Aaron hatte das Gefühl, als würde sein Kopf in einer Schraubzwinge stecken. In dem Maße, wie er aus dem ihn einlullenden, diffusen Nebel der Ohnmacht erwachte, wurde der pochende Schmerz in seinem Kopf stärker. Selbst die Augen schmerzten Aaron inzwischen. Er hielt die Lieder geschlossen. Dennoch blendete ihn die Helligkeit und mischte sich mit dem Schmerz, der ihn so peinigte. Er spürte die Trockenheit in seinem Mund, das Brennen in seiner Kehle ebenso wie die zunehmende Übelkeit, die seinen Magen schnürte. Aaron fühlte sich matt und schwer. Er hatte nicht die Kraft, die Augen zu öffnen oder sich gar zu erheben und der Übelkeit Tribut zu zollen. Lethargie hatte von ihm Besitz ergriffen. Seine sonst so regen Sinne und Gedanken waren entschwunden.
Er ließ es geschehen.
Kämpfte nicht.
Fiel.
Als Aaron wieder erwachte, fühlte er sich etwas besser. Er nahm die auf ihm liegende Sonnenwärme wahr, ebenso die fremdartigen Geräusche und Gerüche um ihn herum. Schon konnte er das Rauschen des Meeres ausmachen und dessen Geschmack in seinem Mund. Drängender wurde der Durst. Er musste aufstehen, unbedingt etwas trinken. Zögernd öffnete Aaron die Augen, gewöhnte sich allmählich an die Helligkeit. Er spürte den Strand auf dem er lag und die Wellen, die seinen Körper teilweise und mit regelmäßiger Wiederkehr umspülten. Als eine größere Woge sein Gesicht benetzte, zwang sich Aaron, dem Nass zu entfliehen. Mühsam winkelte er Arme und Beine an, richtete sich auf, bis er mit den Armen abgestützt kniete. Er rang nach Atem, befreite hustend seine Lungen, schöpfte Kraft, um sich sodann unter Aufbietung allen Willens, der ihm verblieben war, vollends aufzurichten. Mit kraftlosen Beinen stolperte er vorwärts, weg vom Meer, weg vom Sand, dessen Kratzen Aaron bereits am ganzen Körper verspürte, hin zu einigen schattenspendenden Bäumen, die er mit angestrengtem Blick ausgemacht hatte. Dort angekommen ließ er sich, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, zu Boden gleiten. Keuchend blieb er sitzen und verweilte, um sich von der Anstrengung zu erholen. Mühsam kämpfte er gegen den ihn überkommenden Schlaf, zwang die Augen auf und seine Sinne. Mit der Zeit gelang es Aaron, sich zu orientieren. Müde ließ er den Blick schweifen, erfasste die Weite des vor ihm liegenden Ozeans, dessen friedlicher, gleichmäßiger Gesang nicht über jene Tragödie hinwegtäuschen konnte, derer sich Aaron nur zu deutlich erinnerte.
*
Dabei hatten die Ferien, die letzten zwischen den Schuljahren und vor seinem Abitur, so verheißungsvoll begonnen. Aaron war eingeladen worden von entfernteren Verwandten, über die hinter vorgehaltener Hand und stets ehrfürchtig flüsternd berichtet wurde, dass sie reich seien bis zum Abwinken. Auf einigen größeren Familienfesten hatte Aaron sie kennenlernen dürfen. Sie kamen selten und wenn, dann mit der selbstverständlichen Erhabenheit, die dem Bewusstsein entspringt, sich in jedweder Hinsicht von der Masse abzuheben. Dass man sich in diesem Sommer seiner erinnerte, mochte mit dem etwa gleichaltrigen Sohn des Hauses zusammenhängen, für den man sich die Verantwortung für einen Gast wünschte, der aus einer Welt kam, die mit der gewöhnlichen Übung so gar nichts gemein hatte. Die Begeisterung des Stammhalters, welcher auf den Namen eines Großen hörte, etwas anderes war bei der Namensfindung nicht in Betracht gekommen, hatte sich in Grenzen gehalten. Doch die angedrohte Streichung bestimmter Zuwendungen war für Alexander Überzeugung genug, sich dem elterlichen Diktat zu beugen und des ärmlichen Verwandten anzunehmen. All das ahnte Aaron, als er die Einladung annahm und doch störte es ihn nicht. Denn die Aussicht, mit einer Segelyacht auf dem Pazifik zu kreuzen, war Verlockung genug, die Widrigkeiten und den langen Flug in Kauf zu nehmen.
So kam es, dass Aaron auf dem Flughafen der nächst größeren Stadt des familiären Urlaubsortes vom Chauffeur der Gastfamilie in Empfang genommen wurde. Hatte Aaron auch nicht mit Herzlichkeit anlässlich seiner Ankunft gerechnet, so ließ ihn die distanzierte Kühle des Bediensteten leicht erschaudern. Wie nicht anders zu erwarten war, fiel der Empfang in der pompösen Villa, welche die Familie zu ihrem Feriendomizil erkoren hatte, nicht minder frostig aus. Aaron war auf sich gestellt und hätte ihm das negride Dienstmädchen nicht den Weg zum Gästezimmer gezeigt, wäre er wohl erst des Morgens und noch immer in der Diele stehend aufgefunden worden. Er war sich sicher, dass hiervon niemand Notiz genommen hätte. So aber bezog er ein Zimmer, welches die Größe des elterlichen Wohnzimmers hatte und wenn auch nicht üppig, so doch stilvoll eingerichtet war. Alexander sah er erst zum Abendessen wieder, der von Aaron keinerlei Notiz zu nehmen schien. Zumindest gefiel es ihm, seinen „Schützling“ mit Ignoranz zu strafen und auf diese Weise klarzumachen, dass Aaron auch in den kommenden drei Wochen, da sie auf See sein würden, nicht mit ihm zu rechnen brauche.
Die Vorfreude auf das größte Abenteuer seines jungen Lebens lockte Aaron zeitig aus dem Bett, ließ ihn geschwind die Morgentoilette hinter sich bringen und die Tasche fertig packen. Schon klopfte es dezent an seiner Zimmertür und das Dienstmädchen lud ihn zum Frühstück. Seine Unruhe, die Aaron trotz größter Anstrengung nicht völlig zu verbergen vermochte, entlockte dem Hausherrn ein müdes Lächeln. Alexander jedoch stöhnte genervt und verkündete, seine Koffer noch packen zu wollen.
Es war ein strahlender Morgen, an dem sie einschifften. Die jungen Herren waren standesgemäß mit dem Maybach der Familie vorgefahren. Bereits als Aaron in das Luxusgefährt eingestiegen war, hatte ihn die mürrische Stimmung, mit der ihn Alexander bedachte, davon abgehalten, die auf seiner Seele brennenden Fragen loszuwerden. Er hatte nichts anderes erwartet, war er doch nur gelitten, nicht aber erwünscht. Dennoch ließ sich Aaron nicht entmutigen und hoffte, auf dem Schiff neue Kontakte knüpfen zu können. Die Kargheit seines bisherigen Lebens hatte ihn hungrig gemacht, hungrig auf das Besondere, Exklusive. Mit dieser Reise sollten all seine Sehnsüchte in Erfüllung gehen, so hoffte er jedenfalls und war bereit, hierfür einiges zu ertragen.
Am Kai angekommen klebten schon beim Verlassen des Wagens Aarons Augen an dem stolzen Segelschiff, einem Zweimaster mit dem stolzen Namen „Artemis“. Die frische Farbe glänzte in der Sonne und hoch hinauf reckten sich die Masten. Der Anblick der Yacht nahm ihn derart gefangen, dass erst ein unsanfter Stoß in die Rippen ihn aus den Träumen zu reißen vermochte. Missmutig knurrte ihn Alexander an und deutete auf das Reisegepäck, welches der Chauffeur bereits auf einen dafür vorgesehenen Wagen gelegt hatte. Ohne sich weiter um die Gepäckstücke zu kümmern stolzierte Alexander auf eine Gruppe von fast zwanzig Mädchen und Jungen zu, die etwa in ihrer beider Alter waren und sich lärmend vor der Anlegestelle aufhielten. Alexander wurde sogleich mit großem Hallo begrüßt, die Mädchen umarmten und küssten ihn, die Jungen zogen ihn kurz an ihre Brust oder klatschten ab. Obgleich Aaron einem Lakaien gleich mit dem Gepäck hinterzog, konnte auch dies nicht seine gute Laune und die freudige Erwartung dämpfen. Immer noch lächelnd erreichte er die Gruppe, die ihn anfänglich ignorierte, wie man dies mit Personal zu tun pflegte. Als sich Alexander jedoch gemüßigt fühlte, den aufgedrängten Gast vorzustellen, musterten Aaron neugierige Blicke. Freundlich grüßte er in die Runde, erwiderte das gelegentliche Nicken, ignorierte das ein oder andere spöttische Lächeln. Als man sich schließlich daran machte, das Schiff zu besteigen, wurden ihnen die Koffer von eilfertigen Matrosen abgenommen und sie vom Skipper jenes Schiffes begrüßt, welches nun für drei Wochen ihr Zuhause sein sollte.
Jeder der Passagiere erhielt eine eigene Kabine. Aaron hätte es nicht gestört, mit Alexander oder einem der anderen Jungen eine Unterkunft zu teilen, aber den Luxus eines Rückzugsgebietes, das nur ihm gehören sollte, sowie die Gnade eines eigenen Bades, verachtete er nicht. Auch war er dreist genug, um sich von den anderen nicht ausschließen zu lassen. Denn obgleich er zwar höflich, aber doch distanziert behandelt wurde, ließ er sich hiervon nicht abschrecken und gesellte sich stets und ohne Scheu zu der Gruppe. Die Aufregung über den Fremdkörper in ihrer Mitte legte sich in dem Maße, wie ihre Reise vorankam.
Die „Artemis“ nahm bald ruhige Fahrt auf und brachte die wertvolle Fracht auf Ferienkurs. Eine ganze Schar dienstfertiger Geister sorgte nicht nur für das Schiff, sondern sich auch um das Wohl der Gäste. Aaron genoss es, derart umsorgt zu werden, ihm gefiel der ungewohnte Luxus. Mit alles Sinnen nahm er das Leben auf See, den Geschmack des Meeres und den strahlenden Sonnenschein, der alles gleich vollkommen erscheinen ließ, tief in sich auf, um noch lange davon zehren zu können. Magisch zog ihn das Schiffsdeck an, auf dem sich alsbald die Passagiere leicht bekleidet tummelten, sich sonnend und mit allerlei Späßen und Spielen die Zeit vertrieben. Schnell hatte Aaron einen Lieblingsplatz gewählt, von dem aus er das bunte Treiben bestens im Blick hatte. Er liebte es, die vom schützenden Öl glänzenden Leiber der Mädchen und Jungen zu beobachten, das anmutige Spiel geschickt in Szene gesetzter Kurven und Muskeln zu bewundern.
Es war wohl auch seinem angenehmen Äußeren und trainierten Körper, dem durchaus schön zu nennenden Gesicht geschuldet, dass Aaron von den meisten aus der Gruppe allmählich akzeptiert und in das Bordleben einbezogen wurde. Insbesondere die Mädchen betrachteten ihn wohlwollend, wenn sie an Deck spärlich bekleidet den jungen Männern zusahen und sich auffallend unauffällig über die Vorzüge des jeweiligen Boys unterhielten. Wenn er sich auch nicht wie die anderen Hähne spreizte, so wusste Aaron sehr wohl um seine Wirkung und genoss die begehrlichen Blicke. Dabei war es ihm gleich, ob es die der Mädchen oder des ein oder anderen Jungen waren. Er hatte bereits Erfahrungen mit beiden Geschlechtern sammeln können und war keiner Seite abgeneigt. Jedes der Geschlechter hatte Vorzüge, die ihn ansprachen, die er nicht missen wollte. Freilich konnte er auf Anfeindungen engstirniger Moralisten verzichten und lebte seine Sexualität nicht offen aus. Aber Aaron hatte die Erfahrung gemacht, dass seine Jugend, sein Aussehen und die offene Art, wie er mit Sex umging, es ihm leicht machten, an beiden Ufern zu fischen. Er liebte seinen Körper, war stolz auf die durch hartes Training gut definierten Muskeln und die makellose Haut, welche sie umgab. Das Gefühl, begehrt zu werden, und sei es um seines Äußeren willen, versetzte ihn geradezu in Hochstimmung, barg es doch ein Stück Anerkennung für jemanden aus einfachen Verhältnissen.
Schnell gewöhnte sich Aaron an den trägen Fluss der Zeit auf dem Schiff, konnte alsbald einschätzen, wer von den Mitreisenden ihm wohl gesonnen und wem er gleichgültig war. Er suchte nicht zu ergründen, weshalb ihn Alexander weiterhin ignorierte. Die Ablehnung schmerzte ihn nicht, hatte Aaron doch nichts anderes erwartet. Umso erstaunter war er, als eines Tages Timothy, einer von Alexanders Freunden, mit der Aufforderung an ihn herantrat, zur Gruppe der Jungen zu kommen. Neugierig leistete er Folge, trat hinzu, erwartet von spöttischer Arroganz, die ihn auf alles gefasst sein ließ. Das ungute, mulmige Gefühl, das ihn dabei beschlich, schien sich zu bestätigen, als ihm sodann die Bedingungen für die Aufnahme in den erlauchten Freundeskreis offenbart wurden.
Es war Aaron sofort klar, dass er nicht ablehnen konnte, wollte er die Ferien ungestört genießen. Mit bangem Blick sah er den höchsten der Masten hinauf bis zur Spitze, wohin er nun steigen sollte, um dort seine Badeshorts einer Flagge gleich zu befestigen. Seine Gedanken überschlugen sich. Krampfhaft suchte er nach einem Ausweg aus dieser misslichen Lage, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Aber all seine Überlegungen, wie er der Höhe des Mastes und dessen bedrohlichem Schwanken entrinnen könnte, verwarf er unter dem Eindruck zunehmender Häme, die sein Zögern auf die Gesichter der Umstehenden zeichnete. Aaron ärgerte es, dass er sich um seiner Anerkennung willen solcher Gefahr aussetzten musste, während sie den anderen quasi in den Schoß gefallen war. Aber es änderte nichts, gleich wie er es drehe und wendete, er war der Außenseiter, der sich in eine festgefügte Clique drängte oder zumindest an deren Luxusleben partizipieren wollte. Die anderen hatten all das, was er zumindest zum Teil begehrte. Das breite, verächtliche Grinsen Alexanders gab ihm den nötigen Ruck, sich dem Unvermeidlichen zu fügen und so machte er sich daran, die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen.
Um nicht die Badeshorts hoch oben im Mast ausziehen zu müssen, streifte Aaron sie bereits vor seinem Aufstieg ab, was ihm anerkennendes Johlen und Pfeifen einbrachte. Er wusste, dass er sich seines Körpers auch in dieser Hinsicht nicht schämen musste und zeigte offen, was er zu bieten hatte. Allein Alexanders entgleister Blick schien es ihm wert, sich so zu präsentieren. Schon erklomm er zügig den Mast, bemüht nicht darüber nachzudenken, was er hier tat, und vor allem nicht nach unten zu schauen. Den Blick fest auf das Ziel gerichtet, erklomm er die seilernen Sprossen. Schon bald spürte er den Verlust an Kraft und Geschwindigkeit, das Brennen in Beinen und Armen. Verbissen kämpfte er sich, die Zähne fest in die Shorts gegraben, nach oben. Als er schließlich am Ende seiner Kräfte und völlig außer Atem dort anlangte, befestigte er mit fliegenden Händen und zitternden Knien die Hose. Mühsam ignorierte er seine körperliche Schwäche ebenso, wie das flaue Gefühl, welches unter dem Eindruck des schwankenden Mastes zunehmend von seinem Magen Besitz ergriff und ihn zur Eile mahnte.
Nach erfolgreicher Verrichtung machte sich Aaron, so schnell es ihm seine verbliebenen Kräfte erlaubten, auf den Rückweg, streng darauf bedacht, keine der Sprossen zu verfehlen. Auf dem rettenden Deck angekommen zitterten ihm die Beine nicht nur vor Anstrengung und doch durchfloss ihn ein nie erlebtes Glücksgefühl, als ihm die anderen anerkennend auf die Schultern schlugen und ihn hochleben ließen. Selbst Alexander kam nicht umhin, ihm Anerkennung zu zollen. In der Woge des Überschwangs verwarf Aaron den Gedanken, sich eine andere Badeshorts zu holen und seine Blöße zu bedecken, denn schließlich hatten sie ihn, gleich ob Mannschaft oder Passagiere, bereits in seiner ganzen Pracht gesehen. Und als einige Drinks später zur hellen Freude der Mädchen auch die übrigen Jungen begannen, sich ihrer restlichen Bekleidung zu entledigen, rückte das letzte Zipfelchen von Schamhaftigkeit in weite Ferne.
Der so gewonnenen Freizügigkeit, welche ab jenem Tag ihr ständiger Begleiter werden sollte, wollten die Mädchen nur mit ihren Bikini-Oberteilen folgen. Nur zu den Mahlzeiten kleidete man sich, um angemessen zu speisen. Dass diese Entwicklung bei der Mannschaft nicht ungeteilt willkommen geheißen wurde, bestärkte die Jugendlichen eher in ihrem Treiben, als dass es sie davon abhielt, sich rundherum bräunen zu lassen. Insbesondere einer der Matrosen bedachte ihre Dekadenz aus dunklen, feurigen Augen und ob seines hohen Wuchses von oben herab mit missbilligenden Blicken sowie Worten und handelte sich schließlich einen Rüffel des Skippers ein, der hierzu vom Sohn des Schiffseigners angehalten worden war. Die nachfolgende Schäh und zotige Belästigung ertrug der so Getadelte fortan mit grimmiger Miene. Aaron kümmerte sich nicht um all jene Querelen, zu sehr genoss er es in jenen Momenten der Nacktheit, Gleicher unter Gleichen zu sein.
*
Die lebhafte, glückliche Erinnerung konnte Aaron doch nur ein müdes Lächeln auf die Lippen zaubern, wurden doch die angenehmen Gedanken von jenen des Grauens überschattet. Es fror ihn mit einem Mal. Der erlebte Horror echote in seinem Körper und ließ ihn zittern. Unfähig, für seine Rettung zu danken, versank er nun in einem Meer von Tränen, die ihm unter lautem Schluchzen über die Wangen liefen.
Der Sturm war nicht unerwartet in den Abendstunden gekommen. Auch nicht die Wetterunbilden, die mit ihm einhergingen. Wohl aber die elementare Kraft, welche das Schiff trotz aller Gegenwehr auf eines der Riffe zugetrieben hatte, die jene Insel, auf der sie einige Tage den Strand genießen wollten, vorgelagert waren. Noch immer konnte Aaron das fürchterliche Geräusch splitternder Planken hören, das Gurgeln eindringenden Wassers, die gellenden Schreie der um ihr Leben Kämpfenden. Das herrschende Chaos und die vorangegangene Sorglosigkeit hatten eine Wasserung der Rettungsboote unmöglich gemacht. Eine mächtige Welle war über dem sich bedrohlich neigenden Schiff zusammengeschlagen, hatte alles darauf mit sich in die Tiefe gerissen. Auch Aaron, der wie die anderen Jungen der Mannschaft zu Hilfe geeilt war, fand sich unversehens in der tobenden See wieder und hatte voller Panik versucht, Oberwasser zu gewinnen. Erst ein heftiger Schlag an seiner linken Schulter ließ ihn auf den treibenden Holzbalken aufmerksam werden und sogleich nach Halt suchen. Derart festgeklammert hatte er sich notgedrungen den Elementen überlassen, das nahe Ende vor Augen, die vom Sturm verwaschenen Schreie der anderen in den Ohren.
Aaron konnte nicht mehr sagen, wie lange er im Wasser getrieben hatte und wie er es vermochte, sich trotz schwindender Kräfte an dem rettenden Holz festzuhalten. Auch konnte er nicht den Zeitpunkt benennen, zu dem der Sturm nachgelassen hatte und ihm, noch immer an den Balken geschmiegt, die Augen vor Müdigkeit zugefallen waren. Es war für ihn ein Wunder, schließlich an den Strand gespült worden und noch am Leben zu sein.
Die Tränen benetzten seine Wangen und ließen seine Augen heiß brennen. Aaron hatte aufgehört, sie mit dem Handrücken zu trocknen, sich über die feucht triefende Nase zu wischen. Es nutzte alles nichts. Er konnte nichts ungeschehen machen, die Zeit nicht zurückdrehen. Aber er konnte jene bemitleiden, die es nicht geschafft hatten.
Und sich.
*
Als schließlich der Quell versiegt war, die Sonne sein Gesicht getrocknet hatte und nur noch die Traurigkeit geblieben war, gewann quälender Durst die Oberhand und zwang Aaron aus seiner Lethargie. Er musste Wasser finden, wollte er nicht zugrundegehen. Langsam richtete er sich auf, überrascht von der Steifheit seiner Glieder. Mit der Hand an den Baum gestützt, der ihm zuvor als Rückenlehne gedient hatte, wartete er, dass seine Beine ihren Dienst wieder ordnungsgemäß aufnahmen und sah sich um. Die in Ufernähe nur spärlich wachsenden Bäume mündeten alsbald in ein grünes Dickicht, aus dem mannigfaltige Laute zu ihm herüberschallten. Über den Wipfeln der Palmen erhob sich ein kegelförmiger Berg, der völlig bewaldet war. Nirgends waren Spuren von Zivilisation auszumachen.
Aaron war sich sicher, in Richtung der Anhöhe Wasser zu finden und machte sich daran, die grüne Wildnis zu erobern. Schmerzlich vermisste er seine Schuhe und auch die leichte Tuchhose sowie das kurzärmelige T-Shirt, welche er zum Abendessen getragen hatte, boten wenig Schutz vor den Pflanzen, die er mit bloßen Händen zur Seite schieben musste, als er in das Dickicht eindrang. Er hatte kein Auge für die üppige Vielfalt, die Farbenpracht, welche ihn nun umgab. Zu angestrengt lauschte er, um das typische Geräusch fließenden Wassers auszumachen. Nach einigen hundert Metern vermeinte er tatsächlich, das Rauschen von Wasser zu hören. Aufgeregt beschleunigte er sein Vorankommen. Immer lauter drang das Geräusch zu ihm, bis Aaron schließlich staunend vor einem kleinen Wasserfall stand, dessen kühles Nass sich in ein fast kreisrundes Becken ergoss, von wo aus es einem Überlauf gleich als munterer Bach abfloss.
Vor Erleichterung lachend stürzte sich Aaron geradezu in das Wasser, tauchte ein in die angenehme Kühle. Als er den Fall erreichte, stellte er sich unter ihn, führte mit der hohlen Hand Wasser in seinen Mund und ließ sodann mit zum Himmel gerecktem Kopf und genussvoll geschlossenen Augen all den Schweiß und Schmutz, seine Ängste und Beklemmungen hinfort spülen. Längst klebten die wenigen Kleider an seinem schlanken Körper. Aber es störte ihn nicht. Er war glücklich, eine Chance zum Überleben erhalten zu haben. Erst als das Wasser seinen Körper auszukühlen drohte, verließ er den Teich, stellte sich zum Trocknen in die Sonne und beobachtete fasziniert den Regenbogen, den das helle Licht auf die vom Fall millionenfach aufgewirbelten Wassertropfen zeichnete.
Da er nun auch Hunger verspürte, ließ Aaron seinen Blick schweifen und entdeckte voller Freude eine Bananenpflanze, an der Stauden mit unterschiedlich reifen Früchten hingen. Beherzt löste er einige Bananen und verschlang sie mit großem Appetit. Derart gesättigt beschloss er, zurück zum Strand zu gehen, in der Hoffnung, auf weitere Überlebende zu treffen und eine Möglichkeit zu finden, wo er des Nachts würde ungestört schlafen können. Tatsächlich fand er zu einer Stelle am Strand zurück, die der seiner Anlandung recht ähnlich sah. Kurzentschlossen wandte er sich nach links und begann am Strand entlang zu laufen. Die Wellen des anbranden Meeres umspülten dabei sanft seine Füße, als würden sie sich für die erlittene Unbill entschuldigen wollen.
Aufmerksam hielt Aaron Ausschau nach Anzeichen von Menschen oder Treibgut, welches von der Yacht stammen könnte. Sein Blick strich über die nun fast spiegelglatte Meeresoberfläche. Doch er konnte nichts entdecken, nicht einmal die vorgelagerten Riffe, welche ihnen zum Verhängnis geworden waren. Es mochten Stunden gewesen sein, die er erfolglos den Strand abgelaufen war. Die Sonne begann bereits an Kraft und Aaron die Hoffnung zu verlieren. Hunger und Durst ließen ihn schließlich kehrtmachen, wobei er hoffte, die Wasserstelle vor Einbruch der Nacht wiederzufinden. Als es schließlich fast schlagartig dunkel wurde, hatte er jene Stelle noch nicht gefunden. Er haderte mit sich, nicht auf die Zeit geachtet zu haben. Da es keinen Sinn machte, in der Nacht weiterzulaufen, rollte er sich frustriert unter einer Pflanze mit großen, ausladenden Blättern zusammen, den Kopf auf seine Hände gebettet und mit schweren Lidern, die ihm trotz des nun deutlichen Durstgefühls alsbald zufielen.
Mit einem Kribbeln, das seinen ganzen Körper erfasst zu haben schien, erwachte Aaron aus einem traumlosen Schlaf. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und sandte ihre wärmenden Strahlen. Als das Kribbeln schließlich sein Gesicht erreichte, sprang Aaron fast schon panisch auf und entdeckte eine ganze Armee Ameisen auf seiner Kleidung. Schreiend lief er in Richtung Strand, riss sich dabei so gut es ging die Kleider vom Leibe und stürzte sich in die Fluten. Erst als er sicher war, dass sämtliche Plagegeister von seiner Haut und aus dem Haar gespült waren, wagte er es, wieder zum Strand zu schwimmen. Immer wieder prüfte er, ob auch wirklich keine Tierchen mehr auf ihm hafteten, strich über die kleinen roten Stellen auf seiner Haut, die nun empfindlich zu jucken begannen.
Als er nur noch bis zu Hüfte im Wasser war, richtete Aaron den Blick nach vorn zum Strand, wo noch seine in der Eile abgeworfenen Kleider liegen mussten. Starr vor Schreck verharrte er, als er vor sich die Gestalt eines Mannes entdeckte, der auf ihn zu warten schien. Der Schreck wich der Freude, offenbar einen Überlebenden der Katastrophe gefunden zu haben, und mit einem breiten Lächeln im Gesicht strebte Aaron nun eilig dem Ufer entgegen. Das grimmige Gesicht, der dunkle, feurige Blick, mit dem ihn der andere von oben herab bedachte, war ihm jedoch nur zu bekannt. Immer langsamer ging er auf den Matrosen zu und blieb schließlich wenige Meter vor ihm stehen. In dessen Händen entdeckte er ein Bündel, das er als seine abgeworfenen Kleider erkannte. Schweigend standen sie sich gegenüber. Krampfhaft versuchte sich Aaron an den Namen des Matrosen zu erinnern, der irgendetwas mit einem Tier zu tun hatte. Swan, meinte er, sei es gewesen. Sie hatten sich über den Namen lustig gemacht, als würde dieser auf gewisse männliche Attribute hindeuten. Unwillkürlich musste er grinsen, als ihm dies wieder einfiel. Doch dann wurde er sich seiner Blöße bewusst und der Blick darauf war Aaron nun unangenehm. Seine Bemühungen, sie mit den Händen zu bedecken, bedachte Swan mit einem abschätzigen Schnauben.
„War ja klar, dass du das hier alles als Spaß siehst.“
Voller Unverständnis sah ihn Aaron an.
„Aber das ist kein Spaß und das Lachen wird dir noch vergehen. Niemand wird dich hier bedienen und dir den Hintern abwischen. Die Zeiten sind vorbei. Ein für allemal.“
Der rüde Ton machte Aaron wütend. Als ob er zum Vergnügen ins Meer gesprungen, ihm das Schicksal des Schiffes und der Menschen darauf gleichgültig, ihm der Ernst der Lage nicht bewusst wäre. Was dachte der sich?!
„Du blöder Arsch“, keifte Aaron zurück. „Ich brauche deine Hilfe ganz bestimmt nicht. Und scheißen kann ich auch schon alleine.“
„Wir werden sehen“, grinste Swan selbstgefällig und wandte sich zum Gehen.
„He, meine Sachen! Gib mir gefälligst meine Sachen wieder“, forderte Aaron lautstark dem Matrosen hinterher.
„Die brauchst du doch nicht“, höhnte es vor ihm. „Zeigst dich ja gerne ohne alles, du kleiner Perverser.“
Mit einem wütenden Aufschrei stürzte sich Aaron auf ihn. Die Attacke war jedoch erwartet worden und so rannte Aaron geradewegs in eine Rechte, die ihn von den Füßen riss und sämtliche Sterne des Firmaments sehen ließ. Stöhnen griff er nach seinem schmerzenden Kinn, spürte jeden seiner Zähne, die zum Glück vollständig zu sein schienen. Reflexartig duckte er sich, als ihm seine Kleider ins Gesicht geworfen wurden.
„Halt dich fern von mir“, knurrte Swan bedrohlich.
Pah, als ob er die Gesellschaft dieses Grobians suchen würde!
„Fick dich“, brüllte Aaron und erntete doch nur ein lautes Lachen und den ausgestreckten Mittelfinger des anderen.
Vor Wut hätte er heulen können. So ein Arschloch. Wieso musste ausgerechnet dieser Idiot überleben. Es gab so viele nette Mädchen und Kerle an Bord. Aber ausgerechnet der … Aaron seufzte, es hatte keinen Sinn, sich den Kopf über den Kerl weiter zu zerbrechen. Er hatte Durst und Hunger. Außerdem brauchte er ein Dach über dem Kopf, möglichst ameisenfrei. Also rappelte er sich auf, wischte die Tränen weg und setzte seinen Weg zur Wasserstelle fort, in eben jene Richtung in die auch Swan gegangen war.
Aaron hatte Glück. Er fand auf Anhieb jene Stelle wieder, wo er zur Wasserstelle gelangen konnte. Von Swan zum Glück nirgends etwas zu sehen. Als er getrunken und sich anschließend auch gesättigt hatte, beschloss Aaron, in der Nähe des Standes eine geeignete Stelle zu suchen, um dort für sich eine Hütte zu bauen. Er trug lange Äste und große Blätter zusammen, die er für Errichtung eines Tipi-artigen Unterstandes verwendete. Als er damit fertig war, stand er schwitzend, aber stolz vor seinem Werk. Den Boden legte er mit leichten Materialien aus und schon war das Bett gemacht. Jetzt musste er nur noch alternative Nahrungsquellen erschließen, denn von Bananen allein konnte er sich nicht auf Dauer ernähren.
So zog Aaron wieder am Strand entlang, dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung des Vortages. Vielleicht würde er ja auch noch weitere Überlebende entdecken, denen er sich anschließen könnte. Als er einige Zeit gelaufen war, konnte er entfernt im Meer jene tückischen Riffe ausmachen, denen ihr Windjammer zum Opfer gefallen war. Und auf noch etwas anderes fiel sein Blick. Erst ungläubig langsam, dann jedoch immer schneller rannte er auf die Stelle zu. Tatsächlich hatte er sich nicht getäuscht. Es war eines der Rettungsboote des Zweimasters, auf welchem sogar der Name des Schiffes stand: „Artemis“. Das Boot war gut vertäut an einem halb im Wasser liegenden Baum befestigt und daher nicht zufällig angeschwemmt. Es bot Platz für etliche Menschen. Sicher würden sie hier irgendwo sein. Aaron musste sie nur noch finden.
Aufgeregt blickte er sich um, suchte den Strand ab und das nahe Dickicht. Endlich meinte er etwas Ungewöhnliches im dichten Grün entdeckt zu haben und rannte darauf zu. Schon machte er eine helle Zeltplane aus, die offenbar zu einem Unterstand gehörte. Sogar Rauch konnte er sehen. Hier lebten sicher mehrere Menschen.
„Hallo!“, schrie er noch im Lauf.
Japsend näherte er sich der Stelle. Noch ehe er sie erreichte, stellte sich ihm eine hochgewachsene Person in den Weg, was Aaron abrupt stoppen ließ. Das durfte doch nicht wahr sein. Swan.
„Was an >von mir fernhalten< hast du nicht verstanden?“, schnauzte der ihn an.
Aaron schluckte und versuchte krampfhaft, sein Herz, das noch wie wild schlug, zu beruhigen.
„Haben es noch andere geschafft?“, ignorierte er Swans aggressive Ansage.
„Nein und jetzt hau ab.“
„Ich könnte ein paar Dinge gebrauchen“, hielt Aaron dagegen.
„Hab nichts zu verschenken. Schon gar nicht an solche verwöhnten Bengel wie dich.“
„Aber …“
„Mach endlich die Fliege“, brüllte Swan, „oder ich vergesse meine guten Manieren!“
„Manieren?“, ließ sich Aaron aus der Reserve locken. „Du weißt doch gar nicht, was das ist.“
„Na warte“, rannte nun Swan auf ihn zu.
Aaron wollte es nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung ankommen lassen. Er war sicher kein Schwächling und feige auch nicht. Aber Swan war nicht nur größer als er, sondern hatte auch einen durch harte Arbeit gestählten Körper und noch dazu – weiß Gott warum – unbändige Wut auf ihn. Der war sicher zu allem fähig. Schnell nahm Aaron die Beine in die Hand. Er war schneller als Swan und konnte einigen Abstand zwischen sie bringen. Als er, im Dickicht angekommen, japsend an einem Baum stoppte und hinter sich blickte, war von dem Matrosen nichts mehr zu sehen. Dennoch machte er sich daran, tiefer in den Dschungel vorzudringen, um nicht doch noch diesem wildgewordenen Eber zu begegnen. Die Anstrengung stach in seinen Lungen, als er den Lauf beendete und sich auf den Boden fallen ließ. Wut schüttelte seinen schlanken Körper. Das war alles so unfair. Swan lehnte ihn ab und wollte nicht mit ihm zusammenarbeiten. Dabei war er doch gar kein reicher Schnösel. Und selbst wenn? Was hatte der nur gegen ihn? Tränen rannen erneut über Aarons Wangen. Wie sollte er nur überleben ohne jegliche Hilfsmittel? Er hatte nichts als die Sachen auf seinem Leib. Nicht einmal Feuer würde er machen können. Allein hatte er kaum eine Chance, das war ihm klar. Hoffnungslosigkeit umklammerte sein Innerstes und ließ ihn sich zusammenkrümmen. Womit hatte er das nur verdient? Er war doch erst achtzehn und nun sollte es hier schon zu Ende gehen? Würden ihn seine Eltern vermissen? Seine Geschwister? Freunde? Ein lautes Schluchzen brach sich Bahn und ließ ihn völlig die Fassung verlieren.
Nur langsam beruhigte sich Aaron. Zaghaft versuchte er, seine Optionen zu überdenken. Die Trostlosigkeit seiner Situation schlug ihm förmlich ins Gesicht. Ihm war klar, dass sein Überleben alles andere als gesichert war. Einzig die Hoffnung auf Rettung war ihm geblieben, an diese musste er sich klammern. Die Yacht hatte sicher über einen Peilsender verfügt. Vielleicht hatte auch ein Notruf abgesetzt werden können, bevor das Schiff gesunken war? Man würde nach ihnen suchen. Die Eltern der anderen Jungen und Mädchen waren reich und würden sicher nichts unversucht lassen, sie zu finden und zu retten. Er musste nur bis dahin durchhalten. Irgendwie würde er das schaffen. Ganz sicher. Er musste.
Mit der neu gewonnenen Zuversicht stand Aaron auf und machte sich auf den Weg zurück zu seiner „Hütte“. Okay, sie war erbärmlich, würde aber den Regen abhalten und etwas Schutz vor dem Wind bieten. Er nutzte die Deckung der Vegetation, um nicht Swan doch noch auf den Plan zu rufen, seine Wut an ihm auszulassen. Den aufkommenden Hunger stillte er wieder mit einigen Bananen, den Durst an einem kleinen Wasserlauf. Auch fand er andere Früchte, von denen er einige als essbar befand. Er kannte sie nicht, würde das Risiko aber eingehen müssen, wollte er nicht allein von Bananen leben. Kurz hielt er erschrocken inne, als es vor ihm im Dickicht raschelte. Er hatte schon Swan in Verdacht, ihm doch gefolgt zu sein und war erleichtert, als ein kleineres Wildschwein seinen Weg kreuzte. Die Aussicht, auch Fleisch essen zu können, stimmte Aaron froh. Er würde allerdings ein Messer hierfür brauchen. Vielleicht gab es ja so etwas wie Feuersteine? Damit waren selbst die Urmenschen klar gekommen, weshalb also nicht auch ein so smartes Kerlchen wie er?
Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit erreichte Aaron seine Behausung. Ermattet legte er sich hinein, stützte den Kopf auf seine Arme und ließ den Blick über den unendlich weit scheinenden Horizont schweifen, dorthin, wo sich die Wasser des Ozeans mit dem Grau der anbrechenden Nacht vereinten. Ein aufkommender Wind rüttelte an der Konstruktion aus Holz und Blättern. Sie hielt ihm stand, wie Aaron erleichtert feststellte. Müde rollte er sich zusammen, zog die angewinkelten Beine näher an seinen Körper, um es etwas wärmer zu haben und schlief ein.
Lautes Krachen und ein Schwall kaltes Wasser weckten Aaron. Gleichzeitig fielen Stangen und Blätter auf ihn. Prustend kämpfte er sich ins Freie. Der aufgefrischte Wind zerrte an seiner Kleidung, Regen peitsche ihm ins Gesicht und durchnässte ihn sofort bis auf die Haut. Fluchend besah sich Aaron die Überreste seiner Hütte und suchte nach einem anderen Unterschlupf. Schließlich kauerte er sich hinter einen etwas stärkeren Baumstamm und bedeckte sich mit einigen größeren Blättern. Er fror jämmerlich, seine Zähne klapperten. Als sich der Wind zum Sturm auswuchs, brach die Hölle über ihn ein. Aaron machte sich so klein wie möglich, versuchte auf diese Art weniger Angriffsfläche zu bieten. Erinnerungen an die Nacht des Unglücks wurden wach und er fürchtete um sein Leben.
Der nächste Morgen begrüßte ihn mit sanftem Spiel des Windes, leisem Rauschen der Blätter, wärmenden Sonnenstrahlen und dem vielfältigen Rufen der Wildnis. Es war gerade so, als sei nichts passiert. Allein die leere Stelle seiner einstigen Wohnstatt erinnerte an die wütenden Elemente der vergangen Nacht. Es war zum Verzweifeln. Aaron seufzte schicksalsergeben. Hoffentlich kam bald Rettung. Aber bis dahin musste unbedingt ein Unterschlupf her. Wärmendes Feuer für die doch recht kühlen Nächte wäre auch nicht schlecht. Erneut machte er sich daran, eine Behausung zu errichten. Sie sollte dieses Mal an einen Baumstamm gelehnt und dort befestigt werden. Kleinere Bäume, die er mit roher Gewalt umknickte und mit viel Mühe vom Wurzelwerk löste, wurden herbeigeschafft. Ebenso biegsame Wedel, die er zwischen die einzelnen Stämmchen flocht. Breite Blätter bildeten das Dach. Er hatte konzentriert gearbeitet, sich lediglich zum Trinken und Essen eine Pause gegönnt. Kritisch betrachtete er schließlich sein Werk, rüttelte prüfend daran und hoffte, dass es den nächsten Sturm überstehen würde.
Wie schon zuvor hatte Aaron Bananen gegessen. Der Gedanke an Fleisch oder Fisch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Aber dafür würde er ein Messer brauchen, das er nicht hatte. Dennoch versuchte er sich mit Fischen. In einer stilleren Bucht hatte er im klaren Wasser Fische ausmachen können. Er versuchte, sie mit bloßen Händen zu fangen, aber die Biester waren schnell und nicht darauf erpicht, in einem nicht vorhanden Kochtopf zu landen. Aaron staunte nicht schlecht, als es ihm nach etlichen Fehlschlägen dennoch gelang, einen der Fische an Land zu schleudern. Eilig folgte er ihm, damit sich der Fisch nicht wieder ins Wasser retten konnte. Mit einem Stein machte er dessen Kampf ein Ende. Voller Stolz kehrte Aaron mit seinem Fang zur Hütte zurück und versuchte sich dort in der Kunst des Feuermachens. In Filmen, die er mal gesehen hatte, sah es so leicht aus. Nur zwei Hölzer, etwas trockenes Gras und schon würde ein wärmendes Feuer lodern. Voller Zuversicht machte er sich ans Werk. Nach gefühlten Stunden warf er frustriert die Hölzer von sich. Den Fisch roh zu verzehren, konnte er sich nicht überwinden. Es musste Feuer her. Swan hatte welches, aber gab nichts her. Ihn nochmals zu bitten würde sicher nichts bringen. Wiederum würde der gar nicht merken, wenn etwas Glut fehlte, die Aaron im Loch eines stärkeren Astes transportieren wollte. Es ging nicht anders.
Aaron fand Swans Unterkunft verlassen vor. So sehr er auch in seinem Versteck Ausschau hielt, er konnte diesen Mistkerl nicht entdecken. Nun hieß es schnell handeln. Immer noch jede Deckung nutzend, überwand er die letzten Meter. Magisch zog ihn die schwache Rauchsäule an, welche die begehrte Glut versprach. Aaron hielt sein Transportholz bereit. Als er die Feuerstelle erreichte, stieß er es hinein, sodass einige Glutbrocken in der Aussparung hängen blieben. Schon wollte er den Rückzug antreten, als sein Blick auf ein kleines, einfaches Messer fiel, welches neben der Feuerstelle auf dem Boden lag. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff er danach und machte, dass er das schützende Dickicht erreichte. Kaum hatte ihn die Vegetation verschluckt, verharrte Aaron, lauschte, ob ihm jemand folgte. Aber alles blieb ruhig. Auch der sichernde Blick ließ ihn Swan nirgends entdecken. Erleichtert atmete er auf. Stolz über seinen Raub machte er sich auf den Weg zu seiner Behausung.
Voller Tatendrang entfachte Aaron mit der Glut ein Feuer, fütterte es erst mit kleineren Ästen, dann aber mit größeren Holzstücken. Als er sich sicher sein konnte, dass es nicht wieder einfach erlöschen würde, machte er sich daran, seinen Fisch zu putzen und auszunehmen. Auf einem Zweig aufgespießt hielt er ihn schließlich über die Flammen, drehte und wendete ihn und sog schon bald genüsslich den Duft seines Mals ein. Kaum konnte er erwarten, dass der Fisch gar war. Trotz seines großen Appetits zwang er sich, den richtigen Moment abzupassen, um dann langsam und mit Bedacht den Fisch zu verspeisen. In jenem Moment glaubte er, noch nie etwas Köstlicheres gegessen zu haben. Dabei mochte er eigentlich Fisch nicht besonders, aber hier auf dieser abgeschiedenen Insel war alles anders. Nachdem noch zwei Bananen hatten dran glauben müssen, war Aaron satt und zufrieden. Wohlig streckte er sich aus, genoss die vom Feuer ausgehende Wärme, das Knistern und Prasseln der Flammen. Nun, da er auch ein Messer hatte, beschloss er, am nächsten Tag ein kleineres Tier, einen Vogel vielleicht oder einen Nager zu jagen.
Er musste eingeschlafen sein, denn Aaron schrak von einem heftigen Schlag gegen seine Beine hoch. Verwirrt blinzelte er auf die vor ihm stehende Gestalt. Als ihm klar wurde, wer da vor ihm stand, versuchte er aufzuspringen und zu flüchten. Ein gezielter Tritt in die Seite vereitelte seinen Fluchtversuch. Vor Schmerz keuchte Aaron auf, hielt sich an der getroffenen Stelle und versuchte, nun zu Swan gewandt, rückwärts kriechend Abstand zwischen sie zu bringen. Ein fester Griff in seine blonden Haare hielt ihn jedoch davon ab und laut aufschreien.
„Mein Messer“, bellte Swan ungerührt.
Obwohl die Kopfhaut höllisch brannte und er sich im Klaren war, gegen Swan nicht wirklich eine Chance zu haben, war Aaron entschlossen, das Messer nicht wieder herauszugeben.
„Keine Ahnung wovon du redest!“
„Mein Messer!“
Der drohende Ton ließ keinen Zweifel, dass Swan vor Wut kochte. Aaron zweifelte nun doch, ob es klug gewesen war, das Messer an sich zu nehmen. Denn Swan würde nicht eher Ruhe geben, bis er es hatte und sicher auch nicht vor roher Gewalt zurückschrecken. Dennoch, das Messer war für ihn überlebenswichtig, er konnte es nicht zurückgeben. Es hing einfach zu viel davon ab.
„Was geht mich dein Scheiß Messer an?“
Aaron schrie auf vor Schmerz, als ein beschuhter Fuß derb auf seinen rechten Oberschenkel stellte. Verzweifelt versuchte Aaron, ihn wegzuschieben, was aber nur dazu führte, dass Swan noch mehr Druck ausübte, ohne dabei den Griff in Aarons Haaren zu lockern.
„Hast du sie noch alle?“, heulte Aaron auf. „Ich hab dein blödes Messer nicht!“
„Gib es her“, knurrte Swan.
Die grobe Sohle des Schuhs grub sich noch tiefer in den Oberschenkel und trieb Aaron die Tränen in die Augen.
„Lass mich, du Freak!“, begehrte Aaron mit aller Kraft auf, versuchte die Hand aus seinem Haar zu lösen, trat mit dem freien Bein wild um sich.
„Du hast es so gewollt“, keuchte Swan.
Blitzartig packte er Aaron an den Schultern und schleuderte ihn rücklings zu Boden. Noch ehe sich dieser aufrappeln konnte, war Swan bereits über ihm und tastete die Hosentaschen ab. Schnell wurde er fündig, versuchte in die Tasche zu langen. Mit allen Kräften hielt Aaron dagegen, wand und drehte sich so, dass Swan das Messer nicht recht greifen konnte. Das wilde Handgemenge, Aarons heftige Gegenwehr machten ihn rasend vor Wut. Schließlich packte er Aaron am Hosenbund und zerrte entschlossen die Hose samt Shorts herunter. Aaron schrie auf, versuchte nach dem Stoff zu fassen und seine Blöße wieder zu bedecken. Aber Swan fackelte nicht lange und vollendete sein Werk. Wütend riss er an der Hosentasche, in der sich das Messer befand. Geräuschvoll gab die Hose nach und ihren Inhalt preis. Grimmig grinsend steckte er das Messer ein und blickte auf den unter ihm sitzenden Aaron, der nun mit seinem T-Shirt versuchte, seine Körpermitte zu verdecken. Den Blick unverwandt auf Aaron gerichtet, packte er Hose und Shorts mit beiden Händen, hielt kurz inne, genoss Aarons hasserfüllten Blick und zog dann genüsslich an dem dünnen Stoff, der kurz darauf ächzend nachgab. Nicht nur die Taschen riss er aus, auch die Naht im Schritt musste sich der rohen Gewalt ergeben. Schließlich schleuderte er die Fetzen in Aarons Gesicht und wandte sich dem Feuer zu. Mit schnellen Tritten löschte er es, scharrte es breit und Erde darauf. Gezielte Tritte ließen Aarons Unterkunft in sich zusammensinken. Starr vor Fassungslosigkeit verfolgte Aaron das Wüten. Er spürte Tränen aufsteigen, der Kloß in seinem Hals verhinderte jedweden Laut. Er konnte die Augen nicht abwenden von dem, was er für sein kleines Reich gehalten hatte, auf das er so stolz gewesen war, und welches nun darniederlag, verhöhnt vom Lachen des sich entfernenden Swan.
Aaron konnte es nicht fassen. Alles zerstört. Er war wieder am Anfang. Bald würde die Nacht hereinbrechen und mit ihr die Kühle kommen, der er außer seiner Shorts, die noch immer achtlos hingeworfen auf dem Boden lag, und einem T-Shirt nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Der Gedanke an Dunkelheit und Kälte, den fehlenden Schutz vor Regen und Wind ließen ihn in sich zusammensinken. Er spürte nicht die Tränen, die seine Wangen benetzten, nur noch den Druck in seiner Brust, der ihm schier den Atem nahm. Tiefe Traurigkeit lähmte sein Denken und verhinderte, dass er Swans Schlag überwand. Er sah keinen Sinn mehr, weiter zu kämpfen, das Eingerissene wieder aufzurichten, wenn es doch nur wieder zerstört werden würde. Er hatte die Hoffnung auf ein verträgliches Leben und seine Rettung verloren. Wozu sich quälen, wenn doch alles vergebens war? Warum es nicht jetzt beenden, wenn es ohnehin mit ihm auf dieser Gott verlassenen Insel irgendwann zu Ende gehen würde? Nur ein Sprung von den nahen Klippen, dort, wo das Meer brandete, wenn die Winde es aufpeitschten. Dort, wo unweit die anderen den nassen Tod gefunden hatten. Es würde schnell gehen, zu mächtig war die Brandung. Er würde an den Felsen zerschellen und kaum etwas spüren, musste sich nur überwinden, den letzten Schritt zu tun. Auf einmal kamen ihm die verhassten Klippen und Riffe so verlockend vor, als seien sie der schönste Platz auf der Insel. Ächzend rappelte sich Aaron auf. Langsam und doch zielstrebig, ohne seine Shorts zu beachten, lenkte er seine Schritte hin zu jenem kleinen Plateau über den Klippen, welches bei schönem Wetter einen so herrlichen Blick bot über das Meer und die untergehende Sonne, zu dessen Füßen das Wasser sich brach an schroffem Gestein. Aufkommender Wind umspielte seinen Körper, ließ das Shirt leicht flattern. Aber es kümmerte Aaron nicht. Es hatte keine Bedeutung mehr für ihn.
Er war fertig.
Mit sich.
Der Welt.
Als Aaron das Plateau erreichte, schwebte die Sonne bereits kurz über dem Horizont, bereit im Ozean zu versinken. Noch strahlte sie warm. Fast zärtlich streichelte sie Aarons Gesicht und, als er auch noch das T-Shirt abstreift hatte, über den schlanken Körper, die festen Muskeln und gebräunte Haut. Langsam setzte er sich nieder in das noch warme Gras, betrachtete den Horizont, den die Sonne nun berührte und dort begann, mit kochendem Flimmern einzutauchen. Wehmütig verfolgte Aaron den Wechsel der Farben, nahm das zunehmende Rot der Sonne in sich auf, die nun umrahmt wurde von dunklen Wolken, welche sich ihr rasch genähert hatten und einen Wetterumschwung ankündigten, wie er in jenen Breiten nicht selten vorkam. Noch ehe die Sonne vollends im Meer versunken war, wich sie der sie verdeckenden Dunkelheit. Sie verlor ihren Kampf gerade so, wie Aaron den seinen. Hatten sich Aarons Züge im Angesicht des herrlichen Scheins etwas geglättet, so bemerkte er nun wieder das Brennen in seinen Augen und das unvermeidliche Nass der Hoffnungslosigkeit, welches sich mit dem nun einsetzenden Regen mischte. Er spürte den auffrischenden Wind, der seinen regennassen Körper auszukühlen begann. Aaron hörte das Meer, wie es immer kräftiger gegen die Klippen schlug und nach ihm zu rufen schien. Schon konnte er das Beben des Bodens spüren, das sich mit dem Zittern seines Körpers vereinte. Die Kälte hatte sein Innerstes erreicht, machte seine Glieder steif und unbeweglich. Er fand nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten und die wenigen Meter bis zum Abhang zu gehen. Lähmende Müdigkeit legte sich über ihn, die Sinne erstarrten im kalten Wind. Längst hatte er die Augen geschlossen, die Arme um seinen Körper geschlungen. Kraftlos ließ sich Aaron schließlich zur Seite kippen, ergab sich den Elementen, bot sich ihnen dar, schutzlos und bloß.
*
Hitze verbrannte ihn, Kälte ließ ihn zittern. Nebulös und unwirklich entfernt drangen zu Aaron Geräusche und Bewegung. Angenehme Kühle berührte ihn, wenn ihm heiß war, Wärme hüllte ihn ein, wenn er fror. Mattigkeit glitt über in erlösende Schwärze.
*
Als Aaron erwachte, fühlte er sich immer noch müde und wie zerschlagen. Die Glieder taten ihm weh. Die Schmerzen in seinem Kopf schienen diesen sprengen zu wollen. Sein Hals war kratzig und ausgedörrt. Zugleich spürte er deutlich die wärmende Decke auf ihm, die angenehm weiche Unterlage, auf der er ausgestreckt lag, seine Blöße und die Anwesenheit Swans im Raum. Instinktiv verhielt er sich ruhig, reagierte nicht, als sich eine kühle Hand auf seine Stirn legte. Aufmerksam lauschte er auf die Verrichtungen des anderen. Dessen anschließende Abwesenheit nutze Aaron, sich aufzurichten. Kurz hielt er inne, bis sich der Schwindel, der ihn erfasst hatte, legte. Hastig versuchte er sich zu orientieren, fand seine Shorts wie auch das T-Shirt ordentlich über einen Schemel gelegt. Er zog sich an und flüchtete, die Umgebung sichernd, nach draußen. Der Gedanke, Swan könnte sein Erwachen entdecken, machte ihm Angst. Die Frage, weshalb ihn der andere zu sich genommen hatte, stellte sich Aaron nicht. Die Antwort darauf war unwichtig, denn Swan hasste ihn und dies so sehr, dass er ihm des wenigen aber überlebenswichtigen Schutzes beraubt hatte. Der Fluchtinstinkt trug Aaron schnell in das schützende Dickicht. Erleichtert stellte er fest, dass Swan seinen Abgang nicht bemerkt haben mochte, ihm zumindest nicht folgte. Irgendwann hielt er ein in seinem Lauf und ließ sich völlig erschöpft zu Boden sinken. Müdigkeit übermannte und zog ihn unweigerlich in einen tiefen Schlaf.
Als Aaron erneut erwachte, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber Durst und Hunger setzten ihm zu. Nachdem er Abhilfe geschaffen hatte, fühlte er sich besser. Nun sehnte er sich danach, seinen Körper vom Film aus Schweiß und Schmutz zu befreien, den halblangen blonden Haaren wieder zu ihrem Glanz zu verhelfen. Mit Eifer machte er sich daher auf den Weg zu dem Wasserfall, in dessen Becken man so wundervoll baden konnte. Zu seiner Überraschung fand er die Stelle besetzt vor. Im fahlen Licht des Mondes war Swans Gestalt gut auszumachen. Vorsichtig pirschte sich Aaron näher und beobachtete mit zunehmender Faszination den nackten Körper vor ihm, sah zu, wie sich Swan wusch, untertauchte, um sogleich laut prustend die Wasseroberfläche zu durchstoßen. Nach einem ausgiebigen Bad stieg Swan ans Ufer, schüttelte die Wassertropfen aus seinem schwarzen Haar, das im Mondschein glänzte. Die helle Haut des schlanken, muskulösen Körpers, der Zähigkeit und Kraft in sich vereinigte, hob sich deutlich ab von dem dunklen Hintergrund. Aaron schluckte nervös, als er die Körpermitte erblickte und fand die auf der Yacht über Swan gerissenen Zoten bestätigt. Das Glied des Mannes hatte zwar nicht die Ausmaße eines Schwanenhalses, war aber dennoch eindrucksvoll groß und lag schwer auf einem seiner Größe angemessenen Hodensack, umrahmt von dunklem Haar, welches gestutzt zu sein schien. Es mochte auch daran liegen, dass Aaron schon einige Zeit keinen Sex und noch dazu mit keinem Mann gehabt hatte, dass allein der Anblick, der sich ihm bot, für Aufruhr sorgte und er augenblicklich steif wurde.
Swan legte sich ins Gras und sah hinauf zu den Sternen. Aaron hielt den Atem an, als der andere begann, mit den Händen seinen Oberkörper zu streicheln. Langsam fuhr er sich über Schultern und Brust, verharrte bei den Nippeln, umkreiste, reizte sie, um dann weiter an den Seiten hin zum Bauch zu fahren. Er wiederholte dies mehrmals, ließ dabei die Hände von Mal zu Mal tiefer gleiten. Fasziniert konnte Aaron beobachten, wie sich Swans Glied langsam aufrichtete und sich den streichelnden Händen entgegenreckte. Um besser sehen zu können, beugte sich Aaron weiter aus seiner Deckung vor. Gerade in dem Moment, als Swan begann, seinen voll ausgefahrenen Schwanz zu massieren, rutschte er geräuschvoll ab. Augenblicklich hielt der andere inne und Aaron erneut die Luft an. Er war zu langsam, um Swans suchendem Blick zu entgehen. Kurz sahen sie sich an. Mit einer Geschwindigkeit, die Aaron dem Älteren nicht zugetraut hatte, löste sich dieser aus seiner Verblüffung, kam auf die Beine und bewegte sich auch schon auf ihn zu. War Aaron zunächst über seine Ungeschicklichkeit erschrocken, so erfasste ihn nun blanke Panik. So schnell er konnte, flüchtete er in das Dickicht hinter ihm. Er rannte, als ginge es um sein Leben. Allein die Vorstellung, wie sich Swans Zorn über ihm entladen würde, mobilisierte all seine Kräfte. Doch er konnte den Matrosen einfach nicht abschütteln. Gleich welchen Haken er schlug, welche Finte er sich einfallen ließ, der andere blieb ihm dicht auf den Fersen. Schon konnte er den keuchenden Atem seines Verfolgers hören, bald würde er ihn eingeholt haben. Verzweiflung erfasste Aaron. Wieso nur konnte er ihn nicht abschütteln? Swan doch war um einiges älter als er, ganz sicher schon Mitte Dreißig! Er musste ihm entkommen, musste dies unbedingt. Würde ihn Swan erst einholen, wäre er geliefert. Deutlich war noch die Erinnerung an Swans wutverzerrten Gesichtsausdruck bei ihrer letzten Auseinandersetzung. Das musste, wollte er nicht noch einmal haben.
Als nach einem dumpfen Geräusch plötzlich eine Hand sein rechtes Fußgelenk packte und ihn zu Fall brachte, schrie Aaron erschrocken auf. Verzweifelt versuchte er, sofort wieder auf die Beine zu kommen, beachtete den Schmerz nicht, den ihm der Sturz zugefügt hatte. Doch schon war Swan über ihm. Aaron wand sich, schrie, kämpfte, keuchte, bockte auf, schluckte Staub und Dreck, heulte vor Wut. Aber es nützte alles nichts. So sehr er sich auch mühte, der schwere Körper des Matrosen drückte ihn auf den Boden und die Luft aus seinen Lungen. Hart umklammerte Swan die sich wehrenden Hände, fixierte mit seinen Beinen die des Jüngeren, machte sich schwer und konterte alle Befreiungsversuche. Schließlich lagen beide nur noch hektisch atmend aufeinander. Der kurze, aber heftige Kampf hatte Aaron völlig verausgabt. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Wohl oder übel musste er sich fügen, war Swans Willkür erneut ausgeliefert.
Seine offensichtliche Schwäche nutze Swan, um Aaron auf den Rücken zu drehen und abermals mit seinem Körper zu fixieren. Den kurz aufflammenden Widerstand konterte er mit eiserner Kraft. Wieder lagen sie keuchend aufeinander, nun aber von Angesicht zu Angesicht. Letzte Versuche Aarons, sich aus der Umklammerung zu befreien, scheiterten kläglich. Tränen liefen über seine Wangen. Es waren Tränen der Wut und Hilflosigkeit. Ängstlich begegnete er dem festen Blick über ihm. Anders als erwartet, fand er darin keine Wut, keinen Hass, nur ruhige Entschlossenheit, ihn nicht freizugeben. Aufgeregt huschten Aarons Augen zwischen denen Swans hin und her, versuchten zu ergründen, was die Ursache war für das geänderte Verhalten. Doch es ließ sich nichts erkennen, was ihm zur Erklärung hätte dienen können. Ungerührt lag der andere auf ihm, sein sich beruhigender Atem strich heiß über das Gesicht unter ihm. Langsam beruhigte sich auch Aaron. Seine Augen jagten nun nicht mehr hin und her, nahmen zum ersten Mal Swans Gesicht aus unmittelbarer Nähe wahr. Nichts entging Aaron, nicht die kleine Narbe über der rechten Augenbraue, die feinen Härchen, welche die Brauen miteinander verbanden. Die Nase hatte einen leichten Höcker in der Nähe ihrer Wurzel. Ihr gerader Wuchs endete über einem Paar schmaler, geschwungener Lippen, die leicht geöffnet eine Reihe ebenmäßiger, weißer Zähne erkennen ließen. Über den Lippen, am Kinn und den Wangen war der Schatten eines dunklen Bartes zu erkennen. Der dichte Wuchs musste unlängst gestutzt worden sein, wie Aaron verwundert feststellte. Sein eigenes Körperhaar war eher spärlich und an einen Bart nicht zu denken. Und noch etwas entdeckte er bei seiner Musterung. Es überraschte und verwirrte ihn zugleich, als er sich dessen bewusst wurde. Swan war schön zu nennen, anziehend männlich, sein Gesicht strahlte, wenn es nicht vor Wut und Hass verzerrt war, Wärme und Vertrauen aus. Das war nicht der Mann, den Aaron bislang kennen und hassen gelernt hatte. Der musste irgendwie ausgetauscht worden sein. Oder es hatte noch jemand die Katastrophe überlebt, jemand, der ihm auf dem Schiff nie aufgefallen war? Innerlich schüttelte Aaron den Kopf über seine albernen Gedanken. Das auf ihm war Swan, aber auch wieder nicht.
Langsam wurde Aarons Lage unbequem. Allzu sehr drückte ihn das Gewicht des Älteren, der ihn noch immer unverwandt beobachtete. Sein Bemühen, wenigstens eine günstigere Lage zu erreichen, verhinderte Swan augenblicklich. Dabei wurde sich Aaron bewusst, dass Swan noch immer nackt auf ihm lag und es sich um dessen Glied handeln musste, welches sich an seinem, von der Shorts verhüllten Gemächt lag. Der Gedanke an Swans Schwanz und daran, wie ihn der andere verwöhnt und gestreichelt hatte, beider enge Nähe und Berührung, die Hitze, die von dem anderen Körper ausging, all das machte ihn an, ließ sein Blut zu seiner Körpermitte strömen. Mit Erschrecken stellte Aaron fest, dass sein Schwanz im Begriff war, sich aufzurichten.
Bitte nicht, flehte er stumm. Nicht bei Swan.
Krampfhaft versuchte Aaron an beider unangenehmes Aufeinandertreffen zu denken, an die Schmerzen, Trauer, den Frust. Es half alles nicht. Schon spürte er das zunehmende Kribbeln, die sich stauende Wärme, das sachte Ziehen in seiner Lendengegend. Er wurde rot und suchte fieberhaft nach einem Weg, wie er sich aus dieser peinlichen Situation herausmanövrieren konnte. Erneut wehrte er sich gegen den festen Griff, mit dem ihn Swan hielt. Jedoch ohne Erfolg.
„Du tust mir weh“, maulte er Swan an.
Unbeeindruckt änderte dieser seinen Griff nicht und sah Aaron weiterhin an. Schon hatte sich der verräterische Schwanz soweit mit Blut gefüllt, dass es nicht mehr unbemerkt geblieben sein konnte. Fast schon panisch versuchte Aaron nochmals, Swan abzuwerfen. Doch seine Bewegungen machten es nur noch schlimmer, die Reibung ließ den Schwanz noch weiter anschwellen. Aaron beschloss daher, sich gar nicht mehr zu rühren, lenkte die Gedanken wieder in eine abturnende Richtung. Jäh wurde er hierin unterbrochen, als er eine leichte Bewegung verspürte, die Swan mit seinem Unterleib vollführte. Nun war es kein Geheimnis mehr. Swan hatte seine Erregung bemerkt. Peinlich berührt schloss Aaron gequält die Augen. Warum nur musste ihm das passieren? Er stand zwar auf Kerle, aber doch nicht auf Arschlöcher wie Swan. War er jetzt masochistisch geworden, ließ er sich neuerdings gern peinigen? Erschrocken riss er die Augen wieder auf, als sich weiche Lippen auf die seinen legten. Ungläubig registrierte er eine leichte Bewegung auf seinen Lippen und kurz darauf die feuchte Spur auf ihnen. Aaron begriff gar nichts mehr. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Erst lehnte ihn Swan ab, jagte ihn von sich weg, griff ihn gar an und dann gab er ihm einen Kuss? Fassungslos starrte er Swan an, als dieser langsam seinen Kopf zurückgezogen hatte.
„Wirst du wieder fliehen, wenn ich dich loslasse?“
Immer noch perplex über die Wendung war Aaron nicht gleich in der Lage, den Sinn der Frage zu erfassen und zu antworten. Zu unwirklich erschien die ganze Situation. Surreal.
„Wirst du?“
Swans Stimme lag warm und tief auf Aaron, dem es langsam gelang, seine Fassung zurückzugewinnen.
„Ja“, trotzte er.
Was dachte sich der Scheißkerl eigentlich? Sollte er sich von ihm etwa freiwillig abknutschen lassen?
„Ich will nur mit dir reden“, versicherte Swan sanft.
„Ach?“
Bedauern lag in Swans Blick.
„Mach es mir doch nicht so schwer.“
„Warum nicht? Du bist ein verdammtes Arschloch.“
Swan schnaufte leise. Dann nickte er leicht.
„Ja. Ich weiß, dass ich mich wie ein Arsch benommen habe.“
Wie ein Arschloch, verbesserte Aaron in Gedanken.
„Und es tut mir leid.“
„Es tut dir leid“, ätzte Aaron. „Na klar. Was sonst?“
Swan ignorierte Aarons Sarkasmus.
„Ja. Tut es. Alles, womit ich dir wehgetan habe. Dass ich meinen Frust über die ganze Scheiße an dir ausgelassen habe. Natürlich glaubst du mir nicht. Wie solltest du auch? Ich würde mir ja selbst nicht glauben.“
Da war etwas in Swans Stimme, dass Aaron aufhorchen ließ. War das echtes Bedauern? Sollte es wirklich möglich sein? Er forschte in Swans Augen, suchte nach Anzeichen, dass sich dieser über ihn lustig machte, ihn wieder einmal verarschte. Aber er fand nichts dergleichen. Swan sah ihn so ernst und zwingend an, dass Aaron eine Gänsehaut bekam und sich räuspern musste.
„Woher kommt denn der plötzliche Sinneswandel?“, versuchte er Oberwasser zu behalten.
Swan schloss kurz die Augen, atmete tief durch und sah Aaron wieder direkt an.
„Als ich dich bei den Klippen fand, warst du völlig ausgekühlt und vollkommen weggetreten. Ich hab dich mitgenommen und dich versucht zu wärmen. Du hast dann Fieber bekommen, ziemlich hohes sogar. Ich dachte schon, du schaffst es nicht.“
Nach einer ganzen Weile, in der Aaron ihn nur stumm anschaute, fuhr Swan mit einem Seufzen fort.
„Ich hatte echt Schiss, dass du es nicht schaffst. Ich war so ein Idiot. Aber mir ist klar geworden, dass ich im Unrecht war. Wir sind allein auf dieser Insel, sind zu wenige, als dass wir uns ignorieren dürfen. Wenn wir hier weg wollen, brauchen wir einander. Bitte, du musst mir glauben.“
Aaron konnte sich nicht erinnern, dass Swan schon einmal so viel zusammenhängend geredet hätte. Der Mann war eher schweigsam, in sich gekehrt, wenn er nicht gerade seine Ablehnung, seinen Hass zum Ausdruck brachte. Und selbst dann blieb er einsilbig und wortkarg. Wenn er nun so viele Worte machte, schien es ihm ernst zu sein. Doch das Erlebte konnte die Zweifel nicht so schnell beseitigen.
„Und wie stellst du dir das vor?“, hakte Aaron deshalb nach.
„Na ja, du kann mit in der Hütte wohnen. Wir machen alles gemeinsam, gleichberechtigt. Und wir schauen, dass wir von dieser verdammten Insel herunterkommen.“
Das hörte sich gut an. Was hatte Aaron auch schon für Alternativen? Er besaß nichts, nicht einmal das Nötigste, um zu überleben. Nicht einmal eine Unterkunft konnte er bauen, ohne dass sie beim ersten Sturm zusammenbrach. Aber er traute dem Frieden noch immer nicht recht. Irgendwo musste da ein Haken sein.
„Und was hast du davon?“
Swan hatte die Frage offenbar erwartet. Seine Antwort kam schnell und prompt.
„Gesellschaft.“
„Gesellschaft?“, fragte Aaron etwas ungläubig.
„Ja, die Einsamkeit macht verrückt. Ich will hier nicht durchdrehen.“
Das leuchte ein. Auch Aaron hatte es als unangenehm empfunden, allein auf sich gestellt zu sein, ohne Hilfe eines anderen, mit dem man reden konnte.
„Und das ist dir nicht schon eher eingefallen?“, musste er gleichwohl nachtreten.
Swan sah ihn verlegen an, grinste leicht und zuckte mit den Schultern.
„Nein. Ziemlich blöd, ich weiß.“
Aaron musste sich eingestehen, dass ihm im Grunde keine andere Wahl blieb, als auf Swans Vorschlag einzugehen. Was hatte er schon zu verlieren? Es war das Beste, was er in seiner Situation würde bekommen können. Aber es ärgerte ihn, dass er es schon wieder war, der nachgeben, auf den Vorschlag des Älteren eingehen musste und der somit seinen Willen bekam. Außerdem lag Swan noch immer auf ihm und schränkte, wenn auch inzwischen gelockerter, seine Bewegungsfreiheit ein. Wie bitte schön sollte er da Vertrauen fassen können?
„Geh von mir runter“, forderte Aaron.
Nur einen Moment zögerte Swan, als er sich fragte, ob Aaron wieder flüchten würde. Doch dann stieg er von ihm herunter und gab er ihn frei. Ächzend richtete sich Aaron auf, rieb seine Handgelenke, an denen rote Abdrücke zu sehen waren. Swan saß noch immer auf dem Boden und ließ Aaron nicht aus den Augen, beobachtete, wie sich der Jüngere stöhnend streckte.
Es geschah aus einem Reflex heraus, dass Aaron die Gelegenheit zur Flucht nutzte, sich auf und davon machte. Geradewegs hastete er in das schützende Dickicht, rannte immer weiter, ohne wirklich ein Ziel zu haben. Als er keine Verfolgung ausmachen konnte, verlangsamte er seinen Lauf und blieb schließlich stehen. Keuchend stützte er sich auf seinen Oberschenkeln ab und versuchte, sich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen. Fast musste er über sich lachen. Was war er doch für ein Schisser. Swan reichte ihm die Hand und er lief weg, ohne einen Plan zu haben, wie es mit ihm weitergehen sollte. Aaron seufzte tief und schüttelte den Kopf. Weglaufen brachte nichts. Allein war er aufgeschmissen und würde keine Überlebenschance haben. Es ging nur mit Swan. Auch schien der gar nicht so übel zu sein. Sie würden sich schon verstehen, irgendwie miteinander auskommen. Er konnte nur hoffen, dass Swan noch zu seinem Angebot stand. Aaron schob alle Bedenken beiseite und machte kehrt.
Swan war am Wasserbecken und im Begriff, sich anzuziehen, als Aaron bei ihm eintraf. Leise trat dieser aus dem Buschwerk. Obgleich er im Mondlicht gut sichtbar war, bemerkte ihn Swan nicht. Unsicherheit erfasste Aaron. Vielleicht wollte Swan ihn gar nicht bemerken, wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben? War es das nun?
„Steht dein Angebot noch?“
Aus seinen Gedanken gerissen blickte Swan überrascht auf, nickte dann aber.
„Klar. – Und wirst du immer wieder abhauen?“
„Hallo?“, verteidigte sich Aaron. „Du bist ziemlich gemein zu mir gewesen.“
„Ich weiß. Es tut mir leid und ich entschuldige mich dafür. Aber ich kann es nicht ungeschehen machen.“
„Aber warum? Warum hasst du mich so?“
Gequält verzog Swan das Gesicht.
„Ich hasse dich nicht. Habe ich nie.“ Und als Aaron ihn ungläubig ansah, schob er nach: „Du warst mir gleich aufgefallen, schon als du aufs Schiff gekommen bist. Irgendwie hast du nicht zu den verwöhnten Gören gepasst. Und doch warst du dabei, hast dich wie sie verhalten. So von oben herab. Du hast mich ja nicht mal bemerkt.“
Aaron war verwirrt. Swan hatte Wert darauf gelegt, dass er ihn bemerkte? Sie kannten sich doch gar nicht und überhaupt …
„Warum hast du mich vorhin geküsst?“
Swan reagierte nicht gleich, zog die Hose hoch und griff nach seinen Schuhen.
„Ich wollte, dass du dich beruhigst. Hat ja auch geklappt“, antwortete er lapidar.
Irgendwie hatte Aaron das Gefühl, dass dies nicht die ganze Wahrheit war und Swan etwas zurückhielt. Er entgegnete erst einmal nichts und sah den Älteren unverwandt an. Swan schien zu spüren, dass Aaron ihm nicht so recht glaubte.
„Nein“, murmelte er schließlich. „Das war es nicht. Ich wollte dich einfach küssen. Ich finde dich … na ja, niedlich irgendwie.“
Niedlich?
„Scheiße Mann, wie ihr da so nackt auf dem Schiff rumgesprungen seid, das war schon ziemlich heavy.“
„Heavy?“
Verlegen blinzelte Swan, räusperte sich schließlich: „Nun ja, ein Ständer in der Hose kommt nicht gut, besonders wenn man auf einem Schiff unterwegs ist, wo es in der Mannschaft keine Frauen gibt und auch sonst nichts läuft. Ein Matrose, der auf Männer abfährt, kriegt nur schwer eine Heuer.“
„Du bist schwul?“, fragte Aaron überrascht.
„Hast du ein Problem damit?“, hielt Swan sofort dagegen.
„Nein, nein. So hab ich das nicht gemeint. Ich dachte nur nicht … also echt, hätte ich nie gedacht. Aber damit habe ich kein Problem. Wirklich nicht“, beeilte sich Aaron zu versichern. „Das ist cool.“
Swan und schwul! Das hätte er nie für möglich gehalten. Er sah den Mann vor sich plötzlich mit ganz anderen Augen. Ja, Swan war attraktiv, eigentlich ganz seine Kragenweite. Eine Sünde wert. Der andere schaute ihn skeptisch an. Er wusste wohl die Lage noch nicht recht einzuordnen. Doch als sein Blick auf die eindeutig vergrößerte Beule in Aaron Shorts fiel, die jener mit seinen Händen zu verdecken suchte, beruhigte er sich wieder. Er musste grinsen. Eben waren sie sich noch fast an die Gurgel gegangen und nun schien der Kleine an etwas ganz anderes zu denken, an das er ihm gehen könnte.
„Muss dir nicht peinlich sein“, versicherte nun Swan etwas süffisant. „Ging mir ja auch so, als ich vorhin auf dir lag.“
Nun wurde Aaron vollends rot. Er ärgerte sich, so zu reagieren, fast wie ein Mädchen. Dabei hatte er das gar nicht nötig, war schließlich nicht gänzlich unerfahren in diesen Dingen. Mühsam versuchte er sich wieder einzukriegen. Aber Moment mal. Nun musste Aaron grinsen. Das war es also, was gegen seine Eier gedrückt hatte. Die Situation hatte auch Swan angemacht. Er ließ den Älteren nicht kalt. Gut zu wissen. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke und ließ das Grinsen verschwinden.
„Geht es dir nur darum? Willst du mich deshalb in deiner Hütte haben?“
Swan sah Aaron fest in die Augen. Auch er war wieder ernst geworden.
„Nein. Obwohl ich nichts dagegen hätte. Aber nur, wenn du es auch willst.“
Aaron nickte. Damit konnte er leben.
„Haben wir einen Deal?“
Swan ließ den Jungen nicht aus den Augen, wartete gespannt auf dessen Reaktion. Schließlich nickte Aaron wieder und sagte mit fester Stimme:
„Haben wir. Lass mir nur etwas Zeit. Okay?“
„So viel du willst.“
Lächelnd kam Swan etwas näher. Er legte Aaron eine Hand auf die Schulter. Die Wärme, die von ihr ausging, durchströmte den Jüngeren und hinterließ ein angenehmes Gefühl, das Aaron noch nicht recht einzuordnen wusste. Nur eines war ihm klar, er mochte es und würde nicht genug davon bekommen können. Ihm wurde leicht ums Herz und es reifte in ihm die hoffnungsfrohe Erkenntnis, dass es auf der Insel doch nicht so schlecht war, wie es anfangs schien.
ENDE
Texte: Tom Schuster
Bildmaterialien: Pixabay.com, Bearbeitung: Caro Sodar
Lektorat: Mara Brendt
Tag der Veröffentlichung: 19.01.2015
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