sterben.

„Wow, das ist toll“, lachte ich.

„Nur die Musik. Los, sing dazu“, forderte er mich auf.

Es klang toll. Meli hatte sich selbst übertroffen. Der Song handelte von der Prinzessin. Es war ein trauriger Song, weil sie den ganzen Tag im Schloss eingesperrt war und nicht raus zu den anderen Jugendlichen in ihrem Alter durfte. Im Lied stand sie auf einem Balkon und sang in die Dunkelheit über ihr Leid, dass sie ihre Eltern nicht verstand und dass sie sich wünschte, ihr Bruder würde sie unterstützen.

„Kann ich das aufnehmen? Ich brauche das auf CD, ich kann nicht jedes Mal dazu singen, wenn ich tanze“

„Klar“

Wir spielten die Songs so lange durch, bis ich alle Aufnahmen auf meinem Handy gespeichert hatte und Sonja uns zum Abendessen rief.

Der Abend war ziemlich uninteressant. Ich begann mit den Choreos, kam aber nicht wirklich voran, weil mein Bluterguss mich ziemlich daran hinderte.

Also entschied ich mich einfach ein bisschen im Internet herum zu surfen.

Als ich auf Facebook ging, blinkte mir eine Nachricht von Joe entgegen.

Gespannt und verwirrt darüber, dass er mir schrieb, öffnete ich sie.

`Hey Jenna, wie geht’s`, fragte er. Lächelnd schrieb ich gleich zurück.

`Selber Hey. Gut, danke, dir?`, antwortete ich.

Und ich musste nicht lange auf eine Antwort warten.

`Ebenfalls. Aber eigentlich will ich wissen, wie es dir WIRKLICH geht`

`Gar nicht so schlecht J Mein Bauch tut weh aber, aber ansonsten fühl ich mich wie immer`, schrieb ich.

´Hört man gerne. War Ryan noch recht sauer?`

´Nein, eigentlich gar nicht. Er reagiert einfach über`

´Er macht sich nur Sorgen´, verteidigte ihn Joe.

´Ich weiß, aber ich bin schon ein großes Mädchen, ich schaff das alleine`, antwortete ich.

`Ryan ist es nicht gewöhnt, eine Schwester zu haben. Das ist reiner Beschützerinstinkt J ´

´Ich weiß. Naja, ich werds ihm schon noch bebringen J Was hältst du eigentlich davon, dass eure Band in meinem Musical auftritt?´

´Gar keine schlechte Idee. Ist immerhin eine große Sache, oder?`

´Naja, also es kommen mehr als 700 Leute`, erklärte ich.

´Wow, nicht schlecht. Und du machst das alleine?`

`Nein. Eine Freundin von mir macht Hauptregie und ich bin eigentlich nur ihre Assistentin. Also der Trottel, der die ganze Drecksarbeit erledigt J ´

`Ah, so ist das^^ Habt ihr schon einen konkreten Plan?`

`Ja, ist alles schon in Arbeit. Ich freue mich wirklich schon darauf, das wird super!`

`Ja, ich bin auch schon gespannt. Du, wegen morgen, wann soll ich dich abholen?`

Ah ja, morgen wollten wir in die Stadt. Gemeinsam. Grinsend schrieb ich ihm zurück.

`Neun Uhr?`

`Alles klar. Dann schlaf gut J´

`Danke, du auch J`

Und dann war das grüne Licht hinter seinem Namen verschwunden. Morgen würde ein toller Tag werden.

Plötzlich klopfte es laut an meiner Tür und Sonja steckte den Kopf herein.

„Jenna, hier ist eine Freundin von dir“, erklärte sie und Mara trat hinter ihr durch die Tür.

„Hey Mara“, begrüßte ich sie und setzte mich auf.

„Du hast absolut keine Ausrede mehr“, sagte sie sofort und ging auf meinen Kleiderschrank zu. Lachend stand ich auf.

„Ich wollte gar nichts einwenden. Danke Sonja“, bedankte ich mich bei der jungen Frau und sie verließ lächelnd das Zimmer.

„Also, mal sehen was du hier so schönes hast“, sagte sie und begann meine Regale zu durchwühlen. Amüsiert sah ich ihr dabei zu. Als sie eine große, flauschige Stola herausholte schüttelte ich den Kopf.

„Auf keinen Fall. Wir haben Sommer und mindestens 30 Grad im Schatten“, jammerte ich.

„Jaja“, machte meine Freundin nur abwesend und ließ das Ding achtlos auf meinen Schreibtischstuhl fallen. Mara kramte allerlei Zeugs aus meinem Schrank. Klamotten, die ich achtlos in Kisten geschmissen hatte und ganz unten in meinem Schrank hingestellt hatte.

„Was ist das?“, fragte Mara plötzlich und hielt ein rotes Wirrwarr in die Höhe.

„Das, meine Liebe, ist ein Kleid“, sagte ich und nahm es ihr vorsichtig aus der Hand. Das Kleid war ein Hauch von nichts. Es ging mir bis knapp unter den Hintern. Treppen steigen konnte ich damit auf keinen Fall. Das Kleid war Schulterfrei und das Oberteil bestand aus einem Gemisch von Netzen und dünnem Stoff. An der Seite befand sich ein langer Schlitz, der mir bis zur Hüfte reichte.

„Verdammt, wo hattest du das denn an?“, fragte sie mich entgeistert.

„Bei einer Musicalaufführung“, meinte ich schulterzuckend.

„Du bist mit diesem Kleid vor einem großen Publikum gestanden?“, fragte sie noch einem nach und verzog das Gesicht zu einem ungläubigem Lächeln.

„Klar. Es war ein Cover von Burlesque, was erwartest du?“, lachte ich.

„Fuck“, murmelte sie und drehte sich wieder um.

Als nächstes fischte sie ein zart rosa Stück Stoff heraus.

„Und was ist das?“

„Das hatte ich zum Eiskunstlaufen an“

„Du kannst Eiskunstlaufen?“

„Ich konnte es. Aber dann bin ich hingefallen und hab mir den Arm gebrochen. Seitdem gehe ich nur noch als Amateurin aufs Eis“, lachte ich.

„Du steckst voller Geheimnisse“, meinte sie und steckte das Outfit zurück.

„Ich weiß“, murmelte ich.

Nach einiger Zeit drehte sie sich triumphieren zu mir um.

„Du gehst als brave Schülerin“ quietschte sie begeistert. In der Hand hielt sie eine weiße Bluste, einen schwarzen engen Rock und dunkelgraue Kniestrümpfe.

Lachend ließ ich mich aufs Bett fallen.

„Dein Ernst?“

„Oh ja. Ich habe zu Hause eine große, schwarze Brille“

Sie drehte sich um und kramte weiter.

„Und warte… Hier ist deine Krawatte und die Schuhe“, rief sie triumphierend.

Die Krawatte war in schlichtem grau mit leichten, roten Ornamenten an den Rändern. Sie war wirklich einmal Teil einer Schuluniform. Jedoch nie meiner. Keine Ahnung, wem die Krawatte gehörte. Die Schuhe waren, naja, ziemlich hoch. Aber ich wusste dass das Outfit klasse aussehen würde. Mara hatte ein Auge für so etwas.

„Oh, das wird lustig“, freute sie sich.

„Ja, das glaube ich auch. Oder ich bekomme einen Schulverweis deswegen“, lachte ich.

„Ach, so schlimm wird’s nicht“, meinte sie zuversichtlich.

Wir redeten noch ein klein wenig, dann musste Mara auch schon wieder nach Hause. Und ich ging danach todmüde ins Bett.

 

Kapitel 11 - Love is in the Air

 Panisch rannte ich durch mein Zimmer. Ich hatte komplett verschlafen und Joe würde mich in ein paar Minuten abholen. Wegen Zeitmangel zog ich einfach eine kurze Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt mit Wasserfallausschnitt an. Ich schminkte mich nur dezent und putze mir in Windeseile die Zähne. Als es an der Haustür klingelte, schlüpfte ich nur noch kurz in meine Sandalen.

„Hey. Bereit?“, fragte Joe lächelnd.

„Immer“, entgegnete ich und schnappte mir meine Tasche.

Joe riss sich wirklich zusammen beim Autofahren. Er hielt alle Geschwindigkeitsbeschränkungen ein.

„Wie geht’s deinem Auto?“, fragte ich ihn. Er hatte es ja vor ein paar Tagen geschrottet.

„Ganz gut. Die Mechaniker meinen, sie bekommen den Schaden wieder hin. Wir halt eine etwas teure Angelegenheit, aber ich bin ja selbst schuld“, meinte er und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, so dass sie in alle Richtungen ab standen.

„Und dieser Wagen gehört dann wem?“, wollte ich interessiert wissen.

„Meiner Schwester“

„Du hast eine Schwester?“, fragte ich verwundert. Was wusste ich eigentlich von Joe? Außer dass er zu schnell Auto fuhr um Mädls zu beeindrucken und in einem Club arbeitet.

„Ja. Rachel ist drei Jahre älter als ich. Und sie fühlt sich immer so, als wäre sie zehn Jahre älter. Andauernd belehrt sie mich was ich nicht alles richtig machen soll, was sie falsch gemacht hatte“, seufzte er. Jedoch lächelte er dabei.

„Du magst sie aber trotzdem“, stellte ich fest.

Er sah mich kurz von der Seite an und zuckte mit den Schultern.

„Ich muss ja. Sie ist meine Schwester“, meinte er schmunzelnd.

„Nein, man muss seine Geschwister nicht mögen. Aber du magst sie“, stellte ich fest. „Und ich mag meine auch“, schob ich noch nach.

„Ist Jason dein einziger Stiefbruder?“

„Nein, ich habe noch eine Stiefschwester, Luzy, sie ist 15 und zwei Halbgeschwister Sarah und David. Beide sind 2 Jahre“, erklärte ich.

„Wow, ziemlich große Familie“, bewundernd sah er mich aus seinen grauen Augen an.

„Naja, im Grunde habe ich zwei Familien. Aber alles sind total cool. Ich bin froh, dass ich sie habe“, lächelte ich.

„Glaub ich dir. Und vermisst du sie?“

„Nein, noch nicht. Naja, Jason schon, aber die anderen nicht so sehr. Immerhin besuche ich sie sowieso bald wieder“

„Und wer ist dann Meli?“

„Sie ist meine beste Freundin in San Franzisco. Ein total verrücktes Huhn. Sie macht andauernd gefährliche Sachen. Und mittlerweile kann ich nicht einmal mehr auf sie aufpassen“, seufzte ich.

Joe lachte. „Braucht sie denn einen Babysitter?“, fragte er ungläubig.

„Oh ja! Jetzt gerade macht sie Parcouring. Die Leute sind total dämlich. Bein, ein anderer Freund von uns, liegt gerade im Krankenhaus, weil er drei Stockwerke tief auf einen Müllcontainer gesprungen ist“, lachte ich.

„Suchst du dir immer die verrückten Leute als Freunde?“, frage er und grinste mich an.

„Meistens“, lächelte ich.

„Also, wo willst du denn hin?“, fragte er mich und lenkte sein Auto in einen Kreisverkehr.

„Ich muss Klamotten kaufen. Vermutlich total uninteressant für dich“, lachte ich. „wo musst du hin?“

„In ein Musikgeschäft. Was hältst du davon wenn wir uns aufteilen und uns zum Mittagessen wieder treffen?“, fragte er und blinzelte mich an. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten wild herum und ich spürte die Wärme.

„Klar“

„Hat Mara dir noch ein schönes Outfit raus gesucht?“, fragte er verschwörerisch.

Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr und kramte meine Sonnenbrille aus der Tasche.

„Oh ja. Und es ist gar nicht so schlimm wie erwartet“, meinte ich schmunzelnd.

„Vielleicht sollte ich auch einmal gegen dich wetten“, lachte er.

„Ja klar, natürlich. Was zieh ich dann zur Schule an? Meinen Bademantel?“, wollte ich belustigt wissen.

„Nee, eher Unterwäsche“, entgegnete Joe mit einem bösen Grinsen.

Lachend setzte ich mir meine Sonnenbrille auf die Nase.

„Natürlich. Träum weiter“, meinte ich und streckte ihm die Zunge heraus.

„Nein, ernsthaft, was hat Mara für dich ausgewählt?“, wollte er wissen.

„Sag ich dir nicht. Das werdet ihr sowieso noch bald genug erfahren. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen, es ist etwas mehr als nur Unterwäsche“, zog ich ihn auf.

„Schade eigentlich“, entgegnete er.

Joe fuhr auf einen großen Parkplatz direkt in der Innenstadt. Er löste ein Parkticket und stellte sein Auto ab.

Gemeinsam schlenderten wir noch in die Innenstadt hinein.

„Treffen wir uns um halb eins hier?“, fragte er und deutete auf einen großen Brunnen in der Mitte der Fußgängerone.

„Klar. Falls es später wird, ruf ich dich einfach an“, meinte ich. „Oh warte, ich hab deine Handynummer gar nicht“, fiel mir dann ein und ich merkte, wie meine Wangen zu brennen anfingen. Shit, das konnte doch nicht wahr sein. Ich wurde ernsthaft rot, weil ich einen Jungen um seine Handynummer fragte. Wie tief war ich denn gesunken…

„Kein Problem, ich habe deine auch nicht“, lächelte er und wir tauschten noch schnell unsere Nummern aus, bevor wir uns in entgegengesetzte Richtungen davon machten.

Ich suchte mir sofort ein Sportgeschäft und ging hinein, als ich eines gefunden hatte. Bei den Sportklamotten suchte ich mir ein paar bequeme Sporthosen, Sport-BHs sowie leichte T-Shirts. Zum Trainieren brauchte ich bequeme Klamotten. Ich suchte mir eine große Umkleidekabine und probierte ein Stück nach dem anderen an. Zwischen zwei Sporthosen konnte ich mich einfach nicht entscheiden. Als ich außerhalb der Kabinen vor einem Spiegel stand, kam ein junger Verkäufer auf mich zu.

„Sieht gut aus“, meinte er.

„Ehrlich? Sitzt sie nicht etwas zu eng?“, wollte ich zweifelnd wissen.

„Was willst du denn damit machen? Laufen, Boxen, Chillen?“

„Tanzen“

„Okay. Und welche Richtung?“

„Alles eigentlich“

„Gut. Dann schau her“, er stellte sich neben mich und deutete auf die Hose. „Der Bund ist eng genug, dass sie dir nicht von den Hüften rutscht. Der Saum an den Beinen ist allerdings weit genug, dass du dir die Blutgefäße nicht abschnürst. Außerdem ist die Hose weder zu weit, noch zu eng. Du hast also komplette Bewegungsfreiheit“, erklärte er mir fachmännisch.

Und er hatte Recht. Und die Hose sah besser aus, als die andere.

„Gut, ich nehme sie. Danke“, sagte ich und verschwand wieder in der Kabine. Nach zwei ganzen Stunden besaß ich ein komplett neues Sport Outfit, sowie neue hohe Schuhe und neue Turnschuhe. Außerdem hatte ich noch zwei neue Jeans und ein paar Oberteile ergattert.

„Du hattest anscheinend zu viel Geld, oder was?“, begrüßte mich Joe nach einiger Zeit.

„Du anscheinend auch“, lachte ich, als ich den Gitarrenkoffer an seiner Seite sah.

„Ja, scheint so“, gab er zu.

„Was ist das für eine?“, wollte ich wissen und ließ mich neben ihn auf den Rand des Brunnens fallen.

„Eine neue Westerngitarre. Eigentlich wollte ich nur neue Saiten für meine andere Gitarre kaufen, aber das Baby hat mich einfach gefesselt“, meinte er schulterzuckend.

„Kann ich sie sehen?“, fragte ich lächelnd.

Fragend sah er mich an.

„Natürlich“, meinte er dann verwundert und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen öffnete er den Koffer.

Hervor kam eine wunderschöne Gitarre mit Stahlseiten. Sie war aus einem schönen dunklen Naturholz.

„Wow, wirklich schön“, sagte ich. „Und spielst du mir jetzt auch etwas vor?“, fragte ich hoffnungsvoll. Ryan hatte ich schon öfters in seinem Zimmer spielen gehört, aber Joe hatte ich noch nie alleine gehört.

„Klar, wenn du willst. Irgendeinen speziellen Wunsch?“

„Nein, entscheide du“, meinte ich und grinste ihn an. Wahnsinn, er spielte wirklich einen Song für mich. Und das vor vielen anderen Leuten. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen.

Zuerst probierte der schwarzhaarige die verschiedenen Seiten aus. Dann setzte er sich gerade hin und fing an ein mir bekannte Melodie zu spielen. Der Sommerhit des letzten Jahres. Das Lied war eines meiner Lieblingslieder, da der letzte Sommer einfach unglaublich war. Jason hatte mich zu jeder Party mitgenommen. Wir waren immer gemeinsam unterwegs und haben so viel Blödsinn gemacht. Außerdem war das der Sommer, an dem wir mit der gesamten Familie Urlaub gemacht haben. Mum war so erschöpft wegen den Zwillingen, also sind wir alle ans Meer gefahren. Das war wirklich ein toller Sommer.

Joe spielte den Song perfekt. Und seine Stimme lang tief und fest dabei. Er coverte den Song so gut, dass sich der Originalsänger verstecken sollte.

Beim Refrain begann ich dann einfach mit zu singen. Den Text konnte ich in und auswendig. Ich hatte mir sogar eigene Choreografien dazu ausgedacht.

Joe lächelte mich an, als ich einstieg. Seine Augen begannen zu strahlen und das grau wurde zu einem flüssigem Karamellton. Die Leute um mich herum hatte ich komplett ausgeblendet. Alles was zählte war der wunderschöne Junge vor mir mit seiner Gitarre und die einzigartigen Töne, die er ihr entlockte. Einfach unglaublich.

Als Joe den letzten Ton verklingen ließ konnte ich nicht anders, als ihn breit an zu grinsen.

„Wow“, murmelte ich.

Die Leute um uns herum begannen zu applaudieren und erst jetzt fiel mir auf, dass sich eine wahre Menschentraube um uns gesammelt hatte. Und als wäre das nicht genug, sahen sie den offenen Gitarrenkoffer als Spendenbox.

Lachend verbeugte ich mich vor ihnen und Joe tat es mir gleich.

Er packte die Gitarre weg und sammelte das Geld ein.

„Wow, wir könnten berühmt werden. Du singst toll, wieso hast du uns das noch nie gesagt?“, fragte er begeistert.

„Weil ich eigentlich nicht so gerne vor anderen Leuten singe“, gestand ich.

„Und was war das dann gerade eben?“, fragte er stirnrunzeln.

„Da war ich abgelenkt“, gab ich zu und wand ihm sofort den Rücken zu. Er musste ja nicht gleich wissen, dass ich von ihm so abgelenkt war. Mal ehrlich, der Junge war perfekt. Er konnte Gitarre spielen, singen und sah aus wie ein Gott. Verdammt war ich verknallt in ihn. Und diese Erkenntnis trieb mir schon wieder die Röte ins Gesicht.

Schnell sammelte ich meine Taschen ein und versuchte mich etwas zu beruhigen. Lächelnd drehte ich mich wieder zu ihm um.

Joe hatte inzwischen seine Gitarre fertig eingepackt.

„Danke, dass du für mich gespielt hast“, meinte ich schüchtern.

„Danke, dass du mitgesungen hast“, entgegnete er und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Verlegen zupfte ich an meinen Taschen herum.

Lachend sah er mich an. „So schüchtern kenn ich dich ja überhaupt nicht“, grinste er und trat einen Schritt zurück. „Na los, lass uns etwas essen gehen“, schlug er vor.

Super. Mist. Ach komm schon, wieso änderte mich dieser Ort hier so? Früher hätte ich die Situation spätestens jetzt klar gemacht, aber nein, ich war schüchtern. Verdammt!

Also folgte ich ihm und versuchte, mein altes Ich wieder hervor zu rufen.

„Was hältst du von einem Eisbecher?“, fragte er.

„Find ich gut. Es ist viel zu heiß zum Essen“, entgegnete ich und band mir meine Haare umständlich zu einem hohen Pferdeschwanz. Cool bleiben, Jenna. Er ist der beste Freund deines großen Bruders, das würde nur Ärger geben.

Wir suchten uns ein gemütlich aussehendes Cafe und setzten uns unter die großen Sonnenschirme.

„Aber das Eis hier ist nicht selbstgemacht“, klärte mich Joe gleich auf.

Lachend nahm ich ihm die Karte aus der Hand.

„Ich werde es überleben“, lachte ich.

Ich suchte mir einen großen Schokoladeneisbecher aus.

„Du gehörst wohl nicht zu den Mädchen, die Kalorien zählen, oder?“, fragte er amüsiert.

„Willst du damit andeuten, dass ich dick bin?“, fragte ich ihn gespielt ernst. Mir war durchaus klar, dass ich alles andere als dick war.

„Ah, das hast du mit anderen gemeinsam“, lachte er.

„Was?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Man macht euch ein Kompliment und ihr kapiert es nicht“.

„Naja, wenn ihr Typen eure Komplimente immer hinter Beleidigungen versteckt“, entgegnete ich.

„Guter Punkt“, lachte er.

Unsere Bestellungen kamen schnell. Und das Eis hier war wirklich lecker.

„Also, wieso singst du nicht gerne vor Publikum?“, fragte er.

„Ich weiß nicht. Ich mag es nicht, wenn mir Leute zusehen. Und alle warten nur darauf, dass ich einen Fehler mache“, gestand ich ihm.

„Aber du hast doch schon bei mehreren Musicalproduktionen mitgemacht, oder?“

„Ja schon, aber da war ich immer auf Beruhigungstabletten“, murmelte ich.

Und Joe hatte nichts Besseres zu tun, als zu lachen. Und zwar laut. Und er konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen.

„Also…Du nimmst Drogen… vor deinen Auftritten?“, japste er und rieb sich die Lachtränen aus dem Gesicht.

Ich sah ihn ruhig an.

„Findest du das etwa lustig?“, fragte ich und zog meine Augenbrauen in die Höhe. Eigentlich fand ich das eher traurig. Und nur ein wenig lustig. Ein ganz kleines bisschen. Aber es wurde immer lustiger, wenn ich Joe so zu sah, wie er fast an seinem Eis erstickte vor lauter Lachen.

Irgendwann fing ich dann auch an zu grinsen. Verdammt, dieser Typ war einfach unmöglich.

Als er sich nach einer halben Ewigkeit wieder beruhigt hatte sah er mich an.

„Die pumpen dich wirklich mit Drogen voll, nur damit du auf der Bühne stehst. Wow, ich meine, ich habe dich gerade singen gehört, du bist wirklich toll“, sagte er.

„Ach komm schon, in meiner damaligen Schule gab es viel bessere Sänger als mich. Aber ich musste da durch, um meinen Abschluss zu machen. Tanzen war kein Problem für mich. Ich schrieb auch eigene Stücke und macht Choreografien, komponierte Songs und so. Ich kann auch schauspielern vor Publikum. Aber beim Singen bekomme ich immer kalte Füße“, gestand ich.

„Das kann man aber üben, weißt du“

„Ja klar. Aber es war mir nie wichtig genug. Ich habe mich immer aufs Tanzen konzentriert“.

„Und was machst du dann bei eurem Musical?“, fragte Joe interessiert.

„Nur die Choreo. Ich werde mich sicher nicht auf die Bühne stellen“, stellte ich sofort klar.

„Wieso nicht? Das würde deiner Meli sicher helfen“, meinte er.

„Ja klar. Ich helfe ihr ja schon mit der Choreo, außerdem suche ich ihr eine Band und genug Tänzer, die außerdem noch halbwegs schauspielern können. Auch wenn sie mich gerne als Hauptperson gehabt hätte, das mache ich nicht“, meinte ich stur.

„Schon gut, ich habe ja nur gemeint. Also sitzt du dann bei der Premiere im Publikum und siehst uns zu, wie wir die Bühne rocken“, lachte Joe.

„So hatte ich das geplant, ja“

Genau so würde ich das machen. Ich würde mir ein schönes Kleid anziehen und mir das ganze vom Publikum an sehen. Ich würde einfach die anderen für mich arbeiten lassen.

Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja überhaupt kein angemessenes Kleid für eine Musicalaufführung hatte.

„Mist, mir ist gerade eingefallen, dass ich noch mal in ein paar Shops muss. Wär das ein Problem für dich?“, fragte ich ihn zerknirscht.

„Nein, ist okay. Gehen wir jetzt gemeinsam Unterwäsche kaufen? Ich dachte wir wären noch nicht so weit, aber ich kann damit leben“, entgegnete er sarkastisch und grinste mich an.

„Ja klar, sonst noch was?“, fragte ich und deutete ihm den Vogel.

Joe lud mich auf das Eis mit dem Geld, das wir verdient hatten, ein und dann verließen wir das kleine Cafe.

Gemeinsam steuerten wir auf den nächsten Designershop zu.

„Du stehst auf Markenklamotten?“, fragte er mich amüsiert.

„Eigentlich ist mir das ziemlich egal, aber bei Kleidern haben die Markenshops meistens mehr Auswahl“, erklärte ich ihm fachmännisch. Tja, hier war eine Frau am Werk. Wir verstanden unseren Job: das Einkaufen.

Nachdem ich einen Verkäufer nach dem Weg gefragte hatte, fanden wir schnell die Abendgarderobenabteilung. Ein weiterer junger Verkäufer kam auf uns zu.

„Guten Tag. Kann ich ihnen helfen?“, fragte er und lächelte mich freundlich an.

„Äh, nein danke, ich sehe mich nur um“, entgegnete ich freundlich.

Die waren immer alle so aufdringlich.

Mein Problem war, dass ich mich nie entscheiden konnte. So kam es, dass ich gleich mit sechs verschiedenen Kleidern in einer geräumigen Umkleidekabine verschwand. Und dann kam das große Problem. Drei sortierte ich gleich wieder aus, aber zwischen den anderen drei konnte ich mich einfach nicht entscheiden.

„Na komm schon Jenna, zeig her“, meinte Joe vor dem Vorhang.

„Na gut. Aber du musst mir dann ganz ehrlich deine Meinung sagen. Und nicht lügen, nur weil du mich ins Bett kriegen willst“, meinte ich lachend.

„Aye, aye, Mám“, lachte er.

Ich rückte das dunkelblaue Kleid zurecht und trat vor den Vorhang. Das Kleid war wunderschön. Es war ein samtenes Band um die Teile, an dem glitzernde Steine angemacht waren. Es ging mir bis zu den Knöcheln und hatte seitlich einen Schlitz bis hinauf zur Hüfte.

Joe stand vor mir und starrte mich an. Es dauerte ein bisschen, bis er sicher wieder gefangen hatte. Sofort überspielte er seinen schmachtenden Gesichtsausdruck, was mir ein Lächeln entlockte.

„Was sagst du?“, wollte ich wissen.

„Nicht schlecht. Aber ich will die anderen auch noch sehen, damit ich urteilen kann“, sagte er fachmännisch.

„Natürlich der Herr“, lachte ich und verschwand wieder hinter dem roten Vorhang.

Ich schälte mich umständlich aus dem Kleid und zog ein dunkelgraues Stück Stoff an. Das Kleid war wirklich sehr schon. Es ging mir ein bisschen bis über die Knie und war unten gebaucht. Der Ausschnitt war mit kleinen, schwarzen Blumen und Ranken um stickt. Und es waren mehrere verschiedene Schichten Stoff übereinander, weshalb es sich wirklich toll auf der Haut anfühlte.

Joe klappte der Mund auf, als ich wieder hervor trat. Diesmal fing ich laut zu lachen an.

„Gefällt es dir?“, fragte ich lachend.

„Wow, das ist… wow“, sagte er geistreich.

„Gut, das kommt dann mal in die engere Auswahl“, beschloss ich und zog mich ein letztes Mal um. Das letzte Kleid war schwarz. Es ging mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel und hatte graue Stickereien über den Rock verteilt. Das Oberteil bestand aus hauchdünnem Stoff, welcher leicht zusammengerafft war, sodass kunstvolle Falten entstanden.

„Du machst mich fertig“, gestand Joe, als ich wieder vor ihn trat und er die Augen nicht von mir lassen konnte. Vielleicht sollte ich öfter mit ihm einkaufen gehen, das baute mein Selbstbewusstsein auf.

Und welches gefällt dir jetzt am besten?“, fragte ich und drehte mich vor ihm im Kreis.

„Wieso nimmst du nicht alle drei?“, fragte er mich und schüttelte noch immer leicht den Kopf.

„Weil das zu teuer wird“, entgegnete ich.

„Okay. Dann bin ich für das zweite. In dem siehst du wirklich, verdammt heiß aus“, sagte er und lächelte mich richtig süß an.

„Dankeschön“, meinte ich und verschwand schnell wieder hinter dem Vorhang. Mein Gesicht war knallrot und meine Hände schwitzten.

Es dauerte seine Zeit, bis ich mich wieder aus dem Kleid geschält hatte.

Nachdem ich bezahlt hatte schlenderten wir zum Auto.

„Freut mich, dass du mich mitgekommen hast“, sagte ich, als wir beim Auto ankamen.

„Mich auch. War lustig mir dir, das können wir ruhig öfter machen“, lachte er.

„Oh wow, das hört sich so richtig nach Date an“, lächelte ich und verstaute meine Taschen im Kofferraum.

„Wieso denn nicht?“, fragte er und lächelte wieder sein süßes Lächeln, bei dem sich ein kleines Grübchen in seiner linken Wange bildete.

„Meinst du, Ryan würde das stören?“, fragte ich unsicher.

„Ach komm, dein Bruder ist überfürsorglich, ich dachte, das hätten wir schon geklärt“, lachte er. „Aber wenn du nicht willst, ist das schon okay“, warf er schnell ein und drehte sich weg, um ein zu steigen.

Schnell ließ ich mich auf den Nebensitz fallen.

„Ich würde gerne mit dir ausgehen“, murmelte ich.

Joe startete mit einem Lächeln den Motor.

Den ganzen Rückweg über waren wir still. Aber es war diese angenehme Stille, bei der man nicht einmal einen Radio brauchte.

„Wir sehen uns morgen beim Crash Car Rennen, oder?“, fragte er, als er vor meiner Haustür hielt.

„Klar“, sagte ich und stieg aus.

„Ach und Joe“, sagte ich noch, bevor ich die Autotür zuschlug.

„Hm?“, machte er und beugte sich rüber, um mich besser sehen zu können.

„Danke“, sagte ich und lächelte ihn an.

„Kein Problem“, entgegnete er.

 

 

Kapitel 12 - Take care over drunken people

 „Was habt ihr heute vor?“, fragte Dad, während wir beim Frühstückstisch saßen.

„In der Stadt findet ein Crash Car Rennen statt, da fahren wir mit“, klärte mein Bruder ihn auf.

Ich saß einfach nur da und aß mein Müsli, sollten die beiden das unter sich ausmachen.

„Ist das nicht gefährlich?“, wollte Dad dann auch gleich wissen.

„Nein, gar nicht“, warf Ryan sofort ein. „Das sind nur alte Autos, die im Kreis fahren, mehr nicht“.

„Und Jenna geht auch mit?“, fragte er und sah fragend zu mir.

Ich nickte. „Ja, aber ich setzt mich sicher nicht in so ein Ding hinein“, sagte ich sofort. Ich hatte Prioritäten. Und am Leben bleiben stand ganz oben.

„Na gut“, willigte Dad dann schließlich ein. „Ich kann euch ja trotzdem nicht davon abhalten“, lachte er.

„Da hast du leider Recht, Dad“, grinste mein Bruder.

„Was machst du heute?“, fragte ich ihn.

„Ich bin mir noch nicht so sicher, aber vielleicht fahre ich mit Sonja an den See. Es ist verdammt heiß heute“, sagte mein Vater.

„Das ist eine gute Idee. Das könnten wir nachher auch noch machen“, schlug ich Ryan vor.

„Wenn du willst“, willigte der bereitwillig ein. „Kommst du heute Abend mit in den Club?“ Ryan blinzelte mich aus noch verschlafenen Augen an, während er seine Cornflakes in sich hinein schaufelte.

„Nein, sorry. Ich gehe heute wieder mit Dana tanzen“. Dana hatte mir heute Morgen eine sms geschrieben, dass wieder eine Tanzprobe anstand. Und da ich fachmännische Ideen gut gebrauchen konnte, hatte ich zugesagt. Bei Gelegenheit würde ich dann auch gleich Tänzer anwerben. Sie mussten zwar alle mit nach San Franzisco kommen, aber das wird ihnen sowieso egal sein. Wann hatte man schon die Chance bei einem großen Musical mit zu wirken.

„Schade, schade. Ich habe das Gefühl, als hätte sich Joe gefreut“, sagte er und sah mich dabei mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Sofort verschluckte ich mich an meinem Müsli und begann röchelnd zu husten.

Lanched schlug Ryan mir auf den Rücken.

„Keine Selbstmordversuche, Schwester“, grinste er.

Als ich mich wieder beruhigt hatte, versuchte ich eine ungläubige Mine aufzusetzen. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich mit unschuldigem Ton.

„Nur so“, entgegnete er und schaufelte weiterhin lachend sein Frühstück.

Verwirrt ließ ich den Löffel in die Milch fallen.

„Wie war euer Ausflug in die Stadt?“, fragte er dann weiter.

Argwöhnisch sah ich ihn an. „Nett?“, antwortete ich.

„Aha, nett also“, sagte er und versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.

Okay, hier musste dringend ein Themenwechsel her.

„Kann ich dir die Noten für die Songs von Jenna mitgeben? Dann könntet ihr schon einmal probieren, wie das Ganze dann in einer Band klingt.“

„Klar. Ich bin gespannt, wie Meli sich das vorstellt“, nuschelte er kauend.

„Ja, ich auch“, lachte ich.

Nachdem wir beide mit dem Frühstück fertig waren, fuhren wir zum Crash Car Rennen. Es war ein Out-Door Rennen und es waren bereits ziemlich viele Leute da, als wir eintrafen.

Die Jungs waren schon mit den Autos beschäftigt. Sie hatten sie in verschiedenen Farben angesprüht und einiges an den Gefährten verändert.

Das Rennen an sich war für mich nicht besonders spannend, da ich ja nicht selbst in so einem Ding saß. Also hatte ich genug Zeit Mara auszufragen, wie es ihr mit Daniel ging.

„Ich weiß nicht so recht. Manchmal glaube ich, dass er mich auch mag, aber dann wiederum bin ich mir nicht mehr so sicher.“

Verstehend nickte ich.

„Soll ich ihn mal aushorchen? Keine Sorge, ich mach das auch ganz unauffällig“, versprach ich ihr.

Mara verzog unsicher das Gesicht.

„Naja, ich weiß nicht. Was ist, wenn mir die Wahrheit nicht gefällt. So wie es jetzt ist kann ich mir immerhin noch einreden, dass irgendwann mal etwas aus uns wird“, murmelte sie und nahm einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche.

Tadelnd sah ich sie an. War das ihr ernst?

„Ach komm schon! Willst du wirklich in der Ungewissheit sterben? Was, wenn er genauso auf dich steht und ihr ein glückliches Paar abgegeben hättet?“, versuchte ich ihr Mut zu machen.

„Und was ist, wenn er in Wirklichkeit auf einen andere steht?“, seufzte sie traurig.

„Wer bitte findet dich nicht scharf, sieh dich doch einmal an?“, fragte ich sie und deutete mit der Hand auf meine Freundin. Sie sah wirklich heiß aus in ihrem knappen Sommerkleid und den Flip Flops. Ihre Haare hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und einige Strähne fielen ihr spielend ins Gesicht.

„Also bitte, wenn ich nicht absolut hetero wäre würde ich sofort mit dir ins Bett springen“, meinte ich und grinste sie zwinkernd an.

Mara lachte und ich hatte mein Ziel erreicht.

„Wenn du es sagst, muss mindestens zwanzig Prozent Wahrheit dran sein“, sagte sie.

„Nur zwanzig Prozent?“, empörte ich mich lautstark. „Bin ich nicht die vertrauenswürdigste Person der ganzen Welt?“

„Eher nicht so. Wenn du jemanden nicht verletzten willst, lügst du ihm ins Gesicht“, stellte sie nüchtern fest.

Fragend sah ich sie an. „Tu ich das?“ Mir war das noch nie so direkt aufgefallen.

„Ja, aber du meinst es gut. Tief in deinem Inneren hast du eine gute Seele. Nach Außen hin bist du… naja“, sagte sie und grinste mich an.

„Ich bin auch nach Außen hin nett“, knurrte ich und verschränkte die Arme.

„Natürlich“, sagte Mara sarkastisch.

„Tz, dann helfe ich dir eben nicht“, meinte ich eingeschnappt.

Mara lachte. „Du kannst sowieso nicht sauer sein auf mich. Das hältst du nicht lange durch“, grinste sie.

Und da hatte sie leider recht. Wenn ich nicht einen absolut triftigen Grund hatte, auf eine Person sauer zu sein, dann konnte ich es auch nicht.

„Na gut“, ergab ich mich.

„Komm, lass uns zu den Anderen gehen. Mal sehen, wie das Rennen gelaufen ist“.

Die Jungs waren zwar nicht erster geworden, aber hatten dennoch einen Platz weit vorne ergattert.

Nach dem allgemeinem Herumgekreische und Gejubel gingen wir noch in eine kleine Bar, um den Sieg zu feiern.

 

„Jenna, Dana ist hier“, ertönte Ryans Stimme von unten.

„Komme gleich“, rief ich laut zurück und suchte noch schnell meine Tanzklamotten zusammen. Laut polternd lief ich die Treppe nach unten und winkte Dana kurz zu, die mit genervter Miene in unserem Vorhaus stand.

„Bin gleich so weit“, sagte ich und holte mir aus der Küche meine Wasserflasche.

„Okay, wir können los“, sagte ich lächelnd und leicht außer Atem.

„Welch eine Freude“, meinte sie sarkastisch.

Lachend folgte ich ihr zum Auto.

„Wie geht’s?“, fragte ich sie, als ich mich auf den Beifahrerautositz fallen ließ.

„Gut“, murmelte Dana und parkte aus.

„Hört man gerne. Ich freue mich schon auf die Tanzstunde. Mittlerweile fehlt mir das Tanzen“, sagte ich.

„Man, bist du heute gesprächig“, meinte sie nur und setzte sich ihre Sonnenbrille auf die Nase.

„Ja, ich weiß. Wieso sind die Tanzstunden so unregelmäßig?“, fragte ich interessiert.

„Weil Marie nebenbei Literatur studiert und keine Zeit hat“.

„Und wieso macht ihr nicht ohne sie etwas?“, wollte ich wissen.

Dana warf mir einen genervten Blick zu.

„Weil es ihr Tanzkurs ist. Glaubst du etwa, mir gefällt es, dass ich nur so selten Tanzunterricht bekomme?“, brummte sie.

„Dana, du bist eine herausragende Tänzerin, du kannst doch selbst Unterricht geben“, schlug ich vor.

„Du sparst heute aber auch nicht mit Komplimenten, willst du irgendwas von mir, oder was ist los mit dir?“, fragte sie und sah mich argwöhnisch aus den Augenwinkeln an. Tja, Eisprinzessin durch und durch. Sie musste aufpassen, dass sie bei diesen Temperaturen nicht davon schmilzt.

„Naja, also, wenn du schon so fragst…“, begann ich. Ich hatte mir überlegt, dass ich noch mindestens zwanzig Tänzer brauchte. Und da ihr hier noch sehr wenig Leute kannte, musste mir ein Profi helfen. Und wer war da besser geeignet als die Schulzicke schlecht hin?

„Ich habe dir doch von dem Musical erzählt, dass eine Freundin von mir aufführt. Ich brauche Tänzer. Und ich brauche jemanden, der mir mit der Choreo hilft. Und da ich fast niemanden kenne habe ich an dich gedacht“, sagte ich und sah sie fragend an.

Dana runzelte die Stirn. „Ich bin also deine Notlösung, oder wie?“, wollte sie wissen.

„Im Prinzip, ja“, gab ich ehrlich zu. „Aber ich hätte dich nie gefragt, wenn du nicht ausgezeichnet tanzen könntest“, schob ich noch nach.

Man konnte fast beobachten, wie Dana nachdachte. Wie sie alle Möglichkeiten in ihrem Kopf durch spielte.

„Ich soll also deine Assistentin sein, oder wie?“, fragte sie nach einiger Zeit des Schweigens.

„So würde ich das nicht nennen. Ich bin für die Choreografie, die Tänzer und die Band verantwortlich. Ich brauche noch einige Tänzer und habe noch nicht mal annähern die ganze Choreo. Also wir würden die Choreografie gemeinsam entwerfen und dann Tänzer suchen und ihnen alles beibringen“, erklärte ich ihr.

„Hört sich einigermaßen fair an“, meinte sie verwundert.

„Natürlich. Ich weiß nicht, wie viel Meli dir bezahlen kann, für die Arbeit, aber das kann ich dir erst nach der Aufführung sagen“.

„Bezahlung gibt’s auch?“, fragte sie verwundert.

„Klar“

„Gut, ich bin dabei. Aber nicht nur wegen dem Geld, wenn du das jetzt glauben solltest“, sagte sie dann und die Andeutung eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen.

„Cool“, sagte ich erfreut.

 

Während der Tanzstunde versuchte ich mir so viele Schritte und Moves von Marie zu merken, wie es nur ging. Sie war auch eine begabte Tänzerin und ich wollte sie später fragen, ob sie nicht auch Zeit hätte, beim der Aufführung mit zu tanzen.

Marie brachte mich allerdings auch ziemlich ins Schwitzen, denn sie suchte keine leichten Schritte für uns heraus.

„Ich will euch schwitzen sehen! Ein bisschen Herumhüpfen kann doch jedes kleine Kind!“, forderte sie die ganze Zeit. Das schien so etwas wie Maries Leitspruch zu sein.

„Woher kannst du das alles?“, fragte ich sie in eine der Pausen.

„Meinem Dad. Er hat mir ziemlich viel beigebracht“, sage sie mit einem Lächeln.

„Nicht schlecht“, meinte ich nur.

Dana nutze gleich die erste Pause um eine Ansprache vor der ganzen Tanzgruppe zu machen.

„Hei Leute, hört mal kurz her“, rief sie laut und die Gespräche der Andern verstummten nach und nach.

„Falls ihr Lust habt, bei einer großen Musicalaufführung zu tanzen, könnt ihr euch bei Jenna oder mir melden. Allerdings müsst ihr damit rechnen, viel Zeit und Aufwand zu investieren, das wird kein Zuckerschlecken“, sagte sie.

Sofort brach Gemurmel unter den Anwesenden aus.

Ich war begeistert, von Danas Engagement. In der Schule mochte sie die kalte Prinzessin sein, aber wenn sie sich für etwas einsetzte, schien sie voll dabei zu sein.

„Wo ist diese Aufführung“, fragte ein blondes Mädchen.

„In San Franzisco, an meiner alten Schule“, warf ich ein.

„Das ist ziemlich weit weg“, meinte eine andere.

„Ich weiß. Aber das ist es wert. Meine Freundin führt keine kleinen Musicals auf. Entweder groß oder gar nicht“, zitierte ich Meli.

„In einer Woche gibt es ein Vortanzen. Ihr seid alle recht herzlich dazu eingeladen. Und das mit der Entfernung regeln wir natürlich auch“, sagte Dana und hatte somit einen Termin für ein Vortanzen angesetzt.

Ich spürte beinahe, wie die Anspannung von mir abfiel. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der mir einen Teil der Arbeit abnahm.

 

Samstagabend, nachdem ich vom Tanzunterricht zurückkam, fand ich das Haus verlassen vor. Ryan war mit den Jungs in einem Club Party machen und Dad war wohl noch immer mit Sonja unterwegs. Ich beschloss kurzerhand ins Bett zu gehen, da mir von dem vielen tanzen meine, noch leicht lädierten, Bauchmuskeln wehtaten. Mitten in der Nacht wurde ich dann von einem lauten Poltern geweckt. Zuerst hatte ich riesige Angst, dass ein Einbrecher oder Mörder im Haus war. Jedoch wurde mir ganz schnell bewusst, dass es sich nur um Ryan handeln konnte, der nach Hause kam. Also machte ich mir nicht die Mühe leise zu sein und polterte die Treppe nach unten. Und in der Küche saßen sie alle. Ryan, der im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchte. Danny, der mit dem Kopf auf beiden Armen am Küchentisch schlief. Leo, der mit einer halbvollen Wodkaflasche am Boden saß, keine Ahnung wieso er sich nicht einfach auf einen der freien Stühle gesetzt hatte. Joe, der nur in Boxershorts und halb zugeknöpftem Hemd auf einem Stuhl saß und mühsam versuchte, die Knöpfe an seinem Hemd richtig zuzuknöpfen. Und Daniel, der am nüchternsten von allen in den Regalen herum kramte.

„Na ihr“, begrüßte ich sie. Ryan schreckte auf und stieß sich den Kopf am Kühlschrankfach. Wieso musste er auch so tief hinein kriechen? Der halbe Inhalt des Kühlschrankes ergoss sich über ihm. Fluchend hielt er sich den schmerzenden Kopf.

„Jennaaa!“, rief Leo erfreut und prostete mir mit seiner Flasche vom Boden aus zu. Erfreut versuchte er aufzustehen, landete aber nur unsanft auf seinem Hintern.

„Was machst du denn noch hier unten?“, nuschelte mein Bruder und hielt sich noch immer seinen Kopf.

„Ihr ward nicht gerade leise“, meinte ich, allerdings kein bisschen vorwurfsvoll.

„Sorry“, nuschelte Joe und grinste mich an, seine Hände noch immer verzweifelt an seinem Hemd herumfuchtelnd.

„Was machst du da eigentlich?“, fragte ich Ryan und half ihm, sich auf einen Stuhl zu setzen. Nach einigen Versuchen hatten wir es dann endlich geschafft. Ryan seufzte zufrieden. „Ich suche Essen. Aber das Essen ist weg“, lallte er.

„Wieso ist das Essen weg?“, wollte ich verwirrt wissen.

„Weg. Einfach so weg, wenn ich es am Dringendsten brauchte. Kein Verlass auf Essen“, murmelte er müde.

Lachend räumte ich die verstreuten Lebensmittel wieder in den Kühlschrank ein.

„Soll ich dir was zu essen machen?“, fragte ich ihn belustig.

„Oh ja, bitte!“, rief er erfreut aus.

„Sonst noch jemand?“

So wie es aussah, wollten alle etwas zu Essen.

Ich entschied mich kurzerhand für Pancakes. Die gingen schnell und waren einfach zu machen.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Daniel und hielt mir eine Packung Mehl entgegen.

„Ja, gern“, sagte ich. Wenigstens einer, der sich nicht komplett weggeschossen hatte heute Abend.

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte ich nebenbei, während ich in einer Schüssel herumrührte.

Daniel kramte umständlich sein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf.

„Kurz nach vier Uhr“, sagte er.

Puh, ganz schön spät. Zum Glück ist morgen keine Schule.

„Wusstest du, dass die Clubs hier um vier Uhr einfach schließen?“, fragte Leo vom Fußboden aus.

Ich drehte mich halb zu ihm um und musterte den betrunkenen Kerl zu meinen Füßen.

„Ja, das war mir klar“, lächelte ich.

„Mir nicht. Wieso sagen sie mir so etwas Wichtiges nicht?“, meinte er nuschelnd.

„So etwas ist Allgemeinwissen“, spottete ich.

„Schon klar. Nur weil du nüchtern bist, musst du nicht gleich so gemein sein“, entgegnete er grummelnd.

Seufzend trank Daniel aus einem Glas Wasser.

„Es ist wirklich anstrengend mit dem Haufen da“, meinte er und verdrehte die Augen.

„Wieso bist du nicht in demselben Zustand wie sie?“, fragte ich.

Daniel zuckte mit den Schultern.

„Keine Lust“, war seine kurze Antwort.

Schien wohl auch schon etwas müde zu sein, der werte Herr.

Schweigend kochten wir fertig und servierten den Jungs die dampfenden Pancakes.

„Esst auf, dann bring ich euch nach Hause“, sagte Daniel und ließ sich neben Ryan fallen.

„Bist du nüchtern?“, wollte ich sofort wissen.

„Nein, aber…“, fing er an, doch ich unterbrach ihn sofort.

„Du fährst sicher nicht!“, rief ich aus.

Wieso mussten Typen immer so schwer von Begriff sein?

„Ach komm, bis hierher haben wir es auch geschafft“, entgegnete er und fuhr sich durch die blauen Haare.

„Ja und? Ich bin doch nicht so bescheuert und lass dich euer Leben aufs Spiel setzen. Ihr könnt hier schlafen.“, bot ich sofort an.

„Die paar Meter“, sagte er sauer.

„Du fährst nicht mehr“, meinte ich ebenfalls wütend.

„Na gut, na gut“, sagte er und hob beide Hände. „Und wo willst du uns alle unterbringen?“

„Das kriegen wir schon hin. Bei Ryan im Zimmer kann jemand auf der Couch schlafen und bei mir auch. Im Gästezimmer ist ein Bett und im Wohnzimmer auch“, schlug ich vor.

„Ich schlaf bei dir“, sagte Joe und grinste mich an. Das Zuknöpfen seines Hemdes hatte er aufgegeben.

„Von mir aus“, sagte ich. Bei einem besoffenen Joe war es mir ziemlich egal. Jeder ist eine komplett andere Person, sobald er Alkohol getrunken hatte.

„Gut, dann geh ich ins Wohnzimmer. Leo ins Gästezimmer und Danny kommt zu Ryan“, teilte Daniel die Jungs ein.

„Toll, ich bekomm den Besoffenen“, beschwerte sich Ryan und stupste den schlafenden Danny mit der Gabel in den Arm.

„Als ob du nüchtern bist“, warf ich ein.

„Das war noch nicht so kompliziert als ich noch keine Schwester hatte. Da konnte ich mir noch einreden, dass ich nüchtern war“, lachte er.

„Tja, Pech gehabt“, sagte ich und wuschelte ihm durch die Haare. „Ich geh jetzt schlafen. Schafft ihr den Rest alleine?“, fragte ich und deutete auf das leere Geschirr. Allerdings bezweifelte ich, dass sie noch dazu fähig waren, die Sachen in die Spülmaschine zu räumen.

„Alles klar, Frau Kommissar“, lachte Leo.

„Ich komm gleich mit“, lallte Joe und erhob sich. „Unsere erste gemeinsame Nacht“, meinte er aufgeregt und legte sich eine Hand aufs Herz, so als ob er diesen Moment für immer festhalten wollte.

„Ja, klar“, entgegnete ich. Na, dass konnte etwas werden.

 

„ Und wieso genau muss ich jetzt auf der Couch schlafen?“, beschwerte sich Joe und stampfte mit dem Fuß auf wie ein kleines Kind.

„Weil ich dir sicher nicht mein Bett überlasse und selbst auf der Couch schlafe“, entgegnete ich und kramte Reservebettwäsche aus meinem Schrank.

„Ach komm schon, du kannst doch nicht so herzlos sein“, quengelte Joe und sah mich aus aufgerissenen Augen an.

„Ich bin herzlos. Es ist vier Uhr morgens und ich will noch schlafen, also mach es dir so bequem wie möglich“, sagte ich und schmiss das Bettzeug auf meine ausgezogene Couch.

Seufzend machte er ein paar Schritte auf mich zu und legte seine Hände auf meine Schultern.

Er sah mir in die Augen und zog mich zu sich heran.

„Meine allerliebste Jenna. Du wirst mich doch wohl nicht auf diesem unbequemen Ding schlafen lassen, wenn in deinem herrlichen Bett mindestens zwei Personen Platz haben. Außerdem magst du mich doch bestimmt viel zu gerne, als dass du mir die harte Couch zumutest, oder etwa nicht?“, lallte er.

Seine Augen strahlten mich an und ich musste mich räuspern, bevor ich ihm antworten konnte.

„Du bist betrunken, Joe. Und ich will auf keinem Fall, dass du dich in mein Bett übergibst“, sagte ich. Faule Ausrede, ich weiß. Aber ich war in diesen Trottel nun einmal ein ganz klitzekleines bisschen verknallt und ich wollte nicht, dass er betrunken in meinem Bett schlief. Wenn er nüchtern war, konnten wir gerne noch einmal darüber diskutieren.

„Du bist wirklich gemein und herzlos und gemein“, sagte er und drehte sich schmollend weg.

„Ich weiß“, seufzte ich und machte das Licht aus. Fast bereute ich es ein bisschen, dass ich ihm nicht erlaubt hatte, bei mir zu schlafen. Aber nur fast.

Schnell schlüpfte ich unter meine Decke und kuschelte mich in die wohlige Wärme.

„Weißt du was?“, ertönte Joes Stimme aus der Dunkelheit.

Die Couch gab ein leises, quietschendes Geräusch von sich, als er sich darauf fallen ließ.

„Was denn?“, wollte ich gähnend wissen.

„Wieso bist du heute Abend nicht mitgekommen?“, fragte er und seine Stimme wurde immer leiser.

„Weil ich tanzen war“, antwortete ich und drehte mich auf den Rücken. Ich starrte an die Decke, an der viele kleine Leuchtsterne angebracht waren.

„Du versetzt mich wegen Tanzunterricht?“, fragte er schockiert.

„Ja“, war meine leise Antwort. Tanzen oder Joe? Was war das denn für eine Frage?

„Aber wir gehen trotzdem irgendwann aus. Dafür sorge ich schon.“, sagte er nuschelnd. Nur wenige Minuten später ertönten leise Schnarch Geräusche.

Kapitel 13

 Mein Handy weckte mich pünktlich um sechs Uhr dreißig. Murrend schaltete ich es aus. Wieso genau war ich noch so müde? Ah ja, nächtliche Fressaktion für meinen Bruder und deren Freunde planen, das war der Grund. Apropos Freunde meines Bruders. Vorsichtig hob ich meinen Kopf und lugte unter der Decke hervor. Und da lag er. In Boxershorts und leicht verdreht lag Joe auf meiner Couch und vollführte einen Schnarch Marathon. Wie genau konnte ich bei diesem Lärm nur schlafen?

Seine Haare klebten ihm im Gesicht und sein Hemd war hoffnungslos verrutscht. Schnell wandte ich den Blick ab. Wir wollen doch nicht am frühen Morgen schon zu sabbern beginnen.

Ich schälte mich vorsichtig aus dem Bett und raffte meine Sportklamotten zusammen. Bevor ich das Zimmer verließ, öffnete ich noch schnell ein Fenster. Der Geruch hier drin ging hoffentlich nicht von mir aus.

Ich zog mich im Badezimmer an und band mir die Haare hoch. Im Haus war es noch verdächtig still, also war vermutlich noch nicht einmal Sonja da.

Als ich die Küche betrat, um mir ein Glas Wasser zu holen, bemerke ich das Chaos auf dem Küchentisch. Seufzend suchte ich ein Stück Papier und einen Stift aus den Schubladen und schrieb Sonja eine Nachricht, dass ich das Chaos beseitigen werde, sobald ich zurück bin, und sie ja nichts wegräumen soll. Wär ja noch schöner, wenn sie den Krempel der Jungs verräumen musste.

Nachdem ich mir meine Sportschuhe zugebunden hatte, begann ich langsam zu laufen. Der Tag heute war schön. Die Sonne schien, aber es hatte noch eine angenehme Temperatur. Und das laufen tat gut. So hatte ich endlich einmal genug Zeit, um über alles nach zu denken. Um gleich einmal beim Hauptthema anzufangen: Verdammt, ein halbnackter Joe lag in meinem Zimmer herum. Und was mache ich? Ich gehe joggen! Na gut, ist vielleicht der beste Weg. Ich bezweifle nämlich, dass er sich an seine gestrigen Worte noch erinnern konnte. Okay, er wollte mit mir ausgehen. Aber das war mir ja nicht unbekannt. Das hatte er mich schon einmal gefragt, und ich hatte zugesagt. Freudig hüpfte ich ein paar Schritte, bevor ich wieder in meinen Laufschritt verfiel.

Also konnte es sein, dass Joe mich auch mag. Und es klang nicht einmal so, als würde er mich nur als die Schwester seines besten Freundes ansehen. Es wirkte wirklich so, als wenn er an mir, Jenna, interessiert wäre. Das war cool. Das war wirklich cool! Vielleicht hatten wir ja eine echte Chance hier? Aber vorher musste ich ihn erst einmal dazu kriegen, auf ein Date mit mir zu gehen.

Ich lief am alten Schwimmbad vorbei. Hier wollte Ryan mit mir eigentlich einmal auf eine Party gehen. Tja, die Gelegenheit hat sich leider noch nicht ergeben. Eine Party in einem leeren Schwimmbecken, das stellte ich mir eigentlich ganz cool vor. Immerhin waren hier rund herum keine Nachbarn, die sich wegen der Musik beschweren könnten. Und falls doch, wäre es auch ziemlich egal.

Im Park begegneten mir zwei Mädchen, die so aussahen, als kämen sie gerade direkt von einer Party. Schmunzelnd stellte ich fest, dass eine davon Selena war. Ihre Wimperntusche klebte ihr noch im Gesicht und ihre Haare standen in alle Richtungen weg.

„Morgen“, begrüßte ich die Beiden und joggte an ihnen vorbei. Das eine Mädchen starrte mich nur fragend an, währen Selena nur auf der Bank saß und sich den Kopf hielt. Hatte wohle eine harte Nacht hinter sich. Unfassbar, wie sich zwei beste Freundinnen auseinander leben konnten.

Nach einigen Metern fiel mir der kleine Teich auf, den sie neu angelegt hatten. Er schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne und ein paar Enten schwammen fröhlich herum. Ich trat näher und gab mir Mühe, die Tiere nicht zu erschrecken. Vorsichtig ließ ich mich am Rand nieder und streifte mir die Schuhe und Socken von den Füßen. Das Wasser war eiskalt und umschloss meine Füße sofort. Ich zog die Luft scharf ein, bevor ich mich an die Kälte gewöhnt hatte.

Ich musste mir Gedanken über die Choreos machen, denn mir lief schön langsam die Zeit davon. Gott sei Dank half mir Dana, überraschender Weise. Ich hätte es ihr wirklich nicht zu getraut, aber sie schien echt daran interessiert zu sein. Vielleicht war es aber auch nur das Geld, das am Ende auf sie wartete, so genau konnte ich das nicht sagen.

Ryan und die Band übten schon fleißig die Songs, die ich ihnen gegeben hatte. Mein Bruder sagte, dass sich das Ganze gar nicht so schlecht anhörte. Hier und da fehlte noch der Feinschliff, aber Meli hatte beim Komponieren an alle Instrumente gedacht und so mussten sie nicht weiß Gott wie viel Kreativität einbringen, um die Engstellen zu überwinden.

Für einen Song hatte ich schon die Tanzschritte, es fehlten also nur noch dreizehn andere. Zum Glück hatte ich die Geschichte noch im Kopf, sodass es mir eigentlich leicht fallen müsste. Ich nahm mir vor, mich gleich nach dem Frühstück an die Arbeit zu machen. Also zog ich mir meine Schuhe wieder an und joggte nach Hause.

 

Als ich die Küche betrat, stand Sonja, mit in die Hüften gestemmten Händen, vor dem Küchentisch und starrte auf das Chaos.

„Guten Morgen! Ich räume das sofort weg“, begrüßte ich sie und machte mich gleich daran die benutzen Teller auf einen Stapel zu schlichten.

„Guten Morgen. Wieso räumst du das weg und nicht dein Bruder?“, fragte sie verwirrt. Ein paar Strähnen hatten sich bereits aus einem Knoten an ihrem Hinterkopf gelöst und umrahmten ihr rundes Gesicht. Sie trug heute eine graue Latzhose, kombiniert mit einem lässigen, roten Hemd. Eigentlich sah Sonja noch gar nicht so alt wie Dad aus.

„Ich habe für sie gekocht“, erklärte ich ihr schlicht.

„Und das freiwillig? Also mir wären diese betrunkenen Affen zu viel Arbeit gewesen. Ich hätte sie verhungern lassen“, meinte sie nur schlicht und drehte sich um, um ein paar Spiegeleier in der Pfanne um zu drehen.

„Ich habe ihre Hungersnot nur zu gut nachvollziehen können“, lächelte ich und stellte den Tellerstapel auf die Anrichte, um die Teller dann in die Spülmaschine zu räumen.

„Ihr jungen Leute seid manchmal schon komisch. Es wäre doch viel effektiver, gleich ins Bett zu gehen, als vorher noch zu kochen“, meinte sie und verzog angewidert das Gesicht. „Oder ihr könntet duschen gehen, das wäre auch eine Bereicherung für die Umwelt“.

Lachend räumte ich das benutzte Besteck und die Gläser vom Tisch.

„Da könntest du Recht haben“, antwortete ich und dachte an den strengen Geruch in meinem Zimmer, der vom betrunkenen Joe ausgegangen war. Ob er noch immer dort oben lag? Klar, wo sollte er denn sonst liegen.

„Willst du auch etwas frühstücken?“, fragte sie und stellte die Pfanne mit den dampfenden Spiegeleiern auf den Tisch.

„Klar. Ich bin weder betrunken, noch ist es mitten in der Nacht. Aber stinken tue ich. Krieg ich trotzdem etwas?“, fragte ich lachend und sah sie bittend an.

Sonja lächelte und kleine Lachfältchen durchzogen ihr Gesicht.

„Ausnahmsweise“, sagte sie und stellte zwei Teller auf den Tisch. Ich holte noch Besteck und füllte mir ein Glas mit Orangensaft voll.

„Wo ist Dad?“, wollte ich wissen. Heute war Sonntag, also sollte er eigentlich zu Hause sein.

„Der schläft am Wochenende doch immer lange“, erklärt sie mir und stellt weitere Lebensmittel auf den Tisch. Mein Magen begann freudig zu knurren, als mir der Duft der verschiedenen Köstlichkeiten in die Nase stieg.

„Stimmt, das hatte ich total vergessen“, murmelte ich und ließ mich auf einen Stuhl fallen.

„Na los, greif zu“, forderte Sonja mich lachend auf.

„Danke“, seufzte ich erleichtert und häufte mein Teller voll.

Frühstück war die wichtigste Mahlzeit des Tages. Und nach diesem Motto schaufelte ich Spiegeleier auf meinen, bereits vollen, Teller.

„Was machst du heute so?“, fragte ich Sonja, die mir gegenüber genüsslich in ein Brot biss.

„Das Übliche. Wäsche waschen, putzen, aufräumen“, erklärte sie kauend.

„Wird dir das nicht irgendwann zu langweilig?“, fragte ich entsetzt.

„Nicht wirklich. Ihr Kinder sorgt schon dafür, dass ich immer genug zu tun habe“, lachte sie.

„Oh, das tut mir Leid“, meinte ich ehrlich.

„Kein Problem, ich mache das ja gerne, sonst wäre ich nicht hier“, sagte sie.

Kauend dachte ich über ihre Worte nach. Sie hatte Recht, wenn man etwas gerne tat, dann brachte man dafür auch Opfer. Genauso, wie ich und alle meine Freunde die weite Reise nach San Franzisco auf uns nahmen, um bei Melis Aufführung mit zu helfen. Und warum das Ganze? Weil wir Spaß daran hatten und es gerne taten.

Lächelnd nahm ich einen Schluck von meinem Kaffee und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut.

„Morgen“, ertönte Ryans kratzige Stimme hinter mir. Schlurfend ließ er sich rechts neben mir auf einen Stuhl fallen. Er stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen.

„Guten Morgen“, grüßte ich ihn fröhlich.

„Wäh, gute Laune am Morgen“, raunzte er und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken.

„Wie geht’s dir denn?“, fragte ich neben seinem Ohr und zupfte an seinen Haaren herum.

„Lass mich“, murrte er.

Na, der hatte ja tolle Laune.

Lächelnd verdrehte ich die Augen in Sonjas Richtung und sie lächelte nur böse. Danach nahm sie ihr Messer und stieß es mit voller Wucht gegen ihre Teetasse, sodass ein lauter, schriller Ton erklang.

Ryan zuckte zusammen und fasste sich an den Kopf.

„Oh, sorry Darling, das wollte ich nicht“, meinte sie mit zuckersüßer Stimme und bösem Grinsen im Gesicht. Seelenruhig aß sie ihr Brot weiter auf.

Sofort hielt ich mir die Hände vor den Mund, um nicht laut auf zu lachen.

Sonja war viel cooler, als ich dachte.

„Wie war es gestern“, fragte ich, als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte.

Seufzend hob Ryan den Kopf und sah mich aus tränenden Augen an. Oh man, dem ging es wohl ziemlich beschissen.

Er streckte die Hand aus und nahm einen großen Schluck aus meiner Kaffeetasse. Angewidert verzog er das Gesicht.

„Hart“, beschrieb er die gestrige Eskalation in einem präzisen Wort. Wow, er hatte mich wirklich in Begeisterung versetzt.

„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, fragte ich ihn und zog die Augenbrauen nach oben.

„Ich weiß nicht mehr so viel“, gab er zu. „Wie sind wir eigentlich nach Hause gekommen?“, fragte er und fuhr sich über den Kopf. „Und wieso tut mein Hinterkopf so weh?“

Na toll, da machte ich mir einmal die Mühe, eine nette Schwester zu sein, und kochte ihm mitten in der Nacht noch ein warmes Essen, und er vergaß es einfach! Schnaubend nahm ich ihm meine Tasse aus der Hand und trank selbst einen Schluck.

„Geh duschen, vielleicht fällt es dir dann wieder ein“, riet ich ihm und rümpfte die Nase. Mein Bruder stank gewaltig.

Er streckte mir nur die Zunge raus und schlurfte wieder aus der Küche.

„Und da soll noch einmal jemand sagen, dass die Jugend von heute nicht komplett durchgeknallt ist“, meinte Sonja und räumte ihren Teller in die Spülmaschine.

Lachend folgte ich ihr.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stieg ich die Treppe nach oben und öffnete vorsichtig die Tür zu meinem Zimmer. Aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn Joe saß bereits hell wach auf meiner Couch. Den Kopf in die Hände gestützt stöhnte er vor sich hin.

„Guten Morgen“, sagte ich fröhlich und ließ die Tür ins Schloss fallen. War ich gemein? Ja, vielleicht ein bisschen.

Blinzelnd sah Joe mich an und schloss sofort wieder die Augen.

„Bitte sag mir, dass ich noch träume“, murmelte er.

„Leider nein. Wieso, träumst du öfter von mir?“, neckte ich ihn und öffnete meine Schranktür. Ich kramte nach einer frischen Jeans und einem unbenützten Top.

„Klar. Fast jede Nacht“, grinste er. Also, so schlecht konnte es ihm nicht gehen.

Seufzend fuhr er sich durch die Haare und verursachte so ein mittelschweres Chaos, das mich fast zum Sabbern brachte. Verflucht, schnell drehte ich mich wieder um und kramte frische Unterwäsche hervor.

„Ist schon irgendjemand sonst wach?“, fragte er mich und starrte zu mir hoch.

Ich drehte mich wieder um und setzte mich auf mein Bett, ihm gegenüber.

„Ryan, soviel ich weiß. Und er weiß fast nichts mehr“, spuckte ich bitter aus und öffnete meine Sportjacke, die ich noch immer trug.

„Du kannst dich natürlich weiterhin vor mir ausziehen, aber du musst wissen, dass ich unmöglich schon nüchtern bin, und das wäre fast schade“, sagte er und lächelte mich breit an.

Lachend schüttelte ich den Kopf und warf ihm die Jacke an den Kopf.

„Ach, verpiss dich doch“, lachte ich und drehte mich zur Tür.

„Hey Jenna“, rief Joe und ich drehte mich, die Hand schon an der Türklinge, noch einmal zu ihm um. „Danke fürs Kochen und dass ich hier schlafen durfte“, bedankte er sich und lächelte mich an. Sein süßes Lächeln, mit dem Grübchen in der Wange.

„Bitte“, sagte ich ehrlich und verließ, ebenfalls lächelnd, das Zimmer.

Laut klopfte ich an die Badezimmertür. War Ryan etwa in der Dusche ertrunken, oder wieso brauchte er so lange? Laut ließ ich meine Faust gegen das raue Holz knallen und rüttelte an der verschlossenen Klinge.

„Mann Ryan, jetzt beeil dich mal, hier leben noch andere Menschen!“, rief ich laut.

Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür und nicht Ryan, sondern Daniel stand mir gegenüber. Die Haare noch nass vom Duschen und nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen.

„Kein Grund, so herum zu schreien Jennalein. Ich bin ja schon fertig“, sagte er lachend und ging davon.

Verwirrt starrte ich ihm nach. Dann zuckte ich nur mit den Schultern und ging selbst ins Badezimmer.

Schnell stieg ich in die Dusche und wusch den Sport Schweiß von meinem Körper.

Nach dem Duschen rieb ich mir die Haare in einem Handtuch halbwegs trocken und bürstete sie glatt. Zum föhnen war ich schlicht und einfach zu faul. Und mit der Zeit würden sie schon trocken werden.

Als ich mein Zimmer betrat, war von Joe keine Spur mehr.

Seufzend sammelte ich sein Bettzeug ein und warf es in die Tonne mit meiner Schmutzwäsche.

Ich fuhr meinen Laptop hoch und lud mir die Musikdateien, die Ryan mir von der Band geschickt hatte, herunter. Das waren wirklich Melis Songs, die die Band gespielt hatte. Und es hörte sich einfach fantastisch an.

Lächelnd schickte ich ein paar Dateien an Meli weiter. Sie sollte hören, wie toll sich ihre Songs anhörten.

Dann schrieb ich noch kurz Dana eine SMS um sie zu fragen, ob sie heute Zeit hatte, um sich Gedanken über die Choreografien zu machen.

Und jetzt war die Zeit gekommen, sich Schritte auszudenken. Ich steckte mir die Kopfhörer meines iPods in die Ohren und ließ mich komplett in die Musik hineinfallen. Und die Choreografie entstand fast von selbst.

Zwei Stunden später hatte ich unglaublicher Weise die Schritte für drei Songs fertig. Das war wirklich eine Meisterleistung. Das Ganze war eine Mischung aus Ballett und Hipp Hopp. Manche fanden diese beiden Richtungen passten nicht zusammen, aber ich liebte es. Zwei komplett verschiedene Stilrichtungen miteinander zu verknüpfen und etwas komplett Neues zu erschaffen. Deshalb liebte ich das Tanzen. Es war doch langweilig, wenn man immer nur dasselbe machte. Wenn alle Schritte in einem strengen Muster vorgegeben waren. Das war doch nicht lustig. Das konnte man doch nicht ernsthaft Tanzen nennen.

Und gerade deshalb war ich so verdammt stolz auf mich. Denn ich hatte etwas komplett Neues und trotzdem Schönes erschaffen. Und ich wusste selbst, dass meine Choreografien schön waren, niemand musste mir das garantieren. So viel Selbstvertrauen war von der alten Jenna übrig geblieben.

Dana wollte am Nachmittag vorbeischauen und so verbrachte ich die restliche Zeit damit, gemeinsam mit Ryan vor dem Fernseher herum zu hängen. Die Jungs waren mit der Zeit nach Hause gegangen und hatten mir nur einen schlecht gelaunten Ryan zurück gelassen.

Gegen zwei klingelte es dann endlich an der Tür und ich ließ Dana herein. Sie sah wieder einmal toll aus.

„Wie machst du das immer?“, fragte ich sie, beinahe ehrfürchtig.

„Was denn?“, fragte sie mich verwirrt.

„Dass du du bist“, meinte ich.

„Bist du betrunken?“, fragte sie mich ernst.

„Nein, nur eifersüchtig“, entgegnete ich und stapfte vor ihr die Treppe in mein Zimmer hinauf.

„Sieht gut aus“, stellte sie fest, als sie mein Zimmer betrat.

Lächelnd schob ich ihr den Laptop zu und ließ sie zuerst einmal die Songs anhören.

„Und die hat deine Freundin alle selbst geschrieben?“, fragte Dana fassungslos.

„Yep“, bestätigte ich stolz.

„Wow, nicht schlecht. So, und jetzt zeig mal her, was du schon alles hast“.

Leichte Unsicherheit machte sich in mir breit. Dana war eine umwerfende Tänzerin und vor ihrer Meinung hatte ich wirklich Respekt.

Ich drehte die Lautstärke des Laptops voll auf und stellte mich in die Mitte des Raumes. Und als ich zu tanzen begann, war die Unsicherheit sofort weg. Ich spürte das warme Gefühl in meiner Magengegend und die Bewegungen gingen ganz leicht. Ich schloss die Augen und ließ die Musik Besitz von mir ergreifen. Die Tanzschritte fielen mir so leicht, als hätte ich sie schon Tausend Mal getanzt. Mit einer langsamen Pirouette schloss ich die Choreografie des ersten Songs und öffnete wieder die Augen.

Dana saß auf meinem Bett und starrte mich an.

„So schlecht?“, wollte ich grinsend wissen, aber in Wirklichkeit hatte sich bereits ein mulmiges Gefühl in mir breit gemacht. Was, wenn es ihr nicht gefiel. „Das war einfach… Wow. Und das hast du alles selbst erfunden?“, fragte sie mit leichter Ehrfurcht in der Stimme und blickte mich ungläubig an.

„Natürlich. Ich stehle doch keine Choreografien“, meinte ich und ließ mich auf meinem Schreibtischstuhl fallen.

„Ich habe dich eindeutig unterschätzt“, meinte sie und lächelte. Ehrlich? Die Eisprinzessin persönlich konnte lächeln? Nicht schlecht!

„Hört man gerne. Also, was würdest du anders machen?“, fragte ich und sie gab mir Verbesserungsvorschläge. Gemeinsam überarbeiten wir die Choreografien der Songs, die wir schon hatten. Und das Resultat konnte sich wirklich sehen lassen.

Kapitel 14

 Mara fing mich ab, sobald ich aus dem Auto steigen konnte.

„Zeig her“, forderte sie mich auf und deutete auf mein Outfit.

Genau wie sie verlangt hatte trug ich den Rock und die weiße Bluse, sowie die Krawatte. Und ich kam mir richtig zickig darin vor. Aber egal, es machte Spaß, einmal in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Um das Outfit perfekt zumachen trug ich Kniestrümpfe, die mit großen Laufmaschen gestrickt waren. Dazu schwarze Highheels. Alles in allem gefiel mir das Outfit. Für Frisur und MakeUp hatte ich dafür etwas länger gebraucht. Meine brünetten Haare trug ich offen, hatte seitlich die kürzeren Strähnen aber zu einem eleganten Knoten hinten zusammengesteckt. Nur zwei einzelne Strähnen umrahmten mein Gesicht. Ich sah aus wie die Schulschlampe schlecht hin.

Lächelnd begutachtete sie mich und öffnete nach kurzem Überlegen noch einen Knopf an meiner Bluse.

„Hey“, empörte ich mich und musste laut auflachen. „Wir sind hier in der Schule und nicht auf der Love Parade“.

„Ich darf dein Outfit wählen und ich sage dir, dass ein Knopf aufgemacht werden muss“, lachte sie.

„Na toll. Ich bin die weltgrößte Schlampe“, lachte ich.

„Jap“, bestätigte Mara und begutachtete mich noch einmal.

„Nur du schaffst es, in diesem Outfit total heiß auszusehen“, lobte sie mich.

„Oh, dankeschön, Schätzchen“, entgegnete ich und hauchte, in bester Schlampenmanier, zwei Küsschen in die Luft neben ihren Wangen.

„Kein Problem, Häschen“, meinte sie und lachte laut auf. „Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag. Und wehe, du spielst deine Rolle nicht gut“, drohte sie mir mit erhobenem Zeigefinger.

„Ich werde mein Bestes geben, MyLady“, grinste ich und nahm meine Tasche vom Rücksitz.

Ryan stand skeptisch neben uns und starrte uns mit verzogenem Gesicht an.

„Euer Ernst?“, wollte er wissen und ließ seinen Blick über mich gleiten. „Wieso sind wir nur verwandt?“, seufzte er.

„War das etwa ein verstecktes Kompliment?“, fragte ich und zog die Augenbrauen nach oben.

„Hast du dich heute schon in den Spiegel gesehen? Du siehst… Hammer aus“, meinte er und lächelte mich an.

„Soll ich etwa öfter zu kurze Röcke und zu hohe Schuhe tragen?“, fragte ich und kramte nach meiner Sonnenbrille. Für den perfekten Auftritt fehlte sie noch.

„Nein, das habe ich damit nicht gemeint“, verteidigte er sich sofort. „Ich bin auch nur ein Mann, was soll ich machen“, seufzte er und wandte sich zum Gehen.

„Hey“, rief er noch einmal und drehte sich wieder zu uns um. „Viel Spaß“, lachte er und setzte seinen Weg ins Schulgebäude fort.

„Ich bin so stolz auf dich. Du lässt sogar deinen Bruder weich werden“, meinte sie und grinste mir zu.

„Und darauf soll ich stolz sein?“, meinte ich fragend. Ich fuhr mir noch einmal durch die Haare und nahm die Handtasche hoch. Ich war bereit für meinen perfekten, schlampigen Auftritt.

„Lass uns den schlechten Eindruck, den die Leute hier schon von mir haben noch vertiefen“, meinte ich und hakte mich bei Mara unter.

Meine Freundin trug heute ebenfalls ein kurzes Sommerkleid und hohe Schuhe. Aber bei ihr sah es schön aus. So, wie sie immer herum lief. Im Gegensatz zu mir.

Wir stöckelten los und sofort konnte ich die Blicke auf mir spüren. Lässig ließ ich die Sonnenbrille über meine Augen gleiten und warf meine Haare mit einer geschickten Bewegung über die Schultern. Ein perfekter Filmauftritt. Wie eine Schauspielerin. Denn das hier war nichts anderes als ein Schauspiel. Ich redete mir das zumindest ein.

Die allgemeine Aufmerksamkeit am Schulhof lag auf uns und ich lächelte unwillkürlich. Hoffentlich hatte Mara sich unseren Auftritt genauso vorgestellt.

Vor der Tür standen Danny und Leo und starrten uns verunsichert an.

„Seid das wirklich ihr?“, wollte Danny wissen und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Nein“, lächelte ich überheblich und nahm die Sonnenbrille ab.

„Wow, das ist echt…“, meinte Danny und starrte mich unverwandt an.

„Zu viel für dich“, entgegnete ich und wir gingen an ihnen vorbei in die Schule hinein. Hey, ich war in meiner Rolle, da konnte ich keine Rücksicht auf irgendwelche Ablenkungen nehmen.

Im Foyer verabschiedete ich mich von Mara. Sie hatte jetzt Geschichte, während ich mich wieder einmal mit Herrn Schröder herumschlagen durfte.

Im Klassenzimmer ließ ich mich neben Chrissi fallen, die mich entgeistert anstarrte.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie mich verwundert. Und auch hier lag die allgemeine Aufmerksamkeit auf mir.

„Ein kleines Experiment“, lächelte ich nur.

„Aha“, entgegnete sie und drehte sich wieder nach vorne.

Herr Schröder betrat den Raum und knallte das Mathebuch auf den Lehrertisch. Seine rechte Hand war einbandagiert und am Kopf hatte er eine große Platzwunde. Sah fast so aus, als hätte er einen Zusammenstoß mit einer Kuh oder so hinter sich.

„Wir starten heute mit allgemeinen Rechnungen“, erklärte er und starrte uns aus seinen winzigen Augen an.

„Jenna, komm nach vorne und erklär uns diese Gleichung“, grunzte er und malte verschiedene Zahlen und Schriftzeichen an die Tafel.

Wiederwillig stand ich auf und stolzierte nach vorne.

Verwirrt starrte ich auf die Gleichung und nahm die Kreide in die Hand. Ich tat jetzt einfach einmal so als wäre ich so richtig, richtig blond.

„Was genau muss ich da machen?“, fragte ich ihn und starrte ihn aus großen Rehaugen an.

Okay, das dumm stellen fiel mir in Mathe gar nicht so schwer.

„Die Gleichung lösen“, erklärte mir der Lehrer in zornigem Ton.

Wow, der war ja schon wieder auf 180 und das, obwohl noch nicht einmal fünf Minuten vorbei waren.

„Ja, aber das…“, begann ich und sah verwirrt auf die Zahlen und Zeichen an der Tafel.

„Bist du wirklich so blöd, wie du tust?“, fragte er mich sauer und starrte mich an.

Ich ließ meine Unterlippe zittern und tat so, als hätte er mich wirklich verletzt. Ich meine, hallo? Dieser Lehrer hatte mich gerade ernsthaft fertig gemacht. Wenn er nicht aufpasste, dann würde ich ihn anzeigen.

„Aber…“, stotterte ich und schlang meine Arme um mich.

Es musste so richtig lächerlich aussehen, wie ich da vor der Klasse stand und fast in Tränen ausbrach.

Seufzend nahm Herr Schröder mir die Kreide aus der Hand und rückte sich die Brille zurecht.

„Das war jetzt echt nicht okay von Ihnen“, stotterte ich und stapfte zurück auf meinen Platz. Dort ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken und kramte ein Taschentuch aus meiner Tasche. Die Zicke in mir war ernsthaft verletzt. Aber der Großteil von mir musste sich ernsthaft zusammenreisen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Alleine der Blick, den er mir zuwarf. Und das entsetzte Gestarre der anderen Schüler.

Vielleicht sollte ich öfter in Rollen schlüpfen. Ich hatte komplett vergessen, wie viel Spaß mir das Schauspielern machte.

Herr Schröder fuhr mit seinem Unterricht fort, als wäre nichts weiter gewesen und löste die Gleichung selbst.

Die Stunde verging schleppend und ich hatte damit zu tun, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Anscheinend war ich zu überzeugend, denn nach dem Klingeln rief der Schröder mich noch zu sich.

„Jenna, du solltest dir wirklich Mathe Nachhilfe suchen“, fing er an und räumte seine Bücher in eine Tasche. Das Ding war so typisch für Lehrer, aus Leder und mit einem langen Trageriemen.

„Ja“, meinte ich und ließ den Kopf hängen.

„Und du solltest wirklich an deiner Mitarbeit arbeiten“, fügte er noch hinzu.

„Aber wenn Sie mich beleidigen“, entgegnete ich schniefend.

„Das war doch nicht so gemeint“, gab er wiederwillig zu.

„Wieso haben Sie es dann gesagt?“, fragte ich und blickte ihn an.

„Weil… Ach, vergiss es und mach deine Hausaufgaben“, seufzte er frustriert und verließ die Klasse.

Ich konnte nicht länger und brach in lautes Gelächter aus, als er die Klasse verlassen hatte. Dieser Lehrer war auch wirklich zu blöd. Als ob Jenna Anderson jemals eingeschnappt wäre, nur weil der Lehrer ein bissiges Kommentar von sich gab. Wurde Zeit, dass die mich hier wirklich kennen lernten.

Ich stolzierte zur nächsten Stunde. Auf den Gängen bildete sich fast schon von selbst eine Gasse für mich. Ein tolles Gefühl. Fast so als wäre ich berühmt.

Jetzt hatte ich Englisch.

Dana saß bereits im Raum, genauso wie der Großteil der Klasse.

Lachend sah Dana mich an und ich ließ mich einfach auf den Stuhl neben sie fallen.

„Was ist denn mit dir passiert?“, wollte sie amüsiert wissen und sah mich von oben bis unten an. „Coole Schuhe“, sagte sie lachend.

„Danke. Habe eine Wette verloren“, erklärte ich ihr.

„Steht dir. Endlich wird deine Persönlichkeit nach außen gekehrt“, meinte sie.

„Dankeschön, das bedeutet mir viel, dass du das sagst“, meinte ich sarkastisch. „Aber keine Sorge, ich bin dir keine Konkurrenz“, meinte ich süffisant.

„Vor dir habe ich doch keine Angst“, lächelte sie überheblich.

„Das wäre auch irgendwie komisch gewesen“, entgegnete ich.

Die Lehrerin betrat den Raum und die Lautstärke nahm womöglich noch zu. Die kleine Frau hatte wirklich keinen Respekt in dieser Klasse.

„Ruhe“, murmelte sie, doch keiner nahm sie zur Kenntnis.

Verzweifelt stand sie vorne und blickte sich Hilfe suchend um.

Was soll es? Heute war ich eine Zicke. Also stand ich auf und brüllte durch die Klasse: „Hey, ihr verdammten Idioten! Ich bin hier um etwas zu lernen, also klappt eure überdimensionalen Fressen zu und setzt euch auf eure beschissenen Plätze“.

Alle starrten mich schon wieder an. Nur Dana neben mir hatte sichtlich Mühe damit, sich das Lachen zu verkneifen.

Endlich war Ruhe eingekehrt, aber komischerweise sah die Lehrerin nicht gerade begeistert aus.

„Jenna Anderson“, krächzte sie. „Du bleibst nach der Stunde noch hier“.

Na toll, da versuchte man zu helfen und es passte wieder nicht.

Seufzend ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken.

„Du bist einfach so sozial“, kicherte Dana neben mir.

„Ich weiß. Diese Eigenschaft bring mich noch ins Grab“, seufzte ich theatralisch.

Der Unterricht begann und die Lehrerin, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, legte verschiedene Folien auf den Overheadprojektor. Die Stunde zog sich wirklich dahin und schien kein Ende zu nehmen.

„Ich habe eine Idee für das Duett vom Tod und der Prinzessin“, raunte Dana mir irgendwann zu.

„Nach der Schule?“, fragte ich und sie nickte.

„Wow, das ist schon unser zweites heißes Date innerhalb von wenigen Tagen“, raunte ich und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

„Die Zicken-Jenna gefällt mir“, grinste sie zurück.

„Wem nicht“, meinte ich und warf meine Haare zurück. Ich könnte mich direkt daran gewöhnen.

Die Zeit verging gar nicht und ich fragte mich, was ich wohl als Strafe bekam, dafür dass ich mich sozial engagiert hatte.

Als es endlich läutete, räumte ich meine Sachen schleppend weg.

„Viel Spaß“, raunte Dana mir mit gemeinem Lächeln zu und verließ erhobenen Hauptes die Klasse. Dieses Mädchen machte mich fertig.

„Hey Jenna“, ertönte eine Stimme neben mir. James, ein großer, blonder Junge, der im Sportteam unserer Schule war, stand neben mir.

„Hey“, entgegnete ich und sah zu ihm hoch. Gekonnt warf ich meine Haare zurück.

„Am Wochenende findet bei mir eine Party statt. Wenn du Lust hast, kannst du gerne vorbei schauen“, meinte er und lächelte mich an.

Ah, hatte mein Zickenaufstand schon etwas bewirkt? Yeah, ich wurde auf Partys eingeladen, ich fühlte mich echt, wirklich, total geehrt.

„Das ist ja süß von dir“, entgegnete ich. „Ich weiß noch nicht, ob ich Zeit habe, aber ich sag dir noch Bescheid“, säuselte ich und lächelte ihn an.

Er nickte mir mit einem breiten Lächeln zu und verließ die Klasse.

So ein Trottel.

Als alle anderen den Klassenraum verlassen hatten, schlenderte ich nach vorne zur Lehrerin.

„Jenna, du weißt, dass dein Verhalten nicht in Ordnung war, oder?“, fragte sie und sah mich mit großen Augen zu mir hoch. Das konnte durchaus daran liegen, dass ich mit meinen Schuhen an die zehn Zentimeter größer war als sie.

„Natürlich. Ich wollte mich nur sozial engagieren“, entgegnete ich lieb lächelnd.

Die ältere Frau nickte mit dem Kopf.

„Das verstehe ich natürlich, aber trotzdem steht in der Schulordnung, dass das erheben der Stimme über eine bestimmte Dezibelgrenze nicht gestattet ist“, sagte sie ernst.

„Wirklich?“, fragte ich misstrauisch. Ich kannte die Schulordnung praktisch auswendig. Früher hatte ich gegen jede einzelne Regel verstoßen. Aber über eine Grenze für Lautstärke in den Klassenräumen hatte ich noch nie gehört.

„Das tut mir dann wirklich leid, von dieser Regel wusste ich nicht“, entgegnete ich und schob meine Unterlippe vor.

„Das ist doch kein Problem, Jenna. Und ich verstehe auch, dass so eine fleißige Schülerin wie du etwas lernen möchte. Aber auch das Verwenden von solchen Kraftausdrücken, wie du sie in deiner Ansprache benutzt hast, ist nicht gestattet“, klärte sie mich mit erhobenem Zeigefinger auf.

„Ich sehe ein, dass ich einen großen Fehler gemacht habe“, sagte ich reumütig. Na klar, als ob ich mich an jede beschissene Regel der Schulordnung halten würde. Und das Verwenden von Kraftausdrücken, wie sie es so schön nennt, gehört leider zu meinem täglichen Sprachgebrauch. Das lässt sich nicht so einfach abschalten. Da hatte meine Mum bei meiner Erziehung anscheinend etwas falsch gemacht.

„Na gut, ich bin nicht so und lasse dich gehen. Aber achte auf deine Wortwahl in Zukunft“, tadelte sie mich noch und verließ dann selbst die Klasse. Und ließ mich perplex zurück. Verdammt, diese Lehrerin hatte wirklich Komplexe. Vermutlich war ihr Mann schlecht im Bett, oder so.

 

Der Tag verging erstaunlicherweise doch gar nicht so langsam, wie anfangs. Die Schüler starrten mich an, die Lehrer starrten mich an und sogar der Hausmeister schüttete seinen Putzkübel aus Versehen über den ganzen Gang. Ich hoffe, ich konnte Maras Anforderungen gerecht werden.

In der Mittagspause schlenderte ich mit Mara in die Cafeteria. Wir hatten uns bei meinem Spint verabredet und sie kam kurz nach mir angelaufen.

„Und wie geht’s dir“, meinte sie sofort eifrig.

„Ich werde angestarrt und fühle mich, als könnte jeder meine Unterwäsche sehen“, beschwerte ich mich und versuchte meinen Rock tiefer zu ziehen.

„Absolut genial“, war Maras einziges Kommentar.

Ich kramte in meinem Spint noch kurz nach meiner Essenskarte und schon liefen wir, so schnell es auf hohen Schuhen halt möglich war, in die Cafeteria. Die war schon gut gefüllt und ich war wieder das Highlight des Tages, als ich eintrat.

„Siehst du, was ich meine“, murrte ich und ging auf die endlos lange Essensschlange zu.

Mara nickte nur und lächelte mich hinterhältig an.

Ich wollte mich gerade hinten anstellen, als von weiter vorne eine bekannte Stimme meinen Namen rief. James stand mit seinen Freunden weiter vorne und ausnahmslos alle starrten zu uns her. Manche beinahe sabbernd. Ein wirklich trauriger Anblick.

James winkte uns zu sich und ich drehte mich fragend zu Mara um. Sie zuckte nur mit den Schultern und so gingen wir an den wartenden Schülern vorbei und stellten uns zu den Sportfreaks.

„Na, alles klar?“, fragte James und grinste mich und Mara an.

„Natürlich. Danke, dass ihr uns das lange warten und den grauenhaften Hungertod erspart habt“, meinte ich und grinste ihn an.

„Kein Problem. Bei der Salatbar stehen sowieso nie viel an“, entgegnete er und wackelte mit den Augenbrauen.

Wie bitte? Hatte ich mich etwa verhört? Aber anscheinend unterstellte er uns wirklich, dass wir uns ausschließlich von Salat ernährten, so wie die Cheerleader, denn auch Mara sah ihn ungläubig an.

Was genau war sein Problem?

Aber ich lächelte ihn weiter süß an. Dann, als er an der Reihe war stellte ich mich knapp vor ihn hin, sah zu ihm auf und zog ihn an seinem T-Shirt zu mir hinunter. Das Lächeln blieb auf meinen Lippen, aber ich flüsterte ihm so leise, dass nur er es hören konnte, ins Ohr: „Weißt du, wenn du alle Mädchen auf ein Schlampenniveau abstufst, wirst du nie eine ernsthafte Freundin finden. Und für meine gute Figur brauche ich nur einen Cheeseburger und keinen Salat“, flüsterte ich und machte dann einen Schritt zurück, um seinen fassungslosen Gesichtssaudruck zu genießen.

„Das mit der Party wird leider nichts, tut mir wirklich leid“, sagte ich noch und dann drehte ich mich um und bestellte bei der Essensausgabe einen Cheeseburger. Arschlöchern musste man das wahre Leben so schnell wie möglich erklären, ansonsten würde es in Zukunft nur Volltrottel geben und das war nun wirklich kein heiratsfähiges Material.

Mara lachte hinter mir laut los.

Wir bestellten schnell unser Essen und machten uns dann vom Acker, bevor James seine Sprache wieder fand.

Mara hatten in der hintersten Ecke unsere Freunde erspäht und wir machten uns auf den Weg dorthin. Und wieder erntete ich eine Menge anzüglicher, aber auch angewiderter Blicke. Letzteres wurde mir eher von Mädls zugeworfen.

Am Tisch saß bereits die ganze Band und ließ sich ihr Essen schmecken. Oder auch nicht, immerhin aßen sie nicht wirklich sondern hatten die Köpfe zusammen gesteckt und tuschelten.

Ich ließ mich neben Ryan fallen und starrte meinen Burger an. Eigentlich wollte ich wirklich Salat mit Käsebällchen. Aber die Situation war einfach schlecht gewesen.

„So Jenna“, fing Danny an und grinste mich vom anderen Ende des Tisches breit an. „Du schuldest uns eine Erklärung“, sagte er und wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Ich warf einen kurzen Blick zu Ryan, der mich anlächelte. Mara musste sich das Lachen verkneifen. Leo und Danny sahen mich auffordernd und wirklich interessiert an und Joe, naja, der sah aus als müsste er dringend zur Toilette.

„Wette verloren“, sagte ich und deutete auf Mara.

„Du hast ihr dieses Outfit ausgesucht?“, fragte Joe perplex und jetzt konnte auch er sich das Grinsen nicht verkneifen.

„Sieht das nicht absolut heiß aus?“, fragte sie und sah nach Lob verlangend in die Runde.

Zustimmendes Nicken von den Jungs.

„Und was hatte das gerade mit den Sportfreaks zu bedeuten?“, fragte Joe mit hochgezogenen Augenbrauen.

War das etwa Eifersucht?

„Nichts, wieso?“, fraget ich.

„Na, es sah so aus, als würdest du vor der ganzen Schule mit James rum machen“, warf Leo ein und schnippte mit den Fingern.

Wirklich? Hatte es so für alle anderen ausgesehen? Lachend strich ich mir die Haare hinters Ohr.

„Ich habe ihm nur gesagt, dass ihn mein Arsch absolut nichts angeht“, sagte ich.

„Bist du dir da ganz sicher“, meinte er nur mit hochgezogenen Augenbrauchen.

Ich seufzte nur und kramte mein Handy aus meiner Handtasche. Sollten sie doch glauben, was sie wollten.

Meli hatte mich zwei Mal angerufen und mir drei Nachrichten geschrieben.

Meli: Hey Jenna, wie weit bist du mit den Choreos? Und läuft die Zeit davon! Melde dich“

Meli: Verdammt, wenn du mich nicht bald anrufst, zucke ich aus, such mir Justin Parker und vermöble ihn.

Meli: Jenna!!!

Musste wohl wirklich dringend sein, sonst würde sie nicht Jason Parker und Ausrufezeichen verwenden.

Ich schrieb ihr kurz zurück, dass ich mich in zehn Minuten bei ihr melden würde. Ein kurzes Lebenszeichen.

„Leute, ich muss los“, sagte ich und packte mir meinen Cheeseburger schnell in eine Serviette ein.

„Wieso?“, fragte Leo verwundert.

„Notfall im Musikbusiness“, sagte ich nur und stand auf.

Ich winkte ihnen noch halbherzig zu und verließ die Cafeteria. Sollten sie doch weiterhin über Maras geglücktes Umstyling reden.

 

Ich ließ mich vor dem Schultor auf die Treppe fallen und wählte Melis Nummer.

„Wo hast du denn dein Handy liegen lassen“, wurde ich freundlich von ihr begrüßt.

„Sorry, ich hatte Unterricht“, entgegnete ich nur.

„Unterricht? Was ist das?“, fragte sie nur lachend. „Hör zu, wie weit bist du? Die wollen den Termin vorverlegen. Haben irgendwas mit einer Benefizveranstaltung oder so gefaselt und ich kenne mich nicht aus. Aber ich weiß dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt“, erklärte sie mit leicht hysterischem Ton.

„Keine Panik“, versuchte ich sie so gut es ging zu beruhigen. „Wir arbeiten schon mit Hochdruck. Und es sieht gar nicht so schlecht aus bis jetzt.“

„Wer ist wir?“

„Dana. Eine, ähm, Schulkollegin von mir“, sagte ich. War Dana eine Freundin? In gewisser Weise ja schon, oder?

„Eine Schulkollegin? Aha, na egal, kannst du nicht endlich her kommen und mir die Choreos selbst zeigen?“, wollte sie wissen und ich konnte sie praktisch vor mir sehen, wie sie mit nach vorne geschobener Unterlippe dastand und an ihren Nägeln kaute.

„Kannst du nicht hier her kommen?“, fragte ich zurück.

„In das Kuhdorf? Dann muss ich mir vorher ja noch Gummistiefel kaufen“, meinte sie ernsthaft.

Lachend strich ich mir durch die Haare.

„Ach komm. Ich borge dir welche“, versprach ich ihr.

„Na, wenn das so ist“, lachte sie. „Mal sehen. Kriegst du bis nächstes Wochenende die Choreos halbwegs fertig? Dann komme ich und schau sie mir an. Oder du schickst mir einfach ein Video?“, fragte sie.

„Kein Video. Das wird irgendwann alles gegen mich verwendet. Ich versuchs, okay? Aber du kannst schon mal dein Auto voll tanken“, sagte ich lächelnd.

Wahnsinn, Meli kam her.

„Nimmst du Jason mit?“, wollte ich wissen.

„Der war ja gerade erst bei dir. Der ist damit beschäftigt, sich meine beste Solistin zu schnappen“, erklärte sie genervt.

„Ist doch süß, wenn er so verknallt in die Kleine ist“, meinte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Gedanken kurz zu Joe wanderten. Er schien mir fast zu perfekt. Irgendwelche Macken musste er doch haben?

„Ja, aber die Beiden konzentrieren sich nicht auf mich. Und ich bin nun einmal gerade der dritte Part in ihrer Beziehung! Verdammt, ich will dieses scheiß Musical gut machen! Perfekt!“, meinte sie.

„Pass auf, dass du keine Kraftausdrücke verwendest, ich habe heute schon einen Anschiss deswegen bekommen“, tadelte ich sie grinsend.

„Ja klar, sonst noch was? Was haben die nur mit deinem Gehirn gemacht?“, fragte sie. „Hör zu, ich muss wieder rein, mein Professor fragt sich sicher, ob ich auf dem Klo gerade ein Kind bekomme, weil es so lange dauert“.

„Okay, dann viel Spaß weiterhin“, verabschiedete ich mich von ihr.

Ich schrieb Dana noch eine SMS, dass sie heute nach der Schule zu mir kommen soll. Jetzt mussten wir mit Hochdruck arbeiten. Wir hatten eindeutig zu wenig Zeit und zu viel zu tun. Seufzend stand ich auf. Meine Mittagspause war fast vorüber.

Nachmittags hatte ich nur noch zwei Stunden. Geschichte und Politik. Nicht gerade meine Lieblingsfächer, aber ja.

Im Klassenzimmer saß doch tatsächlich Danny.

„Seit wann haben wir denn zusammen Unterricht?“, fragte ich und ließ mich neben ihn fallen.

„Seit heute. Ich habe meinen Stundenplan extra umändern lassen“, sagte er und zwinkerte mir zu.

„Ist das dein Ernst?“, fragte ich entgeistert.

„Nein war ein Scherz. Letzte Woche hatte ich ein einen Friseurtermin, deshalb war ich nicht in der Schule“, lachte er.

Ich schüttelte nur grinsend den Kopf.

„Die Schönheit geht natürlich vor“, spottete ich.

„Natürlich. Wann bist du heute aufgestanden um so auszusehen?“, fragte er und deutete mit der Hand auf mich.

„Sehe ich nicht jeden Tag einfach fabelhaft aus?“, fragte ich ihn mit großen Augen.

„Naja, es gibt auch weniger fabelhafte Tage“, sagte er und kassierte einen Schlag gegen den Oberarm von mir. Er lachte daraufhin nur.

„Tz“, machte ich eingeschnappt.

„Wann kommst du wieder einmal zur Bandprobe? Wir haben die Songs schon alle drauf, du musst nur noch probehören“, sagte er.

Schneller Themenwechsel, hm?

„Ahm. Heute Nachmittag bin ich Tanzen. Habt ihr abends Zeit? Ansonsten morgen?“, fragte ich.

„Ich glaube heute Abend ist möglich. Aber du musst die Klamotten anlassen“, sagte er verschwörerisch.

„Ganz sicher nicht“, sagte ich daraufhin nur und schüttelte den Kopf.

„Oh doch. Das ist eine Jenna, die mir gefällt“, sagte er und zwinkerte mir noch mal zu.

„Ihr Typen schaut auch immer nur auf den Ausschnitt und die Länge des Rockes, oder wie?“, fragte ich empört.

„Nicht immer“, entgegnete er nur.

Na toll, ich war von Trotteln umgeben. Aber halt, das war ich ja schon gewöhnt.

Die Stunde begann und verging ziemlich schnell, weil Danny mich die ganze Zeit mit irgendwelchem Quatsch zum Lachen brachte. Was dem Lehrer nicht ganz so gut gefiel. Er musste uns ganze fünf Mal ermahnen, endlich leise zu sein.

Nach der Schule wartete ich vor dem Schultor auf Dana.

„Ich habe gehört wir haben heute ein Date?“, fragte Joe hinter mir und lehnte sich neben mich ans Geländer.

Unwillkürlich fing ich zu lächeln an.

„Haben wir das?“, fragte ich nur.

„Ja. Ein Gruppendate mit den anderen“, sagte er verschwörerisch.

„Ach, wie romantisch“, entgegnete ich nur.

„Ziemlich. Ich überlege die ganze Zeit, welche Blumen ich Ryan mitbringen soll“, sagte er.

Lachend sah ich ihn an.

„Ich glaube, er steht auf rote Rosen“, verriet ich ihm.

„Danke für den Tipp. Übrigens, du siehst heiß aus“, sagte er zwinkernd und wandte sich zum Gehen. Mit einem Kribbeln im Bauch sah ich ihm nach. Ein Kompliment von Joe, mehr brauchte ich nicht, um mit einer rosaroten Brille durchs Leben zu gehen.

„Was grinst du denn so komisch?“, fragte Dana neben mir. Sie schob sich die Sonnenbrille ins Gesicht und ging vor mir her zu ihrem Auto. Seufzend folgte ich ihr.

„Wir haben Zeitdruck“, erklärte ich ihr, als ich mich neben sie in ihren BMW fallen ließ. Das Mädchen war doch höchstens 19 und fuhr so ein Auto.

„Wieso?“, wollte sie nur kaugummikauend wissen.

„Meli kommt am Wochenende und will alles sehen. Außerdem haben sie das Datum der Aufführung vorverlegt.

„Wieso das denn?“, fragte sie ruhig.

Wenn ich an Melis Hysterie dachte, war Dana wirklich das komplette Gegenteil zu ihr.

„Wegen irgendeiner anderen Veranstaltung. Meli passt das überhaupt nicht in den Kram“

„Na, dann müssen wir uns halt ins Zeug legen“, war ihr einziges Kommentar.

Und das taten wir dann auch. Den ganzen Nachmittag über tanzten wir in einem weitläufigen Raum bei mir im Keller. Aus welchem Grund auch immer, hatte Dad dort Spiegel an den Wänden angebracht, so dass es der perfekte Tanzraum war. Früher hatte Ryans Band dort geprobt.

Und wir kamen auch wirklich voran. Danas Ideen waren super und wir konnten fast alles verwenden. Meli würde Augen machen.

 

Abends hörte ich mir dann die Songs der Jungs an, und Dana nahm ich gleich mit. Die Verwunderung war den Jungs zwar an zu sehen, aber sie schienen nicht abgeneigt, die Eisprinzessin dabei zu haben.

Danny schien nicht so begeistert, als ich nur in Jogginghose und T-Shirt auftauchte.

„Ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung getroffen“, beschwerte er sich sofort.

„Du meinst, dass du ein Idiot bist?“, fragte ich lieb lächelnd.

Er verdrehte nur kurz die Augen und deutete dann anklagend mit dem Finger auf mich.

„Du bist doof“, sagte er nur und setzte sich hinters Schlagzeug.

Daniel war auch da und verstand nicht wirklich, um was es ging. Aber Mara war sofort mit Feuereifer dabei, ihm die Schlampen-Jenna näher zu bringen.

„Hätte ich gar nicht gedacht, Kleine“, sagte er nur und wuschelte mir durch die Haare.

„Und du bist Dana“, begrüßte er Dana und nickte ihr zu.

„Ich habe schon einiges von dir gehört“, sagte er.

Verwundert sah ich ihn an. Woher denn bitte das? Auch alle anderen sahen ihn verwirrt an. Aber Daniel grinste nur verschwörerisch und sagte nichts dazu.

Dana fühlte sich von Anfang an wohl in unserer Runde und so wurde sie ziemlich schnell akzeptiert.

Die Jungs spielten uns alle Songs vor und ich war wirklich schwer begeistert.

„Das ist toll“, sagte ich nur beeindruckt.

„Hat ja auch Meli geschrieben“, zwinkerte Ryan.

„Die wird vom Hocker kippen, wenn sie euch hört“, prophezeite ich vorher.

Ich tippte Leo an die Schulter und fragte ihn, ob er die Songs für mich aufnehmen konnte, was er auch tat. Obwohl er mir vorher das Versprechen abnahm, sie nicht wieder an fremde Leute zu schicken.

Aber hey, der Radiosender hatte sein Versprechen gehalten. Die Songs der Jungs liefen auf und ab und sie wurden immer bekannter.

Ryan wollte sogar versuchen, im Club auflegen zu dürfen.

„Wisst, ihr, am Wochenende hat eure Band Feuertaufe“, sagte ich geheimnisvoll.

„Warum das denn?“, fragte Leo verwirrt.

„Die Produzentin der Songs kommt her und will sich das Ganze persönlich anschauen. Also probt was das Zeug hält, denn Meli wollt ihr nicht wirklich enttäuschen“, sagte ich.

„Gehört sie zu denjenigen, die dann mit erhobenem Zeigefinger vor dir stehen und dich zur Strafe noch drei Stunden proben lassen?“, fragte Daniel lächelnd.

Ich konnte nicht anders, als ihn laut auszulachen.

„Nein“, sagte ich nach Luft schnappend. „Sie gehört eher zu den Leuten, die dir das Keyboard aus der Hand reißt und damit auf dich einschlägt“, erklärte ich ihm.

„Ah, so eine ist sie“, entgegnete er lachend.

Ich vereinbarte mit den Jungs, dass sie am Samstag die Instrumente ins Tanzstudio von Marie schleppen mussten. Denn Meli würde zu den Songs gleich die Choreografien sehen wollen, und das ging sich in dem kleinen Häuschen am See nun wirklich nicht aus.

„Alles klar, diese Keyboardzerstörerin kann kommen“, sagte Daniel und rieb sich die Hände.

 

Die Woche verging rasend schnell. Dana hatte für Donnerstagabend ein Vortanzen ausgemacht und so kam es, dass ich mich um sieben Uhr in Maries Tanzstudio einfand. Es waren wirklich viele gekommen, die mittanzen wollten. Insgesamt ungefähr fünfzehn Leute, darunter auch einige Jungs, was mich wirklich freute. Jungs waren normalerweise eher Mangelware im Musicalbusiness.

Dana war wieder total in ihrem Element und teilte alle in Gruppen ein. Ich ging mit einer der beiden Gruppen in den Nebenraum und lernte ihnen die Choreo eines der Songs ein, die wir schon fix fertig hatten. Es war teilweise eine komplizierte Schrittfolge, aber ich war mir sicher, dass Maries Schüler das ohne Probleme hinbekamen. Und ich behielt Recht. In meiner Gruppe war kein einziger Tänzer, den ich nicht dabei haben wollte. Und auch bei Dana nicht. Also hatten wir eine Gruppe von fünfzehn Tänzerinnen und Tänzern. Und das war wirklich gut! Alle waren bereit die weite Reise nach San Franzisco auf sich zu nehmen. Wir würden schon einen Tag vorher anreisen, um die Generalprobe auf der echten Bühne machen zu können. Und vorher würden wir uns Maries Tanzstudio mieten. Es war groß genug, um eine ganze Musicalaufführung proben zu können, und das sollte schon etwas heißen.

Die Pläne waren gemacht und Meli konnte kommen. Sie würde vier Tage bleiben und gleich zu Proben anfangen. Und für die nächsten Wochen musste sie verdammt oft hier her kommen, denn wer sonst sollte die Tänzer trainieren?

Kapitel 15 - Frustrierend

 „Na du machst das für mich“, sagte sie, als ich sie umarmte.

„Ich kann doch nicht dein ganzes Musical planen“, beschwerte ich mich bei ihr.

„Nein, natürlich nicht. Aber du bringst ihnen die Choreos bei. Da sind die Songtexte auch gleich dabei und das bisschen Gerede zwischendurch werden sie ja wohl auch noch schaffen“, meinte sie und grinste mich breit an.

„Du vereinfachst das ganze immer“, stellte ich lachend fest. Es tat verdammt gut, Meli wieder einmal zu sehen. Sie hatte mir wirklich gefehlt.

„Was tut sich daheim?“, wollte ich gleich von ihr wissen.

„Ach, das übliche“, winkte sie gleich ab. „Michael kommt morgen noch nach“.

„Wie geht’s seinem Arm? Trägt er noch den Gips?“, wollte ich sofort wissen. Michael war Melis Bruder und er hatte sich vor kurzem bei irgendwas ziemlich dämlichem, das ich schon wieder vergessen hatte, den Arm gebrochen.

„Oh, seine Knochen heilen schnell. Er hat übrigens Urlaub und wenn es für dich okay ist, dann würde er für ein paar Tage länger bleiben und dir beim Trainieren der Tänzer helfen.“, schlug sie vor.

„Sicher, wir können absolut jede Hilfe gebrauchen“, willigte ich sofort ein.

Wir schlenderten nebeneinander her, die Straße entlang. Ich wollte Meli mein Liebslingscafe mit dem selbstgemachten Eis zeigen.

„Hast du eigentlich irgendeine Ahnung, ob deine Leute singen können?“, fragte sie nach einiger Zeit.

„Ähm“, machte ich nur und rieb mir über die Stirn.

Mist, das hatte ich komplett vergessen.

„Ich dachte du hast selbst Schauspieler, die singen können“, fragte ich sie verwirrt.

„Ja, die Hauptdarsteller. Also Prinzessin Rose, den Tod, die dunkle Reiterin, den Küchenjungen, den Verlobten der Prinzessin und den Prinzen. Aber für die ganzen Nebenrollen müssen deine Tänzer herhalten“, sagte sie.

„Gut, hoffentlich können sie genauso gut singen, wie tanzen“, lachte ich.

„Wenn nicht, hast du ein Problem“, drohte sie grinsend mit erhobenem Zeigefinger.

„Wann bekomme ich die Band und die Choreografien zu sehen?“, fragte sie, sobald wir das Cafe betreten hatten.

„Morgen. Die Jungs schleppen die ganzen Instrumente in die Tanzhallen und dann kannst du dir gleich einen Eindruck machen. Auch die anderen Tänzer sind da, du kannst dir die eine Choreo von ihnen ansehen, die sie schon können“, erklärte ich ihr nebenbei, während ich die Eiskarte studierte. Es war immer wieder dasselbe. Ich wusste einfach nicht, was ich bestellen sollte.

„Sehr gut“, lobte mich Meli und bestellte einen einfachen Eiskaffee. Den hatte ich auch noch nie probiert, also bestellte ich ebenfalls einen.

„Okay, kommen wir zu den wirklich wichtigen Sachen, Jason ist noch nicht mit Ciara zusammen?“, fragte ich interessiert.

Meli schüttelte den Kopf und kaute auf ihrem Kaugummi herum.

„Ich weiß auch nicht, wieso sie sich so anstellen. Jeder Blinde sieht, dass die beiden komplett ineinander verschossen sind“, beschwerte sie sich auf die typische Meli Art. Sie warf die Hände in die Luft und gestikulierte wie wild herum.

„Und du?“, wollte ich wissen.

Meli blies die Backen auf und ließ die Luft langsam entweichen.

„Es hat nicht funktioniert“, sagte sie nur schlicht. Und damit war das Thema für sie beendet. „Aber was ist mit dir?“, fragend sah sie mich an.

Ich schob meine Unterlippe an und kniff die Augen zusammen.

„Ich weiß nicht so recht“, meinte ich nur. Ich war mir nicht sicher, was ich sagen sollte. Okay, ich hatte mich damit abgefunden, dass ich Hals über Kopf in Joe verknallt war, aber war er dazu sagte, das wusste ich nicht. Klar, er wollte irgendwann einmal mit mir ausgehen, aber das schien mir schon Lichtjahre her. Vielleicht hatte er seine Meinung ja schon wieder geändert? Vielleicht hatte er sogar eine Freundin? Eigentlich kannte ich ihn gar nicht. Aus welchem Grund auch immer, war ich trotzdem in ihn verschossen. Es könnte ja auch sein, dass er ein Serienmörder war. Na toll, dann war ich in einen Killer verknallt.

„Was bist du nur für ein Weichei geworden?“, fragte sie verwundert.

„Bin ich gar nicht“, meinte ich verärgert.

„Ach komm schon Jenna. Du gehst einfach auf ihn zu und lädst ihn auf ein Date ein. Oder du machst es so, wie früher, du bringst ihn dazu, dass er dich einlädt, das wäre noch besser“, grinste sie.

Ja, darin war ich früher gut. Typen so zu verwirren, dass sie glaubten, sie wären von selbst auf die Idee eines Dates gekommen.

„Ich weiß ja nicht einmal, was er von mir hält“, meinte ich frustriert.

„Jeder mag dich, Jenna. Die können gar nicht anders, ich meine sieh dich an. Du siehst toll aus, bist interessant und talentiert. Und außerdem bist du noch nett dazu. Du bist cooler als die Polizei erlaubt“, grinste sie.

„Danke“, meinte ich lachend. „Wie konnte ich es hier nur ohne dich aushalten“.

„Man sieht ja, was aus dir geworden ist. Heute Abend zeigst du mir hier die Clubs, und dann sehen wir mal, wie viel wir noch retten können“, zwinkerte sie mir lächeln zu.

Ich stimmte ihr sofort zu. Die Nächte mit Meli waren der Wahnsinn. Nicht nur, weil sie einfach immer gut drauf war und die Barkeeper so um den Finger wickeln konnte, dass wir die Getränke meist umsonst bekamen, auch weil sie einfach eine positive Ausstrahlung hatte. Mit Meli konnte man die ganze Nacht lang durchtanzen, ohne auch nur auf die Idee an Blasen an den Füßen zu kommen.

Der Kellner brachte unsere Bestellung und lief rot an, als Meli ihm einen Dankeschön-Kuss auf die Wange hauchte.

Lachend sah ich ihm nach, wie er, eine Hand an die Wange gepresst, wieder in der Küche verschwand.

„Der Arme. Jetzt kann er die anderen Gäste sicher nicht mehr bedienen“, lachte ich.

Meli lachte nur und probierte ihren Eiskaffee.

„Gar nicht schlecht“, lobte sie das Getränk sofort.

Und es war wirklich ein toller Kaffee.

„Siehst du, das Kuhkaff hat doch seine positiven Seiten auch“, meinte ich.

„Jaja, ein paar gibt es schon“, stimmte sie widerwillig zu.

 

Meli beäugte Dana misstrauisch, als ich sie ihr vorstellte. Mit in die Hüften gestemmte Hände stand sie da und checkte Dana von oben bis unten durch. Aber auch Dana sah Meli misstrauisch an.

„Und das ist die Produzentin?“, fragte sie mit ungläubigem Unterton.

„Yep“, bestätigte ich. Ich war schon den ganzen Tag lang gespannt, ob sich die beiden verstanden, oder nicht.

„Wie alt bist du?“, fragte Dana sofort und zog die Augenbrauen hoch.

„Alt genug“, entgegnete Meli. Dann sah sie mich perplex an. „Seit wann gibst du dich denn mit Zicken ab?“, fragte sie ungläubig und deute wieder auf Dana. Sie tat so, als ob Dana überhaupt nicht da war. Ja, so war Meli.

„Naja, du bist ja immerhin auch ihre Freundin, oder etwa nicht“, meinte Dana daraufhin nur und legte den Kopf leicht schief.

Und dann fing Meli zu grinsen an.

„Ah, immerhin spricht sie fließend Sarkasmus“, meinte sie und streckte Dana die Hand entgegen. „Ich bin Meli“.

Dana nahm die Hand zwar zögern, aber schüttelte sie dennoch. „Dana“

„Und du kannst tanzen“, fragte Meli ungläubig und sah Dana noch einmal von oben bis unten an. Ungläubig zog sie die Augenbrauen nach oben.

Klar, hohe Schuhe, kurze Hotpants und ein trägerloses weißes Top deuteten nicht so darauf hin.

„Du siehst auch nicht gerade wie eine Musical Produzentin aus“, war die schnippische Antwort von Dana.

Und damit hatte sie Recht. Meli sah aus, als wäre sie gerade von irgendeinem Laufsteg gesprungen.

„Okay, sie ist akzeptiert“, meinte Meli in meine Richtung und grinste Dana an. „Aber ich will mich selbst davon überzeugen, ob du tanzen kannst. Du bist morgen doch dabei, oder?“, fragte sie.

Ah, das schlimmste stand Dana noch bevor. Wenn Meli eines wollte, dann war es Talent. Und auch die anderen Tänzer mussten da noch durch. Wer nicht gut genug war, wurde raus geworfen oder in die letzte Reihe gestellt, da war meine Freundin erbarmungslos.

„Natürlich bin ich dabei. Ich lasse euch beiden doch nicht den ganzen Spaß alleine“, entgegnete sie sofort.

Und damit waren wir alle für morgen um neun Uhr verabredet. Dana gab allen Tänzern Bescheid und ich der Band.

Abends machten Meli und ich uns dann fertig für den Club. Dana würden wir dort treffen.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich für ein Outfit entschieden hatte.

„Ach komm, ist das dein Ernst? Bist du jetzt einem Kloster beigetreten, oder was?“, war Melis Kommentar, als ich ihr mein Outfit zeigte.

Also verschwand ich wieder halb in meinem Kleiderschrank und suchte etwas Neues.

Meli war da ganz diplomatisch, sie hatte ihre halbe Wohnung mitgebracht.

Nach einer weiteren halben Stunde entschied ich mich für ein enges Kleid, das mir bis zur Mitte der Oberschenkel ging und aus einem schwarzem, leichten Stoff bestand. Und ich nahm mir vor, dass es mir egal war, was Meli dazu sagte. Mir gefiel es, und damit basta.

Erstaunlicherweise hatte auch die blondhaarige Schönheit nichts dagegen. Sie selbst trug ein rotes Kleid, welches ihr bis knapp über die Knie ging und mit Pailletten überseht war. Sie sah toll darin aus, und das war ihr natürlich bewusst.

In der Küche trafen wir auf Ryan und meinen Dad.

„Leute, das ist Meli“, stellte ich sie sofort vor.

Mit einem Lächeln marschierte Meli auf meinen Dad zu und hielt ihm sofort die Hand hin.

„Hallo, freut mich dich kennen zu lernen“, meinte sie mit einem Lächeln im Gesicht. Mit den blonden Locken sah sie aus wie ein Engel. Aber von diesem Anblick sollte man sich auf keinem Fall täuschen lassen.

Mein Dad mochte sie sofort und auch Ryan schien angetan von ihr. Er starrte sie am Anfang einfach nur ungläubig an.

Lachend stieß ich ihm den Ellbogen in die Seite, damit er sich wieder fangen konnte, bevor sie es bemerkte.

„Das ist Meli?“, fragte er ungläubig, während meine Freundin noch immer mit meinem Dad sprach.

Nickend sah ich ihn an. Wieso war er so schockiert?

Als sie sich schließlich zu meinem Bruder und mir umdrehte, hatte Ryan sich wieder einigermaßen gefangen.

Lächelnd gab sie auch Ryan die Hand.

„Hey, ich bin Meli“, stellte sie sich auch meinem Bruder vor.

„Ryan“, entgegnete er nur einfallsreich.

Ich verdrehte die Augen und zwinkerte meinem Dad zu. Der hatte die Situation sofort verstanden und verließ lachend die Küche.

„Wieso hast du mir nie gesagt, dass du so einen heißen Bruder hast?“, beschwerte sich Meli bei mir und zwinkerte Ryan zu. Der lachte laut auf.

„Danke, danke. Du gefällst mir, du baust mein Selbstbewusstsein auf“, entgegnete er grinsend.

„Pass auf, sonst ist sein Ego irgendwo an der Küchendecke“, warnte ich sie tadelnd.

Die beiden verstanden sich fast zu gut. Auf der ganzen Fahrt in den Club redeten sie miteinander. Ich beäugte sie misstrauisch durch den Rückspiegel. Das würde doch wohl nichts Ernstes werden zwischen den Beiden, oder?

Als wir auf den Parkplatz vor dem Club einbogen, stand bereits eine lange Warteschlange vor dem Eingang.

Ich tauschte meine Ballerinas gegen meine hohen Schuhe und nahm meine Handtasche vom Beifahrersitz.

Ryan und Meli waren schon ausgestiegen und ich stellte grinsend fest, dass Ryan schon seinem Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Na, die gingen das Ganze ja ziemlich flott an.

„Und da müssen wir uns jetzt ernsthaft anstellen?“, fragte Meli ungläubig und beäugte misstrauisch die lange Schlange.

„Nein“, Ryan schüttelte den Kopf.

Hoch erhobenen Hauptes stolzierten die Beiden an der Schlange vorbei und verschwanden im Club.

Kopfschüttelnd musste ich mir ein Lächeln verkneifen, da hatten sich zwei gefunden.

„Hey Jenna“, begrüßte mich Leo.

Erschrocken sprang ich ein Stück zurück.

„Oh man, hast du mich erschreckt“, sagte ich und legte mir eine Hand aufs Herz.

„Tut mir Leid. Ich dachte du hast mich schon gesehen“, entschuldigte er sich mit Hundewelpen-Blick.

„Macht nichts“, lachte ich. „Wo hast du denn die anderen gelassen?“, fragte ich und blickte mich um.

„Danny holt Dana und Daniel ab. Und Mara müsste gleich kommen, sie wollte nur noch schnell telefonieren. Ist Ryan auch da?“, fragte er.

Ich nickte ihm zu. „Der ist mit Meli schon drinnen“, erklärte ich.

„Wer ist Meli?“

„Meine Freundin aus San Franzisco. Du weißt schon, sie hat die Songs geschrieben und macht das Musical“

„Ah, diese Meli“, lachte er.

Mara tauchte plötzlich hinter Leo auf und zog mich in eine stürmische Umarmung.

„Hey Jenna“, rief sie mir ins Ohr. Sie war schon leicht angetrunken.

„Hey Mara. Du siehst toll aus“

Sie trug einen kurzen Jeansrock und eine dunkelblaue Bluse, was ihr wirklich hervorragend stand.

„Danke, du siehst auch toll aus“, lallte sie leicht.

„Lasst uns rein gehen“, meinte Leo und stützte Mara auf einer Seite.

Die wartenden Leute sahen uns nicht gerade begeistert aus, aber, obwohl Joe heute nicht persönlich am Eingang stand, wurden wir sofort durch gewinkt.

„Die Leute hier sind so toll“, schwärmte Mara und lachte den Security Männern zu.

Lächelnd sahen Leo und ich uns über ihren Kopf hinweg an.

„Was hast du mit deiner Schwester gemacht?“, fragte ich ihn leise, während Mara an der Garderobe ihre Jacke abgab.

„Gar nichts. Als ich nach Hause kam, war sie schon betrunken“, erklärte er schulterzuckend.

„Vielleicht sollten wir sie zu den Anonymen Alkoholikern schicken?“, lachend sah ich ihn an.

„Ja, das wäre ganz gut, glaube ich“, entgegnete er grinsend.

Der Club war ziemlich überfüllt und wir kämpften uns tapfer durch, bis zur Bar. Nur Mara verschwand auf die Toilette. Hoffentlich kam sie dort auch wirklich an.

„Freust du dich schon auf Morgen?“, fragte Leo und stellte mir eine Cola vor die Nase. „Autofahrer, nehme ich an?“.

Nickend nahm ich das Getränk und nippte kurz an der kalten Cola.

„Ja, ich freue mich schon. Ich bin gespannt, wie Meli alles gefällt“, sagte ich.

„Hast du etwa Zweifel?“, wollte er fragend wissen.

„Nein. Naja, ein bisschen schon. Ich meine, ihr seid wirklich super! Das kann man nicht leugnen. Aber bis jetzt hat noch niemand die Choreografien gesehen, außer Dana und mir. Was, wenn sie kompletter Mist sind und wir uns nur einreden, dass sie ganz okay sind?“, fragte ich ihn leicht frustriert.

Der Gedanke ging mir schon den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht überschätzen Dana und ich uns. Wir hätten unsere Tanzschritte vorher jemandem zeigen sollen. Nur war es jetzt leider zu spät dazu.

„Ich glaube, du hast das einzigartige Talent, die Situationen richtig einzuschätzen. Und wenn du bisher von euren Schritten überzeugt warst, dann sind sie gut“, entgegnete er beruhigend.

„Was ist, wenn ich mich selbst überschätze?“

„Das machst du nicht. Du bist eher der Typ, der sich selbst unterschätzt. Wie das singen zum Beispiel. Du spielst es immer herunter, aber Joe hat mir erzählt, dass du toll bist“, meinte er und zwinkerte mir zu.

„Wirklich?“, fragend sah ich ihn an. Joe redete mit Leo über mich?

„Ja. Aber du musst dir selbst vertrauen. Steh einfach zu deiner Arbeit“, riet er mir.

„Okay, ich versuche es“, stimmte ich zu.

Müde rieb ich mir über die Stirn. Auch wenn Leo sich alle Mühe gab, mich auf zu bauen, blieben ein paar Zweifel zurück.

„Ich freue mich wirklich schon auf morgen“, sagte er noch und hob sein Glas in die Höhe. „Auf den morgigen Tag“, sagte er und ich stieß mein Glas gegen seins.

 

Nach einiger Zeit, ließ sich Danny auf den Stuhl neben mir fallen.

„Wieso bist du nicht bis zur Unkenntlichkeit besoffen?“, fragte er lallend.

„So wie du?“, grinsend sah ich zu ihm auf.

„Ja, dann würde es dir genauso gut gehen wie mir“, lallte er lachte mich an.

„Ich fahre heute“, erklärte ich ihm.

„Achso ist das“, er nickte verstehend. „Weißt du, dass dein Bruder und deine blonde Freundin dort oben rum knutschen?“, fragte er und deutete nach oben in die VIP Lounge.

„Wirklich?“, fragte ich, war aber nicht wirklich erstaunt. Das war eigentlich unvermeidlich gewesen.

„Ja. Sieht ekelhaft aus“, lachte er.

„Bist du morgen eigentlich wieder fähig, Schlagzeug zu spielen, wenn du dich so voll laufen lässt?“, fragte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Natürlich! Schlagzeug spielen kann ich auch im Schlaf“, lachte er. „Sag mal, hast du Dana wo gesehen? Sie wollte mir noch erklären, wieso sie mich nicht mag“, grinste er.

„Keine Ahnung, wo sie ist. Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen“, antwortete ich.

Nickend ging Danny davon.

Und ich machte mich endlich auf den Weg zu den Toiletten. Eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde gehen, aber ich wurde immer von irgendwem aufgehalten. Vorher hat mich doch tatsächlich ein Typ gefragt, ob ich ihm nicht einen ausgeben möchte. Er fand es romantisch, wenn Frauen zahlen. Ich allerdings nicht wirklich.

Auf der Toilette sah ich kurz in den Spiegel. Es war schon zwei Uhr morgens und ich sah auch demensprechend aus. Vom Tanzen waren meine Haare zerzaust und ich fuhr kurz mit dem Finger meine Augen nach, um die verschmierte Wimperntusche etwas zu kaschieren.

Gerade als ich die Toilette wieder verlassen wollte, kam Mara herein marschiert. Sie sah etwas nüchterner aus, war aber trotzdem noch immer komplett betrunken.

„Jenna“, rief sie laut und fiel mir um den Hals. „Wo hast du gesteckt?“, wollte sie wissen.

„Ich war an der Bar“, erklärte ich ihr. „Darf ich dir die Haare richten?“

Als sie nickte, zog ich ihr den Haargummi aus ihren dunklen Strähnen und band ihre Haare wieder zu einem hohen Pferdeschwanz.

„Jetzt siehst du wieder unglaublich aus“, lachte ich.

„Weißt du, was ich dir erzählen wollte“, fragte sie mit leuchtenden Augen.

Fragend sah ich sie an.

„Joe hat mir erzählt, dass Daniel keine Freundin hat“, kicherte sie.

„Hey, das ist ja toll“, freute ich mich für sie.

„Ja, ich weiß. Eigentlich wollte ich noch mit ihm reden, aber er ist schon nach Hause gefahren“, meinte sie traurig.

„Aber du siehst ihn doch morgen“, machte ich ihr Mut.

„Ja, da hast du Recht“, lachte sie.

„Ach ja, Mara. Leo hat dich vorhin gesucht“, erinnerte ich mich. Er war vor einer halben Stunde kurz bei mir und hat nach seiner Schwester gefragt.

„Mist. Wir wollten eigentlich um halb zwei nach Hause“, seufzte sie. „Kannst du mir helfen ihn zu finden?“

„Klar“, entgegnete ich und gemeinsam verließen wir die Toiletten.

Obwohl Mara vorschlug, dass wir uns trennten, ließ ich ihren Arm nicht los. Ich vertraute betrunkenen Menschen nicht wirklich. Wahrscheinlich würde sie wieder irgendwohin laufen.

Ich entdeckte Dana an der Bar. Sie lehnte neben Danny und die beiden schienen sich gut zu verstehen.

„Hey ihr zwei, habt ihr Leo irgendwo gesehen?“, fragt ich.

„Nein, sorry“, lächelte Dana und zwinkerte mir unauffällig zu.

War ich heute von lauter werdenden Pärchen umgeben, oder was hatte ich verpasst.

Ich schleppte Mara nach draußen, in die Vorhalle, wo es etwas ruhiger war.

Sie ließ sich sofort an der Wand hinunter gleiten und stütze den Kopf in die Arme.

Sie war total fertig, das sah man ihr an.

„Suchst du jemanden?“, fragte jemand hinter mir und als ich mich umdrehte stand Joe hinter mir. Er trug seine Security Jacke und ein Headset im Ohr.

„Hey“, begrüßte ich ihn. „Ja, wir suchen Leo, hast du ihn zufällig irgendwo gesehen?“, fragte ich.

„Ja, der ist vorher mit einem Mädchen nach draußen verschwunden“, antwortete er lachend.

„Frustrierend“, entgegnete ich und blickte nachdenklich auf Mara. Was machte ich nur mit ihr.

„Wieso das denn?“, lachend sah er auf mich herab.

Seufzend fuhr ich mir durch die Haare.

„Erinnere mich, dass ich nie wieder nüchtern in einen Club gehe. Da bekommt man einfach viel zu viel mit, was man gar nicht wissen möchte“, seufzte ich.

Joe lachte laut auf.

„Was hast du denn gesehen?“, wollte er interessiert wissen.

„Das erklär ich dir ein anders Mal“, wiegelte ich ihn ab. Er musste ja nicht wissen, dass er mich frustrierte. Meli und Ryan waren irgendwo in der VIP Lounge verschwunden, Danny und Dana schienen sich ebenfalls ziemlich gut zu verstehen und Leo war mit einem Mädchen draußen verschwunden. Sogar Mara hatte heute herausgefunden, dass der Typ den sie mochte keine Freundin hatte. Naja, und ich? Ich war nüchtern und es zwar zwei Uhr morgens.

„Soll ich dir helfen, Leo zu finden?“, fragte er, anstatt noch länger nach zu fragen.

Ich schüttelte nur den Kopf. „Nein, schon gut. Ich fahr sie kurz nach Hause und komme dann einfach wieder her“, lächelte ich.

„Sicher? Du siehst schon müde aus“, fragte er unsicher.

„Schon gut. Lassen wir Leo einfach seinen Spaß haben. Aber Mara muss dringen nach Hause“.

Wir blickten beide auf das schlafende Häuflein zu unseren Füßen.

Ich ging in die Knie und rüttelte sie an der Schulter.

„Mara, komm, wach auf“, sagte ich und schüttelte sie.

Aber keine Chance, sie schlief bereits tief und fest.

„Na toll“, seufzte ich und stellt mich wieder aufrecht hin.

Lachend kniete sich Joe neben Mara hin und hob sie hoch.

„Darf ich dir behilflich sein, oder willst du sie selbst hinaus tragen?“, fragte er lächelnd.

„Du machst das ganz toll, ich überlasse dir den Part“, entgegnete ich sarkastisch und wir verließen den Club.

„Ist sie dir auch nicht zu schwer?“, fragte ich zur Sicherheit und entriegelte Ryans Auto.

„Nein, gar nicht. Sie wiegt nicht mehr als du“, entgegnete er.

Ich erinnerte mich, dass mich Joe auch schon einmal getragen hatte. Ins Krankenhaus hinein. Oh Gott, war mir das jetzt peinlich.

Zum Glück konnte er meine roten Wangen in der Dunkelheit nicht sehen.

„Hat sie einen Schlüssel dabei?“, fragte er, als er Mara vorsichtig auf den Beifahrersitz setzte.

„Gute Frage“, entgegnete ich und löste Maras Tasche von ihrer Schulter. Ich kramte kurz darin herum und hielt dann triumphierend einen Schlüsselbund hoch.

„Okay, danke fürs helfen“, sagte ich und lächelte ihn an.

„Kein Problem. Dann bis später“, verabschiedete er sich von mir und ging zurück in den Club.

Ich schnallte Mara an und parkte dann aus. Der Parkplatz hatte sich schon geleert, aber im Club selbst war noch die Hölle los. Die Autofahrer waren vermutlich alle schon nach Hause gefahren, und nur noch die Jugendlichen, die sich ein Taxi nahmen oder abgeholt wurden waren da.

Eigentlich fuhr ich lieber nachts, da waren weniger Autos unterwegs.

Ich erreichte Maras und Leos Haus schnell, und Mara zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich das Auto abstellte. Die Frage war jetzt nur, wie bekam ich Mara ins Haus hinein.

Ich stieg aus und öffnete schon einmal ihre Autotür.

„Mara, wach auf“, sagte ich und schüttelte sie an der Schulter.

Aber sie bewegte sich nicht. Sie schnarchte einfach leise vor sich hin, total im Delirium.

„Verdammt, Mara“, schimpfte ich und schlug ihr ins Gesicht. Aber selbst das half nichts.

Also nahm ich die Wasserflasche aus meiner Handtasche und spritze ihr Wasser ins Gesicht. Ryan würde ausflippen, wenn er erfuhr, dass ich das in seinem Auto gemacht hatte.

Kein Mucks, sie bewegte sich nicht.

Fluchend schlug ich ihr fester ins Gesicht. Das konnte doch nicht wahr sein.

Frustriert lehnte ich mich zurück.

Ein leises Lachen ertönte hinter mir und vor Schreck stieß ich mir den Kopf am Autodach.

Eine dunkle Gestalt lehnte an der Mauer und beobachtete mich.

Der Typ stieß sich ab und schlenderte auf mich zu.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte er und ich konnte das Lachen aus seiner Stimme heraus hören.

Wer verdammt noch einmal war das?

„Äh“, machte ich geistreich und wich einen Schritt zurück.

„Ach, wie unhöflich von mir. Du erinnerst dich nicht mehr an mich?“, wollte er wissen und strich sich die Kapuze vom Kopf.

Das Gesicht kam mir weit entfernt bekannt vor, aber ich konnte beim besten Willen nicht sagen, wer da mitten in der Nacht vor mir stand.

„Ich bin Tom. Nett, dass du meine Schwester nach Hause gebracht hast“, sagte er.

Ach ja, Leo und Mara hatten noch einen Bruder. Tom. Der Drogenjunkee, der seinen Konsum im Griff hatte. So ungefähr hatte Leo ihn damals beschrieben.

Er strahlte irgendetwas Unheimliches aus, aber wie bitte sonst sollte ich Mara aus diesem Auto bekommen?

„Kannst du mir helfen? Sie ist halb bewusstlos“, erklärte ich und konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln.

„Natürlich. Immerhin soll sie nicht in dein schönes Auto kotzen“, lächelte er.

„Ich glaube, die ist so hinüber, die kotzt heute nirgendwo mehr hin“, meinte ich.

„Naja, da kennst du Mara schlecht“, lachte er.

Ich ging einen Schritt zurück und Tom hob Mara auf die Arme.

„Aber die Tür musst du für mich öffnen. Hast du einen Schlüssel?“, fragte er leicht gepresst. Anscheinend war Mara doch nicht so leicht, wie Joe behauptete.

„Ja, hab ich“, antwortete ich und ging schon einmal voraus, um die Haustür zu öffnen.

Tom trug Mara ins Haus, und die Treppe hoch in ihr Zimmer.

Zögernd folgte ich ihm.

Maras Zimmer hatte ich noch nie gesehen, nur Leos. Und Toms.

Sie hatte ein wirklich schönes Zimmer. Mit hellen Farben und sauber aufgeräumt.

Ächzend ließ Tom seine Schwester aufs Bett fallen.

Ich zog ihr nur die Schuhe aus und deckte sie zu. Den Rest musste sie selbst machen, wenn sie aufwachte.

„Danke“, flüsterte ich und verließ Maras Zimmer.

„Du brauchst nicht zu flüstern, die schläft tief und fest, wie du schon bemerkt hast“, lachte er.

„Ja, da hast du vermutlich recht“, seufzte ich. Ich war müde und wollte eigentlich nur noch ins Bett. „Danke für deine Hilfe“

„Kein Problem. Danke, dass du sie nach Hause gebracht hast. Die wird sich morgen an nichts mehr erinnern“, meinte er nur kopfschüttelnd.

Eigentlich war Tom gar nicht so schlimm, wie ich immer gedacht hatte.

Ich verabschiedete mich und fuhr zurück zum Club. Mittlerweile war es drei Uhr.

Ich parkte das Auto an derselben Stelle wie zuvor und ging auf den Club zu.

„Jenna!“, ertönte Leos laute Stimme hinter mir.

Na toll, jetzt tauchte er plötzlich auf.

Seine Haare waren zerwuschelt und an seiner Hand hing ein rothaariges Mädchen. Als er näher kam, bemerkte ich, dass er überall Lippenstift hatte.

Ich musste mich wirklich bemühen, um nicht los zu lachen.

„Wo ist Mara?“, fragte er sofort.

„Die habe ich gerade nach Hause gebracht“, erklärte ich ihm.

„Mist. Tut mir wirklich leid“, entschuldigte er sich.

„Macht nichts“, antwortete ich und wandte mich ab.

Pärchen frustrierten mich.

Generell war der ganze Abend frustrierend.

Am Eingang empfing mich Joe.

„Na, alles gut gegangen?“, fragte er so geheimnisvoll, als hätte ich Drogen über eine internationale Grenze geschmuggelt.

„Ja, mehr oder weniger“, antwortete ich und musste gähnen.

„Müde?“, fragend sah er mich an.

„Und wie. Wie hältst du es nüchtern hier drinnen aus?“, fragte ich verständnislos. Und das jedes Wochenende?

„Man gewöhnt sich daran. Hey, willst du gleich nach Hause, oder darf ich dich einladen?“, fragte er.

„Die Beiden wollen vermutlich sowieso noch nicht weg“, willigte ich lächelnd ein.

Ich folgte ihm zur Bar.

Unglaublich, wie die Leute respektvoll vor jemandem mit Security Jacke zurück wichen.

„Ich will auch so eine Jacke“, sagte ich, als wir an der Bar ankamen. Ich ließ mich auf einen der Hocker fallen und war froh, nicht mehr auf den hohen Schuhen stehen zu müssen.

„Wieso?“, wollte er wissen, nachdem er dem Barkeeper zu gewunken hatte.

„Weil einfach jeder gut darin aussieht“, lachte ich.

Lachend ließ sich Joe neben mich auf den Hocker fallen.

Während er bestellte schrieb ich Ryan eine kurze SMS, dass er seinen Hintern hierher bewegen soll.

„Hier bitte“, sagte er und hielt mir eine Cola hin. Wie aufmerksam von ihm.

„Danke“, ich nahm gleich einen tiefen Schluck. Die ganze Mara-Aktion war wirklich anstrengend gewesen.

„So, und jetzt verrate dem gutaussehendem Security Mann, wieso du so frustriert bist“, sagte er.

Eigentlich wollte ich ihm das gar nicht erzählen. Aber er lächelte mich so lieb an. Und seine Augen waren so schön. Ich bemerkte das warme Gefühl im Magen, das ich immer bekam, wenn ich bei ihm war.

„Ich bin nüchtern und es ist drei Uhr morgens“, sagte ich schlicht.

„Und das ist der einzige Grund?“, fragend sah er mich an. Verdammt, konnte da nicht Danny sitzen? Oder Daniel? Jemand neutrales?

„Und mein Bruder ist mit meiner besten Freundin in der VIP Lounge verschwunden“, fuhr ich fort.

„Oh, die Blonde?“, wollte er wissen.

Ich nickte.

„Ja, ich habe sie gesehen. Hast du etwas gegen die Beiden?“, fragte er und sah mich an.

Ich ließ meinen Finger um den Rand meines Glases kreisen und dachte nach. Hatte ich etwas dagegen?

„Nein, eigentlich nicht. Aber wenn nichts aus den beiden wird, dann entsteht immer diese komische Situation, wo niemand mit dem anderen redet. Weißt du, was ich meine?“, ich sah ihn an. Das Licht der großen Diskokugeln über uns ließ seine Haare in rot und grün leuchten. Standen ihm eigentlich ganz gut, die Farben.

„Nicht wirklich“, gab er dann zu.

„Ihr Typen kennt sowas nicht. Euch ist es doch meistens egal“, bemerkte ich.

„Nein, das würde ich jetzt nicht sagen“, erwiderte er sofort.

„Naja, ist es nicht meistens so, dass ihr einfach ein Mädchen nach dem anderen abschleppt und wenn sie euch das nächste Mal begegnen, wisst ihr nicht einmal mehr ihre Namen?“, fragte ich ihn leicht anklagend.

„Du musst das allerdings auch von der anderen Seite sehen. Es gibt Mädchen, die einfach jeden an sich ran lassen. Egal ob vergeben oder nicht“, antwortete er knurrend.

Oje, hatte ich etwas Falsches gesagt?

„Tut mir leid, ich wollte dich jetzt nicht beleidigen, oder so“, ruderte ich sofort zurück.

Joe hatte die Augenbrauen zusammengezogen, so, als erinnere er sich an irgendetwas Unangenehmes. Als er meinen Blick bemerkte lösten sich die Falten von seiner Stirn und er hob leicht die Mundwinkel an.

„Schlechte Erfahrung?“, fragte ich vorsichtig.

Er nickte leicht und das Licht spiegelte sich in seinem Glas und warf bunte Lichtflecken in sein Gesicht.

Ich verstand ihn nur zu gut. Auch ich war schon Opfer von Arschlöchern geworden. Man dachte, sie wären nett und wirklich an einem interessiert. Aber in Wirklichkeit war ihnen alles scheiß egal.

„Aber zurück zu Ryan und Meli. Was ist, wenn aus den beiden ein Paar wird, wäre das okay für dich?“, wechselte er das Thema wieder zurück.

Ich überlegte kurz, nickte aber fast augenblicklich.

„Eigentlich würden sie gut zusammen passen“, stellte ich überrascht fest.

„Na, dann ist es ja gut. Und wenn es nicht funktioniert, bleibt alles beim Alten. Du bist sowieso immer so beschäftigt mit eurer Musicalaufführung, dass sich das alles dann wieder beruhigen kann“, meinte er.

„Hoffen wir einfach, dass es etwas wird. Es würde Meli ganz gut tun“, sagte ich nachdenklich. Meli würde einen Freund brauchen, der flexibel war. Der sie auch ziehen lassen würde und nicht zu sehr klammerte. Eigentlich wäre Ryan perfekt.

„Na, und Ryan erst“, lachte Joe.

„Okay, wenn ich jetzt nicht langsam mal ins Bett komme, dann kann ich morgen nicht tanzen“, beschwerte ich mich und musste das Gähnen unterdrücken.

„Du kannst mich nicht zufällig hoch in die VIP Lounge schleusen, oder?“, bittend sah ich ihn an.

„Klar, kein Problem“, entgegnete er und stand auf.

Ich trank noch schnell meine Cola aus und stand ebenfalls auf.

„Ist ganz praktisch, dich als Freund zu haben“, lachte ich und stieß ihm leicht den Ellbogen in die Seite.

„Tja, dich als Freundin zu haben ist dafür viel zu schwer“.

„Wieso das denn?“, verwundert sah ich ihn an.

„Na, ich muss dich andauern beschützen“, grummelte er und bannte uns einen Weg durch die angetrunkene Menschenmasse.

„Mich beschützen?“, perplex sah ich ihn an.

Joe schüttelte leicht den Kopf, bevor er stehen blieb und sich zu mir umdrehte.

„Ist dir noch nicht aufgefallen, dass dich hier jedes männliche Wesen anschaut, als wärst du ein Stück Fleisch?“, erklärte er mir.

„Wirklich?“, prüfend sah ich mich um, konnte aber niemanden entdecken, der mich zu offensichtlich anstarrte.

„Oh ja. Es ist fast zum verrückt werden“, sagte er.

Dann nahm er meine Hand und zog mich weiter durch das Geflecht aus Armen und Beinen.

Jemand schüttete mir sein Getränk über den Arm und ich zuckte angewidert zurück.

Toll, jetzt musste ich noch duschen gehen.

An der Treppe zur VIP Lounge waren weniger Leute und ich konnte endlich wieder Luft holen.

„Wieso macht dich das verrückt? Ich kann doch auf mich selbst aufpassen“, fragte ich und hielt Joe an der Hand zurück.

Wiederwillig blieb er stehen und sah auf mich herunter.

„Damit du wieder im Krankenhaus landest, so wie letztes Mal?“, fragte er und sein Gesicht verdunkelte sich.

„Das wird sich nicht wiederholen“, versprach ich.

„Wieso bist du dir da so sicher? Hier sind haufenweise besoffene Typen. Und besoffene Leute schrecken meistens vor Gewalt nicht zurück“, knurrte er.

„Hey, hier laufen viele Leute herum, die ich kenne, und die mir helfen könnten. Und außerdem seid ihr ja da. Es sind mindestens zehn Security Leute im Raum verteilt“, entgegnete ich. „Und du bist da“

Ja, mir war bewusst geworden, dass ich hier drinnen absolut keine Angst hatte, weil ich wusste, dass Joe hier war. Diese Erkenntnis ließ mich lächeln.

Ich biss mir auf die Unterlippe, als mir wieder einmal bewusst wurde, dass ich von Joe abhängig war.

„Ja, ich bin da und pass auf dich auf“, sagte er leise und sah mich an.

Ich sah ihm in die Augen und verlor mich in seinem Blick. Seine Augen leuchteten hellgrau und ich versank darin. Verdammt, in diese Augen konnte ich Stunden sehen.

Joe wandte den Blick ab und räusperte sich.

„Äh, wir wollten eigentlich Ryan und Meli suchen“, erinnerte er sich und ich machte einen Schritt zur Seite.

„Ja genau“, stimmte ich ihm zu und wir gingen nebeneinander die Treppe hoch.

Was genau war das denn gewesen?

Oben war nicht mehr allzu viel los. Ein paar Tische waren noch besetzt und an der Bar lehnten noch vereinzelt Paare. Suchend sah ich mich um, aber Joe entdeckte die Beiden zuerst. Ryan saß auf einem roten Sofa und lächelte, während Meli mit geröteten Wangen und zerzausten Haaren auf seinem Schoß saß.

„Na, ihr beiden“, begrüßte Joe die beiden.

„Hey, ich bin Meli“, stellte sich die blonde Schönheit vor und streckte ihm die Hand hin.

„Joe“, entgegnete er und schüttelte Melis Hand.

Sie hob kurz die Augenbrauen und warf mir einen fragenden Blick zu.

„Der berühmte Joe“, sagte sie und stand auf.

„Berühmt?“, fragend sah er sie an.

Meli, bitte mach jetzt nicht blödes!

„Ja, mehr oder weniger“, lächelte sie und fuhr sich durch die Haare.

„Äh, ja, können wir dann nach Hause fahren?“, fragte ich in die Runde.

Meli zwinkerte mir zu und nahm, wie selbst verständlich, Ryans Hand.

„Klar, wir haben nur auf dich gewartet“, sagte Ryan und die beiden gingen zur Treppe.

Fassungslos starrte ich ihnen nach. Ich hatte mich ernsthaft abgemüht, bis halb vier im Club zu bleiben, und wofür?

Joe lachte neben mir.

„Die passen ja bestens zusammen“

Grummelnd sah ich den beiden nach. „Das halte ich nicht aus, wenn die beiden ein Paar werden“, gestand ich kopfschüttelnd.

„Hey, du kannst mich nicht zufällig auch nach Hause fahren, oder?“, fragend sah er mich an.

„Klar, wenn wir jetzt gleich fahren können? Ich will hier wirklich nicht länger bleiben“, entgegnete ich.

Ich war müde und wollte in mein Bett. Morgen musste ich um acht Uhr wieder top fit sein.

„Ja, können wir“.

Wir folgten meinem Bruder und Meli durch die Menge hindurch, aus dem Club hinaus.

„Hast du zufällig Dana noch wo gesehen?“, fragte ich, nachdem ich mir meine Jacke übergezogen hatte. Wir hatten zwar Sommer, aber nachts war es gemein kalt draußen.

„Die war vorher mit Danny unterwegs“, antwortete er. Er verabschiedete sich noch bei einem seiner Kollegen und wir gingen zum Auto.

Ryan und Meli hatten es sich schon auf der Rückbank gemütlich gemacht.

Nachdem Joe sich neben mich fallen ließ, startete ich den Motor.

„Wie hast du Mara in ihrer Bewusstlosigkeit aus dem Wagen bekommen?“, fragte Joe interessiert, als er die nasse Rückenlehne seines Sitzes entdeckte.

Schnell warf ich einen prüfenden Blick zu Ryan, aber der war zu sehr mit der schlafenden Meli beschäftigt, die an seiner Schulter lehnte.

„Tom hat mir geholfen“

„Tom? Wieso war er noch wach?“, verwundert sah Joe zu mir rüber

„Keine Ahnung. Er hat mich ziemlich erschreckt, lehnte einfach an der Mauer in der Dunkelheit“, entgegnete ich.

„Er ist ein komischer Typ“, sagte Joe.

„Ich glaube, er ist ganz in Ordnung“, erwiderte ich.

„Hey Jenna“, ertönte Ryans kratzige Stimme von der Rückbank.

„Bevor du Joe nach Hause fährst, kannst du Meli und mich zu Hause aussteigen lassen?“

Es wäre sowieso unnötig, wenn sie die Strecke mitfahren würden, da wir unser Haus zuerst erreichten.

„Klar“

Bei uns angekommen weckte Ryan Meli auf. Diese schien zwar verwirrt, ließ sich aber ohne Wiederrede von Ryan ins Haus bringen.

„Na, hoffentlich bring er sie wenigstens in ihr eigenes Bett“, lachte Joe.

„Das hoffe ich auch für ihn“, brummte ich. „Ich will noch nicht Tante werden“

Joe lachte laut auf.

„Dich kann ich mir nicht mit einem Kleinkind auf dem Arm vorstellen“, sagte er.

„Ich mag eigentlich auch gar keine Kinder“, antwortete ich darauf.

Natürlich waren sie schon irgendwie süß, aber so anstrengend.

Wir erreichten Joes Haus schnell. Die Fenster waren alle dunkel, bis auf eines, das hell erleuchtet war.

„Meine Schwerster“, seufzte Joe.

„Wartet sie etwa immer, bis du zu Hause bist“, fragte ich fassungslos.

Joe schüttelte lächelnd den Kopf.

„Sie hat gerade Beziehungsprobleme und futtert unser ganzes Eis leer“, beschwerte er sich.

„Oje, du Armer“, lachte ich.

„Kann man nichts machen“, sagte er und öffnete die Tür.

„Ach ja, bevor ich es vergesse“, sagte er und ließ sich wieder auf den Sitz fallen.

Er beugte sich herüber und flüsterte mir ganz leise „Danke“ ins Ohr.

„Kein Problem“, lächelte ich.

„Nein, wirklich. Danke. Nicht nur fürs nach Hause bringen“, lächelte er.

Und dann streiften seine Lippen für einen kurzen Moment meine.

„Hoffentlich bist du morgen nicht mehr so frustriert“

Und plötzlich war er weg.

Ungläubig fuhr ich mir mit der Hand an die Lippen. Hatte mich Joe gerade geküsst?

Ich sah ihm noch nach, wie er zur Haustür ging. Er drehte sich ganz kurz um und lächelte mir zu. Joe hob die Hand und winkte, bevor er die Haustür öffnete und im Haus verschwand.

Mit wackeligen Knien startete ich den Motor.

Verdammt, das war wirklich passiert. Vielleicht bleibe ich in Zukunft doch öfters nüchtern. Dann kann ich Momente wie diese nicht meiner Betrunkenheit zuschieben.

Kapitel 16 - Ordnung im Chaos

Der Morgen war chaotisch. Mein Handyakku hatte in der Nacht noch den Geist aufgegeben, weshalb ich erst um halb neun wach wurde. Fluchend weckte ich die Anderen auf und suchte mir nebenbei meine Tanzklamotten zusammen. In einer halben Stunde sollten wir schon bei den Studios sein.

Grummelnd stampft Ryan aus seinem Zimmer, dicht gefolgt von Meli. Äh, ich hielt kurz inne, war aber so im Stress, dass ich mir einfach keine Gedanken darüber machen konnte. Sonja war so nett und packte uns schnell ein paar Kleinigkeiten zusammen, während wir durchs Haus hetzten und uns fertig machten.

Um zehn vor neun sprangen wir dann in Ryans Auto und er stieg aufs Gaspedal.

„Spinnst du?“, beschwere ich mich sofort und klammerte mich am Autositz fest.

„Oh, sorry“, murmelte er nur und fährt etwas langsamer.

„Wieso haben wir verpennt?“, gähnte Meli und fuhrt sich mit einer Hand durch die, noch leicht verwuschelten, Haare.

„Weil ihr euch keinen Wecker gestellt habt?“, fragte ich ironisch und kramte einen Apfel aus der Tasche, die Sonja uns netterweise noch schnell in die Hand gedrückt hatte.

„Du hättest uns ja wecken können“, brummte Ryan von der Seite und fuhr sich mit der Hand über die verschlafenen Augen.

„Hände ans Lenkrad“, zischte ich und biss in meinen Apfel.

Puh, ich hasste Stress am Morgen. Und ich hatte noch nicht einmal Kaffee. Das würde heute kein guter Tag werden. Tolle Voraussetzungen.

„Jaja, schon gut“, antwortete Ryan und legte wieder beide Hände ans Lenkrad.

„Sind die anderen wenigstens schon dort?“, fragte ich und dachte an die ganzen Instrumente. Das würde noch Ewigkeiten dauern, wenn die Jungs das Zeug nicht schon aufgebaut hatten.

„Keine Ahnung. Frag doch Joe, der wollte sich darum kümmern“, war Ryans unbeteiligte Antwort. Na, danke für die Hilfe.

„Krieg ich dein Handy?“, fragte ich mit einem lieben Lächeln und blinzelte ihn an.

Verwirrt sah er mich kurz von der Seite an, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte.

„Was ist denn mit deinem?“, fragte er.

„Ich hab Joes Nummer nicht“, murmelte ich und konnte den leichten Rotschimmer auf meinem Gesicht praktisch spüren.

Ich erhaschte einen kurzen Blick auf Meli im Rückspiegel. Sie sah mich nur an und versuchte ihr Grinsen zu unterdrücken.

Böse blickte ich sie an. Das Mädchen war echt nicht gut für mich.

„Okay, nimm“, brummte mein Bruder ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Zum Glück waren die Typen meistens etwas unterbelichtet, was solche Zeichen anging.

Ich nahm das Handy meines Bruders und suchte in den Kontakten nach Joes Nummer.

Es klingelte nur drei Mal, dann wurde schon abgehoben.

„Hey Ryan, wo bleibst du?“, vernahm ich Joes angepisste Stimme.

Ich atmete tief durch, bevor ich sprach.

„Hey Joe, hier ist Jenna. Wir sind spät dran, sorry“, sagte ich.

Am anderen Ende war es kurz still.

„Bist du noch da?“, wollte ich stirnrunzelnd wissen. Hatte er jetzt aufgelegt, oder was?

„Ja, ja klar. Äh, kein Problem“, erwiderte er mit ruhiger Stimme.

„Was ich eigentlich fragen wollte, wie weit seit ihr mit den Instrumenten?“

„Fast fertig. Und es laufen hier ziemlich viele Leute rum. Ihr seid eigentlich die Einzigen, die noch fehlen“, meinte er lachend.

„Tja, das Beste kommt halt zum Schluss“, entgegnete ich und musste grinsen.

„Natürlich“, war seine amüsierte Antwort.

„Na dann, bis gleich“, verabschiedete ich mich und legte auf.

Dieser Typ verwirrte mich. Und das, obwohl er noch nicht einmal lebensecht vor mir stand. Es war wirklich schlimm um mich geschehen.

„Und?“, fragte Ryan erwartungsvoll.

„Sie sind fertig. Fehlen nur noch wir“, lächelte ich.

„Na dann, lasst uns das Haus rocken“, lachte er und bog auf den Parkplatz ein.

 

Drinnen herrschte das reinste Chaos. Überall liefen Tänzer herum und machten Aufwärmübungen. Die Jungs stimmten ihre Instrumente und der Lärmpegel war gigantisch.

„Na, dass sieht ja nicht gerade geordnet aus“, meinte Meli und rümpfte die Nase.

„Hey, es ist dein Musical, wenn du lange zickst dann verschwinde ich durch diese Tür und mache mir einen schönen Tag“, drohte ich und deutete auf die Tür, durch die wir gerade gekommen sind.

„Das würdest du nicht wagen“, entgegnete sie und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Dazu hast du mich viel zu lieb“.

Mist, da hatte sie leider Recht. Das kleine Biest vor mir grinste mich selbstzufrieden an und sah sich interessiert um. Sie betrachtete die Tänzer und winkte Dana zu, die mit angepisstem Gesichtsausdruck auf uns zugeeilt kam.

Sie baute sich vor uns auf und stützte die Hände in die Hüften.

„Wo wart ihr? Ich weiß ja, dass ihr in dem Business schon viel mehr Erfahrung habt, als ich, aber ihr könnte ja trotzdem eure Hintern ein paar Minuten früher hier her bewegen, oder etwa nicht?“, fluchte sie vor sich hin und sah uns finster an.

„Sorry, Jenna hat keinen Wecker gestellt“, meinte Meli achselzuckend.

Ungläubig drehte ich mich zu ihr um.

„Bitte, was?“, fragte ich und zog ungläubig die Augenbrauen hoch.

„War ein Scherz“, entgegnete sie nur achselzuckend. „Die wichtigen Leute lassen sich meistens Zeit“, sagte sie dann und verschwand zwischen den Leuten.

„Irgendwie mag ich sie nicht“, brummte Dana mies gelaunt.

„Ich mag sie gerade auch nicht“, erwiderte ich und blickte ihr kopfschüttelnd nach. „Aber egal. Wir können sie später weiter nicht mögen. Jetzt sollten wir erste einmal eine Show auf die Beine bringen“, lächelte ich.

„Na dann, auf geht’s“, erwiderte sie und sah mich leicht lächelnd an.

Die Eisprinzessin hatte sich geändert, das war unbeschreiblich.

Aber nur in gewissen Dingen, denn sofort stauchte sie einen kleinen Typen zusammen, der ihr aus Versehen fast ein Bein gestellt hatte, während er Aufwärmübungen machte.

Lachend wandte ich mich den Jungs zu.

„Na, wie sieht es aus?“, wollte ich lächelnd wissen.

Danny grinste mich an und schwang seine Sticks durch die Luft.

„Gut. Sehr gut. Wir können in ein paar Minuten beginnen“, lächelte er. Wenigstens einer, der heute gut drauf war.

„Hört man gerne“, antwortete ich und blickte mich nach Meli suchend um. Stand sie nicht gerade noch hinter mir?

„Hey“, ertönte Joes Stimme neben mir und ich zuckte kurz zusammen.

„Heute so schreckhaft“, lächelte er.

„Hey“, entgegnete ich sehr geistreich. Ich war so intelligent wie eine Zitrone, wenn er in der Nähe war.

„Wen suchst du?“, wollte er wissen und sah mich lächelnd an. Oh mann, dieses Lächeln. Diese Augen. Scheiße.

„Äh, Meli“, räusperte ich mich.

„Die steht da drüben“, er deutete mit der Hand in eine Richtung schräg hinter mir und ich entdeckte den Haarschopf meiner Freundin.

„Danke“, entgegnete ich und flüchtete schon fast zu Meli.

Das musste doch irgendwann einmal besser werden. Man konnte sich in der Nähe eines Jungen doch nicht andauern so bescheuert benehmen, oder?

Und dass er mich gestern geküsst hatte, machte die ganze Situation auch nicht gerade entspannter.

„Wir können“, sagte ich und tippte Meli an die Schulter.

Sie unterhielt sich gerade mit einer kleinen, blonden Tänzerin.

„Hey, weißt du was? Anna hier kann singen. Sie war in einem Chor. Und sie würde perfekt für die Rolle der Küchenmagd passen, findest du nicht auch?“, fragte sie mich begeistert.

Anna lächelte mich schüchtern an. Sie war zierlich und hatte große, braune Augen.

„Stimmt, so habe ich sie mir auch immer vorgestellt“, stimmte ich ihr zu. Anna sah wirklich perfekt aus für die Rolle.

Hoffentlich konnten die anderen Tänzer auch singen.

„Womit willst du beginnen?“, frage ich Meli und zog sie in Richtung der Band.

„Also zuerst einmal müssen wir das Chaos hier beseitigen“, bestimmte sie und deutete mit einer vagen Handbewegung um sich herum.

Alle standen noch immer durcheinander und quatschten.

„Ich mach das“, sagte Dana, die neben uns aufgetaucht war.

„Hey Leute“, schrie sie in einer Lautstärke und einer Tonhöhe, die ich ihr niemals zugetraut hätte. Ich zuckte zusammen und Meli griff sich an ihr Ohr.

Aber es hatte etwas genutzt. Sofort trat Stille ein und alle sahen zu uns her.

„Setzt euch bitte an die Wände und hört Meli und Jenna zu“, bat sie.

Alle Tänzer ließen sich an den Wänden, die mit Spiegel versehen waren, nieder und sahen uns wartend an.

Die Band hatte ihre Instrumente an der rechten Wand aufgebaut und die Jungs saßen schon hinter ihren Instrumenten und warteten.

„Gut, ich will zuerst die Band hören“, bestimmte Meli und blickte auffordernd zu den Jungs rüber.

„Kein Problem“, vernahm ich Ryans Stimme und sah ihn verschmitzt lächeln.

Als sie begannen eines der Anfangslieder zu spielen, wusste ich, dass dieses Musical der Hammer werden würde.

Alles passte. Die Töne, die Melodie, einfach alles. Sie legten genug Schwung in den Song, ließen ihn allerdings auch nicht laufen. Sie hatten alles unter Kontrolle und genau das, war perfekt. Es war eine Rocknummer und Ryan und Joe spielten auf den E-Gitarren, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Meli schloss die Augen und lauschte lächelnd den Jungs. So wie sie aussah, hatte die Band ihre Erwartungen übertroffen.

„Das war… der Wahnsinn“, kommentierte Meli, als die Jungs geendet hatten.

Die Leute um uns herum brachen in Applaus aus und ich strahlte die Jungs an.

„Das war der Hammer“, stimmte auch Dana zu.

„Du hast echt nicht zu viel versprochen“, sagte Meli und zwinkerte mir zu.

„Aber es fehlt etwas“, meinte sie leicht stirnrunzelnd. „Macht euch keine Gedanken, ich werde noch ein paar Instrumente dazu holen“, meinte sie dann und rieb sich über die Stirn.

„Wer?“, wollte ich wissen und zog einen Block aus meiner Handtasche.

„Ich weiß noch nicht genau, aber in meinem Kurs wird sich schon jemand finden. Wir brauchen Cellos, Trommeln und eine Geige. Und vielleicht ein paar Flöten und Klarinetten und so. Und das wars schon. Ihr seid perfekt“, schwärmte sie.

Ich notierte mir die Instrumente.

„Machen wir“

„Gut und jetzt zu dir“, sagte sie und deute mit dem Finger auf mich.

Mir wurde etwas unbehaglich zumute, als ich die vielen Blicke auf mir sah. Verdammt, die würden mir jetzt alle beim Tanzen zusehen.

„Jungs, ich will „Rock the Night“ hören“, befahl sie und wedelte mit einer Hand zu den Jungs. „Und du, mein hübsches, talentiertes Jennalein wirst mich jetzt davon überzeugen, dass dieses Musical der absolute Hammer wird“, meinte sie und machte eine Geste, die mir bedeuten sollte, dass die Bühne ganz mir gehörte.

„Mach dir keine Sorgen, wir kriegen das hin“, murmelte Dana neben mir und ich hatte das Gefühl, dass sie sich auch selbst Mut zusprechen wollte.

Die ersten Takte wurden angespielt und ich erhaschte einen kurzen Blick auf Joes aufmunterndes Lächeln.

Das hier war mein Lieblingslied. War es schon früher gewesen und vermutlich wusste Meli das, sonst hätte sie es nicht ausgewählt.

Dana stellte sich mir gegenüber und ich begann ganz automatisch damit, mit meinen Händen durch die Luft zu fahren. Es sah aus, als würde ich mit unsichtbaren Feuerkugeln spielen, so, wie es im Text des Songs beschrieben war. Wir tanzten, und nach den ersten Schritten hatte ich die Zuschauer um uns herum vergessen. Alles was zählte war die Musik und Dana, die sich im selben Takt wie ich bewegte und selig vor sich hin lächelte.

Die Schritte geschahen automatisch, ich musste nicht viel machen, denn es hatte sich alles in meinem Kopf gefestigt. Ich fühlte mich ganz leicht, so als könnte ich die Welt verändern und das nur mit meinen Tanzschritten. Und während ich eine Pirouette drehte wurde mir bewusst, dass es nicht darum ging, was die anderen von meiner Choreo hielten. Das Wichtigste war, dass sie mir selbst gefiel und sie spiegelte mich wieder. Die ganzen Choreografien spiegelten Dana und mich wieder, denn wir hatten sie geschrieben. Wir hatten uns von der Musik und der Geschichte inspirieren lassen, waren eingetaucht in das leidvolle Leben der Prinzessin und der unbeschreiblichen Liebe des Todes. Meli und ich hatten das Stück geschrieben, aber die Choreografien spiegelten Dana und mich wieder. Und im Moment war es mir Scheißegal, was die Anderen davon hielten. Ich tanzte meine Schritte, verschränkte einen Arm mit Danas und sie ging auf ein Knie runter und beugte sich nach vorne, während ich mich über ihren Rücken drehte und sie mit mir zog.

Wir wirbelten uns gegenseitig herum, eigentlich war das Stück für die Prinzessin und den Tod. Das Ende des Musicals, also das große Finale. Und wir hatten uns oft darüber gestritten, wie die Choreo perfekt war. Und wir waren beide sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Dana wirbelte mich im Kreis um sich herum und ich vollführte eine Pirouette nach der anderen. Mit wehenden Haaren und lächelndem Gesicht drehte ich mich und war so unendlich glücklich. Genauso hatte ich mir das große Finale für meine beiden Hauptpersonen vorgestellt.

Als wir endeten, verspürte ich fast so etwas wie Trauer. Aber ich war zufrieden mit uns, denn mir war gerade klar geworden, dass unsere Choreografien gut waren. Anscheinend hatte ich die Live Musik dazu gebraucht. Oder das Publikum. Oder den bewundernden Blick, mit dem Joe mich anstarrte.

Die Leute um uns herum fingen zu klatschen und Dana verbeugte sich geehrt.

Ich sah zu Meli, die mich entgeistert anschaute. Tränen liefen ihr übers Gesicht und als sie bemerkte, dass sie weinte, wischte sie sie eilig fort.

Dann kam sie auf mich zu und zog mich in eine Umarmung.

„Verdammt, wieso habe ich dich eigentlich gehen lassen“, murmelte sie.

„Wie hätte ich das ohne dich je schaffen sollen. Du bist und bleibst die beste Choreografin, die ich kenne“.

Sie ließ mich wiederstreben los und lächelte mich an.

„Das. War. Absolute. Spitze.“, sagte sie und strahlte.

Auch die Anderen schienen begeistert.

„All die Zweifel umsonst“, lächelte Dana neben mir.

Ja, da hatte sie wohl Recht.

Nachdem wir auch lobende Worte von den Anderen zugesprochen bekommen hatten, ließ Meli die Tänzer nach einander vortanzen. Sie mussten jeweils alleine und in kleinen Gruppen tanzen.

Ziemlich zeitaufwändig, aber das war es wert. Immerhin wussten wir nach zwei Stunden, wer welche Schwächen hatte. Wir hatten uns nebenbei schon etwas beraten, wer welche Rolle bekommen würde.

Und danach musste jeder vorsingen. Das löste bei vielen Schweißausbrüche aus, aber der Großteil der Jungs und Mädls, die wir für die verschiedenen Rollen eingeteilt hatten, konnte singen. Und die, die es nicht konnten, konnten wenigstens tanzen. Meli war gut im Organisieren, sie würde das alles schon regeln.

„Na, das sieht ja schon nach einem Plan hier drinnen aus“, ertönte plötzlich eine Stimme von der Tür her und ich drehte mich verwundert um.

In der Tür stand ein Typ mit Lederjacke und Sonnenbrille im Gesicht und grinste uns an.

Verwirrt sah ich zu Meli, die ihm nur kurz zuwinkte.

Wer war das?

Erst als er auf mich zukam und die Sonnenbrille abnahm, erkannte ich Melis Bruder.

„Das hat jetzt aber ganz schön lange gedauert, bis du mich erkannt hast“, schmunzelte er und zog mich in eine Umarmung.

„Hey Michael! Wow, ja, du hast dich ganz schön verändert“, lächelte ich und umarmte ihn.

„Das liegt an seiner neuen Flamme“, lachte Meli und boxte ihm gegen den Oberarm.

„Uh, wie heißt sie?“, wollte ich sofort neugierig wissen.

„Lena“, antwortete Meli, bevor Michael überhaupt den Mund aufmachen konnte. „Sie ist ein ausgeflipptes Huhn und macht jeden Scheiß mit, den mein lieber Bruder vollführt“, erklärte sie und band sich ihre Haare nebenbei zu einem neuen Zopf.

„Äh, ja, gut beschrieben“, stimmte Michael zu.

„Stellst du sie mir irgendwann mal vor?“, wollte ich wissen und sah ihn bittend an. Ein Mädchen, das genauso verrückt war, wie Michael? Die musste ich unbedingt kennen lernen.

„Ich dachte nie, dass was aus den beiden wird“, warf Meli ein. „Sie ist genauso, wie du, Jenna“

„Wirklich?“, fragend sah ich Michael an. „Na, hoffentlich hält das dann länger als bei uns beiden“, grinste ich und stieß ihn leicht mit den Ellbogen an.

Michael und ich waren für fünf Monate ein Paar gewesen. Aber wir hatten dann gemeinsam beschlossen, dass wir als Freunde mehr taugten.

„Ich bin fest davon überzeugt“, lachte Michael. Dann klatschte er in die Hände und sah uns motiviert an. „So, und jetzt zeigt euer Frischfleisch her. Ich will Leute trainieren!“

Und genau das machten wir. Wir stellten ihn der Reihe nach vor und er fing gleich an, mit den Tänzern ein paar Moves einzuarbeiten, damit er sehen konnte, was sie drauf hatten. Man merkte sofort, dass Michael Profi in diesem Gebiet war. Die Tänzer kamen nämlich ganz schön ins Schwitzen.

Melis Bruder war begeistert von der Band und meine und Danas Choreografien bewertete er mit einem strahlenden Lächeln. Das bedeutete bei ihm so viel wie der Lotto-Jackpot.

Es war schließlich zwei Uhr nachmittags, als ich auf die Uhr sah.

„Vielleicht sollten wir Pause machen“, schlug ich vor.

„Oh, Gott sei Dank, ich sterbe schon fast vor Hunger“, murmelte Dana erleichtert und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie hatte gemeinsam mit Michael den Tänzern so einiges beigebracht. Da hatten sich zwei Tanzverrückte gefunden, das war Freundschaft auf den ersten Tanzschritt, oder so.

„Gut, lasst uns Essen gehen“, beschloss Meli.

Sie bedankte sich noch bei allen Leuten und verabredete mit den Tänzern, dass wir uns morgen wieder um neun Uhr hier trafen.

Die Band sollte einfach ihre Instrumente hier lassen und hatte nichts zu tun, außer weiter proben, bis die Tanzschritte gefestigt waren.

Endlich nahm das Ganze hier eine strukturierte Ordnung an.

 

Hungrig blätterte ich in der Speisekarte und konnte mich nicht zwischen Ofenkartoffeln und Nudeln mit Lachs entscheiden.

Danny, der neben mir saß, hatte die Karte schon zugeschlagen und winkte ungeduldig einer Kellnerin.

„Wieso braucht die denn so lange? Ich sterbe hier!“, beschwerte er sich laut.

„Geduld. Was soll ich denn nehmen?“, fragte ich frustriert.

„Nimm einfach beides. Du musst sowieso mehr essen, bei dem, was ihr auf die Beine stellen wollte“, grinste er.

„Ach komm, das Ganze hat jetzt schon ein System“, erklärte ich ihm.

„Jaja, schon klar. Aber ihr habt das wirklich toll gemacht. Die Choreografien sind super und ich hatte echt keine Ahnung, dass du so tanzen kannst. Ich meine, bei Dana war das klar, was die im Club immer abzieht, ist wirklich krass“, schwärmte er.

Warte, nein, das konnte nicht sein. Neugierig musterte ich Danny.

„Wieso? Tanzt sie dort öfters?“, fragte ich und stütze meinen Kopf auf einer Hand auf.

„Ja, fast jedes Mal. Sie ist der Hit im ganzen Club. Früher wurde immer um Mitternacht die ganze Tanzfläche für sie geräumt. Dann hat sie für zwanzig Minuten getanzt und erst wenn sie fertig war, durften die Anderen wieder drauf. Sie ist der Hammer“, sagte Danny. Ich musterte ihn genau und mir fiel der Glanz in seinen Augen auf.

„Oh, Danny“, sagte ich und sah ihn mit großen Augen an.

Ich blickte mich kurz um und checkte, ob jemand uns beobachtete. Erst dann beugte ich mich zu ihm. „Sag mal, kann es sein, dass du was von Dana willst?“, fragte ich ihn leise.

Dannys Reaktion war einfach nur süß. Er wurde leicht rot und fuhr sich nervös durch die Haare. Das war doch nicht der vorlaute Danny, den ich kannte, oder?

„Wow, du bist ja sowas von in sie verschossen. Wieso ist mir das noch nie aufgefallen?“, fragte ich mich selbst.

„Hör zu, du darfst es ihr auf keinen Fall sagen“, meinte er sofort und sah mich ernst an.

„Natürlich nicht. Aber soll ich dir irgendwie helfen?“, bot ich an.

Danny schüttelte sofort den Kopf.

„Nein, auf keinen Fall. Wenn, dann will ich das alleine schaffen“, murmelte er und schaute kurz zu Dana rüber, die sich mit Meli unterhielt.

„Du machst das schon“, lächelte ich ihn aufmunternd an.

Danny nickte nur und grinste mich leicht an.

„So, und jetzt hab ich Hunger“, sagte er und begann wieder, mit seinem Arm in der Gegend herum zu fuchteln, um eine Kellnerin auf sich aufmerksam zu machen.

Kapitel 17 - Regen-Verkupplungsaktion

 Die Zeit verging. Und zwar viel zu schnell. Ich war damit beschäftigt, unsere Tänzer zu trainieren, gemeinsam mit Dana und Michael, der für ein paar Wochen hier blieb. Meli war zurück nach San Franzisco gefahren und hatte uns ein paar weitere Musiker geschickt, weshalb die Jungs die ganze Zeit am Proben waren. Generell verlief alles sehr gut und der Termin für die Aufführung rückte immer näher. Meli kam ab und zu vorbei um sich das Ganze persönlich anzusehen, war aber meistens sehr zufrieden mit uns.

Die Tänzer waren wirklich talentiert und auch mit den Songtexten gab es fast keine Probleme. Die Choreografien waren zwar kompliziert, aber schön langsam konnte jeder sie tanzen. Die neuen Musiker ergänzten die Band super! Es klang nun viel melodischer und teilweise nicht mehr ganz so stark nach Boyband. Ich war eigentlich ganz zufrieden mit uns.

Nur die Freizeit kam etwas zu kurz. Neben der Schule musste ich noch lernen, um halbwegs passable Noten zu erreichen und dann noch die ganze Arbeit für das Musical, da blieb eigentlich nichts mehr übrig.

Ich lag gerade auf meinem Bett und machte Skizzen für das Bühnenbild, als plötzlich mein Handy anfing zu läuten.

„Ja?“, fragte ich, denn ich hatte wieder einmal abgenommen, ohne vorher nach zu sehen, wer überhaupt anrief.

„Oh Jenna, du glaubst nie, was ich gerade erfahren habe!“, schrie Mara mir ins Ohr.

Reflexartig hielt ich mein Handy ein paar Zentimeter weiter von meinem Ohr weg.

„Was denn?“, fragte ich sofort neugierig und wickelte eine Haarsträhne um meine Finger.

„Leo hat mir gerade gesagt, dass Daniel sich erkundigt hat, wie es mir so geht“, freute sie sich am anderen Ende der Leitung.

„Was wirklich? Los, ich will alles wissen“, forderte ich sie sofort auf und freute mich für meine beste Freundin.

„Ich bin ja jetzt schon ewig nicht mehr zu den Bandproben erschienen, weil ich ja in Mathe so hinterherhinke und ich schon eine Verwarnung bekommen habe und so. Und gestern hat Daniel Leo gefragt, wieso ich nicht mehr vorbeikomme und ob alles in Ordnung ist bei mir“, erklärte sie aufgebracht.

Ich lächelte vor mich hin und schob meine Skizzen zusammen.

„Das ist ja toll“, freute ich mich.

„Ich weiß. Aber was soll ich denn jetzt machen?“, fragte sie frustriert.

„Naja, du könntest wieder einmal zu einer Bandprobe gehen?“, schlug ich vor.

„Meinst du echt?“

„Na klar. Ich meine, wenn er sich schon nach dir erkundigt, dann bist du ihm eindeutig wichtig, oder nicht? Also ich würde mich auf jeden Fall wieder einmal blicken lassen“, schlug ich vor.

„Aber da sind dann ja alle anderen aus der Band auch“, gab sie zu bedenken.

Ich runzelte die Stirn.

„Willst du ihn alleine antreffen?“, wollte ich verwirrt wissen.

Mara war schon länger in Daniel verschossen, aber bis jetzt waren es eher heimliche Schwärmereien gewesen. Wollte sie jetzt in die Offensive gehen?

„Naja“, meinte sie nur schüchtern.

Lächelnd nahm ich den Hörer in die andere Hand und legte meine Stifte zurück in die Federtasche.

„Weißt du was? Ich schau mal, was ich da machen kann. Ich melde mich dann bei dir“, versprach ich ihr.

„Ich liebe dich Jenna“, rief sie dankend.

„Nichts zu danken“, entgegnete ich lachend und legte mein Handy zur Seite, nachdem ich den Anruf beendet hatte.

Beim Mittagessen fragte ich dann Ryan, ob er was von Daniel wusste.

„Daniel? Ich dachte du willst was von Joe“, fragte er irritiert.

Natürlich lief mein Gesicht sofort wieder rot an. Ach, verdammt!

„Das.. nein, ich… Ach verdammt. Weißt du was, oder nicht?“, fragte ich und ärgerte mich über mich selbst.

„Jenna ist verliebt?“, fragte Dad und sah mich misstrauisch an.

„Bist du nicht noch etwas jung dafür?“

Schockiert sah ich meinen Dad an.

„Dad!“, beschwerte ich mich empört. „Ich bin siebzehn!“

„Ja schon, aber das alleine ist doch noch kein Grund zur Eile“, bemerkte er und spießte seelenruhig eine Kartoffel mit der Gabel auf.

„Dad“, rief ich und schlug die Hände vors Gesicht. In welchem Jahrhundert war er denn geboren worden?

„Andere in meinem Alter sind verheiratet und haben vier Kinder“, erklärte ich ihm und trank zur Beruhigung aus meinem Wasserglas.

Nun war es mein Vater, der mich schockiert ansah.

„Du bist doch nicht verheiratet und hast vier Kinder, die du in deinem Schrank oben im Zimmer versteckst, oder?“, fragte er. Sofort danach fing er zu grinsen an.

In diesem Haus konnte man nicht ernst bleiben, oder was?

„Nein, ich bin nur verheiratet. Aber ich habe die Scheidung schon eingereicht“, erklärte ich und lächelte meinen Bruder und meinen Dad lieb an.

„Ach, na dann ist ja alles gut“, freute sich Dad und nickte mir aufmunternd zu.

„Glaub mir, so etwas kann ganz schnell über die Bühne gehen, ich habe Erfahrung darin“

Oh, Glatteisgefahr!

„Ja, gut. Äh, eigentlich wollte ich ja nur was von Daniel wissen“, wechselte ich das Thema.

Ryan sah mich von der Seite an, dankbar, dass ich das Thema gewechselt hatte.

„Ich weiß jetzt nicht genau, was du wissen willst. Er hat sich nicht groß verändert seit du ihn das letzte Mal gesehen hast“, meinte mein Bruder und sah mich fragend an.

Okay, ich musste wohl präzisere Fragen stellen.

„Hat er eine Freundin?“, fragte ich.

„Nicht, dass ich wüsste“, war Ryans verwirrte Antwort.

„Und weißt du, ob er verliebt ist?“

„Ähm, jetzt bin ich überfragt. Keine Ahnung“, erwiderte mein Bruder mit gerunzelter Stirn.

„Schade“, meinte ich daraufhin nur.

„Aber wieso fragst du ihn nicht selbst? Er wollte heute Abend ins Haus am See fahren weil er eines seiner Solostücke nicht hinbekommt“, schlug Ryan vor.

Jackpot! Das war Maras große Chance!

„Oh, okay. Danke“

Damit war der Abend gerettet.

Nach dem Essen stürmte ich hoch in mein Zimmer und wählte Maras Nummer.

„Hey du. Du musst heute Abend ins Probenhaus. Daniel wird dort sein und proben. Alleine“, erzählte ich Mara sofort.

Mara stieß ein Quietschen aus und legte danach sofort auf. Sie murmelte nur noch etwas von Outfits und dass ich sie heute Abend hinfahren musste. Seelische Unterstützung und so.

Ich vertrieb mir die Zeit bis sechs Uhr mit Arbeit. Die Bühnenbilder mussten noch gemacht werden. Zum Glück war ich nur für die Skizzen zuständig und musste nicht die riesen großen Originale anfertigen.

 

Pünktlich um sechs Uhr stand ich dann vor Maras Haus. Ihr Outfit sah toll aus. Mit brauner Lederjacke und eleganten Stiefeln stieg sie ins Auto.

„Wie sehe ich aus?“, wollte sie nervös wissen.

„Sehr schön. Daniel wird die Augen nicht von dir lassen können“, sagte ich und meinte es auch so.

„Oh Gott, ich habe so ein schlechtes Gewissen, weil ich dich von der Arbeit ablenke und du schon sein Tagen so beschäftigt bist“, bemerkte sie und sah mich entschuldigend an. „Aber ich wusste nicht, wem ich sonst davon erzählen sollte“

Lachend sah ich kurz zu ihr hinüber. „Ich bin froh, dass du dich gemeldet hast. Die Arbeit wird schön langsam ziemlich viel. Ein bisschen Abwechslung schadet nie. Außerdem helfe ich dir gerne mit Daniel. Hoffentlich ist er auch wirklich da“.

Mara kaute nervös auf ihrer Lippe herum.

„Lass das“, meinte ich nur und drehte das Radio auf. Vielleicht würde sie das etwas beruhigen.

„Was ist, wenn er gar nichts von mir will?“, fragte sie mich ängstlich.

„Das wirst du schon herausfinden. Sei am Anfang einfach normal. So süß wie du immer bist. Du wirst es dann schon merken“, riet ich ihr.

„Wenn ich das nicht hinbekomme?“, zweifelte Mara.

„Ich glaube ganz fest an dich. Und du kannst mich jederzeit wieder anrufen, dann hole ich dich ab“

Schockiert sah sie mich an.

„Du willst mich alleine lassen?“

„Soll ich etwa mit rein kommen und euch zusehen, oder was?“, fragte ich sie ironisch.

Mara schüttelte sofort den Kopf. „Du könntest ja im Wald warten und wenn ich mich nach einer halben Stunde nicht melde, dann kannst du wieder nach Hause fahren?“, bettelnd sah sie mich an.

Ich sah hoch in den Himmel. Es sah nach Regen aus. Ich sollte alleine im Regen im Wald warten? Hm.

„Na gut, aber nach einer halben Stunde bin ich weg“, sagte ich und drohte ich mit dem erhobenem Finger.

„Danke! Ich schulde dir etwas!“, rief sie mit einem breiten Lächelnd im Gesicht.

„Ja klar“, murmelte ich.

Ich bog in den versteckten Weg ein und hielt vor dem kleinen Haus.

„Ich fahr aber weiter zurück, damit er mich nicht sieht“, meinte ich, bevor Mara die Tür öffnete.

„Okay“, murmelte sie und kaute schon wieder auf ihrer Lippe herum.

„Hey Mara, du machst das schon. Viel Glück“, wünschte ich ihr noch und lächelte ihr aufmerksam zu.

Sie nickte nur abwesend und schlich aufs Haus zu, wie eine Motte, die vom Licht angezogen wurde.

Ich wendete den Wagen und fuhr ein Stück zurück in den Wald hinein. Hier konnte mich vom Haus aus niemand sehen und auch von der Straße nicht.

Und jetzt hieß es warten.

Ich kramte mein Handy aus der Tasche und tippte darauf herum. Das würde eine lange halbe Stunde werden, ich war es nämlich nicht mehr gewohnt, Zeit zu haben. Nach einigen Minuten drehte ich das Radio lauter und lauschte einem fetzigen Song einer Newcomer Band.

Ein Klopfen an der Beifahrertür ließ mich hochschrecken und verwirrt drehte ich das Radio leiser.

Die Tür wurde geöffnet und ein durchnässter Joe ließ sich neben mich fallen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es zu regnen angefangen hatte.

„Was machst du denn hier?“, fragte Joe verwundert und schüttelte sich die nassen Haare aus dem Gesicht.

Ich war noch immer verwirrt von seinem Auftauchen.

„Das könnte ich wohl dich fragen“, entgegnete ich und sah ihn fragend an.

Lächelnd fuhr er sich übers Gesicht.

„Eigentlich wollte ich meine Gitarre holen, aber du blockierst den Weg“, erklärte er. „Und jetzt bist du dran. Was wird das hier?“ Fragend sah er mich an.

Er wollte seine Gitarre holen? Ach ja, klar. Die lag vermutlich im Haus. Joe war keine zwei Minuten in meiner Nähe und mein Hirn verwandelte sich schon in Pudding.

„Ich sitze hier und passe auf, dass du deine Gitarre nicht holst“, lächelte ich.

Joe lachte und sah mich mit schief gelegtem Kopf an.

„Willst du, dass ich dein Musical versaue, weil ich nicht oft genug übe?“, fragte er.

Ich verzog das Gesicht. Da war etwas dran.

„Nein, du kannst das auch ohne Proben, davon bin ich fest überzeugt“, meinte ich nur und versuchte, ihm nicht in die Augen zu schauen.

„Das war ein Kompliment“, stellte er fest und ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. Aber nicht sehen. Ich sah nämlich aus dem Fenster und beobachtete die Regentropfen, die die Scheibe hinunter liefen.

„Okay. Du stehst zum Spaß hier im Wald mit deinem Auto rum und schaust mir nicht einmal in die Augen. Was für ein Spiel spielst du? Wolltest du gerade eine Leiche vergraben?“

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich auf dem Sitz umdrehte und das Auto abscannte.

„Was denn? Ist das so abwegig hier eine Leiche zu vergraben?“, fragte ich und riskierte einen kurzen Blick in seine Richtung.

Großer Fehler. Seine Augen blitzen mich an und sein Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. Schnell sah ich wieder weg. Das Lenkrad war interessant. Wirklich faszinieren, wie sie die Lederstreifen zurecht geschnitten hatten, damit alles passte.

„Nein, das hier ist der perfekte Ort. Es ist dunkel und verlassen. Und außerdem ist hier niemand, der danach suchen würde. Darf ich auch fragen, wen du umgebracht hast?“

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Um es nicht allzu auffällig zu machen, dass ich ihn nach ansah, kramte ich in meiner Handtasche nach M&Ms. Hier musste noch irgendwo eine volle Packung sein.

„Nein. Tut mir Leid, dass darf ich nicht verraten. Berufsgeheimnis“, erwiderte ich und schwenkte triumphierend die Packung M&Ms herum. Ich riss sie auf und hielt sie Joe unter die Nase.

„Das ist unfair. Ich verrat es auch keinem, versprochen“, versprach er und nahm sich eine Hand voll.

„Wenn ich es dir verraten würde, müsste ich dich umbringen“, sagte ich und musste ihn einfach ansehen. Mist, ich war auch überhaupt nicht standhaft.

Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinem Gesicht und seine Augen strahlten mich an.

„Das passt ja. Dann kannst du mich hier auch gleich verbuddeln“, entgegnete er.

Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und musterte ihn.

„Für mein Geheimnis würdest du dich von mir umbringen lassen? Was ist, wenn es gar nicht so interessant ist, wie du glaubst?“, fragend sah ich ihn an.

„Dann wäre ich ganz umsonst gestorben. Was eigentlich ziemlich traurig wäre. Du musst mir versprechen, dass du dann irgendeine coole Geschichte über meinen Tod erfindest“, verlangte er.

„Okay, bei deiner Grabesrede erzähle ich dann allen, dass du gestorben bist, als du einen Drachen getötet hast“, schlug ich vor.

„Hm, das ich zu mainstream. Dann glauben doch alle, dass ich zu schwach war, um den Drachen zu töten“, beschwerte er sich und sah mich beleidigt an.

„Na gut, na gut. Du hast den Drachen meisterhaft um die Ecke gebracht. Und während du deinen Siegestanz aufgeführt hast, bist du über einen Stein gestolpert. Besser so?“, fragend sah ich ihn an.

Er sah noch immer nicht ganz zufrieden aus.

„Zu unspektakulär. Dann denken alle meine Freunde und meine Familie, dass ich tollpatschig war“, erklärte er.

„Da ist was dran“, murmelte ich und aß M&Ms.

Wir schwiegen eine Weile und lauschten den Songs im Radio. Es war still hier drin, man hörte nur noch das Trommeln des Regens auf dem Autodach. Fasziniert sah ich den Regentropfen zu, wie sie über die Windschutzscheibe liefen. Magisch, was die Erde so alles drauf hatte. Da kam doch tatsächlich Wasser vom Himmel. Und mitten im Universum flog ein Feuerball herum, der Lebensenergie für einen ganzen Planeten spendete. Schon verrückt irgendwie.

Als ich zu Joe hinüber blickte bemerkte ich, dass er mich beobachtete.

„Was?“, wollte ich wissen und wurde leicht rot. Hatte er mich etwa schon länger beobachtet.

„Würdest du mich denn vermissen?“, fragte er und sah mich an.

Ob ich ihn vermissen würde? Klar, und wie!

„Vermutlich hätte ich vor allem ein schlechtes Gewissen. Immerhin muss ich auf deiner Beerdigung einem Haufen Leute ins Gesicht lügen“, meinte ich und zwinkerte ihm zu.

Lächelnd schüttelte er den Kopf.

„Man soll doch nicht lügen“, war seine Antwort.

„Deshalb das schlechte Gewissen“, erklärte ich.

„Hey, weißt du was? Das hier könnten wir als Date abstempeln“, meinte er plötzlich und lächelte mir zu.

„Äh, was?“, fragte ich intelligenter Weise.

Joe lachte und fing an zu erklären: „ Naja, als wir vor ein paar Wochen in der Stadt waren, wollten wir uns danach doch mal treffen. Das hat allerdings nicht geklappt, weil du doch immer so viel Arbeit hast. Und das hier könnten wir als ein Date sehen. Immerhin sitzen wir bei Regen in einem Auto und essen M&Ms. Das ist meiner Meinung nach ein richtig romantisches Date“

Irgendwie hatte er Recht. Es war romantisch hier drin. Und alleine diese Erkenntnis reichte aus, um rot zu werden.

„Richtig süß siehst du aus, wenn du rot wirst“, stellte er fest und beugte sich leicht zu mir rüber, um mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen.

Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen und seine Augen strahlten diesen besonderen Glanz aus. So sah er auch immer aus, wenn er Gitarre spielte.

„Wir planen gemeinsam dein Ableben und du findest mich süß?“, fragte ich ihn flüsternd. Zu mehr war ich einfach nicht mehr in der Lage.

Als seine Finger mein Gesicht berührten, fing die Haut darunter an zu brennen. Aber es war ein angenehmes Brennen. Und es breitete sich wie ein Lauffeuer über meinen ganzen Körper aus, bis hinunter in die Zehen.

„Ja, irgendwie schon“, gab er lächelnd zu. Auch er flüsterte und kam meinem Gesicht immer näher.

Mit seiner Hand strich er seitlich über mein Gesicht und fuhr mit dem Daumen schließlich über meinen linken Mundwinkel.

In meinem Bauch explodierte die Schmetterlingsschar, die dort immer extra auf Joe wartete. Sie flatterten wild herum und ein angenehmes Kribbeln kroch durch meinen Körper. Ich war schön öfters mit Jungs zusammen gewesen, aber diese Intensität war mir neu. Das musste an Joe liegen. Irgendetwas war anders an ihm. Irgendetwas war besonders an ihm.

Automatisch beugte ich mich näher zu ihm. Alles was ich in diesem Moment wollte, waren seine Lippen auf meinen. Der Rest war mir egal. Von mir aus konnte die Welt in diesem Moment untergehen, es war mir komplett egal. Ich würde dann später beim Aufräumen helfen.

Gerade, als ich Joes Lippen auf meinen spürte, durchbrach ein lautes Klopfen die Stille im Auto.

Wie vom Blitz getroffen schreckte ich zurück und sah geschockt zu Joe. Auch er sah nicht begeistert aus und fuhr sich aufgescheucht durch die Haare.

Es klopfte wieder und ich konnte nichts dagegen machen, ich fuhr erneut erschrocken zusammen.

Erst als Joe das Fenster auf der Beifahrerseite herunter ließ, erkannte ich, dass es Daniel war, der vor meinem Auto stand und an die Scheibe klopfte.

„Was ist?“, fragte Joe zischend.

„Oh, sorry, stören wir?“, fragte Daniel und sah uns mit einem breiten Lächeln im Gesicht an. Misstrauisch beäugte ich ihn. Die nassen blauen Haare hingen ihm ins Gesicht, aber er ließ sich davon nicht stören.

Erst nach kurzer Zeit bemerkte ich eine durchnässte, aber ebenso glückliche Mara, die sich an seine Hand klammerte.

„Was ist denn mit euch los?“, fragte Joe und sah die beiden verwundert an.

Daniel und Mara blickten sich kurz an, und das Lächeln der beiden wurde noch um einige Watt strahlender.

„Na endlich“, lachte ich und sah die beiden zufrieden an.

Dann hatten wir uns nicht getäuscht, und Daniel wollte doch was von Mara. Wow, ich freute mich wahnsinnig für die Beiden, auch wenn sie mir gerade mein erstes offizielles Date mit Joe versaut hatten.

„Wie jetzt?“, fragte Joe noch immer verwirrt und sah zwischen Daniel, Mara und mir hin und her.

„Was macht ihr beiden eigentlich hier?“, fragend sah Daniel uns an.

Ich warf einen kurzen Blick auf Joe, sah aber sofort wieder weg.

„Ich hab Mara hier her gefahren“, erklärte ich.

„Ah, und ich habe mich schon gewundert, wie du hier her gekommen bist“, lächelte er Mara an.

„Und wieso bist du dann immer noch hier? Es ist schon mehr als ein Stunde vergangen“, fragend sah sie mich an, warf dann einen Blick auf Joe und zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Was wirklich? Oh wow, wie die Zeit vergeht“, sagte ich und fuhr mir nervös lächelnd durch die Haare.

„Eigentlich wollte ich meine Gitarre holen, aber sie hat mich nicht durch gelassen“, erklärte Joe und grinste mich von der Seite an. „Und jetzt verstehe ich auch, warum“

„Zum Glück. Ihr beide hättet sicher nur gestört“, lachte Daniel und legte einen Arm um Mara. „Äh ja, wir wollen dann fahren, könntet ihr eure Autos aus dem Weg räumen?“

Sein Auto war mir komplett entgangen. Es stand mit brennendem Licht direkt vor meinem. Na toll, ich war wirklich in einer anderen Hemisphäre gewesen.

„Ähm, klar“, sagte ich und versuchte zu lächeln.

„Super, danke“, war Daniels Antwort und schon verschwanden die Beiden wieder im Regen.

Planlos sah ich den beiden nach und sah dann langsam zu Joe hinüber.

„Das war jetzt nicht ganz mein Plan“, sagte er nur und lächelte leicht. „Aber es war ein schönes erstes Date mit dir“

„Fand ich auch“, erwiderte ich. Und plötzlich ging das Lächeln wieder ganz leicht.

„Und danke, dass du mich nicht umgebracht hast“, zwinkerte er mir noch zu.

„Immer wieder gerne“

Joe öffnete die Autotür und verschwand mit einem letzten Lächeln in der Dunkelheit des Regens.

Kapitel 18 - Perfekte Schauspieler

 Ehe ich mich versah, saß ich schon neben Ryan im Auto und wir steuerten San Franzisco an. In knapp einer Woche war die große Aufführung und Meli fand es nur gut, wenn ich die Location schon vorher einmal sehen konnte. Und da es ziemlich riskant war, wenn wir meine Tänzer und die Hauptdarsteller des Musicals erst bei der Generalprobe zusammen bringen, wollte ich sie mir vorher schon einmal ansehen. Und mein Bruder war so nett, mich zu fahren. Ich wollte so lange Strecken nämlich nicht alleine hinter mich bringen.

Meli stand schon winkend im Regen und drückte ihre Zigarette aus.

„Seit wann rauchst du denn?“, wollte ich von ihr wissen, als ich sie in die Arme schloss.

„Seitdem ich Stress habe“, entgegnete sie und mir fielen die tiefen Augenringe auf.

„Machst du eigentlich irgendwann einmal Pause?“, fragte Ryan sie misstrauisch.

„Das mache ich, wenn das alles hier vorbei ist“, lächelte sie und umarmte meinen Bruder. Etwas länger als nötig.

„Lasst uns bitte rein gehen, hier holen wir uns noch den Tod“, schimpfte Meli und sah grimmig zum wolkenverhangenen Himmel hoch.

Wir befanden uns in unserer alten Musikschule. Ein großes, modernes Gebäude, mit großem Theatersaal und ausreichend Platz zum Proben.

Meli führte uns in einen weitläufigen Probenraum mit Spiegeln an den Wänden. In der Ecke stand ein großer Flügel und mehrere Gitarren und ein Schlagzeug waren direkt daneben platziert.

Es befanden sich ungefähr zehn Jungs und Mädls im Raum, alle beschäftigt mit Textlernen.

„Ciara!“, rief Meli durch den Raum und ein hübsches Mädchen löste sich aus der Menge und kam auf uns zu.

Ciara? War das nicht das Mädchen, von dem Jason etwas wollte?

„Hey“, begrüßte sie uns und lächelte uns zu.

„Hi“, erwiderte ich und musterte sie. Alleine optisch würde sie schon perfekt zu meinem Stiefbruder passen. Sie war eher zierlich, aber dennoch nicht zu klein. Ihre langen brünetten Haare hatte sie in einen hohen Pferdeschwanz gebunden und ihre Augen strahlten. Sie war nicht gerade schlank, aber ihr stand ihre Figur einfach. Ein paar Kurven mehr, konnten einen Menschen wirklich besser aussehen lassen.

„Ich bin Jenna, Jasons Stiefschwester“, stellte ich mich vor.

„Oh wow, freut mich dich kennen zu lernen“, rief sie mit einem breiten Lächeln aus. „Ich hab mir dich immer ganz anders vorgestellt“, gab sie zwinkernd zu.

„Das ist Ryan, Jennas Bruder“, stellte Meli Ryan vor.

Auch er begrüßte sie lächelnd.

„Und du spielt Prinzessin Rose?“, wollte ich von ihr wissen.

Sie begann zu nicken und lächelte noch breiter. „Oh ja, ich freue mich schon total auf den Auftritt. Es ist mein erster großer Auftritt und ich bin schon gespannt“, lachte sie.

„Aber sie hat so eine tolle Stimme“, schwärme Meli. Und wenn Meli schwärmte, dann sollte das etwas heißen.

„Dürfen wir deine Stimme nachher hören?“, fragte ich und lächelte sie an. Wenn Jason etwas von der Kleinen wollte, dann war sie ein guter Mensch.

„Na klar. Ich dachte mir, wir hören uns später ein paar Songs an“, schlug Meli strahlend vor.

„Hört sich toll an“, stimmte ich zu. „Können wir vorher bitte etwas essen gehen?“ Mein Magen knurrte schon seit gefühlten drei Wochen.

Lachend schlang meine beste Freundin mir einen Arm um die Schultern.

„Na klar. Das Buffet hier ist wirklich klasse. Kannst du dich noch an letztes Jahr erinnern? An die gigantische Torte, die wir nach der Schlussaufführung bekommen haben?“, fragte sie und ihre Augen leuchteten.

Ja, an diese Torte konnte ich mich noch erinnern. Sie war dreistöckig und mit weißer Zuckerglasur überzogen. Das Zeug schmeckte wahnsinnig süß und war der Hammer. Auch wenn uns später dann allen schlecht war.

„So eine will ich dieses Jahr auch haben“, lachte ich.

Ich freute mich, wenn das ganze hier vorbei war. Aber, wie meine Mum immer sagte: Der Weg war das Ziel. Und der Weg war zwar wahnsinnig anstrengend gerade, aber ich hatte auch große Freude daran. Zu sehen, wie alles endlich Gestalt annahm. Alle meine Tänzer waren schon beinahe perfekt und ich war wahnsinnig stolz auf sie. Die Band war sowieso klasse, von den Jungs erwartete man gar nichts anderes. Und auch die Schauspieler lernten brav ihre Texte und waren von Dana und mir gut ausgesucht worden. Ja, eigentlich war ich sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Wir mussten nur noch die beiden Gruppen zusammenfügen, das konnte noch einige Reiberein geben. Aber auch das würden wir schaffen.

Als ich das Buffet sah, stöhnte ich auf. Ich war so verdammt hungrig.

„Essen“, lachte ich und schnappte mir einen Teller.

„Was geht zwischen dir und Joe?“, fragte Meli leise, als sie sich neben mich stellte und sich belegte Brötchen nahm.

„Naja“, meinte ich und grinste sie an.

„Du erzählst mir bald alles“, beschwor sie und zeigte mit dem Finger auf mich.

„Jaja, klar“, antwortete ich und befüllte großzügig meinen Teller.

Wir setzten uns zusammen an einen Tisch und ich begann endlich zu essen. Ich fühlte mich komischerweise, als hätte ich eine Ewigkeit nicht mehr gegessen.

„Es ist eigentlich immer dasselbe mit uns“, lachte Meli.

Fragend sah ich sie an.

„Vor einer der Aufführungen sind wir wochenlang im Stress und essen fast gar nichts und dann kurz davor fressen wir als gebe es keinen Morgen und werden so dick, dass wir nicht mehr in die Kostüme passen“, lachte sie.

Kauend grinste ich sie an. Da hatte sie gar nicht so Unrecht.

„Letztes Jahr musste mein Kleid sogar umgenäht werden“, lachte ich.

„Und die Schneiderinnen planten immer schon ein paar Termine für uns ein, weil sie wussten dass etwas geändert werden muss“, erzählte Dana.

Ryan brach in lautes Gelächter aus.

„Ist das euer Ernst?“, fragte er ungläubig.

Dana und ich nickten synchron.

„Das kann ich mir eigentlich nur schwer vorstellen“, schmunzelte er.

„Ja, es ist ein unbekanntes Phänomen“, scherzte Dana.

Plötzlich legten sich von hinten zwei Hände über meine Augen und ich konnte nichts mehr sehen.

„Rate mal, wer da ist“, ertönte eine tiefe Stimme hinter mir.

Sofort sprang ich auf und fiel Jason um den Hals.

„Jason“, rief ich erfreut und kuschelte mich an ihn.

„Nicht so stürmisch, Kleine“, lachte er und hob mich kurz hoch.

„Wie geht’s dir?“, wollte ich wissen und zog ihn auf den Stuhl neben mir.

Amüsiert sah er auf meinen vollen Teller.

„Die Fressorgien gehen wieder los“, erklärte Meli achselzuckend.

„Ach, so ist das. Mir geht’s super und dir? Was gibt’s so neues?“, fragend sah er mich an und stibitzte eine Tomate von meinem Teller.

„Hey, das ist mein Essen“, beschwerte ich mich sofort.

Lachend sah mein Halbbruder auf mich herab.

„Definitiv die Fressorgien“, sagte er und zwinkerte Ryan zu. „Sie werden so richtig dick und dann am Tag der Aufführung gibt’s Tränen“, fasste er für Ryan zusammen.

„Hört sich deprimierend an“, schmunzelte Ryan.

„Hey, wir können euch hören“, sagte Meli angepisst und schob sich provozierend ein Stück Kuchen in den Mund.

„Lasst es euch schmecken, ihr müsst ja eh nicht selbst auf die Bühne“, zwinkerte Jason.

Da hatte er auch wieder Recht. Also konnte ich beruhigt weiter essen.

„Wir wollen uns später ein paar der Songs anhöreb. Bist du dabei?“, wollte ich von Jason wissen.

„Deine Ehefrau singt“, warf Meli grinsend ein.

„Seid ihr etwa schon zusammen?“, fragte ich erstaunt. Das war dann aber wirklich schnell gegangen. Was war nur aus dem ganzen „Wir lernen uns zuerst kennen und sind danach ein Paar“ Sache geworden?

„Nein sind wir noch nicht“, erwiderte Jason und funkelte Meli wütend an.

„Ich mein ja nur“, meinte diese achselzuckend.

„Jaja, du meinst ja nur“, äffte Jason sie nach.

Lachend sah ich zwischen den Beiden hin und her.

„Das ist ja, wie zu Hause“, meinte Ryan amüsiert.

Nickend stimmte ich ihm zu.

Als wir alle wieder satt waren schlenderten wir in den großen Saal. Dort passen wirklich viele Leute hinein und die Bühne war groß und geräumig. Auf der Bühne lagen überall Holzteile und Werkzeug herum.

„Wir bauen gerade das Bühnenbild“, erklärte Meli mit einer umschweifenden Handbewegung. Genau so sah es hier auch aus. Und es roch stark nach Lack.

„Konntest du etwas mit meinen Skizzen anfangen?“, fragend sah ich sie an.

„Oh ja, die waren wirklich hilfreich, danke“, bedankte sie sich und umarmte mich kurz.

Lachend schob ich sie von mir.

„Na los, ich will deine Sänger hören“, sagte ich und zwinkerte ihr zu.

Ich ließ mich mit Ryan und Jason in die 3. Sitzreihe fallen und wartete darauf, dass Meli ihre Leute zusammen gesammelt hatte.

Nach einigen Minuten kam Meli mit zwei Mädchen, darunter Ciara, und drei Jungs zurück.

„So Leute, darf ich euch die Co-Produzentin vorstellen? Das ist Jenna“, stellte Meli mich vor und deutete auf mich.

Ich winkte den Leuten zu und lächelte sie an. Sie sahen alle ganz nett aus. Ciara strahlte übers ganze Gesicht, aber das lag wahrscheinlich an dem Typen, der rechts neben mir saß und ebenfalls bis über beide Ohren strahlte.

„Okay, machen wir es bitte wie in den Proben. Fangen wir einfach mit dem Duett der Prinzessin und dem Tod an“, ordnete Meli an. Sie hatte diesen bestimmten Ton in der Stimme, der sie von allen anderen abhob und sie eindeutig als die Chefin im Raum auszeichnete.

Ciara und ein Junge mit rabenschwarzen Haaren und einem durchtrainierten Körper traten einen Schritt vor. Er spielte also den Tod.

Meli reichte ihnen Notenblätter und kam mit einer Fernbedienung in der Hand zu uns herauf. Sie ließ sich neben mich fallen und drückte auf einen der Knöpfe. Kurz darauf ertönten die Klänge des Duetts aus versteckten Lautsprechern über unseren Köpfen. Ich hatte Meli ein paar instrumentale Aufnahmen der Band geschickt, damit sie proben konnten.

Das Duett war langsam und die Prinzessin erklärte dem Tod von ihren Sorgen.

Ich hatte nicht bemerkt, dass die Sänger Mikrofone trugen, aber ihre Stimmen waren im ganzen Saal zu hören.

Ciara sang wunderschön. Ihre Stimme war zart und hoch. Sie stellte die Probleme der Prinzessin wunderbar da. Und der Tod sang einfühlsam, aber mit dem gewissen Unterton der List, die er ganz am Anfang plante.

„Das ist George. Er ist neu hier an der Musikschule. Ist er nicht perfekt für diese Rolle?“, flüsterte Meli und deutete mit einer wagen Handbewegung nach vorne.

„Sie singen beide wahnsinnig gut. Und du wolltest ernsthaft mich für die Hauptrolle haben“, lächelte ich und schüttelte den Kopf.

„Ja wollte ich. Und wenn ich nicht Ciara hätte, würde ich dich noch immer wollen“, entgegnete Meli ernst.

„Ich bin eher die Tänzernatur“, erwiderte ich.

„Das ist mir durchaus bewusst. Ich habe letztens selbst gesehen, was du alles auf die Beine stellen kannst“, meinte sie dankbar.

Lächelnd sah ich sie an. Ich war wirklich froh, Meli zu haben.

Ohne sie wäre mein Leben entweder total langweilig oder total illegal geworden. Sie hatte auf mich aufgepasst, wo ich es am nötigsten gebraucht hatte.

Als sie geendet hatten verstummte die Musik und ich stand auf.

„Das war wirklich einmalig“, lobte ich sie und ging die paar Stufen hinunter zu den Sängern.

„Ihr seid wirklich toll. Hi, ich bin Jenna“, stellte ich mich noch einmal vor und schüttelte ihnen die Hand. Neben George und Ciara, die gerade noch gesungen hatten, war noch ein brünettes Mädchen, Sara, welche die dunkle Reiterin spielte und zwei Jungs, Ben und David, die den Küchenjungen und den Verlobten der Prinzessin spielten, anwesend.

„Gut Leute. Unsere Gäste wollen die Anderen auch noch hören. Äh, wie wäre es mit der Ballade, die der Prinz für seine Verlobte singt? David, bist du soweit?“, Meli sah fragend zu uns herab und David zeigte ihr den erhobenen Daumen.

Ich beeilte mich, wieder auf meinen Platz zu kommen.

David spielte den Prinzen, den die Prinzessin heiraten sollte, aber nicht wollte. Der Charakter war schwer zu spielen, da der Prinz eher unfreundlich und herrisch war, jedoch tief in seinem Inneren ein guter Mensch. Er hatte viele Facetten und Gesichter. David verwandelte sich komplett, als er zu singen begann. Seine Haltung wurde aufrechter und sein Gesichtsausdruck wurde weich. Er ging vollkommen in seiner Rolle auf und fing auch an, auf der Bühne zu gestikulieren. Er sang von der Sehnsucht, die er nach der wahren Liebe hatte und vom Druck, den seine Eltern auf ihn ausübten. Und ein paar Sekunden später verwandelte er sich komplett, sein Ausdruck wurde abweisend und kalt und er sang davon, wie er das ganze Königreich übernehmen und unterdrücken würde, sobald er verheiratet war.

Mir klappte der Mund auf, als ich ihn singen hörte. David passte einfach so perfekt in die Rolle des Prinzen, ich war wirklich begeistert.

„Mund zu, es zieht“, lachte Meli neben mir.

„Wo bitte, hast du ihn aufgegabelt?“, fragte ich ehrfürchtig.

„Ganz klischeehaft. Ich habe ihn von der Straße“, erklärte Meli leise. „Er hatte versucht mein Auto zu klauen, und wie du weißt verstehe ich da gar keinen Spaß. Ich habe ihm die Wahl gelassen zwischen der Polizei oder mir. Und da er nicht zur Polizei wollte habe ich ihn mitgenommen. Eigentlich wollte ich einen Assistenten, aber dann habe ich durch Zufall herausgefunden, dass seine Eltern im Musikbusiness arbeiten und der Junge echtes Talent hat“

Begeistert lauschte ich seiner Stimme. Ich wusste, dass das aufgeweckte Mädchen neben mir ein Gespür für Menschen hatte, aber bis jetzt hatte sie die Rollen wirklich perfekt verteilt.

Ben spielte den Küchenjungen, in den sich die dunkle Reiterin später verliebte. Ben und Sara sangen gemeinsam ein Duett, welches im Mittelteil des Stücks aufgeführt wurde. Sie hatten sich gerade kennen gelernt und sangen davon, dass sie alleine waren und unglücklich in ihrem Beruf.

Wie schon die anderen zuvor, verkörperten auch die beiden ihre Rollen perfekt. Die Chemie zwischen den beiden stimmte irgendwie.

„Sie sind ein Paar“, sagte Meli, was so einiges erklärte.

Alles in Allem war ich sehr zufrieden mit den Schauspielern.

„Alle Achtung, du hast dich übertroffen“, lobte ich Meli, nachdem wir uns von den Schauspielern verabschiedet hatten. Wir schlenderten durch die Musikschule auf den Eingang zu.

„Danke, danke. Ein Lob aus deinem Munde“, lachte sie. „Ich habe für euch ein Hotel gebucht. Für alle deine Tänzer und die Band. Die Kosten übernehme natürlich ich. Es wäre toll, wenn ihr drei Tage vor der Aufführung kommen könntet“, fragte sie blinzelnd.

„Du zahlst alles?“, fragte ich nach.

„Ja, klar. Ich kann es mir schon leisten, keine Sorge“, lächelte sie. Ich wusste, dass sie einiges an Geld für die Produktion des Musicals bekam, aber das es so viel sein würde, davon hatte ich keine Ahnung.

„Na gut, dann sehen wir uns also in vier Tagen schon wieder“, lächelte ich und umarmte sie. Leider konnten wir nicht länger hier bleiben, da morgen schon wieder Schule war und mein Dad da keinen Spaß verstand.

„Ich freue mich schon. Kommt gut nach Hause“, verabschiedete sie sich und Ryan und ich stiegen ins Auto. Wir hatten noch eine lange Fahrt vor uns und es dämmerte bereits.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine freakigen Mitbewohner und meine geniale Cousine

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