Cover

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Kein Schiff

trägt uns besser

in fremde Länder

als ein Buch

 

*Emily Dickinson*

Prolog

 

 

Es war eine stürmische Nacht, als Elaine ihre Kinder eiligen Schrittes in den Keller brachte. Sie zog alle drei in eine Ecke und versuchte ihre Nervosität zu verbergen, atmete tief durch und streichelte dem jüngsten über die Wange. “Ihr wisst, dass ich euch über alles liebe nicht wahr?” fragte sie an alle drei gewandt. “Natürlich Mutter, wir lieben dich auch über alles” kam die Antwort von ihrem ältesten. Sie drückte liebevoll seine Hand. “Dann müsst ihr mir jetzt vertrauen und sehr gut zuhören. Ich hatte euch erzählt, dass ich eine Hüterin bin.” Die Kinder nickten ernst. “Ich muss jetzt die Macht in Sicherheit bringen. Sie darf auf keinen Fall in falsche Hände geraten. Ihr wisst noch was ich euch über eure Fähigkeiten erklärt habe?”

Der jüngste ereiferte sich wie immer. “Ja Mama, ich werde immer Kranken helfen.” Elaine streichelte ihm über die Haare und sah den anderen bedeutungsvoll in die Augen. Beide nickten. "Sehr gut. Ihr müsst immer für einander da sein und jeweils dem anderen eine Familie. Ihr dürft nicht vergessen, wovor ich euch gewarnt habe."

"Das wissen wir Mama, das hast du uns doch so oft erzählt. Wir sind keine Kinde rmehr!" versuchte sie der zweite zu überzeugen. Sie küsste sie nacheinander und drückte sie fest an sich, zog tief ihr Geruch ein um sich für das zu stärken, was kommen sollte.

Sie wandte sich schweren Herzens von ihren Kindern ab und jeder einzelner Schritt wog schwerer als der davor. An der Treppe hielt sie noch einmal inne. “Ihr dürft niemals aufgeben an das Gute zu glauben. Ganz egal was kommen mag. Ganz egal wie ausweglos oder verzweifelt die Lage ist. Bleibt auf dem rechten Weg." Die Trauer darüber, dass Ihre Kinder so schnell lernen mussten erwachsen zu sein, schnürte ihr die Kehle zu. Sie war stolz auf sie. "Ihr geht nicht vor der Morgendämmerung hier heraus. Falls ich nicht zurückkommen sollte, wisst ihr was zu tun ist. Ihr geht zu Tante Jandra.“ Das älteste Kind sagte “Ja Mutter. Aber du kommst doch wieder zurück.”

Elaine lächelte mit einer Zuversicht, die sie nicht wirklich verspürte. Tatsächlich schnürte ihr die ausweglose Lage die Kehle zu und dennoch war sie sehr froh, die Lage zu kennen. Zu wissen was auf sie zukam. Und nichts täte sie lieber als zurück zu kommen und ihre Kinder in ihre Arme zu schließen. Sie zu hüten und zu beschützen. Ihnen das Leben und die Liebe zu zeigen. Es gab so viel zu entdecken, zu erkunden. Nichts spielte mehr eine Rolle. Sie musste sich ihrem Schicksal beugen. Etwas anderes kam gar nicht in Frage, wenn sie Ihre Kinder schützen wollte. Stumm ging sie aus dem Keller heraus und machte die Tür zu. Sie durfte die Trauer nicht zulassen. Sie hatte keine Zeit dafür. Schluchzend schloss sie für einen Moment die Augen und lehnte ihr Stirn an die Tür. "Lebt das Leben, das ich nicht mehr habe" flüsterte sie zum Abschied. Dann drehte sie sich entschlossen um und lief aus dem Haus.

Sie umrundete das Haus und nahm den nördlichen Weg in den Wald, in der Dunkelheit sah sie die Äste nicht, die ihr auf die Haut peitschten. Auf dieser Seite war der Wald dichter und zwischen den kahlen Bäumen waren kleinere, teilweise mit Dornen besetzte Sträucher. Sie merkte nicht, dass ihre Arme und ihr Gesicht blutige Striemen bekamen, ihr schönes langes Kleid zerriss und eine andere Farbe annahm. Sie spürte weder die Kälte noch den Schmerz. Einzig ihr blutendes Herz nahm ihr den Atem. Sie konnte sich nicht erklären, wie es soweit kommen konnte. Zum ersten Mal hatte sie wirklich Angst.

In grübelnden Gedanken und in ihrer Hast sah sie nicht wohin sie trat und stürzte auf den schlammigen Waldboden. Sie wimmerte als ein stechender Schmerz ihr Bein durchfuhr, aber sie rappelte sich tapfer wieder hoch. Ihr schmerzendes Bein schonend durchquerte sie die im Mondschein bedrohlich wirkende Bäume, die wie Messer in den dunklen Himmel ragten und mit ihren laublosen Krallen nach ihr griffen. Schattenhafte Silhouetten silbrigen Mondlichts geisterten über die nackten Stämme und täuschten ihre Sinne. Als sich in das Heulen des Sturmes nun ein peitschendes Tosen mischte, sammelte sie ihre verbliebene Kraft und beschleunigte ihre Schritte. Als ob sie eine andere Welt betreten würde eröffnete sich vor ihr eine Lichtung und erleichtert trat sie aus dem Wald, sah die Klippe vor sich und atmete zitternd ein. Die Finger in ihre Röcke gekrallt legte sie ihr Kopf in den Nacken und versuchte ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie war angekommen. Sie hatte es geschafft. Nach dem zehnten Schritt hörte sie ein Rascheln hinter sich und drehte sich resigniert um.  

Er war da. Wie sie vermutet hatte. Nein, sie hatte es gewusst. Sie hatte es gesehen. Mondschein fiel auf sein schwarzes Gewand. Er hatte seine Kapuze übergestreift und hielt den Kopf gesenkt. “Wo ist sie” fragte er. Sie trat humpelnd einige Schritt zurück, nahm das Amulett von ihrem Hals und schloss ihre Finger fest darum.

“Du bekommst sie nicht. Ich lasse es nicht zu” sagte Elaine mit bebendem Körper. Er nahm die Kapuze langsam herunter und blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Er hatte die Haare abrasiert und trug eine Glatze, was ihn bedrohlich erscheinen lies.

“Du hast keine andere Wahl, du kannst nicht entkommen. Keiner kann das.” Sie biss die Zähne fest zusammen. Stöhnend humpelte sie an den Klippenrand und drehte sich um. Stolz reckte sie ihr Kinn höher und breitete die Arme aus. Als er merkte was sie vorhatte rannte er auf sie zu.

"Es gibt immer eine Wahl. Und immer einen Ausweg" flüsterte sie, wie um sich selbst zu trösten. Als sie sich fallen lies griff er nach ihrer Hand mit der Kette. In diesem Bruchteil einer Sekunde wusste Sie, dass sie das Richtige tat, er wollte die Macht um jeden Preis. Obwohl sie es gewusst hatte traf sie die Erkenntnis wie ein tiefer Stich in ihr Herz und eine Träne des Wehmuts lief ihr über die langen Wimpern. Ihr letzter Gedanke galt ihren Kleinen. 

Er griff nach ihrer Hand, konnte sich aber nicht mehr bremsen und gemeinsam stürzten sie über die hohe Klippe. Beim Aufprall beider Körper auf den strömenden und peitschenden Fluss wurde die Dunkelheit von farbigen, ungewöhnlich bunten Blitzen erhellt. Ein Donner grollte über die heulende Nacht. Die Kette hatte sich beim Aufprall zersplittert und verschwand.

Es sollten Jahre vergehen, bis das Amulett wieder ganz war und die Macht eine neue Hüterin gefunden hatte.

Kapitel 1

 

Als ich das warme Gelb über meinen Lidern sah kniff ich die Augen zusammen und drehte ich mich murmelnd zur Seite. “Gut, dass ich heute nicht arbeiten muss.” Ich kuschelte mich wohlig in mein Kissen und seufzte zufrieden. Es gab nichts Schöneres im Leben als den Schlaf. Moment mal. Wollte ich nicht vor dem Morgengrauen aufstehen? Die plötzliche Erkenntnis machte mich schlagartig wach. “Oh nein, ich habe verschlafen, verdammt nochmal.”

Hastig rappelte ich mich auf, schlüpfte in meine Jeans, welche ich am Abend zuvor einfach auf dem Boden liegen gelassen hatte. Während ich mich in mein T-Shirt zwängte suchten meine Füße bereits meine Ballerina. “So eine Scheiße” fluchte ich. Ich schloss die Tür meiner Wohnung hinter mir zu und holte mein Handy heraus. “Hallo Nelly, ich habe verschlafen.” Eine quietschende Stimme antwortete “Leila! Sei froh, dass ich dir einen Platz freigehalten und sogar schon bezahlt habe! Beweg deinen Hintern sofort hierher, ich will hier nicht alleine rum stehen. Sonst entführt man mich noch, so hübsch wie ich bin!” Erleichtert sagte ich “du bist ein Schatz Baby, ich bin in zehn Minuten da”, legte auf, stieg in mein altes Auto und gab Gas.

Wie sagte man so schön: neuer Tag neues Glück. Ich musste heute soviel wie möglich von meinem Kram loswerden, damit ich nächste Woche ohne viel Aufwand umziehen konnte. Und ein bisschen Kohle für alten Kram hatte noch keinem geschadet. Vor allem mir nicht. Als ich im Flohmarkt ankam packte ich meinen Klapptisch aus und holte meine Sachen zum Verkaufen aus dem Auto. Als ich endlich fertig war schnaufte und schwitzte ich bereits. Es war ein sonniger Frühlingstag. Endlich etwas Wärme und Farbe nach dem langen Winter. Nelly hielt mir einen Becher mit Kaffee entgegen und ich gab ihr ein Kuss auf die Wange. “Habe ich schon erwähnt, dass du ein Schatz bist?” fragte ich. Lächelnd sagte sie “nicht oft genug meine Liebe.”

“Nelly, ich danke dir wirklich! Ich weiß nicht was mit mir los ist. Vermutlich bin ich einfach aufgeregt, weil ich umziehe. Neue Umgebung, neue Arbeit, neue Leute um mich herum. Ich werde dich so schrecklich vermissen. Ich bin einfach überfordert.”

Sie sah mich skeptisch an. “Süße, jetzt stell dich nicht so an. Man könnte fast meinen, du würdest auswandern. Wir werden doch nur zwanzig Fahrminuten voneinander entfernt sein. Wir können uns trotzdem weiterhin treffen. Oder hast du dir einen reichen sexy James Bond geangelt und ich weiß nichts davon?” Sie wackelte viel sagend mit den Augenbrauen und brachte mich zum Lachen.

“Nein bestimmt nicht” kicherte ich. “Ich habe vorerst mal die Nase voll von diesen möchte gern Bonds.” Nelly war meine beste Freundin und wusste über alles bescheid. Mein furchtbares Ex hatte ständig an mir herum genörgelt, dass ich zu klein wäre und hohe Schuhe zu tragen habe, wenn ich mit ihm ausging. Ich solle doch mal mich elegant und schick anziehen. Ich solle gepflegter erscheinen. Der hirntote Mann meinte damit, ich solle mich öfter schminken. Ohne mich zu fragen schloss er ein Abonnement im Fitnessstudio für mich ab. Das war der Knaller! “Tja, reich und sexy bedeutet eben nicht, dass jeder Saft im Hirn hat. Hätte er es, würde er sich nicht so eine blöde Tussi holen.” giftete Nelly.

“Sie haben sich beide verdient! Eine blöde Kuh mit einem Hauch von Nichts an Busen und ein hirnloser Impotent.” fügte ich verärgert hinzu. Nelly und ich sahen uns an und brachen in Gelächter aus.

Während wir im Flohmarktgedränge unsere Sachen verkauften hing ich meinen Gedanken nach. Ganz so einfach war das nicht für mich. Natürlich wusste das auch Nelly, aber sie war so eine tolle Freundin. Mit ihrer fröhlichen Art half sie mir enorm über schwierige Zeiten. Mit siebzehn hatte ich meine Mutter und meinen Bruder bei einem Autounfall verloren. Es war eine harte Zeit.

Nach dem schrecklichen Ereignis fing mein Vater an sich zu verändern. Dunkelheit umgab ihn und ich erkannte ihn nicht mehr. Er betrank sich, nahm skandalös gekleidete Frauen mit nach Hause und als ich dachte, ich halte es nicht mehr aus, wurde ich eines besseren belehrt. Er schlug mich. Beim ersten Mal war ich so schockiert, dass ich die ganze Nacht taub auf meinem Bett saß. Kurz. Der gut aussehende, verliebte Ehemann und fürsorglicher Vater mutierte zu einem Monster. Eines Abends, als im Obergeschoss das Gestöhne wieder losging, nach dem er mir die Lippe blutig geschlagen hatte, lief ich weg. Ich packte ohne mit der Wimper zu zucken eisern ein paar Klamotten, holte mir ein paar trockene Kekse aus der Küche und zu guter Letzt klaute ich ihm sein Geld aus der Spardose. Und ging. Und es tat mir nicht ein bisschen leid. Ich war froh, all das zurück zu lassen.

 

 

“Haaalloooo, huhu.” Nelly wedelte mit den Händen vor meinem Gesicht. “Komm zurück zu uns Leila! Erde funkt Leila an, bitte kommen!” Sie lachte amüsiert als sie meinen verdutzten Gesichtsausdruck sah. “Du Tagträumerin. Bist du fertig? Du bist ja eine Menge losgeworden Mädchen, Respekt!”

Tatsächlich, ich konnte sehr viel verkaufen, übrig waren nur noch einige Romane und altes Geschirr. Und meine uralten Schuhe, die natürlich keiner wollte. “Ja, die Idee mit dem Flohmarkt war wirklich gut Nelly. Dank dir hab ich jetzt etwas mehr Geld in der Tasche. Komm lass uns packen, ich habe solchen Hunger, mir ist schon übel. Wir treffen uns doch nachher oder?”

Sie warf mir einen wehleidigen Blick zu. “Süße, ich erzählte doch, dass ich mit Tom verabredet bin. Hast du das vergessen?” Dabei lächelte sie scheu und wurde rot. Ich musste über ihre Reaktion schmunzeln. Nelly war eher eine Draufgängerin, was Männer anging. Wenn sie rot wurde hieß das nur, dass es etwas Ernstes mit Tom war und ich gönnte es ihr. Wenigstens eine von uns schien das Glück gefunden zu haben. Ich sah zu ihr und ahmte sie nach in dem ich ebenfalls mit den Augenbrauen wackelte. Wir mussten beide lachen.

In diesem Moment blieb eine hübsche, blonde Dame vor meinem Tisch stehen und fragte nach einem der Bücher. “Hier bitteschön, das ist ein sehr romantisches Buch, habe ich sehr gerne gelesen. Am besten mit einer heißen Tasse Schokolade dazu.” Sie lächelte mich freundlich an. Sie war sehr schön mit ihren langen goldblonden Haaren.

Ihre Augen leuchteten als sie sagte “das hört sich sehr angenehm an. Kann ich sie mit etwas anderem bezahlen als Geld?” Ich schaute sie ratlos an.

“Sie wollen tauschen? An was hatten sie denn gedacht?” Für einen Moment hatte ich das Bild der achtzehn jährigen Leila vor Augen, die so oft ohne Geld herum gelaufen war. “Wissen sie was, für den krönenden Tagesabschluss schenke ihnen das Buch”. Das war ein großartiges Gefühl!

Sie legte ihr Kopf auf die Seite und schaute mich in Gedanken versunken an als ob sie nachdenken würde. So vertieft, als ob sie mich lesen würde. Ich gab mir in Gedanken einen Schubs und musste über mich selbst schmunzeln. Ich sah eindeutig zu viele Filme. Dann holte sie etwas unter Ihrer Tunika hervor, nahm sie ab und streckte mir eine Kette entgegen. “Ich möchte sie mit dieser Kette bezahlen.” sagte sie.

Ich sah mir das Schmuckstück an. Es war eine Silberkette mit einem ovalen, gelben Kristall als Anhänger. Das sah wundervoll aus. Als ob die Kette die Sonne eingefangen hätte. “Das kann ich nicht annehmen. Behalten sie sie bitte. Ich schenke ihnen das Buch.”

Sie nahm meine linke Hand in ihre. Legte die Kette behutsam hinein und sagte “sie sind die Richtige! Ich sehe es. Außerdem wird sie ihnen ausgezeichnet stehen. Passen sie gut auf sie auf!”

Ich sah mir das hübsche Schmuckstück noch einmal an und strich mit dem Finger über das warme Kristall. Die Kette war wunderschön. Ich hob lächelnd den Kopf um mich zu bedanken. Die Frau war nicht mehr da. Ich beugte mich über meinen Tisch und schaute mich um. Sie war weg. Eigenartige Frau, zahlte mit einem schönen Schmuck und ging einfach. Oh verdammt, das Buch hatte sie auch nicht mitgenommen. Ratlos schaute ich mich noch mal um und zuckte mit der Schulter. 

 

 

Ich packte meinen Stand endgültig zusammen, verabschiedete mich von Nelly und fuhr wieder zurück nach Hause. Erschöpft und ausgehungert betrat ich meine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung und zog meine Schuhe aus. Während ich zum Bad ging legte ich nach und nach auch meine anderen Kleidungsstücke ab und betrat die Dusche. Nichts war angenehmer als eine heiße Dusche. Nein das stimmte nicht. Nichts war angenehmer als eine heiße Dusche und meiner Duschlotion mit dem Duft von Regenwald. Oh ich liebte diesen Geruch. Wie nach Erde und Gras nach einem Frühlingsregen. Ich summte vor mich hin und dachte an die Frau mit den leuchtenden Augen. Vielleicht war sie verwirrt gewesen. Sollte ich die Polizei anrufen? Es kam oft vor, dass Patienten der örtlichen Klinik durch die unaufmerksamen Blicke der Angestellten entkamen. Ich verwarf den Gedanken aber gleich wieder, sie kam mir gesund und munter vor.

Ich trat aus der Dusche, trocknete mich ab und wischte den Beschlag vom Spiegel. In zwei Monaten hatte ich Geburtstag. Ich würde dreißig werden. Wahnsinn dachte ich und spürte eine Melancholie auf mir aufsteigen. Dreißig. Ledig. Keine Familie. Kein Mann. Kein Kind. “Ja und! Ich bin stolz auf mich. Alles was ich habe, habe ich mir selbst verdient!“ Ich lächelte. Ich war eine kleine Dame mit ein paar Pfunden zu viel auf den Hüften, aber ich war absolut zufrieden. Meistens jedenfalls. Nun ja, besonders wenn ich nicht gerade shoppen war.

Durch die südländische Gene meiner Mutter hatte ich eine natürliche Bräune, hellbraune Augen und braun wellige, brustlange Haare. Letztes Jahr ließ ich mir einen Nasenpiercing stechen. Mir gefiel dieses kleine funkelnde Ding an meiner Nase. Und auch wenn ich eine kurvige Frau bin, so habe ich wenigstens große volle Busen dachte ich. Nur, dass die Männer heute wohl eine andere Vorstellung hatten von Traumfrauen.

Ich sah mich im Spiegel an, berührte meine Wange, strich mit den Fingern über mein Kinn, über meinen Dekolleté und fuhr zwischen den Brüsten zu meinem Bauch herunter. Sanft legte ich beide Hände auf meine Brüste und streifte über meine Brustwarzen. Ich war zwar nicht wunderschön, aber hässlich fand ich mich nun auch wieder nicht. Ganz im Gegenteil. Die Schönheit lag immer im Auge des Betrachters. Doch die Ideale der Menschen wurden durch Markenprodukten und Modeschäft manipuliert. Unzählige Schönheitsprodukte und chirurgische Eingriffe waren keine Seltenheit mehr. Auch Männer liesen sich von dieser Welle mitreisen. Wer würde denn je die Männerwelt verstehen! Ich musste über meinen Selbstgespräch lachen und trocknete meine langen Haare.

Als ich vor meinem Kleiderschrank stand entschied ich mich für mein knielanges weißes Sommerkleid. Den fand ich besonders toll, weil der breiter Rock weit wirbelte, wenn ich mich drehte. Das Kleid war schlicht. Ein weißes Kleid mit ebenso weißen Blütenstrickereien hier und da. Hatte vorne und hinten einen V-Ausschnitt mit dünnen Trägern. Ich zog mir weiße Unterwäsche an und schlüpfte in das Kleid. In einem Chaos von Umzugskartons fand ich meine weißen Ballerina und nahm meinen Country-Korb in die Armbeuge. Ich muss dringend etwas essen ging mir durch den Kopf. Mein Magen knurrte schon. Danach ein kleiner Einkauf und dann konnte ich mir einen ruhigen, gemütlichen Abend machen.

Kurz bevor ich aus der Wohnung trat fiel mir die Kette vom Flohmarkt ein. Sie würde gut zu meinem Kleid passen dachte ich und schaute mich danach um. Sie lag mit den übrigen Büchern in der Kiste vom Markt. Ich griff danach, schaute sie an und legte sie um meinen Hals. Die Kette war länger als ich dachte. Warm lag sie zwischen meinen Brüsten und fühlte sich gut an auf meiner Haut. Zufrieden drehte ich mich um und als ich einen Schritt Richtung Tür tat drehte sich alles. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich hörte ihn in den Ohren laut pochen. Eine Übelkeit stieg in mir auf. Der Schwindel wurde stärker und die Sicht verschwamm. Um mich herum tastend sank ich auf den Boden.

 

 

Verdammt. Ich hätte beim Zurückfahren gleich etwas zum Essen holen sollen. Ich hatte seit gestern Mittag nichts mehr zu mir genommen. Ich atmete tief ein und aus bis der Schwindel etwas nach lies und mein Herz sich beruhigte. Mit zitternden Fingern massierte ich meine Schläfen. Eindeutig Kreislaufstörung! Eine leichte Brise streichelte meine Haut und lies mich frösteln. Vielleicht sollte ich doch etwas anderes anziehen. Langsam machte ich die Augen auf. Schaute doof vor mich hin und schloss sie sofort wieder. Ich zählte bis drei, nickte und öffnete sie wieder.

Mein benebelter Verstand musste mir einen üblen Streich spielen. Nervös kicherte ich und schloss die Augen wieder. “Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? Ich bin noch nie ohnmächtig geworden. Aber das kann nur ein Traum sein.” Ich streckte mein Rücken gerade, legte die Hände auf meine Oberschenkel, atmete tief ein und dreimal kurz wieder aus. Wie auf diesem Video im Internet, ich glaube das war Yoga gewesen. Oder irgend etwas ähnliches. Das sollte anscheinend Wunder bewirken. Das selbe tat ich drei mal. Einatmen und dreimal in kurzen Stößen wieder aus. Ich war absolut ruhig. Lächelte und machte besonnen die Augen wieder auf.

“Drei mal verfluchte Scheiße, was ist hier los?” zeterte ich irrsinnig und stand auf. In einem ungläubigen Zeichen hob ich beide Hände und drehte mich mit offenem Mund im Kreis. Ich war in einem verdammten Wald! Hallo? Im Wald? Wo war meine Wohnung hin? Was war hier los?

“Ruhig Leila, alles wird gut. Du bist ohnmächtig geworden und träumst gerade. Die letzten Wochen waren einfach zu viel für dich. Du musst mehr auf deine Gesundheit achten!” Ich kicherte nervös und legte prompt meine Hand auf die Lippen. “Jetzt hör mal auf dich wie eine Irre zu verhalten” sagte ich mir. War diese schrille Stimme etwa meine?

 

 

Da stand ich nun. In einer kleinen Lichtung mit verschiedenen Schattierungen frischen Grüns unter den Füßen. Bäume um mich herum. Ein Wald. Ich sah in den Himmel und kniff die Augen zusammen. Die Sonne stand genau über mir und blendete mich. Ich schloss die Augen und massierte mir erneut die Schläfen. Mir war immer noch etwas schwindlig und ich hatte höllische Kopfschmerzen. Ratlos blickte ich auf. “Also, wenn das ein Traum ist kann ja nichts passieren.” Die Antwort war ein zarter Vogelgesang irgendwo aus dem Dickicht vor mir. "Nun gut Vögelchen, wenn du so fröhlich singst nehme ich doch gerne diese Richtung."

Langsam betrat ich den Wald. Mit lautlosen Schritten über weichem Boden betrachtete ich die hohen Eichen über mir. Gesprenkeltes Sonnenlicht fiel auf ihre moosbewachsenen Stämme. An einigen Fleckchen Waldboden breitete sich ein Teppich von Buschwindröschen. An einem anderen, besser gesagt an einem normalem Tag, wäre ich sicher entzückt von dieser Schönheit. Das Lichtspiel auf verschiedenen Grüntönen um mich herum war wundervoll. Doch so schön auch die Eindrücke meine Sinne benebelten, je weiter ich in den Wald tauchte und keinerlei Pfade entdeckte, desto schneller stieg eine Hysterie in mir auf. Noch nie war ein Traum so real gewesen.

Unwillkürlich musste ich an ein Märchen denken und hörte mich wieder kichern. “Wuuuh, jetzt wird ein Wolf auftauchen und sich Rotkäppchen schnappen. Oder nein! Gretel sucht nach Hensel, der in der Lebkuchenhütte von der Hexenschlampe gebraten wird.” Ich fluchte und gab mir selbst einen leichten Klatsch auf die Wange. “Jetzt benimm dich endlich! Du bist nicht wahnsinnig. Du bist ohnmächtig. Das ist alles! Und seit wann bist du so vulgär?” Schon immer, antwortete meine innere Stimme dominant.

Still marschierte ich weiter. Was konnte ich denn sonst anderes tun? Entweder musste ich aufwachen, wobei natürlich nicht klar war, wie lange meine Ohnmacht anhalten würde, oder ich schlug die Zeit bis dahin irgendwie tot. Ich sammelte meine innere Kraft und gab ein Befehl. "Wach auf!" Nichts geschah. Diesmal kniff ich die Augen zusammen, ballte die Fäuste und schickte ein unsichtbares Feuerball mit den Gedanken. "Wach auf!" Nichts geschah. Ich zuckte die Schultern, es war zumindest ein Versuch wert gewesen. Hätte ja klappen können.

Es vergingen gefühlte tausend Stunden und mir tat alles weh. Angefangen von plattgelaufenen Zehen bis hin zu den Haarspitzen fühlte ich eine verzweifelte Müdigkeit. Der ganze Wald schien sich zu drehen, mich zu umarmen. Egal wohin ich blickte, welche Richtung ich auch einschlug, alles sah ausweglos gleich aus. Ich wusste, dass ich mich wiederholte, aber ich hatte immer noch eine Kreislaufstörung, war hungrig, hatte Kopfschmerzen und eindeutig ohnmächtig. Und ich war in einem verdammten Wald! Er lichtete sich nicht ein einziges Mal. Ich hätte doch lieber in der kleinen Lichtung die Zeit totschlagen sollen.

So langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Das war alles so real und doch weit entfernt von aller möglichen Realismus. Wie konnte ich von einem Moment auf den anderen von einem Ort in ein anderes gelangen? So etwas gab es nicht. Höchstens in Hollywood. Und ich war in keiner verdammten Matrix!

Ich schnaufte und setzte mich auf ein umgefallenes Baum. Vielleicht hatte ich mir in der Wohnung nach meinem Schwindel den Kopf gestoßen und durchlitt gerade einen Blackout? Während einem Spaziergang durch ein Wald? Deshalb erinnerte ich mich nicht wie ich herkam? Albern! Frustriert dachte ich, dass ich jetzt sogar froh wäre die blutige Hexenhütte zu finden. Da würde ich bestimmt die Schlampe in den Ofen schmeißen und mich mit all dem Lebkuchen satt essen bis ich platzte. Und den Wolf brate ich auch noch dachte ich schadenfroh.

Ich sah mich auf dem Waldboden um. Mit Pilzen kannte ich mich überhaupt nicht aus. Ob ich eins probieren sollte, falls ich einen fände? Na ja, lieber hungrig als vergiftet. Also Finger weg davon. Als ich dachte meine Gehirnzellen stürben langsam ab, hatte ich plötzlich einen Blitzeinfall. Ich richtete mich gerade auf und suchte die Bäume und die langen Äste nach versteckten Kameras ab. War da nicht ein Film gewesen, wo die Leute entführt und auf einer einsamen, wilden Insel alleine gelassen wurden? Um sie krank und pervers die ganze Zeit zu beobachten? "Hallo?" rief ich. "Falls das irgendein perverses Projekt ist, ich finde das überhaupt nicht lustig! Ich bin kein Versuchskaninchen! Das hat rechtliche Folgen!" Keine technischen Geräusche von sich drehenden Kameras. 

“Meine Güte Leila, allmählich wirst du aber kindisch!” Ich stand auf und ging kopfschüttelnd weiter. "Das ist doch alles der Wahnsinn. Ich wohne in einer Großstadt, da gibt es weit und breit keine Wälder. Wenn ich aufwache werde ich sofort ein Buch über dieses Erlebnis schreiben." Das war doch kein so schlechter Einfall. Vielleicht konnte ich tatsächlich eine kurze Story darüber schreiben und einige Zeitschriften oder Zeitungsverlage kontaktieren. Das war doch eine erfrischend nette Idee.

Als ich Selbstgespräche führend vor mich hin watschelte hörte ich etwas. Prompt blieb ich stehen, gab keinen Ton von mir und wartete. Hatte ich mich getäuscht oder waren da wirklich Geräusche? Da war es wieder! Irgendwo vor mir meinte ich neue Geräusche zu hören, die sich in das wäldliche Rascheln mischten. Ich schlengelte einen unsichtbaren Weg nehmend durch die Bäume darauf zu, sah mich in allen Richtungen um, blieb hier und da stehen um mich zu orientieren und stampfte weiter.

Die Geräusche wurden nun lauter. Endlich! War das ein Keuchen gewesen? Oh Himmel! Menschen! Bitte lasse es ein Mensch sein betete ich stumm. Gegen ein wildes Tier wüsste ich gar nicht was ich tün würde. Ich wäre vermutlich absolut geliefert. Hoffnungsvoll beschleunigte ich meine Schritte und trat plötzlich aus dem Wald heraus. Erneut stand ich in einer grünen Lichtung und blinzelte. Was ich vor mir sah raubte mir die Sprache.

 

 

Etwa zwanzig Schritte vor mir, mitten in der sonnigen, von hohen Bäumen umarmten Lichtung, tanzten zwei Männer. Der kleinere von beiden hatte eine Glatze und trug eine Kapuzenrobe. Der andere war eher ein dunkler Typ, mit kurz geschorenen dunklen Haaren. Dieser hatte nur eine schwarze Hose an. Beide standen mit breit auseinander stehenden Beinen in leicht gebückter Haltung da.

Der Glatzkopf bewegte sich plötzlich so schnell, dass ich der Bewegung fast nicht folgen konnte. Er attackierte den anderen mit einem Messer. Oder war das ein Dolch? Die Bewegung ähnelte einer Schlange, die unerwartet und ruckartig nach vorne schoss. Genauso schnell reagierte aber der Dunkle. Er beugte seinen Rücken unglaublich weit durch, stand dabei aber weiterhin wie angewurzelt auf den Beinen. Mit einer Hand berührte er kurz den Boden und nahm wieder die vorherige Pose ein, machte mit beiden Händen eine kreisende Bewegung um sich, als ob er ein Kreis zeichnen würde, kreuzte beide Hände vor der Brust seines Gegners und trat wieder zurück.

Da bemerkte ich erst, dass der Dunkle ebenfalls Dolche in den Händen hielt. Diese hatte ich vorher nicht gesehen, weil er die Waffen nicht auf den Gegner gezielt hielt. Er hatte sie so in den Händen, dass die Klingen auf seinen Handgelenken lagen und in die eigene Körperrichtung zeigten. Der ganze Akt passierte unglaublich schnell und doch hatte das Ganze eine fliesende Eleganz. Als ob sie tanzen würden. Der Robenmann blutete plötzlich an seiner Brust und ging gurgelnd auf die Knie und fiel der Länge nach auf den Boden. Er bewegte sich nicht mehr.

Ich merkte betroffen, dass ich wie erstarrt mit offenem Mund da stand. Mein Gehirn meldete, dass hier kein Sport getrieben wurde. Und ganz bestimmt kein Tanz. Das war ein Mord! Wie in einem Zeitraffer sah ich den Dunklen sich aufrichten. Er sagte dem Toten irgendetwas, aber alles was ich hörte war mein rasendes Herz in den Ohren. Ich machte vorsichtig einen Schritt rückwärts und ruckartig drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Ich blieb abrupt stehen und rührte mich nicht vom Fleck.

Langsam drehte er sich ganz zu mir um und runzelte die Stirn. Er legte seinen Kopf zur Seite und sah mich für einen Moment forschend an. Sein Blick glitt auf meine nackten Beine und langsam über meinen Körper wieder zu meinem Gesicht hoch. Seine nachdenkliche Miene änderte sich wie auf Komando in eine wütende und plötzlich bewegte er sich schnurstracks auf mich zu. Mir traten die Augen fast aus den Höhlen. Himmel und Hölle, er würde mich töten. Er würde mich tanzend abschlachten wie den anderen.

Ich löste meine Starre und drehte mich sofort um, um weg zu laufen. Stieß aber so heftig gegen ein Hindernis, dass mir wieder schwindlig wurde. Oh nein Leila, du darfst jetzt nicht ohnmächtig werden mahnte ich mich, sonst landest du tatsächlich wie die Hexe im Backofen! Wie dumm konnte man denn sein, dass man gegen einen Baum lief! Und der Baum hielt mich an den Armen fest. Ein Baum hielt mich fest? Ein Baum?

Mit gerunzelter Stirn hob ich meinen Kopf und sah einem anderen Glatzkopf in die Augen. Der Baum war ein Mann. Den dritten in der Runde hatte ich gar nicht bemerkt! Ich machte wieder ein Schritt zurück und als ich mich umdrehen wollte packte er mich. "Lass mich los du Schwein!" Fluchend wehrte ich mich und stieß und schlug um mich. Er drückte mich eisern unter meiner Brust haltend fest an sich und drückte mir etwas kaltes Spitzes an den Hals. Sofort erstarrte ich zu einer Statue und gab keinen Ton von mir. Zeitgleich sah ich den Dunklen in seiner Bewegung erstarren.

Himmel und Hölle. War das etwa ein Messer? Ich konnte es einfach nicht fassen, ich wurde mit einem Messer bedroht. Ich starrte den Mann vor mir an. War er hier der Gute oder ein weiterer, absolut irrer Psychopath? Ich wünschte ich wäre einem wilden Tier begegnet. Er sagte nichts. Aber ich sah, wie eine Ader an seiner Schläfe hervortrat.

Der Hulk hinter mir sagte etwas. Ich verstand kein Wort, was war das für eine Sprache? Der Dunkle antwortete nicht. Er sah mir in die Augen. Versuchte er mir etwas zu sagen? Ich bemerkte, dass er die ganze Zeit schon nur mir in die Augen sah. Als ob er den Mann hinter mir ignorieren würde. Mein Kidnapper sagte mit ruhiger Stimme wieder etwas und drückte die Dolchspitze etwas mehr an meinen Hals. Instinktiv hob ich meinen Kopf und sah nur noch den wolkenlosen, blauen Himmel über mir.

Unerwartet sah ich das Bild meiner Mutter von den Augen. Auch sie hatte sich so früh verabschiedet. Zu früh. Würde ich mich nun zu ihr gesellen? Eine Träne löste sich von meinen Wimpern und tropfte auf meine Wange. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich weinte. Verflucht, ich wollte nicht sterben, ich hatte doch noch gar nicht gelebt!

Vielleicht hätte ich wirklich Selbstverteidigung lernen sollen, wie mich Nelly so oft überreden wollte. Judo oder Karate oder so etwas. Dann hätte ich beide Männer hier dem Erdboden gleich gemacht und Bruce Lee wäre stolz auf mich. Der Mann hinter mir drückte erneut mit dem Dolch und diesmal spürte ich den schmerzenden Stich ganz deutlich. Warmes Blut rann mir langsam meinen Hals herab und bahnte sich einen Weg zu meiner Brust und hielt erst an meinem Kleid inne.

Ich presste die Lippen fest aufeinander und mahlte mit den Zähnen. Ich schloss die Augen und diesmal hörte ich eine andere Stimme etwas sagen. Es musste der Dunkle sein. Er hatte eine tiefe kehlige Stimme und klang absolut ruhig. Wie konnte man in dieser Situation die Ruhe bewahren empörte ich mich. Ich merkte gar nicht mehr, wer wann etwas sagte. Ich verstand sowieso nicht was geredet wurde und war gefangen in einem irrsinnigen Trance. Wach auf! Wach auf! Wach auf!

Plötzlich gab der Mann hinter mir einen Ruck und ich war frei. Verstört senke ich den Kopf, sah zuerst zu dem Dunklen und dann langsam hinter mich. Der Mann lag auf dem Boden. Mit einem Dolch mitten auf seiner Stirn. “Hulk ist tot“ hörte ich mich sagen. Gänsehaut kroch über meinen Körper und Übelkeit stieg in mir auf. Ich drehte meinen Kopf wieder dem Dunklen zu und sah ihn an. Er sah tödlich ernst aus. Furchterregend und sehr sehr verärgert. Das Monster machte einen Schritt auf mich zu. Und ich rannte weg.

Ich rannte so schnell ich konnte. Noch nie in meinem Leben war ich so schnell gelaufen. Ich war wieder im Wald und wusste nicht, in welche Richtung ich flüchtete. Alles sah gleich aus. Immer wieder warf ich Blicke über meine Schulter. Mal sah ich, dass er mir erschreckend nahe folgte und mal war er nicht da. Ich lief zwischen den Bäumen, sprang über Hindernisse. Lief täuschende zick zack Bahnen und rannte um mein Leben. Ich flog und wurde zu einem rasenden und wütenden Sturm im Wald. Während ich überall nach einem Ausweg suchte hörte ich wage etwas. Das klang ganz nach fließendem Wasser. Ein Wasserfall vielleicht. Oder ein Fluss? Das musste die Rettung sein. Nein. Das war die Rettung! Ich warf noch ein mal ein Blick über die Schulter, sah ihn aber nirgendwo. Und prallte keuchend gegen einen Baum.

Diesmal wurde mir schwarz vor den Augen und meine Knie gaben nach. Ich hörte wie ich ein wimmerndes Geräusch von mir gab. Himmel nochmal! Ich würde noch zu einem wimmernden, weinenden und elenden Etwas werden! Das war ich doch nicht! Ich war eine starke Frau! Mein Blick klärte sich langsam und die Welt hörte auf sich zu drehen. Der Baum hielt mich fest an sich gedrückt. Der Baum hielt mich fest? Schon wieder!

Ich hob meinen Kopf und sah in tief schwarze Augen. Nein, dachte ich. Dunkelgrau. Hellschwarz? Nein. Mitternachtsschwarze Augen ging mir durch den Kopf. Eine tiefe, dunkle Nacht zog mich in den Bann. So musste sich eine Hypnose anfühlen. Ich war so außer Atem, meine Brust hob und senkte sich bebend. Er war groß. Mindestens einen Kopf größer als ich. Das hatte man in seiner Kampfpose gar nicht gesehen. Als sich mein Verstand träge klärte merkte ich, dass ich an der nackten Brust des Mörders seine Augen bewunderte und Entsetzen überfiel mich.

Anscheinend bemerkte er meine Reaktion, denn er sagte etwas. Verdammt, ich verstand nicht was er sagte. Ich wusste nicht einmal, ob das ein Wort oder ein ganzer Satz war. Ich blickte seine Lippen an, als ob ich die Sprache aus seinen Lippen lesen könnte. Ich blinzelte verwirrt. Doch dann wagte ich es und trat ihm fest auf den Fuß. Dann mit der ganzen Wucht, die ich noch aufbringen konnte, in sein Gemächt. Als ich sein Keuchen hörte löste ich mich aus der Klammerung und lief.

“Heute sterbe ich nicht du Arschloch” rief ich noch zurück als ich prompt bremsen musste. Weil die Welt wohl doch eine Scheibe war und direkt vor meinen Füßen endete. Ich wedelte wild mit den Armen und kämpfte um mein Gleichgewicht. Kleine Steine und Erde rieselten durch meine Bremsung über die Klippe. Das Geräusch war ein Fluss gewesen. Ein riesiger, wild strömender Fluss, der gegen die steilen Wände peitschte, als ob er sich befreien wolle. Ich stand hoch über einer Klippe. Einer sehr, sehr hohen Klippe ging mir durch den Kopf. Schwindelerregend hoch. Nur jemand ohne Verstand würde da herunter springen. Das war Selbstmord! Ich lachte hysterisch, bückte mich leicht vor und schaute von der Klippe herunter.

Hinter mir hörte ich ein Rascheln. Schnell drehte ich mich um. Oh nein. Er war zu nahe! Er blieb sofort stehen und sah mich resigniert und streng an. Der Ader an seiner Schläfe trat wieder hervor. Nein! So durfte das doch nicht enden! Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich einfach springen sollte. Bei einem Tod im Traum wachte man doch für gewöhnlich auf. Oder nicht? Nein, das wollte ich jetzt bestimmt nicht heraus finden. Mein Blick tastete über den Waldboden und ich griff nach einem dicken Ast, hob ihn mühsam auf und bedrohte den Mörder damit.

“Du kannst was erleben mein Freund, wenn du auch nur einen Schritt machst” sagte ich so böse wie ich konnte. Mit einer mörderischen Miene schüttelte ich den Ast mit beiden Händen in seine Richtung. Er schaute mich mit erhobenen Händen an. Anscheinend verstand er mich genauso wenig wie ich ihn. Aber meine Geste musste er wohl richtig gedeutet haben. Hatten etwa seine Mundwinkel gezuckt? Oh nein! So ein Mistkerl! Ich kniff die Augen zusammen. “Och du arrogantes, nacktes…” ich überlegte kurz “…Tier! Wage es jetzt ja nicht zu lachen, ich bringe dich um!” Ich schüttelte wieder den riesen Ast mit beiden Händen. Da! Schon wieder! Ganz egal wie streng er schaute, seine Mundwinkel zuckten! Ich hatte es genau gesehen! Wäre ich ein Drache würde ich jetzt Feuer speien. Er machte sich eindeutig lustig über mich!

Ich warf ein Blick über die Schulter und überlegte erneut, ob ich springen sollte. Ich war eine gute Schwimmerin. Sehr viele Leute machten doch solche Extremsportarten, wo man mit offenem Mund zuschaute. Unmöglich wäre es nicht, dass ich das heil überlebte. Oh Himmel und Hölle, was soll ich jetzt tun fragte ich mich.

Mein Dilemma wurde von einem erneuten Schwindelanfall unterbrochen und ich taumelte leicht. Verdammt. Nicht jetzt! Ich spürte wie mir meine Waffe aus der Hand glitt und ich schüttelte den Kopf um eine klare Sicht zu bekommen. Aber das machte es nur noch schlimmer. Ich hob meine Hand und sagte mit erhobenem Finger mahnend “Ich bringe dich um.” Mir wurde übel “…wenn du mir etwas…” Mir wurde schwarz vor den Augen “…bitte tu mir…” Bevor meine Knie nachgaben und ich umfiel hörte ich jemanden sagen “…bin nicht Rotkäppchen.” Das Letzte was ich wahr nahm war der Baum, der mich packte.

 

 

Kapitel 2

 

Als ich das warme Gelb über meinen Lidern sah kniff ich die Augen zusammen und drehte ich mich murmelnd zur Seite. “Gut, dass ich heute nicht arbeiten muss.” Ich kuschelte mich wohlig in mein Kissen und seufzte zufrieden. Es gab nichts Schöneres im Leben als den Schlaf. Aber Moment mal. Da war noch irgendwas. Wage erinnerte ich mich an einen Traum. Bäume. Tanzende Männer. Ein Wald. Ein um sich peitschender Fluss. Die plötzliche Erkenntnis machte mich schlagartig wach und ich öffnete die Augen.

Neben mir schlief ein Mann. Er! Ich lag neben dem Dunklen im Bett. Schnell setzte ich mich auf und sah mich verärgert um. Meine Hände waren mit einem Seil gefesselt. Ich war in einem Schlafzimmer untergebracht. Er musste mich wohl hergetragen haben. Schadenfroh dachte ich, dass er sich hoffentlich den Rücken verrenkt hatte.

Ich befand mich in einem großen Zimmer mit zwei dicken Holzbalken am Ende des Bettes, die bis zur Decke reichten. Die rechte Wand wurde von einem, mit Steinen verkleideten Kamin gekrönt. Links kam helles Sonnenlicht durch das offene Fenster, welcher von mehreren Holzrahmen verziert wurde. Eine leichte Brise wehte über uns und ich fröstelte. Es ist erst Frühling und die Sonne konnte täuschen. Ich hatte noch mein weißes Kleid an und schimpfte mich selbst, dass ich vielleicht meine Gehirnzellen etwas anstrengen und etwas wärmeres hätte anziehen sollen.

In der Ecke neben dem Fester und gegenüber des Bettes stand ein alter Holzstuhl. Überhaupt, das ganze Zimmer war absolut kahl und sehr schäbig. Spinnennetze hingen an den Ecken und Staub wirbelte durch das Zimmer. Nur die Bettwäsche unter uns schienen sauber zu sein.

Ich sah mir den Mann an meiner Seite wieder an. Er atmete regelmäßig im Schlaf. Die linke Hand hatte er sich unter seinen Kopf gebettet und die rechte lag auf seinem Bauch und hielt einen Dolch. Ich wusste nicht was ich denken sollte. Zum einen war er eindeutig ein Mörder. Zum anderen hatte er mich vor Hulk gerettet. Dann aber wiederum hatte er mich gejagt. Und ganz eindeutig hatte er mich entführt. Im Schlaf waren seine Züge geglättet und er sah gar nicht so aggressiv aus wie vorher gedacht.

Ganz im Gegenteil. Er hatte ein dominantes kantiges Gesicht. Schwarze dicke, leicht geschwungene Augenbrauen. Eine dünne Narbe auf der linken Wange lies eine alte Schnittwunde erahnen. Er sah gefährlich aus. Gefährlich gut dachte ich. Mein Blick glitt weiter und erkundete ihn. Er hatte weitere feine Narben auf der Brust, ähnlich wie die auf seinem Gesicht. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie in Gedanken nachfuhr, wie Flüsse auf einer Landkarte. Unter der braunen Haut hatte er Muskeln, viele beeindruckende Muskeln. Eine leichte, dunkle Behaarung über seinem Bauchnabel bahnte sich einen Weg über seinem Bauch nach unten und verschwand unter seinem schwarzen Hosenbund. An den Oberschenkeln der Hose waren Lederriemen befestigt. Da er die Hand auf dem Bauch hatte sah ich ansatzweise, dass die Hose mit einer Verschnürung zusammen gehalten wurde. Errötend zog ich die Augenbrauen hoch als ich sah, dass… seine Schatztruhe… anscheinend reich befüllt war.

Ich räusperte mich leise und gab mir in Gedanken einen Klaps. Dies war wohl die ungünstigste Zeit, die es je geben könnte, um einen Mann zu bewundern. Noch dazu den falschen! Mein Blick fiel wieder auf seinen Dolch. Ob ich ihm den wegnehmen konnte ohne ihn zu wecken? Nun ja, wer nicht wagt, der nicht gewinnt sagte mein dominantes Ich.

Sachte legte ich meine klammen Finger der Rechten auf den Dolchgriff, mit der anderen Hand versuchte ich aufgrund meinen Fesseln umständlich, aber mit höchster Disziplin, so langsam wie möglich, seine Finger vom Griff zu lösen. Ich erstarrte sofort zu einer leblosen Statue als er seufzend die Hand bewegte. Er rieb sich über seinen Bauch zu seiner Brust hoch und ruhte dort. Mit großen Augen beobachtete ich ihn. Ich atmete nicht. Ich bewegte mich nicht. Ich war eine Statue. Als er wieder regelmäßig atmete griff ich langsam nach der nun unbeaufsichtigten Waffe auf seinem Bauch und konnte mein Glück im Umglück kaum fassen. Ich nahm ihn so zur Hand wie er sie bei seinem Tanz. Mit Auf- und Abbewegungen schnitt ihr mir meine Fesseln ab und schaute ihn an.

Nach einigen Atemzügen rutsche ich so langsam wie möglich an den Bettrand und stellte mir vor ich wäre eine einsame, leichte Feder. Langsam kam ich schwebend auf die Füße und hätte fast einen spitzen Schrei losgelassen. Ich war barfuß und der kalter Holzboden hätte meinen Plan unerwartet fast zunichte gemacht. Der Boden war eisig kalt. Ich hielt kurz inne und bewegte mich auf Zehenspitzen Richtung Tür. Nach dem vierten federleichten Schritt spürte ich ein Kribbeln im Nacken. Verdammt. Oh verdammt, ich kannte dieses Gefühl!

Immer noch auf den Zehenspitzen drehte ich mich langsam um und machte resigniert ein paar Schritte rückwärts. Er stand direkt hinter mir und schaute mich stumm und mörderisch an. Wie hatte er das gemacht? War er so verdammt leise oder hatte ich so schlechte Ohren? Sofort hob ich den Dolch und streckte ihn kerzengerade vor mich hin.

“Wenn du mir zu Nahe kommst wirst du es bereuen” sagte ich mit leiser Stimme. Na toll. Und was tat er? Er kam natürlich wie ein lauernder Fuchs auf mich zu. Schritt für Schritt gingen wir zurück bis ich an die Wand stieß. Die Klinge berührte seine Brust und schnitt ihn. Kurz ging mir durch den Kopf, dass ich ihm eine weitere Narbe zugefügt hatte. Ich sah ihn entsetzt an. Er zuckte mit keiner Wimper. Ich sah zwischen dem blutenden Schnitt und seinen Augen ungläubig hin und her und unwillkürlich zog ich bei jedem seiner Schritte den Dolch weg bis er mich mit seinem Körper an die Wand presste.

Ich keuchte und konnte meine Augen von den seinen nicht abwenden. Er stand mir so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte. Mein Herz klopfte heftig gegen meine Brust. Ich hoffte inständig, dass er ihn nicht spüren konnte. Seine linke Hand lehnte er behutsam an die Wand gleich neben meinem Kopf. Die andere Hand legte er auf meinen Unterarm und zog langsam eine brennende, unglaublich sanfte Spur bis zu meiner Hand hoch. Er legte seine auf die meine mit dem Dolch und hielt sie zwischen uns. Mit dem Daumen streichelte er sacht über meine Finger und ich hörte jemanden die Luft ausstoßen. Himmel und Hölle! Ich wusste gar nicht, dass ich den Atem angehalten hatte. Diese großen, mitternachtsschwarzen Augen. Wie eine tiefe, dunkle Nacht. Sein warmer Atem auf meinem Gesicht glitt mein Blick auf seine Lippen. Und sein Duft. So bekannt. Er roch nach… ich schloss für einen Moment die Augen und zog tief sein Geruch ein.

Erde.

Gras.

Wie nach einem Frühlingsregen.

Ich öffnete die Augen und bemerkte, dass sein Blick auf meinen Lippen ruhte. Oh Himmel! Er war erregt. Ich spürte ihn warm und fest auf meinem Bauch. Ein Blitz durchfuhr meinen Körper, von der Brust bis zu meinen Zehen. Ein Kribbeln erfasste meinen Bauch. Die Zeit schien still zu stehen als ich seine Lippen fühlte, er strich seine Lippen sanft über meine. Die Berührung war so zärtlich, dass er mich fast nicht berührte.

 

 

Plötzlich entfernte er sich von mir und nahm seine Wärme mit. Benommen sah ich, dass er sich ohne Gegenwehr von einem anderen packen und wegziehen lies. Mit seiner grimmigen Miene spürte ich nun auch die Kälte auf meiner Haut. Und Stimmen um mich herum drangen wie aus weiter Ferne an meine Ohren. Verwirrt sah ich mich um.

Die Tür war aufgerissen und ein Mann und eine Frau standen im Zimmer. Der blonde Mann hielt den Dunklen immer noch an seinem Arm fest und redete wild auf ihn ein. Er hatte eine wütende Miene auf. Die Frau war eine ältere Dame. Sie schien einen Buckel zu haben, weil sie nach vorne gebückt neben mir stand und ihren Kopf in den Nacken legen musste um mich anzusehen. Sie würde als eine liebliche kleine Oma durchgehen, wenn Ihre Augen nicht milchig weiß wären. Sie schien blind zu sein. Ich runzelte die Stirn. Wie kann sie mich ansehen, wenn sie blind ist dachte ich. Nun, sie musste mich wohl gespürt oder gehört haben.

“Wer seid ihr?” fragte ich und alle sahen mich an. Der Dunkle schüttelte den anderen ab und sagte irgendetwas. “Ich verstehe dich nicht” bemerkte ich. Frau Holle trat näher und ich sah, wie sie die Hand hob und zu meinem Gesicht ausstreckte. Unwillkürlich bog ich meinen Rücken durch und wich dem Wand entlang einen Schritt zurück. Ich blickte erst sie, dann die Männer fragend an. “Was soll das? Was wollt ihr von mir?”

Der Dunkle steckte seinen Dolch in den Lederriemen an seiner Hose und kam zu mir. Ich schaute ihn verdutzt an. Er hatte mir den Dolch abgenommen. Und ich hatte es nicht einmal bemerkt. Er legte seine Hände auf meine Arme und hielt mich fest. Ohne mich aus den Augen zu lassen sagte er der Frau gewandt etwas. “Hey! Was soll das?” zeterte ich und versuchte ihn abzuschütteln. In was war ich nur hinein geraten?

Während ich schimpfte spürte ich die Finger der alten Dame an meiner Schläfe und keuchte heftig. Ein greller Blitz durchzuckte meinen armen Schädel. Ich sah nur blendend weißes Licht und Schmerzen explodierten in meinem Kopf. Irgendjemand schrie. Ich war blind und von Schmerzen gepeinigt. Als diese Empfindungen genauso schnell verebbten wie sie gekommen waren, hörte ich wie aus weiter Ferne ein Wimmern. Und ich flog. Nein. Das konnte nicht sein. Ich spürte Arme auf meinem Rücken und unter meinen Beinen. Ich wurde getragen.

Mein Blick klärte sich langsam und ich sah, wie mich der Dunkle auf den kahlen Holzstuhl setzte. Seine verschwommene Gestalt erhielt gezieltere, klare Umrisse. Er hielt mich an den Schultern fest damit ich nicht vom Stuhl kippte. War das Besorgnis in seinen Augen? "Verräter!" wisperte ich. Etwas in meinem Blick hatte er wohl richtig gedeutet, denn er stand auf und trat zurück.

Sofort ging der Blonde an seine Seite “Bist du wahnsinnig Mann? Sei froh, dass wir deinen jämmerlichen Hintern gerade noch rechtzeitig gerettet haben. Sonst wärst du verloren an diese giftige Schlange! Vielleicht ist sie eine von denen! Wo ist nur deine Vorsicht geblieben Mann?” Ein schelmisches Grinsen legte sich auf sein Gesicht. “Oder stehst du neuerdings auf Sklavenspiele?” fragte er gewitzt. Er boxte ihn auf die Schulter und wackelte mit den Augenbrauen.

Böse funkelte der Dunkle ihn an und sagte “Ich habe mich absolut unter Kontrolle!”

“Wie konnte es überhaupt soweit kommen Mann? Du solltest doch Wache halten! Bist du etwa eingenickt?” fragte der Blonde und sah sich das durchgeschnitte Seil am Boden skeptisch an.

“Nein. Ich schlafe nie, wenn ich wache!” Ich glaubte meinen Ohren nicht. Himmel und Hölle! Die ganze Zeit war er wach gewesen? Er hatte mich die Waffe bewusst nehmen lassen? Warum? Ich sah ihn mir einen Blick zuwerfen. Er hatte mit mir gespielt! Ich hätte es besser wissen müssen. 

Der Witzbold im Raum war etwas kleiner als der Dunkle, war aber ebenso prächtig gebaut musste ich mir eingestehen. Groß, breit und mit sehr sympatischen Zügen. Er hatte, soweit ich das sehen konnte, blaue Augen. Die obere Hälfte seiner kinnlangen, dunkelblonden Haare hatte er zusammen gebunden. Während der männlichen Auseinandersetzung sah mich die alte Dame unentwegt an. Nein. Sie war ja blind. Aber sie musterte mich doch. Irgendwie.

Als Frau Holle auf mich zukam verstummten beide Männer. “Wie heißt du mein Kind?” fragte sie mit einer mütterlichen Wärme in der Stimme. Sie schien absolut harmlos und freundlich. Das war doch reine Fassade! Vermutlich war die alte Tante gefährlicher als die muskelbepackten Männer im Raum. Wie hieß es so schön? Fürchte niemals deine Feinde, stets deine Freunde!

Sofort sprang der Blonde zur ihr und hielt die Frau an der Schulter. “Jandra! Hör auf sie ständig anzufassen. Ich wusste ja gar nicht, dass du so scharf auf Frauen bist” sagte er und zog die linke Augenbraue hoch. Die Frau namens Jandra ignorierte ihn einfach. “Sie ist nicht von den anderen” sagte sie bestimmt. “Bist du sicher?” fragt diesmal der Dunkle. Empört sagte die Frau “Diese Frage ist doch nicht dein Erst oder mein Junge?” und klopfte zweimal mit ihrem Gehstock auf den Holzboden. Stille trat ein. Alle schauten mich an.

“Lasst mich gehen” forderte ich. “Damit du zu deiner Herrin läufst und…” der Dunkle wurde von Jandra mit erneutem Klopfen unterbrochen. Sie sah mich durchdringend an und streckte wieder ihre Hand nach mir aus. Sofort stand ich auf und stieß den Stuhl zu Boden. “Nein! Fass mich nicht an. Ich weiß nicht wie du das getan hast, aber es war furchtbar! Warum wollt ihr mir Gewalt antun? Was habe ich denn getan?”

Die Frau hielt inne und schaute mich fragend an. “Gewalt?”

“Lasst mich gehen. Bitte. Ich habe nichts gesehen. Nein, ich kenne euch nicht einmal. Ich werde niemandem etwas erzählen. Was denn auch?”

“Kind! Beruhige dich!” sagte die Frau.

“Mich beruhigen? Mich beruhigen! Natürlich! Ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen. Kaum mach ich mich frisch und will einkaufen gehen, stehe ich plötzlich im Wald. Hach! Wahnsinn oder? Meine Wohnung ist spurlos verschwunden. Oder ich bin spurlos verschwunden. Ständig wird mir schwarz vor den Augen. Das ist mir ja noch nie passiert” kicherte ich hysterisch. “Dann sehe ich tanzende, mordende und halbnackte Männer.” Ich warf dem Dunklen einen Blick zu. “Ich werde mit einem Dolch bedroht und verletzt. Ich werde gejagt, entführt und gefesselt. Dann kommt Frau Holle und jagt mir einen Blitz in den Schädel”. Ich funkelte sie atemlos an.

“Wer ist Frau Holle?” wollte der Blonde wissen. Ich sah ihn an und blickte zu der Frau namens Jandra wieder zurück.

“Und wer ist Rotkäppchen?” wollte der Dunkle wissen. Bitte was?

“Ich glaube ich werde ohnmächtig” sagte ich und trat zurück bis ich die Wand hinter meinem Rücken spürte.

“Woher kanntest du den Mann im Wald?” fragte er mich.

“Welchen Mann?”

“Hulk hast du ihn genannt” sagte er. Waren diese Leute total übergeschnappt?

“Was? Nein. Ich kannte ihn nicht. Oder warum sollte er mich mit einem Messer bedrohen?” Ich blickte ihn verständnislos an.

“Wieso läufst du nackt herum?” wollte der Blonde wissen und lächelte mich funkelnd an. Schnell schaute ich an mir herunter. Oh verflucht nochmal, für einen Moment befürchtete ich tatsächlich ich wäre nackt.

“Ich bin nicht nackt!” empörte ich mich.

“Und warum läufst du in deinem Nachtkleid mitten im Wald herum?” fragte er mich anzüglich und wackelte mit den Brauen.

“Wie bitte? Das ist mein wunderschönes Sommerkleid!”

“Es ist erst Frühling.” sagte Frau Holle.

Ich blickte sie alle nacheinander an. Ich wollte aufwachen! “Ihr seid alle verrückt. Vollkommen verwirrt. Aber habt keine Angst” sagte ich beschwichtigend mit erhobenen Händen und sprach langsam und deutlich, damit mich auch jeder einzelne gut verstehen konnte. “Ich kann euch helfen. Vertraut mir bitte. Ich habe einen Freund. Sein Vater ist ein sehr gefragter Therapeut. Er wird euch allen helfen. Wirklich!”

Der Dunkle fragte “Wie heißt dein Freund? Ist er auch kahl rasiert?”

“Was?” entgegnete ich verständnislos. Für einen Atemzug schloss ich die müden Augen und massierte mir die Schläfen. Und spürte entsetzt, dass jemand die Hand auf meine Brust legte. Ich riss die Augen auf und verblüfft sah ich der Frau zu, wie sie mit einer Hand auf meiner Brust, mir in die Augen sah. Nun, ich weiß ich wiederholte mich. Aber ja! Die blinde Frau sah mich an! Einige Zeit lang beobachtete ich sie neugierig. Ich kannte mich in der Medizin nicht sehr aus. Vielleicht war sie nicht ganz blind? Teilweise blind? Gab es so etwas?

Dann kam ein lang gezogenes Flüstern über ihre Lippen. “Elaine.” Irgendwer zog scharf die Luft ein.

“Ich heiße nicht Elaine” flüsterte ich zurück. Irgendwie tat mir die Oma leid. Sie musste so verstört sein, dass sie mich für wen anderen hielt. Gerade noch rechtzeitig sah ich aus den Augenwinkeln, wie der Dunkle rasend mit erhobener Faust auf mich zukam. Ich riss die Augen auf. Er war so schnell. Seine Faust krachte laut neben meinem Kopf in die Wand ein. Putz und Steine rieselten auf den Boden. Ich zuckte zusammen und panisch starrte ich ihm in die Augen. Zorn blitzte in seinen auf. Mit der anderen Hand hielt er mich am Kinn fest und fragte mit trügerisch ruhiger Stimme “Wer bist du?” Blitze zuckten in seinen Augen.

Es war totenstill im Raum. “I-Ich bin Lei-Leila” stotterte ich. Mein Blick huschte zu seiner Schläfe.

“Klingt wie aus einem Lied Laleila” hörte ich den Blonden. Immer diese blöden Witze über meinen Namen! Wütend fuhr ich den Blonden an “Leila! Verstanden! Leila!” Der Dunkle zog mich wieder am Kinn und starrte mir in die Augen.

“Blake! Lass sie los mein Junge! Sie ist eine von uns.” hörte ich eine müde Frauenstimme. Der Dunkle sagte nichts, schaute mir forschend in die Augen, lies mich los und trat zurück.

“Wisst ihr was? Ich habe keine Lust mehr. Entweder ihr tötet mich gleich und wir bringen das ganze hinter uns. Oder ich will jetzt sofort etwas essen!” Ich überlegte kurz. “Oder ich sterbe sowieso, wenn ich nichts esse.” Diese Alternative kam selbstverständlich nicht in Betracht. Dann erst fiel mir etwas auf. Absolut verblüfft stemmte ich meine Hände in die Hüften. “Ihr könnt mich ja verstehen!”

Jandra lächelte nachsichtig. “Ja mein Kind, das konnten wir die ganze Zeit schon. Du bist diejenige, die uns nun versteht”.

 

 

“Bevor wir uns gründlich unterhalten, möchte ich etwas klar stellen mein Mädchen. Diese Männer im Wald waren, nun, nicht wie wir. Sie sind gefährlich. Sie holen was sie wollen. Sie vergewaltigen. Sie morden. Im idealsten Fall versklaven sie dich. Und sogar Schlimmeres! Meine Jungs hier haben sie aufgehalten. Sie haben dich vor einem furchtbaren Schicksal bewahrt. Du solltest dankbar sein, dass du nicht von ihnen verschleppt wurdest” setzte Jandra mich in Kenntnis. “Das sollte dich vorerst mal etwas beruhigen. Wir sind gute Menschen Kind! Würden wir dich töten wollen, wärst du es schon längst. Nun komm, gehen wir runter und unterhalten uns in aller Ruhe.”

Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich blickte sie an. Okay. Ich wurde also tatsächlich gerettet vor diesen Glatzköpfen. Und sie hatte Recht. So schnell wie der Dunkle war, hätte er mich schon längst töten können. Leuchtete mir ebenfalls ein. Aber wie konnte ich wildfremden Menschen trauen? Ich entschied mich stumm, dass ich mich vorerst nicht akut in Gefahr befand. Dennoch. Ich würde einfach den Schein einer hilflosen Frau bewahren und in der erst bestmöglichen Gelegenheit fliehen. Ich schaute mir die beiden Männer an. Dann griff ich nach ihrer Hand und folgte ihr.

Als ich neben der Tür meine Schuhe entdeckte schlüpfte ich gleich hinein und war froh, dass ich den eisigen Boden nicht mehr spürte. Wir traten aus dem Zimmer und ich hielt inne um mich umzusehen. Jandra sagte nichts und wartete geduldig. Gleich links von mir ging eine Holztreppe herunter. Wir standen auf einem Balkon. Dieses wurde wie im Schlafzimmer von zwei deckenhohen, dicken Holzbalken getragen. Ich sah herunter und merkte, dass wir zu einem Foyer herunter schauten. Die Haustür sah nach massivem Holz aus, umrahmt mit bunten Gläsern. So schien regenbogenfarbenes Licht in den Foyer. Das sah vermutlich wunderschön aus, wäre auch hier nicht alles verdreckt. Spinnennetze hingen an jeder Ecke herunter und Staub flog im bunten Lichtrahl umher. Vor mir, dem Balkon entlang waren weitere vier Türen.

Wir gingen langsam die Treppe herunter. Unten angekommen waren wir im bunt erleuchteten Foyer. Links der Haustür, von mir aus gesehen auf der rechten Seite stand eine weitere Tür offen. Ich sah Theken. Altes Geschirr und Kisten auf dem Boden. Das musste die Küche sein. Jandra zog mich sanft zur linken Seite. Ich folgte ihr durch die rechte Tür und wir betraten ein großes Zimmer.

Hier war es ziemlich dunkel. Dicke, graue Vorhänge hingen von der Decke herunter. Staub flog umher und ich musste niesen. Jandra lächelte “Macht ein paar Fenster auf Kinder. Hier kann man fast nicht atmen.” Der Blonde huschte zu einem der Vorhänge und schob diese mit beiden Händen je zu einer Seite auf. Darunter kamen ebenerdig, decken hohe Fenster zum Vorschein, ebenfalls in einer Holzverkleidung. Er löste eine Halterung in deren Mitte und machte beide Fenstertüren auf. Dasselbe machte er mit einem weiteren Fenster und das Zimmer wurde etwas lichter und frisches Wind wehte herein. Als ich fröstelte nahm Jandra Ihr Schultertuch ab und reichte sie mir.

“Vielen Dank, aber ihnen wird kalt sein.”

“Nimm nur Kind, im Gegensatz zu dir bin ich angezogen.” Ich räusperte mich. Anscheinend galten hier andere Sitten. Ich seufzte wohlig als ich das große, rote Tuch um meine Schultern legte und mich darin kuschelte. Endlich etwas Wärme. Am Ende des Zimmers war ein großer, wie im Schlafzimmer mit Steinen verkleideter Kamin. Er sah ziemlich schmutzig aus. Waren das Asche und Ruß auf dem Boden? Davor standen eine Couch und zwei Sesseln. Aber in deren aktuellem Zustand würde ich mich nicht darauf setzen wollen dachte ich. Direkt vor uns, zwischen der Tür und der Sitzgruppe stand ein langer massiver Holztisch. Sie war länglich aufgestellt, von der linken Wand zu den Fenstern hin. “Das Haus sieht ziemlich verlassen aus” sagte ich so höflich wie möglich, ohne den Dreck zur Sprache zur bringen.

Jandra wies mir ein Stuhl zu und ich setzte mich. Stand aber prompt wieder auf, wischte mir der Hand über die Sitzfläche und saß mich wieder. Dabei warf ich den Männern einen Blick zu. Ich war nicht unbedingt krankhaft und steril veranlagt, aber dieses Haus hier war eine Bruchbude. Ich wollte gar nicht daran denken, welche andere Wesen hinter den Wänden und in den Ecken hausten. Der Blonde stand am Tischende mit einem Lächeln und auf die Hüften gestemmten Händen. Der Dunkle lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Couch und stellte eine unbewegte Miene zur Schau. Er hatte jetzt ein schwarzes Hemd an. Frau Holle nahm langsam den Stuhl vor mir und setzte sich.

Mein Blick auf den Kamin und somit auch auf Frau Holle und den Dunklen, zog ich das Tuch enger um meine Schultern und für einen Moment ging mir durch den Kopf, dass ich jetzt tatsächlich Rotkäppchen war. Ich riss die Augen auf und nahm meine langen Haare unter dem Tuch hervor, damit diese die rote Farbe halbwegs bedeckte.

“Ja mein Kind. Leider ist in diesem Haus seit langem kein Leben mehr. Das haben wir zu meinem Bedauern den Jungs zu verdanken.” sagte Jandra und warf dem Blonden einen missbilligenden Blick zu.

Der Blonde hob beide Schultern und verteidigte sich mit erhobenen Händen. “Liebling, das ist nicht meine Schuld!” Wie auch immer dachte ich.

Jandra wandte sich wieder mir zu. “Liebes! Bevor wir einiges klar stellen, sollten wir noch auf unseren Kleinen warten. Sonst müssen wir alles doppelt erzählen. Er lässt sich nichts entgehen und bohrt uns mit seinen Fragen Löcher in den Bauch.”

Der Dunkle entgegnete “Er ist im Morgengrauen noch ein mal losgezogen. Hoffentlich ist er mit seiner Suche erfolgreicher als wir.”

Ich räusperte mich. “Jandra. Darf ich sie etwas fragen ohne ihnen zu Nahe zu treten?”

Sie lächelte wissend. “Ich bin blind mein Kind.” Verdutzt sah ich sie an. Konnte sie jetzt auch noch Gedanken lesen? “Und dennoch erkenne ich Schemen. Und im Inneren sehe ich trotzdem. Ab und an zumindest.” Wie war denn das jetzt gemeint? Ich beruhigte mich wieder. Sie meinte wohl sie sehe mit dem Herzen. Ich hatte einige esoterische Bücher gelesen, wo ständig von Licht und Wärme und Liebe gesprochen wurde. Dass liebevolle, positive Energie sogar Pflanzen zu blühen bringe. Genauso klang nun auch Frau Holle.

Als ich eine weitere Frage stellen wollte ging die Haustür auf und jemand kam mit polternden Schritten keuchend herein. Er musste gerannt sein. Die eiligen Schritte kamen näher und ich drehte mich nach rechts, um ihn mir anzusehen.

“Kleiner! Wurde aber auch Zeit.” sagte der Blonde. Wäre es jetzt unhöflich wenn ich lache fragte ich mich. Der Kleine war wirklich klein. Zumindest eine Handbreit kleiner als die Tür. Ich biss mir auf die Zunge um mein Gelächter im Zaum zu halten. Dieser Mann, Kleiner, war ein Riese. Er hatte braune, zerzauste Haare und ein paar Strähnen hingen ihm in sein Gesicht. Er machte sein Mund auf aber als er mich sah klappte er ihn wieder zu. Er musterte mich und lies ein lang gezogenes Pfeifen hören.

“Guten Tag reizende Dame, wem haben wir die Ehre zu verdanken? Ihr habt doch nicht etwa ohne mich angefangen?” mahnte er an die anderen gewandt. Er schubste den Blonden zur Seite und kam auf mich zu. Nahm meine Hand und hauchte ein Kuss darauf.

Ich sah ihn verdutzt an. “Ehm. Hallo.” Meine Güte, wäre ich nicht in einer unklaren, absolut unfassbaren Lage, würde ich unsere kleine Runde als eine nette Unterhaltung mit Freunden oder Nachbarn abwerten.

Der Dunkle unterbrach uns und fragte “Was hast du da?”

Jetzt erst bemerkte ich, dass der Riese meinen Country-Korb in der Hand hielt. “Oh du hast meinen Korb gefunden. Ich wusste gar nicht, dass ich den dabei hatte” sagte ich und nahm ihm meinen Korb ab.

Er runzelte die Stirn und schob behutsam seine Hand in die Hosentasche und holte etwas heraus. Er hielt meine Halskette in die Höhe. “Gehört der auch dir?” fragte er langsam.

Erfreut griff ich danach und nahm ihm die Kette ab. Während ich sie um meinen Hals legte sagte ich “Ja vielen Dank. Muss sie wohl verloren haben als ich gejagt wurde” und warf dem Dunklen einen bösen Blick zu. Keiner sagte etwas. Alle sahen mich ernst an. Ich blickte einen nach dem anderen an und fühlte mich unbehaglich. Langsam lies ich die Kette unter mein Kleid huschen und räusperte mich. Das Kristall lag warm zwischen meinen Brüsten. “Was ist los?” fragte ich frei heraus.

Frau Holle klopfte mit ihrem Gehstock zweimal auf den Boden und befiel “Setzt euch.” Alle saßen sich. Der Riese nahm die linke Tischecke, der Blonde den rechten, Jandra mir gegenüber und der Dunkle lehnte sich wieder an die Couch und verschränkte die Arme vor der Brust. “Wie ich mir schon dachte” sagte Jandra.

“Was denn?” fragte ich. Dass ihr mich entführt habt und so tut als sei dies das normalste auf der Welt?

“Kind, alles nacheinander. Disziplin! Zuerst werden wir uns kennen lernen. Wer bist du Liebes?” fragte sie. War das ihr Ernst? Ich sollte mich vorstellen wie in einem Vorstellungsgespräch? Wollten sie mich einstellen um hier endlich für Sauberkeit zu sorgen?

Nun gut, ich musste den Schein wahren. Und das war doch ein guter Anfang, um zu erfahren, wer diese Leute waren. “Ich heiße Leila” sagte ich zu keinem Bestimmten gewandt und blickte alle kurz an. “Nun, ich weiß nicht was ich erzählen soll. Ich heiße Leila, ich bin neunundzwanzig, habe aber in ein paar Wochen Geburtstag. Also kann ich gleich dreißig sagen.” Dabei rollte ich mit den Augen. Dreißig klang so alt.

“Deine Familie?” fragte Jandra. Das ging sie doch nichts an!

“Meine Familie. Ich habe keine Familie” sagte ich und starrte sie an. “Meine Mutter und mein Bruder sind vor Jahren schon bei einem Umfall ums Leben gekommen. Und mein Vater. Nun. Er hat sich danach verändert. Ich meine im negativen Sinne. Ich möchte nicht darüber sprechen und ich glaube auch nicht, dass es irgendwen etwas angeht.” Ich warf zuerst ihr und kurz dem Dunklen einen Blick. War ich zu weit gegangen?

“Erzähl weiter Kind” sagte Frau Holle und diesmal hatte ihre Stimme wieder eine mütterliche Wärme. “Als er… Als alles schlimmer wurde bin ich weggerannt und habe mir ein neues Leben aufgebaut. Das ist alles.”

Der Blonde räusperte sich. Er legte seine Arme auf den Tisch und verschränkte die Hände. “Du hast keinen Mann? Keine Kinder? Wer wacht über dich? Als Frau solltest du nicht alleine leben.”

Ich sah ihn an und wusste nicht was ich sagen sollte. Sicher wäre es wundervoll ein warmes Zuhause zu haben. Einen Mann der über mich wachte, wie er es ausgedrückt hatte. Kinder mit denen ich im Garten herum tollte. “Nun, ich habe durchaus den einen oder anderen kennen gelernt” ich reckte trotzig meinen Kinn, wollte jetzt aber nicht sagen, dass keiner mich wirklich so wollte wie ich bin und ich sie alle zur Hölle gejagt hatte. “Aber es kam nie soweit. Ich meine, mit keinem bin ich eine Bindung eingegangen.” Ich sah mir den Riesen und Jandra an. Der Dunkle hatte nun eine grübelnde Miene aufgesetzt und hörte lediglich zu. “Und wer seid ihr? Warum lebt ihr in einem heruntergekommenen Haus? Und was ist hier eigentlich los? Was wollten diese Männer im Wald von mir? Wie komme ich überhaupt hierher?” Ich blickte Jandra an. “Und haben sie mir tatsächlich einen Blitz in den Schädel gejagt?”

Sie lächelte. “Zu aller erst, sag bitte du zu mir. Ich bin nicht deine Herrin. Ich heiße Jandra, wie du bereits erfahren hast.”

Eifrig beteiligte sich der Blonde am Gespräch. “Unsere liebe Jandra ist vierundachtzig Jahre alt. Aber lass dich nicht täuschen. Sie sieht mehr als du ahnst und auch wenn sie alle herumkommandiert und eine böse Miene zieht. Wir lieben sie über alles. Und sie vergöttert uns nicht wahr Schätzchen?” fragte er während er ihr einen Wangenzwicker gab und lachte als sie ihm einen empörten Blick zuwarf. Ich musste schmunzeln über beider Verhältnis.

Da stand der Riese auf, ging zu Jandra und legte ihr seinen Linken um die Schultern. Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr auf der anderen Seite einen Wangenzwicker. “Nicht wahr Schätzchen?” Sie schlug ihn genervt auf die Hand und ich musste unwillkürlich lachen. Der Dunkle hatte sich keinen Schritt von seiner Stelle bewegt. Er musterte uns mit unbewegter Miene. Mein Lächeln erlosch.

Als ich in seine Augen sah zuckte ich zusammen. Jandra hatte wieder einmal mit Ihrem Gehstock gepoltert. “Kinder! Stellt euch vor!”

Der Riese stand noch neben Jandra. Er räusperte sich laut, streckte seinen Rücken gerade und blickte mich mit leuchtenden Augen und zerzausten Haaren an. Eine Hand auf dem Rücken, den anderen vor seinem Bauch, verbeugte er sich galant. Er richtete sich wieder auf und sagte “Ich heiße Rayan. Es freut mich außerordentlich sehr dich kennen zu lernen Leila. Ich bin der Jüngste dieser Truppe, auch wenn man das genau anders herum vermutet. Selbstverständlich hat jeder von uns seine eigenen Fähigkeiten. Ich bin sehr gut in der Heilkunde und stehe dir jederzeit gerne zur Verfügung.” Er lächelte mir strahlend zu.

Prompt stand der Blonde auf und sein Stuhl fiel krachend auf den Boden. Schnell stellte er sich neben Rayan und machte es ihm nach. Er streckte seinen Rücken gerade. Atmete tief ein, zog dabei seinen Bauch ein und pumpte seine Brust heraus. Galant verbeugte er sich ebenso und als er sich aufrichten wollte keuchte er und hielt sich den Rücken. “Och mein Rücken. Mein Rücken! Hilf mir du Klotz von einem Mann!” schimpfte er den Riesen und ich musste lachen. Schnell schlug ich mir eine Hand auf die Lippen und kicherte. Ich sah wie mich der Dunkle mit zur Seite gelegtem Kopf musterte. Er hatte einen seltsamen Glanz in den Augen.

Mühsam richtete sich der Blonde wieder auf, räusperte sich erneut und stellte sich mit einem schelmischen Grinsen vor. “Ich, reizende Leila, heiße Aidan. Mach dir bitte kein falsches Bild von mir. Ich bin nur etwas aus der Übung. Sofort werde ich meine morgendlichen Übungen wieder aufnehmen und kann dich Stunden lang ohne Mühe tragen. Wohin du auch willst.” vergewisserte er mir augenzwinkernd.

Mein Blick huschte wieder zum Dunklen. Er sah absolut uninteressiert dem Geschehen zu. Als sein Blick auf mich fiel kam nur ein Wort aus seinem Mund. “Blake” sagte er. Ich wartete, dass er weiter erzählen würde, aber er gab sich nicht einmal die Mühe einen Satz zu bilden. Nur seinen Namen. Ein Wort. Wie großzügig dachte ich. Das war wohl mehr als man erwarten durfte.

Der Blonde verdrehte die Augen und gesellte sich zu dem Dunklen. “Komm schon Mann, sei nicht so unhöflich. Wie oft haben wir denn schon eine reizende Dame im Haus. Genau! Nie!” Er stellte sich neben ihn und streckte beide Arme kerzengerade zu dem Dunklen aus als ob er etwas zum Verkaufen präsentieren wollte. “Dieses böse Etwas neben mir hat tatsächlich einen Namen!” sagte er mit gespielter Überraschung und hochgezogenen Brauen. “Unser großer Bruder Blake. Er ist so stark wie ein Bär und nimmt sich deshalb die Freiheit heraus unser Anführer zu sein. Der Brummbär ist zweiunddreißig Jahre alt. Er ist einigermaßen gut aussehend.” Er schaute sich seinen Bruder von oben bis unten schauspielernd an. “Natürlich nicht so gut wie ich, wie man das auch sehen kann.” Er wackelte wieder mit den Augenbrauen und fuhr erheitert fort. “Er ist ungebunden, stelle sich das mal einer vor! Vielleicht rührt es daher, dass er ein sehr zurückhaltender, sehr schüchterner Jungfrau ist.”

Ich hob die Augenbrauen. Der Riese hüstelte und sah zu Boden. Aidan krümmte sich vor Lachen und schlug mit seinen Händen auf die Oberschenkel. Sein Gelächter hallte im ganzen Raum. Mit vor Zorn blitzenden Augen hob Blake eine Faust und stand auf. Als er sich mit wütender Miene an sein Bruder wandte hob dieser sofort unschuldig beide Hände, zog die Schultern hoch und sagte hastig “das war ein Scherz Mann! Ein Scherz! Es sollte lustig sein! Schon mal was von Humor gehört?” Dabei trat er zurück und kam mit schnellen Schritten zu seinem Platz gelaufen. Er stellte sein Stuhl wieder hin und setzte sich. Ich sah wie er grinste und mir wieder zuzwinkerte.

Ich sah sie alle an. Diese Leute verhielten sich überhaupt nicht wie Kriminelle. Ich wusste zwar nicht, wie sich Kriminelle verhielten, aber sie kamen mir harmlos vor. Ich hätte viel mehr damit gerechnet erneut Fesseln angelegt zu bekommen. Mit einem Verhör vielleicht und gar körperlichem Gewalt. Dies war überhaupt nicht der Fall. Außer sie waren geistesgestört, aber dafür schienen sie intelligent zu sein. Der gewitzter Aidan mit seiner fröhlichen Art. Der galante Rayan, der eher den Ruhigen abgab. Der strenge Big Boss an der Couch, wortkarg und nicht zu durchschauen. Und die weißhaarige kleine Frau Holle, die blind war und dennoch sehen konnte? Ich verstand die Welt nicht mehr.

 

 

Ich war verwirrt. “Woher hast du das Amulett mein Kind?” fragte Jandra.

Ich zog die Kette zwischen meinen Brüsten wieder hervor und hielt sie vor mir hin. “Oh, gefällt sie dir? Das war ein Geschenk. Na ja, eigentlich habe ich die Kette gegen ein Buch getauscht. Aber die Käuferin ging ohne das Buch mitzunehmen.” Ich bemerkte, dass keiner mehr ein Lächeln auf den Lippen hatte. Keiner sagte etwas. Alle sahen sie mich an. “Was ist?” fragte ich.

Jandra seufzte müde, legte den Gehstock auf den Tisch und verschränkte die Hände darauf. “Liebes. Würdest du uns bitte erzählen woran du dich als letztes erinnerst?” bat sie mich.

Ich überlegte. Das war ein gutes Thema. So kamen wir der Sache näher. Vielleicht bekam ich einige Antworten auf Dinge, die ich noch nicht recht verstand. Ich setzte mich gerade hin und schlang das Tuch enger um mich. “Gut. Ich und Nelly. Nelly ist meine beste Freundin. Waren auf dem Flohmarkt um einige alte Sachen zu verkaufen, die wir nicht benötigten. Das dauerte den ganzen Vormittag und wir waren sehr hungrig. Also packten wir Mittag unsere Sachen und ich verabschiedete mich. In meiner Wohnung angekommen habe ich mich zuerst frisch gemacht. Dann habe ich mich angezogen und wollte einkaufen gehen.” Ich sah sie an.

“Das ist alles?” fragte Rayan konzentriert und legte seine Stirn in Falten.

“Es sind meist die unbedeutenden Dinge, die wichtig sind mein Kind” sagte Jandra.

Ich überlegte wieder. “Nun gut. Also noch mal” sagte ich gedehnt. “Ich hatte an diesem Morgen verschlafen. Eigentlich hätte ich vor dem Morgengrauen schon aufstehen müssen, damit wir im Flohmarkt uns einen guten Platz ergattern können. Aber Nelly war so gut und hatte bereits unseren Stand gesichert. Ich fuhr hin, stellte meinen Tisch auf. Meine Sachen. Ich habe so ziemlich alles verkauft. Außer drei Bücher, altes Geschirr und ein altes paar Schuh.” Ich dachte nach. “Wir haben ein paar Witze gerissen über, eh, alte Freunde. Nelly war mit Tom verabredet, also hatte ich den restlichen Tag für mich allein. Ich fuhr wieder nach Hause.”

Der Blonde fragte “Wieso hast du deine Sachen verkauft?” Ich sah zu ihm.

“Ich war kurz vor einem Umzug. Ich habe eine neue Wohnung gefunden, weil ich auch eine neue Arbeitsstelle annahm. Und ich wollte vor dem Umzug alte Sachen los werden und etwas mehr Geld in der Tasche ist doch keine schlechte Idee oder?” fragte ich. Er nickte. “Wo waren wir? Ach ja. Also kam ich nach Hause. Ich war ausgehungert und sehr erschöpft. Daher zog ich mich aus und habe mich gewaschen. Dabei habe ich gesummt, danach habe ich meine Haare getrocknet und ein Selbstgespräch geführt. Dann habe ich mich angezogen.” Ich schaute auf mein hübsches Kleid herunter. “Dann habe ich mir meinen Einkaufskorb genommen” ich zeigte auf meinen Country-Korb “und legte mir kurzerhand diese Kette um den Hals, welchen ich im Markt erworben hatte. Dann hat sich alles gedreht und ich stand plötzlich im Wald.” Ich schaute sie alle mit klopfendem Herzen an und wartete auf eine Erklärung.

“Du hast diese Kette im Markt erworben?” fragte Jandra.

Ich hielt die Kette wieder hoch. “Ja. Nun nicht gerade erworben. Eine Frau hat sie mir gegeben. Sie wollte diese Kette gegen mein Buch eintauschen. Aber als ich mir das Schmuckstück ansah war sie weg. Und hatte das Buch nicht mitgenommen."

”Wie sah sie aus?” fragte Blake.

Ich überlegte. “Sie war sehr hübsch” entgegnete ich.

“Hüftlange blonde Haare? Große blaue Augen? Helle Haut und Sommersprossen?” fragte der Dunkle.

Ich schaute ihn an. “Woher weißt du das?” fragte ich verblüfft. “Ja genauso war sie” sagte ich irritiert. “Eine wunderschöne blonde Dame mit Sommersprossen und blauen Augen. Sie hatte eine helle Tunika an.”

Ich sah zu Jandra. Diese nickte und presste die Lippen aufeinander. “Elaine hieß sie” sagte sie ruhig. Ich sah, wie der Blonde auf den Tisch starrte und ein Muskel an seinem Kiefer zuckte.

“Ihr kennt sie? Ist sie hier?” fragte ich.

“Sie ist tot” sagte der Dunkle kalt. Ich riss die Augen auf. Das durfte nicht wahr sein. Das war meine Schuld! Ich hatte doch gleich gedacht, dass sie verwirrt aussah. Ich hätte die Polizei anrufen sollen.

“Das tut mir furchtbar leid. Was ist passiert?” Rayan stand auf, verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und fing an sich im Raum langsam zu bewegen. “Sie wurde von den Männern getötet, welche du im Wald gesehen hast. Die mit dem rasierten Kopf.” Taubheit überfiel mich. Ich wäre tot, wenn der Dunkle nicht wäre ging mir durch den Kopf.

“Unsere Mutter wurde ermordet” sagte der Dunkle ruhig. Seine Mutter wurde ermordet? Himmel und Hölle. Was hatten diese Jungs nur alles durchmachen müssen?

“Das ist grausam. Mein Beileid, ich weiß genau wie es sich anfühlt, die Mutter zu verlieren. Aber was hat das mit Elaine zu tun?” fragte ich.

“Sie war unsere Mutter” flüsterte der Blonde. Ich schauderte und glotzte ihn regelrecht an. Die verwirrte tote Schönheit war ihre Mutter?

Ein Gedanke kam mir auf. “Das kann nicht sein” sagte ich. “Die Frau war jung. Ungefähr in meinem Alter würde ich sagen. Wieso lügt ihr mich alle an?” entgegnete ich und sah den Dunklen wieder an. Der Ader an seiner Schläfe pochte.

Rayan wandte sich an mich und sagte “Sie starb vor dreiundzwanzig Jahren im Alter von dreißig.” Ich sah ihn entgeistert an. Ich hörte mich selbst verständnislos lachen. "Das ist doch ein Scherz nicht wahr? Ihr macht euch lustig über mich."

"Mit dem Tod scherzt man nicht Kind! Über den der eigenen Mutter erst recht nicht." belehrte mich Jandra. Was redeten sie da? Das ergab alles keinen Sinn. Wenn sie vor dreiundzwanzig Jahren starb, konnte die Frau im Markt gar nicht sie gewesen sein. “Was?” war das einzige was ich hervor bringen konnte.

 

 

Jandra stand auf und sagte “Das alles wird zu viel für Sie. Ich mache es kurz und für das Erste muss das reichen.” Sie kam um den Tisch herum zu mir. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah sie an. Mit ruhiger, warmer Stimme sagte sie “Du musst deinen Geist öffnen Kind. Heiße die Gabe willkommen und öffne deine Barrieren.” Dabei legte sie sanft ihre Hand auf mein Stirn und ich hörte noch “Sehe was ich gesehen habe mein Kind! Öffne dich und sehe richtig!”

Ein helles Licht umhüllte mich und der Raum um mich herum verschwand wie ein Nebel aus meinem Blickfeld. Ich war in einem weißen grellen Licht gefangen. Kein Boden, keine Wände, als ob ich körperlos in einem Nichts wäre. Und stand plötzlich in meiner Wohnung. War ich wieder zurück? Nein. Lasst es mich anders formulieren. Ich sah mich selbst in meiner Wohnung. Mein anderes Ich sah sich im Spiegel an, drehte sich einmal und lächelte über Ihr herumwirbelndes Kleid. Dann kam sie auf mich zu. Sie hielt inne und griff nach der Kette in der Kiste, um sie anzulegen.

Sie stockte plötzlich als sie danach einen Schritt tat. Sie schloss ihre Augen. Als sie taumelte sah ich alles wie in einem Zeitraffer. Unendlich langsam schwankte sie mal zur linken und dann zur rechten Seite. In dieser Geschwindigkeit sah das aus wie ein Wehen im Wind. Wie ein lieblicher Tanz. Sie runzelte die Stirn als ihr Körper warm und gelblich glühte. Ihre Haut schimmerte golden als sie unendlich langsam sich auf den Boden gleiten lies. Wie eine Sternschnuppe ging mir durch den Kopf. Bevor sie den Boden unter sich hatte änderte sich ihre Umgebung in rasender Geschwindigkeit. Urplötzlich befand sie sich auf rotem Sand mit einem rötlichen Himmel über sich. Dann änderte sich der Ort zu einer niedrigen, dunklen Höhle mit mehreren verschlungenen Auswegen. Daraufhin gleich wieder zu einem anderen hellen Ort. Meeresrauschen und Möwengesang drangen in meine Ohren und ich hatte Salzgeschmack auf der Zunge. Als sie sich endlich hinsetzte befand sie sich auf weichem, grünen Gras. Während sie die Hand zu Ihrer Schläfe führte kam ein Wind auf und umwirbelte sie wie ein Tornado. Sie schien nicht zu merken, dass ihre langen Haare wild in der Luft tanzten. Der Wirbelwind löste sich schleichend auf als sie fröstelnd ihre Augen öffnete. Im selben Moment fiel das goldene Schimmer rieselnd von ihrer Haut und verschwand. Sie saß in einer kleinen grünen Lichtung mitten im Wald.

 

 

Ich riss die tränenverschleierten Augen auf. Ich keuchte und hustete mit trockener Kehle. Ich konnte nicht atmen und explodierende Sterne tanzten vor meinen Augen. Ich hielt mich eisern an etwas fest. Ich zog an ihm und schnappte nach Luft. Wieso half mir denn keiner? Wieso konnte ich nicht atmen? Alles drehte sich. Meine Knie gaben nach und ich spürte wie ich hochgehoben wurde. Rasselnd atmete ich verzweifelt tief ein und spürte Tränen auf meinen Wangen. Alles war verschwommen und ich fiel. Ich spürte wie ich fiel und fiel und der rasender Fall kein Ende nahm. Schluchzend packte und zerrte ich entsetzt an dem Stoff unter meinen Händen. Ich fiel und fiel und suchte nach Halt. Ich spürte warmes Atem an meiner Stirn. Jemand drückte mich fest an sich und redete mir beruhigend zu. Ich nahm noch wahr, wie ich erschlaffte und mein Kopf nach hinten fiel. Alles wurde schwarz.

 

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Tag der Veröffentlichung: 28.05.2015

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