Cover

Kapitel 1

Gill Eckert: Heeeey! Was machst du so? :)

Lilli C. Emsmer: Euch vermissen…

Gill Eckert: Ach komm schon so schlimm ist es doch whol net!

Lilli C. Emsmer: Es ist grauenhaft!! Ich hab gestern meinen facebookaccount gelöscht weil leon so genervt hat!

Gill Eckert: Hab icvh gemerkt! Aber mal klartext der hat dich geliebt

Lilli C. Emsmer: Jaaa das hat er uch behauptet aba er war arrogant un nervig und einfachh ein spatgwk! -.-

Lilli C. Emsmer: *spargel

Gill Eckert: Ein was?

Gill Eckert: Oh zu spät  gelesen sorry!

Lillth C. Emsmer: :)

Gill Eckert: Trotzdem! Du warst voll lang mit dem zusamm üba herbst und weihnachten letztes jahr!!

Lilli C. Emsmer: Jaa über den winter wars ja ganz nett aba jetzt is bald frühling das heisst flitenn!!! ;)

Gill Eckert: wir haben november schätzchen! :D Du machst mir angst! O.o ;) aba was meinst du mit flirten? Ich dacht bei dir gibts keine sweeten boys?

Lilli C. Emsmer: Ich bin grad ma n paar tage uf der schule hier! Irgendwer wird schon kommen und ach jaa: mein neuer facebookaccount: http://www.facebook.com/Lillic.emsmer

Gill Eckert: 3 freunde? Haha opfer!

Lilli C. Emsmer: Fresse gill!^^

Gill Eckert: Ich muss mal off! :/ aba ich send dir noch eben eine anfrage! Bb schadzz! :*

Lilli C. Emsmer: :(

 

Ein wenig enttäuscht klappte ich meinen Laptop zu. Nein! Was süße Jungs anging hatte Gill recht gehabt. Es gab sie wirklich nicht!

 

Seit ein paar Tagen besuchte ich die Goethe-Gesamtschule und ich fühlte mich doch ein wenig unterfordert! Auf meiner alten Schule in Köln, dem Schiller-Gymnasium (hahaha! Wie witzig.) war ich nie sonderlich gut gewesen. Natürlich hatte ich meine 1en gehabt. In Deutsch, Englisch und Sport zum Beispiel. Dann die 2en in den Nebenfächern wie Geschichte, Erdkunde und Politik. In denen hätte ich auch eine 1 hätte haben können, wenn ich nicht zu faul zum ordentlich Schreiben und Zuhören wäre. Dann die wackeligen 3en in Chemie und Französisch und die beiden 4en in Physik und Mathe. Okay, nicht wirklich schlecht, aber nicht herausragend! Aber hier, in der neuen Schule wimmelte es nur so von Idioten! Das klingt jetzt bestimmt arrogant, aber es ist nunmal so. So viele Assis auf einem Haufen hatte ich noch nie gesehen! Es gab natürlich auch Leute, die ganz gut waren, wie meine neue Freundin Emma und ihre Cousine Eva, aber trotzdem fühlte ich mich unterfordert. Bevor ich an der Goethe-Gesamt aufgenommen wurde, musste ich in jedem Fach einen Test schreiben. Dann wurden die Leistungen ausgewertet und ich bekam gesagt, in welchen Kurs ich in jedem Fach komme. Es gab den Förderkurs, den Elementarkurs und den Begabtenkurs. Ich bin fast überall im Begabtenkurs, außer in Mathe, Chemie, Physik, Französisch und Kunst. Und in denen bin ich in den Elementarkursen. Das heißt so viel wie: Durchschnittlich

DURCHNITTLICH? ICH?? IN MATHE???

Wie gesagt, dass Niveau war sehr tief. Nun aber zu den Menschen hier. Eva und Emma sind voll okay. Ich habe Deutsch, Englisch, Religion und Physik mit ihnen. Eva ist ‚n bisschen still, aber im Großen und Ganzen total nett. Emma ist witzig, cool und musikalisch begabt! Sie hat eine Stimme… Gänsehautfeeling! Dann wären da noch die Nerds/Streber: Mit Phillipp , Christopher und Erwin habe ich Reli und Kunst, mit Lara, Regina und Sina Französisch. Sie sind ganz okay, aber eben echte Mauerblümchen. Dann die Tussen: Vanessa, Felina, Natasha, Claire und Chiara habe alle viel Make-Up im Gesicht, aber kaum was im Hirn. In ihre Schublade kann man auch noch Emra, Selin und Merve stecken. Die Schulschlampen. Mit ihnen habe ich auch Kunst. Zum Glück nur.

Das wären dann erst mal die aus meiner Stufe. Natürlich habe ich da noch mehr drin, aber die sind, meines Erachtens nach, nicht erwähnenswert.

Und dann wären da noch die…

Ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll.

Julien, Finn, Yannick, Luca und Elyas sehen alle heiß aus. Sie sind nicht sehr helle bis durchschnittlich, außer Finn, er ist ein Mathegenie, und hatten mit so gut wie jedem Mädchen schon mal was. Playboys? Das wäre wohl das richtige Wort! Sie sind eine Stufe über mir und, naja, eben Playboys. Julien und Yannick sind schon einmal sitzen geblieben, deshalb gehen sie zusammen mit den Anderen in die Jgst. 10. Elyas wurde später eingeschult.

Luca ist Italiener. Er hat dunkle Locken und ist groß. Yannick, Julien und Finn kommen aus Deutschland. Yannick hat dunkel-, Julien hellblonde Haare. Yannick ist etwas kleiner als Julien, aber dafür auch etwas muskulöser. Finn hat rötliche Haare.

Und dann wäre da noch Elyas. Er ist Türke und sieht, wie ich finde, am besten aus. Er hat kurze, schwarze Haare, die er immer mit etwas Gel fixiert. (Undecut, so hot, diese Frisur!!) Er trägt immer modische, aber nicht schwule Klamotten und hat ein wahnsinniges Lächeln. Er ist nach Julien der Größte der Gang und noch muskulöser als Yannick. Eher dunkler Teint. Aber das Genialste an ihm sind seine Augen. Eisblau. Sie blitzen aus seinem Gesicht hervor und sehen einfach cool aus.

Wie gesagt, heiß sind sie alle, aber Charakter? Fehlanzeige? Ich würde NIE mit einem dieser Jungs was anfangen. NIENIENIE! Weil sie einfach die größten Playboys des Universums sind. Asozial so was!

Also: Heiß ja, süß nein! So traurig das auch klingt!

 

Müde erhob ich mich von meinem Bett und schaute in den Spiegel. Ich trug karierte Boxershorts und ein weißes Top. Meine dunkelblonden Haare hatte ich zum Schlafen zu einem Dutt hochgebunden. Mein kleiner Bauch wölbte sich wenig vorteilhaft unter dem Top, aber das war mir um diese Uhrzeit relativ schnuppe! Solange ich keinen Bikini tragen musste, fand ich mich ganz hübsch! Ich ging noch einmal auf die Toilette. Morgen war der letzte Schultag. Freitag. Und am Abend der 16. Geburtstag von Emma. Morgen wird cool!, redete ich mir ein und poste probehalber vor dem Badezimmerspiegel. Cool. Mein Laptop gab einen Ton von sich. Ich öffnete ihn und sah: „Vierzehn neue Freundschaftsanfragen“

Ich runzelte die Stirn und öffnete die Älteste. Sie war von Gill. Sofort klickte ich auf annehmen. Dann noch zwei hässliche Typen, die ich nicht kannte, einige meiner alten Mitschüler… Die anderen ließen mich stutzen. Sie waren von Julien, Elyas, Yannik und Co. Ein wenig überrascht überlegte ich, ob ich sie vielleicht ablehnen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Was war schon groß dabei? Ich klickte nacheinander auf „Annehmen“ und stellte anschließend ein Profilbild ein. Es zeigte mich und Gill, wie wir in superteuren Outfits im Trendy standen und uns kaputt lachten. Meine große Schwester Elena hatte dieses Foto geschossen, bevor sie nach Münster studieren ging. Nie und nimmer hätten Gill und ich uns diese Sachen leisten können, weshalb es ja so witzig gewesen war. Ich markierte sie und schrieb:

„Bester Tag, beste Sache, beste Freundin…-mit Gill Eckert“ Nach einer Minute hatte ich bereits zwei Likes. Der erste war von Julien. Er kommentierte das Bild sogar mit einem Herz. Der zweite von Elyas. Ich wollte meinen Laptop gerade zuklappen, als ich angechattet wurde:

 

Elyas Canmaz: heey Lilli, wofür steht eigtl das c in deinem namen?

 

Trottel! Wir hatten bis jetzt noch nicht viel geredet, seit ich auf der Schule war, aber allein durch sein arrogantes Auftreten machte er mich schon tierisch aggressiv! Genervt tippte ich eine schroffe Antwort:

 

Lilli C. Emsmer: Reg mich jetzt nicht auf junge! Ich will schlafen!

 

Elyas Canmaz: kommste morgen auch auf emmas bd

 

Auch? Emma hatte diesen Idioten eingeladen? Na super! Ich stöhnte und loggte mich aus. Das konnte ja schön werden!

Ich legte mich ins Bett und letzte Wort, was ich dachte, war:

Niemals!

Kapitel 2

Die Schule war okay. Mathe überstand ich. Ebenso wie die anderen Fächer. Ein bisschen blöd war die Zusätzliche Tasche, die ich mit mir rumschleppte. Sie enthielt praktisch meinen gesamten Kleiderschrank und wog  gefühlte 7,35844 Tonnen! Ich musste dieses Ungetüm deshalb mit rumschleppen, weil ich nach der Schule direkt mit zu Emma gehen wollte, damit wir unsere Outfits planen konnten. Ihre Eltern würden für diesen Abend extra nach Köln fahren, was auch gut so war. Wenn Elyas und seine Kumpel dort auftauchten, dann sicher nur mit Alkohol im Schlepptau! Die ganze Schule redete praktisch von den Partys, auf denen sie auftauchten. Vor allen Dingen Yannick ließ keine Veranstaltung aus. Ob es nun eine Sauforgie nach einem gewonnenen Fußballspiel, oder eine VorABI-Fete war.

Ich brachte also den Schultag hinter mich und stand dann mit Eva und Emma in dem riesigen Haus der Roths. „Gefeiert wird hauptsächlich im Wohnzimmer. Die Sauna, der Pool und mein Zimmer sind Tabu. Und praktisch der ganze erste Stock!“, erklärte uns Emma, während sie aufgeregt auf und ab hüpfte und die dunkelbraunen Locken um den Finger kringelte. Eva und ich nickten und grinsten uns an. „Okay, das war’s eigentlich auch schon!“ Emma grinste. „Dann geht’s jetzt wohl an die Outfits!“

 

Jaaa, das war wohl der beste Teil des Tages. Eva war überzeugt davon, auch ohne Schminke klarzukommen, aber das erlaubten Emma und ich ihr nicht! Wir zwängten sie in eine von Emmas Röhrenjeans und in meine 7cm-Absatzschuhe. Dann ein dunkelgrünes Paietten-Top und darüber eine schwarze Lederjacke mit silbernen Knöpfen. Ihre roten Haare drehten wir zu Locken und das sah einfach Wahnsinn aus! Zu dem grünen Top.

Dann noch grüner Lidschatten, Kayal, Eyeliner und Wimperntusche.

„Perfekt!“, sagte ich zufrieden und knipste ca eine Millionen Fotos mit Ems Kamera. Auch sie schien mit dem Aussehen ihrer Cousine zufrieden zu sein. Eva sagte nichts, aber sie grinste. Von einem Ohr zum anderen. Ich hatte sie von Anfang an gemocht. Sie war das typische schüchterne Mädchen, das nicht einen Hauch Selbstvertrauen hatte, aber einfach supernett ist.

Emma trug am Ende eine schwarze Strumpfhose, eine Hotpan und ein schwarzes Top. Eigentlich recht schlich, aber ihre Goldarmreifen und die goldene Kette ließen alles extrem edelwirken. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie geglättet und zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Smoky Eyes, allerdings nur leichte, und Lipgloss. Als Farbblitzer in dem eher dunklen Outfit trug sie ihre Neongrünen Chucks. Letzteres war meine Idee gewesen und ich fand diese Teile einfach geil! Sie gaben dem ganzen Outfit den richtigen Kick.

Mein Outfit sah am wenigsten nach Party aus, aber ich fand es genial:

Ich trug eine enge, blaue Röhrenjeans mit Rissen. Darüber ein schwarzes Top, und DARÜBER ein supergeniales, weißes T-Shirt mit aufgedruckter Britannien-Flagge. Ich ließ es Schulterfrei, sodass man den einen Träger des schwarzen Tops noch sah. Weil es so weit war kaschierte das Shirt auch noch perfekt mein kleines Bäuchlein. Eva lieh mir ihre lässigen Turnschuhe und von Emma bekam ich eine echt geile blaue Mütze, die ich über meine dunkelblonden Haare zog. Es war genau dasselbe blau, wie in dem T-Shirt. Kayal, Wimperntusche, Eyeliner und Lipgloss. Um mein linkes Handgelenk noch schnell ein paar Armbänder und fertig.

Wir knipsten ungefähr 1000 Fotos voneinander und ehe wir uns versahen hatten wir auch schon sieben Uhr. Die Gäste würden um acht kommen und wir mussten noch das ganze Haus herrichten. Emma kümmerte sich um die Musik und die Beleuchtung, Eva verteilte Knabberzeugs und ich versteckte alle peinlichen Fotos und Rüschenkissen und schloss die Räume ab, die nicht betreten werden durften.

Um zehn vor acht schaltete Emma die Musik ein und ich musste mir die Ohren zuhalten.

„Geile Mukke, was?“

„Was?“

„Jaa, finde ich auch!“

„Hää?“

Emma war offenbar zufrieden und tanzte bereits mit Eva den Makkarena, oder wie auch immer das heißt! Ich grinste nur und ließ mich auf dem Sofa nieder.

 

Um kurz vor acht klingelte es und Emma rannte zur Tür. Draußen standen Vanessa und Selin. Warum Emma diese Tussen eingeladen hatte, war mir schleierhaft! Selin trug eine Minirock, ein nabelfreies Top und Highheels. Vanessa sah so ähnlich aus, bloß mit Jeans statt Rock. Nacheinander füllte sich Emmas Haus und der Partypegel stieg an. Die meisten Leute kannte ich nur vom Sehen, aber ich hatte trotzdem viel Spaß. Selbst Eva taute auf und tanzte wie verrückt. Gegen zehn standen dann Yannick und Finn auf der Matte. Kurz darauf kam der Rest der Gang. Wie vermutet hatten sie eine Menge Alkohol mitgebracht und ich musste mit ansehen, wie sich immer mehr betranken. Nennt mich von mir aus spießig, aber ich halte nicht viel von Alkohol. Das heißt, eigentlich ist nicht der Alkohol an sich mein Problem, sondern Leute, die sich damit volllaufen lassen und ihn dann nicht vertragen. Ich bin dann am Ende nämlich die, die alles wieder aufwischen darf. Aber insgesamt war der Abend gut.

Zugegeben, es war sogar eigtl ganz witzig: Vanessas Make-Up sah mittlerweile aus, als sei sie im strömenden Regen hergekommen, ebenso das von Selin und Merve. Auch die restlichen Tussen sahen nicht mehr ganz so toll aus. Wobei ich das bei Emra nicht ganz so gut beurteilen konnte, weil sie ab zehn Uhr, genau wie Julien, unauffindbar war.

Um halb eins wurde dann ein sehr langsamer Song gespielt und zu meiner Überraschung stand plötzlich Eva mit Yannick eng umschlungen auf der Tanzfläche. Ich kniff die Augen zusammen. Verarschte er sie nur? Was für eine Frage: Natürlich war es ihm nicht ernst, aber war es eine Wette? 
Rummachen, wenn einem gerade langweilig ist, ist ja noch okay, aber Wetten und/oder anschließend über die Opfer herziehen geht gar nicht. Und Yannick machte sowas gerne. 

„Na?“, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Es war Elyas, der auf einmal neben mir saß. Mit einer Bierflasche in der Hand.

Ich stöhnte. Er  hatte mir gerade noch gefehlt! „Was willst du?“

Er überging meine Frage und folgte meinem Blick.

„Ich wusste garnicht, dass Eva so gut aussieht.“

„Yannick anscheinend auch nicht!“, murmelte ich und beobachtete die beiden forschend.

„Hey, komm schon. Lass ihm seinen Spaß!“

„Spaß? Was ist eigentlich falsch mit euch?“ Ich war drauf und dran, aufzuspringen und ihm die blöde Bierflasche aus der Hand zu schlagen.

„Was meinst du?“ Er grinste und rückte ein Stück näher. „Was Mädels angeht hat Yannick es einfach raus.“

Ich atmete tief durch. „Okay, du Möchtegernplayboy, ich sag dir jetzt mal was: Wenn Yannick auch nur ein Wort Scheiße über Eva labert bringe ich ihn um, okay?“ Ich funkelte ihn an und mir fielen wieder seine wunderschönen Augen auf. Nein! Nicht daran denken, Lilli!

„Willst du tanzen?“, wechselte er abrupt das Thema.

„Nein!“

„Bitte!“

„Neien!“

„Komm schon!“

„Fick dich!“

Er musste lachen. „Weißt du, Lill, du bist irgendwie anders, glaube ich!“ Dann verzog er sich. Idiot!, dachte ich noch, dann steckte ich mir noch eine Hand voll Brezeln in den Mund.

 

Für mich endete die Party gegen zwei. Mir war mittlerweile schlecht von den vielen Brezeln und dem Knabberzeugs und dem vielen Tanzen und Yannick und Eva tanzten immer noch. Ich stand im Türrahmen der zur Küche führte, als Merve vor mir auftauchte. Sie sah aus wie ein Clown und ich musste unwillkürlich lachen…-

Was ich prompt bezahlte. ‚Ausversehen‘ kippte sie mir ihre Cola auf’s T-Shirt. „Ups!“, sagte sie und stöckelte davon. Ein paar Leute kicherten. Mein Shirt klebte mir am Körper und ich war so wütend, dass ich es erwogen hatte, Merve eine reinzuhauen! Aber ich wollte Emma den Geburtstag nicht kaputt machen, also verkniff ich mir jegliche Anwendung von Gewalt und suchte stattdessen Emma. Sie stand neben der Musikanlage und knutschte mit Luca rum. Ich stöhnte. Na super! Erst Eva, jetzt Emma! Ich tippte sie an.

„Mensch, Lill! Spinnst d…- was is’n mit dir passiert?“

„Merve!“, sagte ich. „Ist halb so wild, ehrlich! Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich jetzt abhaue! Meine Klamotten hole ich irgendwann ab!“ Ich drehte mich um, aber Emma hielt mich fest.

„Du kannst doch nicht alleine in dem Aufzug gehen!“

„Ich bin 15, ich krieg das hin!“, sagte ich spöttisch. „Außerdem…-“

„Außerdem wird sie nicht alleine gehen!“, unterbrach mich eine Stimme. Ich drehte mich um und blickte in eisblaue Augen. Hinter mir stand Elyas.

„Ich bringe sie!“ Ich wollte protestieren, aber Emma war schon wieder mit Luca beschäftig und als die Musikanlage dann auch noch ohrenbetäubend laut „Sweet Sixteen“ von Chris Rooper schmetterte, gab ich auf.

„Okay!“, knurrte ich und marschierte los. Er wollte mich ja bloß nachhause bringen, nicht gleich abknutschen! So wie ich meine Mutter heute morgen verstanden hatte, war sie bis spät weg. Was „spät“ hieß, wusste ich nicht. Ich nahm an, dass sie mit ihren Freundinnen einen Trinken war. Das tat sie ständig, seit Dad uns rausgeschmissen hatte.

Ich schnappte mir meine Jacke und verließ, mit Elyas im Schlepptau, das Haus.

Kapitel 3

Wir brauchten circa zehn Minuten, bis wir an meinem Haus ankamen. Das Auto meiner Mutter war nirgends zu sehen, also kramte ich in meiner Jackentasche nach dem Schlüssel. Elyas hatte keinen Anlauf unternommen, mit mir zu sprechen. Er war schweigend neben mir hergelaufen. Er trug eine Jeans, Turnschuhe, ein T-Shirt und darüber ein Karohemd. Die dunklen Haare wie immer etwas gegelt.  Er sah verdammt gut aus, wie immer.

Endlich hatte ich den Schlüssel gefunden und die Tür aufgesperrt. An den Türrahmen gelehnt stand ich da, mit verschränkten Armen. Er musterte mich und ein Lächeln zierte sein Gesicht.

„Danke für’s Bringen!“, sagte ich schließlich.

Er nickte. „Gerne.“

Ich wartete etwas irritiert darauf,  dass er sich umdrehte, aber er machte keine Anstalten das zu tun.

„Du kannst jetzt gehen!“

„Ich weiß!“

Und dann, bevor ich etwas dagegen tun konnte, stand er ebenfalls im Türrahmen, hatte mir den linken Arm auf die Hüfte gelegt und fuhr mit der rechten Hand durch meine Haare. Und dann küsste er mich. Dabei drückte er mich gegen den Türrahmen und mein anfänglicher Wiederstand erstarb. Dazu war er einfach zu gut! Ich schloss die Augen und begann, den Kuss zu erwidern. Ich spürte, wie er lächelte, aber das war mir egal. Er war wirklich talentiert, das musste man ihm lassen! Der Kuss war leidenschaftlich und sanft zugleich. Viel besser als die Küsse von Leon! Er strich mit den Händen sanft über mein Gesicht, streichelte meine Wange und meine Augenbraue.

Irgendwann zog er mich dann ins Haus und schloss die Tür hinter uns. Wie wir die Treppe in mein Zimmer hochkamen war mir schleierhaft! Auch, woher er wusste, wo wir hinmussten. Anfangs versuchte ich zu protestieren und ihn wegzuschieben, aber er war stärker als ich. Letztendlich landeten wir auf meinem Bett. Falls ihr denkt, jetzt wird’s pervers, dann muss ich euch enttäuschen! Wir knutschten einfach nur. Einfach nur Knutschen! Ich war gerade mal 15 und nicht so eine Schlampe wie Merve. Tatsächlich hatte ich bloß meine Jacke und die Schuhe ausgezogen. Ebenso wie er.

Es war ein schöner… nennen wir es mal ZEITVERTREIB. Dafür dass ich Elyas nicht mochte, hatte ich ziemlich schnell aufgegeben! Ich konnte es nicht erklären, es war einfach passiert! Eigentlich war er nicht mein Typ. Ich meine, welches Mädchen will schon so einen Macho-Playboy, der es mit jeder treibt? Genau. Niemand! Und trotzdem lag ich nun knutschend mit dem Musterbeispiel eines Players auf meinem Bett. Eindeutig ein Fall von Alkohol!

Auch wenn ich garnichts getrunken hatte! Alle diese Gedanken kamen erst später! Während ich Elyas küsste, fielen mir nur andere Sachen auf. Wie z.B. sein Geruch. Nach Playboydeo oder Ähnlichem. Und die Muskeln unter seinem T-Shirt und die Tatsache, dass er wundervoll weiche Haare hatte. Aber dann nahm die Sache ein rasches Ende:

Meine Mutter kam urplötzlich in den Raum.

„Lilli? Schläfst du sch…-“ Sie brach ab. Sah zuerst zu Elyas, dann zu seinem Karohemd am Boden und dann zu mir. „Was ist…-?“

„Mama!! Hallo! Äääähm… Also, das ist jetzt nicht so, wie du denkst!“

Auch Elyas hatte mittlerweile den Schreck verdaut und rollte sich von meinem Bett runter.

„Hallo!“, stellte er sich verlegen vor. „Ich gehe auf die Schule ihrer Tochter und habe sie Nachhause gebracht!“

„Aha!“, war alles, was meine Mutter dazu sagte. Dann drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer. Meine Tür fiel zu. „Verdammt!“, fluchte ich und sprang auf. Hastig sammelte ich meine Schuhe ein und schaute mich gehetzt um. „Du Idiot!“

Elyas lachte nur. „Jetzt komm schon“, sagte er. „Es hat dir gefallen, gib’s zu!“

„Hat es nicht!“, fauchte ich und funkelte ihn an. „Und jetzt hau ab!“

Mit einem Satz stand er vor mir und drückte mich gegen meinen Schrank. „Wirklich?“, fragte er und stellte sich so nah vor mich, dass ich wieder sein Deo riechen konnte. „Es hat dir nicht gefallen, kein Stück?“

„Kein Stück!“, hauchte ich, aber es klang nicht sehr überzeugend.

„Wirklich nicht?“, flüsterte er und strich mit seinen Lippen über meine. Seine Hand strich durch meine Haare, streichelte meine Wange, meinen Hals. Er lächelte und schaute mich an. Ich schaute zurück und genau das war der Fehler. Seine Augen. Seine hellblauen Augen. Sie waren das, was meinen Widerstand endgültig zum Erliegen brachte. Ich hob meine Arme, fuhr durch seine Haare und küsste ihn. Keine Ahnung wie lange, aber irgendwann löste er sich von mir. Ich schaute ihn an und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Aber kein freundliches, eher selbstgefällig. Arrogant. Als ob er genau das bekommen hätte, weas er wollte.

„Ich muss los!“, sagte er und schnappte sich seine Schuhe. Ich starrte ihn an. „Keine Panik!“, sagte er und tippte mir auf die Nase. „Wir sehen uns doch am Montag!“ Er gab mir einen flüchtigen Kuss. „Aber ehrlich, Lill, war gut. Hätte ich dir nicht zugetraut!“ Und mit einem letzten, verschmitzten Lächeln verschwand er. Kurz darauf fiel unsere Haustür ins Schloss. Verdammt! Warum hatte ich das getan? Immer wenn ich Merve oder Selin gesehen hatte, war ich von einer Art Hochgefühl beschlichen worden. So nach dem Motto: Du bist besser als das!

Aber, war ich wirklich besser? Ich hatte mit einem Jungen rumgemacht, den ich nichtmal leiden konnte. Ich konnte ihn nicht leiden! Wirklich nicht! Er war ein Trottel. Ein Trottel.

Na gut, er sah nicht schlecht aus! Und er roch gut. Und er hatte weiche Haare. Und einen tollen Style. Und er…-

Wo war ich?

Ach ja! Aber er war nicht mein Typ! Ich mochte ausländische Jungs eigentlich nicht. Deutsche waren mir lieber. Blond und blaue Augen. Oder grüne. Dunkelblonde Locken sehen so toll aus!

Und trotzdem hatte ich ihn geküsst! Moment mal! Nicht ich ihn, er mich! Er hatte MICH geküsst! Er hatte mich geküsst. Ich würde ich doch niemals küssen, ich meine, ich habe zumindest so etwas Ähnliches wie Niveau!

Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Zum Glück war er ein absoluter Idiot! Er würde am Montag kein Wort über die Sache verlieren. Ich konnte ihm doch nichts bedeuten, ich meine, mit wie vielen Mädchen war er schon in der Kiste gewesen??

Er würde mich am Montag ignorieren und ich ihn und dann hatte sich die Sache.

Ich atmete aus, erleichtert, für mein Problem eine so einfache Lösung gefunden zu haben. Ich stand energisch auf und duschte. Dann zog ich mir Klamotten an und legte mich ins Bett. Mir ging es gut. Mir ging es sehr gut. Fast schon zu gut. Ich drehte mich auf dem Bauch und vergrub meine Nase in meinem Kopfkissen. Es roch immer noch nach Elyas und das entspannte mich furchtbar. Aber schlafen konnte ich trotzdem nicht. Ich hatte das Gefühl, zu schweben. In meinem Bauch kribbelte es und mir war ein bisschen schwindelig. Aber es ging mir gut. Naja, zumindest körperlich. Innerlich war ich entsetzt. Ich kannte dieses Gefühl nämlich. Es war das Gefühl, dass man zwangsläufig bekam, wenn es wärmer wurde. Im Urlaub am Strand, wenn man mit der besten Freundin und einigen Italienern den Sonnenuntergang betrachtete. Die ersten, zarten Blumen, die sich durch die Erde schieben. Das Gefühl, von Freiheit, dass alles sofort in einem anderen Licht erscheinen lässt. Das Gefühl, von Schmetterlingen im Bauch.

Frühlingsgefühle.

Fuck.

Kapitel 4

Am nächsten Tag würde ich von meiner Mutter geweckt. Sie war angezogen und geduscht und rang sich ein Lächeln ab. Ich befürchtete schon, dass sie sofort von letzter Nacht anfangen würde, aber da hatte ich mich geschnitten. „Essen!“, sagte sie und zog mir die Decke weg. Erst jetzt bemerkte ich den Geruch von gebratenem Speck. „Rühreier, Kakao, Brötchen… Alles da, Schatz. Steh auf!“ Ich nickte und sprang aus dem Bett. Meine Mutter ging nach unten und ich ließ mich sofort wieder fallen. Ein Traum!, betete ich. BITTE! Nur ein Traum!

Aber, wie ihr euch vielleicht denken könnt, war das Schicksal nicht gnädig mit mir. Mal wieder. Ich fand nämlich etwas unter meinem Bett, als ich seufzend aufstand und meine leere Wasserflasche suchte, um sie mit nach unten zu nehmen. Elyas Kette. Ich nahm jedenfalls an, dass es seine war. Immerhin hatte ich sie noch nie gesehen, meine Mutter trägt nur Silber und es stand sein Name drauf. Es war ein einfaches Lederband mit einem Anhänger, auf dem sein Name stand. Hot!, dachte ich. Nein, Moment, schwul! Jungs mit Ketten sind schwul! Das haben du und Gill schon in der dritten Klasse besprochen.

Okay, wir waren in der dritten Klasse ein wenig sexistisch gewesen. Wir konnten keine Jungs leiden. Und Jungs, die Jungs mehr als uns leiden konnten, fanden wir natürlich noch beschissener. Mittlerweile finden wir schwule Männer sogar meistens besser als normale, aber naja, ich brauchte gerade irgendein Argument, das gegen Elyas sprach.

„Lilli!“

„Bin gleich da!“, rief ich, schnappte mir die Kette und lief nach unten. Es duftete herrlich. Rühreier mit Speck, Brötchen mit Butter, Kakao… Ich schaute meine Mutter mit zusammengekniffenen Augen an. „Was ist los?“

„Setz dich!“ Sie trank Kaffee und sah putzmunter aus. Ich nahm Platz. „Pass auf, Schatz. Es geht um deinen Geburtstag!“

„Ich bekomme die Spiegelreflex nicht? Mama! Das war das Einzige, was ich mir gewünscht habe!“

„Doch, doch, die kriegst du…- Ach, verdammt!“ Sie stöhnte und sah gar nicht mehr so wach aus. „Ich verrate immer alles! Also pass auf: Deine Oma hat beschlossen, dir ihr Geschenk…persönlich zu geben.“

„Was?“

„Naja und, es wäre schön, wenn du und dieser junge Mann währenddessen ein wenig… subtiler rummachen könntet!“

„Rummachen? Spinnst du?“ Hatte meine Mutter gerade ernsthaft rummachen gesagt? OMG! Ich löffelte ordentlich Eier auf mein Brötchen. Die Butter schmolz.

„Ach, Lilli! Ich war auch mal jung. Ihr könntet ja zu ihm gehen und Oma könnten wir sagen, dass du zum Ballett gehst. Oder in einen Chor. Das habe ich auch gemacht!“

„Du gibst mir jetzt nicht ernsthaft Tipps, wie ich mich mit einem Jungen zu treffen habe, oder? Außerdem ist das eh nichts Ernstes gewesen!“

„Du warst betrunken?“

„Nein! „

„Also warst du völlig nüchtern. Und hast trotzdem mit diesem Jungen…“

„Naja, also…- gewisser Maßen.“

„So eine bist du also.“

„Mama!“

„Schon gut, schon gut!“ Sie stellte die Tasse weg und massierte sich die Schläfen. „Ich fahre gleich in die Stadt, ein paar Sachen für Oma kaufen.“

„Ich dachte, ich habe bald Geburtstag!“

„Haha! Sie kommt drei Wochen vorher und bleibt danach noch eine.“

„WAS? Sie kommt in einer Woche?“

Meine Mutter nickte und erhob sich. Ich biss in mein Brötchen. Die Eier waren nur noch lauwarm. Okay, besser als nichts! Ich verschlang das Brötchen praktisch. Schnell schmierte ich mir das nächste.

Ich seufzte. „Hauptsache, sie bleibt aus meinem Zimmer raus.“

„Das kann ich nicht versprechen, du weißt ja, wie sie ist.“

„Ja, leider!“ Ich schluckte und war schon drauf und dran, mir das nächste Brötchen zu schmieren, als ich auf mein Bäuchlein schauen musste. Hatte Elyas das gestern bemerkt? Er war so durchtrainiert! Und ich so… wabbelig! Ich schaute auf das Brötchen, dann auf meinen Bauch. Dann dachte ich an Elyas und anschließend an die Emanzipation. Meine Mutter schaute mich inzwischen leicht irritiert an. „Bist du etwa schon satt?“, fragte sie. Ich atmete tief durch. „Quatsch!“, sagte ich und schob mir noch ein Brötchen auf den Teller. „Der Tag muss erst noch kommen…“ …an dem ich wegen einem Typen auf Rührei mit Speck verzichte!

 

„Du musst ja nicht wegen ihm abnehmen, wenn du Probleme mit deiner Figur hast!“ Gills Vater bezahlt ihr tatsächlich einen Vertrag mit Flatrate in alle Netze. Dieser Typ ist ernsthaft gestört!

„Bin ich zu dick?“

„Ich finde, dir stehen die paar Gramm zu viel!“

„Jaja, das sagst du nur so!“

„Quatsch!“

„Ach, Mann, Gill! Er ist so heiß!“

„Das glaube ich dir!“

Ich warf mich deprimiert auf mein Bett. „Aber er ist so vollkommen gar nicht süß! Er hat nicht mal süße braune Teddyaugen, wie andere Südländer. Er hat nur diese eisblauen Dingsdinger!“

„So wie du ihn beschrieben hast, wird er das Ganze doch am Montag vergessen haben?“

„Ja. Schon.“

„Oder willst du nicht, dass er es vergisst?

„Quatsch!“

„Du bist doch nicht etwa verknallt?“

„Laber Keinen! Nicht in diesen Trottel! Der ist doof!“ Wow, welch ausgefallene Wortwahl, Lilli. Glückwunsch!

„Wie du meinst! Ich stalke jetzt erst mal sein Facebookprofil!“

„Mach doch, ist mir egal!“

„Ja, klar!“ Sie legte auf und ich fuhr meinen Laptop hoch. Sie hatte mich neugierig gemacht! Ich gab seinen Namen ein und kam auf seine Seite. Zuerst besah ich mir die Fotos. Er hatte sechs Profilbilder,  die alle professionell gemacht worden waren. Eitler Mistkerl! Er trug normale Klamotten, bis auf das letzte. Auf dem trug er eine Collage-Jacke und ein I-was-here-New-York“-T-Shirt. Sogar seine Chucks waren im Starsandstripes-Style. Unter seinem Arm trug er einen Football. Anscheinend war das ein echtes Modeshooting gewesen. Na toll. Das wurde ja immer besser! Das Titelbild zeigte die ganze Gang, ebenso wie die meisten Pinnwandfotos. Nur eines zeigte ihn und ein kleines, schwarzhaariges, eisblauäugiges Mädchen. Vielleicht drei Jahre alt. Seine Schwester? Ich ging weg von den Fotos, überflog kurz seine Freunde, 1.945, und schaute mir dann seine Pinnwand an. Sie war extrem voll mit Herzen, Kusssmileys und jeder Menge Mädchen. Eigentlich schrieben fast nur Mädchen. Naja, mal abgesehen von Yannick und Co.

Ich klappte meinen Laptop sauer zu. Aus irgendeinem Grund machte mich das wütend. Kurze Zeit später bekam ich eine WhatsApp-Nachricht von Gill.

 

Gill Eckert: Altaaaaaa! *-* der typ is purer sex! Zucker!!! Wenn du den net willst nehm ich den

 

Das war zwar irgendwie witzig, half mir aber nicht weiter! Warum habe ich eigentlich immer solches Pech?

Kapitel 5

Montag. Ich wachte zehn Minuten vor meinem Wecker auf, sprang auf und duschte. Schwarze Strumpfhose, darüber eine knallrote mit reingeschnittenen Löchern, meine grünen Chucks, Gürtel und ein weites Queen-T-Shirt in die Hose gesteckt. Meine XL-Jacke, die ich i-wann mal Gills Bruder abgeschwatzt hatte darüber. Es war eiskalt draußen. Wimperntusche, Haare offen. Eigentlich machte ich mir nie wirklich viel aus meinem Aussehen. Meistens trug ich Boyfriendjeans oder Hoodies, Hauptsache weit, wegen meinem Bäuchlein, ihr wisst schon. Vor allem im Winter ist das total bequem und warm. Aber heute hatte ich irgendwie Lust, mal nicht normal auszusehen. Keine Ahnung, warum.

Ich frühstückte ausgiebig und packte dann sorgfältig meine Tasche. Ich hatte am Wochenende ausnahmsweise alle Hausaufgaben erledigt.

Ich war fünf Minuten zu früh an der Bushaltestelle und hörte deshalb noch etwas Musik. Naja, eigentlich ließ ich „We are never gettin back together“ von Taylor Swift auf Dauerschleife laufen. Mein Gesicht war grimmig, Elyas Kette in meiner Tasche.

 

Als ich die Schule betrat, hatte ich das Gefühl, dass alle mich anstarrten, was aber absolut nicht stimmte. Ich war nicht wirklich bekannt, außerdem noch nicht so lange auf dieser Schule. Ich lief zum Vertretungsplan und musste unwillkürlich grinsen:

Die letzten beiden Stunden hatten wir Entfall. „Yes!“, murmelte ich und wollte mich umdrehen, als mich jemand anrempelte. Es war Maria, ein Mädchen aus der Stufe über mir. Ich stolperte und latzte mich eiskalt hin. Sie tat so, als hätte sie mich nicht bemerkt. Da ich keine Möglichkeit hatte, zwischen den ganzen Schülern aufzustehen, krabbelte ich zwischen ihren Beinen durch, bis ich endlich wieder frei war. Ich richtete meine Tasche, stand auf und…-

Schaute Elyas direkt ins Gesicht. Na toll! Ich hatte ganz vergessen, dass ich mich ja vor dem Vertretungsplan befunden hatte. Und wessen Gang traf sich immer NEBEN dem Vertretungsplan?

Julien, Finn, Yannick, Luca, und Elyas. Alle waren sie da und schauten mich an. „Putzt du den Boden, liebste Lilli?“, fragte Finn und schaute mich spöttisch an. Seine Kumpel lachten. Elyas auch. „Hast du nicht irgendeine Formel auswendig zu lernen?“, fragte ich bissig und klopfte mir den Dreck von der Hose. Für Finn sind Mathe und Physik so etwas wie Essen und Trinken für normale Menschen. Es sollte verboten werden, intelligent zu sein UND gut auszusehen. Finn sollte verboten werden! Yannick war ja wenigstens strohdoof.

„Uuuh!“, machte dieser und stieß Finn an. „Also ich weiß schon, warum ich Eva hatte und nicht sie!“

Das war ein Fehler. Ein Fehler. Ich mische mich ja für gewöhnlich nicht in das Leben von Freunden ein, also nicht wirklich. Eigentlich musste ich das auch nie. Gill und meine anderen Freunde in Köln können nämlich ziemlich gut alleine für sich sorgen. Eva konnte das nicht, dazu war sie zu schüchtern und zu höflich. Vielleicht auch zu intelligent, aber egal. Mit einem Mal wurde ich ganz ruhig. Ein zuckersüßes Lächeln trat auf mein Gesicht. Ich stellte mich vor Yannik hin. Legte den  Kopf schief. Er schaute verwirrt zu seinen Kumpels, dann zu mir. Und dann scheuerte ich ihm eine. Meine flache Hand klatschte auf seine Wange und hinterließ eine feuerrote Druckstelle. Leider bekam diese, ich muss zugeben: eindrucksvolle, Demonstration von Emanzipation niemand wirklich mit. Ein paar 5tklässer lachten sich halb tot, aber niemand wichtiges hatte es bemerkt. Verdammt! Ich wollte Yannik jetzt an den Haaren zu mir herunterziehen, betrachtete dann seine vor Gel triefende Tolle, überlegte es mir anders, und beschränkte mich gestern auf die alte Nummer mit dem drohenden Zeigefinger. Der Rest von Yanniks Gang lachte sich gerade schlapp, bis auf Elyas. Er grinste nur. Yannik war noch etwas geschockt und hielt sich die Wange.

„Jetzt pass mal auf, du bescheuertes Mitglied der RTL II-Zielgruppe“ – Notiz an mich: Bessere Beleidigungen auswendig lernen – „ich weiß, du bist es nicht gewohnt, wenn Leute in deinem Umfeld Intelligentes von sich geben, deshalb formuliere ich es einfach für dich: Du bist ein Trottel!“ – Notiz an mich: Hinter die erste Notiz drei Ausrufezeichen setzen – „Und ich verstehe nicht, wieso Eva sich auf dich eingelassen hat. Wenn du auch nur einmal ein Wort über was auch immer du letzte Nacht mit ihr gemacht hast, nachdem du sie ordentlich abgefüllt hast, verlierst, bringe ich dich um. Dich und deinen ganzen Haufen eingebildeter Möchtegern-Barneys-George Clooneys-Charlie Sheens oder was auch immer ihr seid!“ – Notiz an mich: Vorhergehende Notizen DRINGEND beachten!!! –

„Und du trägst viel zu enge Hosen. Das ist gay!“ – Notiz an mich: Vergiss es! –

Es folgte eine ziemlich angenehme Stille, die ich natürlich nicht genießen konnte, weil ich Neil Patrick Harris in Gedanken anflehte, mir zu verzeihen, dass ich seine sexuelle Orientierung als Beleidigung benutzt hatte.  Dann durchbrach Luca: „Und jetzt weiß ich, warum ich weder sie, noch Eva hatte. Sondern Emma!“ Seine Kumpel lachten. Alle, bis auf Yannik, der mich mit ziemlich unfreundlichem Blick musterte und Finn. Seine, also Yannicks, Mundwinkel zuckten und ich überlegte kurz, ob ich eine Chance gegen ihn hatte. Er war ja ein ziemlich muskulöser Typ. Bis Freitag hatte ich mir immer eingebildet, auch mit Typen diesen Kalibers fertig zu werden. Aber wenn anscheinend nichts weiter nötig war, als mich zu küssen… Korrigiere: Mich gut zu küsse… Dann weiß ich nicht, wie ich je einem Vergewaltiger entkommen soll. Vielleicht sollte ich auch Luca ohrfeigen, aber Emma kam für gewöhnlich selbst mit ihren Problemen klar!

Also drehte ich mich um und ging. Zumindest in einem Punkt hatte ich recht behalten: Elyas tat wirklich so, als wäre nichts gewesen. Ich war nicht enttäuscht! Ich war glücklich. Dass es vorbei war. Andererseits: Lag es vielleicht an mir? War ich so schlecht gewesen, dass es sich nichtmal lohnte, darüber zu reden? Seine Kumpel haben gar nichts erwähnt! Hatte er es womöglich verschwiegen, weil es ihm peinlich war? OMG, ich bin peinlich! Ich…-

„Lilli!“ Ich fuhr herum. Da stand Elyas vor mir. Endlich erlaubte ich mir, ihn genau zu mustern. Jeans, T-Shirt mit V-Ausschnitt. Dabei war es draußen echt kalt gewesen. Ich hatte plötzlich das bizarre Verlangen, in seine Haare zu fassen, aber das verkniff ich mir zum Glück. „Ja?“, fragte ich möglichst kühl. Er ist ein Idiot! Du willst nichts von ihm. Aus Fehlern lernt man.

„Ich…-„ Er brach ab, fuhr sich nervös durch die Haare. Elyas war nervös? DER Elyas? Was er nur fragen wollte? Oder sagen? „Ich, also ich…-ähm…“ Sag es! Was ist es? Gefühle? Hat es was mit Freitag zu tun?

„Also, Freitag, da…-“ Es ging um Freitag. JAAAAAAAAAAAA! Äh, ich  meine: Tzzzz, dieser Trottel!

„Ja?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Könntest du bitte zum Punkt kommen?“

„Ich habe glaube ich am Freitag meine Kette verloren. Die hat Melek mir aus der Türkei mitgebracht und ich hätte sie gerne wieder!“

Oh. Aha. Melek. Er hatte also eine andere. Eine, die ihm Urlaubsgeschenke mitbrachte. Melek. Das klang doch schon nach Schlampe, oder? Melek! Sag doch gleich ‚Fick mich!‘ Mein Mund zuckte. Nicht, dass es mir etwas ausmachte, dass Elyas eine andere hatte. Aber sie betrügen und von mir erwarten, dass ich dichthalte. Idiot! Ich griff in meine Tasche, nahm die Kette heraus und schmetterte sie ihm ins Gesicht. Dann rauschte ich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei.

„Ey! Lilli!“, rief er hinter mir her. „Jetzt warte doch!“ Viel zu schnell war er gleich auf mit mir. „Ich hatte ja keine Ahnung! Wenn du es das nächste Mal lieber grob willst musst du nur etwas sagen!“

Ich schnaubte, um eine Antwort dann doch zu verlegen. Wenn ich antwortete, hieße es ja, dass ich mich daran erinnerte. Und das tat ich ja nicht. Kaum.

„Ich dachte, du stehst mehr so auf soft, aber nachdem zu Yannik so fertig gemacht hast… Oha! Also, du machtest nie diesen, ähm, brutalen Eindruck. Temperamentvoll, ja. Zickig, ja. Taff, ja. Aber nie so Mike Tysen mäßig.“

Ich ignorierte ihn weiter. Wer ist dieser Mike? Ach ja, es ist mir ja egal! Er stellte sich jetzt direkt vor  mich und bremste mich, indem er mich an den Schultern packte. „Ich hätte es nicht erwartet, aber ich stehe auf Schläger!“ Nein Lilli, wenn du ihn jetzt schlägst…

„Aber Freitag war auch so was ganz Besonderes!“ Er grinste. Jetzt konnte ich ihn nicht mehr ignorieren. Seine Augen blitzten einfach zu Ich-bin-ein-armer-Husky-bitte-fütter-mich-mäßig. „Freitag?“ Ich dachte nach. „Was war da nochmal?“ Er grinste immer noch. Er sollte aufhören! Stattdessen beugte er sich jetzt auch noch vor. „Am Freitag hast du mich geküsst. 30 geschlagene Minuten lang.“

„Moment mal, Freundchen! Du hast mich geküsst!“

„Madame erinnert sich ja wieder.“

„Madame schlägt die gleich deine Nase blutig!“ Deine perfekt geformte, wundervolle…- Ruhig!

„Madame hat die Geschichte aber gefallen.“

„Madame war vielleicht einfach langweilig.“

„Madame will einfach nur nicht zugeben, dass ihr erster Kuss perfekt war.“

Ich stockte. Schnappte nach Luft. Bebte. Das hatte er eben nicht wirklich gesagt…!? „Das war nicht mein erster Kuss!“, brachte ich heraus.

„War es ja wohl!“, Er lachte. „Ich habe dich gewisser Maßen entjungfert…“

„Das war nicht… Wie kommst du darauf… Ich…“

„…stottere?“, versuchte er mir weiterzuhelfen. „Du wirst auch rot. Das ist extrem süß! Du bist auch rot geworden, als deine Mutter plötzlich im Raum stand.“

Okay. Er fühlte sich gerade anscheinend super. Das sah man schon an seiner ganzen Haltung. Er dachte offensichtlich wirklich, dass ich bis Freitag ungeküsst gewesen war.

„Elyas. Es tut mir leid, dass ich deine kleine Welt zerstören muss, aber sei es drum: Ich war nicht ungeküsst. Ich hatte vor Freitag schon drei andere Jungs." Einen, aber lassen wir das pingelig sein! „Und die habe ich alle geküsst. Vor dir, Schätzchen. Also tut mir Leid, wenn du deinen kleinen Kumpels erzählen musst, dass du ‚Ungeküsstes Mädchen‘ auf eurer Abschussliste doch nicht durchstreichen kannst!“

„Woher weißt du von der Liste? Hey, ein Spaß!“ Er hielt mich am Arm fest. „Wie kommst du darauf, dass ich es den Jungs erzählt habe?“

„Hast du?“

„Sie wissen, dass ich mit dir weg war.“

„Und? Was hast du erzählt?“

„Was für Bettwäsche du hast.“

„Du bist so witzig.“ Und niedlich. Leider bin ich ja nur ein Spiel für dich.

„Ich habe gesagt: Keine Einzelheiten, es sind kleine Kinder im Raum. Dann habe ich auf Yannik gezeigt und den Rest des Abends haben wir uns über Yannik lustig gemacht.“

„Geistreich.“

„Ja, nicht?“

„Sie denken also, da wäre was gelaufen?“

„Was sie denken, weiß ich nicht. Aber da ist doch auch was gelaufen.“

„Nein. Jedenfalls nicht so. Und so wird da auch nie was laufen. Das schon gar nicht.“ Ich wurde wieder rot. Und stotterte ein bisschen. Cool down, Lilli.

„Hast du ein Problem damit Sex zu sagen?“

„Quatsch!“

„Ja klar, ich sehe das doch!“

„Fäkalsprache ist nicht so meins! Sorry, Prolet.“

„Pro-was?“

Ich verdrehte die Augen und ging los, Richtung Klasse. Auf dem Flur wurde es immer leerer. Es hatte wohl geklingelt. Elyas lief mir nicht weiter nach. Er hob nur die Stimme, damit ich ihn in dem Trubel hören konnte.

„Wenn ich dein Gestottere jetzt mal auf Deutsch übersetze: Du wirst nie mit mir ‚das‘ machen, mit mir rummachen oder mich gar küssen?“

„Genau. Ich bin zu intellektuell für dich.“ Auch wenn ich überrascht war, dass er das Wort ‚gar‘ kannte.

„Und wenn ich dir sagen würde, dass ich schon ein Geschenk für dich habe?“

Woher wusste er von meinem Geburtstag? In Facebook hatte ich das doch verborgen, oder? Oder?

„Naja, du kennst ja meine Adresse. Schick es doch mit der Post!“

Kapitel 6

„Schick es mir doch mit der Post?“ Emma blickte mich ungläubig an. Wir hatten gerade Englisch beim heißesten Referendar der ganzen Welt. Das war uns relativ egal. Herr Knapp ist zwar zum Anbeißen süß, sein Unterricht interessierte uns aber kaum. Zumal Emma fließend Englisch spricht, weil ihre Mutter aus Australien kommt und sie in so gut wie jeden Ferien dorthin fährt und ich, sorry, in Englisch eigentlich echt Bombe bin. Das kommt eigtl nur daher, dass ich Filme gerne in ihren Orginalfassungen gucke, wenn es möglich ist und gerne englische Bücher lese.

„Der mit der Adresse war gut, oder?“

„Geht!“

„Boah, Emma! Jetzt bau mich gefälligst auf!“

„Ich bin ehrlich!“, verteidigte sie sich beleidigt. „Alles in allem bist du gut mit ihm fertig geworden, aber ich frage mich…“

„Was?“

„Du willst wirklich nichts von ihm?“

„Ich…- nein! Also, jedenfalls nicht wirklich!“ Emma blickte mich zweifelnd an. „Ich will nichts von ihm wollen, Emma! Ich will nicht. Er ist so doof.“ Doof, ernsthaft?

„Ich kann dich schon verstehen.“ Emmas Stimme klang mitleidsvoll. „Er sieht gut aus. Das tun sie alle. Aber mehr kann man von ihnen einfach auch nicht verlangen!“

„Ich will doch auch gar nichts von ihm. Ich frage mich nur, weshalb er mit mir redet undso. Also, mich nicht einfach ignoriert. Das zeigt doch, dass er Interesse hat, oder?“

Em sah mich mitleidig an. „Hey, Lilli. Das ist Elyas. Der hat Interesse an allem, was eine Vagina hat!“

Ich zuckte zusammen. „Kannst du mal aufhören, das so laut rumzubrüllen?“

„Ich glaube, Mr. Husky hatte Recht. Du hast Probleme mit Wörtern wie…-“

„Hab ich nicht!“, fauchte ich sauer und wurde rot.

„Und du siehst wirklich niedlich aus, wenn…-“

„Ladies!“ Mr. Knapps Stimme klang flehend. „Könntet ihr nicht wenigstens still sein?“

„Nee! Das passt gerade ganz schlecht, Herr Knapp.“, sagte Emma rotzfrech und deutete auf mich. „Wir diskutieren gerade über ihr Liebesleben. Wenn sie also bitte ein wenig leiser den guten alten Billy zitieren könnten…“

Ich blickte meine Freundin entgeistert an. „Worum geht es denn, Lilli?“, fragte Herr Knapp interessiert und ich schaute ihn auch geschockt an. „Also… Da ist dieser Typ. Und der ist voll kacke. Aber hübsch. So ein bisschen wie Anakin aus Star Wars. Weil, der ist heiß, aber jeder weiß, dass er am Ende Obi-Wan killt. Und Padme. Und das ist ja voll assi. Aber wie gesagt: Der sieht gut aus und will was von mir, weigert sich aber, sich vernünftig zu verhalten und macht halt nur diese normale Scheiße mit ‚Willst du mit  mir zusammen sein?‘ über SMS. Und ich mag den, aber ich will, dass der das vernünftig macht. Er kommt aus Köln und ist Deutscher!“, fügte ich noch schnell hinzu um wirklich jeden Verdacht auf Elyas umzulenken.

„Ah, verstehe! Du willst, dass er dich richtig fragt!“

„Yes, Sir!“

„Mein Bruder hatte mal ein ähnliches Problem. Aber ich habe ihm geholfen: Ich habe ihn mit Blumen unter das Fenster seiner Angebeteten geschickt und ihn aus Romeo und Juliet zitieren lassen.“

„Hat er die Tusse gekriegt?“

„Nun, nein. Also, sie waren vier Tage zusammen, aber das hat nicht so gut gepasst…-„

„Wie soll das denn auch passen, Phillipp?“, fuhr Emma dazwischen und nannte unseren Lehrer sogar beim Vornamen. „Wie denn bitte? Was vermitteln sie denn bitte damit, wenn sie ihren armen Bruder Shakespeare zitieren lassen? Die sind am Ende beide abgekratzt, Mann! Was sagt das denn bitte aus? ‚Yo, ich zitiere Mal aus dieser Liebesgeschichte, die ist zwar schlecht ausgegangen, aber gepoppt haben die doch vorher noch, oder‘?“ Herr Knapp musterte Emma irritiert und ein wenig hilflos. Die ganze Klasse lag auf dem Boden vor Lachen. Sogar Eva, die im Unterricht eigentlich immer zu Spaßbremse mutierte!

Wahrscheinlich wäre Herrn Knapp nach solch einem Hammer sogar noch ein Rückgrat gewachsen und für Emma hätte es bitter werden können, aber zum Glück klingelte es genau in diesem Moment und Em und ich packten blitzschnell unser Zeug ein.

„Und vergesst die Theater-Aufführung der 10.-Klässler-Wahlpflichtkurse nicht!“, rief der Knapp uns noch nach. „Deshalb habt ihr die letzten beiden Stunden Entfall!“

„Pflicht?“, fragte Nico und blieb Böses ahnend stehen.

„Naja, nein. Nicht direkt. Aber es wäre schön, wenn…!“

 

Nachdem ich auch Physik hinter mich gebracht hatte, saß ich mit Emma draußen auf dem Schulhof. Das Schülercafé war brechend voll und weder Em, noch ich hatten Lust, an einem Erstickungstod zu sterben. Wir saßen also ganz alleine auf den zum Glück trockenen Stühlen in der Kälte. Es lag noch etwas Schnee, aber wir sind ja nicht aus Zucker. Wir tranken heißen Kakao und fachsimpelten über Emmas Party. „Sag mal, Emma?“, fragte ich schließlich. Sie schaute mich an. „Was?“

„Was lief wirklich noch zwischen Eva und Yannick, nachdem ich weg war?“

„Du glaubst dem doch nicht, oder?“ Sie schaute mich schockiert an. „Als ob Eva sich von so einem Trottel flachlegen lassen würde!“ Emma lachte und verschluckte sich fast an ihrer Sahne. „Sie war betrunken und sie haben halt rumgemacht. Aber Eva meint, es wäre nichts weiter passiert!“

Ich atmete innerlich auf. „Wir haben noch zehn Minuten.“, stellte Emma fest. „Wir sollten uns beeilen!“ Beide machten wir etwas schneller mit dem Kakao. Plötzlich sah ich die Jungs rund um Yannick und Elyas den kurzen Berg zum Café hochlaufen. „Och nee!“, seufzte ich und machte Emma auf die Jungs aufmerksam. Sie zuckte nur mit den Schultern. Luca hatte sich, im Gegensatz zu Elyas, vernünftig verhalten und den Abend mit keinem Wort erwähnt. Die Jungs liefen NICHT an uns vorbei, sondern blieben stehen. Ich vermeidete dringlichst Augenkontakt und schlürfte stattdessen meinen Kakao.

Das wäre gar nicht nötig gewesen. Elyas schaute mich nicht an. Aber nicht so, dass er auffällig wegsah, er beachtete mich einfach nicht. Er ignorierte mich nichtmal ordentlich! Yannick ignorierte uns leider auch nicht. Er war anscheinend immer noch sauer wegen der Abreibung heute morgen. „Sag mal, Lilli?“, begann er. „Meinst du eigentlich, du kannst dir den Kakao gönnen? Ich meine, Kakao, okay. Aber mit so viel Sahne?“ Ich wurde, leider Gottes, rot. Dagegen kann ich echt nichts machen. Und ich weiß, ich sollte eigentlich nichts auf Yannicks Worte geben, aber es verletzte mich schon ein bisschen. Zumal ich weiß, dass ich ein kleines Bäuchlein habe. Ich musste irgendetwas erwidern, aber mir viel nichts Passendes ein. Dazu hatte er viel zu sehr ins Schwarze getroffen. Mein Kakaoglas stand leer vor mir. Ich sah  aus dem Augenwinkel, wie Emma unsere Gläser nahm, aufstand, die Augen zusammenkniff und dann sagte: „Sag mal, Yannick? Das mit der Sonnenbank solltest du nicht so übertreiben! Deine Wange sieht etwas gerötet aus.“ Sie nahm beide Gläser in eine Hand(wie auch immer sie das schaffte) und strich ihm kurz mitleidig über sein Gesicht, wie man es bei einem Kleinkind machen würde. Und dann schob sie sich an ihm vorbei und gab drinnen unsere Gläser ab. Luca klopfte Yannick lachend auf die Schulter und auch Elyas und der Rest grinsten. Ich saß da, wie bestellt und nicht abgeholt, und spielte mit meinen Haaren rum. Emma kam zurück und die Gruppe verschwand langsam. Nur Elyas trödelte und schaute mich endlich an. Dann blickte er etwas unbehaglich zu Emma, wieder zu mir und setzte dann an, etwas zu sagen, aber in dem Moment kam Maria. Ihr wisst schon, das Mädel aus seiner Stufe, das mich vor dem Vertretungsplan angerempelt hatte. „Hey!“, sagte sie und packte seine Hand. „Hilfst du mir drinnen? Da stehen so viele Drängelknirpse an und ich könnte eine starke Schulter gebrauchen!“

„Logo!“, antwortete Elyas prompt und würdigte weder Emma, noch mich eines weiteren Blickes.

 

Natürlich wurde während der nächsten Stunde über nichts anderes geredet. Allerdings nur über SMS, da ich Kunst und Emma Sowi hatte. Nachdem ich mich für ihren Beistand bedankt hatte, redeten wir noch darüber, dass Elyas entweder ein verdammt guter Schauspieler war(meine Theorie), oder(Emmas Theorie) ein verdammtes Arschloch, das sich jetzt einen Spaß daraus machte, sich über mich lustig zu machen.

Gegen Ende der Stunde, mein Porträt von Hugh Jackman sah immer noch unverändert schrecklich aus, fragte

Emma: ey mein bus kommt nur nach der letzten. Bleibst du mit hier und guckst dir knapps theaterstück an?

Ich bejahte und nach einem ausgiebigen Mittagessen, Elyas, Yannick und Co. frei (nur Finn aß ebenfalls), gingen wir in die Aula. Die Vorstellung war nicht wirklich gut besucht. Aber vielleicht sah die Hand voll Zuschauer auch einfach nur wie eine Hand voll aus, weil unsere Aula riesig ist.

Nach einiger Wartezeit hob sich schließlich endlich der Vorhang.

 

Kapitel 7

Okay, das mit der großen Aula war nicht ganz richtig! Unsere Aula ist wirklich groß, aber  die wird gerade renoviert, weil ein Feuerspucker aus der Jonglage-AG bei einer Vorführung etwas übertrieben hat. Stattdessen fand die  Vorführung des Sommernachtstraums in der Gymnastik-Halle statt. Keine Bühne. Die Stuhlreihen wurden immer höher. Die erste Reihe stand aber auf derselben Höhe wie die Spielfläche. Wie schon gesagt: Es waren nicht wirklich viele Leute da. Zu meiner Überraschung schoben sich aber fünf Minuten nach Anfang Elyas und seine  Gang in die erste Reihe. Dort hatte jemand von ihnen Plätze mit Jacken und einer gelblichen Mütze frei gehalten. Emma und ich saßen hinten.

Ich muss sagen, dass Stück war eigentlich okay. Sogar mehr als okay! Die Schauspieler sangen zwar selber nicht, sondern bewegten nur die Lippen und hielten ein Mikrofon in der Hand, aber die Musik wurde live von der Schülerband gespielt und gesungen. Die Sängerin war ein Mädchen aus der sechsten Klasse und es war einfach der Hammer wie sie abging. Echt! Alles sang sie. Von Balladen, bis hin zu Rockliedern. Verdammt krass. Und das Stück war sogar ziemlich witzig. Der Schauspieler des Puck war vielleicht 1,65m groß und sah aus wie zwölf,(war aber 16) machte seine Sache aber verdammt gut. Er war ziemlich quirlig und einfach supersympathisch! Daniel Fichs stand im Programmheft. Der war wirklich verdammt niedlich. Auch die restlichen Schauspieler waren gut. Hyppolita, Theseus… Vor allem die beiden überzeugten mich am Anfang von der Genialität des Stückes. Neben einem hervorragend gespielten Weber Zettel. Dann irgendwann betrat König Oberon die Bühne. Gespielt wurde er von Lars Krupp und machte das auch nicht schlecht. Außerdem war er der einzige Schauspieler der live und selber sang. Dann irgendwann trat Titania, die Frau und Elfenköngin von Oberon, auf. Es war Maria, in einem hautengen Blumen-Fetzen, kunstvollen Elfenornamenten auf der Gesichtsseite (die hatte Oberon auch, aber das ein wenig seltsam aus) und einer Flechtfrisur mit Blumen  drin. Sie sah eigentlich nicht schlecht aus, aber eher nuttig-nicht-schlecht als einfach gut. Als sie mit ihrem Elfengefolge die Bühne betrat und die Sechstklässlerin We are never gettin back together von Taylor Swift spielte. Es bezog sich auf den Streit, der im Moment zwischen Titania und Oberon herrschte. Die beiden laberten, beschimpften sich, irgendwann verließ Oberon dann die Bühne. Mit ihm das Elfengefolge der Titania. Diese stand nun ganz alleine auf der Bühne. Es erklang irgendein Lied das ich nicht kannte und Maria begann zu tanzen. Und wie sie tanzte. Aber nicht irgendwie schön, sondern ziemlich…- schlampig. Und offensichtlich fühlte sie sich wohl dabei. Sie machte irgendeine komische Welle mit ihrem Körper, wackelte mit dem Arsch und ließ die Hüfte kreisen. MIR war allerdings gar nicht wohl dabei, weil sie sich immer weiter auf Elyas zu bewegte, ihn ziemlich aufreizend angrinste, sich ständig über die Lippen leckte und zuletzt fast auf seinem Schoß saß. Elyas saß ziemlich entspannt auf seinem Stuhl und genoss das Ganze offensichtlich. Ich kaute Auf meiner Lippe herum und legte zwei Finger an meine Schläfe. Außerdem wurde ich unruhig und zappelte etwas auf meinem Sitz herum. „Alter! Seh‘ das nur ich so, oder ist Maria eine übelste Schlampe?“, zischte ich Emma schließlich zu. Diese schaute mich nur an und meinte dann: „Keine Ahnung. Ist vielleicht ihre Rolle. Aber im Moment wirkt es auf mich so, als würde Tatjana auf sexy Türken stehen.“

„Titania“, verbesserte ich tonlos und verschränkte die Arme. Meine Gedanken gingen in ziemlich brutale Richtungen. Außerdem überlegte ich, ob ich Emma dazu bringen könnte, mit mir zu buhen, realisierte dann aber, dass Emma nicht mal mir zuliebe so tief sinken würde. „Schlampe. Schlampe. Schlampe.“, murmelte ich und wusste dabei nicht genau, oh ich jetzt Maria oder Elyas meinte.

 

Den Rest des Stückes hatte ich schlechte Laune. Mir fielen selbst die kleinsten Sprechpausen und Fehler auf, selbst wenn gar keine da waren! Außerdem kaute ich pausenlos an meinen Nägeln und scharrte mit den Füßen. Das ganze Hin und Her mit den Pärchen in dem Stück tat mir leid. Es lag NICHT daran, dass Elyas so auf Marias Tanz angesprungen war. NICHT daran. Ich hatte überhaupt kein Problem damit. Immerhin bewies er ja nur wieder, dass er ein Idiot war.

Als das Stück zu Ende war verließ ich fluchtartig meinen Platz. Die Schauspieler hatten sich verbeugt und laberten nun auf der Spielfläche rum. Maria stand natürlich bei Elyas während Yannick und Luca sich mit dem Rest um das ganze andere  Elfengefolge kümmerten. Julien fehlte.

„Ach, das war total peinlich!“, kicherte Maria gerade übertrieben und lehne sich dabei an Elyas. „Ich stand da die ganze Zeit und Herr Knapp meinte die ganze Zeit: ‚Mach das noch aufreizender! Los, bemüh dich mal!‘ Und mir war das total peinlich. Und ich dann so ‚Ja, aber das kommt doch voll nuttig‘ und er meinte ‚Ja, die Rolle ist ja auch so.‘ Und blablabla… Ahahahahaha!“ Von ihrem Lachen wurde mir ganz übel, aber Elyas stand, wie immer, bloß ganz lässig rum und nickte, wenn es erforderlich war.

Ich wollte gerade mit Emma, die das Ganze natürlich auch beobachtet hatte, als Maria rief: „Hey! Lea!“ Ich ging weiter, aber sie lief die paar Meter zu mir und zog mich und Em zurück. „Warte!“

„Lilli“, verbesserte ich sie trocken und zog fragend die Augenbrauen hoch. Elyas ignorierte ich völlig. „Was?“

„Ich wollte mich entschuldigen. Dass ich dich heute morgen umgerempelt habe.“

„Kein Ding!“ Ich war etwas verwirrt.

„Weißt du, ich bin morgens immer so in Eile. Da übersehe ich manche Menschen einfach.“

„Blöd für dich?“ Ich hatte keinen blassen Schimmer, was sie von mir wollte und auch ehrlich gesagt keine Lust es rauszufinden.

„Du kommst aus Berlin, oder?“

„Köln“

„Ja, richtig. Wie hat dir denn das Stück gefallen?“

„Ich halte Shakespeare ja für eine Offenbarung, aber ich fand es teilweise ein wenig nervig.“ Dabei blickte ich Maria direkt an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte sie mich das ganze Gespräch über beleidigt, auch wenn sie nur nett gewesen war. Bzw so getan hatte, als wäre sie es. Schlampe! Sie lachte ein ziemlich gekünsteltes Lachen und lehnte sich wieder an Elyas, der ziemlich still war. „Naja, deine Meinung. Elyas zum Beispiel fand das Stück super. Er hat gesagt, dass das Stück super inszeniert war. Das Stück hat mir aber auch von Anfang an gut gefallen.“

„Äh, ja. Gut zu wissen. Ich muss dann auch mal los. Unser Bus…“ Ich zog Emma aus dem stickigen Raum, ohne Maria oder Elyas eines weiteren Blickes zu würdigen

 

„Warum habe ich das Gefühl, dass sie immer, wenn sie ‚das Stück‘ gesagt hat ‚ich‘ gemeint hat?“ Ich schrabbte wütend mit meinen Füßen über den Boden.

„Weil es stimmt? Also, in ihrem Inneren.“ Emma blickte mich ein wenig schräg an. „Ich wusste gar nicht, dass man aggressiv laufen kann.“

„Ich bin nicht aggressiv! “, fauchte ich. „Ich finde es einfach widerlich, wie diese Schnepfe sich an ihn ranmacht. Und wie er sich das gefallen lässt. Ich finde es einfach furchtbar, wie man sich so verhalten kann. Mit jedem Typen einfach ins Bett springen, ohne ihn wirklich zu kennen! Und als ob er auch nur die Bedeutung des Wortes Inszeniert kennen würde.“

„Naja. Das ist eigentlich genau das, was du mit ihm gemacht hast. Auch wenn du nicht direkt Sex mit ihm hattest. Ins Bett gesprungen bist du schon.“

Ich funkelte sie an. „Ich sage es dir nochmal: Du bist meine Freundin und hast mich verdammt nochmal aufzubauen!“

„Okay. Maria ist scheiße.“

„Danke. “

Wir waren mittlerweile an Emmas Bushaltestelle angekommen. Emmas Bus stand schon da und schaute kurz gehetzt zu mir. „Okay Lilli. Ich will, dass du mir jetzt zuhörst.“ Ich nickte wiederwillig. „Achte einfach darauf, dass du nichts tust, was du später bereust!“

„Was meinst du damit? Ich…-“ Aber Emma war schon längst in ihren Bus gestiegen und winkte mir nur noch zu.

Kapitel 8

Da ich einfach noch keinen Nerv für zuhause hatte schickte ich meiner Mutter eine SMS das ich später käme wegen eines Physikprojektes, das Eva und ich noch fertigstellen wollten. Im Moment war sie so fertig dass sie es garantiert nicht überprüfen würde. Mir fielen zwei verpasste Anrufe meines Vaters auf. Ich beschloss, ihn später zurück zurufen. Stattdessen setzte ich mich in den nächstbesten Bus, der ins Zentrum fuhr. Während der Fahrt hörte ich einige Songs, schmiedete Rachepläne gegen Maria und überlegte, warum Elyas es einfach in jeder Situation schaffte, sexy auf mich zu wirken. Selbst wenn eine Elfe an ihm klebte.

Irgendwann stieg ich aus und bummelte ein wenig. Dann fiel mir mein Vater wieder ein. Ich holte mein Handy heraus und wählte seine Nummer, die ich (immer noch) auswendig konnte. Beim ersten Mal drückte er mich weg. Ich bummelte weiter, probierte ein viel zu teures Paar Bikerboots an und rief ihn dann nochmal zurück.

„Ja?“, meldete er sich. Es war das erste Mal dass ich seine Stimme hörte seit er mich und meine Mutter rausgeschmissen hatte. Naja, rausgeschmissen ist eigentlich falsch. Er hatte seine Sekretärin gevögelt. Auf unserem Wohnzimmertisch. Und Mom und ich waren reingeplatzt. Das kommt aber einem Rausschmiss gleich, oder? Zumal das Flittchen erst 25 war. Außerdem klingt ‚Er hat uns rausgeschmissen‘ besser.

„Dad?“, fragte ich und meine Stimme klang ein wenig zittrig.

„Hey Eisprinzessin!“ Es klang irgendwie falsch, wie er meinen Spitznamen verwendete. Mein zweiter Name ist Chione, nach dieser komischen Göttin aus der griechischen Mythologie, und mein Vater nennt mich immer Eisprinzessin. Aber es klang falsch. Viel zu vertraut.

„Lilli? Bist du noch dran?“

Ich nickte. Dann fiel mir ein, dass er das ja nicht sehen konnte. „Du hattest mich angerufen.“

„Ja, richtig.“ Er war gerade im Büro, das hörte ich. „Pass auf. Es geht um deinen Geburtstag.“ Ich ahnte furchtbares. „Ich schaffe es wahrscheinlich nicht.“ Au. Das tat weh. „Christina und ich wollen für eine Woche nach Barcelona, ausspannen. Und das fällt unglücklicher Weise…-“

„Passt schon, Dad. Mach dir keinen Kopf.“ Au.

„Wirklich?“ Es tat ihm leid, das konnte ich hören. Aber anscheinend nicht genug.

„Ist gar kein Problem. Oma kommt außerdem. Ihr würdet euch nur zoffen!“

„Ja, ich weiß. Ich habe gestern mit deiner Mutter telefoniert. Ach und, Lilli?“

Atmen. „Ja?“

„Was war das da für eine Geschichte mit diesem Jungen?“ Atmen. Notiz an mich: Die Lippen meiner Mutter mit Draht vernähen.

„Ach. Mach dir keinen Kopf. Das war nur Elyas .“

„Elyas?

„Elyas Canmaz. Er geht auf meine Schule.“

„Canmaz? Ist er Türke? Oder Albaner oder so ähnlich?“

„Dad…“ Ich biss drohend die Zähne zusammen.

„Ich will nicht, dass du etwas mit einem Migranten anfängst, Lilli.“

„Christian!“ Ich nannte meinen Vater nur beim Vornamen, wenn es mir ernst war. „Ich warne dich!“

„Und schon gar nicht will ich, dass du jetzt schon… Na du weißt schon.“ Okay. Vielleicht hatte Elyas ja recht gehabt und ich hatte ein Problem mit Fäkalsprache. Jetzt wusste ich auch woher.

„Keine Sorge, Christian. Ich weiß schon, wie das geht. Ich habe die besten Einblicke gekommen, als du diese Schlampe auf unserem Wohnzimmertisch ge…- gedingst hast.“

„Lilli!“

„Die könnte deine Tochter sein, verdammt! Und jetzt hör auf hier den besorgten Vater zu mimen. Du hast nichtmal an meinem ersten Schultag angerufen. Und das ist okay. Meinetwegen. Aber hör auf hier rumzuheucheln.“ Und ich legte auf.

 

Er kommt nicht. Dein eigener Vater verpasst deinen 16. Das ist bitter. Nur solche Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich war beim Telefonieren stehen geblieben und ein älteres Pärchen schaute mich entsetzt an. „Das war nur mein Vater!“, sagte ich schnell, was nicht den gewünschten Effekt hatte. Schnell wischte ich mir über die Augen, in denen sich Tränen gesammelt hatten. Auf einmal war mir kalt. Ich kramte meine  Handschuhe aus den Taschen und setzte mich in Bewegung. Wie konnte man nur so bescheuert sein? Mein Vater war echt ätzend. Ich lief ein bisschen herum, ging schließlich zur Sparkasse und hob dort 150Euro Konfi-Restgeld ab. Spätestens an meinem Geburtstag würde ich das ohnehin wieder reinholen. Shoppen macht mich eigentlich immer glücklich. Aber vorher wollte ich mich noch irgendwo etwas aufwärmen. Ich ging in das nächstbeste  Café und schaute mich um. Es war gemütlich gestaltet, warm und roch gut. Der Geruch ist mir irgendwie immer wichtig. Deshalb war ich auch nie ein Pferdefan. Ich finde einfach, dass die Dinger stinken. Ich ließ meinen Blick über die kleinen Tische mit den gepolsterten Stühlen wandern und entdeckte…

Finn.

Er trug, ganz der Styler, eine Jeans, einen blauen Pulli und einen Schal. Zum Glück keinen Rundschal, sonst hätte ich wahrscheinlich angefangen zu lachen. Seine roten Haare sahen zu dem blauen Pulli extrem gut aus. Sein Wintermanteljackendings hatte er hinter sich über den Stuhl gehängt. Vor ihm stand eine unangerührte Tasse und er schaute ziemlich wütend drein. Außer ihm und mir waren noch einige Menschen im Café. Ein altes Pärchen, eine junge Studentin? die an ihrem Laptop herumtippte und einen Cappuccino trank und, ganz hinten, eine Gruppe Jugendlicher, die sich leise unterhielt. Ein Buchclub oder so etwas. Ich schaute mich nochmal um. Finn hatte mich inzwischen bemerkt. Mein Blick fiel durch die Eingangstür und ich entdeckte Maria mit ein paar Freundinnen, die mich ansah. Ich brachte es einfach nicht über mich, mich alleine an einen Tisch zu setzen, deshalb setzte ich mich kurzerhand neben Finn. „Hey!“, sagte ich, zog meine Jacke aus und bestellte einen warmen Kakao. Ohne Sahne. Er blickte mich an, sagte aber nichts, sondern starrte nur wütend auf seine Hände. „Hast du nicht irgendeine Formel umzuformen?“, fragte ich scherzhaft und mir fielen meine Matheaufgaben ein. Ich verdrängte es sofort wieder. „Nein. Meine Hausaufgaben sind schon fertig.“

„Aha.“ Na der war ja heute wieder gesprächig. Mein Kakao kam. Ich orderte doch noch Sahne. „Du warst nicht beim Theaterstück wie der Rest eures Idioten-Clubs, hast alleine gegessen und jetzt sitzt du hier so depressiv wie Edward Cullen.“, machte ich einen neuen Anlauf, der sofort Wirkung zeigte. „Stimmt ja gar nicht!“, sagte er, nahm die Hände runter, fuhr sich durch die Haare und setzte sich cooler hin. Na bitte! Der Edward klappt immer. „Ich und Yannick haben Stress.“, murmelte er nach kurzer Pause. „Stress?“, hakte ich nach. „Was für Stress? Das klang gerade irgendwie als ob ihr in einer Beziehung wärt!“

„Haha!“, machte er. „Ich weiß, du hältst uns für Idioten-“

„Richtig!“

„-aber wir haben auch Regeln. Und Yannick hat meine Persönliche gebrochen.“ Ich verstand nur noch Bahnhof. Waren die Jungs jetzt so etwas wie eine Sekte? Das klang leicht gruselig. Mein Kakao kam und ich musste lächeln.

„Was für Regeln?“, fragte ich mit leicht genervtem Unterton. „Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“ Er sah auf. Seine hellblauen Augen waren weicher als Elyas. Nicht so stechend. Sie gehörten keinem Raubtier(Hunde sind bösartig. Ich mag  sie nicht!), eher einem Baby. Ich unterdrückte ein „Oooooh!“ und schaute ihn einfach weiter an.

„Wir haben auch Tabus, Lilli!“, sagte er schließlich. So wie er das sagte, klang das, als hätten sie irgendwen umgebracht. Ich nippte erneut an meinem Kakao, verbrannte mir die Zunge, wollte mich nicht blamieren, schluckte und atmete. Autsch!

„Tabus. Das ist so etwas wie… Keine Ahnung. Manche Menschen sind tabu. Man kann ein Tabu auf jemanden legen und deine Bros lassen die Finger von ihr.“ Mir blieb der Mund offen stehen. Das war ja mal interessant. „Julien hat ein Tabu auf Alina Kling gelegt. Die ist in unserer Stufe. Yannick eins auf Sara Coldwear.“

„Die Austauschschülerin aus Kanada? Ist die nicht in der Elf?“

„Ja und? Er ist doch sitzengeblieben.“

„Stimmt ja.“

„Luca hatte ein Tabu auf Emma.“

„Hatte?“

„Ja, hat es aufgehoben. Nach der Party. Manchmal tut er das. Er ist mehr der Sammler als der Genießer. Sein Ziel ist es eher, möglichst viele in möglichst kurzer Zeit zu…-“

„Ja! Stopp! Schon klar!“, bremste ich ihn. „Zurück zum Thema!“

„Kann es sein, dass du ein Problem mit obszönen Wörtern…-?“

„Nein!“, fauchte ich. „Zurück zum Thema bitte. Auf wem lag dein Tabu?“

Er druckste etwas herum, fasste sich mit der Hand in den Nacken und biss sich auf die Lippe. Ich hätte ihn knuddeln können, so süß war das.

„Du darfst das keinem sagen!“ Oooooooooh!!!! Es war ihm peinlich! Wie niedlich!

„Quatsch! Als ob ich so eine Plaudertasche wäre…“

„Mein Tabu lag auf Eva.“ Mir klappte erneut die Kinnlade runter. Das war mal wirklich eine Überraschung. „Ich weiß  auch nicht genau warum. Eigentlich schon seit ich sie kenne. Sie ist irgendwie so anders als der Rest. Sie ist total intelligent und irgendwie still. Und sie ist nicht so eine Schlampe wie der Rest der Mädchen!“ Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du weißt wie ich das meine!“ Er raufte sich die Haare. „Yannick und ich sind eh das Streitpaar der Clique weil er nicht damit klarkommt, dass ich ein Genie bin und doppelt so intelligent wie er und Julien zusammen.“

„Vielleicht kam er auch einfach nicht mit deiner Bescheidenheit klar.“, meinte ich sarkastisch.

„Jedenfalls war er auf der Party mit ihr zusammen und hat das Tabu gebrochen. Okay, meinetwegen! Ich hätte sowieso nicht erwartet, dass Eva mitzieht. Sie ist nicht so, wie ich dachte. Aber dann macht er ständig dumme Bemerkungen. Dreht das Messer in der Wunde rum, verstehst du? Wenn du ihn heute morgen nicht geschlagen hättest, hätte ich’s getan.“

„Und wie fühlst du dich dabei?“ Er zuckte zurück. Ach ja, ich vergaß. Finn. Junge. Mitglied von Elyas Gang. Homophob. ‚Männer reden nicht über ihre Gefühle!‘ und so’n Scheiß. „Vergiss es!“ Er atmete erleichtert auf. „Aber im Grunde ist es doch deine eigene Schuld! Wenn du nichts machst? Ihr könnt Mädchen doch nicht behandeln wie, keine Ahnung, Kinosessel, die man reservieren kann.“

Er blickte mich verständnislos an. Ich seufzte. Auch wenn er süß und der wahrscheinlich menschlichste Junge der Trottel war, blieb er einer von ihnen. Aber ich beschloss, dass er etwas Aufmunterung verdient hatte. „Sie war betrunken, Mann.“, heiterte ich ihn auf und klopfte ihm, so männlich wie möglich, auf die Schulter. „Emma hat mir erzählt, was letztes Jahr für ein Bild von dir und Elyas im Facebook war, als ihr an Juliens 16. mit Selin und Merve…-“

„Okay, ja. Ich weiß, was du meinst. Weiter!“

„Was ich sagen will: Unter Alkoholeinfluss macht man dumme Sachen! Und ein bisschen Knutschen ist ja wohl erlaubt. Ich will gar nicht wissen, was du in der Zeit gemacht hast.“

„Jaja. Wenn es nur ein bisschen Knutschen gewesen wäre. Yannick hat doch groß rumgetönt von wegen…-“ Ich unterbrach ihn, ehe er was sagen  konnte, was mir meinen Kakao, der übrigens hervorragend war, vermieste. Er tat mir Leid. So richtig Leid. Man konnte ihm ansehen, dass ihm die ganze Geschichte schwer im Magen lag. Er wirkte total geknickt und mit seinen blauen Babyaugen wirkte er einfach so mitleidserregend, dass ich ihn sogar fast umarmt hätte. Fast. Aber nein, ich hatte immer noch so etwas wie Prinzipen(auch wenn ich die bei der Elyas-Aktion allesamt über den Haufen geworfen hatte) und die würde ich einhalten. „Eva hatte nichts so ernstes mit Yannick. Sie und Emma können das bezeugen.“

Er sah auf. „Echt?“, fragte er dann und seine Augen leuchteten.

„Ja!“, grinste ich und boxte ihm dann gegen die Schulter. „Also mach dich nicht nass…-Bro!“ Er blickte mich zwar etwas schief an, wirkte aber glücklich. Ich trank in der Zeit weiter von meinem abgekühlten Kakao. Nach einigen Minuten stillen aber glücklichen Schweigens fragte ich schließlich: „Yannick und Sara, du und Eva, Luca und Emma, Julien und Alina… und Elyas? Hat der auch ein Tabu?“

Finn blickte auf und sofort fragte ich mich, ob es ein Fehler gewesen war zu fragen. Seine großen, hellblauen Babyaugen musterten mich wie eine besonders schwierige Formel(also, so wie er sie mustern würde. Interessiert und abschätzend, nicht wie ich. Fragend und verständnislos. Er ist immerhin ein Genie!) Sehr langsam begann er zu sprechen. „Elyas ist ein bisschen eigen und geizt mit Tabus. Im Moment hat er zum Beispiel was mit Maria am Laufen, aber auf ihr liegt kein Tabu. Aber sie ist ohnehin so etwas wie die Jahrgangsstufenmatratze.“

Meine Stimme zitterte unmerklich, was mich so wütend machte, dass es doch merklich wurde. „Was genau heißt ‚am Laufen‘?“

„Sie will was von ihm und er ist frustriert.“

„Frustriert?“

„Er ist seltsam drauf in letzter Zeit.“

„Seit Emmas Party?“, fragte ich hoffnungsvoll, wofür ich mich in Stücke hätte schneiden können.

„Nein.“ Autsch! „Schon davor. Ich glaube, irgendetwas wegen Melek. Sie war wohl im Krankenhaus.“

„Melek?“

„Seine kleine Nichte.“

Kennt ihr diese Augenblicke in Filmen, wenn die Hauptdarstellerin rausfindet, dass alles nur ein großes Missverständnis war, dass die blöde Sekretärin ihre Nachricht nicht weitergeleitet hat, weil sie auch was von dem Hauptdarsteller wollte. Dass er sie gar nicht versetzt hat, sondern von fünfzehn Typen mit MGs aufgehalten wurde und sie doch über alles liebt. Das konnte ich jetzt nachempfinden.

„Achso“, antwortete ich lässig, grinste und strich mir die Haare zurück. „Was hat sie denn?“

„Keine Ahnung. War ein Frühchen, im Brutkasten, hat zu viel Sauerstoff abbekommen, ist ziemlich schwach. Allergisch gegen alles Mögliche, Immunschwäche…“ Er machte eine wage Handbewegung. „Das Kind seiner Schwester. Er ist total vernarrt in die Kleine, echt übel teilweise. Aber genug von mir, Elyas und meinen Problemen. Als du reingekommen bist hast du geweint. Warum?“

Ach ja. Mein Vater. Kaum dass mich Finn daran erinnerte schossen mir wieder die Tränen in die Augen. „Nicht wichtig!“, murmelte ich aber Finn rollte mit den Augen.

„Du hast meinen Seelenklemptner gespielt, jetzt spiele ich deinen! Was ist los?“

„Ach.“ Ich gab auf. „Mein Vater spinnt! Ich komme aus Köln und er hat seine Sekretärin genagelt, deshalb sind wir hierher gezogen. Und jetzt fährt er lieber mit dieser Schreckschraube in den Urlaub als zu meinem Geburtstag zu kommen, statt ihm reist meine Oma aus Sonstwo an, und die ist echt ätzend, und dann lässt er auch noch voll den Rassisten raushängen, weil meine Mutter mich und Elyas nach der Party uns in meinem Zimmer hat… unterhalten sehen und das brühwarm meinem Vater steckt. Jetzt meint er, er will nicht, dass ich was mit einem Türken anfange und blablabla. Wenn es um sowas geht macht er mir Vorschriften, aber er selbst darf meine Mutter betrügen und meinen Geburtstag verpassen.“ Ich hatte mich immer mehr in Rage geredet und richtig angefangen zu heulen. „Ey!“, meinte Finn und klang irgendwie überfordert. „Hör mal auf! Das ist mir peinlich. Die denken noch ich hätte dir was getan.“ Ich schniefte und er tätschelte mir die Schulter. Dann schob er mir meine Tasse Kakao hin. Er war kalt, schmeckte aber trotzdem noch bombe. Anscheinend stimmt das, dass man, wenn man traurig ist, Kakao immer leckerer findet, als wenn man glücklich und sorglos ist. Okay, das habe ich mir gerade ausgedacht. Dafür stimmt es aber, dass Jungs nichts mit heulenden Mädchen anfangen können, denn Finn guckte mega-erleichtert, als ich mich allmählich wieder beruhigte. „Sehr schön!“, sagte er rasch, bevor ich wieder in Selbstmitleid versinken konnte. „Was machen wir jetzt? Ich will noch nicht nachhause, du?“ Ich schüttelte den Kopf und blickte ihn an. Er musterte mich wieder wie etwas sehr interessantes, legte zwei Finger an die Schläfe und kniff ein Auge zu. Anscheinend seine  Denkerpose. „Gut!“, sagte er schließlich. „Dann gehen wir jetzt shoppen.“

„Was?“

Er schaute irritiert. Als wäre seine Rechnung nicht aufgegangen. Dieser Typ ist doch krank! „So wie ich dich einschätze“, begann er. „Bist du eines von den Mädchen, das durch shoppen glücklich wird. Also shoppen wir.“

„Was soll das den heißen? Eines von den Mädchen, das durch shoppen glücklich wird? Hast du gerade gesagt, dass ich eine Tusse bin?“

„Das kam jetzt von dir.“

„Du bist total…-“

Er unterbrach mich, indem er mir den Arm um die Schulter legte, 10Euro neben mein Kakaoglas  schob und mir meine Jacke reichte. „Halt die Klappe, Emsmer!“

 

„Oha, guck mal! Die Hose ist ja wohl der Knüller.“ Wir standen in einem der kleinen Läden in der Einkaufsstraße. Ich merke mir die Namen nie, immer nur, wo sie sind. Die einzigen Namen, die ich wirklich auswendig kann sind New Yorker, H&M und C&A, das war’s aber auch schon. Eine weiße, viel zu dünne Schaufensterpuppe trug eine echt hammer Boyfriendjeans. Ich liebe Boyfriendjeans. Die sind einfach am bequemsten. Und wenn ich die anhabe quillt das Fett nicht oben raus, wie bei einer Röhrenjeans. Finn stand, ein wenig peinlich berührt, neben mir und flüsterte: „Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?“ Hach, wie niedlich. Er hatte Angst, dass die Verkäuferin ihn hören könnte. Das nenn‘ ich mal Gentleman! „Du hast doch mindestens zehn von den Dingern!“ Da hatte er zwar Recht, aber nicht mit so coolen Aufnähern drauf. Auch, wenn ich das Meiste nicht verstand. Aber egal, wen kümmert das heute noch?

„Oh, und guck mal den Pulli! Den könnte man bestimmt voll gut kombinieren. Ich habe so alte Schuhe von meiner Mutter und das ist dann doch zusammen voll vintage, oder?“ Finns Blick und die hochgezogenen Augenbrauen sprachen Bände. „Was?“, fragte ich und kam mir ein wenig albern vor. „Ich mag alte und billige Sachen. Auch gerne mal vom Flohmarkt. Das ist doch cool. Ich habe halt meinen eigenen Style!“

„Du musst noch viel lernen!“ Und dann packte er mich am Arm und zog mich aus dem niedlichen Laden.

Kurze Zeit später standen wir im New Yorker und stritten uns. „Ich mag keine Röhrenjeans!“, maulte ich. „Und schon gar keine mit Rissen. Da quillt das Fett immer aus den Löchern, wenn ich mich setze.“

„Dann nimm halt eine Nummer größer!“

„Das ist aber gegen meinen Stolz.“

Er raufte sich die roten Haare. Ich muss sagen, es war wirklich etwas strange, von einem Jungen Modetipps zu bekommen. Allerdings, wenn ich mir Finn jeden Tag so anguckte, er hatte schon etwas Ahnung. „Okay, Lilli. Spar dir mal den ganzen Bullshit von wegen eigener Style. Du läufst ziemlich oft rum wie ein Junge.“

„Aber in der…-“ Ich wollte eigentlich Bravo sagen, aber das war mir dann doch zu peinlich. „…-Vogue steht, dass 89% der Männer Herrenklamotten an Mädchen sexy finden.“

„Ja.“ Er seufzte. „Ein Jungsteil, kombiniert mit was Anderem, geht ja noch in Ordnung. Wenn du eine weite Jeans trägst, musst du dazu aber ein enges Top tragen. Und zu einem weiten Oberteil eine enge Hose. Zieh dir einmal Klamotten an, die ich aussuche. Einmal. Vielleicht liegt dann irgendwann auch mal ein Tabu auf dir!“ Ich gebe es zu: Es versetzte mir einen kleinen Stich. „Auf mir liegt kein Tabu?“, hakte ich nochmal nach. „Nope!“, antworte er. „Aber, was ich dich ohnehin fragen wollte: Was lief eigentlich an Emmas Geburtstag zwischen dir und Elyas.“

„Was hat er denn erzählt?“, fragte ich, abgelenkt, sodass ich gar nicht merkte, wie Finn mir sanft eine weitere Boyfriendjeans aus der Hand nahm und mit stattdessen eine Karobluse reichte.

„Ähm.“ Er zögerte. „Naja, er meinte, dass du nicht so prüde bist, wie es immer scheint.“ Wichser! „Und, dass du ein interessantes Bett hast.“ Ich werde ihn töten. Ganz sicher. „Und das deine Mutter heiß ist.“

„Was?“

„Ja, das habe ich auch nicht ganz verstanden.“ Notiz an mich: Zyankali kaufen!

„Der übertreibt komplett. Also: Nein, ich bin nicht prüde, ich habe einfach Besseres zu tun, als mich mit so Schwachköpfen wie ihm abzugeben. Ja, er hat mein Bett gesehen, weil wir in meinem Zimmer waren. Als er mich gebracht hat, ist er kurz mit rein. Und ja, meine Mutter sieht für ihre 42 noch ziemlich gut aus. Er hat sie gesehen. Sie war ja zuhause.“

„Interessant.“, meinte Finn dazu und bugsierte mich dann zu einer der Umkleiden. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich Haufen Klamotten im Arm hatte. „Anziehen. Jetzt!“, befahl er und schubste mich durch den Vorhang. Diesen zog ich sorgfältig zu, man weiß ja nie, und schaute mir dann die Klamotten an. Eine Röhrenjeans(welch Überraschung), ein Pulli, der mir zwei Nummer zu groß war, eine total niedliche Bommelmütze und eine schwarze Hornbrille. „Was soll die Brille?“, fragte ich ihn durch den Vorhang. „Ich brauch keine Brille! Davon bekomme ich nur Kopfweh.“

„Ist ohne Stärke.“, meinte er. „Du hast ein Brillengesicht.“

Ich zuckte die Schultern, auch wenn er es nicht sehen konnte und zog mir die Klamotten an. Die Hose war natürlich unbequem. Klar, dass sind Röhrenjeans immer. Vor allem sah mein Bäuchlein extrem unvorteilhaft aus. Ich hätte heulen können, als ich meine Ich-typischen Komplexe bekam, aber ich wollte vor Finn nicht schon wieder heulen. Also zog ich den Pulli an und, siehe da, das sah irgendwie niedlich aus. Er war zu groß und ich konnte ihn bequem über die Finger ziehen. Außerdem ging er etwas über den Hintern, weshalb ich dieses ewige Problem nicht hatte, bei dem man die Hose immer hochziehen muss. Die Mütze sah ebenfalls knuffig aus und die Brille auch, aber das verstand ich immer noch nicht so richtig. Ich finde das halt bescheuert, Brillen zu tragen, ohne sie zu brauchen. Das ist wie eine Sonnenbrille im Winter.

Ich trat aus der Umkleidekabine und sah Finn zufrieden grinsen. „Also, passt doch.“ Passt doch. Wie nett. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, sagte er: „Ja, du bist halt kein Model. Das ist dir doch klar, aber das Outfit ist niedlich.“ Irgendwie verletzte mich das. Aber okay, vielleicht bekam ich auch einfach meine Tage, dann war ich immer etwas sensibel. „Aber etwas fehlt noch…“, meinte er und musterte mich. „Schuhe.“ Ich habe selten einen so shopping-begeisterten Typen gesehen. Er schaute die Klamotten an und rechnete. Nach ca zwei Sekunden sagte er: „64,95Euro.“ Wie kann man das so schnell ausrechnen? Das war doch total krank. Und für einen Haufen Bullshit 65Euro zu verlangen war auch krank. „Vergiss es!“, sagte ich und betrachtete kritisch die Sachen. „Also, die Hose brauche ich nicht. So eine habe ich auch zuhause.“

„Tatsächlich. Warum ziehst du die nie an?“

„Weil die Dinger kacke sind! Pulli und Mütze würde ich nehmen. Aber 7,95Euro für so ein schwarzes Brillengestell mit Plastik drin ist doch übertrieben.“

„Dann übernehm‘ ich die Brille.“

„Kommt nicht in Frage!“, protestierte ich. „Du hast schon meinen Kakao übernommen.“

„Du kannst mich nicht daran hindern die Brille zu kaufen!“

Ich verdrehte die Augen. Sollte er doch machen!

 

Als ich eine  halbe Stunde später an der Bushaltestelle stand ging es mir wirklich besser. Das war mir zwar irgendwie ziemlich peinlich, weil’s ja nun nicht wirklich zu meinem emanzipierten Image passt, wenn man nur mit mir shoppen gehen muss, damit ich happy bin. Aber ich brachte es nicht wirklich über mich, so zu tun, als hätte es mir nicht gefallen. Dazu war Finn einfach zu freundlich gewesen. Und ich fand es unendlich niedlich, zu sehen, wie seine Laune immer besser wurde, wenn er an die Geschichte mit Eva dachte, dass sie nichts Ernsthaftes mit Yannick gehabt hatte.

„Danke für alles!“, sagte ich, als mein Bus um die Ecke fuhr und ich Finn umarmte.

„Keine Ursache.“, meinte er bloß, tätschelte mir etwas ungeschickt den Rücken und fuhr sich gleich danach mit der Hand durch das rote Haar. Als ich mich von ihm löste, sah ich Maria mit ihren Freundinnen hinter ihm auf der anderen Straßenseite stehen. Sie musterte mich spöttisch und winkte. Ich ignorierte sie und stieg in meinen Bus ein.

Während der Fahrt hörte ich fast die ganze Zeit Musik. Allerdings stellte ich von Taylor Swift auf meine  Rock-Playlist um und ließ mir von Linking Park das Trommelfell zerfetzen.

Zuhause angekommen machte ich schnell ein paar Hausaufgaben, das Nötigste, und setzte mich dann an den Laptop. Während ich nebenbei mit ein paar Leuten aus meiner alten Schule chattete, stalkte ich Elyas Profil. Während ich seine Fotos anguckte, fiel mir auf, dass Maria sie alle geliked hatte. Ich konnte nicht widerstehen:

Ich klickte ihr Profil an.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Elyasse da draußen, die mehr sind, als alle Lillis denken.

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