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Prolog

 

Jessica Williams war eine mutige, junge Frau.

Vielleicht sah man es ihr nicht auf den ersten Blick an, sah sie mit ihrem braunen Haar, ihren großen, braunen Augen, ihrer zierlichen Gestalt und ihrem perfekten roten Mund wie jede andere Frau Anfang Dreißig aus, doch unterschied sie sich von den anderen Frauen ihres Alters, wie der Winter vom Sommer.

Denn während die anderen Frauen zu Hause blieben, sich um den Haushalt kümmerten, die Wäsche wuschen, die Kinder versorgten und den Mann arbeiten ließen, stand sie nach einem harten und anstrengenden Arbeitstag hier draußen, im Sonnenlicht des warmen Frühlingstages und sah ihrer Tochter glücklich und zufrieden dabei zu, wie sie über die Wiese tobte.

Sie hatte die Gefahr keineswegs vergessen.

Sie war sich derer nur all zu bewusst.

Doch sie hatte Paul versprochen, die Augen davor nicht zu verschließen.

Wenn es so weit kommen würde - und sie betete jeden Abend dafür, dass es nicht so war- würde sie der Gefahr von Angesicht zu Angesicht gegenüber treten.

Doch noch war alles in Ordnung.

 

Ein fröhliches, glückliches und unbeschwertes Kinderlachen drang über die Wiese und erwärmte einem das Herz.

"Mummy! Sieh' mal, ein Schmetterling! Er sitzt auf meiner Hand!"

Ein kleines Mädchen, dessen rote Haare ihr bis auf den Schoß fielen, strahlte mit ihren blauen Augen zu Jessica hoch.

"Kann ich ihn behalten? Bitteeee!"

Jessica musste lächeln und kniete sich neben ihre Tochter.

Tatsächlich saß auf der winzigen, zierlichen Hand ein wunderschöner Schmetterling, der sanft mit seinen Flügeln wippte, aber nicht so aussah, als würde er wirklich darüber nachdenken, sich je wieder von dieser zärtlichen Kinderhand zu erheben.

Jessica betrachtete den Schmetterling eine Weile und war sich darüber bewusst, dass ihre Tochter gespannt auf eine Antwort wartete.

Schließlich ließ sie sich neben ihre Tochter ins Gras sinken.

"Tja, wenn er auf deiner Hand sitzen bleibt, kann ich ihn dir ja schlecht weg nehmen, oder?"

Katelyn quietschte vergnügt und Jessica musste lachen.

"Aber wenn er weg fliegen will, musst du ihn lassen."

"Und wenn er dann zu mir zurück kommt, gehört er für immer mir."

Jessica küsste ihr Kind sanft auf die Stirn und seufzte über ihre Worte.

"Ja. Dann gehört er dir."

 

Plötzlich, als würde er spüren, dass etwas Schlimmes passieren würde, flatterte der Schmetterling panisch mit den Flügeln und verschwand.

"Jetzt ist er weg."

Katelyn klang enttäuscht über den Verlust des Schmetterlings, doch ihre Mutter wusste, was das plötzliche Verschwinden des Tieres wirklich zu bedeuten hatte.

Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug.

Ihre Handflächen wurden schweißnass.

Ihr Mund wurde so trocken, als hätte sie seit Tagen nichts getrunken.

Vorsichtig sah sie sich um, konnte aber nichts sehen.

"Katie, komm. Wir gehen nach Hause."

Sie streckte die Hand nach ihrer Tochter aus und stand erst auf, als sie die kleinen Finger fest in ihrer Hand spürte und sich sicher war, dass Katie sie nicht wieder los lassen würde.

"Mummy? Was ist los?"

Jessica konnte die unbestimmte Angst in der Stimme ihrer Tochter hören und hasste sich dafür, dass sie zu offensichtlich reagiert hatte. Sie hatte Katelyn nicht merken lassen wollen, dass etwas nicht stimmte.

"Nichts, Schätzchen. Gar nichts."

Sie hob ihre Tochter auf den Arm und drückte ihren Kopf sanft an ihre Schulter. Dann ging sie schnellen Schrittes den Weg entlang, der sie in Sicherheit bringen würde - wenn sie es noch schaffte.

 

Katelyn wusste, dass ihre Mutter log, auch wenn sie es noch nicht in diesen Worten ausgedrückt hätte. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte und ihre Mutter beunruhigte. Sie hätte gerne irgendwie geholfen, ihrer Mutter irgendwie gesagt, dass alles gut werden würde. Doch dazu hätte sie den Kopf heben müssen. Und dann hätte sie gesehen, weshalb ihre Mutter plötzlich stehen blieb und nicht weiter ging. Und davor hatte sie zu große Angst.

Sie hörte die Schritte, die sich ihnen beiden näherten und spürte die Angst ihrer Mutter. Sie vergrub das Gesicht noch weiter an der Schulter ihrer Mutter und klammerte sich fester an sie.

"Bitte.", hörte sie ihre Mutter flüstern.

"Bitte nicht."

Ihre Mutter versuchte, tapfer zu klingen, doch ihre Angst war zu groß.

"Sie ist alles, was ich noch habe. Sie ist alles, was mir geblieben ist."

Dieses Mal flehte ihre Mutter und versuchte, zurück zu weichen, doch sie war nicht schnell genug. Oder stark genug.

Katelyn schrie panisch, als fremde, kalte Hände nach ihr griffen, sie packten und von ihrer Mutter weg ziehen wollten. Sie klammerte sich an ihre Mutter, als gäbe es nichts wichtigeres, bei ihr zu bleiben.

 

"Nein! Bitte! Sie ist meine Tochter! Sie gehört nicht dort hin! Sie gehört zu mir!"

Jessica versuchte verzweifelt, ihre Tochter vor diesen monsterhaft aussehenden Männern zu beschützen, doch sie wusste, dass sie nicht stark genug war. Sie spürte Katelyns Tränen auf ihrer Haut und wusste, dass sie trotzdem nicht aufgeben würde. Sie würde ihre Tochter nicht einfach diesen Männern mit geben, damit die sie zu einem anderen Menschen erzogen.

"Lasst sie in Ruhe!"

Jessica trat und schlug und biss und kratzte, doch sie spürte, wie Katelyn ihrem Griff immer mehr entglitt.

Schließlich bog einer der zwei Männer, die geschickt worden waren, um sie zu holen, Katelyns Finger auseinander, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob er ihr weh tat oder nicht. Sie wimmerte vor Schmerz, versuchte aber, sich sofort wieder an ihrer Mutter fest zu halten und Jessica war stolz auf ihre Tochter.

Sie würde niemals aufgeben.

Vielleicht bestand die Chance, dass ihr Kind nicht das selbe Schicksal erleiden musste, wie all die anderen...

Jessica spürte, wie ihr ihre Tochter immer weiter entglitt, doch versuchte sie nicht mehr so verzweifelt wie zuvor, sie fest zu halten.

Es würde nichts bringen.

Sie hatte gegen diese Monster sowieso keine Chance.

 

"Mummy! Mummy!", schrie Katelyn voller Panik und unter Tränen, als jemand sie entgültig von ihrer Mutter los riss und weg trug.

"Nein! Muuuummyyyy!"

Über die Schulter eines großen, gefährlich aussehenden Mannes sah sie, wie ihre Mutter weinend ins Gras sank und hilflos die Arme nach ihr ausstreckte. Doch mehr tat sie nicht.

"Mummy!"

Katelyn versuchte, sich aus dem eisernen Griff, der sie fest hielt, zu befreien und schlug und kratzte und biss, so gut sie konnte, doch es nützte nichts.

"Mummy!"

Ihre Mutter saß noch immer da, wo sie weinend ins Gras gesunken war und tat nichts.

Sie starrte ihre Mutter an, während irgendwelche Türen geöffnet wurden.

Erst, als sie im Laderaum eines Transporters war und zwei große, schwere Flügeltüren vor ihrer Nase zu geschlagen wurden, kam sie wieder zu sich.

"Lasst mich raus! Lasst mich raus! Ich will zu meiner Mummy!"

Wie wild schlug sie gegen die Flügeltüren, doch es brachte ihr nichts. Die Türen waren zu stabil und zu gut gesichert.

Schluchzend sank sie irgendwann gegen die Wand, zog die Knie unters Kinn und begann, herzerweichend zu weinen.

"Hey. Hör auf, zu weinen. Es bringt eh nichts. Sie lassen dich nicht wieder zu deiner Familie zurück."

Katelyn hielt den Atem an und blinzelte vorsichtig unter ihrem Arm durch. Dann hob sie langsam den Kopf und sah auf.

Vor ihr saß ein Junge, der ungefähr in ihrem Alter war. Seine Stimme war ruhig und sanft, er schien freundlich zu sein und nur der Blick aus seinen braunen, leicht geröteten Augen verriet, dass auch er geweint hatte.

"Ich will zu meiner Mummy.", flüsterte sie stur und schniefte.

Der Junge runzelte die Stirn.

"Nicht nach Hause oder zu deinen Eltern?"

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Zu meiner Mummy. Mein Daddy ist in den Himmel gezogen, bevor ich geboren wurde."

Der Junge sah sie mitleidig an.

"Das tut mir leid."

Sie schüttelte den Kopf.

"Meine Mummy sagt, er wollte lieber von da oben auf mich aufpassen als von hier unten. Denn da habe ich ja Mummy."

Der Junge mit den rehbraunen Augen sah sie eine ganze Weile schweigend an, ohne irgendetwas zu sagen. Nach einer Weile spürte sie, wie ihre Unterlippe erneut zu zittern begann und drehte den Kopf zur Seite.

"Muuuuumyyy.", jammerte sie leise und spürte, wie die ersten neuen Tränen über ihre Wangen liefen.

Der Junge rutschte näher zu ihr und umarmte sie tröstend.

Obwohl sie nichts über ihn wusste, kuschelte sie sich enger an ihn und ließ sich von seiner Wärme trösten.

"Wo bringen sie uns hin?", fragte sie leise, als ihre Tränen endlich versiegt waren und wischte die letzten mit ihrem Pulli weg.

"Sie bringen uns zu einer Schule. Einer besonderen Schule.", antwortete er leise und schien erleichtert, als sie nicht mehr weinte.

"Meine Mummy hat gesagt, ich bin noch zu klein, um zur Schule zu gehen.", meinte Katelyn irritiert und sah ihn an.

Er lächelte.

"Bist du auch. Das sind wir alle. Aber das ist denen egal."

"Wer sind die?"

"Die, die Familien zerstören, um zu bekommen, was sie wollen."

Katelyn dachte einen Moment darüber nach und sah ihn dann schockiert an.

"Sie wollen uns?!"

Der Junge nickte nur.

"Warum?"

Jett zuckte er mit den Schultern.

"Weiß ich nicht."

Zum ersten Mal in ihrem Gespräch konnte Katelyn so etwas wie Angst in seiner Stimme hören.

Mit einem erschöpften Seufzen und in einer Geste der Aufmunterung und des Tröstens lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter.

"Wie heißt du eigentlich?", fragte sie ihn plötzlich und sah ihn an.

"Das weiß ich gar nicht."

Der Junge lächelte und richtete sich ein wenig auf.

"Aiden. Und du?"

"Katelyn."

Sie lächelte und musste ein Gähnen unterdrücken.

Es war ein anstrengender Tag gewesen. Sie war müde und erschöpft, sie wollte wieder zu ihrer Mutter und sie hatte Angst vor dieser besonderen Schule.

Und die Dunkelheit im Transporter gefiel ihr auch nicht.

"Ich hab' Angst.", flüsterte sie leise und machte sich noch kleiner.

Aiden lehnte sich neben ihr an die Wand und rutschte ganz nah an sie ran, so nah, dass sich ihre Arme berührten.

"Ich bin hier, Katie.", versprach er leise, aber ernst.

"Ich bleibe bei dir. Und ich werde deinem Daddy helfen, auf dich aufzupassen."

Er lächelte sie an und Katelyn glaubte ihm.

Sie nickte langsam, wischte sich noch einmal über das Gesicht und lehnte sich seufzend gegen ihn. Sie spürte Aiden neben sich und fühlte sich beschützt.

Ihre Augenlider wurden immer schwerer, doch sie wollte nicht schlafen. Sie wollte die Augen nicht schließen, aus Angst, was passieren könnte, wenn sie es tat.

"Du solltest ein bisschen schlafen, Katie. Wir sind schon Stunden unterwegs und vermutlich noch mal so lange. Und du brauchst deine Kräfte, wenn wir ankommen.", flüsterte Aiden leise und klang, als schliefe er selbst schon fast. Katelyn gähnte und schmiegte sich an ihn. Sie konnte nicht länger gegen die Müdigkeit ankämpfen. Schon gar nicht, wenn sie sich bei Aiden so sicher fühlte.

Also tat sie das einzige, was sie tun konnte :

Sie suchte sich eine möglichst bequeme Position, ohne Aiden los zu lassen und schlief vollkommen erschöpft ein, nicht wissend, welche Zukunft sie erwarten würde.

Oder welche Aufgaben sie würde bewältigen müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

12 Jahre später


Name : Immer noch Katelyn.

Nachname : Nicht mehr vorhanden ( wurde als 'unnötig' empfunden).

Vergangenheit : Nur noch eine graue Erinnerung.

Zukunft : Steht in den Sternen.

Und ist möglicherweise noch schwerer zu erreichen.


Ausbildung : Standard mit allen Zusatzkursen

- und mit Höchstleistungen abgeschlossen

( vor allem 'Umgang mit Waffen' -> höchste je erreichte Punktzahl)



Randbemerkung :

Könnte möglicherweise nicht so loyal der Akademie gegenüber sein,

wie es den Anschein hat

-> Neigung zu Widerwillen, Willensbildung



FAZIT : Dennoch perfekt geeignet für Auftrag 'XY'





















Kapitel 1 : Geburtstage


Wie jeden Tag, wenn die Sonne gerade anfing, ihre Strahlen zur Erde zu schicken, war Katelyn bereits hellwach.

Wie jeden Morgen war sie die erste, die die Tür zur Sporthalle aufstieß, während sie sich ihre langen, roten Haare zusammen band.

Wie jeden Tag zog sie ihre Turnschuhe und Socken aus, bevor sie die Matte betrat und sich aufwärmte.

Nach außen wirkte sie so, wie man sie haben wollte - stark, selbstbewusst, professionell und tödlich.

Doch innerlich fühlte sie sich heute alles andere als das.

"Hey, Katie."

Erschrocken von dem plötzlichen Ertönen der Stimme, welche ihren einzigen Moment der Ruhe und Einsamkeit störte, wirbelte sie herum und wollte schon zuschlagen, als sie Aiden erkannte.

Sie schlug trotzdem zu, wenn auch nicht so stark, wie sie hätte können.

Aiden steckte den Schlag weg, als wäre es nichts, lachte und wollte ihre Hand festhalten, doch sie zog sie schnell zurück.

"So schreckhaft heute?"

Katelyn ignorierte ihn und wärmte sich weiter auf.

Aiden stellte sich kommentarlos neben sie und begann ebenfalls mit seinen Aufwärmübungen.

"Heute sind es genau 12 Jahre.", wisperte Aiden nach einigen Minuten so leise, dass nur Katelyn ihn verstehen konnte - obwohl außer ihnen niemand sonst in der Halle war.

Doch hier konnte man sich nie sicher sein, dass man wirklich alleine war.

Das war das erste, was man hier lernen musste, wenn man bestehen wollte.

Und manchmal sogar überleben.

Katelyn wusste genau, was er meinte.

Genau vor 12 Jahren waren sie von fremden Männern in einen Transporter gesperrt worden, hatten sich im Laderaum dessen kennen gelernt und waren zusammen in der 'Akademie' aufgenommen worden - ohne, dass sie eine Wahl hatten.

Und vor genau 12 Jahren hatten sie ihre Familien zum letzten Mal gesehen.

Seit genau 12 Jahren lebten sie nun schon dieses Leben, das man ihnen aufzwang.

"Ich weiß.", flüsterte Katelyn.

Und sie würde es auch nie wieder vergessen.


Sie würde nicht vergessen, wie ein Tag, der so schön begonnen hatte, so schrecklich hatte werden können.

Und schon gar nicht konnte eine 5-jährige vergessen, wenn man ihr an ihrem Geburtstag die Mutter wegnahm. Egal, wie alt sie noch wurde.

Und es war Katelyn egal, dass sie dadurch gegen die wichtigste Regel verstieß.

Um nichts auf der Welt würde sie vergessen, wie ihre Mutter sie abends immer ins Bett gebracht hatte. Oder wie sehr sie Katelyn geliebt hatte. Und nie könnte sie die braunen Augen ihrer Mutter vergessen.


In der 'Akademie' gab es einen ganzen Haufen von Regeln, die alle fein säuberlich aufgeschrieben worden waren und zum Nachlesen in jedem Gebäudekomplex aushingen.

Da wurden Dinge geregelt wie Diebstahl, Prügeleien außerhalb des Unterrichts oder des Trainings, Verhaltensweisen gegenüber älteren Schülern und Lehrern und all diese Dinge.

Doch die Regeln, die man wirklich befolgen musste, um nicht in wirkliche Schwierigkeiten zu geraten, waren die ungeschriebenen Regeln.

Die, von denen niemand zugeben würde, dass es sie gab, obwohl sich alle daran hielten.

Und die erste von diesen ungeschriebenen Regeln lautete:

'Verleugne, oder besser noch vergiss, wer du einmal gewesen bist.'

Denn die 'Akademie' wollte keine Freigeister.

Sie wollte keine Individuen.

Alles, was sie wollte, waren abgerichtete Killer, die nur auf einen Befehl warteten, für diesen Befehl lebten und ihn auch ausführten.

Deswegen lautete die zweite ungeschriebene Regel auch

'Egal, was verlangt wird: Tu's einfach.'

Und die dritte, die den meisten die größten Schwierigkeiten bereitete,

'Denk nicht nach. HANDLE!'


Aiden sah sie von der Seite her an.

"Sollen wir?"

Katelyn nickte und stellte sich ihm gegenüber auf.

Sie wusste genau, dass Aiden warten würde, bis sie ihn angriff, weil er sich besser gegen sie verteidigen konnte als sie anzugreifen. Er hatte leichte Hemmungen, Mädchen zu schlagen. Er brauchte das Gefühl, angegriffen zu werden, um gegen Mädchen kämpfen zu können.

Katelyn kannte dieses Problem nicht.

Doch bevor sie anfangen konnte, wurde die Eingangstür weit aufgerissen und B kam herein stolziert, als wäre er der King der Turnhalle.

Aiden hatte Mühe, ein amüsiertes Schnauben zu unterdrücken und Katelyn verdrehte nur genervt die Augen.


Wenn B auftauchte, bedeutete das meist, dass Ärger auch nicht weit war.

Und Ärger war genau das, was Katelyn gerade nicht gebrauchen konnte.

Nicht an diesem Tag.


"Wie schön, wie schön. Ihr seid schon fleißig.", meinte B und betrachtete Aiden und Katelyn, die immer noch in Position standen.

"Wären wir, wenn du uns nicht davon abhalten würdest.", meinte Aiden und lockerte seine angespannte Kampfhaltung gerade genug, um nicht mehr ganz so abwehrend zu wirken. Doch Katelyn wusste, dass er noch immer so kampfbereit war, wie noch vor einer Minute.

"Was willst du, B?"

Katelyn verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Sie traute ihm nicht, und das hatte seine Gründe.

B sah sie lange an, ein undefinierbares Lächeln im Gesicht, das nicht gerade Katelyns Vertrauen in ihn stärkte.

"Nun ja, wie man so hört, hast du heute das benötigte Alter für die wirklich spannenden und aufregenden und auch gefährlichen Missionen erreicht."

B zog eine Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte, und streckte seine Hand in ihre Richtung aus.

"Herzlichen Glückwunsch, Katelyn. Auch wenn du es vielleicht nicht weißt, ist heute dein 17. Geburtstag."

B's Blick und sein Gesichtsausdruck veränderten sich. Nun hatten sie nichts mehr gezwungen-freundliches, sondern nur noch etwas Hinterlistiges, etwas Lauerndes.

"Oder wusstest du es etwa?"

Katelyn biss sich auf die Innenseite ihrer Backe, um ihm nicht ins Gesicht zu springen.

"Nein.", antwortete sie langsam, emotionslos.

"Wusste ich nicht."

B starrte sie an und Katelyn starrte zurück. Sie wusste, dass er testen wollte, ob sie log oder nicht.

Katelyn hasste es, zu lügen. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass lügen falsch war.

Also log sie nicht, wenn es sich vermeiden ließ.

Aber wenn sie lügen musste, log sie gut.

Noch nie hatte jemand eine ihrer Lügen durchschaut.

B ließ schließlich nach und wandte sich an Aiden.

"Hast du das Mindestalter nicht auch schon erreicht, Aiden?"

Aiden nickte knapp.

"Wann war das genau?"

Aiden zuckte mit den Schultern.

"Drei Monate und zwei Wochen?"

B grinste teuflisch und sah ihn an.

"Und zwar auf den Tag genau. Du hast es dir gemerkt."

"Hat er nicht.", meinte Katelyn, bevor Aiden antworten konnte.

"Aiden kann einfach gut schätzen."

Sie funkelte B an.

"Was du wüsstest, wenn du dir mal die Testergebnisse ansehen würdest, anstatt uns die ganze Zeit vom Training abzuhalten, uns zu schikanieren und uns irgendwelche Dinge zu unterstellen."

Sie kehrte ihm den Rücken zu, ging zum Umkleideraum und hoffte fast, dass er versuchen würde, sie anzugreifen, doch er tat ihr diesen Gefallen nicht.

Stattdessen hörte sie, wie B mit seinen schweren Schritten die Halle verließ und Aiden ihr beinahe lautlos folgte.

"Du weißt, dass er das nicht einfach so hinnehmen wird.", flüsterte Aiden eindringlich, als er sie vor der Tür, die zu den Umkleiden führte, einholte.

"Katie, B ist ein Mistkerl, aber er ist älter als wir. Er ist unser ..." Aiden stockte und Katelyn sah auf.

"Was? Was ist?"

Sie hatte ihr Trainingsoberteil ausgezogen und sah ihn jetzt an.

"Gar nichts."

Er schüttelte den Kopf und lächelte sie an.

"Du bist nur keine fünf mehr."

Bevor Katelyn etwas sagen konnte, lenkte Aiden auf das eigentliche Thema zurück.

"Er ist unser Betreuer, Chef oder wie auch immer du es nennen willst."

"Jedenfalls NICHT Chef.", knurrte Katelyn und zog sich ein frischen T-Shirt an.

"Meinetwegen. Aber wir müssen vorsichtig sein, wie wir mit ihm reden. Er ist unsere Verbindung nach oben. Wenn er uns hasst, hassen die da oben uns auch."

Katelyn sah ihren besten Freund an und schmunzelte.

"Nein, tun sie nicht."

Sie zog sich einen Wollpullover über, da es draußen noch recht frisch war, und stellte sich direkt vor Aiden. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte eine Hand an seine Seite und beugte sich vor, bis ihre Lippen beinahe sein Ohr berührten.

"Dazu sind wir einfach zu gut."

Dann ließ sie ihn wieder los, lächelte ihn an und ging, bevor alle anderen kommen würden, um vor dem Unterricht noch eine kurze Trainingseinheit zu absolvieren.


"...doch das Wichtigste ist..."

Katelyn stöhnte und legte ihren Kopf auf ihre Arme, die schon seit knapp eineinhalb Stunden verschränkt auf dem Tisch ruhten.

"...dass Sie immer sicher stellen, keine Spuren hinterlassen zu haben. Blah, blahblah, blaaaah...", murmelte sie und schloss die Augen.

Aiden neben ihr tarnte ein leises Lachen als Husten und lehnte sich dann zu ihr runter.

"Wir sind nicht hier, um zu schlafen. Wir sollen aufpassen.", meinte er mit einem Augenzwinkern und Katelyn verdrehte die Augen.

"Das würde ich ja - wenn ich den Vortrag nicht schon drei Mal gehört hätte. Und er klingt jedes Mal absolut gleich."

Sie richtete sich wieder auf und streckte sich ein wenig.

"Wetten, dass gleich jemand fragt, wie man sicher stellen kann, keine Spuren hinterlassen zu haben?"

Sie sah Aiden herausfordern an und Aiden nickte.

"Okay, aber du zählst nicht."

Katelyn schmunzelte.

"Bitte. Als ob ich so was nötig hätte."

Kaum hatte Katelyn den Mund zu gemacht, meldete sich ein junges Mädchen. Mit ihrem frisch gespitzten Stift, der nur wenige Millimeter über dem Papier schwebte, ihrer Brille und den vor Aufregung geröteten Wangen sah sie so wissbegierig aus, dass Katelyn und Aiden nur einen Blick tauschen mussten und beinahe laut zu lachen begannen.

"Ja, bitte, junges Fräulein?"

Der unterrichtende Lehrer, ein Professor, der schon ein bestimmtes Alter überschritten hatte und so alt und gebrechlich wirkte, vor allem mit seiner Hornbrille und den alten, ausgeblichenen Anzügen und den weißen Haaren, lächelte die junge Schülerin freundlich an, gespannt auf ihre Frage. Doch eigentlich war es ein Witz, dass ein Mann, der kaum noch etwas sah, selbst wenn es direkt vor ihm war, einer Klasse beibringen sollte, wie sie einen (meist selbstverursachten) Tatort spurenfrei verlassen sollte.

"Bitte frag nicht, bitte frag nicht, bitte frag nicht.", murmelte Aiden leise, doch Katelyn grinste nur.

"Professor, ich frage mich gerade, wie man sich ganz sicher sein kann, keine Spuren hinterlassen zu haben. Ich meine, Hautschuppen sind so winzig, dass man sie nicht mal mit den eigenen Augen sehen kann. Wie soll man da sicherstellen, dass keine zurück geblieben ist?"

Aiden stöhnte ungläubig auf, zog aber sein Portemonnaie hervor, entlockte ihm eine Banknote und reichte sie an Katelyn weiter.

"Das ist eine wirklich sehr gute Frage, junge Dame. Und die Antwort ist, was Sie vielleicht überraschen wird, genau so simpel zu erklären wie einfach durchzuführen ..."

"Ich fass' es nicht, dass sie das allen Ernstes gefragt hat.", murmelte Aiden und Katelyn steckte den Schein ein, während der Professor den genauen Vorgang erklärte.

"Das fragt wirklich immer jemand. Und danke, du hast mir gerade mein Mittagessen finanziert."

Aiden lächelte sie an und schüttelte den Kopf.

"Keine Chance, Katie. Ich lade dich heute ein. Du hast schließlich", er schnaubte leise,

"das Alter für die wirklich spannenden und interessanten und gefährlichen Missionen erreicht."

"Schschsch!", zischte Katelyn und sah sich um, ob irgendjemand etwas gehört hatte, doch zum Glück saßen die jüngeren, die aufpassten, weiter unten und alle anderen in ihrem Alter, die den Unterricht schon kannten, schliefen oder lenkten sich irgendwie anders ab, so dass ihnen niemand Aufmerksamkeit schenkte.

"Das muss ja nicht jeder wissen."

Aiden zuckte mit den Schultern.

"Wie du willst. Wann sollen wir noch mal eingreifen?", fragte Aiden und beobachtete, wie der Professor vorne vergeblich versuchte, etwas an der Tafel zu skizzieren.

"Wenn er unsere Hilfe braucht."

"Kann man das als 'Hilfe brauchen' bezeichnen?", fragte Aiden und deutete nach vorne.

Katelyn beobachtete den Professor einen Moment und schüttelte dann den Kopf.

"Nein. Es wurde ausdrücklich gesagt, dass er das Wort 'Hilfe' in den Mund nehmen muss."

"Sonst tickt er aus?"

"Jap.", antwortete Katelyn und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Na, das kann ja was werden.", seufzte Aiden und machte es sich auf seinem Tisch bequem.

Denn beiden war klar, dass der Professor viel zu eitel, stolz und stur war, als dass er um Hilfe bitten würde.


"Und vergessen Sie nicht : Seien Sie immer auf der Hut. Nur weil Sie immer aufpassen, heißt das noch lange nicht, dass Sie auch immer fehlerfrei arbeiten.", ermahnte der Professor, als es zum Mittagessen läutete, während schon alle nach draußen stürmten.

"Auf Wiedersehen, Professor.", verabschiedete sich Katelyn von ihm, als sie an ihm vorbei nach draußen gehen wollte.

"Ah, Katelyn. Ich habe von Ihrem herausragenden Testergebnis erfahren. Es freut mich, dass eine meiner Schülerinnen so gut abgeschnitten hat."

Katelyn schaffte es, zu lächeln.

"Das war nicht weiter schwer. Außerdem war ich nicht die einzige aus ihrem Kurs, die mit einer solch hohen Punktzahl bestanden hat."

Sie zog Aiden neben sich.

"Aiden war genau so gut."

Der Professor blinzelte durch seine Brille und lächelte, als er Aiden wiedererkannte.

"Ah, natürlich. Aiden. Der einzige, der sich je die Mühe gemacht hat, meinen Unterricht ernst zu nehmen."

Aiden lachte und schüttelte die Hand des Professors.

"Nur der einzige, der schlau genug war, Sie nicht merken zu lassen, dass ich geschlafen habe."

Katelyn lächelte und sah zur Tür - und ihr Lächeln gefror.

B stand dort und sah sie an. Er winkte sie zu sich.

Langsam ging sie zu ihm. Sie versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen, sie hatte schließlich nichts angestellt.

"B.", meinte sie nur, als sie vor ihm stand und wartete, was wohl kommen würde.

"Genießt du deinen Geburtstag auch schön?", fragte er sie, grinste sie an und Katelyn überkam wieder das Gefühl, ihm eine verpassen zu wollen. Doch sie riss sich zusammen und zuckte nur mit den Schultern.

"Bloß ein Tag wie jeder andere auch."

B sah sie an.

"Natürlich. Das perfekte Mädchen hat die perfekte Antwort parat."

Er schnaubte verächtlich.

Dann ging er auf sie zu, doch Katelyn wich nicht zurück. Sie hatte gelernt, dass Zurückweichen eine Art von Rückzug war, was wiederum eine Art von Angst war. Und Angst war eine Schwäche, die hier nicht geduldet wurde.

"Sei vorsichtig, Schätzchen. Du bist jetzt 17. Das perfekte Alter, um die wirklich heißen Missionen zu bekommen. Und auch wenn die oben der Meinung sind, dass du aufgrund der Testergebnisse perfekt geworden bist, genau so, wie sie dich immer wollten, weiß ich, dass du es nicht bist."

Er trat zurück und lächelte sie mit einem bösen, teuflischen Lächeln an.

"Ich kann entscheiden, wie geeignet du für eine Mission bist. Welche Mission du bekommst. Und wenn du bei einer Mission sterben solltest ... wäre es nichts weiter als ein tragischer Unfall. Mich würde keine Schuld treffen."

Er ging wieder auf normalen Abstand und sah zu dem Professor, der immer noch mit Aiden redete.

"Ich kann dich töten, wenn ich es will.", formte er stumm mit den Lippen und verschwand in der Menge der Schüler, die zum Mittagessen stürmten.

Katelyn sah ihm nach.

Aiden stand plötzlich neben ihr und sah gerade noch, wie B in der Kantine verschwand.

"Was wollte er?"

Katelyn seufzte und zuckte mit den Schultern.

"Mich daran erinnern, dass ich nicht unsterblich bin? Mich daran erinnern, dass ich ihm seit 12 Jahren auf die Nerven gehe und jetzt das Alter für die gefährlichen Missionen erreicht habe, bei denen ihm niemand die Schuld geben würde, wenn ich sterben sollte?"

Aiden knirschte mit den Zähnen, sagte aber nichts.

"Komm, lass uns essen gehen.", meinte Katelyn und sah ihn an.

"Bevor ich noch gänzlich anfange, diesen Tag als 'Katastrophe' abzustempeln."

Aiden nickte.

"Okay."

Zusammen gingen sie in die Kantine, holten sich das übliche, vitaminreiche und gesunde Essen, setzten sich mit den selben Leuten an einen Tisch, redeten über die selben Themen wie immer, während um sie herum das selbe laute Chaos herrschte wie jeden Tag.

Und doch hatte Katelyn das Gefühl, dass es nicht wie immer war.

Sie sah sich vorsichtig in der Kantine um und bemerkte zwei Männer in schicken, neuen und teuren Anzügen, die sie noch nie zuvor in der Kantine, oder überhaupt irgendwo, wo sich die Schüler der 'Akademie' aufhielten, gesehen hatte.

Ihr Misstrauen wurde geweckt, als sie bemerkte, wie die beiden Männer immer wieder zu ihrem Tisch starrten, auf sie oder Aiden deuteten und leise miteinander tuschelten. Sie hielten sich die Hände vor den Mund, wenn sie redeten, was es unmöglich machte, von den Lippen abzulesen - was vermutlich genau der Sinn war.

Als einer der Männer bemerkte, wie Katelyn sie beobachtete, stupste er den anderen an, sie sahen sie beide an, doch anstatt weg zu sehen und somit zu leugnen, dass sie die beiden Männer beobachtet hatte, hielt sie den Blick aufrecht und zeigte ihnen somit deutlich, dass sie es bemerkt hatte und dass sie wusste, wen sie beobachtet hatten.

Beinahe synchron standen die beiden Männer auf, drehten sich um und verließen die Kantine, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Erst, als sie weg waren, drehte sich Katelyn wieder ihrem Tisch zu und begegnete Aidens fragendem Blick.

"Wen haben sie beobachtet?"

"Wen wohl?", erwiderte Katelyn und stand auf.

"Ganz im Ernst : Ich hasse Geburtstage. Sie bringen nichts als Schwierigkeiten."




































Kapitel 2 : Die Prüfung


Josh stöhnte und musste einen Schritt zurück treten, als Katelyn mit voller Wucht gegen den Sack, den er festhielt, trat.

"Meine Fresse, Kate, der Sack und ich haben dir nichts getan."

Aiden, der mit verschränkten Armen daneben stand und Katelyn bei ihrem Training beobachtete, löste sich von der Wand.

"Ich übernehme, Josh. Danke."

Josh ließ den Sack los und trat ein paar Schritte weg.

"Klar. Aber du solltest vorsichtig sein. Sie hat einen ordentlichen Wums drauf. Ich bin echt froh, dass ich nie gegen sie antreten muss."

Aiden lächelte und packte den Sack so, dass er sich nur minimal bewegen konnte.

"Das sind wir, glaube ich, alle."

Katelyn verdrehte die Augen und trat erneut zu. Sie konnte sehen, wie selbst Aiden die Wucht überraschte, auch wenn er es sich nicht wirklich anmerken ließ. Doch wenn man 12 Jahre lang zusammen trainierte, erkannte man die winzigen Anzeichen.

"Willst du mir sagen, was dich so rasend macht?", fragte Aiden sie leise, als Josh außer Hörweite war und sah sie an.

"Nein.", meinte Katelyn nur und schlug in einer komplizierten Schlagfolge fehlerfrei auf den Sack ein.

"Das war perfekt.", meinte Aiden und sah sie an.

"Aber einen Tick zu langsam.", flüsterte Katelyn und starrte verbissen auf den Boxsack.

"Katie, niemand, den du mit dieser Schlagfolge angegriffen hättest, hätte reagieren können. Nicht einmal ich.", widersprach Aiden und wappnete sich gegen die nächsten Schläge, doch Katelyn starrte an ihm vorbei zur anderen Seite der Trainingshalle.

"Sie hätten es bestimmt gekonnt.", flüsterte Katelyn leise und versuchte gar nicht erst, Aiden gegenüber ihre Verachtung zu verbergen.

Aiden drehte sich um und sah die beiden Männer in ihren teuren Anzügen, die sie auch schon beim Mittagessen gesehen hatten.

"Sind das die gleichen?", fragte Aiden und ließ den Sack los.

"Ja.", meinte Katelyn und beobachtete die beiden Männer, die so taten, als würden sie alles mögliche beobachten und inspizieren, nur nicht Aiden und Katelyn.

Aiden schüttelte den Kopf und schnaubte amüsiert.

"Man sollte doch meinen, dass die wissen, wie man jemanden richtig beobachtet. Auffälliger geht es ja wohl kaum."

Er drehte sich wieder um und packte den Boxsack wieder.

"Na los, komm schon, Katie. Wenn sie etwas wollen, werden sie es uns schon wissen lassen."

Katelyn sah ihn an, und auch wenn sie nicht wollte, ging sie wieder in Position. Aiden hatte recht. Es machte keinen Sinn, ihre wertvollen Trainingseinheiten zu verschwenden, nur weil zwei Anzugträger aus der Übung waren, was das unauffällige Beobachten anging.

Katelyn trainierte weiter, wie Aiden verlangt hatte, doch steckte hinter ihren Schlägen nicht mehr die Kraft, die sie hatte.

Sie war einfach zu abgelenkt von dem Wissen, dass die Männer noch immer dort standen.

Alles in ihr war auf Alarmbereitschaft, denn jeder einzelne ihrer zur Perfektion ausgebildeten Instinkte sagte ihr, dass diese Männer eine undefinierte Gefahr darstellten.

Aiden hingegen schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Erst hielt er den Sack, und als sie tauschten, trainierte er am Sack, wie auch an jedem anderen Tag.

Nachdem sie ungefähr eine Stunde lang trainiert hatten, und beide schweißnass waren, beschlossen sie, trotz dessen, dass die Männer in Anzügen noch da waren, weiter zu trainieren.

"Es ist mir vollkommen egal, was sie sehen wollen oder wer sie sind. Ich lass mir nicht die leere Turnhalle von ihnen vermiesen, wenn die Kleinen wieder in den Unterricht müssen!"

Katelyn musste grinsen, auch wenn sie es nicht wollte, und sah sich um. Von ein Uhr mittags bis drei Uhr mittags fand kein Unterricht statt, da es Mittagessen gab, und wer mit dem Mittagessen schnell fertig war, sah zu, dass er eine extra Trainingseinheit dazwischen schieben konnte. Die größeren hatten es dabei nicht so eilig wie die jüngeren, denn während die jüngeren bis ungefähr 16 Jahre ab um drei wieder Unterricht hatten, mussten die größeren nach dem Mittagessen selbstständig trainieren.

Da es kurz vor drei war, war die Halle inzwischen fast leer.

Nur Aiden, Katelyn, die beiden Männer in ihren Anzügen und einige wenige aus ihrer Stufe waren noch da.

"Okay, ist ja gut.", gab Katelyn nach, konnte das merkwürdige Gefühl aber nicht los werden.

Aiden kam eine Idee, sie konnte es sehen, er sah sie an und grinste.

"Was hältst du davon, wenn wir mal nicht mit oder gegen den Boxsack trainieren?"

Katelyn sah ihn einen Moment lang nur an, unschlüssig, ob er das ernst meinte oder nur scherzte.

"Komm schon, Katie. Wann haben wir das letzte Mal so trainiert?"

"Als ich noch etwas schlechter war als du. Wir haben aufgehört, so zu trainieren, als es für dich immer schwieriger wurde, zu gewinnen. Du hattest keine Lust mehr, ständig zu verlieren.", erinnerte sie ihn und grinste.

Aiden sah sie mit einem übertrieben böse gespielten Blick an und Katelyn musste lachen.

"Willst du oder willst du nicht?", fragte er und Katelyn nickte, immer noch grinsend.

"Okay, wie du willst. Regeln?"

Aiden holte tief Luft und dachte nach.

"Nicht an besonders ... empfindliche Stellen.

Nicht so, dass der andere ernsthafte Verletzungen davon trägt und schon gar nicht so, dass einer blutet."

Katelyn sah ihn an und verdrehte die Augen.

"Wo bleibt denn da der Spaß?"

"Schon unglaublich, dass wir so was zum Vergnügen tun.", murmelte Aiden leise und schielte aus den Augenwinkeln zu den Männern in Anzügen.

"Ich meine, wir werden darauf vorbereitet, Leben auszulöschen. Menschen zu töten. Die auch Familie haben. So wie wir."

Schneller, als Aiden es realisieren konnte, weil er immer noch zu den Männern in Anzügen schielte, packte Katelyn ihn, wirbelte ihn mit wenigen Griffen herum und knallte ihn mit dem Rücken hart auf die Matte. Sie war in die Knie gegangen, um ihn noch kraftvoller auf den Boden zu knallen, und kniete nun neben ihm.

Ihre Haare fielen so, dass sie Aiden und sie vor den Blicken der Männer abschirmten.

"Sag so was nicht, Aiden. Sag so was nie wieder, hörst du?", wisperte sie leise und hasste es, dass sie so besorgt klang.

" Schwör mir, dass du so etwas nie wieder aussprichst.", verlangte sie und wusste, dass Aiden die Angst in ihren Augen sehen konnte.

"Okay. Ich werde so etwas nie wieder aussprechen.", murmelte er leise.

Katelyn stand auf und half ihm auf.

"Entschuldige."

Aiden lächelte sie an.

"Wieso? Das war keine besonders empfindliche Stelle, ich blute nicht und ich werde auch keine ernsthaften Verletzungen davon tragen - denke ich jedenfalls."

Doch Katelyn fand das gar nicht witzig.

"Ich geh duschen. Mir reicht's für's erste.", meinte sie und sah Aiden nicht an, als sie an ihm vorbei zu den Duschräumen eilte, die im Gegensatz zu den normalen Umkleiden und in diesem Moment zum Glück, getrennt waren.


Katelyn stand unter Dusche, das heiße Wasser prasselte auf sie nieder und sollte sie eigentlich entspannen, doch es wirkte nicht.

Sie hatte zu große Angst, dass irgendjemand, ganz egal, wer, mitbekommen haben könnte, was Aiden gesagt hatte.

Und wenn es niemand in der Halle gehört hatte, konnte es immer noch sein, dass eine der mehr oder weniger versteckten Kameras es aufgezeichnet hatte.

Wenn irgendjemand außer ihr erfahren würde, was Aiden gesagt hatte, wäre er erledigt.

Und das nicht nur im Sinne von Nachsitzen, Strafarbeiten und Arrest, sondern wirklich erledigt.

Er wäre erledigt.

Es würde wie ein Unfall aussehen, doch alle würden wissen, was es wirklich bedeutete.

Alle würden wissen, dass er etwas gegen die 'Akademie' gesagt hatte.

Und sie würde ihn verlieren.

Und das konnte sie nicht.

Er war alles, was ihr noch irgendeine Art von Halt gab.

Wenn sie ihn verlieren würde...

Ein kaum wahrnehmbares Geräusch ließ sie aufschrecken.

Irgendjemand schlich durch die Umkleide, darauf bedacht, nicht bemerkt zu werden.

Und keines der anderen Mädchen würde sich die Mühe machen, ihre Anwesenheit geheim halten zu wollen. Jemanden zu erschrecken war hier keine gute Idee.

Ohne das Wasser abzustellen, und somit zu verraten, dass sie den Eindringling gehört hatte, schnappte sie sich ihr Handtuch und wickelte es sich um. Dass es dabei nass wurde, war ihr egal, gab es doch noch genügend andere Handtücher.

Lautlos schlich sie aus der Dusche und sah sich im angrenzenden Raum, in dem die Sachen aufbewahrt wurden, um. Doch sie sah niemanden.

Was an dieser Schule nicht viel bedeutete, wie sie selbst wusste.

Katelyn hatte sich schon fast entschlossen, weiter in den Raum rein zu gehen, als sie in der gefliesten Wand eine Silhouette entdeckte und wie angewurzelt stehen blieb.

Sie zog das Handtuch noch einmal fester und bereitete sich darauf vor, anzugreifen oder sich wenigstens zu verteidigen.

Wer auch immer dort war, war sehr unvorsichtig, wie Katelyn feststellte.

Er achtete auf überhaupt nichts.

Als derjenige nah genug war, trat sie gerade so weit vor, dass sie demjenigen ihren Ellenbogen schmerzhaft in den Bauch rammen konnte.

Doch so weit kam sie gar nicht.

Wer auch immer in den Duschraum gekommen war, war schneller als sie.

Bevor sie reagieren konnte, wurde sie gegen die Wand gedrückt, spürte einen stechenden Schmerz am Hals und spürte, wie ihr schwarz vor Augen wurde.

Wütend biss sie die Zähne zusammen und zwang ihren Körper, dem Impuls zu widerstehen.

Niemand würde sich erst ungestraft an sie heran schleichen und sie dann auch noch bewusstlos werden lassen!

Ohne irgendetwas zu sehen, musste sie nach Gefühl zu schlagen und war erleichtert, als sie etwas traf und der Druck an ihrem Hals nachließ. Sie hörte die Tür auf- und zugehen und riss die Augen auf, doch es war niemand mehr da.

Genervt sank sie mit dem Rücken gegen die Wand und seufzte.

Dann beschloss sie, sich anzuziehen, bevor noch jemand rein kam.

Sie beeilte sich und stürmte, kaum, dass sie ihre Schuhe zugebunden hatte, aus dem Raum -und direkt Aiden in die Arme.

"Katie! Alles okay?"

Aiden sah sie alarmiert an, doch nicht, weil er ihren Schrecken bemerkt hatte, sondern weil er selbst so etwas ähnliches erlebt hatte wie sie. Sie sah es an der Druckstelle an seinem Hals.

"Ja, alles in Ordnung. Was ist passiert?"

Aiden setze zu einer Antwort an, doch als etwas seine Aufmerksamkeit hinter ihr erregte, wirbelte er sie in einer einzigen, blitzschnellen und fließenden Bewegung hinter sich.

Katelyn sah über Aidens Schulter und sah die beiden Männer in Anzügen auf sie zu kommen.

Wütend sah sie, wie einer von ihnen bei jedem zweiten Schritt leicht das Gesicht verzog. Er hatte Schmerzen am Bauch. Genau an der Stelle, an der Katelyn ihren Angreifer getroffen hatte.

"Diese Mistkerle!", knurrte sie und stellte sich mit verschränkten Armen neben Aiden.

"Bei dir waren sie also auch?"

Aiden sah sie an.

"Ja."

Aiden schwieg und die beiden warteten, bis die Männer in Anzügen vor ihnen standen.

"Herzlichen Glückwunsch. Sie beide haben den Test bestanden.", meinte einer von ihnen, dessen rechtes Auge ziemlich rot und geschwollen war und Katelyn erkannte sofort, dass es Aidens Werk war.

"Mit Bravur.", fügte der andere hinzu, verzog vor Schmerz das Gesicht und hielt sich die schmerzende Stelle.

"Den Test ?", fragte Aiden wütend und sah die beiden Männer an.

"Was für einen Test?"

Ohne etwas zu sagen, deuteten sie den beiden, ihnen zu folgen. Aiden verdrehte die Augen, folgte ihnen aber. Sie gingen in eines der drei Gebäude, zu denen Schüler keinen Zutritt hatten, wurden sie nicht dazu aufgefordert.

Katelyn sah nervös zu Aiden. Doch anscheinend machte er sich keine Sorgen, dass dieser Überraschungs-Test irgendetwas mit dem zu tun haben könnte, was er gesagt hatte.

Die beiden Männer durchquerten die Eingangshalle und liefen die Treppe bis in den dritten Stock hoch, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen; sie gingen einfach davon aus, dass Katelyn und Aiden ihnen folgten.

Im dritten Stock liefen sie einen langen Flur entlang, um schließlich vor einer Bürotür stehen zu bleiben. Die Tür war unglaublich dick und stabil und Aiden und Katelyn sahen sich neugierig an. Katelyn konnte sehen, wie es Aiden in den Fingern juckte, zu versuchen, die Tür zu knacken. Aiden war ein Spezialist, wenn es um Fingerfertigkeiten ging.

Einer der Männer gab einen furchtbar kompliziert wirkenden Code in das Tastenfeld der Tür ein und rein aus Gewohnheit merkten sich Katelyn und Aiden je einen Teil der Zahlenkombination.

Sie konnten hören, wie mindestens fünf verschiedene Schlösser deaktiviert wurden, bevor die Tür endlich aufging und einer der Männer vor ihnen eintrat, während der andere ihnen folgte und die Tür wieder schloss.

Aiden und Katelyn blieben gut einen Meter vor dem Schreibtisch, der mit dem Rücken zum Fenster aufgestellt worden war und beinahe die gesamte Breite des Raumes einnahm, stehen.

Der Mann mit dem blauen Auge blieb hinter ihnen stehen und Katelyn spürte, wie sie automatisch aufmerksamer wurde. Sie entschied sich nicht bewusst dafür, doch es war ihr antrainiert worden.

Der, den Katelyn in den Bauch geschlagen hatte, ließ sich erleichtert in den einzigen Stuhl im Raum fallen und sah die beiden an.

"Also. Der Test."

Sein Partner kam mit einem dicken Stapel Unterlagen an den Schreibtisch und setzte sich lässig auf die Kante, was irgendwie komisch aussah.

"Ihr seid nun beide 17 und ihr habt beide hervorragende Testergebnisse, schon jeder einzeln für sich. Doch noch viel besser seid ihr, wenn ihr zusammen arbeitet.", erklärte der auf der Tischkante.

"Und warum dann dieser Test?", fragte Aiden noch immer wütend und sah die beiden an.

"Das war nur der erste einer ganzen Reihe von Tests. Wir mussten wissen, wie ihr euch in einer Situation verhaltet, wenn ihr eindeutig unterlegen seid. Ob ihr aufgebt oder kämpft."

Katelyn schnaubte.

Doch bevor jemand darauf eingehen konnte, klopfte es an der Tür und der Typ auf der Tischkante sprang auf, um die Tür zu öffnen.

"B. Wie schön, dass Sie es auch schon einrichten konnten, zu kommen. Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass wir schon angefangen haben, ihren Schützlingen zu erklären, was auf sie zu kommt."

Aiden und Katelyn sahen sich an, zum Einen, weil B dabei war und zum Anderen, weil sie hören konnten, wie sehr der Mann im Anzug ihren Mentor verachtete, auch wenn er sich bemühte, es nicht zu sehr zu zeigen.

"Nein, kein Problem, Ziza. Wie ich sehe, hat Aiden dir ganz schön eine verpasst. Muss höllisch weh tun, was?"

Auch wenn B fröhlich klang und es schien, als meine er das alles nur im Spaß, verfinsterte sich Zizas Gesicht und Katelyn stöhnte innerlich auf.

"Das kann ja was werden, wenn sich hier alle gerne gegenseitig umbringen würden.", murmelte Aiden und Katelyn stimmte ihm stumm zu.

Es war nicht zu übersehen, dass Ziza und sein Partner B für eine Witzfigur hielten und B die beiden für Schnösel und Angeber. Sie verachteten sich gegenseitig und Katelyn und Aiden standen genau zwischen ihnen.

"Okay, weiter im Text. B, du bist nur hier, weil die beiden deine Schützlinge sind und es vorgeschrieben ist, dass du über alles informiert wirst. Das bist du jetzt hiermit. Sie haben den Test bestanden und können nun mit dem nächsten weiter machen." meinte der Kerl, der hinter dem Schreibtisch saß, und gab sich keine Mühe, seine Abneigung gegenüber B zu verbergen.

"Das kann ich sehen, Ace. Doch mich würde interessieren, wo dich meine kleine Wildkatze getroffen hat, schließlich hast du nicht so ein schön erkennbares blaues Auge wie dein Partner. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen... Nieren? Leber? Irgendwo in der Region."

Ace strafte B mit einem bösen Blick, den dieser jedoch nur mit einem Grinsen quittierte, und wandte sich wieder an Katelyn und Aiden.

"Schön, zweiter Test. Dieser ist schriftlich. Ihr bekommt einige Blätter mit Fragen, die ihr beantworten müsst. Ihr habt dazu eine Stunde Zeit. Ziza, begleite doch bitte B wieder nach unten, während ich die beiden in den Nebenraum bringe."

Ziza grinste und nickte.

Dann führte er B an den Schultern wieder aus dem Raum raus und dirigierte ihn mit fester Hand die Treppe nach unten.

"So ein mieser, arroganter Sack von unnützer Energieverschwendung.", murmelte Ace und Katelyn musste lachen.

Ace sah sie überrascht an.

"Wir ... haben auch so unsere Differenzen mit ihm.", meinte Aiden lächelnd und Katelyn holte tief Luft, um sich zu beruhigen.

"Ich wundere mich sowieso, wie ihr diese Testergebnisse mit ihm als Mentor erzielen konntet.", meinte Ace und öffnete die Tür.

Katelyn grinste.

"Da gibt's ein paar Möglichkeiten. Von Anfang an das Gegenteil von dem zu tun, was er sagt, ist ziemlich hilfreich."

"Das würde so einiges erklären.", murmelte Ace leise und lächelte schwach, als er die Tür zum Nebenraum öffnete.

"Ihr müsst diesen Test natürlich jeder für sich ausfüllen. Ihr müsst ihn ehrlich beantworten. Und es müssen alle Fragen in der vorgegebenen Zeit beantwortet werden."

Ace legte einen Stapel Blätter auf einen Tisch und den anderen Stapel auf den Tisch daneben.

"Abschreiben bringt nichts, also könnt ihr ruhig nebeneinander sitzen."

Aiden sah Katelyn an und schmunzelte.

"Als ob einer von uns es nötig hätte, abzuschreiben."

Sie setzten sich und Ace reichte ihnen zwei Kugelschreiber.

"Eure Stunde fängt jetzt an.", teilte er ihnen mit, startete eine riesige Stoppuhr und verließ den Raum.














Kapitel 3 : Konsequenzen


Aiden trat mit voller Wucht gegen den Sack und lächelte, als Danni stolperte und sich auf die Matte fallen ließ. Katelyn stand an der Wand und beobachtete, wie Aiden Danni hochzog und ihr wieder auf die Füße half.

"Alles okay? Ich hab' dir doch nicht weh getan, oder?"

Danni lächelte zurück und schüttelte den Kopf.

"Nein, ich hab' mich ja glücklicherweise fallen lassen."

Danni strich sich ihre blonden Haare aus der Stirn.

"Kannst du mir nochmal zeigen, wie der Tritt geht? Bei mir ist er nie so kräftig."

Aiden nickte und Danni lächelte zufrieden.

Sie drehte sich um und Aiden stellte sich hinter sie.

"Du musst nur das Bein im richtigen Winkel und in der richtigen Höhe haben."

Er fasste sie sanft an der Hüfte und hob ihr Bein noch ein Stück höher, als sie es schon hatte.

"Und jetzt zutreten."

Danni tat, was Aiden sagte und stellte erstaunt fest, dass der Tritt nun viel kräftiger war.

"Wow. Das liegt alles wirklich nur an der Höhe und dem Winkel?"

Sie drehte sich lächelnd zu ihm um und sah ihn an.

"Ja. Der perfekte Winkel und die perfekte Höhe bedeuten maximale Wirkung bei minimaler Anstrengung."

"Das hätte mir auch klar sein können...", murmelte Danni und lächelte Aiden an.

"Danke."

Sie streckte sich, küsste Aiden auf die Wange und kicherte.

"Ich geh dann mal."

Sie ging, drehte sich aber an der Tür nochmal um und winkte ihm zu.

"Dir ist klar, dass sie auf dich steht, oder?"

Katelyn stieß sich von der Wand ab und trat zu Aiden an den Boxsack.

"Meinst du?", fragte Aiden und sah sich nochmal nach Danni um, obwohl sie schon weg war.

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Du bist unmöglich."

Katelyn lächelte amüsiert und begann, sich am Boxsack aufzuwärmen.

"Vielleicht solltest du dir nicht so viel Mühe geben, dich aufzuwärmen."

Aiden nickte in Richtung der Tür und Katelyn folgte seinem Blick.

Katelyn sah erst zur Tür und sah dann Aiden an.

"Was wollen die? Die können unmöglich schon mit unseren Tests fertig sein."

Ziza und Ace betraten die Trainingshalle und kamen auf Aiden und Katelyn zu.

"Wie, schon fertig? Und müsste nicht eigentlich B dabei sein?", stichelte Aiden die beiden beim Näherkommen und Katelyn stieß ihn mit dem Ellenbogen hart in die Rippen.

"Nein, wir haben eure Testergebnisse noch nicht. Aber wir haben keine Zeit, so lange zu warten.", meinte Ace leise.

"Und B... muss nicht bei jedem Gespräch dabei sein.", fügte Ziza hinzu.

Aiden und Katelyn tauschten einen schnellen Blick.

"Okay..."

Ace nickte knapp und sah die beiden an.

"Wie lange braucht ihr zum Packen?"

"Kommt drauf an, für was wir packen müssen."

"Für eure erste Mission. Es ist notwendig, dass ihr heute Abend noch abreist."



Katelyn sah aus dem Fenster des Privatjets und sah, wie die Sonne gerade aufging. Sie schloss das Rollo und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Aiden, der ihr gegenüber saß, schien sich ganz auf seinen Zauberwürfel zu konzentrieren, doch er war nicht bei der Sache. Katelyn konnte es sehen. Normalerweise schaffte er einen Zauberwürfel in 3 bis 5 Minuten, wenn er unkonzentriert war, doch er versuchte sich nun schon seit über 10 Minuten an diesem und kam nicht weiter.

"Willst du das Ding nicht endlich mal weg legen? Du kannst es normalerweise im Handumdrehen. Und es nervt.", flüsterte sie müde und schloss die Augen.

"Du bist nur gereizt, weil du nicht weißt, wo es hin geht.", erwiderte Aiden und Katelyn konnte das Klack- Klack des Würfels hören.

"Ich bin gereizt, weil ich es nicht gut finde, dass wir ausgerechnet jetzt auf eine Mission geschickt werden, nachdem du in der Trainingshalle Kritik an der 'Akademie' geübt hast!", fuhr Katelyn ihn an, öffnete die Augen, entriss ihm den Zauberwürfel und löste ihn in 7 schnellen Zügen.

Dann knallte sie ihm den Würfel auf den Tisch vor ihm.

Aiden sagte nichts, er sah sie nicht einmal an, nahm nur den Würfel vom Tisch und packte ihn ein. Dann starrte er stumm aus dem Fenster.

"Wir setzten zum Landeanflug an. Wir müssen bald da sein.", murmelte er nach einer Weile leise und Katelyn seufzte.

Sie wusste, dass sie ihn unnötig hart angefahren hatte, doch hatte man ihr in den letzten 12 Jahren jede andere Weise, Besorgnis oder Zuneigung zu zeigen, genommen. Und für Aiden empfand sie beides - irgendwie.

Wenn ihr jemand am Herzen lag, kritisierte sie denjenigen bei allem, was er tat, bis es nichts mehr zu kritisieren gab. Und das war alles, was man in der 'Akademie' für jemanden tun konnte. Ihn in seinen Bemühungen, seine Techniken zu verbessern, unterstützen. Und meistens geschah das eben durch Kritik.

Das Flugzeug landete sanft und ohne Probleme. Katelyn blinzelte irritiert, war sie doch noch ganz mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen.

"Komm, wir sind da. Und unser Fahrdienst wartet auch schon."

Aiden stand auf und Katelyn folgte ihm. Sie hatte genau gehört, wie er diesen Fahrdienst, eine Art Überwachung, damit niemand eine Mission als Fluchtmöglichkeit sah, verabscheute, hatte aber beschlossen, ihn nicht zu rügen.

Sie warf ihre Tasche in den Wagen und stieg hinten ein, zu Aiden. Auf dem Fahrersitz saß ein junger Mann, vielleicht 25, und lächelte die beiden freundlich an.

"Ihr seid also Aiden und Katelyn. Das Team mit dem unglaublich guten Testergebnis."

"Ja, und das keine Ahnung hat, was es hier eigentlich machen soll.", murrte Katelyn leise und Aiden lächelte schwach.

"Es war ein langer Flug.", entschuldigte er sie und der Fahrer nickte verstehend und startete den Motor.

"Na dann, wollen wir euch doch mal zum Haus bringen."

Er fuhr los und Katelyn sah aus dem Fenster, ohne sich darüber bewusst zu werden, was sie sah. Sie war zu müde, um irgendetwas zu merken.

"Ich bin übrigens Ben. Und gerade einmal 5 Jahre älter als ihr."

Er sagte es vollkommen entspannt und freundlich, und doch entging weder Aiden noch Katelyn die wahre Bedeutung seiner Worte.

Seine Ausbildung war noch nicht so lange abgeschlossen, dass er anfing, schlampig zu arbeiten.

Körperlich gesehen, war er gerade auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten.

Und er hatte keine Skrupel, Menschen umzubringen.

Genau genommen war das gerade seine Hauptaufgabe.

Und sollten Aiden und Katelyn versuchen, zu fliehen, würde er nicht zögern und sie töten.

Der schwarze Jeep fuhr langsamer, bis er durch ein mindestens 6 Meter hohes und einen halben Meter dickes Eisentor auf einen riesigen Hof, der ringsumher von einer durchgehenden Backsteinmauer umgeben war, in die Fenster und Türen eingelassen waren und die in mehrere verschiedene Wohnbereiche führten, gefahren war.

Ben stieg aus und wartete, bis Aiden und Katelyn ihm folgten.

"Becca wird euch erklären, was eure Mission sein wird und euch zeigen, wo ihr untergebracht seid."

Er deutete nach vorne auf eine der Türen, aus der eine junge Frau mit kurzen, kastanienbraunen Haaren, trat und auf sie zu kam.

"Sind das die beiden?", fragte sie und sah Aiden und Katelyn an.

Ben nickte.

"Besprechung in 15 Minuten. Zeig ihnen vorher noch das, was sie sehen müssen."

Damit sprintete Ben über den Hof auf eine andere Tür zu und verschwand.

Becca sah die beiden an.

"Also dann. Wollen wir euch doch mal unterbringen."

Sie lächelte die beiden an und winkte ihnen, damit sie ihr folgten.

"Das hier ist unser Gäste- oder auch Kurzzeitquartier. Es hat ein Bad, zwei Schlafzimmer und ... eine Couch."

Becca, Aiden und Katelyn betrachteten die kleine, graue, abgewetzte Couch, die aufgrund des wenigen Platzes vor dem einzigen Fenster stand und das winzige Wohnzimmer fast komplett versperrte.

"Sieht doch schnuckelig aus.", meinte Katelyn und sah Becca an.

Becca lächelte und winkte die beiden weiter.

"Wollt ihr die Zimmer selbst aufteilen?"

"Sehen die genau so schnuckelig aus wie die Couch?"

Aiden lachte und Becca grinste.

"Ihr seid wenigstens nur ein paar Tage oder maximal Wochen hier. Mein Zimmer sieht fast genau so aus. Und ich bleibe hier."

Aiden und Katelyn klappte der Mund auf.


"Wow. Hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich freu' mich schon drauf, wenn wir zurück kommen und wieder weiche Matratzen zum Schlafen haben."

Aiden hob die dünne Matratze an und ließ sie wieder fallen.

"Komm schon, du Weichei. Becca wartet draußen, um uns zu dieser Besprechung mitzunehmen."

Katelyn lehnte sich gegen den Türrahmen zu dem Zimmer, das Aiden genommen hatte, und sah ihn an.

"Was ist das eigentlich für 'ne Besprechung?"

Aiden drehte sich zu ihr um und sie gingen beide raus.

"Keine Ahnung. Schätzungsweise bekommen wir gesagt, was wir tun sollen."

Katelyn merkte, wie sie bei dem Gedanken daran nervös wurde.


Es war ziemlich wahrscheinlich, dass sie den Auftrag bekommen würden, jemanden zu töten.

In der Theorie wusste Katelyn über 20 Möglichkeiten, jemanden zu töten und hatte es auch schon oft an Puppen ausprobiert - aber noch nie hatte sie einen lebenden Menschen getötet. Und sie hatte auch nicht das Bedürfnis, zu erfahren, wie es sich anfühlte, einen Menschen zu töten.


Becca führte die beiden ins Haupthaus und in den größten Raum des ganzen Anwesens.

Dort saß Ben bereits auf einem Stuhl und unterhielt sich mit einer Frau, deren Alter unmöglich zu bestimmen war. Ihre Haare waren schwarz und kurz, was sie relativ jung aussehen ließ, doch ihre Augen wirkten so erfahren und wissend, dass sie nicht so jung sein konnte, wie ihre Haare es annehmen ließen. Sie hatte keine sichtbaren Falten, die auf das Alter hätten schließen lassen, oder sonstige Anzeichen, die ihr Alter in irgendeine Richtung eindämmten.

"Ah, ihr seid Aiden und Katelyn. Schön, dass ihr da seid. Eure erste Mission?", fragte sie nach einem schnellen Blick und Aiden und Katelyn nickten.

"Hm. Das ist ungewöhnlich, aber wer wäre ich, dass ich die Wahl der 'Akademie' in Frage stelle?"

Aiden und Katelyn wechselten einen schnellen, unbemerkten Blick.

"Okay, spannen wir euch nicht länger auf die Folter und erzählen euch mal, was eure Aufgabe sein wird."

"Dalia, lass sie sich doch erst mal setzten. Sie sind seit 15 Minuten hier und sind die ganze Nacht geflogen."

Ben sah Dalia an, zog den Stuhl neben sich zurück und lächelte Katelyn an. Katelyn schielte zu Aiden, der nickte kaum merklich und sie setzte sich neben Ben. Aiden zog sich einen anderen Stuhl ran und setzte sich Katelyn gegenüber an den Tisch.

"Folgendes. Es gibt hier einen Mann, der sich konsequent der 'Akademie' widersetzt, und das schon über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg."

Aiden pfiff anerkennend und Katelyn trat ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein.

"Der Mann ist mutig.", erklärte Aiden auf Dalias fragenden Blick und Dalia gab sich mit der Antwort zufrieden.

"Oder einfach nur dumm und lebensmüde.", erwiderte Ben und zuckte mit den Schultern.

"Wie dem auch sei, die 'Akademie' will, dass er aus dem Weg geräumt wird. Von euch." Dalia sah die beiden an und weder Aiden und Katelyn ließen sich anmerken, dass sie schockiert waren.

"Da das eure erste Mission ist, seid ihr noch auf Probe, was bedeutet, dass Ben und Becca euch begleiten werden und einspringen, falls ihr es nicht schafft."

Dalias Blick wurde weicher und sie lehnte sich weiter vor, um die beiden anzusehen.

"So etwas ist hart, ganz egal, wie gut sie euch ausgebildet haben. Und das bei eurer ersten Mission als Auftrag zu bekommen, ist noch schlimmer. Deswegen war ich vorhin auch etwas irritiert. Normalerweise machen das erfahrenere Teams und keine Anfänger."


Katelyn sah zu Aiden. Sie wusste genau, warum ausgerechnet sie beide als Anfänger diesen Auftrag bekommen hatten. Und Aiden wusste es auch. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Und auch wenn sie die Antwort schon kannten, musste Katelyn einfach fragen.


"Haben sie Angaben gemacht, wer von uns ... ihn ausschalten soll?"

Dalia sah ihr direkt in die Augen, sie ahnte vermutlich, dass es seine Gründe hatte, warum es so ungewöhnlich war.

"Aiden soll es tun."

Da war es.

Wenn man es wagte, die 'Akademie' zu kritisieren, musste man damit rechnen, dass es Konsequenzen haben würde.

Und das waren Aidens Konsequenzen.

Er musste einen Menschen töten.












Kapitel 4 : Neue Erfahrungen


Kaum hatte Becca sie zu ihrem Quartier zurück gebracht, ließ Aiden Katelyn stehen und schloss sich in seinem Zimmer ein. Katelyn stand bestimmt eine halbe Stunde davor und versuchte, mit ihm zu reden, doch er wollte nicht.

Er wollte allein sein.

"Aiden. Komm schon. Ich bin's."

Sie klopfte nochmal sachte und hörte, wie Aiden seufzte.

"Geh weg, Katie."

"Nein. Aiden, ich kann hören, wie mies es dir geht. Ich bin deine Partnerin. Und beste Freundin. Jetzt mach die Tür auf."

Die Tür wurde geöffnet und Aiden stellte sich in den Türrahmen. Und er sah noch schlimmer aus, als Katelyn befürchtet hatte.

"Aiden.", flüsterte sie leise und wollte ihn am Oberarm berühren, doch er wich vor ihrer Berührung zurück.

Irritiert, überrascht und auch ein wenig verletzt, zog sie die Hand zurück und ließ sie sinken.

Aiden sah verzweifelt aus. Er war unruhig und zitterte leicht, auch wenn er versuchte, es zu verbergen.

"Es ist meine Schuld, Katie. Nur meine Schuld. Und obwohl ich derjenige war, der Mist gebaut hat, trifft es dich genau so."

Aiden beugte sich zu ihr runter, damit sie die einzige war, die hörte, was er sagte.

"Wir wissen beide, dass es kein Zufall ist, dass ausgerechnet wir beide für diesen Job ausgewählt wurden. Oder dass ich von uns ausgewählt wurde, den Mann zu töten."

Er sah sie an und Katelyn konnte sehen, wie er an dieser Tatsache fast zerbrach.

"Aiden. Es ist nicht deine Schuld."

Katelyn legte sanft ihre Hand auf seinen Oberarm, auch wenn er sich leicht wehrte.

"Du kannst dir nicht sicher sein, ob das alles... wirklich deswegen ist. Wir wissen nicht, ob..."

Aiden lachte wütend auf und Katelyn verstummte.

"Weswegen denn sonst, Katie? Wir haben nichts getan, womit wir es verdient hätten."

Katelyn biss sich auf die Lippen.

"Das ist nicht wahr, und das weißt du.", flüsterte sie, doch Aiden strafte sie nur mit einem Blick.

"Anders trainieren, als B sagt, und ihn hin und wieder auf die Palme bringen, rechtfertigt das hier definitiv nicht."

Katelyn schwieg.

"Sie verlangen von mir, dass ich einen Menschen töte, Katie. Einen richtigen Menschen. Obwohl sie genau wissen, dass ich das nicht will. Sie fordern Respekt und Demut durch Grausamkeit. Und wenn ich es nicht tue, musst du mit dafür bezahlen. Also lass mich bitte allein und gib mir Zeit, damit klar zu kommen, dass ich bald etwas tun muss, das gegen alles ist, an das ich glaube."

Er sah Katelyn mit so niedergeschlagener Miene und traurigen Augen an, dass Katelyn langsam nickte.

Und auch wenn es ihr nicht passte, tat sie ihm den Gefallen und ging in den Hof hinaus.

Dort stand sie verloren herum und betrachtete das große Tor, denn sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte.

"Hey, Katelyn. Lust auf ein bisschen Training?"

Ben kam auf sie zu und lächelte sie an.

Katelyn sah ihn überrascht und ein bisschen zweifelnd an.

"Ihr habt hier 'ne Möglichkeit zu trainieren?"

Ben lachte.

"Natürlich. Wir müssen schließlich auch fit bleiben."

Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und Katelyn folgte ihm durch eine der abgelegeneren, verwittert aussehenden Türen.

"Wow. Ihr habt allen Ernstes Platz für eine ganze Trainingshalle gefunden. Mit allem, was man zum Trainieren braucht.", staunte Katelyn und sah sich die neuwertigen Matten, Springseile und Boxsäcke an.

"Naja, fast alles, was man zum Training braucht."

Ben stellte sich neben sie und verschränkte die Arme, während er sich umsah und seinen Stolz über die Halle zu verbergen versuchte.

"Uns fehlen noch so ein paar Kleinigkeiten wie Hanteln, Stemmbänke und Zugmaschinen."

Katelyn musste lachen und Ben sah sie an.

"Was?"

Katelyn schüttelte den Kopf und grinste.

"Nichts. Nur überrascht es mich nicht im Geringsten, dass ausgerechnet du Hanteln, Stemmbänke und Zugmaschinen willst."

Sie trat ein paar Schritte in die Halle und drehte sich noch immer grinsend zu ihm um.

"Das sind die typischen Methoden des Trainings der Männer. Ziemlich effektiv, wenn es um die Größe der Muskeln geht. Aber nicht für die Kampftechniken."

Sie blieb in der Mitte des Raumes stehen und sah Ben herausfordernd an.

Ben sah sie an und ein selbstsicheres Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. Langsam trat er auf sie zu.

"Verstehe ich das gerade richtig, dass du mich herausforderst?"

Katelyn zuckte mit den Schultern.

"Wolltest du nicht trainieren? Und ich wüsste gerne mal, wie jemand kämpft, der schon ein paar Jahre aus der 'Akademie' raus ist."

Ben lachte und blieb ungefähr vier Schritte vor ihr stehen.

"Du willst also trainieren? Mit einem älteren und erfahreneren Mitglied der 'Akademie'?"

"Älter und erfahrender bedeutet nicht unbedingt auch besser.", erinnerte sie ihn und ging ihn Position.

"Ah, du stellst dich gleich so hin, dass du angreifen oder verteidigen kannst."

Mit einer einzigen, schnellen Bewegung griff er sie aus dem Stand heraus an und Katelyn hatte nur noch die Chance, zurückzuweichen und auszuweichen.

Einen Moment lang stand sie verblüfft da, dann sammelte sie sich und überlegte sich eine Strategie. Bens selbstsicheres Grinsen wurde noch breiter.

Katelyn schüttelte kurz den Kopf, dann schnellte sie nach vorne, täuschte einen linken Schlag an, den Ben abwehren wollte, und traf ihn mit der rechten.

Überrascht, dass sie ihn getroffen hatte, wich Ben zurück und sah sie an.

Katelyn grinste.

"Sagte ich doch. Keine Kampftechnik."

Ben sah sie an und sie konnte sehen, wie der Reiz der Herausforderung in seinen blauen Augen glitzerte.

Beinahe gleichzeitig stürmten sie wieder aufeinander zu und schenkten sich nichts mehr. Ben war größer, stärker und kannte mehr Techniken, doch Katelyn war flinker, beweglicher und konnte ihre Techniken besser einsetzten.

Fast eine halbe Stunde trainierten sie so gegeneinander, ohne dass einer den anderen wirklich traf oder zum Aufgeben brachte.

Als beide schon keuchten, schaffte Ben es schließlich, Katelyn das Standbein weg zu ziehen, während sie einen Tritt ausführte und Katelyn verlor das Gleichgewicht. Doch anstatt dass sie nach hinten fiel, wie Ben gedacht hatte, nutze Katelyn den Schwung aus ihrem Tritt, um sich um 180° zu drehen und fiel auf Ben und mit ihm zusammen auf die Matten.

Keuchend lagen sie einen Moment einfach nur da und sahen sich an, dann mussten sie lachen. Vorsichtig, um ihm nicht versehentlich weh zu tun, rollte Katelyn sich von Ben runter und blieb neben ihm auf dem Rücken auf der Matte liegen.

Das hast du nicht erwartet, oder?", keuchte sie und drehte nur ihren Kopf, damit sie ihn ansehen konnte.

"Dass du anstatt nach hinten dich nach vorne fallen lässt? Nein, das habe ich wirklich nicht erwartet."

Ben sah sie an und lächelte.

"Wo hast du das gelernt? Wer hat dir das beigebracht?"

Katelyn lachte leise und seufzte glücklich.

"Niemand. Nach einer Weile hatte Aiden raus, dass ich Treten bevorzuge und hat nur auf meine Tritte geachtet und sie abgewehrt. So wie du. Also musste ich mir etwas einfallen lassen."

Ben sah sie an und stützte sich auf seinen Ellenbogen.

"Aiden und du ... ihr kennt euch schon lange, oder?"

Katelyn nickte.

"12 Jahre. Seit wir ... eingesammelt wurden. Er war der Grund, warum ich das erste Jahr überstanden habe."

"Du kennst deinen Partner schon, seit du hier bist?", fragte Ben überrascht und sah sie an.

"Ja. Wir wurden im selben Transporter zur 'Akademie' gebracht und ich war so verängstigt, dass ich nicht aussteigen wollte. Aiden hat meine Hand genommen und versprochen, dass er sie nicht los lässt."

Katelyn musste lachen.

"Mit 5 kam mir Aiden so erwachsen und mutig vor ... Jetzt weiß ich, dass er kindisch und leichtsinnig ist ..."

Katelyn wandte den Blick ab, damit Ben nicht sah, dass sie niedergeschlagen war.

"Er hat Mist gebaut, oder? Deswegen seid ihr hier.", flüsterte Ben leise und Katelyn biss sich auf die Unterlippe.

"Wir haben beide Dinge getan, die wir nicht hätten tun sollen. Nur hat es ihn jetzt eben getroffen.", wisperte sie leise und Ben sah sie an.

"Falls es dich tröstet: Wirklich absolut jeder in der 'Akademie' hat schon mal irgendetwas getan, dass er nicht hätte tun sollen."

Ben lachte leise und strich ihr eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Eine Beziehung mit einem anderen Jahrgangsmitglied einzugehen ist eigentlich auch untersagt. Und doch weiß ich, dass es in den Jahrgängen über uns immer Paare gab, in meinem Jahrgang Paare gab und auch in den Jahrgängen unter mir Paare gibt und immer geben wird. Sie versuchen zwar, uns die Gefühle auszutreiben, doch das können sie nicht."

Er strich sanft mit seinen Fingern über ihre Wange und Katelyn spürte die Wärme, die seine Berührung hinterließ. Ben sah sie an und lächelte sanft.

"Gab es bei euch im Jahrgang keine Paare? Oder warst du immer die kleine Streberin, die lieber trainierte, anstatt sich mit den anderen zu unterhalten?"

Katelyn lachte leise.

"Nur, weil ich viel trainiert habe, heißt das nicht, dass ich nichts anderes mitbekommen habe."

"Heißt das Ja?"

Katelyn sah sich in der Halle um und suchte nach Kameras.

"Wie kommt es eigentlich, dass ich hier keine Kameras sehe? So blind kann ich ja nicht sein."

Sie sah Ben direkt in die Augen, obwohl sie auf dem Boden lag und er eindeutig die bessere Position hatte, und auch wenn ihre antrainierten Instinkte ihr sagten, dass das eine ungeschickte Situation war, fühlte sie sich eigentlich nicht bedroht durch seine Nähe.

Ben grinste und verlagerte sein Gewicht leicht, um seinen Ellenbogen etwas zu entlasten.

"Das ist der Vorteil an einer Außenstelle. Du wirst weniger überwacht. Und da wir Dalia hier als Chefin haben, werden wir im Prinzip gar nicht mehr überwacht."

Katelyn starrte ihn mit offenem Mund an.

"Dafür habt ihr nur 'ne minderwertige Einrichtung.", murmelte sie und Ben musste lachen.

"Die tausch' ich gerne gegen etwas mehr Freiheit und Privatsphäre ein. Wir brauchen hier keine toten Winkel, um uns verbotenerweise zu amüsieren. Wir müssen hier keine Beziehungen geheim halten."

Er rutschte etwas näher an sie ran und Katelyn wurde klar, dass er seine Hand nicht von ihrer Wange genommen hatte.

"Und wir können hier unsere Gefühle zulassen und müssen sie nicht verdrängen."

Er sah sie mit einem Blick an, den Katelyn nicht kannte und sie spürte, wie sie nervös wurde. Dinge, die sie nicht kannte, machten sie immer nervös.

"Ich wette, du hast dich nie von einem Jungen küssen lassen.", meinte Ben, den Blick noch immer auf sie gerichtet.

"Und ich wette, du warst einer von diesen Jungs, die den toten Winkel im zweiten Wohnhaus, dritter Stock, am Ende des Korridors, gerne und oft ausgenutzt haben. Da, wo das vergessene Zimmer liegt.", konterte Katelyn und spürte, wie ihr Herz zu klopfen begann.

"Das Zimmer gibt's noch?", fragte Ben erstaunt und Katelyn nickte.

"Ich wusste, dass du es kennst."

"Du kennst es doch auch."

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Ich habe davon gehört , aber ich war nie da. Mir haben ... Freundinnen davon erzählt."

Ben lächelte.

"Du bist also wirklich noch ungeküsst."

Als er es so sagte, hatte Katelyn auf einmal das Gefühl, dass es etwas Schlechtes war, obwohl sie noch nie das Bedürfnis verspürt hatte, einen Jungen zu küssen. Oder sogar noch weiter mit einem zu gehen.

Sie wich Bens Blick aus, doch Ben umfasste sanft ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

"Ist dir das jetzt peinlich?"

Sein Blick aus seinen wundervollen, blauen Augen war sanft und Katelyn erwischte sich dabei, wie seine Augen sie an das Meer erinnerten.

"Nein. Mir wurde das Peinlichkeitsgefühl ausgetrieben, schon vergessen?"

Ben lachte leise und beugte sich weiter über sie, bis er direkt über ihr war. Er stützte sich mit den Armen links und rechts neben ihr ab.

"Gut. Und da ich weiß, dass du darauf trainiert wurdest, dich gegen alles, das du nicht kennst, zu wehren ..."

Ben fuhr mit seiner rechten Hand langsam Katelyns linken Arm nach unten und verschränkte seine Finger mit ihren. Er hielt ihre Hand fest, wodurch sie für Katelyn unbrauchbar wurde, falls sie sich verteidigen musste.

Doch das musste sie ja gar nicht.

Ben wollte ihr nichts tun.

Vorsichtig nahm Ben auch Katelyns andere Hand und schob beide Hände ein kleines Stück über ihren Kopf. Das alles war ungewohnt für Katelyn und sie spürte, wie ihr Atem sich beschleunigte.

"Ben ..."

Ben sah sie an.

"Ich werde dir nichts tun, Katelyn. Und du bist nicht wehrlos."

Er ließ ihre rechte Hand los und legte seine freie Hand wieder an ihre Wange.

"Nur schlag mich bitte nicht, wenn es dir nicht gefällt."

Bevor Katelyn irgendetwas erwidern konnte, beugte er sich zu ihr runter und legte seine Lippen sanft auf ihre. Katelyn war erst entsetzt über das, was er da tat, dann war sie erstaunt, wie weich seine Lippen waren und dann irritiert von dem warmen Gefühl, das sich in ihrem Körper ausbreitete.

Mehr aus Intuition als wirklich wissend, was sie da tat, erwiderte sie den Kuss sanft und Ben ließ ihre Hände los. Irgendwie schaffte sie es, ihre Arme um seinen Hals zu legen und Ben zog sie hoch, sodass sie saß.

Das plötzliche Splittern von einer großen Menge Glas ließ beide zusammen zucken und auseinander rutschen. Verwirrt sahen sie sich um, sahen allerdings nichts. Als erneut etwas polterte, bemerkten sie, dass die Geräusche von draußen kamen.

"Oh nein, Aiden ist bestimmt am Durchdrehen.", meinte Katelyn besorgt.

Ihr Puls und ihr Atem gingen immer noch zu schnell.

Ben stand auf und hielt ihr die Hand hin.

"Dann sollten wir ihn besser beruhigen gehen."

Katelyn sah ihn fragend an und griff, als er lächelte, nach seiner Hand.

Ben hielt sie einen ganz langen Moment länger fest, als es hätte sein müssen und Katelyn spürte, wie ihr Bauch zu kribbeln begann.

Dann hörte sie wieder etwas zerbrechen und rannte aus der Halle zu ihrem Quartier.





























Kapitel 5 : Kleinigkeiten


"Aiden!

Katelyn sprang zwischen den Glasscherben herum und stürmte auf Aiden zu.

Aiden stand zwischen den Überresten des Fensters und starrte nach draußen. Seine Brust hob und senkte sich viel zu schnell und Katelyn konnte sehen, wie aufgebracht und verzweifelt er war. Doch wenigstens zerstörte er nichts mehr.

Katelyn trat neben ihn und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.

"Dalia meinte, ich könne mich ruhig hier abreagieren. Es wäre eh nichts wertvolles darunter.", flüsterte er heißer und Katelyn strich ihm sanft über den Arm.

"Naja, wenigstens haben sie jetzt wirklich einen Grund, neue Mittel anzufordern."

Katelyn schob seufzend ihre Arme unter Aidens und lehnte sich an ihn, wie sie es früher immer getan hatte, wenn einer von ihnen Schutz oder Trost brauchte.

Aiden war überrascht, legte dann aber seine Arme um sie, froh darüber, dass sie da war.

"Das hast du schon lange nicht mehr gemacht.", murmelte er leise und legte sein Kinn auf ihren Kopf.

"Und du hast schon lange nicht mehr diese Nähe zugelassen."

Katelyn lächelte schwach und schielte aus den Augenwinkeln zum Hof hinaus, wo Ben stand und wartete.

"Mir war auch eine ganze Weile nicht klar, dass Nähe nichts schlimmes ist. Dass sie kein Zeichen von Schwäche ist. Sondern vielmehr von wahrer, innerer Stärke."

Sie blieben eine Weile so stehen, eng umschlungen und Trost und Verständnis findend, ohne etwas sagen zu müssen.

Doch irgendwann konnten sie hören, wie Ben sich leise räusperte.

"Ich will ja nicht stören, aber...", meinte er vorsichtig und blieb anstandsweise vor der Tür stehen.

Aiden schluckte schwer und befreite sich sanft aus Katelyns Armen.

"Dann wollen wir doch mal.", murmelte er und versuchte, zu lächeln.

"Geh'n wir die Mission erfüllen." Sein ohnehin schon zittriges Lächeln löste sich ganz auf.

"Bringen wir einen Menschen um."


Der große, schwarze SUV mit den getönten Scheiben hielt vor einem mickrigen, kleinen und verfallenen Gebäude, das einst sehr schön gewesen sein musste. Aiden starrte es an und seine Lippen wurden immer schmaler. Ob aus Wut über das, was er tun musste oder aus Nervosität, konnte nicht einmal Katelyn sagen.

"Das Ziel befindet sich in der Ruine. Wenn ihr so weit seid, könnt ihr rein gehen."

Dalia drehte sich vom Beifahrersitz aus zu Katelyn, Aiden und Becca, die bei ihnen saß, um und sah sie an, auch wenn nur Katelyn es sah. Aiden starrte nach wie vor aus dem Fenster auf die schäbigen Überreste des Hauses.

"Okay. Gehen wir."

Aiden stieß die Tür auf und sprang raus, Katelyn beeilte sich, ihm zu folgen, bemerkte jedoch trotzdem den Blick, den Ben ihr im Rückspiegel zuwarf.

Überhaupt hatte er während der gesamten Autofahrt öfter in den Rückspiegel gesehen als auf die Straße. Doch Katelyn hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie hatte eine Mission zu erledigen und was noch wichtiger war:

Sie musste Aiden bei seiner Mission unterstützen.

Und dann auffangen.

Aiden wartete an der schiefhängenden Eingangstür auf sie und sah sie an. Sie verständigten sich lediglich über Blicke, ganz ohne Handzeichen oder auch nur nicken. Schließlich griff Katelyn nach der 9 Millimeter Waffe, die an ihrem Gürtel befestigt war, entsicherte sie schnell und sicher und schlich ohne einen weiteren Blick zu dem großen, auffälligen SUV um das Haus herum. Sie fand ein kleines, kaputtes Fenster, durch das sie problemlos und unbemerkt ins Haus kam. Lautlos schlich sie durch einen schmalen Gang auf den einzigen, noch nutzbaren Raum zu und spähte vorsichtig durch den Türspalt in den Raum. Sie sah den breiten Rücken eines afroamerikanischstämmigen Mannes und wusste, dass sie 'das Ziel', wie Dalia es genannt hatte, vor sich sah. Sie wollte Aiden schon das Okay geben, als ihr etwas Merkwürdiges auffiel.

Der Mann kniete auf dem Boden, Katelyn hatte erst geglaubt, er würde beten, doch dann beugte er sich weiter nach vorne und flüsterte etwas. So leise, dass Katelyn es fast nicht verstand, doch laut genug, um ein wenig zu verstehen.

"Ich werde nicht zulassen, dass sie dir das antun, Mia."

Katelyn ließ entsetzt die Hand, die sie zum Zeichen geben gehoben hatte, sinken und sah Aiden fassungslos an.

"Was?", formte Aiden mit den Lippen und sah sie fragend an.

"Der Mann", wisperte Katelyn leise, "er hat eine Tochter. Er widersetzt sich der 'Akademie', um sie zu beschützen."

Aiden biss die Zähne zusammen und knirschte wütend mit den Zähnen.

"Ich werde definitiv keinen Vater umbringen, nur weil er seine Tochter vor der 'Akademie' beschützen will.", knurrte er schließlich und sein Blick funkelte vor Wut und Hass.

Katelyn verstand, warum Aiden so reagierte, doch war sie sich auch über die Folgen bewusst, wenn er die Mission nicht erledigen sollte.

"Was sollen wir jetzt tun?"

Katelyn lehnte sich gegen die Wand und sah Aiden an.

Sie wusste, dass Aiden den Mann auf gar keinen Fall umbringen würde, sie würde es ja selbst nicht tun, doch ihr war auch klar, dass sie etwas tun mussten.

An Aidens Gürtel meldete sich das Funkgerät mit einem leisen Piepsen und Katelyn sah nervös in den Raum, doch der Mann hatte nichts gehört. Er betrachtete seine Tochter, die hinter ihm versteckt lag, und strich ihr sanft über das Haar.

"Was machen wir?", fragte Aiden sie und hielt das Funkgerät in der Hand, auch wenn er schon wusste, was zumindest er tun würde.

Katelyn sah ihn an und biss sich nervös auf die Backe, als das Funkgerät erneut piepte.

"Aiden..."

Katelyn seufzte. Sie wusste nicht, was sie tun sollten. Und sie mochte dieses Gefühl nicht. Sie hasste es, nicht zu wissen, was sie tun sollte.

"Ich weiß es nicht, Aiden. Wir können ihn nicht umbringen. Nicht wir. Nicht nach allem, was uns angetan wurde. Aber wenn wir nichts tun..."

Aiden verstand, was sie meinte. Und auch wenn er sich weigerte, diesen Mann zu töten, weil er seine Tochter beschützen wollte, konnte er deswegen nicht Katelyns Leben gefährden.

Aiden wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Haupttür, durch die Aiden ins Haus gekommen war, mit einem ohrenbetäubenden Knall und undurchsichtigem Nebel, der die Augen zum Tränen brachte und die Schleimhäute reizte, aufgesprengt wurde. Das Mädchen, das bei dem Mann war, wurde aus dem Schlaf gerissen und schrie verängstig, während der Mann sie in eine kleine Nische stieß.

Der Mann wirbelte herum und versuchte, sich gegen Ben und Becca, die hereingestürmt waren, zu wehren. Er war groß, gut trainiert und geschickt, doch noch immer unterlegen. Ohne darüber nachzudenken, stürmten Aiden und Katelyn in den Raum, doch sie wussten nicht, was sie tun sollten. Sie konnten den Mann nicht unterstützen, ohne die 'Akademie' zu verärgern und ihre Leben zu gefährden. Doch Becca und Ben konnten sie auch nicht unterstützen.

"STOP!!!!", schrie Katelyn, als der Mann so schwer verletzt war, dass er sich eigentlich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, und trotzdem verzweifelt versuchte, seine Tochter, die Ben und Becca noch nicht entdeckt hatten, zu beschützen.

Ben ließ sofort von dem Mann ab und sah sie an, anscheinend erleichtert darüber, dass ihr nichts passiert war. Becca sah zwischen dem Mann, der keine Gefahr mehr darstellte, und Aiden und Katelyn hin und her.

"Ihr habt nicht auf den Funk reagiert. Wir wollten nur sicher gehen, dass es euch gut geht."

Allein schon an der Art, wie Becca das sagte, wurde Aiden und Katelyn klar, dass sie zu lange gezögert hatten. Becca war misstrauisch, weil der Mann noch lebte.

"Wir dachten, ein Kind bei ihm gesehen zu haben und waren irritiert, weil nie ein Kind erwähnt worden war. Aber wie es scheint, haben wir uns geirrt.", meinte Aiden und trat zwischen Becca und den am Boden liegenden Mann.

"Wo habt ihr geglaubt, das Kind zu sehen?", fragte Ben und sah sich im Raum um, weshalb ihm Katelyns wachsamer Gesichtsausdruck entging.

"Wieso? Gibt es etwa ein Kind?"

Ben sah zu Becca und seufzte dann.

"Ja. Eine Tochter. Sie wurde von der 'Akademie' ausgewählt. Er versteckt sie nun schon seit fast drei Monaten."

Katelyn wusste, dass Aiden beinahe vor Wut explodierte, und auch ihre eigene Wut wuchs.

Sie hatte gehofft, dass der Mann wenigstens etwas wirklich schlimmes getan hatte, etwas, dass es fast rechtfertigen würde, ihn zu töten. Doch seine Tochter zu beschützen empfand sie nicht als Straftat.

Das war eine Heldentat.

"Tja, hier ist sie ja ganz offensichtlich nicht.", meinte Katelyn und verschränkte die Arme.

"Aiden und ich schaffen ... den Rest auch alleine. Ihr könnt wieder raus gehen. Das ist unsere Bewährungsprobe."

Sie sah Becca dabei an. Es war ihr unangenehm, Ben anzusehen, auch wenn sie seinen Blick auf sich spürte. Becca nickte und sie verließen, wenn auch langsam und zögernd, das Haus.

Kaum waren die beiden weg, kniete sich Katelyn neben den Mann und untersuchte die Schwere seiner Verletzungen. Es sah überhaupt nicht gut aus.

"Daddy.", wimmerte das Mädchen aus seinem Versteck heraus und Katelyn sah auf. Das Mädchen war ungefähr zehn, schätzte Katelyn aufgrund ihrer Größe und ließ ihren Blick weiter nach oben wandern, bis zum Gesicht. Sie sah in ein Paar wunderschöner, brauner Augen und Katelyn stockte für einen Moment der Atem.

Sie kannte dieses Paar Augen.

Irgendetwas in Katelyn, dass die letzten 12 Jahre tief in ihr geschlummert hatte, erwachte nun wieder.

Erinnerungen, die man ihr verboten hatte, die sie verdrängt hatte, suchten sich einen Weg an die Oberfläche.


Wunderschöne, große braune Augen sahen sie liebevoll an, ein Lachen, dass so leicht und warm klang...

Große, muskulöse Arme hielten sie und wirbelten sie durch die Luft, so schnell, dass sie das Gefühl hatte, zu fliegen...

Ihre Arme klammerten sich um den dunklen Hals und wieder einmal betrachtete sie das Tattoo...

ein kleines, unscheinbares Tattoo, das auf der dunklen Haut beinahe nicht zu sehen war...

es sah aus, wie ein winziges Paar Flügel mit einer kleinen, zierlichen Gestalt dazwischen...


Katelyn spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, als sie den Mann vorsichtig drehte, um den Hals besser sehen zu können.

Und da, halb am Hals und halb auf der linken Schulter, war es. Das winzige Flügeltattoo mit der zierlichen Gestalt in der Mitte.

"Malik.", flüsterte Katelyn leise und die erste Träne lief ihr über die Wange, als sie den Mann wieder mit dem Gesicht nach oben drehte.

Er war bewusstlos, doch seine Augenlider zuckten leicht.

"Daddy.", wimmerte wieder das Mädchen und erinnerte Katelyn somit wieder an ihre Anwesenheit.

"Aiden, bring sie hier raus."

Aiden schnaubte.

"Und wohin? Wenn Ben“ Katelyn registrierte, wie verächtlich er den Namen aussprach, doch sie konnte nicht darauf eingehen, "sie sieht, wird er sie in die 'Akademie' bringen lassen."

"Aiden, es ist mir vollkommen egal, was du tust, aber bring. Das Mädchen. Hier raus.", knurrte sie und hielt den Blick weiterhin gesenkt, damit er ihre Tränen nicht sah.

"Katie, das ist meine Aufgabe. Es ist meine Pflicht, ihn... Außerdem was soll es bringen? Wir können sie nicht verstecken. Wo soll ich sie denn verstecken? Ich weiß doch gar nicht, wie man mit Kindern umgeht. Und ich kann dich das nicht machen lassen. Es wurde mir aufgetragen. Es gilt nicht, wenn du es machst."

"Verdammt, Aiden! Du kannst das nicht machen! Ich schon! Ich bin stärker als du! Und wenn du mir deine Waffe gibst, wird niemand wissen, wer von uns den Abzug betätigt hat! Also verschwinde mit ihr!!"

Katelyn hob den Kopf und sah Aiden an, und es war ihr egal, dass er ihre Tränen sah.

Aiden sah sie mit großen Augen an, nickte schnell und reichte ihr seine Waffe.

"Okay. Mach ich."

Katelyn sah wieder nach unten und atmete langsam aus. Die Waffe legte sie neben sich auf den Boden. Sie wollte sie nicht benutzen.

"Sie heißt Mia.", flüsterte Katelyn leise.

Irgendwie schaffte Aiden es, das Mädchen aus ihrem Versteck zu locken.

"Ich geh mit ihr hinten raus und versuche, sie irgendwie unbemerkt von hier weg zu bringen. Dann warte ich im Haus vor dem Eingang, damit mich niemand sieht."

Katelyn nickte nur und wartete, bis Aiden mit Mia auf dem Arm verschwunden war. Dann legte sie den Kopf des Mannes in ihren Schoß und hoffte, dass er bald die Augen aufschlagen würde.

"Malik.", flüsterte sie erneut und strich eine der Rastalocken, die er schon immer hatte, aus dem blutigen Gesicht.

Ben und Becca hatten ihn wirklich ziemlich verletzt, doch Katelyn konnte sie deswegen nicht hassen, selbst wenn sie gewollt hätte.

Sie war genau so.

Zu einer Killermaschine ausgebildet, die sich vermutlich besser mit den Methoden zum Töten eines Menschen auskannte, als mit zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die mehr über die Schwachstellen des Körpers wusste, als über ihre Familie.

"Malik."

Malik war ihr Nachbar gewesen. Als sie noch bei ihrer Mutter gelebt hatte. Er war etwas älter gewesen als ihre Mutter und da er selbst keine Familie hatte, hatte er immer auf Katelyn aufgepasst, wenn ihre Mutter arbeiten war.

Wütend darüber, dass sie ihre Tränen nicht kontrollieren konnte und verängstigt durch die ganzen Erinnerungen, die nun auf sie einstürmten, biss sie sich fest auf die Lippe, bis diese anfing zu bluten.

Und all das, nur wegen einem Paar großer, brauner Augen.

Und einem kleinen, fast nicht erkennbaren Tattoo.

Alles nur wegen Kleinigkeiten.







Kapitel 6 : Das Versprechen


Katelyn strich Malik die Rastalocken aus der Stirn und betrachtete ihn. Er hatte Schmerzen, sie konnte es sehen, obwohl er bewusstlos war. Und sie konnte nichts dagegen tun.

Sie hoffte, dass er die Augen bald aufschlagen würde, damit sie ihn so vieles fragen konnte.

Sie wollte ihn nach allem fragen, was sie vergessen hatte und nun glaubte, sich zu erinnern. Und sie wollte ihn nach Mia fragen.

Malik stöhnte vor Schmerz und seine Augenlider öffneten sich ein wenig.

Als er Katelyn sah, zuckte er zurück und wollte sich wehren, doch Katelyn hielt ihn fest.

"Sch, Malik. Malik, ich bin's. Ich werde dir nichts tun. Hör auf, dich zu bewegen, sonst stirbst du noch schneller.", flüsterte sie und hielt seinen Kopf fest, damit er sie ansah.

Malik sah sie an, sein Blick wanderte über ihre roten Haare zu der winzigen Narbe, die sie seit ihrem vierten Lebensjahr am Kinn trug, und langsam schien er sich an sie zu erinnern. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Erstaunen.

"Katelyn.", flüsterte er leise und entspannte sich ein wenig auf ihrem Schoß.

Katelyn schluchzte leise und lächelte ihn an.

"Ich hätte nie gedacht, dass wir uns wiedersehen. Und schon gar nicht unter solchen Umständen.", flüsterte er leise und drückte sanft ihre Hand.

"Ich weiß. Ich auch nicht.", flüsterte sie leise und erwiderte den Druck seiner Hand.

Dann schwiegen sie eine Weile, doch es war ein angenehmes Schweigen. Wenn es auch voller unausgesprochener Fragen war.

"Was werden sie mit mir tun, jetzt, da sie Mia haben?", fragte Malik irgendwann leise und Katelyn konnte hören, dass er immer schwächer wurde.

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Sie haben sie nicht. Aiden hat sie raus gebracht. Er versucht, sie zu verstecken."

Malik nickte und verzog vor Schmerz das Gesicht.

"Aiden... Wer ist er? Der Typ, der mir die Organe raus prügeln wollte oder der andere?"

Katelyn lachte leise und unterdrückte ein Schluchzen.

"Der andere.", murmelte sie und bettete Maliks Kopf auf ihren Pullover, den sie sich vorher schnell auszog und rutschte so weit runter, dass sie sich seinen Bauch anschauen konnte. Sie schob das T-Shirt hoch und wusste schon, dass er innere Blutungen hatte. Sie hatte gesehen, wie Ben zugeschlagen hatte und sie wusste, was für zerstörerische Wirkung diese Schläge hatten.

Sie wusste, dass Malik sterben würde.

"Katie?", murmelte Malik leise und sie senkte das T-Shirt wieder, um ihn ansehen zu können.

"Ich hatte ganz vergessen, dass du derjenige warst, der angefangen hat, mich Katie zu nennen."

Katelyn lächelte schwach und versuchte, ihre Augen von dem Wissen, dass er sterben würde, frei zu lassen.

"Aiden nennt mich auch so. Und das seit dem ersten Tag, an dem wir uns kennen."

Malik sah sie an.

"Du hast mir immer noch nicht auf die Frage geantwortet."

Katelyn seufzte und sah ihn an.

"Du weißt, was ... verlangt wird."

"Von deinem Freund, den du raus geschickt hast."

Malik sah sie an, er wusste, was kommen würde. Wie es enden würde.

Katelyn wollte zu einer Antwort ansetzen, als von draußen ein spitzer Schrei ertönte. Es klang panisch und zerriss Katelyn fast das Herz.

Malik und Katelyn sahen beide schockiert auf.

"Das war Mia!", flüsterte Malik leise, voller Schmerz und versuchte, aufzustehen.

"Nicht, Malik. Du kannst nicht mehr laufen. Du bist zu schwach. Du hast innere Blutungen. Starke innere Blutungen. Du kannst nichts mehr für sie tun.", wisperte Katelyn leise und konnte ihn nicht ansehen.

"Sie haben sie also doch.", flüsterte er und sank zurück.

Katelyn sagte nichts, es war auch nicht nötig.

"Ich werde also sterben."

Katelyn nickte nur.

"Ich hätte sowieso sterben müssen. Das ist schließlich euer Auftrag. Nicht wahr?"

Katelyn sah ihn an, sie wusste, dass sie ihn nicht anlügen würde. Sie könnte es nicht einmal.

"Ja. Ist es.", meinte sie deshalb und kniete sich wieder neben ihn.

"Und du hast deinen Partner rausgeschickt, damit er nicht erfährt, dass du mich kennst. Dass du dich erinnerst."

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein. Nicht aus den Gründen, die du denkst. Es ist so viel komplizierter.", flüsterte sie und schüttelte traurig den Kopf.

"Sag es mir.", flüsterte er leise und hob seine Hand an ihre Wange.

Katelyn lächelte, als sie die Wärme seiner Hand spürte und sich an die vielen Male zuvor erinnerte.

Sie sah ihn an und beschloss, ihm die Wahrheit zu sagen.

"Ich habe ihn rausgeschickt, weil ... wenn irgendjemand raus finden sollte, dass ich mich erinnere, sie mich umbringen würden. Und wenn Aiden davon erfahren würde, würden sie ihn auch als Gefahr sehen und ebenfalls ... eliminieren.

Sie haben uns unsere Erinnerungen an unser Leben vor der 'Akademie' genommen, damit wir uns besser auf unsere Ausbildung konzentrieren können. Sie haben uns unsere Familie genommen, damit wir andere Familien ohne zu zögern umbringen können. Sie lassen nicht zu, dass so etwas wie Eigenwille in uns wächst, damit wir ihre Marionetten bleiben. Denn das sind wir: Marionetten, die an Fäden hängen und hin und her geschoben werden, wie sie gerade gebraucht werden. Wenn eine nicht so funktioniert, wie sie soll, wird sie gegen eine neue ausgetauscht."

Malik wandte den Blick ab uns stöhnte, und auch wenn er versuchte, es Katelyn nicht merken zu lassen, hatte er große Schmerzen. Und sie wurden immer stärker.

"Was werden sie mit ihr machen, Katie? Was tun sie meinem kleinen Mädchen an?", fragte er und verbiss sich den Schmerz.

"Sie eingewöhnen. Das erste Jahr jedenfalls. Sie wird jeden Morgen mit der selben Gruppe von Kindern aufstehen, sich waschen, anziehen und frühstücken, lesen und schreiben und rechnen, zu Mittag essen, Sport machen, zu Abend essen und ins Bett gehen. So bekommen sie ein Gruppengefühl, bevor es an die richtige Ausbildung geht.", flüsterte sie und lehnte sich neben Malik mit dem Rücken an die Wand.

"Also ist ein Jahr Zeit, bevor mein kleines Mädchen in einen Roboter verwandelt werden soll?", fragte Malik schwach und drehte den Kopf gerade weit genug, um Katelyn ansehen zu können. Katelyn nickte.

"Ungefähr."

Malik seufzte und starrte an die Decke. Er war sich darüber im Klaren, dass er nicht mehr viel Zeit hatte.

"Deine Mutter wollte dich nicht gehen lassen.", murmelte er leise und Katelyn richtete sich auf.

"Sie wäre für dich gestorben, wenn sie dich dadurch hätte retten können."

Katelyn lächelte schwach.

"So wie du für Mia."

Malik überging ihren Kommentar.

"Sie hat Jahre gebraucht, um sich von deinem Verlust zu erholen. Und sie ist bis heute nicht darüber hinweg gekommen. Doch vor zehn Jahren, eigentlich sogar eher elf, wenn ich so darüber nachdenke, gab es eine Zeit, in der es ihr besser ging."

Malik sprach langsam, er konnte nicht mehr normal sprechen.

"Als sie mit Mia schwanger war.", flüsterte Katelyn leise und schloss die Augen, um die Tränen zurück zu halten.

"Ja.", flüsterte Malik leise und Katelyn spürte, wie ihr Tränen unter den geschlossenen Lidern hervorquollen. Malik griff nach ihrer Hand.

"Sie hat ihre Augen. Aber alles andere von dir.", wisperte sie und öffnete die Augen wieder, um Malik anzusehen. Seine Atmung war ziemlich flach, doch noch hatte er genug Kraft, um zu sprechen.

"Katie ... Deine Mum würde sterben, wenn sie Mia auch noch an die 'Akademie' verlieren sollte. Hol sie da raus. Ich weiß, dass du es kannst. Bitte, versprich es mir."

Malik klang so schwach, dass Katelyn einfach nur nickte. In diesem Moment hätte sie ihm alles versprochen.

"Und du musst noch eine winzige Kleinigkeit für mich erledigen."

Sie sah ihn fragend an.

"Ich bin sowieso schon fast tot. Und du bekommst nur Schwierigkeiten, wenn ich nicht bald durch eine Schusswaffe sterbe."

Ihre Blicke wanderten gleichzeitig zu Aidens 9- Millimeter, die noch immer am Boden lag.

"Ich habe Schmerzen, Katie. Und ich weiß, dass du dich um deine Schwester kümmern wirst. Also erlöse mich bitte von den Schmerzen."

Katelyn sah ihn fassungslos an.

"Malik, das kann ich nicht."

"Komm schon, Katie. Wenn du mich hier liegen lassen würdest, wie lange würde ich mich dann noch quälen und leiden, mit diesen unerträglichen Schmerzen, bis ich endlich sterben würde? Was meinst du?"

"Einige Minuten, vielleicht auch fast eine Stunde.", gestand Katelyn und nahm vorsichtig die Waffe in die Hand. Sie hatte schon oft Waffen benutzt und abgefeuert, aber noch nie auf einen Menschen. Und schon gar nicht auf einen, den sie kannte und liebte.


"Mach es so schnell und schmerzlos, wie nur möglich.", bat Malik sie und Katelyn sah, wie sehr ihre Hände zitterten, als sie die Waffe langsam auf Malik richtete. Sie wusste nicht, ob sie ihm in den Kopf schießen sollte oder lieber ins Herz. Beides würde zum Tod führen, doch gefiel ihr der Gedanke, Maliks Gehirn auf dem Boden zu verteilen, nicht wirklich. Überhaupt widerstrebte es ihr, die Waffe auf Malik zu richten.

Doch er hatte Recht.

Er litt.

Sie konnte ihn erlösen.

Katelyn versuchte, nur daran zu denken, als sie die Waffe auf seine Brust richtete, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle bekam und die Waffe entsicherte, sie wollte nur daran denken, dass sie Malik von seinen Qualen erlöste. Doch sie wusste immer noch, dass sie dabei war, einen wundervollen Menschen zu töten.

"Du warst immer wie ein Vater für mich, Malik. Auch wenn ich wusste, dass du nicht mein Vater warst, habe ich dich als Teil meiner Familie gesehen. Irgendwie warst du mein Vater. Und irgendwie wirst du auch immer mein Vater sein.", flüsterte sie und blinzelte die Tränen, die ihr nun über die Wangen liefen, fort.

"Ich verspreche dir, dass ich Mia da raus holen werde. Sie wird nicht das selbe durch machen, das ich durch machen musste. Ich verspreche es."

Katelyn schluchzte leise, bevor sie fortfuhr.

"Ich liebe dich."

Und bevor Malik irgendetwas erwidern konnte, drückte sie ab.














Kapitel 7 : Verändert


Wortlos drückte sie ihm seine Waffe in die Hand und sah ihn nicht an.

Sie hatte Aiden nichts zu sagen.

Der Auftrag war erledigt, mit seiner Waffe, weshalb alle glauben würde, dass er es gewesen wäre.

Er hatte Mia nicht verstecken können, sie hatte es gehört, und es interessierte sie nicht, warum die 'Akademie' ihre kleine Schwester jetzt doch hatte.

Sie musste nur dafür sorgen, dass das nicht so blieb.

Und das würde sie.

"Katie.", flüsterte Aiden leise und hielt sie fest, bevor sie die Tür aufstoßen konnte.

Sie sah ihn an und wartete, doch er wusste nicht, was er sagen sollte. Das, was sie getan hatte, war nichts, wozu man gratulierte. Sie bemitleiden war aber auch keine Option, denn das würde sie nicht zulassen. Und seinen Dank würde sie auch nicht annehmen.

Schließlich seufzte er nur und ließ sie wieder los.

"Lass uns von hier verschwinden."

Katelyn nickte nur und stieß die Tür auf.

Sie hatte noch 10 Minuten lang neben Malik gekniet und erst geweint, bis sie beschlossen hatte, dass sie mit dem Weinen aufhören musste. Es machte Malik auch nicht wieder lebendig. Es verhinderte nicht, dass Mia zur 'Akademie' gebracht wurde. Und es änderte nichts daran, dass sie selbst einen Menschen getötet hatte.

Aiden lief direkt hinter ihr, als sie auf den SUV zu ging und einstieg. Dalia hielt Mia fest, die weinend versuchte, irgendwie aus dem Fahrzeug zu kommen, und Katelyn musste sich zusammen reißen, um sie nicht von Dalias Schoß zu reißen und mit ihr weg zu rennen. Sie würde nicht weit kommen. Und so enden wie Malik. Und das konnte sie sich nicht leisten, wenn sie Mia vor der 'Akademie' bewahren wollte.

"Alles klar?", fragte Ben, der wieder hinter dem Lenkrad saß und sah sie im Rückspiegel an, doch sie ignorierte es. Sie sah aus dem Fenster und tat so, als würde sie das alles nichts angehen.

"Alles erledigt.", antwortete Aiden und Ben nickte, wenn er auch nicht zufrieden war. Er startete den Motor und fuhr los und Mia begann zu schreien und zu weinen, denn sie wusste zwar nicht, dass ihr Vater tot war, doch sie wusste, dass wenn sie jetzt nicht aus diesem Auto raus kommen würde, sie ihn nie wieder sehen würde.

Katelyn spürte mit jedem von Mias verzweifelten Schluchzern und Rufen, wie ein winziges Stück von ihr zersprang. Es war beinahe, als würde sie mit jedem Kilometer, den sie sich weiter von der Ruine entfernten, etwas von sich zurück lassen, das eine schreckliche Leere in ihr hinterließ.

Doch damit würde sie jetzt leben müssen.

Als sie Mias Tränen und Rufe gar nicht mehr aushielt, blendete sie alles, was sich im Fahrzeug befand, aus und konzentrierte sich nur noch auf die Umgebung draußen. Nachdem sie jetzt wusste, wo sie waren, fragte sie sich, warum es ihr nicht eher aufgefallen war. Die Straßen, die Häuser, die kleinen Parks und auch alles andere, sie kannte es. Sie erinnerte sich. Sie erkannte die Wiesen, auf denen sie als Kind gespielt hatte. Die Straßen, auf denen sie als Kind gespielt hatte und gerannt war, Fahrrad fahren gelernt hatte und hin gefallen war, sich die Hände und Knie aufgeschürft hatte und ihre Mutter sie getröstet hatte.

Und sogar die Wiese, auf der sie mit ihrer Mutter gewesen war, als die 'Akademie' sie geholt hatte.

Katelyn wandte sich vom Fenster ab und unterdrückte die Tränen. Diese Erinnerung war zu schmerzhaft, als dass sie sich jetzt damit befassen konnte. Zufällig trafen sich ihr und Bens Blick im Rückspiegel, doch anstatt weg zu sehen, hielt sie seinem Blick stand, bis er die Traurigkeit in ihren Augen nicht mehr aushielt und weg sah.

Aiden beobachtete sie schon, seit sie eingestiegen waren, doch sie hatten keine Möglichkeit, irgendwie zu reden, ohne dass es die anderen mitbekommen würden. Er sah sie an und hoffte, dass sie ihn ebenfalls ansehen würde, damit er sehen konnte, wie es ihr ging, doch sie sah ihn nicht an. Sie wollte Aiden nicht ansehen und sie wollte nicht mit ihm reden. Es gab nichts, was sie zu besprechen hatten. Sie konnte ihm nicht erzählen, dass sie sich erinnerte, dass sie Malik gekannt hatte und dass Mia ihre Halbschwester war. Sie konnte nicht mit ihm darüber reden, dass sie einen Menschen getötet hatte. Sie konnte gerade mit überhaupt niemandem über irgendetwas reden.

Sie wollte einfach nur allein sein.

Doch sie saß in dem vollen SUV fest, ihre kleine Schwester schreiend vor ihr, gewaltsam festgehalten.

Katelyn spürte, wie ihre Atmung immer hektischer wurde und ihr Puls in die Höhe schoss.

Sie versuchte, sich zu beruhigen und ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, wurde immer stärker.

"Katelyn? Alles okay?"

Aiden sah sie besorgt an und drehte sich mehr zu ihr, um sie besser ansehen zu können.

Katelyn nickte, auch wenn das Engegefühl ihr die Luft zum Atmen nahm.

Aiden sah sie an und wusste, dass sie log, doch er sagte nichts dazu. Er drehte sich wieder nach vorne, legte allerdings seine Hand sanft auf Katelyns. Sie drückte seine Hand dankbar und fühlte sich ein wenig besser, wenn das Engegefühl auch nicht ganz verschwand. Doch das würde es wahrscheinlich nie wieder.

Vorsichtig zog Katelyn ihre Hand unter Aidens hervor und starrte wieder aus dem Fenster. Sie hatte beschlossen, so viel von ihrer alten Heimat mitzunehmen, wie sie konnte. Sie wollte sich an so viel wie möglich erinnern, um Mia, wenn sie begann, es zu vergessen, daran erinnern zu können. Denn das Vergessen war das, was das schlimmste war. Wenn man begann zu vergessen, begann man sich in das zu verwandeln, was die 'Akademie' wollte. Wenn man zu vergessen begann, begann man sich in einen Killer zu verwandeln. Und Katelyn wusste, was das bedeutete. Sie hatte selbst ihre eigene Vergangenheit vergessen. Und heute war sie brutal daran erinnert worden.


Kaum hielt der SUV im Hof, öffnete Katelyn die Tür und sprang raus. Sie hätte keine Minute länger in diesem Fahrzeug bleiben können. Mia hatte nicht einen Moment lang den Mund gehalten, was Katelyn sehr an sich erinnert hatte. Sie hätte auch geschrieen und gewütet, wenn sie nicht Aiden gehabt hätte. Sie hoffte nur, dass Aiden diese Ähnlichkeit nicht auch auffiel. Doch das dürfte es nicht, denn Aiden war nicht aufmerksam genug. Und so weit Katelyn das bisher hatte beurteilen können, gab es nichts, worin sich Mia und sie sich äußerlich ähnelten. Mias Haut war beinahe so dunkel wie Maliks, Katelyns so weiß wie die ihrer Mutter. Mia hatte die braunen Augen ihrer Mutter, Katelyn die blauen Augen ihres leiblichen Vaters, den sie nie kennen gelernt hatte.

Sie musste sich wegdrehen, als Dalia Mia aus dem Auto zerrte und ins Haus brachte. Ihr war leicht schwindlig und das Engegefühl, dass sie um ihre Brust herum spürte, erschwerte ihr noch immer das Atmen.

"Katelyn?"

Sie drehte sich um und stand Ben gegenüber.

Aiden half Dalia, Mia ins Haus zu bringen. Erstaunlicherweise hatte Aiden ein wirklich gutes Händchen, was Kinder betraf. Sobald er Mia auf den Arm nahm und leise mit ihr redete, beruhigte sie sich und schluchzte nur noch leise an seiner Schulter.

Sie sah Ben an und was auch immer Ben in ihren Augen sah, veranlasste ihn dazu, sie an sich zu ziehen und fest in die Arme zu schließen.

Katelyn ließ es zu und spürte, wie sie seine Nähe genoss. Wie sie es genoss, dass jemand da war, der sie hielt und dem sie es nicht verdankte, dass sie heute einen Menschen umgebracht hatte.

Sie schob ihre Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter. Ein paar Tränen liefen ihr über das Gesicht und in sein T-Shirt und sie spürte, wie sie unter den stummen Schluchzern zitterte. Ben strich ihr sanft über den Rücken und sie fragte sich, was er wohl dachte, weshalb sie so fertig war.

"Ich war 19, als ich das erste Mal dabei war, als jemand getötet wurde. Und obwohl ich nur dabei stand und nichts getan habe, fand ich es grauenhaft. Ich konnte wochenlang nicht richtig schlafen.", flüsterte er ihr leise ins Ohr und Katelyn hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgelacht.

Ben ließ sie los und nahm ihr Gesicht behutsam in seine Hände, wodurch sie ihm in die Augen sehen musste.

"Aiden hat das richtige getan, Katelyn. Er hat getan, was die 'Akademie' von ihm verlangt hat."

Ben strich ihr sanft über die Wange und lächelte sie aufmunternd an.

"Ich bin mir sicher, dass die 'Akademie' ihm nun verzeiht, was auch immer er getan hat. Er hat bewiesen, dass er ihnen gegenüber loyal ist."

Katelyn wurde klar, dass Ben zwar mit dem meisten, was er sagte, daneben lag, dass er aber durchaus mit dem, was er über Aiden und die 'Akademie' sagte, recht hatte. Die 'Akademie' hatte Aidens Loyalität prüfen wollen und da die Mission erledigt war und alles darauf schließen ließ, dass Aiden den Auftrag erfüllt hatte, war er nun wieder außer Gefahr.

Sie nickte und versuchte ein Lächeln, doch ganz wollte es nicht hinhauen. Ben wischte mit dem Daumen die letzte Träne, die sich aus ihrem Auge stahl, weg und zog ihr Gesicht langsam näher zu sich, bis seine Lippen auf ihren lagen. Das Gefühl dieser Nähe und das Kribbeln, dass sie dabei empfand, faszinierten Katelyn auf eine Weise, die ihr neu war. Sie hatte schon oft gespürt, wie sie nach einem langen Training völlig erschöpft, aber glücklich, ins Bett gefallen war. Doch das Gefühl von Bens Körper so nah an ihrem und seinen Lippen auf ihren war ... anders.

Besser.

Sie wusste nichts, mit dem sie es hätte vergleichen können, denn sie kannte diese Gefühle nicht. Sie hatte nie etwas Vergleichbares gespürt.

Noch nie hatte eine Junge sie so fest gehalten und gleichzeitig so zärtlich berührt.

Noch nie hatte sie gespürt, wie sanft Hände, die normalerweise so brutal zu schlugen, über ihren Körper strichen.

Noch nie hatte sie einfach die Augen geschlossen und sich einfach fallen lassen.

Bens Hände wanderten langsam ihren Rücken hinunter und Katelyn spürte, wie sie vorsichtiger wurde. Anstatt wie bisher einfach nur den Kuss zu genießen, wurde sie sich immer deutlicher darüber bewusst, wo Bens Hände waren und wohin sie sich bewegten.

Knapp, wirklich sehr knapp, über ihrem Po hielt sie seine Hände fest und zog sich zurück.

"Was? Hab' ich was falsch gemacht?", fragte Ben und sah sie irritiert an.

"Nein. Ich meine, schon irgendwie. Also ja. Aber es... Ich meine, das..." Katelyn seufzte und sah ihn an.

"Das geht mir einfach zu schnell, Ben. Ich weiß ja noch nicht mal, was das zwischen uns zu bedeuten hat. Ob es etwas zu bedeuten hat."

Ben sah sie leicht verletzt an und wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger.

"Warum sollte denn nichts zwischen uns sein?"

"Du meinst davon abgesehen, dass wir uns seit nicht einmal 24 Stunden kennen und du mich schon zweimal geküsst hast?", konterte Katelyn und gab ihm seine Hände wieder.

"Du bist wirklich nett, Ben. Aber das ist alles neu für mich. Und ich bin jetzt zu müde, um darüber zu reden oder neue Dinge kennen zu lernen.", fügte sie hinzu, als Ben zu einer Antwort ansetzte.

Ben seufzte und gab nach.

"Du hast recht. Du hast heute viel erlebt und durchgemacht. Und du hast schon letzte Nacht nicht viel geschlafen."

Er lächelte sie an und küsste sie sanft auf die Wange.

"Ihr seid ja noch ein paar Tage hier. Da werden wir bestimmt noch einmal die Gelegenheit haben zu reden."

Katelyn fiel auf, dass er 'Reden' besonders betonte, doch wollte sie gar nicht so genau wissen, was er damit meinte.

Sie war wirklich unglaublich müde und auch wenn Bens Kuss ein bisschen geholfen hatte, fühlte sie sich immer noch hundeelend wegen dem, was sie getan hatte.

Langsam ging sie in das Quartier, das sie und Aiden bekommen hatten, und stellte am Rande fest, dass das Chaos, das Aiden angerichtet hatte, in ihrer Abwesenheit bereinigt worden war. Aiden war noch nicht zurück gekommen und sie war froh drum.

Sie wollte ihn noch immer nicht sehen.

In all ihren Sachen ließ sie sich aufs Bett fallen und ignorierte den kurzen Schmerz, den sie aufgrund der dünnen Matratze spürte. Doch es störte sie nicht. Sie hatte nichts anderes verdient.

Sie drehte sich auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit.

Mia war alles, an was sie denken konnte.

Ihre kleine Schwester.

Die nun auch irgendwo lag und hoffentlich schlief.

Katelyn hoffte von ganzem Herzen, dass Aiden bei Mia war und sie sich nicht in den Schlaf geweint hatte.

Denn Mia war nun ihre leitende Kraft.

Alles, was sie tun musste, sollte und würde, jede Entscheidung, die sie würde treffen müssen, würde sie unter dem Aspekt treffen, was das Beste für Mia war.

Denn Mia aus dieser Hölle zu befreien war nun ihre oberste Priorität.

Und wenn sie dafür die 'Akademie' zerstören musste.

























Kapitel 8 : Wahrheiten und Geheimnisse


Irgendwann in der Nacht hatte Katelyn genug davon, sich von links auf den Rücken, wenig später nach rechts, und ein paar Minuten später sich wieder in die entgegengesetzte Richtung, zu drehen. Ihr war viel zu warm und es war stickig in ihrem Zimmer und das Fenster ließ sich nicht öffnen. Als sie spürte, wie sich ihr Puls wieder beschleunigte und ihre Atmung immer hektischer und unregelmäßiger wurde, stand sie kurzerhand auf, schnappte sich das bisschen Matratze und ging in den Zwischenraum, den Becca als Wohnzimmer bezeichnet hatte. Die Terrassentüren, die Katelyn anfangs für Fenster gehalten hatte, weil die Couch davor gestanden hatte, und die Aiden zertrümmert hatte, waren provisorisch mit Planen abgehängt worden, die die kühle Nachtluft aber immer noch durch ließen. Vorsichtig legte sie ihre Matratze direkt davor, damit sie so viel Nachtluft wie möglich abbekam, und legte sich wieder auf die Matratze.

Sie lag einfach nur da und beobachtete, wie sich die Plane sanft im Wind bewegte, wie die Nacht manchmal heller und wieder dunkler wurde, wenn die Plane vom Wind verschoben wurde und die Sterne frei gab oder wieder verdeckte, versuchte, an nichts zu denken und ignorierte Aiden, der an der Wand in der Dunkelheit lehnte und sie beobachtete.

Sie spürte mehr als dass sie wusste, dass er da war, doch er war da. Weder hatte sie ihn kommen hören noch hatte er ihr irgendwie gezeigt, dass er da war, doch sie wusste es.

"Wir müssen reden.", meinte er schließlich, rührte sich jedoch nicht.

"Dann rede.", flüsterte Katelyn und starrte weiterhin in den Sternenhimmel.

Einen kleinen Augenblick lang fragte sie sich, ob er wirklich über die Mission und den Auftrag mit ihr reden wollte.

"Ich weiß, dass das, was du heute getan hast, furchtbar war, Katie."

"Tust du nicht.", flüsterte sie leise und fuhr immer wieder mit ihren Fingern durch eine Haarsträhne, die ihr links über die Schulter gefallen war.

Bei Dunkelheit sahen ihre Haare beinahe so dunkel aus wie Mias.

Nur mit dem Unterschied, dass sich ihre nicht lockten.

Aiden kam einige Schritte auf sie zu, doch blieb er immer noch auf Abstand.

"Du musstest es nicht tun. Du hast mich raus geschmissen, obwohl es mein Auftrag war. Du hast es freiwillig gemacht."

So, wie er das sagte, klang es, wie ein schlimmer Vorwurf. Und genau das war es auch. Aiden hatte seine Moralvorstellungen, an denen er auch die letzten 12 Jahre festgehalten hatte. Und Katelyn hatte gegen die Wichtigste von allen verstoßen.

"Das verstehst du nicht, Aiden. Das kannst du gar nicht.", flüsterte sie und fuhr weiter mit ihren Fingern durch ihre Haare.

Aiden schnaubte verächtlich.

"Was gibt's da groß zu verstehen?

Du hast einen Menschen getötet, Katelyn! Und kein Kuss der Welt kann das wieder gut machen!"

Katelyns Hände stoppten da, wo sie gerade waren, und bewegten sich nicht mehr.

Aiden hatte sie auf eine Weise angefahren, die sie von ihm nicht kannte. Er hatte sie schon oft zurechtgewiesen, doch noch nie hatte er sie so wütend angefahren, wie jetzt.

Und noch nie hatte er so enttäuscht geklungen. Und das lag nicht allein daran, dass sie einen Menschen getötet hatte.

Katelyn spürte, wie sich die Tränen wieder in ihren Augen sammelten und schluckte sie entschieden runter.

Weinen würde auch in dieser Situation nicht helfen.

"Du weißt es also.", murmelte sie stattdessen und hoffte, dass Aiden ihr nicht anhörte, wie sie sich fühlte.

Langsam setzte sie sich auf, sah Aiden jedoch nicht an. Lieber betrachtete sie ihre Fingernägel, obwohl sie sich nicht für ihre Nägel interessierte.

"Ja.", meinte Aiden mit fester, ruhiger Stimme, doch er konnte Katelyn nicht täuschen.

Er war extrem enttäuscht.

Und wütend.

Und noch etwas, das Katelyn nicht identifizieren konnte.

Etwas, das sie zuvor noch nie bei ihm gehört hatte, hatte sich in seine Stimme geschlichen und sie gefärbt. Sie sah auf und sah ihn an. Sie wollte wissen, was diese neue Stimmfarbe war, doch Aiden sah sie nicht an. Er sah an ihr vorbei, das Gesicht so geschickt in den Schatten verborgen, dass sie nichts erkennen konnte.

"Verachtest du mich gerade, weil du glaubst, dass ich leichtfertig einen Menschen getötet habe oder weil du glaubst, dass ich mich leichtfertig auf Ben eingelassen habe?", fragte sie und sah ihn an.

"Hast du nicht beides innerhalb der letzen 6 Stunden getan?", fragte er zurück und hatte jedes Gefühl aus seiner Stimme verbannt.

Katelyn wollte gehässig lachen, doch mischte sich ein Schluchzen hinein, das Aiden auffallen musste.

"Ich habe nichts von beidem getan, Aiden. Weder das eine noch das andere.", flüsterte sie und versuchte vergeblich, die Tränen zurück zu halten. Doch die Erinnerung an Malik tat zu sehr weh, als dass sie es geschafft hätte.

"Ein kleines Mädchen hat wegen mir seinen Vater verloren. Glaubst du wirklich, das würde ich einfach so wegstecken?", fragte sie ihn und sah ihm direkt in die Augen.

Aiden schien nicht mehr ganz so distanziert, doch noch immer kam er nicht zu ihr.

"Und ich ... ich musste dich raus schicken. Es ging nicht anders. Wenn das Mädchen gesehen hätte, wie ihr Vater..." Katelyn verstummte und schluckte.

Das wollte sie sich nicht einmal vorstellen.

Aiden trat langsam einen Schritt vor, dann noch einen, bis er sich schließlich überwinden konnte, sich neben sie zu setzen.

"Du wolltest das Mädchen schützen."

"Und dich.", murmelte sie und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.

"Ich hätte das ausgehalten, Katie. Ich hätte es furchtbar gefunden, aber ich hätte es ausgehalten."

Erst, als er das sagte, wurde Katelyn klar, dass Aiden die Tatsache meinte, dass er nicht einmal mit im Raum war, während sie meinte, dass er nicht wissen durfte, dass sie Malik gekannt hatte. Sie hätte ihn korrigieren können, doch sie tat es nicht. Sollte er glauben, was er wollte, solange er wieder mit ihr sprach.

"Und ... Ben?", fragte er zögernd und Katelyn spürte, wie er sich ein klein wenig verkrampfte, fast, als wäre es ihm unangenehm, danach zu fragen, müsse es aber unbedingt wissen.

Sie zuckte langsam mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

"Ich weiß es nicht. Es ist... schön. Irgendwie. Und aufregend. Und irgendwie auch spannend. Aber es ist... auch ein bisschen angsteinflössend."

Aiden lachte leise und Katelyn war erleichtert, dass er sie nun nicht mehr für eine herzlose Killerin hielt.

"Mia soll Morgen schon zur 'Akademie' gebracht werden. Und weil sie niemanden schicken können, um sie abzuholen, dürfen wir sie zurück bringen."

"Wann morgen?", fragte Katelyn und sah zu ihm auf.

"Wir fliegen wieder über Nacht."

"Also um 23 00 am Flughafen?"

Aiden nickte.

"Das stört doch hoffentlich nicht deine Pläne mit ... Oder?"

Aiden sah sie fragend an und Katelyn lächelte.

"Ich hab' keine Pläne. Also meine Pläne stört es schon mal nicht."

Aiden grinste zufrieden und stand auf.

"Gut. Dann sollten wir vielleicht jetzt noch versuchen, ein wenig zu schlafen."

Katelyn war sich nicht sicher, doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass Aiden froh darüber war, schon am nächsten Tag zur 'Akademie' zurück zu kommen. Oder er war einfach nur froh, von hier weg zu kommen.


Nach dem Abendessen war Katelyn in dem Zimmer, in dem sie hätte schlafen sollen, und packte die wenigen Sachen, die sie dabei hatte, wieder ein. Aiden kümmerte sich um alles Organisatorische, das Mia betraf, und hatte sie gebeten, seine Sachen einfach schnell in die Tasche zu stopfen.

Ben hatte beim Frühstück erfahren, dass sie schon am Abend wieder fliegen würden und hatte sich beinahe noch bei dem Versuch, ihre Abreise um ein paar Tage hinauszuzögern, mit Dalia angelegt, weshalb er den Rest des Tages damit hatte verbringen dürfen, die Sportgeräte in der Halle zu säubern.

Katelyn hatte es ein wenig Leid getan, doch war sie dann so beschäftigt gewesen, dass sie keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, mit Ben zu reden.

Sie warf Aidens Tasche neben ihre und stand an der Terrassentür, als es klopfte.

"Hey."

Ben stand vor ihr, lächelte sie an und küsste sie sanft, was Katelyn irritierte, hatte sie sich doch noch immer nicht daran gewöhnt.

"Hey.", erwiderte sie, als er seine Lippen wieder von ihren löste.

"Schon fertig mit schrubben?"

Ben lachte leise und nahm ihre Hand.

"Noch lange nicht. Aber ich wollte dich unbedingt nochmal sehen."

Er zog sie sanft hinter sich her, über den Hof zu einer Tür, die Katelyn zuvor gar nicht aufgefallen war.

"Aber bekommst du nicht Ärger, wenn Dalia dich erwischt?", fragte sie und wusste doch, dass es ihm egal war.

Ben drehte sich zu ihr um und grinste sie an.

"Sie wird uns nicht erwischen."

Dann stieß er die Tür auf und führte sie eine lange, enge Wendeltreppe nach oben.

Oben angekommen sah Katelyn, dass sie auf einer Art Dachterrasse standen, von der aus man den gesamten Hof überblicken konnte, ohne von unten gesehen zu werden.

Die Sonne ging gerade unter und Katelyn konnte über einen Großteil der Stadt hinweg sehen.

"Wow." flüsterte sie und war fasziniert von der Schönheit der Aussicht.

Sie merkte gar nicht richtig, wie Ben seine Arme um ihre Hüften legte und sie sachte auf den freien Hals küsste.

"Ich dachte mir, dass dir der Anblick gefällt.", flüsterte Ben ihr lächelnd ins Ohr und legte sein Kinn sanft auf ihre Schulter.

Katelyn konnte sich gar nicht satt sehen an der Aussicht, doch nach ein paar Minuten zog Ben sie sanft ein Stück weiter nach hinten, wo sich, wie Katelyn erstaunt feststellte, eine Sitzecke mit einigen weichen Matten, Decken und Kissen auf dem Boden, befand.

Ben setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken bequem gegen ein Stück abgepolsterte Wand und zog Katelyn auf seinen Schoß. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich, sodass sie gar keine andere Wahl hatte, als ihren Kopf an seine Brust zu lehnen, doch Katelyn gefiel es, war es in seinen Armen doch so viel wärmer als an der frischen Luft.

"Ich fass' es nicht, dass ihr heute Abend wirklich schon wieder fliegt.", flüsterte er nach ein paar Minuten und strich mit seinen Lippen über ihre Haut.

"Normalerweise bleibt man immer mindestens 4 Tage, wenn nicht sogar eine Woche."

"Sie haben niemanden, den sie derzeit entbehren können. Und unsere Mission hier ist erledigt."

Katelyn hatte das Gefühl, sich zu rechtfertigen, obwohl sie das überhaupt nicht musste. Und schon gar nicht Ben gegenüber. Und doch wollte sie nicht, dass er glaubte, sie wolle unbedingt wieder zurück.

"Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, mehr Zeit mit dir zu verbringen. Vielleicht nochmal mit dir zu trainieren. Es gibt noch so viel, das ich dir zeigen kann."

Katelyn war sich nicht sicher, ob Ben wirklich vom Training sprach, doch wollte sie auch nicht nachfragen.

Ben lächelte sie an und es schien, als wäre er wirklich traurig darüber, dass sie nur noch einige wenige Stunden da war, doch ganz glaubte Katelyn ihm nicht. Irgendetwas an diesem Gesichtsausdruck irritierte sie. Er wirkte irgendwie... einstudiert.

Sie starrte ihn an und versuchte, raus zu finden, was sie so störte, als sich Ben nach vorne beugte und sie küsste. Und es schien, als habe er nicht die Absicht, so schnell wieder damit aufzuhören.

Völlig perplex stellte Katelyn fest, dass seine Zungenspitze immer wieder sanft gegen ihre Lippen stieß.

Eine Freundin hatte ihr mal versucht zu beschreiben, wie sich ein Zungenkuss anfühlte, doch hatte Katelyn es ziemlich eklig gefunden, so wie ihre Freundin es ihr erzählt hatte.

Jetzt fragte sie sich, ob es wohl wirklich so eklig war oder ob es nicht doch ganz anders war.

Ihre Neugier war geweckt.

Sie ließ zu, dass Bens Zunge weiter in ihren Mund hinein konnte und war ein wenig erschrocken, als seine Zunge ihre zum ersten Mal berührte, doch fand sie es nicht annähernd so schlimm, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Ben legte sich ihre Arme sanft um seinen Hals und Katelyn ließ sie dort. Sie wusste eh nicht, was sie machen sollte.

Sanft, damit sie sich nicht weh tat oder sich erschreckte und ihn angriff, drückte Ben sie nach hinten, auf die weichen Matten, und blieb über ihr.

Obwohl das im Prinzip die selbe Situation war, wie in der Halle, fühlte sich Katelyn dieses Mal unwohler, denn Ben lag nun mit seinem vollen Gewicht auf ihr und seine Hände wanderten langsam über ihren Körper, zielsicher immer weiter nach unten, zu dem Rand ihres Pullovers. Oder zu dem Knopf ihrer Jeans.

Und beides davon fand Katelyn nicht wirklich prickelnd.

"Ben.", flüsterte sie und hoffte, er würde stoppen, doch das tat er nicht.

"Ben", meinte sie lauter und spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Doch sie musste die Ruhe bewahren, sonst war sie verloren.

"Ben, hör auf."

Doch Ben hörte nicht auf. Er drückte seine Lippen wieder auf ihre und drang mit seiner Zunge in ihren Mund ein und Katelyn handelte, ohne darüber nachzudenken, aus Panik.

Sie biss ihm in die Lippe.

So heftig, dass sie sein Blut schmeckte.

Aber auch so heftig, dass er sich endlich zurück zog und sie in Ruhe ließ.

"Du elendes Miststück.", knurrte er unter Schmerzen und hielt sich die blutende Lippe.

Katelyn setzte sich in aller Ruhe auf, richtete ihren Pullover wieder und sah ihn kühl an.

"Ich habe dich gebeten, aufzuhören."

Dass ihre Hände zitterten konnte sie verbergen.

"Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du die einzige an der 'Akademie' bist, die 17 aufwärts ist und noch nie Sex hatte? Dass du die einzige bist, die keine Nähe zulassen kann?"

Bens Worte trafen sie. Sogar ziemlich hart, auch wenn Katelyn das gerne leugnen würde. Denn ein Hauch von Wahrheit haftete leider an ihnen. Sie saß noch immer auf den Matten, auf die Ben sie gedrückt hatte, ihr Puls war immer noch erhöht von der Angst, die sie gehabt hatte, und ihre Finger waren fest miteinander verschränkt, damit niemand sah, dass sie zitterten.

Sie sah sich dieses Matratzenlager, das es ja eigentlich war, genauer an. Die Wand war in genau der richtigen Höhe abgepolstert, um sich bequem anlehnen zu können und nirgends gegen den kalten Stein zu stoßen, und die abgedeckte Fläche auf dem Boden entsprach von den Maßen her ungefähr einem Doppelbett, mit ein paar Zentimetern extra. Als Katelyn das alles sah, ging ihr auch endlich auf, was sie an Bens Gesichtsausdruck vorhin gestört hatte.

Er war einstudiert gewesen.

Denn Ben machte das hier nicht zum ersten Mal.

Ben war ein Verführer.

Wütend stand Katelyn auf.

"Erinnerst du dich daran, wie ich dir erzählt hab', woher ich den Raum im dritten Stock kenne? Wie meine Freundin mir davon erzählt hat?", fragte sie Ben und funkelte ihn von oben herab an.

"Sie ist an genau so einen Mistkerl wie dich geraten. Und sie hat es bereut. Furchtbar bereut."

Katelyn ging an ihm vorbei zur Tür, drehte sich aber an der Tür noch einmal zu ihm um.

"Mag sein, dass ich eine der wenigen in der 'Akademie' bin, die noch keinen Sex hatte. Aber das ist für mich in Ordnung. Denn irgendwann werde ich Sex haben - und ganz bestimmt nicht mit so einem arroganten Arsch wie dir."

Sie wollte die Tür öffnen und gehen, doch noch bevor sie die Klinke richtig hatte greifen können, stand Ben plötzlich hinter ihr, packte sie grob am Oberarm und wirbelte sie zu sich herum.

"Lass mich los, Ben. Sofort."

Sie sah ihm direkt in die Augen.

Sie hatte keine Angst vor ihm. Sollte er sie angreifen, würde sie sich verteidigen. Und zwar ohne zu zögern und mit allem, was nötig war.

"Du wirst nicht die erste sein, die ich nicht bekomme!", knurrte er, drückte Katelyn fest gegen die Wand und presste seine Lippen auf ihre.

Katelyn war für einen Moment so überrumpelt, dass sie gar nicht reagierte. Doch als Bens Zunge ungewollt in ihren Mund eindrang, reagierte sie sofort.

Reflexartig riss sie ihr Knie hoch und traf Ben genau im Schritt.

Ben krümmte sich vor Schmerz auf dem Boden und Katelyn stieg vorsichtig über ihn hinweg.

Sie musste aufpassen, dass er sie nicht noch am Bein packte und zum Stürzen brachte.

"Es gibt immer ein erstes Mal, Ben. Nur dieses Mal nicht das, auf das du gehofft hattest.", meinte sie zu ihm, als sie die Tür aufzog und hindurch schlüpfte.

Sie wollte nur noch von diesem Ort weg.

Und Ben nie wieder sehen.


"Katie, wo warst du denn? Ich hab' dich schon gesucht."

Aiden lächelte sie an und Katelyn brauchte einen Moment, bis sie registrierte, dass es bereits dunkel war und sie ja bald fliegen würden.

"Mich von Ben verabschieden.", antwortete Katelyn und holte tief Luft. Sie war die ganze enge Wendeltreppe runter gerannt, weshalb ihr jetzt leicht schwindlig war und sie etwas außer Atem war.

"Ah."

Aiden lief über den Hof zu ihrem Quartier und Katelyn folgte ihm.

"Wie war euer... Abschied?", fragte er und klang nicht wirklich, als ob er es wissen wollte.

"Naja, jedenfalls wird er mich nicht mehr so schnell vergessen.", antwortete sie und ließ sich auf die graue Couch fallen.

"Aha.", murmelte Aiden und hob seine Tasche auf.

Katelyn sah ihn an.

"Alles okay?"

"Ich muss Mia holen. Der Wagen wartet schon. Wir sehen uns im Auto."

Damit ging Aiden und ließ Katelyn sitzen.

Sie sah ihm nach und überlegte, was sie getan hatte, was es rechtfertigen würde, dass er so war. Doch sie wusste nichts.

Seufzend stand sie auf, nahm ihre Tasche und ging zum Auto. Sie hatte gerade ihre Tasche rein geworfen, als sie hörte, wie eine der Haustüren aufflog und Dalia "Halt!" schrie.

Sie drehte sich um und sah gerade noch, wie braune Locken über den Hof zum Tor rannten, dann rannte sie auch schon los.

"Wow, wow, ganz langsam, junges Fräulein. Du kommst sowieso nicht weit."

Katelyn schaffte es, Mia um die Hüfte zu schnappen und hoch zu heben, ohne anhalten zu müssen.

"Nein, lass mich runter! Lass mich sofort wieder los! Lass mich runter!", schrie Mia und zappelte wie wild, doch Katelyn schaffte es, sie fest zu halten.

"Mia. Mia! Hör auf!

Mia hielt augenblicklich in der Bewegung inne und sah Katelyn mit großen, vor Schreck weit aufgerissenen Augen an und erst da wurde Katelyn bewusst, was sie gerade gesagt hatte. Und jetzt konnte sie es nicht mehr zurück nehmen.

"Aber mein Daddy hat mir versprochen, dass er auf mich aufpasst. Dass er immer auf mich aufpasst.", flüsterte sie mit ihrem zarten Stimmchen leise und Katelyn wurde das Herz schwer.

"Ich weiß, Süße. Ich weiß. Und das wird er auch. Nur kann er es nicht mehr alleine. Ich helfe ihm."

Sie strich Mia sanft über die Wange und wischte die Träne, die langsam über ihre Wange rollte, weg.

"Ich passe jetzt auf dich auf, okay? Solange ich da bin, wird dir nichts passieren. Das werde ich nicht zu lassen."

Mia sah sie an, sah ihr in die Augen und schien etwas ruhiger zu werden.

"Das hat mein Daddy auch gesagt, als er mit mir weggegangen ist. Und dass wir Mummy bald wiedersehen werden."

Katelyn spürte, wie sie nachfragen wollte, biss sich aber auf die Zunge, um es nicht zu tun. Sie konnte Mia noch nicht sagen, wer sie war.

Stattdessen drückte sie Mias Kopf sanft gegen ihre Schulter und führte sie zum Wagen.

"Dir wird nichts passieren. Das verspreche ich.", flüsterte sie ihr leise ins Ohr, solange sie noch außer Hörweite der anderen waren, und stieg mit Mia zusammen ein. Aiden folgte ihr staunend und zog die Tür hinter sich zu.

"Sie vertraut dir.", flüsterte er leise und Katelyn nickte knapp.

Becca stieg vorne ein und Aiden sah verwirrt zu Katelyn.

"Wieso fährt Ben nicht?"

"Naja, Ben ..." Becca warf im Rückspiegel Katelyn einen wissenden und leicht belustigten Blick zu.

"...fühlt sich nicht so wohl."

Sie startete den Motor und fuhr los.

"Sagen wir einfach, der Abschied ist nicht so verlaufen, wie Ben es sich vorgestellt hatte. Und ich werde ihm 'ne ganze Weile in Erinnerung bleiben. Wahrscheinlich sogar für immer- allerdings in nicht unbedingt positiver.", meinte Katelyn auf Aidens fragenden Blick und Aiden fragte gar nicht weiter nach. Aber Katelyn konnte sehen, dass ihm eine Frage auf der Zunge brannte.


Als sie am Flughafen hielten, war Mia auf Katelyns Schoß eingeschlafen.

"Lass nur, ich nehm' die Taschen. Weck sie nicht auf.", flüsterte Aiden und griff sich Katelyns Tasche.

Sie nickte nur. Aidens Stimme war so sanft und voller Zuneigung, wenn er von Mia sprach, oder auch mit Mia, dass es Katelyn vor Rührung fast die Luft nahm.

"Kommt gut zurück. Und besucht uns ruhig mal wieder."

Becca grinste Katelyn an und Katelyn schüttelte grinsend den Kopf.

Dann stiegen Aiden und Katelyn in das wartende Flugzeug, die Tür schloss sich sofort hinter ihnen und das Flugzeug rollte los.

Katelyn bettete Mia vorsichtig auf einen Sitz und ihren Kopf auf ihren Schoß, so konnte sie Mia die ganze Zeit über nah sein und über die Haare streichen.

Aiden setzte sich ihr gegenüber hin und beobachtete sie eine Weile stumm.

"Sie ist so zierlich und trotzdem so voller Trotz und Widerwillen.", meinte er irgendwann und betrachtete Mia mit einem sanften Lächeln.

"Und obwohl sie noch so jung ist, weiß sie ganz genau, was vor sich geht. Du kannst ihr erzählen, was du willst, sie erkennt es, wenn du sie anlügst."

Katelyn sah runter auf ihre kleine Schwester, die hoffentlich etwas Schönes träumte, und strich ihr über die Haare.

"Ich weiß. Mit zehn ist man nicht mehr so einfältig.", murmelte sie, ohne aufzusehen.

Das war ihr erster Tag mit ihrer kleinen Schwester und sie hatte vor, sich jede Sekunde davon ganz genau einzuprägen. Sie wollte diese Zeit nie wieder vergessen.

"Sie erinnert mich an dich, als du so alt warst."

Katelyn blickte auf und sah Aiden an.

"Wie kommst du denn darauf?", fragte sie und hoffte, dass Aiden nicht merkte, wie erschrocken sie war.

Aiden zuckte mit den Schultern.

"Sie ist stur, clever und lässt sich nichts vor machen. Außerdem glaubt sie genau so unerschütterlich an ihren Vater, wie du an deine Eltern geglaubt hast."

Aiden lächelte und Katelyn zwang sich auch zu einem Lächeln.

"Mit fünf sind die Eltern eben noch die größten Helden. Mit zehn hast du niemand anderen, auf den du dich verlassen kannst. Sie wird früh genug lernen, dass es nicht so ist.", flüsterte sie und wurde beim letzten Satz traurig.

Katelyn wusste noch genau, wie lange sie daran geglaubt hatte, dass ihre Mum kommen und sie retten würde. Und wie lange es gebraucht hatte, um zu begreifen, dass sie nicht kommen würde.

"Aiden, glaubst du, unsere Eltern erinnern sich überhaupt noch an uns? Glaubst du, unser Verschwinden hat irgendwelche Spuren in ihrem Leben hinterlassen?", fragte sie ihn leise.

"Natürlich. Ihr ganzes Leben hat sich umgestellt. Ihre Kinder waren plötzlich weg, Katie. Das lässt niemanden kalt.", antwortete Aiden sofort und vollkommen überzeugt.

"Was meinst du, wie lange sie gebraucht haben, bis sie wieder ein normales Leben geführt haben? Bis sie sich damit abgefunden haben, dass wir weg waren?"

Aiden sah sie an, dieses Mal zögerte er mit der Antwort.

"Ich weiß es nicht. Ihre Leben werden nie wieder so sein, wie sie mal waren. Aber irgendwann müssen sie auch wieder nach vorne schauen. Das mussten wir ja auch. Aber ich weiß nicht, wie lange es bei ihnen gedauert hat."

Katelyn betrachtete Mia in dem bisschen Licht, das der Mond spendete.

Sie kannte die Antwort.

Denn sie lag auf ihrem Schoß und schlief.

Katelyns Mutter hatte zwei Jahre und Maliks Liebe gebraucht, um wieder nach vorne schauen zu können.

















Kapitel 9 : Der Mann im Lehnstuhl


Der kleine Mann mit der Brille und den wässrigen Augen drückte die Unterlagen fest gegen seine Brust. Sein Aussehen erleichterte es ihm erheblich, unbemerkt durch die Weltgeschichte zu spazieren, weshalb er einst der beste gewesen war. Niemand erinnerte sich je an den unscheinbar wirkenden Mann, der so aussah, als würde der nächste Wind ihn weg pusten.

Doch der Schein trog..

Und jetzt, da er zu alt für den aktiven Dienst geworden war, hatte man ihn als Sekretär und Botschafter behalten. Denn so konnte man sich sicher sein, dass die Nachrichten, die er überbrachte, auch wirklich nur von den richtigen Leuten gelesen wurden. Niemand würde je auf die Idee kommen, dass ein Hänfling wie er derart wichtige Dokumente transportierte.

Er schlüpfte durch die zuschwingende Eingangstür, ohne dass die ihm vorangehenden Agenten ihn bemerkten, und durchquerte die Eingangshalle, ohne dass ihn jemand grüßte. Sie sahen ihn zwar, doch niemand nahm ihn wahr. Sie vergasen ihn schneller, als dass sie ihn sahen. Und das war sein großer Vorteil.

Vor dem Aufzug, der nur in den obersten drei Etagen hielt, zu denen man nur kam, wenn der Wärter einem den Code in das Touchfeld eingab, räusperte er sich, um den Aufzugswärter auf sich aufmerksam zu machen.

"Oh, guten Morgen, I.G. In welche Etage musst du denn heute?", fragte der bärenhafte Mann freundlich.

"Ganz nach oben, Victor. Und es ist dringend. Man wartet bereits auf mich."

Victor nickte und öffnete ihm die Fahrstuhltüren.

"Dann wollen wir dich doch mal per Expressfahrt nach oben schicken. Du solltest dich besser festhalten, sie haben gestern die Techniker geschickt, um ihn noch schneller zu machen. Inzwischen ist er bei 8 Stockwerken pro Sekunde.", warnte Victor den unscheinbaren Mann vor und klang beinahe stolz.

Dieser verzog nur das Gesicht bei der Vorstellung, welche Geschwindigkeit dieses metallene Monster, das er ohnehin schon verabscheute, nun erreichen konnte.

Victor lachte und tippte die vier Ziffern für die oberste Etage und weitere vier Ziffern für die Expressfahrt ein.

"Wir sehen uns, wenn du wieder runter kommst - falls du wieder runter kommst.", zog der große Mann ihn auf, bevor sich die Türen hinter I.G schlossen.

Er hatte gerade genug Zeit, sich festzuhalten, als der Aufzug seine Höllenfahrt auch schon startete.

Vier Sekunden dauerte es, bis I.G dem metallenen Käfig wieder entfliehen konnte. Und wenn er auch sonst jeder Gefahr angstfrei ins Auge blickte - diese vier Sekunden kamen ihm wie eine furchtbare Ewigkeit vor.

"Mister I.G, Sie werden bereits erwartet.", begrüße ihn die Empfangsdame und winkte ihn durch die große Doppelglastür durch. Wie selbstverständlich ging er den Gang entlang bis zum Ende, wo sich das wohl größte und schönste Büro der gesamten 'Akademie' befand und trat ein, ohne anzuklopfen.

"I.G. Schön, dass Sie sofort kommen konnten.", ertönte die tiefe Stimme aus dem von ihm abgewandten Lehnstuhl.

"Mir war klar, dass dies eine Angelegenheit wichtigster Dringlichkeit ist, Sir."

Er setzte sich auf den Stuhl und legte den Umschlag auf den Tisch.

"Es ist alles vorhanden. Die Tests, die Akten, die Beurteilungen. Die Noten."

Der Mann ihm Lehnstuhl nickte.

"Haben Sie es gelesen?"

I.G nickte.

"Wie Sie es wünschten. Und Ihre Vermutung stimmt. Die Testergebnisse zeigen deutliche Unstimmigkeiten mit den anderen Tests."

Der Mann im Lehnstuhl starrte aus dem Fenster, als würde ihn das ganze nicht interessieren. Doch das Gegenteil war der Fall.

"Wie groß sind die Unstimmigkeiten?"

"Sie liegen bei 150% ."

"Bei beiden?"

"Bei ihm."

"Und bei ihr?"

"Nur bei ungefähr 5%. Allerdings bei der letzten Frage."

Der Mann im Lehnstuhl schwieg.

I.G wartete geduldig. Hetzen nützte nichts. Das wusste er. Und der weitere Handlungsweg war ohnehin schon entschieden. Es gab nur eine Möglichkeit.

Der Mann im Lehnstuhl seufzte.

"Nun gut. Sie wissen, was zu tun ist. Tun Sie es. Eliminieren Sie ihn. Eine solch hohe Unstimmigkeit können wir uns nicht leisten."

I.G nickte.

"Und das Mädchen?"

Der Mann im Lehnstuhl drehte sich um. Er war gigantisch, noch größer als Victor, voll bepackt mit Muskeln, seine linke Gesichtshälfte entstellt durch eine grässliche, rote Narbe und sein linkes Auge von einer Augenklappe bedeckt. Kein Wunder, dass er den Schatten bevorzugte.

"Beobachten Sie sie. Wenn sie ihrem Partner gleicht, wird es keine andere Möglichkeit geben. Auch wenn es ein Desaster wäre, gleich zwei so gute und junge Leute zu verlieren."

I.G nickte und griff nach der Akte, doch der Mann im Lehnstuhl schüttelte den Kopf.

"Die werde ich hier aufbewahren. Niemand außer Ihnen und mir muss hier von wissen."

"Natürlich, Sir."

I.G stand auf und verließ das Büro.

Er wusste, was er zu tun hatte.

Wieder fuhr er mit dem Aufzug nach unten, doch dieses Mal langsamer.

"Na, I.G, warst du erfolgreich?", fragte Victor ihn, als er aus dem Fahrstuhl stieg und lächelte ihn an.

"Wann bin ich das nicht, Victor?", fragte er zurück, schlug den Kragen seines Mantels hoch und trat aus dem Gebäude. Das Flugzeug würde bald landen.

Sobald sie wieder in der 'Akademie' eintreffen würden, konnte damit beginnen, das Mädchen zu beobachten. Und wenn er seine Ergebnisse hatte, würde er mit dem Eliminieren beginnen.




Kapitel 10 : Alles anders


Katelyn stand in der Trainingshalle ganz an der Wand und sah mit verschränkten Armen dabei zu, wie die neuen, kleinen und älteren Kinder in einer Reihe in die Turnhalle einliefen. Keines von ihnen sah glücklich oder auch nur halbwegs wach aus. Die meisten sahen aus roten, verquollenen Augen verängstigt in die große Halle. Auch Mia sah sich nervös um, bis sie Katelyn entdeckte. Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke und Mia hob den Kopf.

"Sie ist stark. Stark genug, um kerzengerade und mit erhobenem Kopf in eine völlig neue Umgebung zu stolzieren."

Aiden lächelte stolz und Katelyn sah ihn missbilligend an.

"Starr sie nicht so an. Das ist nicht gut."

Aiden sah sie von der Seite her an.

"Entspann dich doch mal, Katie. Wir haben den Auftrag erledigt, wir sind wieder zurück und keiner von uns hat etwas Dummes getan."

Katelyn schwieg.

"Du hast doch nichts Dummes getan, oder?"

Katelyn sah ihn böse an.

"Ach komm schon, Katie. Es ist alles gut."

Aiden lächelte sie an und glaubte wirklich daran, doch Katelyn hatte ein ungutes Gefühl.

Vorne wurden die Kinder nacheinander ihren Betreuern und Trainern übergeben.

"Meinst du, wir haben überhaupt eine Chance?", flüsterte Aiden leise und wippte nervös mit dem Fuß.

"Ich hoffe es.", flüsterte Katelyn zurück und drückte ihnen beiden mental die Daumen.

Sie musste einfach Mia als Trainerin und/oder Betreuerin zugeteilt werden.

Wenn sie das nicht wurde, würde sie Mia nicht mehr sehen.

Und das würde sie nicht aushalten.

Sie konnte ihre kleine Schwester jetzt nicht wieder verlieren.

Außerdem musste sie ihr Versprechen an Malik halten.

Mia stand nun ganz vorne und Katelyn warf Aiden einen warnenden Blick zu. Aiden nickte knapp. Er wollte sich fast genau so sehr um Mia kümmern, wie sie, auch wenn sie beide völlig andere Gründe dafür hatten.

Aiden wollte es tun, weil er sich für Mia verantwortlich fühlte, nachdem sein Auftrag darin bestanden hatte, ihren Vater zu töten.

Und weil er ganz vernarrt in sie war.

Katelyn konnte einfach den Gedanken, dass sich irgendjemand anderes um ihre kleine Schwester kümmerte, nicht ertragen. Am Liebsten hätte sie Mia vierundzwanzig Stunden am Stück um sich herum. Doch das ging nicht. Wäre sie ihre Betreuerin, würde sie sie wenigstens die meiste Zeit des Tages sehen.

Der Professor, der die Ehre hatte, die Kinder verteilen zu dürfen, blinzelte durch seine Brille und las langsam die Namen vor, die auf seiner Liste standen.

"Mia - Aiden und Katelyn."

Aiden unterdrückte ein zufriedenes Lächeln und Katelyn atmete tief durch, bevor sie zusammen nach vorne gingen. Katelyn wäre gerne gerannt und hätte Mia in die Arme geschlossen, doch das durfte sie nicht.

"Du hast wirklich zwei tolle Lehrer erwischt, kleines Mädchen. Du hast großes Glück gehabt."

Der Professor lächelte Mia an und sah dann zu Aiden und Katelyn.

"Wollen wir doch hoffen, dass Sie so gut unterrichten können, wie Sie es praktizieren können."

Aiden schaffte es, sein Lächeln höflich zu erwidern.

"Wir werden sehen, Herr Professor."

Dann winkte er Katelyn und sie führte Mia an der Schulter hinter Aiden her.

Vor der Halle stand Ace mit einigen Dingen, die er zum Teil an Katelyn und zum Teil an Aiden aushändigte.

"Ihr habt euch entschieden, sie auszubilden? Warum?" fragte er und sah die beiden an.

"Naja, zum Einen, weil wir der Meinung sind, dass wir es alle Mal besser können, als B.", antwortete Aiden und nahm die Unterlagen, die Ace ihm reichte.

"Und zum Anderen werden wir B so endlich los.", ergänzte Katelyn und Ace musste schmunzeln.

"Das ist wohl wahr. Und was macht ihr, wenn ihr wieder eine Mission bekommt?"

"So weit ist es doch noch nicht. Und wenn, haben wir genug Leute, die sich für ein paar Tage, oder auch Wochen, um sie kümmern können."

Katelyn sah Ace an und Ace seufzte.

"Nun gut. Ihr scheint euch ja gründlich vorbereitet zu haben."

Er reichte ihnen die Schlüssel und Ausweise, die es ihnen ermöglichten, alle Privilegien von Ausbildern zu nutzen.

"Dann viel Glück."

Damit drehte er sich um und ging zurück in sein Verwaltungsgebäude und an seinen Schreibtisch.

Aiden sah Katelyn an.

"Sollen wir? Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis sie zurück muss."

"Wohin zurück?", fragte Mia und sah zu Katelyn auf.

"In die Turnhalle, Süße. Aiden und ich sind nur deine Betreuer und Trainer, aber nicht deine Lehrer."

Mia sah sie mit großen Augen an.

"Es gibt eine ganz normale Schule hier?"

Katelyn klappte der Mund auf und Aiden fing an zu lachen.

"Sie hat so viel erlebt und ist entsetzt darüber, dass die Schule zum Alltag gehört.", kicherte Aiden, als er sich endlich wieder etwas beruhigen konnte, und Katelyn sah sich besorgt um. Doch es war niemand zu sehen.

Mia sah ihn böse an.

"Meine Mama hat mir viel hierüber erzählt. Und dass ich hier nicht hin gehöre."

Aiden hörte sofort auf zu kichern und sah sie ernst an.

"Und deine Mama hat völlig Recht. Aber leider können wir es nicht ändern."

"Wieso nicht?", fragte sie zaghaft und Katelyn und Aiden sahen sich an.

"Weil wir genau wie du an die Regeln der 'Akademie' gebunden sind."

Mia drehte sich zu Katelyn um und sah sie an.

"Was passiert nachher, wenn wir zurück gehen?"

Auch wenn sie versuchte, tapfer zu klingen, konnte Katelyn hören, dass sie Angst hatte. Nicht viel, doch sie war da.

Katelyn ging etwas in die Knie, um auf ihrer Augenhöhe zu sein, und sah sie an. Obwohl sie nur sieben Jahre älter war als ihre Schwester, war Mia fast zwei Köpfe kleiner als sie.

"Nichts schlimmes, Mia. Ihr werdet lediglich die Lehrer der 'Akademie' kennen lernen und auf dem Gelände herum geführt."

"Wo seid ihr währenddessen?"

Katelyn strich ihr sanft über die Wange.

"Direkt hinter dir. Nur nicht unbedingt zu sehen."

Sie lächelte sie an und Mia nickte tapfer.

"Okay."

Katelyn stand wieder auf und drehte sich um - und stieß beinahe mit B zusammen. Sofort wich sie wieder ein Stück zurück und schob Mia beschützend hinter sich, sodass B sie nicht sehen konnte. Es war ein Reflex gewesen, den sie nicht hatte unterdrücken können. Sie wollte nicht, dass B etwas von Mia wusste. Dass er sie als ihre Schwachstelle erkannte.

Denn wenn B eines konnte, dann Schwachstellen erkennen.

"Was willst du, B?", knurrte Aiden und verschränkte die Arme vor der Brust.

B antwortete nicht, sondern versuchte, an Katelyn vorbei einen Blick auf Mia zu erhaschen.

Doch Aiden stellte sich genau so neben Katelyn, dass Mia wirklich unsichtbar war.

"Aiden hat dich etwas gefragt, B."

Sie funkelte B verächtlich an.

B sah wieder sie an und schaffte es, zu lächeln.

"Ich wollte lediglich meinen Schützlingen zu ihrer ersten, gelungenen Mission gratulieren."

"Sei still.", flüsterte Katelyn warnend.

"Es gibt für einen Trainer nichts Schöneres, als wenn er sieht, dass seine Schützlinge nun alleine zurecht kommen."

"Sei still.", wiederholte Katelyn etwas lauter.

"Und ihr hattet eine besonders schwere Mission. Es ist nicht leicht, jemanden..."

Bevor er den Satz beenden konnte, schnellte Aiden nach vorne und verpasste ihm einen Kinnhaken. Mia quietschte erschrocken und klammerte sich an Katelyns Arm, während B zu Boden sank.

"Katelyn hat gesagt, du sollst still sein.", meinte Aiden voller Hass und schüttelte seine Hand.

Katelyn nahm Mias Hand und zog sie von dem am Boden liegenden B weg.

Aiden folgte ihnen.

"Wer war das?", fragte Mia sie verängstigt und sah vorsichtig zu Aiden auf.

"Unser Ausbilder. Ehemaliger Ausbilder.", verbesserte sich Katelyn und eilte immer weiter.

"Er hatte verdient, was er bekommen hat, Mia. Nicht mehr und nicht weniger. Glaub mir. Er hat Aiden und mich wirklich schlecht behandelt und uns grauenhafte Dinge angetan."

Katelyn spürte, wie Aiden sie von der Seite her fragend ansah, doch sie ignorierte es.

"Wir müssen zurück zur Halle."

Aiden nickte und Katelyn ließ widerwillig Mias Hand los, kamen ihnen doch immer mehr Schüler entgegen.

Mia sagte nichts dazu, doch sie war enttäuscht.

Katelyn würde ihr später noch erklären müssen, was es damit auf sich hatte.

Warum sie ihre Hand nicht halten konnte.

Doch erst mussten sie diese Zeremonie hinter sich bringen.


Mit einigen Metern Abstand folgten Aiden und Katelyn der Gruppe, die über das gesamte Gelände lief, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie dazu gehörten.

"Die anderen sind viel zu nah dran. Man merkt sofort, dass sie Trainer sind. Und ihre Schützlinge sehen sie. Das würde so einigen nicht gefallen.", murmelte Aiden leise.

"Und was würden sie wohl zu uns sagen? Wir sind nicht besser als die anderen."

Katelyn sah in den blauen Frühlingshimmel. Sie hatte so ein merkwürdiges Gefühl, dass etwas nicht stimmte, doch sie konnte es sich nicht erklären. Alles schien wie immer zu sein. Und doch spürte sie, dass etwas nicht stimmte.

"Wir sind besser. Und wenn es nur daran liegt, dass wir uns nicht erwischen lassen."

Ein plötzliches, übertrieben lautes Rascheln über ihnen zog Katelyns Aufmerksamkeit auf sich. Doch sie konnte nichts erkennen.

"Wir sollten leise sein.", flüsterte Katelyn und sah Aiden vielsagend an. Aiden nickte und sie folgten der Gruppe, die weiter ging. Doch das komische Gefühl ließ Katelyn nicht los.

Vorsichtig drehte sie sich noch einmal um, doch sie sah nichts. Aber irgendetwas musste da sein. Das sagte ihr ihr Instinkt. Und auf ihren Instinkt war Verlass.

Manchmal mehr als auf die Menschen in ihrem Umfeld.


"Was machen wir jetzt?", fragte Mia, kaum dass sie aus der Halle wieder raus waren und wollte Katelyns Hand greifen, doch Katelyn schüttelte den Kopf.

Mia sah enttäuscht auf den Boden und Katelyn spürte, wie sich ihr Herz zusammen zog. Aiden sah sie einen Moment lang mit unergründlichem Blick an, dann kniete er sich vor Mia und sah sie an.

"Wir dürfen dich nicht an der Hand halten, solange du tust, was wir dir sagen und kein Fluchtrisiko besteht...", flüsterte er leise und sah sie vielsagend an.

Katelyn verdrehte die Augen.

"Ernsthaft? Du rätst ihr, einen Fluchtversuch zu unternehmen? Die Idee kann ja auch nur von dir kommen.", grummelte sie leise und sah Aiden wütend an.

"Hast du vielleicht 'ne bessere Idee?", meinte Aiden und richtete sich wieder auf.

"Nein, aber wegrennen ist die absolute Schnapsidee. Wie kommst du nur auf so was?"

"Indem ich versuche, dir einen Gefallen zu tun. So komm' ich auf solche" Aiden zeichnete Anführungszeichen in die Luft.

"Schnapsideen."

Katelyn verdrehte die Augen erneut.

"Und hast du dir mal überlegt, wie das aussieht, wenn uns unser Schützling wegläuft?"

Aiden grinste sie an.

"Nein. Aber das werden wir gleich erfahren."

Katelyn sah sich nach Mia um, doch Mia stand nicht mehr neben ihr.

"Ach du Schei... !"

Mia rannte bereits über die Wiese und war schon gute hundert Meter weit weg.

Sie sah Aiden fassungslos an.

"Na los, du kannst doch so schnell rennen.", zog er sie auf und grinste.

"Du bist so ein Arsch.", knurrte sie wütend und rannte los.

'Was dachte er sich nur dabei! Ihr zu sagen, dass sie wegrennen sollte! Wie kann man nur so dumm sein?!', fluchte Katelyn innerlich, während sie hinter Mias braunen Locken her sprintete.

'Also wirklich! Und dann hilft er nicht mal!', dachte sie, als sie über das Gras rutschte und sich wieder aufrappelte, allerdings war ihre Jeans nun voller Grasflecken.

Mia lief im Zickzack davon und Katelyn kam sich langsam vor wie bei der Hasenjagd.

Sie konnte sehen, wie Mia lächelte und war einen Moment wütend, weil das alles für Mia bloß ein Spaß war, doch dann ging ihr auf, dass es lustig war.

Dass es wirklich lustig war.

Beinahe wie ein Spiel.

"Hab' ich dich!", rief sie, als sie Mia zu fassen bekam und rollte mit ihr über das Gras, bis sie schließlich liegen blieben und Mia leise vor sich hin gluckste.

"Lach bloß nicht. Und hör nie wieder auf Aiden. Er hat immer so Schnapsideen.", meinte sie und blieb auf dem Rücken liegen, immer noch außer Atem von der Jagd. Mia lag auf ihrem Bauch und gluckste leise vor sich hin.

"Ist gut."

"Hey, Katelyn! Alles okay?", rief einer der umstehenden, den Katelyn bestimmt kannte, doch sie hätte aufsehen müssen, um ihn zu erkennen.

"Ja, ja! Wir haben nur schon mal mit dem Training begonnen! Ganz im Stil 'Hasenjagd'.", rief sie zurück und hörte, wie Aiden lachend näher kam.

"Du hast sie erwischt! Gut gemacht."

Katelyn sah zu ihm auf.

"Du meinst sie, richtig?"

Aiden zwinkerte Mia zu und Mia kicherte.

"Natürlich. Aiden der Frauenheld macht wieder allen hübschen Mädchen schöne Augen, während seine Partnerin dreckig und erschöpft im Gras liegt."

Aiden seufzte und setzte sich neben sie.

"Nicht allen hübschen Mädchen."

Katelyn wollte nachfragen, was er meinte, doch bevor sie das konnte, kam Danni zu ihnen.

"Aiden! Du bist wieder da!"

Freudestrahlend ließ sie sich neben ihn fallen und kuschelte sich an ihn.

Katelyn sah ihn verwundert an, Aiden schüttelte nur irritiert den Kopf.

"Du warst so lange weg. Wir hatten noch gar keine Zeit zum Reden. Wie das mit uns weitergehen soll."

Sie fuhr mit ihren zarten, schlanken Fingern über seine Brust und sah Aiden dabei in die Augen. Dass sie nicht alleine waren, schien sie vergessen zu haben.

Aiden schüttelte knapp den Kopf, um ihr zu zeigen, dass sie still sein soll, doch es war zu spät.

"Nachdem wir schon S..."

Katelyn sprang auf und zog Mia mit hoch.

"Okay, Mia und ich gehen dann mal. Dieses Gespräch ist nun wirklich nicht für alle Ohren bestimmt.", meinte sie und schob Mia vor sich her.

"Oh, Katelyn, es tut mir wirklich...", fing Danni an, doch Katelyn interessierte es nicht.

"Schon okay.", meinte sie schnell und nahm Mias Hand.

"Komm mit.", meinte sie zu Mia und zog sie weg.

"Du nimmst sie an die Hand?", fragte Danni überrascht und sah sie an, lehnte sich aber dennoch gegen Aiden.

Katelyn drehte sich halb zu ihr um.

"Fluchtgefahr.", meinte sie schulterzuckend und ging.

Sie drehte sich nicht noch einmal zu Aiden um.

"Wo gehen wir jetzt hin?", fragte Mia sie und hüpfte an ihrer Hand herum.

"Keine Ahnung. Bloß weg von dort."

Sie lächelte Mia an, auch wenn sie sich nicht so fühlte.

"Wer war das Mädchen?"

"Danni? Eine ... gute Freundin von Aiden. Eine Klassenkameradin."

"Sie ist hübsch.", meinte Mia nebenbei und wollte einem Schmetterling hinterher rennen, doch Katelyn hielt sie fest.

"Findest du?"

Mia nickte.

Katelyn schwieg und sie liefen stumm ein Stück weiter.

"Was hat Danni gemeint mit 'Nachdem wir schon S...'? Was hatten sie und Aiden?"

"Sardinen gegessen. Die beiden haben zusammen Sardinen gegessen und sich danach nicht die Zähne geputzt.", antwortete Katelyn schnell und Mia sah sie ungläubig an.

"Und das ist schlecht?"

"Oh ja."

Mia schüttelte zweifelnd den Kopf.

"Was soll daran schlecht sein?"

Katelyn lächelte.

"Der Mundgeruch. Es stinkt dann so eklig nach Fisch. Deshalb sollte man sich danach die Zähne putzen."

Sie stupste Mia auf die Nase und Mia lachte.

"Haben sie denn nicht gelernt, dass man sich immer die Zähne putzen muss?"

"Oh doch, aber manchmal vergessen junge Erwachsene so etwas. Das ist wirklich furchtbar. Werd' bloß nie erwachsen."

Mia lächelte Katelyn mit ihrem schönsten und strahlendsten Lächeln an.

"Versprochen."

Nichts wünschte Katelyn sich in diesem Moment mehr, als dass Mia wirklich für immer zehn blieb. So war die Welt viel schöner.


Es war bereits spät, als Katelyn Mia sanft zu deckte, ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte und sich leise aus ihrem Zimmer schlich. Aiden war den ganzen Nachmittag über nicht mehr aufgetaucht. Doch das hatte sie auch nicht erwartet. Nicht, nachdem Danni sich ihn gekrallt hatte.

Langsam und lautlos ging sie den Flur entlang, ganz in ihre Gedanken vertieft.

Sie dachte an Aiden und Danni, zusammen, und obwohl sie es nicht wollte, kam ihr Ben in den Sinn.

Ben, der sie geküsst hatte.

Ben, dessen Lippen so weich gewesen waren.

Ben, der so sanft gewesen war.

Ben, dessen Hände so groß und doch voller Gefühl gewesen waren.

Ben, der sie so zärtlich berührt hatte -

und sie dann fast zum Sex gezwungen hätte.

Sie schüttelte sich bei der Erinnerung und kam wieder in die Realität zurück.

So etwas hatte sie nie gewollt.

Sie hatte immer selbst entscheiden wollen, ganz egal, um was es ging. Niemand hatte sie je bevormunden dürfen, nicht einmal Aiden. Und schon gar nicht bei so etwas Entscheidendem.

Als sie plötzlich sanfte Klänge hörte, die eindeutig von einem wahnsinnig talentierten Klavierspieler stammen mussten, vergaß sie, woran sie gerade gedacht hatte, und folgte der Musik. Sie hatte diese Melodie schon lange nicht mehr gehört und sie wusste, von wem sie stammte.

Im Türrahmen zum großen Aufenthaltsraum, in dem ein wunderschöner, funkelnder schwarzer Flügel stand, blieb sie stehen und lehnte sich dagegen.

Wie sie erwartet hatte, war Aiden ganz in seine Musik versunken und bemerkte sie nicht einmal. Er liebte das Klavier spielen mehr als alles andere auf der Welt, und er war gut darin. Verdammt gut.

Es gab einige Pianisten an der 'Akademie', doch keiner von ihnen konnte sich mit Aiden messen. Und einige von ihnen hatten die höchste musikalische Ausbildung genossen, die das Land zu bieten hatte.

"Das ist wirklich sehr schön.", flüsterte sie irgendwann leise und Aiden öffnete lächelnd die Augen.

"Komm her."

Ohne seine Finger von den Tasten zu nehmen und sein Stück für einen Moment zu unterbrechen, nickte er Katelyn zu und wies auf den Platz neben sich. Leise schloss sie die Tür und setzte sich zu ihm.

"Wo ist Danni?", fragte sie leise und sah ihn nicht an.

"Muss für eine Prüfung lernen."

"Ohne dich?"

Aiden sah sie an und lächelte.

"Waffen des Nahkampfes sind nun wirklich nicht mein Ding."

"Nein, sind sie nicht. Jedenfalls nicht die, die wir in der Schule lernen zu benutzen. Aber dein Charme ist wirklich unglaublich. Wenn sie das bewerten würden, hättest du in der Prüfung besser abgeschnitten, als ich."

Aiden lachte leise, doch Katelyn hatte das nur halb im Scherz gemeint.

"So musste ich mich auf dich berufen und hab' sie trotzdem fast versemmelt."

Katelyn sagte nichts, sie lauschte einfach nur der Musik.

"Wie geht's Mia?", fragte Aiden nach einer Weile und Katelyn seufzte, zog ein Bein auf den Hocker und stützte ihr Kinn darauf ab.

"Sie glaubt, dass du und Danni zusammen Sardinen gegessen habt."

"Sardinen?", fragte Aiden belustigt.

"Hm- hm. Mir fiel auf die Schnelle nichts anderes mit S ein. Oh, und ihr habt vergessen, euch die Zähne zu putzen und deshalb furchtbaren Mundgeruch gehabt."

Aiden lachte.

"Das finde ich eine schöne Metapher. 'Sardinen essen, Mundgeruch haben und die Zähne nicht putzen.' Süß."

Katelyn sagte nichts. Sie wollte nicht über Sardinen und ungeputzte Zähne reden.

"Tut mir leid, dass ich dir nichts davon erzählt habe, Katie. Ich hatte keine Gelegenheit dazu.", flüsterte er leise und sah Katelyn an, seine Finger flogen noch immer über die Tasten.

"Schon okay, Aiden. Es geht mich ja auch gar nichts an.", erwiderte sie und lächelte ihn schwach an.

"Wirklich alles okay?"

Katelyn nickte.

"Ja. Alles in Ordnung. Nur... dir ist klar, dass in der Metapher das Zähne putzen für Schutz steht, oder?"

"Ja, das ist mir bewusst. Und bevor du fragen musst: Wir haben ... daran gedacht."

Aiden musste lächeln und Katelyn schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf.

"Haben ... du und Ben ... naja, auch ...?"

Er unterbrach sich und seufzte, dann setzte er neu an.

"Habt ihr miteinander geschlafen?", fragte er nach einer Weile sehr leise und Katelyn richtete sich auf. Diese Frage hatte Aiden schon seit dem Rückflug gequält.

"Nein. Haben wir nicht. Er wollte, aber ich..."

Katelyn zuckte mit den Schultern.

"... ich wollte nicht. Nicht mit ihm."

Überrascht sah Katelyn zu Aiden, als dieser sich verspielte.

"Wieso nicht?", fragte er und versuchte, wieder in seine Melodie zurück zu finden, doch er war nicht mehr ganz bei der Sache.

Katelyn starrte auf die Tasten und überlegte, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. Eigentlich wollte sie das nicht, aber es war Aiden. Sie hatte ihm bisher alles gesagt...

jedenfalls fast alles.

Sie seufzte und sah ihn an.

"Naja, er hat mich auf das Dach mitgenommen. Und die Aussicht von da oben war wirklich unglaublich."

Sie lächelte bei der Erinnerung an diesen unglaublichen Ausblick und die Schönheit des Abends.

"Dann hat er ein bisschen rumgeschleimt, dass er es schade finden würde, dass wir schon wieder fliegen würden und wir haben uns geküsst. Irgendwann ging es mir aber zu weit und ich habe ihn gebeten, aufzuhören, doch er tat es nicht. Naja, dann hab' ich es eben beendet."

Sie zuckte mit den Schultern und fuhr sanft mit den Fingern über die Tasten, ohne sie zu drücken.

"Was genau hat er gemacht?", wollte Aiden wissen, doch Katelyn schüttelte entschieden den Kopf und ihr Pferdeschwanz schwang hin und her.

"Geht dich nichts an, Aiden. Du erzählst mir auch nichts von dir und Danni und so soll es auch bleiben. Das ist eine Sache, die wir uns nicht erzählen sollten."

Aiden nickte langsam, doch es passte ihm nicht.

"Wie du meinst."

Er stand auf und ließ den Tastendeckel zufallen.

"Wir sollten uns noch überlegen, wie wir Mia trainieren wollen. Wir müssen Morgen schon anfangen."

Katelyn unterdrückte ein Seufzen und stand auf.

"Erstmal sollten wir sehen, wo ihre Fähigkeiten liegen. Dann wissen wir, was sie mehr und was sie weniger trainieren muss."

Aiden lehnte sich im dunklen Flur gegen die Wand und seufzte.

"Also testen wir sie erst einmal. Im Parcour?"

"Dachte ich.", meinte Katelyn mit einem sanften Nicken.

"Naja, von allen Möglichkeiten ist das wohl noch die menschlichste. Aber es wird trotzdem hart für sie."

Aiden sah Katelyn an.

Sie nickte.

"Ich weiß. Aber irgendetwas müssen wir tun und im Prinzip haben wir sie schon auf den Parcour vorbereitet. Außerdem hab' ich uns schon eingetragen. Morgen früh um sechs."

Aiden zog eine Augenbraue hoch.

"Ich hasse es, so etwas noch vor dem Frühstück zu machen. Das weißt du."

"Ja, weiß ich. Aber ich war ein bisschen sauer, als ich die Uhrzeit festgelegt hab. Und Mia meinte, sie hätte damit keine Probleme."

"Mit dem Parcour?"

"Mit dem früh aufstehen."

Aiden sah sie nachdenklich an, während sie weiter liefen und das Gebäude verließen.

"Wa-has?", meinte Katelyn, als sie es nicht länger aushielt und drehte sich zu ihm um.

"Mia ähnelt dir wirklich sehr, Katelyn. Es ist beinahe schon unheimlich."

Katelyn schaffte es, Aiden ein 'Das-bildest-du-dir-ein'- Lächeln zuzuwerfen.

"Nur weil wir beide an unsere Eltern glauben und früh aufstehen können? Aiden, das ist doch lächerlich.", meinte sie, drehte sich wieder um und lief weiter.

"Wenn du das sagst. Aber es ist so. Nicht so, dass man es auf den ersten Blick merkt, doch wenn man mehr Zeit mit euch beiden zusammen verbringt, fällt es auf. Ihr verhaltet euch sogar ähnlich."

Katelyn blieb abrupt stehen.

Aiden stand direkt hinter ihr.

Sie musste sich zusammen reißen, um ihre Atmung ruhig zu halten. Aiden stand so nah, dass sie seine Wärme am Rücken spüren konnte.

Seine Hände legte er sanft auf ihre Hüften, dann beugte er sich weiter vor, bis seine Lippen ihr rechtes Ohr beinahe berührten.

"Irgendetwas stimmt da nicht, Katie. Ich wusste es von dem Moment an, als du sie auf dem Arm gehalten hast. Du hättest sie um nichts auf der Welt wieder hergegeben. Du hattest diesen Ausdruck in den Augen. Und irgendwann, wenn du dazu bereit bist, wirst du mir sagen, was es ist. Und bis dahin werde ich warten."

Sanft drückte er seine Lippen auf ihr Haar und ließ sie wieder los.

Katelyn spürte, wie die Gänsehaut, die sich bei Aidens Berührung gebildet hatte, verstärkt wurde und rieb sich über die Arme.

"Ich sollte rein gehen. Mir ist kalt.", flüsterte sie und lächelte Aiden entschuldigend an.

"Und du auch. Du musst morgen früh aufstehen."

Aiden nickte und hielt ihr die Tür auf.

"Solltest du. Und ich auch. Dann sehen wir uns morgen früh wieder."

Er lächelte sie an und Katelyn nickte.

Sie hatten den Flur erreicht, auf dem Aidens Zimmer war, Katelyn musste noch zwei Stockwerke weiter hoch.

"Schlaf gut, Aiden. Bis morgen."

"Schlaf gut, Katie."

Dann drehte sie sich um und sprintete die letzen zwei Etagen nach oben.

Es war draußen dunkel und sie weigerte sich, das Licht einzuschalten, das nur die Insekten anziehen würde, dann könnte sie später das Fenster nicht öffnen.

Seufzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen und starrte in die Dunkelheit.

Aiden wusste, dass sie ihm etwas mit Mia verheimlichte.

Doch er hatte auch gesagt, dass er sie nicht danach fragen würde.

Dass er warten würde, bis sie bereit war, es ihm zu sagen.

Und darauf musste sie vertrauen.

Seufzend stand sie wieder auf, zog ihr Top und ihre Jogginghose, in denen sie schlief, an, öffnete das Fenster und legte sich wieder hin.

Langsam wurden die Tage immer wärmer, bald würde man den ganzen Tag ohne Pullover auskommen.

Obwohl sie versuchte, sich abzulenken, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu Aiden zurück.

Zu Aiden, der wusste, dass etwas nicht stimmte.

Zu Aiden, der sich auf Danni eingelassen hatte und ihr nichts gesagt hatte.

Zu Aiden, der ständig irgendetwas anstellte, das sie dann wieder gerade biegen durfte.

Und zu Aiden, der trotz allem immer für sie da gewesen war.

Und der Mia liebte, auch wenn er es nicht zugeben würde.

Sie dachte an Aiden, als sie einschlief, und träumte von Mia.


"Komm schon, Mia. Beeil dich. Nur noch ein paar Sekunden. Halte durch.", flüsterte Aiden neben ihr und Katelyn seufzte. Sie war heute Morgen völlig verwirrt aufgewacht und hatte sich seit dem noch nicht wieder völlig normalisiert.

Jetzt lehnte sie an einem der Bäume außerhalb des Parcours und beobachtete, wie Mia sich durch die verschiedenen Hindernisse quälte. Katelyn wusste, wie anstrengend und nervenaufreibend der Parcour sein konnte, zumal man ziemlich unter Druck gesetzt wurde, doch bisher schien es, als schlage sich Mia ganz gut.

Der Parcour bestand aus vier Hauptaufgaben und mehreren kleineren, die abhängig davon waren, welchen Weg die Kinder wählten. Genau genommen war der Parcour eine Mischung aus einem riesigen Labyrinth und einem Parcour, doch hauptsächlich ging es in diesem Parcour um die Aufgaben, und nicht um die Entscheidungsfähigkeit der Kinder. Auch wenn man die durch die vielen Abzweigungen ziemlich gut bestimmen konnte.

Die Aufgabe war es, einen Weg durch das Labyrinth zu finden und dabei nur die vier Hauptaufgaben zu erledigen.

Die Regeln waren:

Wenn ein Weg einmal eingeschlagen war, musste er auch gegangen werden, denn ein Zurück gab es nicht.

Aufgeben war keine Option.

Und alles andere war erlaubt.

"Ich weiß, ich sollte eigentlich aufmerksamer sein, aber wie weit ist sie?", fragte Katelyn und rieb sich die Augen.

"Sie hat schon drei der Hauptaufgaben und erst eine andere. Wenn sie es schafft, sich noch dreißig Sekunden lang über das Wasserbecken zu hangeln, um auf die andere Seite zu kommen, hat sie es geschafft."

"Sobald sie den Ausgang gefunden hat."

Aiden sah sie an, verschränkte die Arme und schnaubte.

"Du bist ja unglaublich optimistisch heute."

Katelyn seufzte, stieß sich vom Baumstamm ab und stellte sich neben ihn.

"Entschuldige. Ich ... ich bin nicht so ganz wach heute. Ich hab' nicht gut geschlafen."

"Wirklich? Wieso nicht?"

Aiden wandte seinen Blick von Mia ab und sah sie an. Auch wenn er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er sich Sorgen um sie machte, tat er es doch.

"Weiß nicht genau. Ich hab' geträumt.", murmelte sie leise und beobachtete Mia dabei, wie sie sich immer weiter kämpfte, obwohl sie schon fast am Ende ihrer Kräfte war.

"Du hast geträumt?", fragte Aiden verwundert und sah wieder zu Mia.

"Ich dachte, du träumst nicht."

"Dachte ich auch. Aber anscheinend habe ich mich geirrt."

Aiden lächelte.

"Und ich habe immer geglaubt, du würdest dich nie irren. Selbst nach 12 Jahren schaffst du es noch, mich zu überraschen."

Er lachte.

"Und das heute gleich zweimal."

Katelyn lächelte.

"Dreimal. Ich hab' auch von dir geträumt."

Aiden hielt überrascht die Luft an, doch sagen tat er nichts.

"Lass uns schon mal runter gehen. Sie hat es gleich geschafft."

Katelyn sah ihn an und lief los, Aiden folgte ihr. Mia hatte das Ziel fast erreicht und Aiden und Katelyn wollten sie dort wieder in Empfang nehmen und sofort wieder aufmuntern. Denn sie wussten, wie unglaublich unzumutbar der Parcour für Kinder in diesem Alter wirklich war.

"Was machen wir den Rest des Tages?", fragte Katelyn, während sie den kleinen Hang zum Ziel hinunter liefen und drehte sich zu Aiden um. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihnen ein Schatten folgte, doch als sie sich weiter drehte, um zu sehen, was das für ein Schatten war, war da niemand mehr.

Aufmerksam sah sie sich um, doch ihr fiel nichts mehr auf. Wer auch immer ihnen gefolgt war, war entweder weg oder verdammt gut. Und Katelyn war sich ziemlich sicher, dass es eher das zweite war.

"Naja, wir sollten uns mal zusammen hinsetzen und uns genau überlegen, wie wir sie trainieren wollen, jetzt, da wir ihre Testergebnisse haben.", antwortete Aiden und Katelyn drehte sich wieder zu ihm um.

"Ja... sollten wir... Vorrausgesetzt, dass Danni dich nicht wieder beschlagnahmt..."

Aiden blieb abrupt stehen und Katelyn rannte fast in ihn rein.

"Was?"

"Zwischen Danni und mir ist nichts, was ihr das Recht geben würde, mich zu beschlagnahmen, wenn du mich brauchst. Oder ich Mia trainiere."

"Das hab' ich doch auch nie bezweifelt, Aiden. Nur... war das gestern echt ...plötzlich und merkwürdig und schien irgendwie... als wäre mehr zwischen euch. Und sie steht da und wartete darauf, dass du sie mal bemerkst."

Aiden drehte sich überrascht um und sah, dass Danni neben dem Ziel stand und auf ihn wartete.

Er sah Katelyn schuldbewusst an.

"Könntest du...? Ich muss, glaube ich, mit Danni reden."

Katelyn seufzte und sah in den Auslauf des Parcours, in dem Mia gerade auftauchte und angerannt kam.

"Klar. Geh nur. Wenn du es schaffst, kannst du ja noch nachkommen."

Katelyn lächelte ihn schwach an.

"Mia will bestimmt auch von dir hören, wie großartig sie das gemacht hat."

Aiden sah sie an und musterte sie.

"Klar. Ich beeil mich.", meinte er dann nur und ging.

Katelyn drehte sich wieder zum Parcour und sah Mia entgegen.

Mia sah vollkommen erschöpft aus, ihre Hose war an den Knien durchgescheuert, ihr T-Shirt war voller Schmutz und ihre Haare sahen aus, als hätte sie sich durch einen kompletten Urwald gekämpft. Und selbst auf die Entfernung konnte sie sehen, dass Mia Kratzer im Gesicht hatte.

Doch ansonsten sah sie unversehrt aus. Und in ihren Augen funkelte der Kampfgeist. Und obwohl Katelyn versuchte, es zu ignorieren, spürte sie, wie sie stolz auf ihre Schwester war.

Kaum hatte Mia die Ziellinie überquert, ließ sie sich ins Gras fallen und blieb keuchend auf Knien und Hände gestützt sitzen.

Katelyn trat zu ihr, kniete sich neben sie und strich ihr kurz über den Rücken.

"Das war großartig, Mia. Ruh dich ein bisschen aus und komm wieder zu Atem, ich hole deine Ergebnisse und dann gehen wir frühstücken.", flüsterte sie ihr ins Ohr, stand wieder auf und ging zum Stand, an dem die Ergebnisse ausgeteilt wurden.

"Wo ist Aiden?", fragte Mia, als sie langsam neben Katelyn herlief und hing beinahe an Katelyns Arm.

"Er muss noch etwas erledigen, aber er kommt nach, so schnell er kann.", erklärte Katelyn und richtete Mia ein wenig auf.

"Mach dich nicht so schwer. So viel kannst du gar nicht wiegen."

Sie lächelte Mia an und Mia sah zu ihr auf. Die Kratzer im Gesicht hatten aufgehört, zu bluten, doch Katelyn musste sie noch säubern.

"Macht Aiden heute wieder den ganzen Tag etwas mit Danni statt mit uns?"

Katelyn sah sie an und sah, dass Mia sie mit traurigen Augen ansah.

"Wie kommst du denn darauf?", wollte sie wissen und lief langsamer.

Mia sah auf den Boden und sprach so leise, dass Katelyn sich konzentrieren musste, um alles zu verstehen.

"Er ist mit ihr mitgegangen. Und gestern ist er auch nicht mehr aufgetaucht."

Mia klang so traurig, dass Katelyn seufzend stehen blieb, sich zu ihr runter beugte und sie ansah.

"Dass er heute mit Danni weggegangen ist, war nicht geplant, Mia. Er wäre viel lieber geblieben, aber er musste mit ihr reden. Aber er hat versprochen, zu kommen, sobald er kann."

Sie hob sanft Mias Kinn an und sah ihr in die Augen.

"Er kommt noch. Versprochen. Und bis dahin gehen wir als allererstes deine Kratzer versorgen und dann frühstücken. Einverstanden?"

Mia nickte langsam und lächelte dann.

"Auf deiner Schulter sitzt ein Schmetterling."

Katelyn hielt still und Mia streckte die Hand aus, um den Schmetterling zu nehmen, doch er flog davon. Zusammen sahen sie ihm nach und Katelyn zog Mia an sich. Mia schlang ihre Arme um Katelyns Bauch und legte ihren Kopf an ihre Brust.

"Ich hab' dich lieb, Kate.", flüsterte sie leise und Katelyn spürte, wie sie sich besser fühlte.

"Ich dich auch, Mia. Ich dich auch."

Sie drückte sie sanft an sich, ließ sie dann aber wieder los.

"Komm, wir gehen. Wenn wir nicht bald deine Kratzer säubern, könnten sie sich noch entzünden. Es gibt einige gemeine Pflanzen im Parcour."

Sie reichte Mia die Hand und atmete tief durch.

"Okay. Was gibt es eigentlich zum Frühstück? Ich hätte jetzt gerne Pfannkuchen und Sirup. Das wäre jetzt toll.", meinte Mia und sah verträumt in den Himmel.

"Ich denke, das lässt sich machen."

Katelyn lächelte sie an und Mia strahlte zufrieden.

"Aber zuerst gehen wir in mein Zimmer. Da hab' ich noch Verbandszeug und Desinfektionsmittel."

"Darf ich denn überhaupt in dein Zimmer?", fragte Mia und sah sie mit großen Augen an.

"Jetzt schon. Denn auf der Krankenstation dauert es zu lange, bis du dran kommen würdest."

"Gibt es hier denn so viele verletzte Schüler?", fragte Mia, als sie auf Katelyns Wohnhaus zugingen und sah zu Katelyn auf.

"Was glaubst du denn? Hier wird den ganzen Tag wie verrückt trainiert und natürlich verletzen sich dabei auch andauernd Schüler."

"Ist das Training denn so gefährlich?"

"Nicht, wenn du richtig trainierst. Meistens auch eher die größeren Schüler, weil sie übermütig werden. Und keine Sorge. Aiden weiß, wie er dich trainieren muss, damit du fit wirst, ohne dich zu verletzen."

Sie waren vor Katelyns Zimmer angekommen und Katelyn gab den Code ein. Sie stieß die Tür auf und wollte schon eintreten, als ihr auffiel, dass der Vorhang nicht mehr genau so vor dem Fenster hing, wie er gehangen hatte, als sie das Zimmer verlassen hatte.

"Bleib hier stehen, Mia. Ich muss kurz was schauen.", murmelte sie und schlich in ihr Zimmer. Vorsichtig sah sie in jede erdenkliche Ecke und in jeden Winkel, in dem sich jemand hätte verstecken können, doch niemand war da. Oder vielmehr nicht mehr da.

"Kate? Was ist los?"

Mia lugte vorsichtig in ihr Zimmer und Katelyn winkte sie rein.

"Gar nichts, alles okay. Komm, setz dich aufs Bett, ich hol schnell das Desinfektionsmittel."

Sie lächelte Mia an und Mia gehorchte.

"Du hast ein schönes Zimmer. Aber es ist so... unpersönlich."

Mia hatte es nicht als Vorwurf gemeint, das konnte sie gar nicht, doch fand sie es traurig, dass das Zimmer so neutral gehalten war.

"Ich weiß. Aber ich habe keine Bilder von meiner Familie, die ich aufstellen könnte. Und selbst wenn ich welche hätte, wäre es untersagt, sie aufzustellen.", meinte Katelyn aus dem Bad und holte das Wunden- Desinfektionsmittel aus dem Schrank. Es half bei jeder Wunde und reinigte sie perfekt, ohne den Heilungsprozess zu behindern. Zudem entfernte es beinahe alle Pflanzengifte.

"So, ich hab' alles. Dann wollen wir doch jetzt mal zusehen, dass wir deine Kratzer sauber bekommen."

Katelyn setzte sich neben Mia aus das Bett, sprühte etwas von dem Desinfektionsmittel auf ein Tuch und begann, sanft über die Kratzer in Mias Gesicht zu tupfen.

Mia zuckte leicht zurück.

"Au."

"Entschuldige. Aber es muss sein. Und es hilft."

Sie lächelte Mia an und Mia biss die Zähne zusammen.

"Warum darf man hier keine Bilder aufstellen?"

"Hast du denn Bilder von deiner Familie?"

"Nein. Ich habe gar nichts mehr von zu Hause.", flüsterte sie leise und sah zu Boden.

"Das hat keiner, Mia. Es werden alle geholt, wenn sie nicht bei sich zu Hause sind, damit niemand etwas von zu Hause mitnehmen kann. Sie wollen nicht, dass man Andenken an zu Hause hat. Man soll seine Familie vergessen und sich ganz auf die Ausbildung konzentrieren. Und später auf die Aufträge."

Katelyn sprach leise. Es mussten nicht alle hören, was sie sagte. Und es tat weh, es sich einzugestehen.

„Aber du hast Glück. Du wurdest erst mit zehn geholt. Einige wenige hier wurden schon mit fünf geholt. Für die ist es noch schwerer, sich zu erinnern.“

"Warst du eine von ihnen, die mit fünf geholt wurden? Hast du deine Familie auch vergessen?", fragte Mia leise und sah sie an.

"Ja, wurde ich. Und bis vor kurzem, ja. Und dann habe ich erfahren, dass meine Familie in der Zeit, die ich jetzt schon hier bin, gewachsen ist."

"Wie das?", fragte Mia.

"Katie?", kam es von der Tür und Aiden trat ein.

"Hier seid ihr. Ich habe euch schon gesucht."

"Aiden!", rief Mia glücklich, sprang vom Bett und stürmte auf Aiden zu, der sie in die Arme schloss.

"Hey, Süße. Wie geht es dir? Alles okay?"

Aiden ließ sie wieder los und Mia nickte.

"Ja. Kate hat meine Kratzer versorgt und jetzt wollen wir frühstücken. Kate hat gesagt, dass es Pfannkuchen mit Sirup gibt."

"Kate?"

Aiden lächelte und sah sie an.

"Hey, du nennst mich Katie und sie Kate. Es sind beides nur Namen. Und ich mag sie beide."

Katelyn stand auf und räumte das Desinfektionsmittel weg.

"Kommt schon. Lasst uns frühstücken gehen. Es ist spät und Mia hat den ganzen Morgen noch nichts gegessen."

Mia griff nach Katelyns Hand und strahlte sie an.


"Ich hab' eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir nicht in der Kantine essen, sondern draußen?", fragte Aiden Katelyn leise und sah zu, wie Mia neugierig alles beobachtete.

"Dazu bräuchten wir einen Platz, der unsichtbar ist für die Kameras.", flüsterte sie zurück.

"Und natürlich was zu essen."

Aiden lächelte sie an.

"Lass das mal meine Sorge sein. Du gehst zu Mia und passt auf, dass niemand sieht, wie frei sie sich bewegen kann und ich hole das Essen."

Katelyn nickte.

"Klar. Wie du meinst. Ich will sehen, wie du Pfannkuchen und Sirup aus der Kantine schmuggelst."

Sie lächelte ihn an und drehte sich zu Mia um, als Aiden sie am Arm packte und sie noch einmal zurück zog.

"Du hast heute Nacht wirklich von mir geträumt?", fragte er leise und klang ein wenig ungläubig.

"Ja. Unter anderem. Wieso?"

Katelyn sah ihn an, doch Aiden schüttelte nur den Kopf.

"Nur so."

Dann drehte er sich um und lief los. Katelyn sah ihm einen Moment lang nach und fragte sich, was Aiden so daran faszinierte, bevor sie sich wieder zu Mia umdrehte und zu ihr ging.

"Wo ist Aiden hin?"

"Das Frühstück holen. Es ist so ein schöner Tag, dass er draußen frühstücken will."

Mia sah sie mit großen Augen an.

"Darf man das denn überhaupt?"

"Nein, eigentlich nicht. Aber Aiden hat einen Plan."

Sie strich Mia eine Locke, die ihr ins Gesicht gefallen war, aus der Stirn.

Sie glich wirklich ihrer Mutter.

"Du kanntest meine Mama?", fragte Mia und sah sie überrascht an.

Katelyn biss sich auf die Lippe, sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie es laut ausgesprochen hatte. Sie richtete sich auf und wandte sich von Mia ab.

"Ja, ein wenig. Ich hab' in der selben Straße gewohnt wie sie. Lange, bevor du geboren wurdest."

Mia lief um sie herum, damit sie sie wieder ansehen konnte.

"Hast du meinen Dad auch gekannt?", fragte Mia hoffnungsvoll und sah sie erwartungsvoll an.

"Ja. Hab' ich. Er war mein Nachbar. Er hat früher immer auf mich aufgepasst, wenn meine Mum arbeiten war.", flüsterte sie leise und unterdrückte den Schmerz und die Tränen.

Sie konnte immer noch nicht damit umgehen, dass sie einen Menschen getötet hatte. Und schon gar nicht damit, dass es Malik gewesen war. Sie wusste, dass dieser Schmerz nie wieder vergehen würde, und doch wünschte sie sich, dass er zumindest nicht mehr ganz so heftig wäre. Sie verlangte gar nicht, dass er ganz aufhörte, doch er sollte wenigstens so schwach werden, dass es sie nicht mehr jedes Mal völlig aus der Bahn warf, wenn das Gespräch sich diesem Thema näherte.

Sie sah Mia an und versuchte ein Lächeln.

"Das darfst du aber niemandem erzählen, Mia, okay? Nicht einmal Aiden. Niemand darf wissen, dass ich mich wieder daran erinnern kann."

Mia nickte, auch wenn sie es nicht verstand.

Natürlich verstand sie es nicht, wie auch, wenn sie noch keine 24 Stunden hier war?

Noch hatte ihr niemand erklärt, was man hier durfte und was nicht.

Noch wusste sie nur, dass Aiden und Katelyn für sie da waren.

Doch schon in wenigen Stunden begann der Unterricht und Mia würde erfahren, wie das Leben in der 'Akademie' wirklich war.

"Hey, ich bin wieder da. Habt ihr Hunger?"

Aiden stand wieder neben Katelyn und lächelte Mia an, in seiner Hand eine Sporttasche.

"Wo ist das Essen?", fragte Mia und sah ihn an.

Er klopfte auf die Sporttasche und lächelte.

"Hier drin. Aber das bekommst du erst, wenn wir da sind."

"Wo da?", fragte Mia und beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten.

Katelyn folgte ihnen langsamer. Sie dachte darüber nach, was sie tun sollte oder konnte.

Sie wollte Aiden gerne die Wahrheit sagen, doch dann wäre er noch mehr in Gefahr, als er es ohnehin schon war, denn Katelyn wurde das Gefühl nicht los, dass die 'Akademie' noch lange nicht mit ihm fertig war. Hätte sie recht und würde ihm erzählen, dass Mia ihre Schwester war, gäbe es für ihn keine Chance mehr, sollte das eines Tages noch jemand anderem auffallen.

Mia konnte sie nicht in Unwissenheit lassen. Früher oder später musste sie es ihr sagen, um zu verhindern, dass sie genau so abstumpfte, wie Katelyn vor so vielen Jahren. Katelyn hatte seit fast vier Jahren nicht mehr an ihre Mutter gedacht und hatte schon vergessen, wie sie ausgesehen hatte, als sie Mia plötzlich in die Augen gesehen hatte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Mia eines Tages noch eine kleine Schwester finden würde, die sie rettete, war sehr gering, wenn man bedachte, dass Malik tot war und ihre Mutter schon ein gewisses Alter erreicht hatte.

"Nicht weit von hier. Es ist mein absoluter Lieblingsplatz."

Aiden lächelte Mia an und drehte sich zu Katelyn um, um sich zu vergewissern, dass sie ihnen folgte. Seine Augen verdunkelten sich kurz, als er ihren nachdenklichen Blick sah, doch er sagte nichts.

Katelyn atmete tief ein, schob ihre Sorgen mit aller Kraft zur Seite und nahm sich vor, die Zeit mit Mia und Aiden zu genießen. Zeit zum Nachdenken hatte sie auch noch, wenn Mia im Unterricht war.

"So, da wären wir."

Aiden stellte die Tasche ab und Mia setzte sich sofort daneben ins Gras und öffnete sie. Katelyn sah sich um und stellte fest, dass Aiden recht gehabt hatte. Der Platz war schön und er war für sämtliche Kameras uneinsehbar. Sie waren so weit hinten auf dem Gelände, dass dort keine Kameras mehr angebracht waren, aber noch nicht so weit hinten, dass wieder welche angebracht waren, um mögliche Fluchtversuche frühzeitig zu entdecken und unterbinden zu können. Aiden hatte sich die schönste Stelle der sogenannten Grauzone ausgesucht, um zu frühstücken.

"Es ist wirklich schön hier.", meinte Katelyn und setzte sich ebenfalls.

"Hast du schon mal Pfannkuchen gegessen, Kate?", fragte Mia und leerte fast die halbe Flasche Sirup auf ihren.

"Natürlich hab' ich schon mal einen Pfannkuchen gegessen. Aber das ist schon sehr lange her, Mia."

"Wieso?"

"Weil es hier eigentlich keine Pfannkuchen zum Frühstück gibt."

Mia fiel beinahe der klebrige Pfannkuchen aus der Hand.

"Es gibt hier keine Pfannkuchen zum Frühstück?!"

Aiden schüttelte traurig den Kopf.

"Leider nicht. Hier wird sehr darauf geachtet, dass sich alle gesund ernähren, Mia. Und Pfannkuchen sind nicht gesund."

"Aber sie sind lecker!", widersprach Mia entrüstet.

"Aber viel zu süß und fettig, um als gesund durchzugehen. Tut mir leid, Süße."

Aiden sah sie entschuldigend an und schob ihr seinen Pfannkuchen zu. Mia lächelte dankbar und schob ihn auf ihren Teller. Dann aß sie erst ihren, dann Aidens und schließlich noch Katelyns Pfannkuchen auf.

"Jetzt müssen wir sie bestimmt zum Unterricht kugeln.", scherzte Aiden, als sie alles wieder zusammen packten und lächelte Mia an.

"Ich kann selber laufen. Ich bin schon groß.", erwiderte Mia und stand auf.

"Gut, Aiden hätte dich nämlich gar nicht kugeln können. Er muss die Tasche wieder nehmen und die Sachen zurück bringen."

Katelyn reichte Aiden die Tasche.

"Och maaaan.", beschwerte sich Aiden spielerisch und Mia kicherte, Katelyn schüttelte nur den Kopf.

"Beeil dich. Wir müssen auch mal wieder trainieren.", erinnerte sie ihn und Aiden seufzte ergeben.

"Ist ja gut. In zwanzig Minuten in der Halle?"

"Wenn du solange brauchst.", meinte Katelyn und griff nach Mias Hand.

"Ich bestimmt nicht.", murmelte Aiden und Katelyn lächelte.

"Schön, dann sehen wir uns ja gleich."

Aiden drehte sich mehr zu Mia und lächelte sie an.

"Bis später, Kleine. Wir sehen uns nach der Schule wieder."

Mia nickte tapfer, auch wenn ihr etwas mulmig zumute war.

"Versprochen?"

"Felsenfest."

Aiden drückte ihre Hand, richtete sich wieder auf und sah Katelyn an.

"Bis gleich in der Halle."

Katelyn nickte.

"Vergiss es nicht. Und lass dich nicht ablenken."

Aiden grinste.

"Bestimmt nicht."

Dann drehte er sich um und ging Richtung Kantine, während Katelyn mit Mia in die andere Richtung, zur Schule, lief.





































Kapitel 11 : Sommerregen und Gewitterlärm



Als Katelyn in die Trainingshalle kam, sah sie sich um und erwartete, Aiden irgendwo zu sehen, doch er war noch nicht da. Seufzend öffnete sie ihre Haare, schüttelte sie kurz auf und band sie dann wieder zusammen.

"Hey, Katelyn."

Katelyn drehte sich um und sah Dannis Partner Marco die Halle betreten.

"Hey, Marco. Wolltest du auch trainieren?"

Marco lächelte.

"Ja. Allerdings nur, wenn Danni auch mal auftaucht."

"Sie versetzt dich?", fragte Katelyn überrascht und sah ihn an.

"Naja, nicht oft. Aber gestern ist sie den ganzen Nachmittag nicht aufgetaucht. Und als ich sie danach gefragt hab', hat sie mir nicht geantwortet."

"Oh...", murmelte Katelyn und sah weg.

"Ich schätze mal, sie hat es dir nicht erzählt."

"Was hat Danni mir nicht erzählt?", fragte Marco und sah sie an.

"Dass sie sich auf Aiden eingelassen hat? Wenigstens ... hin und wieder."

Marco lachte laut auf.

"Nein, das hat sie mir nicht erzählt. Aber das erklärt so einiges."

Er lachte leise vor sich hin.

"Du wartest also darauf, dass Aiden auftaucht?"

"Jap."

Katelyn lehnte sich gegen die Wand und seufzte. Dann sah sie Marco an.

"Du meinst, dass Danni und Aiden sich gerade treffen?", fragte sie ihn dann und wartete auf eine Antwort.

"Ich hoffe doch. Wenn sie mich versetz, weil sie keine Lust hat, werde ich wütend."

Er lächelte und Katelyn versuchte, nicht direkt auszurasten.

"Das ist jetzt nicht gut."

Marco sah sie fragend an.

"Wieso nicht?"

"Weil Aiden mir heute Morgen gesagt hat, dass er mit Danni redet, was die Sache zwischen ihnen betrifft. Er hat mich nämlich gestern den ganzen Nachmittag mit Mia allein gelassen. Und das wollte er nicht mehr."

"Oh...", meinte jetzt Marco und sah sie an.

"Ich schätze, dann war Aiden nicht ganz ehrlich zu dir."

"Fürchte ich auch."

Katelyn atmete tief durch und lockerte ihre Fäuste wieder, die sie vor Wut unbewusst geballt hatte.

"Nein, Katelyn, ich schätze, dass er dir das da verheimlichen wollte.", meinte Marco erneut und deutete auf die gläserne Eingangstür.

Katelyn folgte seinem Blick und sah, wie Aiden mit Danni Hand in Hand auf die Trainingshalle zu kam. Ihre blonden Haare strahlten im Sonnenlicht wie Gold und ihr Lachen klang glockenhell, doch Katelyn fielen die dunklen Gewitterwolken weiter hinten auf.

"Das wäre aber dumm, wenn er das wollte. Dann müsste er sich wesentlich mehr Mühe geben.", fauchte sie und stürmte zur Nebentür, kurz bevor Danni und Aiden durch den Haupteingang kamen.

"Katelyn, jetzt warte doch! Er wird's dir bestimmt erklären!", rief Marco, doch sie hörte nicht auf ihn.

Tatsache war, dass sie keine Erklärung wollte.

Sie wusste nicht, warum sie so überreagierte, denn sie wusste, dass sie überreagierte, doch sie wollte sich keine Mühe geben, das zu verbergen.

Sie hatte keine Lust mehr, Geheimnisse vor Aiden zu haben, Mia nicht die Wahrheit sagen zu können und sie hatte keine Lust mehr, sich mit den Schuldgefühlen herum schlagen zu müssen.

Und sie konnte nicht glauben, dass Aiden sie heute Morgen belogen hatte.

Aiden hatte sie noch nie belogen.

Sie hatte sich bisher immer darauf verlassen können, dass Aiden ehrlich zu ihr war.

Und jetzt ...

Der Himmel über Katelyn verdunkelte sich immer mehr, doch es war ihr egal.

Im Moment war ihr alles egal.

Sie wusste gar nichts mehr.

Sie verstand nichts mehr.

Ein paar Regentropfen fielen vor Katelyn auf den Boden. Es begann zu regnen, als Katelyn über die Wiese rannte.

"Katie! Jetzt warte doch! Katelyn!"

Sie hörte Aiden, doch sie ignorierte ihn. Sie konnte jetzt nicht stehen bleiben.

Wenn sie jetzt stehen bleiben würde, würde sie erfahren, ob die Nässe in ihrem Gesicht Regentropfen waren oder nicht.

"Herr Gott nochmal, Katie! BLEIB STEHEN!"

Katelyn biss sich auf die Lippe und rannte weiter. Sie konnte jetzt nicht stehen bleiben. Auch wenn sie bereits klatschnass war.

Wenn sie jetzt stehen bleiben würde, würde Aiden sie einholen.

Er würde sie festhalten, damit sie nicht wieder weg rannte.

Er würde sie zu sich umdrehen und ihre Tränen sehen.

Und dann würde er sie an sich ziehen und trösten, wie er es immer getan hatte.

Und dann würde sie vollkommen ausrasten.

"Katie."

Aiden packte sie am Handgelenk und wurde langsamer, also musste Katelyn auch langsamer werden.

"Katie, komm schon. Sieh' mich an. Bitte."

Aiden klang so sanft, dass Katelyn sich auf die Lippe beißen musste, um sich nicht umzudrehen.

"Lass mich los, Aiden. Ich mein's ernst. Lass mich sofort los.", flüsterte sie und spürte, wie Aiden zögerte.

Doch dann seufzte er und sein Griff lockerte sich, er vertraute darauf, dass sie stehen blieb. Aber sie drehte sich nicht zu ihm um.

"Du hast mich angelogen, Aiden.", flüsterte sie leise und konnte hören, wie er seufzte.

"Nicht direkt, und das weißt du.", erwiderte er leise und Katelyn wirbelte aufgebracht zu ihm herum.

"Du hast mir nicht die Wahrheit gesagt, und das weißt du auch!", schrie sie ihn an und Aiden seufzte traurig.

"Katie..."

Er wollte nach ihrer Hand greifen, doch Katelyn zog sie weg.

"Nein! Fass mich nicht an! Du hast deine Worte extra so gewählt, dass ich glaubte, du würdest es beenden, ohne die wahre Bedeutung zu erkennen! Du hast mir etwas vorgemacht, obwohl ich deine Partnerin bin, Aiden!"

"Du mir doch auch!", erwiderte Aiden laut und Katelyn sah zum ersten Mal auf.

Die Regentropfen liefen ihm über das Gesicht und tropften aus seinen dunklen Haaren.

Sein T-Shirt war klitschnass und klebte auf seiner Haut, was seine Muskeln nur noch mehr betonte.

"Du weißt irgendetwas über Mia und erzählst es mir nicht! Und ich weiß, dass es etwas mit dir und dem Mann, den du erschossen hast, zu tun hat! Ich weiß es, Katie. Aber du sagst es mir nicht. Und ich bin auch dein Partner.", zischte er und wandte sich wütend ab.

"Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun und das weißt du auch! Ich würde dir die Wahrheit sagen, wenn ich könnte, aber ich kann nicht, Aiden. Wenn ich es dir sagen würde, würden sie dich sofort töten!"

"Was meinst du damit schon wieder?", knurrte Aiden und sah sie an.

Katelyn funkelte ihn wütend an.

"Wenn du etwas aufmerksamer gewesen wärst und nicht so von Danni abgelenkt, hättest du vielleicht auch mal den Schatten bemerkt, der uns seit gestern folgt. Und heute Morgen, während wir mit Mia beim Parcour waren, war irgendjemand in meinem Zimmer und hat dort irgendetwas gesucht."

"Wer war in deinem Zimmer?", fragte Aiden und sah sie mit angespanntem Kiefer an.

Katelyn schnaubte und sah ihn verächtlich an.

"Sagte ich gerade. Ich weiß es nicht. Was bedeutet, dass es kein gewöhnlicher Agent wie Ziza oder Ace gewesen sein kann. Und was bedeutet, dass du doch noch nicht aus dem Schneider bist. Dass wir noch nicht aus dem Schneider sind."

Katelyn trat näher zu Aiden, so nah, dass sie direkt vor ihm stand, und stellte sich auf die Zehenspitzen, um an sein Ohr zu reichen.

"Eigentlich sollten wir uns jetzt so sehr vertrauen und zusammen halten, wie noch nie zuvor. Wir sollten uns gegenseitig beschützen, Aiden. Aber stattdessen lässt du dich von Danni ablenken und bemerkst nicht einmal, in welcher Gefahr wir schweben.", flüsterte sie leise, sah ihm in die Augen und ließ sich zurück auf die Fußballen sinken.

"Du vertraust mir nicht mehr?", flüsterte Aiden leise und mit vor Ungläubigkeit gebrochener Stimme.

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Es steht zu viel auf dem Spiel, dass ich verlieren könnte, als dass ich dir und Danni trauen könnte, Aiden. Du scheinst alles zu vergessen, wenn du ... dich mit Danni triffst. Als wären Mia und ich unwichtig. Also muss ich alles alleine machen. Ich muss alles doppelt machen.", flüsterte sie und spürte, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten.

Es regnete noch immer wie aus Eimern und Katelyns Haare hingen ihr wie ein nasser Lappen über die rechte Schulter. Sie stand vor Aiden und wartete darauf, dass er irgendwie reagierte, doch er sah sie nur an.

"Wie auch immer. Ich geh' mich dann mal abtrocknen. Wenn du nichts mit Danni vor hast, kannst du ja Mia abholen. Du hast es ihr versprochen und sie freut sich schon den ganzen Tag auf dich.", flüsterte Katelyn enttäuscht und drehte sich weg.

Sie wollte gerade gehen, als Aiden sie am Arm packte.

"Ich bin nicht wegen Danni so abgelenkt.", meinte er und sah sie an.

Sein Blick voller Panik und Angst.

"Und du und Mia seid alles andere als unwichtig. Ihr seid das wichtigste für mich, Katie. Das allerwichtigste. Ich will keine von euch verlieren. Und du kannst mir vertrauen, das weißt du."

Er drehte sie wieder zu sich um und zog sie an sich, in seine Arme. Als er seine Hand hob und sie sanft an ihre Wange legte, konnte sie sehen, wie sehr seine Hand zitterte.

"Das hast du schon immer. Du weißt es."

Seine Finger fuhren langsam unter ihr Kinn und Katelyn spürte, wie ihr Herz immer schneller zu klopfen begann, je höher Aiden ihr Kinn sanft hob.

"Du kannst mir vertrauen, Katie.", flüsterte er leise und seine Lippen näherten sich langsam immer mehr ihren.

Katelyn spürte Aidens Hände auf ihrem Rücken und spürte die Wärme, die seine Hände dort hinterließen.

Sie spürte, wie sehr ihr Herz klopfte und sie sah, wie voll Aidens Lippen waren.

Und alles, was sie in diesem Moment wollte, war, seine Lippen auf ihren zu spüren.

Aidens Lippen, die vom Regen ganz nass waren, waren nur noch wenige Zentimeter von ihren entfernt. Wenn sie sich ein wenig strecken würde....


"Aiden! Katelyn! Alles okay bei euch? Es regnet wie bekloppt!"

Katelyn wich erschrocken zurück, als sie Danni durch den Regen rufen hörte und die Röte schoss ihr in die Wangen. Aiden nahm seine Hand von ihrer Wange und ließ sie los und Katelyn fühlte sich, als wäre sie aus einer wohligen Wärme in einen Kübel voller Eiswasser geschubst worden. Zitternd schlang sie ihre Arme um sich und wurde sich auf einmal darüber bewusst, wie nass sie war.

"Ehrlich, ihr zwei seid wohl die einzigen, die sich im Regen streiten müssen. Habt ihr euch mal überlegt, dazu vielleicht in einen trockenen, warmen Raum zu gehen? Das würde vieles einfacher machen."

Danni hatte sie erreicht und hakte sich lächelnd bei Aiden ein.

Katelyn biss die Zähne zusammen und Aiden sah sie flehend an. Doch ob er sie um Verzeihung oder Verständnis anflehte, wusste sie nicht.

"Ich sollte mal gehen. Die Schule ist gleich fertig und Mia muss abgeholt werden. Und ein wenig abtrocknen sollte ich mich vorher vielleicht auch noch."

Katelyn wischte sich mit dem nassen Ärmel über das Gesicht und wollte an ihnen vorbei gehen, doch Aiden hielt sie fest und sie sah auf.

"Lass mich Mia abholen. Ich kümmer' mich heute Nachmittag um sie. Geh du dich aufwärmen. Nimm ein Bad. Du hast dich gestern den ganzen Tag um sie gekümmert."

Er lächelte sie an.

"Heute bin ich dran."

Katelyn nickte.

"Okay.", meinte sie hohl.

Aiden ließ sie wieder los und Katelyn machte sich auf den Weg in ihr Zimmer.

Dort angekommen zog sie ihre nassen Sachen aus, hängte sie über den beheizten Handtuchhalter in ihrem kleinen Bad, zog ihren Bademantel an und ließ heißes Wasser in die Badewanne laufen.

Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, wirklich zu baden, doch war ihr so kalt, dass sie sich erst wieder aufwärmen musste.

Während sie wartete, dass die Wanne voll war, stand sie im weißen Bademantel in ihrem Zimmer und betrachtete es durch Mias Augen.

Mia hatte absolut recht gehabt, es war unpersönlich.

Es war nicht nur unpersönlich, es war gerade zu neutral.

Als ob niemand wirklich darin wohnen würde.

Dabei hatte Katelyn dieses Zimmer schon seit fast 10 Jahren.

Das Bett war absolut ordentlich und faltenfrei, Katelyns Klamotten im Schrank waren perfekt zusammen gelegt und nichts im Zimmer war fehl am Platz.

In diesem Zimmer hätte jeder x-beliebige wohnen können, es hätte keinen Unterschied gemacht.

Seufzend ging Katelyn zurück ins Bad, ließ die Tür offen, zog den Bademantel aus und stieg in die Badewanne.

Das heiße Wasser brannte auf ihrer kalten Haut, doch wusste Katelyn, dass nach dem Schmerz die Wärme kam.

Draußen zuckte ein Blitz über den Himmel und weit in der Ferne folgte ein Donnergrollen.

Katelyn lehnte sich zurück und schob gedankenverloren den Schaum hin und her.

Sie wusste nicht, was sie von den Ereignissen der letzten knappen Stunde halten sollte.

Aiden hatte sie belogen und dann beinahe geküsst.

Er hatte sie beinahe geküsst.

Doch dann war Danni wieder einmal aufgetaucht und es war bei diesem beinahe geblieben.

Katelyn jammerte leise und rutschte tiefer in die Badewanne.

Sie hatte sich so sehr gewünscht, dass Aiden sie küssen würde.

Sie hatte unbedingt seine Lippen auf ihren spüren wollen.

Und seine Hände...

Augenblicklich stellte sie sich vor, wie Aiden sie so berührte, wie Ben es zum Teil getan hatte und zum Teil gewollt hatte.

Erstaunt stellte sie fest, dass sie es sich viel leichter vorstellen konnte, als sie gedacht hatte.

Sie wusste, wie es sich anfühlen würde, wenn Aiden sie an sich ziehen und seine Lippen sanft auf ihre drücken würde, sie wusste, wie es sich anfühlen würde, würden Aidens Hände um ihre Taille liegen und sie wusste ganz genau, wie es sich anfühlen würde, wenn ihre Hände über seinen starken, muskulösen Rücken wandern würden...


Als es plötzlich laut an der Tür klopfte, zuckte sie erschrocken zusammen und fühlte sich ertappt und verwirrt. Erst, als es das zweite Mal klopfte, konnte sie sich dazu bewegen, aufzustehen, den Bademantel über zu ziehen und zur Tür zu gehen.

Sie dachte nicht einen Moment darüber nach, wer vor der Tür stehen konnte, als sie sie öffnete.

"Hallo, Katelyn. So sieht man sich wieder."

Ihr klappte der Mund auf, als sie Ben so lässig in ihrem Türrahmen stehen sah, er sie siegessicher angrinste und sie von oben bis unten in ihrem Bademantel musterte.

Ohne irgendetwas zu sagen, drückte sie die Tür wieder zu, doch Ben reagierte und da er stärker war als sie, schaffte sie es nicht, die Tür ganz zu schließen.

Es war eine Panikreaktion gewesen und sie hätte es besser wissen müssen, doch Bens plötzliches Auftauchen hatte sie so überrascht und wirklich in Panik versetzt, dass sie nicht hatte klar denken können.

"Wow, wow, warte, Katelyn. Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun. Obwohl ich noch einen Schlag frei hätte, denn der Tiefschlag war wirklich unfair."

"Er war notwendig, du Mistkerl!", meinte Katelyn und versuchte vergeblich, die Tür zu schließen, doch Ben stellte einfach den Fuß in die Tür.

"Ich weiß." Ben knirschte mit den Zähnen.

"Und das tut mir auch wirklich leid. Nur... ich bin es absolut nicht gewohnt, dass ein Mädchen mich nicht will. Ich bin schon so vielen Mädchen begegnet, und jede war dazu bereit, mit mir zu schlafen. Ich schwöre dir, ich habe nicht eine gezwungen. Ich hätte dich auch nicht gezwungen. Wirklich. Mir kam nur nicht mehr die Idee, dass ein Mädchen nicht dazu bereit sein könnte, mit mir zu schlafen."

Er lächelte sie an und Katelyn konnte nichts sagen, so fassungslos war sie.

"Verschwinde, Ben. Mir reicht unsere erste Begegnung, ich will dieser Erinnerung keine weiteren hinzufügen."

Sie drückte erneut gegen die Tür, doch Ben nahm seinen Fuß nicht aus der Tür.

"Hey, komm schon, Katelyn. Ich bin gerade vollkommen ehrlich zu dir. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich dich nicht anfassen werde - jedenfalls nicht, bis du es willst."

Er sah sie an und Katelyn stellte ihre Bemühungen, die Tür zu schließen, ein und sah ihn ebenfalls an. Er meinte, was er sagte, doch das linderte Katelyns Unbehagen nicht.

"Du bist nach wie vor stolz auf das, was du tust.", meinte sie und funkelte ihn angewidert an.

"Hey, es gibt auf der Welt mehr als nur Training. Und ja, Sex ist eine sehr schöne Abwechslung.", meinte er und zuckte mit den Schultern.

"Aber ich tue dir nichts. Das war ein Fehler meinerseits, ein einmaliger Fehler, den ich nicht wiederholen werde. Sex macht nur Spaß, wenn es beide wollen."

Auch wenn das, was er sagte, in Katelyns Ohren falsch klang, sagte er die Wahrheit.

Seufzend öffnete Katelyn die Tür so weit, dass er den Fuß raus ziehen konnte.

"Nimm deinen Fuß aus meiner Tür."

Ben gehorchte und sah sie an.

"Du glaubst mir?"

"Dass du mir nichts tust, ja."

Katelyn zog ihren Bademantel enger um sich, sie fror.

"Und jetzt gehst du wieder. Ich muss mich anziehen und schauen, wo Aiden steckt. Und es war mein Ernst, als ich sagte, dass ich keine weiteren Erinnerungen will."

Ben grinste.

"Nein, war es nicht. Komm schon, Katelyn. Ganz unattraktiv kannst du mich nicht finden. Du hast mich geküsst."

"Ich habe mich küssen lassen, Ben. Das ist ein Unterschied."

"Ich bin die ganze Woche hier, meine Süße. Und ich habe nicht vor, zu gehen, bevor du nicht freiwillig mit mir geschlafen hast. Und das wirst du."

Katelyn schnaubte.

"Träum weiter."

"Ich habe bisher jedes Mädchen bekommen. Keines konnte Nein sagen. Du bist zwar eine Nummer schwerer, aber das macht nichts. Das macht das ganze nur um so interessanter. Aber du wirst mich auch noch ran lassen."

"Nicht in einer Million Jahren. Glaubst du wirklich, nach allem, was war, würde ich dich mich auch nur noch anfassen lassen? Spinnst du eigentlich komplett? Ich werde nie mit dir schlafen, Ben, verstehst du? Wirklich nie."

Ben grinste sie an.

"Ich weiß. Darin besteht ja der Spaß. Wie bekomme ich die sture, kleine Jungfrau dazu, mit mir in die Kiste zu hüpfen? Glaub mir, ich kenne ein paar Wege. Und deine Sturheit reizt mich noch mehr. Mal sehen, wie lange du es durchhältst. Ich bin gespannt."

Er lächelte sie an und rieb sich begeistert die Hände.

"Übrigens rutscht dein Bademantel.", meinte er und versuchte schamlos, in den Ausschnitt des Bademantels zu schielen.

Wütend hielt Katelyn ihren Bademantel knapp unter ihrem Kinn zu und funkelte ihn an.

"Mach, dass du hier weg kommst, du Mistkerl."

"Oh ja, hass mich noch ein bisschen mehr. Das wird so gut, wenn du dich dann endlich nicht mehr gegen dein Verlangen nach mir wehren kannst.", meinte Ben lachend und ging den Gang zurück zum Treppenhaus.

Katelyn knallte wütend die Tür zu und ging zurück ins Bad.

Sie war sich nicht sicher, wie schlecht es war, dass Ben jetzt hier war.

Doch es war auf jeden Fall schlecht.

Aiden würde ausrasten.

Und es würde alles nur noch komplizierter machen.

Katelyn lehnte sich neben der Tür gegen die Wand und ließ sich daran nach unten auf den Boden sinken.

In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nichts kontrollieren konnte :

nicht Aidens Zukunft, nicht Mias Entwicklung, nicht Aidens Gefühle und noch nicht einmal ihre eigenen.

Und schon gar nicht konnte sie kontrollieren, wie sich das alles noch entwickeln würde.

Und das machte ihr Angst.


Eine halbe Stunde später saß Katelyn in einen dicken, warmen Pulli gehüllt, der ihrer Figur alles andere als schmeichelte, in der Eingangshalle des Wohnhauses und wartete auf Aiden und Mia. Aiden hatte ihr geschrieben, dass sie sich dort treffen würden.

Sie wusste, dass Ben irgendwo hinter ihr war und sie beobachtete, sie ignorierte es.

Oder versuchte, es zu ignorieren.

Seufzend zog sie die Füße auf den Sessel und kuschelte sich in ihren Pullover, während sie die Eingangstür anstarrte. Aiden hatte geschrieben, dass er und Mia auf dem Weg waren. Von der Trainingshalle zum Wohnhaus brauchte man knapp fünf Minuten, mit Mia sieben oder acht. Also hatten sie noch ungefähr eine Minute, bis sie da sein sollten.

Doch Katelyn hielt es nicht aus, noch eine Minute zu warten.

Sie wusste nicht, woran es lag, dass sie sich so aufgekratzt fühlte, ob an dem Bad oder Bens plötzlichem Auftauchen, doch sie fühlte sich innerlich, als würde eine Kolonie von Ameisen durch ihre Adern wandern. Überall kribbelte es.

Schließlich hielt sie es gar nicht mehr aus und sprang beinahe aus dem Sessel, eilte zur Tür und nach draußen. Es schüttete immer noch wie aus Eimern und die Regentropfen sahen aus wie Bindfäden. Lange, dichte Striche, die einem die Sicht nahmen.

Katelyn versuchte, sich entspannt gegen die Hauswand zu lehnen, doch all ihre Sinne waren auf höchster Alarmbereitschaft.

Sie traute Ben keinen Meter weit und Aiden würde, auch ohne dass Ben etwas tat, durchdrehen, sollte er Ben sehen. Katelyn hatte Aiden zwar nicht gesagt, was genau Ben getan hatte, doch das, was sie ihm erzählt hatte, hatte gereicht.

Die Tür zum Wohnhaus ging auf und Katelyn wusste, dass es Ben war, noch bevor sie aufsah und ihn auf sich zu kommen sah. Er hatte wie immer einen Hauch zu viel Rasierwasser aufgetragen.

"So allein?", fragte er sie und stellte sich vor sie, ließ aber genug Abstand, damit sie nicht in Abwehrhaltung ging.

"Aiden kommt gleich. Ich warte hier nur auf ihn. Und du solltest gehen."

Ben sah sie an und lächelte abfällig.

"Nur weil du es sagst, wird es nicht wahr, Chérie."

Katelyn funkelte ihn an.

"Aiden kommt jeden Moment. Und du solltest gehen. Denn wenn Aiden dich sieht, wirst du danach nicht mehr so breit grinsen können wie jetzt. Oder so gerne in den Spiegel sehen.", fügte sie hinzu, als sie sah, wie Ben sich in der Scheibe hinter ihr musterte.

Ben sah sie an und knirschte mit den Zähnen.

"Aiden kommt jeden Moment.", wiederholte Katelyn mehr für sich selbst als für Ben und starrte in den Regen.

"Dir ist klar, dass Danni glaubt, dass sie und Aiden eine feste Beziehung führen, oder?", fragte er sie und Katelyn biss die Zähne fest zusammen.

"Woher weißt du davon?", murmelte sie leise, ohne ihn anzusehen.

"Es gibt immer und überall Klatsch und Tratsch, Chérie... Und gerade so etwas wie Beziehungen sind wahnsinnig ..."

"Sch!", zischte Katelyn und lauschte.

"Was?", fragte Ben an ihrem Finger vorbei und sah sie wütend an.

"Halt die Klappe!", fuhr sie ihn an und ging ein paar Schritte in den Regen hinaus.

Sie hörte etwas.

Ziemlich leise, doch sie hörte eindeutig einen Schrei.

Mias Schrei!

"Scheiße! Nein!"

Ohne weiter darüber nachzudenken, rannte Katelyn los, immer in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Sie rannte, so schnell sie konnte, denn sie wusste, dass etwas nicht stimmte.

Mia und Aiden hätten schon längst am Wohnhaus sein sollen, doch sie waren nicht angekommen. Stattdessen hatte Mia geschrieen, einmal, ziemlich leise, aber laut genug, damit Katelyn es hatte hören können.

Katelyn rannte immer weiter, obwohl sie schon wieder klitschnass war, bis sie die Grauzone erreichte und Aidens Silhouette im Regen erkannte. Er kämpfte gegen irgendjemanden, während Mia unter dem Baum kauerte und leise vor sich hin schluchzte.

"Aiden!"

Panisch beschleunigte Katelyn nochmals und rannte die letzten Meter in die Grauzone hinein.

Noch bevor sie ankam, wusste sie, dass Aiden gegen jemanden kämpfte, der sehr viel stärker und mächtiger war als er. Und wer auch immer sein Gegner war, hatte eindeutig vor, ihn zu töten.

"AIDEN!", schrie Katelyn panisch, als Aiden nach einem gezielten Tritt in den Magen zu Boden sank und sich vor Schmerz krümmte.

Ohne darüber nachzudenken, hob sie einen Stein auf und warf ihn nach dem Fremden.

Während er sich wütend die blutende Stirn hielt und von Aiden abließ, um sich umzusehen, rannte sie zu Mia, hob sie vom Boden auf und sah ihr in die Augen.

"Lauf, Mia. Schnell. Und dreh dich.

Nicht

.

Mia schluchzte, nickte und lief los, erst langsam, dann immer schneller.

Und wie Katelyn es verlangt hatte, drehte sie sich nicht ein einziges Mal um.


Aiden hatte sich in der Zwischenzeit wieder aufgerappelt und stand wieder auf beiden Füßen, als Katelyn sich umdrehte, um zu sehen, wie die Situation war.

"Katie, geh zu Mia. Kümmer’ dich um sie. Das hier geht dich nichts an."

Aiden sah sie nicht an, als er das sagte, er behielt die ganze Zeit über seinen Angreifer im Auge.

"Um was geht es hier, Aiden?"

Katelyn sah den Mann, der Aiden angegriffen hatte, an. Er trug einen langen, schwarzen Trenchcoat, der bei jeder seiner Bewegungen leicht wehte und einen schwarzen Hut, der ihm so tief ins Gesicht hing, dass Katelyn sein Gesicht nicht sehen konnte. Sie wusste, dass dieser Kerl nicht einfach nur ein Agent war, wie Ziza oder Ace.

Dieser war besser.

"Aiden. Sag mir, was los ist."

Der Mann und Aiden starrten sich an, ohne zu blinzeln.

"Du hattest recht und ich nicht. Und jetzt geh, Katie."

Katelyn blieb, wo sie war, unentschlossen, was genau sie tun sollte. Aiden war ihr Partner und sie dachte nicht daran, ihn allein zu lassen, doch dieser Mann war...

Sie wusste nicht, was er war.

Aber gefährlich war nicht verkehrt.

"Geh.", wiederholte Aiden, doch Katelyn schüttelte den Kopf.

"Nein. Du hast nichts getan, was das hier rechtfertigen würde. Nichts. Ich lass' dich nicht allein."

Sie ging näher zu Aiden, wohlwissend, dass der Mann im Trenchcoat jeden ihrer Schritte verfolgte, auch ohne sie dabei anzusehen. Doch noch bevor sie die Hälfte der Strecke zu Aiden zurück gelegt hatte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie sich der Mann bewegte. Bevor ihre Instinkte sie warnen konnten oder sie reagieren konnte, spürte sie schon seine Hand an ihrem Hals, während die andere Hand ihre beiden Hände so fest hielt, dass sie sich nicht mehr wehren konnte. Der Schmerz, der durch ihre Schulter zuckte, war höllisch, doch ihre Überraschung war noch größer.

Schon lange hatte es niemand mehr geschafft, sie so zu überrumpeln.

Oder sie wehrlos zu machen.

"Katie!"

Aiden wollte ihr helfen, doch blieb er wie angewurzelt stehen, als Katelyn plötzlich etwas Kühles an ihrem Hals spürte.

"Wenn du weißt, was gut für dich ist, wirst du gehen, und vergessen, was hier passiert ist. Das ist nicht deine Angelegenheit.", knurrte der Mann ihr leise ins Ohr und stieß sie von sich, wobei das Messer ihre Haut leicht aufritzte.

Katelyn fiel auf den Boden und kämpfte sich wieder auf die Knie.

Aiden und der Mann kämpften wieder, doch Aiden hatte keine Chance gegen ihn. Er war zwar gut und einer der besten in seinem Jahrgang, doch dieser Mann hatte eine Ausbildung genossen, deren Künste nicht einmal Katelyn beherrschte. Und Katelyn hatte einiges gelernt, dass sie eigentlich noch nicht können sollte.

Katelyn spürte den Schnitt an ihrem Hals und wie das Blut langsam aus ihrer Wunde floss, doch sie ignorierte den Schmerz.

Panik stieg in ihr auf, als sie sah, wie sich Aiden anstrengen musste, um den Kampfkünsten und tödlichen Schlägen des Mannes auszuweichen. Aber immerhin schaffte er es noch, auszuweichen.

Doch das würde er nicht mehr lange schaffen.

Langsam rappelte sie sich auf, um Aiden zu helfen.

"Katelyn!"

Sie sah, wie der Mann im Trenchcoat aufsah und an ihr vorbei sah. Dann verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck und er fluchte leise. Anstatt anzugreifen, schien es, als würde er sich langsam zurück ziehen.

Überrascht drehte Katelyn sich um, weil sie den Grund für seinen Rückzug sehen wollte, und sah, wie Ben auf sie zugerannt kam.

"Was...?"

Doch sie war nicht die einzige, die überrascht worden war.

Der Mann im Trenchcoat war ebenfalls überrascht, sie konnte es spüren. Ben war noch immer ein ganzes Stück entfernt, so weit, dass er unmöglich sehen konnte, was dort vor sich ging.

Sie sah zu Aiden und sah, dass der Mann im Trenchcoat plötzlich nicht mehr Aiden gegenüber stand.

"Was...?"

Katelyn sah sich um. Sie sah Aiden, der keuchend da stand und genau so verwirrt, wenn auch erleichtert, aussah und sie sah Ben, der auf sie zugerannt kam. Doch den Mann konnte sie nirgends mehr sehen. Als ob er sich in Luft aufgelöst hätte.

"Katelyn!"

"Katie."

Sie drehte sich zu Aiden um und sah, wie Aiden mit finsterer Miene zu ihr trat.

"Was will er hier?"

"Was war das eben?", fragte sie ihn und überging seine Frage.

"Ben hat hier nichts verloren.", knurrte er und funkelte ihn wütend an, ohne auf Katelyns Frage zu antworten oder sie darauf hinzuweisen, dass sie seine nicht beantwortet hatte, wie er es sonst immer tat.

"Aiden."

Katelyn sah ihn an und wartete, bis Aiden widerwillig zu ihr sah.

"Was war das für ein Typ? Und was wollte er?"

Aiden sah sie an, ohne zu blinzeln, und knirschte mit den Zähnen.

"Katelyn! Alles okay? Gott, du blutest ja."

Ben hatte sie erreicht und sah sofort, dass sie blutete. Besorgt strich Ben ihre Haare aus dem Hals, doch Katelyn schob seine Hände weg.

"Lass mich, Ben. Es geht schon."

Sie drehte sich zu Aiden um. Aiden stand abseits von ihr und sah sie nicht an. Er würde ihr nicht sagen, was los war. Sie wusste es. Doch sie wusste auch, dass sie es wissen musste, wollte sie ihm helfen.

"Katelyn. Du blutest. Am Hals. Das könnte gefährlich sein."

Ben strich ihr sanft über die Wange.

"Komm schon, lass es mich ansehen.", flüsterte er sanft und Katelyn zögerte.

"Lass deine Finger von ihr, Ben!", fuhr Aiden ihn an und stieß ihn mit voller Wucht von Katelyn, sodass Ben fiel.

"Aiden!"

Katelyn sah ihn mit großen Augen an.

Ben stand wieder auf und schob die Ärmel seiner Trainingsjacke hoch.

"Oh nein. Ben, lass das. Fang gar nicht erst an. Das wird nicht gut enden."

Katelyn stand halb vor Aiden, um Ben und ihn nicht zu nah aneinander geraten zu lassen, doch Aiden dachte nicht daran, sich von Katelyn den Abstand aufzwingen zu lassen. Er versuchte, an ihr vorbei zu kommen, doch Katelyn wusste, dass Aidens Gemütszustand gerade nicht stabil genug war, um ihn mit Ben aneinander geraten zu lassen.

Wenigstens Ben schien wieder vernünftig zu sein und blieb stehen.

"Was machst du überhaupt hier? Warum hast du uns gefunden?", fragte Aiden noch immer wütend, unterließ aber die Versuche, sich an Katelyn vorbei zu drängen.

Ben seufzte, steckte die Hände in die Hosentasche und sah Katelyn an.

"Ich hab' Mia getroffen, als sie zum Wohnhaus gerannt ist. Sie war völlig verweint und total verstört."

Katelyn zuckte zusammen.

"Mist. Mia. Wo ist sie jetzt?"

Ben schüttelte den Kopf.

"Das sag' ich dir erst, wenn sich jemand deinen Hals angeschaut hat."

Aiden schnaubte.

"Nicht du."

Ben verdrehte die Augen.

"Ich sagte auch jemand."

Aiden wollte etwas bissiges erwidern, doch Katelyn reichte es.

"Verdammt, haltet einfach beide die Klappe, okay?! Mir geht es gut, ich kann noch laufen und ich will jetzt wissen, wo Mia ist!"

Ben schüttelte den Kopf.

Katelyn wollte etwas sagen, doch ein minimaler Schwindelanfall hinderte sie daran.

"Katie."

Aiden stand sofort neben ihr und stützte sie. Doch auch Ben hatte nach ihr gegriffen.

Ben und Aiden starrten sich einen Moment lang an, dann ließ Ben langsam wieder los.

"Vielleicht solltest du dich erst einmal setzten, Katie. Die Schnittwunde am Hals blutet immer noch und du bist blass.", flüsterte Aiden besorgt und Katelyn biss die Zähne zusammen.

"Nein, es geht schon. Wir müssen zu Mia, Aiden. Wir müssen sie beruhigen und ihr zeigen, dass alles okay ist."

Aiden sah sie an, sah ihr in die Augen, und schüttelte dann den Kopf.

Seine Hand fuhr sanft über ihre Wange und Katelyn spürte, wie ihre Knie anfingen zu zittern.

"Du bist unglaublich, Katie. Unglaublich stur."

Aiden lächelte schwach und Katelyn erwiderte sein Lächeln.

"Das hast du mir schon ungefähr eine Million mal gesagt."

Aiden legte sich ihren Arm um die Schulter und ignorierte ihren Protest.

"Du"

Er nickte Richtung Ben.

"sagst uns jetzt, wo Mia ist. Dann bringe ich Katelyn in ihr Zimmer, wo sie noch Verbandszeug hat und sich dann, wenn ihr Hals versorgt ist, ausruht, während ich mich um Mia kümmere."

Ben sah Aiden eine ganze Weile lang einfach nur an, bevor er Katelyn einen Blick zu warf.

"Sag schon, wo sie ist, Ben. Katelyn muss sich ausruhen."

Katelyn hasste es, wenn Aiden von ihr sprach, als wäre sie ein kleines Mädchen, doch sie konnte nicht protestieren. Auch wenn sie es nie zugeben würde, war Aiden gerade alles, was sie noch auf den Beinen hielt.

Ben seufzte und gab nach.

"In Katelyns Zimmer. Sie wollte irgendwo hin, wo sie sich sicher fühlt."

Aiden nickte und fasste Katelyn um die Taille, um sie besser stützen zu können.

"Komm schon. Wir gehen.", flüsterte Aiden leise und Katelyn spürte, wie nah seine Lippen ihrem Ohr waren.

Auch wenn er wusste, dass Katelyn es nicht mochte, trug Aiden sie fast. Katelyn versuchte zwar, so gut es ging selbst zu laufen, doch war sie froh, dass Aiden da war und sie stützte.














Kapitel 12 : Im Halbschlaf


Aiden sagte nichts dazu, dass Ben ihnen folgte, bis sie vor Katelyns Zimmer ankamen.

"Denk noch nicht einmal dran. Du gehst nicht in ihr Zimmer.", knurrte Aiden und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

"Kate!"

Mia lugte aus dem Badezimmer vorsichtig um die Ecke und stürmte dann auf Katelyn zu.

Hätte Aiden sie nicht gehalten, hätte Mia sie umgerannt.

Katelyn verzog das Gesicht, versuchte aber, es vor Aiden und Mia zu verbergen.

"Mia, lass Katie sich hin setzten, okay? Sie ist ein bisschen..."

Mia sah auf und sah das Blut, das auf Katelyns Pulli getropft war. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie zu Aiden und Katelyn sah die Tränen in ihren Augen.

"Was ist passiert?", flüsterte sie leise und wurde ganz blass.

"Gar nichts, Süße. Alles okay. Das ist nur ein Kratzer, nichts schlimmes."

Mia nickte und schluckte, sie bemühte sich wirklich, die Tränen zurück zu halten.

"Dein Pulli ist ganz nass.", flüsterte sie und wich an die Wand gegenüber dem Bett zurück, während Aiden Katelyn zum Bett führte.

"Setz' dich hin. Lass mich deinen Hals noch mal sehen. Du hast wirklich viel Blut verloren."

Katelyn seufzte, tat aber, was Aiden sagte.

"Mia, geh ins Badezimmer an den weißen, schmalen Schrank, der neben dem Waschbecken steht. Ziemlich weit oben ist ein Korb. Den brauche ich. Kannst du ihn holen?"

Mia nickte und eilte ins Bad. Aiden konzentrierte sich auf Katelyns Wunde und versuchte, die Blutung schon mal zu stoppen.

"Wieso weißt du so genau, wo sich das Verbandszeug bei mir befindet?", fragte ihn Katelyn leise und merkte, dass sie wirklich geschwächt war.

"Ich bin dein Partner, Katie. Ich weiß so ziemlich alles über dich.", meinte er lächelnd und hob Katelyns Beine aufs Bett.

"Hier, bitte."

Mia reichte Aiden den Korb und setzte sich neben Katelyn aufs Bett.

"Danke, Mia. Willst du gleich lernen, wie man solche Wunden richtig verbindet?"

Mia nickte und setzte sich neben Aiden, um alles gut sehen zu können.

Aiden erklärte Mia jeden Schritt genau und Mia hörte aufmerksam zu.

"So.", meinte Aiden, als sie fertig waren, und lächelte Mia an.

"Perfekt."

Mia lächelte und sah zu Katelyn.

"Tut es noch weh?"

Katelyn schüttelte sanft den Kopf.

"Nein. Jetzt bin ich nur durstig."

Sie lächelte Mia an und strich ihr sanft über die Wange.

Aiden stand auf.

"Komm, Mia. Wir lassen Katie ein bisschen in Ruhe, damit sie sich ausruhen kann und holen ihr was zu trinken."

Mia nickte und stand ebenfalls auf.

"Okay."

Sie ging an Aiden vorbei zur Tür, um dort auf Aiden zu warten.

Aiden beugte sich zu Katelyn runter und sah sie an.

"Ruh' dich aus. Du hast es bitter nötig."

"Du sagst mir immer noch nicht, was da los war, oder?", fragte Katelyn ihn leise und sah ihm in die Augen.

"Ich hab' ein Recht darauf, es zu erfahren, Aiden. Du bist mein Partner und ich bin die, die das Messer am Hals hatte."

Aiden seufzte leise und küsste sie auf die Stirn.

"Ruh' dich aus."

Dann stand er auf und ging, ohne ihr zu antworten.

Doch Katelyn hatte nichts anderes von ihm erwartet.


"Meinst du, es wird ihr gefallen?"

"Ja, Mia, ich bin mir sicher, dass es ihr gefällt. Aber weck sie nicht auf."

Katelyn konnte hören, wie einer der zwei Stühle, die an ihrem kleinen Tisch standen, leise über den Boden gezogen wurde. Normalerweise würde sie spätestens bei diesem Geräusch die Augen aufreißen und sich aufsetzten, doch sie fühlte sich viel zu müde, um auch nur zu zucken.

"Aiden?"

"Ja?"

"Warum wurde Kate verletzt?"

Aiden schwieg und Katelyn rechnete schon fast damit, dass er gar nicht mehr antworten würde.

"Weil sie mir helfen wollte, obwohl sie das nicht sollte. Ich habe etwas getan, dass ich nicht hätte tun sollen und ich wusste, dass es Konsequenzen haben würde, und dennoch habe ich es getan. Und Katie weiß nichts davon.", flüsterte er leise.

"Das, was du getan hast ... war das falsch?", fragte Mia genau so leise und Katelyn konnte sich vorstellen, wie sie Aiden ansah.

"Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen 'falsch' und 'unerwünscht'."

Aiden schwieg.

"Nein, 'falsch’ war das, was ich getan habe, sicher nicht. Aber es widersprach dem, was hier verlangt wird. Was hier erwartet wird."

"Ah."

Mia schwieg und auch Aiden sagte nichts mehr.

"Hat Kate keinen Hunger? Sie hat jetzt schon so lange geschlafen..."

Aiden lachte leise.

"Es sind erst eineinhalb Stunden, Mia. Vielleicht sollten wir an deiner Geduld arbeiten."

Katelyn hörte, wie wieder ein Stuhl leise über den Boden kratzte und wusste, dass Aiden aufgestanden sein musste.

"Na komm schon. Wir gehen wieder. Wenn sie so viel schläft, wird sie es brauchen. Und dann sollten wir sie auch lassen."

"Und was mach ich mit... ?"

"Leg es auf den Tisch. Dann sieht sie es, sobald sie aufsteht."

"Okay."

Mia bewegte sich und blieb dann stehen.

"Glaubst du, sie ist Morgen früh wieder fit?"

"Natürlich.", antwortete Aiden mit voller Überzeugung.

"Es ist schließlich Katie."

"Aiden?"

"Mia?"

"Du bist der einzige, der Kate Katie nennt."

"Und du die einzige, die sie Kate nennt."

"Warum nennst du sie Katie ?"

Katelyn konnte hören, wie Aiden ans Bett trat und spürte, wie seine Finger sanft über ihre Wange strichen.

"Als ich sie kennen lernte, waren wir beide erst fünf, also halb so alt, wie du jetzt. Damals wirkte sie einfach nicht wie eine Kate oder eine Katelyn. Und irgendwie habe ich mit der Zeit nicht aufhören können, sie so zu nennen, obwohl sie schon lange nicht mehr das kleine, verängstigte, wenn auch sture, Mädchen ist, das ich kennen lernte."

"Stimmt. Jetzt ist sie groß und stur."

Aiden musste lachen.

"Stimmt."

Aiden nahm seine Finger von Katelyns Wange und ging zu Mia.

"Komm schon. Auch wenn Katie gerade nichts zu essen braucht, könnte ich wetten, dass du Hunger hast."

"Stimmt auffallend."

"Siehst du? Dachte ich’s mir doch. Na los, gehn wir."

Katelyn konnte hören, wie die Tür wieder zu fiel, dann fiel sie wieder in einen tieferen Schlaf.

Als Katelyn das nächste Mal aufwachte, war es draußen stockdunkel, doch sie wusste sofort, dass sie nicht alleine war.

"Ganz ruhig, ich bin's nur.", flüsterte Aiden leise und Katelyn atmete erleichtert durch.

"Was machst du hier? Und wie kommst du hier rein? Ich dachte ab Mitternacht sind die Stationen verriegelt.", murmelte Katelyn leise und setzte sich langsam auf, bevor sie sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und Aiden ansah, wie er auf dem Stuhl an ihrem Tisch saß und vom Mond beschienen wurde.

"Ja... Nach Mitternacht. Vorher ist alles offen."

Katelyn sah ihn an, sah kurz auf ihren Wecker und sah dann wieder ihn an.

"Willst du mir gerade sagen, dass du jetzt seit mehr als 4 Stunden auf diesem Stuhl sitzt, während ich geschlafen habe?"

Aiden zuckte mit den Schultern, als wäre das nichts.

"Wenn ich Mia nicht erst stundenlang hätte überzeugen müssen, dass es dir gut geht, wäre ich gar nicht mehr gegangen."

Katelyn zog die Knie an und seufzte.

"Wie dem auch sei. Ist ja jetzt auch egal. Jetzt hast du schon die ganze Nacht auf dem Stuhl verbracht."

Sie sah Aiden an.

"Wie lange genau sitzt du eigentlich schon da?"

Aiden zuckte wieder mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Ich hab' Mia in ihr Zimmer gebracht und ihr versprochen, dass es dir besser geht, wenn sie wieder aufwacht."

"Das war etwa gegen neun, Aiden."

"Dann war ich noch trainieren und ich habe Mias Trainingsplan erstellt. Denke ich."

Katelyn rechnete schnell im Kopf, wie lange Aiden dafür gebraucht haben könnte und ließ sich stöhnend wieder in die Kissen sinken.

"Das macht trotzdem knapp fünf Stunden, die du auf diesem Stuhl sitzt."

Aiden zuckte erneut mit den Schultern.

"Wir haben beide schon schlimmeres geschafft, als auf einem Stuhl zu sitzen."

Katelyn drehte den Kopf zu ihm.

"Kannst du mir dann wenigstens den Gefallen tun und jetzt, wo ich wach bin, dich zu mir setzen? Das ist ein Holzstuhl ohne Kissen, er ist wahnsinnig unbequem. Und ich sitze nie länger als eine halbe Stunde da drauf."

Aiden stand langsam auf und kam zu ihr.

"Wie du willst."

Er setzte sich auf die äußerste Bettkante und Katelyn rutschte näher zur Wand, um ihm mehr Platz zu machen.

"Hast du dann noch genug Platz, wenn ich hier sitze?", fragte er und sah sie zweifelnd an.

"Klar. Ich bin ziemlich schmal, Aiden, ich brauche nicht viel Platz. Außerdem"

Sie nahm seine Hand, die auf ihrer Seite war, und legte sie unter ihren Kopf.

"kann ich dich als Kopfkissen missbrauchen."

Katelyn lächelte ihn an und unterdrückte ein Gähnen.

"Du bist immer noch müde.", flüsterte Aiden leise und lächelte, als er sah, wie sie gegen die Müdigkeit kämpfte.

Katelyn schüttelte den Kopf.

"Nicht immer noch, schon wieder."

"Dann schlaf.", flüsterte Aiden sanft und überließ ihr seine Hand.

"Ich bleibe hier und pass auf."

Katelyn lächelte mit geschlossenen Augen.

"So wie früher, als wir uns kennen gelernt haben? So, wie du es seit dem immer machst?"

Aiden lachte stumm, Katelyn spürte das Vibrieren seiner Hand.

"Genau so."

Katelyn kuschelte sich in die Decke.

Zwischen ihr und Aiden war noch immer eine riesige Lücke, weil Aiden gerade so auf der Matratze saß und sie sich ganz an die Wand gelegt hatte.

"Aiden?", murmelte sie schon fast schlafend und schaffte es nicht, die Augen noch einmal zu öffnen.

"Hm?"

Aiden rutsche ein kleines bisschen näher und schob seine Hand weiter unter ihren Kopf.

"Bist du mit Danni zusammen?"

"Nein, nicht so richtig.", antwortete Aiden nach einer Weile leise, als würde er nicht darüber reden wollen.

"Schläfst du mit ihr?"

Aiden wusste, dass Katelyn keine einmaligen Sachen meinte, auch wenn sie selbst kaum noch mitbekam, was sie sagte.

"Ja.", gab er leise zu und rutschte noch ein Stück näher zu Katelyn, so dass er nun ganz auf der Matratze saß und Katelyn direkt an seiner Seite lag.

"Ich will nicht, dass du mit ihr schläfst.", flüsterte sie im Halbschlaf und legte ihren Arm um Aidens Bauch.

Sanft, als habe er Angst, sie zu zerbrechen, legte Aiden seine Hand auf ihre und lachte leise.

"Das fällt nicht in deinen Verantwortungsbereich, Katie. Und jetzt schlaf. Du kannst dich Morgen früh eh nicht mehr an dieses Gespräch erinnern."

"Aiden?"

"Was?"

"Was hast du getan, von dem ich nichts weiß? Weshalb hat dieser Kerl versucht, dich umzubringen?"

Aiden verkrampfte sich augenblicklich und Katelyn konnte hören, wie er mit den Zähnen knirschte.

"Woher hast du das?", flüsterte er heißer vor Schreck.

"Du hast es Mia erzählt. Ich hab's gehört.", flüsterte Katelyn immer leiser und sank immer mehr in den Schlaf.

"Da musst du was missverstanden haben. So etwas habe ich nie zu Mia gesagt. Und jetzt schlaf.", knurrte er wütend.

"Du hast Angst.", bemerkte Katelyn und rutschte noch näher zu ihm.

"Vor was hast du Angst?"

Aiden schwieg beharrlich, legte aber in einer beschützenden Geste beide Arme um Katelyn und zog sie ganz nah an sich heran.

"Davor, dich zu verlieren,", wisperte er leise, als Katelyn bereits tief und fest schlief und ihn nicht mehr hören konnte.


Aiden wurde von einem leisen Quietschen geweckt und war sofort hellwach.

"Katelyn?", hörte er eine Stimme leise flüstern.

Katelyns Arme lagen immer noch um ihn und als Aiden sich ein wenig aufrichtete, rutschten sie nach unten. Katelyn hatte noch nichts mitbekommen und schlief noch und er wollte, dass es so blieb. Sanft schob er Katelyns Arme von sich und stand auf.

Wer auch immer in Katelyns Zimmer gekommen war, sollte nicht hier sein.

Es war gerade einmal zwei Minuten nach fünf, die Häuser waren erst seit knapp 120 Sekunden wieder offen. Was bedeutete, dass wer auch immer gerade in ihr Zimmer schlich, vor dem Haus gewartet hatte und nach oben gesprintet war.

Lautlos schlich er zu der Ecke, die die Nische mit dem Bett und den kleinen Flur zur Tür verband und sah Ben.

"Katelyn? Hey, Süße, bist du schon wach?"

Ben kam um die Ecke, welche die Nische mit dem Bett und den Flur, der zur Tür führte, verband, und blieb stehen, als er Aiden sah.

"Nein, ist sie nicht."

Aiden richtete sich auf und stieß sich von der Wand ab.

"Und du solltest nicht hier sein. Du hast hier nichts zu suchen. Schon gar nicht um die Uhrzeit."

Ben verschränkte die Arme, sah kurz zu Katelyn, die noch immer schlief, und funkelte Aiden dann wütend an.

"Du auch nicht."

Ben knirschte mit den Zähnen, als ihm ein Gedanke kam.

"Du kannst unmöglich vor mir hier rein gekommen sein. Ich hätte dich draußen gesehen. Und ich war der einzige, der draußen stand und hoch rannte, kaum, dass die Türen offen waren."

Aiden sah ihn an und nickte.

"Stimmt. Ich war nicht draußen. Und ich bin nicht erst seit kurzem hier."

Die beiden sahen sich herausfordernd an.

"Sie gehört nicht dir, Aiden. Du hast kein Recht, dich so aufzuspielen.", meinte Ben mit zusammen gebissenen Zähnen.

"Und sie hat dir mehr als deutlich gesagt, dass sie nichts von dir will. Also lass sie in Ruhe.", erwiderte Aiden und versuchte, ruhig zu bleiben.

Ben wollte nach Aiden schlagen, doch Aiden schaffte es, sich zu ducken, und Ben traf nur die Wand. Mit einem dumpfen Schlag prallte seine Hand gegen die Wand, Putz bröckelte und Katelyn fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch.

Einen Momentlang sah sie sich verwirrt im dunklen Zimmer um, dann sah sie zwischen Aiden und Ben hin und her, die sie beide, noch immer kochend vor Wut auf den anderen, ansahen.

Langsam rutschte Katelyn an den Rand ihres Bettes, stand auf, ging, ohne einen der beiden anzusehen, an ihren Schrank, holte frische Sachen raus, die nicht voller Blut waren, ging dann weiter zu ihrem Bad, blieb in der Tür noch einmal stehen und drehte sich langsam zu Aiden und Ben um.

"Wehe, ihr demoliert mein Zimmer weiter, während ich mich umziehe."

Dann schloss sie die Tür hinter sich und Aiden und Ben blieben verwirrt in ihrem Zimmer zurück.

Keine drei Minuten später ging die Tür wieder auf und Katelyn stand umgezogen und gewaschen im Türrahmen.

"Sooo. Will mir jetzt bitte jemand sagen, was um alles in der Welt hier vor sich geht?", fragte Katelyn, verschränkte die Arme und sah die beiden böse an.

"Ich will schließlich nicht lügen, wenn ich denen erklären muss, warum mein Putz ein Loch hat."

Aiden und Ben funkelten sich an und begannen gleichzeitig zu reden.

"... ist hier eingedrungen..."

"... hätte gar nicht hier sein dürfen..."

"... wollte nur nach dir sehen..."

"... geht ihn nichts an..."

"... hatte kein Recht dazu..."

"... bin dein Partner und wollte nur..."

"Stopp!!", rief Katelyn, als es ihr zu viel wurde, und Aiden und Ben verstummten sofort.

"Ich hab' kein Wort von dem, was ihr gesagt habt, verstanden. Also, nochmal ganz langsam. Und nacheinander!"

Sie seufzte, lehnte sich gegen die Wand und sah Ben an.

"Was willst du hier?"

Ben trat zu ihr und fuhr ihr sanft mit den Fingern über die Wange.

"Ich wollte nach dir sehen. Sicher gehen, dass das gestern nichts ernsteres war."

Aidens Kiefer war vollkommen angespannt und er sah aus, als wolle er Ben den Kopf abreißen.

Katelyn schlug seine Finger weg und sah ihn abschätzig an.

"Du glaubst mir immer noch nicht, oder? Ich hab' das, was ich zu dir gesagt hatte, ernst gemeint. Wirklich ernst. Du verschwendest bloß deine Zeit. Das wird nie passieren, ganz egal, was noch passiert."

Ben lächelte sie an und umfasste ihr Kinn.

"Das sehe ich anders."

Katelyn entriss ihm ihr Kinn und funkelte ihn wütend an.

"Was wird nie passieren?", knurrte Aiden und sah zwischen Ben und Katelyn hin und her.

"Gar nichts. Vollkommen unwichtig.", meinte Katelyn und drehte sich halb zu ihm um.

Ben schnaubte.

"Du hast es ihm nicht gesagt?"

"Scht.", zischte Katelyn und sah Ben böse an.

"Halt die Klappe."

"Nein, nein, nein."

Aiden stand auf, verschränkte die Arme und sah Katelyn an.

"Normalerweise interessiert es mich ja nicht, was Ben sagt, aber das will ich jetzt hören. Was hat sie mir nicht gesagt?"

Er wandte sich an Ben.

"Ben, ich schwöre dir, wenn du nicht still bist...", drohte Katelyn ihm, doch Ben winkte mit der Hand ab.

"Katelyn und ich werden miteinander schlafen. Irgendwann. Sobald sie sich nicht mehr gegen meinen Charme wehren kann und sich eingesteht, dass sie mich heiß findet."

Katelyn stöhnte und schüttelte den Kopf.

Aiden sah sie an und sie konnte spüren, wie sein Blick ihr die Haut versenkte.

"Ist das dein Ernst? Du willst mit diesem Penner schlafen?"

Aidens Stimme war extrem leise und Katelyn wusste, dass das gefährlicher war, als wenn er schreien würde.

"Hey, ich bin kein...!", wollte Ben sich beschweren, doch Katelyn brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.

"Ich habe nie gesagt, dass ich mit ihm schlafen werde, Aiden. Ich hab's auch nicht vor. Er glaubt daran."

Aiden atmete tief durch und versuchte, wieder runter zu kommen.

"Halt dich von Katelyn fern.", knurrte er und sah Ben an.

Ben erwiderte seinen Blick und dachte nicht daran, zurück zu weichen.

"Vergiss es. Sie gehört nicht dir, Aiden. Sie ist frei und du kannst mir nicht vorschreiben, dass ich mich von ihr fern halten muss.", konterte Ben und trat näher zu Katelyn.

"Sie ist meine Partnerin und es ist meine Pflicht, sie vor Schäden und Verletzungen zu schützen. Und du bist definitiv beides.", zischte Aiden und trat drohend näher.

"Du willst sie vor Spaß schützen? Wirklich? Obwohl du dich selber mit diesem kleinen, blonden, leicht zu beeindruckenden Flittchen amüsierst?", meinte Ben leise, aber laut genug, damit ihn alle hören konnten.

Katelyn blieb die Luft weg, ob vor Schreck, weil Ben es wusste, weil er es gesagt hatte oder weil er es so gemein ausgedrückt hatte, wusste sie selbst nicht.

"Bitte was soll ich sein?!", kam es von der Tür und Ben, Aiden und Katelyn drehten sich mehr oder weniger schockiert um.





















Kapitel 13 : Das Ende


"Danni.", meinte Aiden überrascht und sah sie einfach nur an.

"Was machst du hier? Was willst du?", fragte Katelyn sie völlig verwirrt.

Danni sah Katelyn an und schaffte es, sie an zu lächeln.

"Ich wollte eigentlich mit dir reden. Bevor du und Aiden euch heute gesehen hättet. Aber er ist schon hier. Was mich erstaunlicherweise nicht im Mindesten überrascht."

Katelyn biss sich auf die Lippe und sah zu Boden, auch wenn sie nicht wusste, warum sie sich schlecht fühlen sollte. Sie und Aiden hatten nichts Verbotenes getan und Aiden war ihr Partner, nicht Dannis. Danni und er waren nicht einmal zusammen.

Katelyn hob den Blick wieder und sah Danni an.

"Aiden wollte nach mir sehen. Ich hab' mich gestern beim Training verletzt und Aiden wollte sicher gehen, dass es nichts schlimmeres ist."

Danni nickte, auch wenn sie nicht überzeugt war, und sah zu Ben. Sie verschränkte die Arme und zog eine Augenbraue hoch.

"Und wer ist das?"

Aiden schnaubte und Katelyn schüttelte den Kopf.

"Das ist Ben. Der eigentlich auf einer Außenstelle tätig ist."

Danni sah sie verwirrt an.

"Und was macht er dann hier?"

Katelyn sah zu Ben, der sich gegen die Wand gelehnt hatte und sie ansah.

"Keine Ahnung. Und ich will's auch nicht wissen."

"So ein Schwachsinn!", zischte Ben wütend, stieß sich von der Wand ab und war mit zwei schnellen Schritten bei Katelyn.

"Ich bin wegen dir hier! Nur wegen dir!"

Ben packte sie am Oberarm und Aidens Blick verdunkelte sich sofort.

"Lass sie los.", knurrte er drohend und Danni gab ein verächtliches "Ha!" von sich.

Katelyn sah kurz zu Aiden und versuchte, abzuwägen, wie gefährlich die Situation schon war, bevor sie sich zu Danni umdrehte.

"Was heißt hier 'Ha!' ?"

"Lass sie los.", wiederholte Aiden und kam näher.

Danni schnaubte und verschränkte die Arme.

Ben ließ Katelyns Arm noch immer nicht los.

"Ich wusste ja, dass du nicht so lammfromm und unschuldig bist, wie du tust, aber dass du so mies und heimtückisch bist und dir gleich zwei angelst, ohne einen von ihnen je wirklich ran zu lassen, hätte nicht einmal ich erwartet."

Katelyn klappte der Mund auf und sie sah Danni entsetzt an.

Ben ließ sie los und Aiden trat wieder ein Stück zurück.

"Was willst du damit sagen?", meinte sie heiser und sah Danni an.

Noch nie hatte ihr jemand etwas unterstellt, schon gar nicht so etwas.

"Ja, was meinst du damit?", fragte auch Ben und Katelyn funkelte ihn böse an.

Danni funkelte sie wütend an.

"Wenn du nicht wärst, könnten Aiden und ich zusammen sein. Wirklich zusammen sein. Aber wir können es nicht, und es ist deine Schuld."

"Warum sollte es meine Schuld sein? Ich verbiete Aiden doch nicht, mit dir zusammen zu sein. Wenn er es wollte, wäre er es!", fuhr Katelyn sie an.

"Er will es! Er will mit mir zusammen sein!", schrie Danni wütend.

"Nur weil er mit dir schläft heißt das nicht, dass er auch was von dir will.", zischte Katelyn aufgebracht.

Danni war mit zwei schnellen Schritten bei ihr und knallte ihr eine mit voller Wucht.

Katelyn nahm den Schlag hin, sie zuckte lediglich leicht und ihr Kopf wurde leicht zur Seite geschleudert. Behutsam fuhr Katelyn mit ihrer Zunge über den Mund und überprüfte, ob sie sich verletzt hatte, doch sie fand nichts. Bis auf den brennenden Schmerz auf ihrer Wange.

"Aiden schläft nicht nur mit mir. Er liebt mich.", zischte Danni wütend und funkelte Katelyn nicht mehr länger wütend, sondern inzwischen hasserfüllt an. Doch Katelyn wich nicht zurück.

"Er liebt mich.", wiederholte Danni und holte tief Luft.

"Und ich liebe ihn."

"Hat er dir das je in irgendeiner Art und Weise gesagt?", knurrte Katelyn und versuchte die Tatsache, dass Ben und Aiden mit im Raum standen, auszublenden.

Danni schnaubte verächtlich und Katelyn wusste sofort, dass Danni sie für minderwertig hielt. Dass Danni sie als Menschen abgeschrieben hatte und sie nie wieder miteinander aus kommen würden. Doch das war ihr nur Recht.

"Wenn du nicht so versessen darauf wärst, so zu sein, wie die 'Akademie' dich will, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen zu lassen würdest, wüsstest du, dass Männer so etwas nicht immer aussprechen müssen, damit die Frau es weiß.", meinte Danni zuckersüß und dieses Mal schnaubte Katelyn.

"Wenn du nicht so versessen darauf wärst, dir etwas einzubilden, würdest du sehen, dass Aiden das zwischen dir und ihm nicht einmal annähernd ernst nimmt. Es ist für ihn nur körperlich, Danni. Mehr nicht.", ahmte Katelyn Dannis zuckersüßen Tonfall nach und fügte noch ein zuckersüßes Lächeln hinzu.

"Er liebt dich nicht. Sieh' es endlich ein.", meinte sie dann wieder in ihrem Tonfall und sah Danni fest in die Augen. Sie trat ein Stück näher zu Danni, die nicht einen Millimeter zurück wich, und senkte die Stimme.

"Würde er dich lieben, würde er nicht andere Mädchen küssen. Oder zumindest versuchen, sie zu küssen."

Katelyn wusste, dass Danni sie wieder schlagen würde. Sie hatte sie schließlich provoziert. Doch wenn Danni es dieses Mal versuchen würde, würde Katelyn sich wehren.

Danni holte aus, doch bevor ihre Hand nah genug war, als dass Katelyn einen Grund gehabt hätte, sich zu wehren, war Aiden mit zwei großen, schnellen Schritten durch den kleinen Raum zu ihnen gestürmt, hielt Dannis Hand fest und drehte sie mit einer schnellen Bewegung zu sich um.

"Tu das nicht, Danni."

Seine Stimme war so ruhig und sanft, dass Katelyn nicht wusste, was er fühlte oder dachte. Es irritierte sie, dass Aiden scheinbar so ruhig war.

Sanft drückte er Dannis Hand ein Stück nach unten.

"Hast du gehört, was sie gesagt hat?", flüsterte Danni und sah mit ihren tränennassen Augen zu ihm auf.

"Ja, habe ich.", antwortete Aiden noch immer so ruhig und sah weiterhin Danni an. Sanft drückte er ihre Hand noch ein Stück nach unten, bis ihre Hände vor seiner Brust waren.

"Dann lass sie mich schlagen. Lass mich los und lass sie mich schlagen, weil sie es gewagt hat, so etwas zu behaupten."

Aiden sah Katelyn an und es schien, als würde er zögern, bevor er antwortete.

"Sie ist meine Partnerin, Danni.", flüsterte er noch immer so ruhig und sanft und drückte ihre Hände ganz nach unten, wobei er seine Finger mit ihren verschränkte.

"Ich wäre mir da ja nicht so sicher, ob sie das wirklich nur behauptet.", meinte Ben aus seiner Ecke und trat etwas näher zu der Gruppe.

Katelyn und Danni sahen ihn beide an.

"Katelyn kennt Aiden von allen am Besten. Wenn sie sagt, er wollte eine andere küssen, muss irgendetwas wahres dran sein."

Danni sah wieder zu Aiden.

"Sag mir, dass sie lügt, Aiden. Sag mir, dass du kein anderes Mädchen geküsst hast.", flüsterte Danni beinahe verzweifelt und drängte ihn mit ihren Blicken.

Aiden sah kurz an Danni vorbei zu Katelyn und sie versuchte, ihn dazu zu bewegen, die Wahrheit zu sagen. Dann sah Aiden wieder Danni an.

"Ich habe kein anderes Mädchen geküsst."

Erleichtert fiel Danni ihm um den Hals und wimmerte vor Freude.

"Ich wusste es! Ich wusste, dass du so etwas nie tun würdest!"

Katelyn spürte, wie ihre angesammelte Wut noch heißer hoch kochte und ballte ihre Hände zu Fäusten.

Danni drückte ihre Lippen auf Aidens und Katelyn ertappte sich dabei, wie sie im Zimmer nach etwas suchte, dass sie Danni über den Schädel ziehen konnte oder mit dem sie sie erstechen konnte. Augenblicklich stoppte sie, atmete tief durch und versuchte, lockerer zu werden.

Doch war das gar nicht so leicht.

Als Danni Aiden genug geküsst und für die Lüge, die er ihr erzählt hatte, gedankt hatte, drehte sie sich wieder zu Katelyn um und funkelte sie hasserfüllt an.

"Da siehst du es. Du bringst uns nicht auseinander. Nicht einmal mit deiner erbärmlichen Lüge. Aiden und ich gehören einfach zusammen. Und du kannst nichts daran ändern, du miese, kleine, egoistische, hinterhältige, verlogene, rücksichtslose Schlam..."

Es klopfte leise, beinahe zaghaft, an der Tür.

"Kate?", kam es vorsichtig von dort und Katelyn drehte sich erschrocken um. Auch Aiden sah nicht mehr so entspannt zur Tür.

Mia stand dort in der offenen Tür und sah verängstigt an Katelyn vorbei zu Ben, Aiden und Danni. Katelyn sah, wie Mia Aidens und Dannis verschränkte Finger registrierte und biss sich vor Entsetzten auf die Innenseite ihrer Backe.

"Ich ... Ich wollte nur sehen, ob es dir besser geht. Bevor ich ... in den Unterricht muss.", meinte Mia leise, schluckte und richtete sich auf.

"Ich ... finde die anderen nicht mehr und kenn' den Weg zur Kantine noch nicht und ich dachte, dass ... du ihn mir vielleicht noch mal zeigen könntest?", fragte sie vorsichtig und Katelyn wusste sofort, dass Mia ihr eine Chance bot, aus dem Zimmer raus und von Aiden, Ben und Danni weg zu kommen.

Katelyn hätte sich gerne zu Aiden umgedreht und ihn angesehen, doch sie wusste, dass Aiden sie mit diesem ruhigen, nichtssagenden Blick ansehen würde und das ertrug sie jetzt nicht.

Sie verstand ja noch nicht einmal, was genau gerade alles passiert war, seit sie aufgewacht war. Es war alles irgendwie so... surreal.

"Klar. Lass uns gehen.", meinte sie nur, griff Mias Hand und zog sie aus dem Zimmer.

"Warte! Was ist mit Aiden?", fragte Mia und blieb stehen.

Katelyn sah sie an und sah dann Aiden an.

"Aiden hat keine Zeit. Er hat beschlossen, dass Danni ihm wichtiger ist als wir.", meinte sie kalt, wandte sich ab und ging.

Mia klappte der Mund auf, sie sah Aiden mit großen Augen an, doch als Aiden nicht reagierte, drehte sie sich weg und lief zu Katelyn, die außer Sichtweite des Zimmers auf sie gewartet hatte, und verbarg ihre Tränen an Katelyns Schulter.

Katelyn ließ sich gegen die Wand sinken und ging in die Knie, hielt Mia fest und kämpfte ihre eigenen Tränen nieder.

Sie hätte Mia gerne getröstet, doch sie wusste nicht, wie.

Sie hatte gelernt, wie man mit Schmerz, egal, ob körperlich oder seelisch, umgehen konnte. Wie man ihn verdrängen konnte. Doch Mia wusste nichts davon. Und selbst Katelyn hatte Schwierigkeiten damit, diese Techniken erfolgreich anzuwenden.

"Es wird alles gut, Mia. Wir kriegen das wieder hin.", flüsterte Katelyn und hoffte, dass sie sich nicht irrte.

Mia sah sie an, die Tränen liefen ihr immer noch über das Gesicht.

"Und wie? Aiden hat mich angesehen, als wäre ich ihm egal.", flüsterte sie.

Katelyn wollte etwas sagen, doch kamen keine Worte aus ihrem Mund. Sie blieb stumm, denn sie fand nicht die richtigen Worte.

"Lass uns gehen.", flüsterte Katelyn leise und stand auf.

"Du musst zur Schule."

Mia nickte und folgte ihr.

"Okay."

Schweigend gingen die beiden nach draußen und Katelyn blinzelte gegen das Sonnenlicht.

Es war allerschönstes Wetter, der Himmel war blau, die Sonne schien warm vom Himmel und überall grünte und blühte es.

Katelyn wäre am Liebsten durchgedreht.

Sie spürte, wie es sie in den Fingern juckte. Sie wollte auf irgendetwas einschlagen, irgendetwas tun, um sich abzureagieren, doch erst musste sie sich um Mia kümmern.

Seufzend blieb sie stehen.

"Mia, warte kurz."

Mia blieb stehen und sah zu ihr auf.

"Alles okay bei dir?", fragte sie und ging vor Mia in die Knie.

Mia nickte, zögerte dann und sah Katelyn vorsichtig an.

"Muss ich weiterhin bei Aiden trainieren?"

Katelyn sah sie an und konnte sehen, wie sehr sie an Aidens abweisender Haltung zu knabbern hatte.

"Er ist dein Trainer, Süße."

"Ich will aber nicht mehr bei ihm trainieren. Nicht, wenn er so... so..."

"... ruhig ist?", schlug Katelyn vor und Mia nickte.

"Er ist unheimlich, wenn er so ist."

Katelyn war erstaunt, dass selbst Mia, die ihn erst ein paar Tage kannte, fand, dass er komisch war, wenn er so war, wie er gerade war.

Katelyn atmete tief durch, um nicht wieder zu seufzen, stand wieder auf und hielt Mia ihre Hand hin.

"Ich schau mal, was sich machen lässt. Aber jetzt komm, sonst musst du in die Schule, ohne was gefrühstückt zu haben."

Sie lächelte Mia an und Mia nahm ihre Hand.


Nachdem Katelyn mit Mia frühstücken war und sie zur Schule gebracht hatte, hatte sie überlegt, wo die Wahrscheinlichkeit, Aiden zu begegnen, am Geringsten wäre, und entschied sich für die Sandbahn, die um den größeren der zwei Sportplätze lief.

Aiden hasste diesen Sportplatz, weil er meinte, dass dort nur Idioten und Angeber trainierten und weil Katelyn bisher nur mit ihm trainiert hatte, war sie auch noch nie dort gewesen. Doch dieses Mal war sie alleine.

Sie fing an, zu laufen, und überlegte, was sie tun sollte.

Danni hasste sie und glaubte, Aiden würde sie lieben.

Aiden liebte sie nicht.

Doch er hatte nichts gesagt.

Er hatte nicht sie, sondern Danni unterstützt.

Und Mia hatte mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmte.

Katelyn spürte, wie sie langsam zu keuchen begann, doch sie dachte nicht daran, langsamer zu laufen. Sie musste sich bewegen, um klar denken zu können.

Dieser Streit, oder was auch immer das zwischen ihr und Aiden war, war etwas, dass sie nicht kannte.

Aiden und sie hatten noch nie gestritten. Nicht so heftig.

Nicht so, dass sie ihn nicht ertragen konnte.

Und noch nie hatte jemand sie einer Sache beschuldigt, die so absurd war, wie das, was Danni ihr vorwarf.

Und noch nie hatte es jemand für nötig gehalten, sie als Schlampe zu bezeichnen.

Und das Schlimmste war:

Mia war auch betroffen, obwohl sie gar nichts dafür konnte.

Und auch wenn es Katelyn nicht passte, musste sie zumindest das wieder gerade biegen.


Als sie so viele Runden gelaufen war, dass sie sich vollkommen erschöpft fühlte, was bedeutete, dass sie keine Energie mehr hatte, um zu viel nachzudenken, fühlte sie sich halbwegs dazu bereit, mit Aiden zu reden.

Sie wusste, dass die Chance, ihn ohne Danni zu treffen, am höchsten war, solange Danni im Unterricht sein sollte. Dennoch war es möglich, dass sie gerade bei ihm war, doch dieses Risiko musste sie eingehen.

Anstatt sich erst zu duschen und sich umzuziehen, ging Katelyn sofort zurück zu den Wohnhäusern.

Sie wusste, dass Aiden nicht in seinem Zimmer oder der Trainingshalle war.

Denn wenn alle anderen, und auch Mia, im Unterricht waren, hatte er Zeit, Klavier zu spielen.

Lautlos näherte sie sich dem Aufenthaltsraum, in dem der Flügel stand, und hörte schon von weitem die Musik. Doch es war keine Melodie, die sie kannte.

Diese Melodie, die Aiden spielte, klang irgendwie schwerer, dunkler.

Es war keine Melodie, die Katelyn gefiel, denn bisher hatte Aiden nur leichtere, schönere und schnellere Melodien gespielt, bei denen es Spaß machte, zuzuhören.

Diese Melodie passte nicht zu Aiden, auch wenn sie auf eine niederschmetternde Weise schön war.

"Wir müssen reden.", meinte Katelyn und blieb mit verschränkten Armen im Türrahmen stehen.

Im Gegensatz zu sonst sah Aiden nicht auf und sie an, sondern starrte weiter auf die Tasten, ohne sie wirklich zu sehen.

"Woher wusstest du, wo ich bin?", meinte Aiden nur und spielte weiterhin diese dunkle Melodie.

Katelyn überging seine Frage einfach.

"Mia will nicht mehr von dir trainiert werden, nachdem sie das heute Morgen mitbekommen hat. Nachdem du sie angesehen hast, als wäre sie dir egal. Nachdem sie jetzt glaubt, Danni wäre dir wichtiger als irgendetwas anderes."

Aiden seufzte und seine Finger wurden etwas langsamer, doch ganz stoppte er nicht.

"Und jetzt?"

"Wirst du mit ihr reden. Du wirst ihr erklären, warum du Danni uns vorziehst. Du wirst ihr erklären, was das zwischen Danni und dir ist. Und du wirst ihr erklären, dass eure Liebe, die ja so unsagbar echt und wirklich ist, nichts daran ändert, dass du sie trainierst."

Obwohl Katelyn sich alle Mühe gab, ihre Wut raus zu halten und Aiden nicht merken zu lassen, wie verletzt sie war, wusste sie, dass sie es nicht ganz schaffte.

"Und lass dir lieber was gutes einfallen, wie du ihr erklärst, warum sie immer nur noch einen von uns sehen wird."

Aiden drehte sich zu ihr um und sah sie wütend an.

"Und was soll ich ihr dazu bitte sagen? Die Wahrheit?"

Katelyn zuckte nur mit den Schultern.

"Kannst du das denn überhaupt? Die Wahrheit sagen? Ich dachte, du windest dich lieber mit Halbwahrheiten irgendwie raus.", antwortete Katelyn und sah ihn herausfordernd an.

Aiden sah sie an und atmete tief durch.

"Du bist nicht besser. Nur ein paar Tage, nachdem wir zurück sind, taucht Ben hier auf und du willst mir erzählen, du wüsstest nicht, warum? Komm schon. Inzwischen weiß jeder, dass er hier ist, um dich zu vög ..."

Bevor Aiden den Satz beenden konnte, war Katelyn mit zwei schnellen Schritten bei ihm, packte ihn an seinem T-Shirt und knallte ihn mit voller Wucht auf den Flügel, sodass der Deckel zuschlug und die Beine ächzten.

"Zwischen Ben und mir ist absolut nichts. Und nur, weil er etwas will, heißt das noch lange nicht, dass er es auch bekommt.", zischte Katelyn wütend und funkelte Aiden an.

Dann erinnerte sie sich daran, dass sie in friedlicher Absicht gekommen war, schloss die Augen, atmete tief durch und lockerte ihren Griff wieder. Sie ließ Aiden los und trat vom Klavier zurück.

"Rede mit Mia. Sie mag dich und sie ist verletzt. Außerdem magst du sie auch, auch wenn du es niemals zugeben würdest. Und ich könnte wetten, dass du mehr darunter leiden würdest, sie nicht mehr trainieren zu können, als sie. Erzähl ihr meinetwegen, was du willst. Halbwahrheiten, ganze Lügen, vollkommen egal. Aber krieg' es wieder hin.

Und in Zukunft machen wir es so, dass du sie von der Schule abholst und mit ihr trainierst. Punkt fünf stehe ich vor der Halle und warte auf sie. Und alle sind glücklich."

Aiden kam vom Klavier runter und sah sie an.

"Was ist mit unserem Training? Wir sind ein Team."

Katelyn lächelte abfällig und sah ihn an.

"Wir sind kein Team mehr. Auf dem Papier noch, aber das war's. Du kannst ja mit Danni trainieren."

Damit drehte sie sich um und ließ Aiden alleine zurück.

Das komische war nur, dass sie sich fühlte, als hätte sie mehr als nur Aiden zurück gelassen.












Kapitel 14 : Graue Schatten


In ihrem Zimmer angekommen, zog Katelyn ihren verschwitzten Pulli aus, warf ihn in die nächstbeste Ecke und ließ sich auf ihr Bett fallen.

Sie sah das Loch, das Ben in ihren Putz geschlagen hatte und ihr fiel wieder ein, dass sie eigentlich gar nicht wusste, warum es da war.

Langsam stand sie wieder auf, trat zur gegenüberliegenden Wand, an der auch der Tisch stand, und betrachtete das Loch. Es sah aus, als ob es aus ziemlicher Wut heraus entstanden war, doch das war nicht weiter verwunderlich. Aiden und Ben waren schließlich beide gleichzeitig in diesem Raum gewesen.

Vorsichtig fuhr Katelyn mit ihren Fingern der rechten Hand die Umrisse des Loches nach und seufzte dann.

Jetzt hatte ihr Zimmer wenigstens eine persönliche Note.

Etwas unverwechselbares.

Erst da fiel Katelyn das Blatt auf, das auf ihrem Tisch lag.

Es war ein Zeichenblatt aus dem Kunstraum, Din A 3, in der Mitte zusammen gefaltet.

Vorsichtig faltete Katelyn es auseinander und sah eine wundervolle, sehr detaillierte und exakte Bleistiftzeichnung.

Es zeigte sie, Katelyn, auf dem Gras sitzend beim Picknick, mit einem Apfel in der Hand und lachend. Aiden saß neben ihr, lachte und sah sie an.

Katelyn ließ sich auf den Stuhl sinken und starrte das Bild an.

Sie konnte nicht glauben, dass Mia dieses Bild gezeichnet hatte. Es war so detailliert und genau gezeichnet, dass Mia wirklich talentiert sein musste. All die Blumen auf dem Gras, die Grashalme an sich, die Bäume mit ihren Blättern und der Rinde und Aiden und Katelyn...

Alles war genau getroffen und fehlerfrei gezeichnet.

Mia hatte nicht ein einziges Mal radiert.

Mit einem liebevollen Lächeln strich sie über die Zeichnung.

Doch bei Aidens Gesicht stockte ihr Finger.

Dieses Picknick war erst etwas über vierundzwanzig Stunden her. In dieser kurzen Zeit war so viel passiert, über das Katelyn gar nicht nachdenken wollte. Aidens und ihre Beziehung hatte sich komplett verändert seit dem Morgen und sie wusste, dass es nie wieder so werden würde, wie es gewesen war.

Sie seufzte traurig und sah das Bild wieder an - und stutzte plötzlich.

Sie hatte schon gesehen, dass Aiden sie ansah, doch ihr war nicht aufgefallen, wie er sie ansah.

Aiden war ihr zugewandt, er sah glücklich und zufrieden aus und schien wirklich mal entspannt zu sein.

Sein Blick war sanft, liebevoll und es sah aus, als ob Katelyn alles war, was Aiden in diesem Moment wahrnahm.

Es sah aus, als ob sie ihm wirklich etwas bedeuten würde.

Katelyn legte das Bild wieder auf den Tisch und seufzte traurig.

Nur, weil es auf dem Bild so schien, hieß das nicht, dass es auch so war.

Und spätestens seit diesem Morgen war es bestimmt nicht mehr so.

Schon in dem Moment, in dem sie es gesagt hatte, hatte sie gewusst, dass es unfair gewesen war. Doch sie hatte ja nichts gesagt, das nicht stimmte.

Aiden hatte versucht, sie zu küssen.

Sie hatte es lediglich verallgemeinert.

Allerdings hatte Aiden auch nicht gelogen. Er hatte schließlich kein anderes Mädchen geküsst.

Entschlossen schüttelte Katelyn den Kopf, nahm das Bild vom Tisch, faltete es wieder zusammen und ungefähr auf die Größe eines Din A 5- Blattes und schob es tief zwischen ihre Sachen ganz hinten im Schrank. Sie wollte nicht, dass es jemand fand.

Dann nahm sie ihren Pulli, schmiss ihn in die Wäsche und nahm einen dünneren aus dem Schrank. Sie hatte noch Stunden, bevor sie wieder zu Mia konnte, und wusste nicht, was sie tun sollte. Doch sie konnte auf keinen Fall alleine in ihrem Zimmer bleiben.

Sie lief die Treppe runter, zögerte an Aidens Stockwerk kurz, doch Aiden war nicht in seinem Zimmer, sie wusste es, und es nützte nichts, dort zu stehen.

Langsam ging sie weiter und überlegte sich, wo sie hin gehen wollte. Laufen war sie schon und sie hatte noch nie Lust auf Ausdauerübungen gehabt. Blieb nur noch die Halle und die dortigen Trainingsmöglichkeiten.


Als Katelyn die Halle betrat, sah sie sich nach allen Seiten um und atmete tief durch, als sie weder Aiden noch Danni sah. Anstatt in die Mitte zu gehen und sich dort aufzuwärmen, ging sie in den hinteren Teil an den Rand und wärmte sich dort auf.

"Hey, Katelyn."

Katelyn saß auf dem Boden und dehnte sich, sah auf und Marco stand vor ihr.

"Äh ... Hey."

Marco ging in die Knie und seufzte.

"Eigentlich ... dürfte ich gar nicht mehr mit dir reden."

"Danni?", fragte Katelyn und umfasste mit ihren Händen ihre Füße.

"Jap. Keine Ahnung, was mit ihr los ist."

"Oh, ich schon.", meinte Katelyn und zog die Beine an.

"Sie hasst mich. Weil sie Aiden für sich haben will. Allerdings steh ich ihr dazu im Weg."

Marco setzte sich und seufzte.

"Ich mag Danni und Aiden beide. Wirklich. Allerdings nur getrennt. Zusammen sind sie einfach ..."

"... unausstehlich?", schlug Katelyn vor und Marco lächelte.

"Genau. Sie passen einfach nicht zusammen. Außerdem hatte ich immer geglaubt, Aiden würde sich für eine andere interessieren."

"Für wen?", fragte Katelyn vollkommen überrascht und sah Marco an.

Marco lachte und sah sie an.

"Wenn es dir nicht aufgefallen ist, werde ich es dir nicht sagen."

Katelyn sah ihn an und schmollte.

"Findest du, dass ich keine Ahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen habe?", fragte sie Marco leise und sah ihn nicht an.

"Sagt Danni das?"

Katelyn nickte und begann, ihre Arme zu dehnen.

"Nimm's nicht so schwer, was Danni sagt. Sie will Aiden für sich haben und will nicht einsehen, dass das nicht geht."

"Tja, jetzt hat sie ihn für sich.", meinte Katelyn und dehnte ihre Arme, in dem sie einen von oben über ihre Schulter auf den Rücken legte und den anderen von unten, die Finger einhakte und zog.

"Katelyn, komm schon. Aiden ist dein Partner. Und ihr kennt euch seit 12 Jahren. Er ist dein bester Freund."

Katelyn schnaubte.

"Hat Danni dir erzählt, dass sie mir eine gewischt hat, weil ich die Wahrheit gesagt habe, während Aiden es nicht getan hat?", fragte Katelyn und Marco schüttelte den Kopf.

"Oder dass Danni mir unterstellt hat, ich wäre eine Schlampe? Oder dass ich mich an Aiden und Ben ran machen würde?"

"Wer ist Ben?", fragte Marco, doch Katelyn winkte ab.

"Unwichtig. Das würde jetzt zu weit führen. Hat sie dir das auch erzählt oder hat sie das weg gelassen?"

"Davon hat sie natürlich nichts erwähnt.", gab Marco zu und setzte sich neben sie.

Katelyn hörte auf, sich zu dehnen, seufzte traurig und lehnte sich neben Marco an die Wand.

"Was soll's. Sie hat ja jetzt, was sie wollte. Es ist sowieso so viel heute Morgen passiert ... Ich versteh' gar nicht alles davon. Ich meine, ich war da, ich hab's gehört und gesehen und so, aber ... Es war irgendwie so anders. Bevor Danni mehr oder weniger in mein Zimmer gestürmt kam, war Aiden noch auf meiner Seite und dann ... dann hat er überlegt, ob er sie mich noch mal schlagen lassen soll."

Marco wollte etwas sagen, um sie aufzumuntern, doch ihm fiel nichts mehr ein.

"Scheiße nochmal. Ich wünschte, ich hätte Danni Aiden nie vorgestellt."

Katelyn lachte leise.

"Glaubst du wirklich, dann wäre irgendetwas anders? Komm schon. Selbst wenn du die beiden nicht einander vorgestellt hättest, hätte Danni irgendwann ein Auge auf ihn geworfen. Außerdem wäre es sonst schwierig für uns geworden, in den Gruppenkurs für Einbrüche zu kommen. Und den hätte keiner von uns beiden verpassen wollen."

"Ja ... Der Kurs. Der war hammer. Aiden mit seinen Schlosskenntnissen, Danni mit ihren Ablenkungen, du mit deinen Einschleich - Ninja - Künsten und ich beim Beute raus tragen. Ein unschlagbares Team."

Marco lächelte sie an und Katelyn grinste.

"Genau. Aber sie stand schon damals auf ihn."

"Echt?", fragte Marco und sah sie an.

Katelyn nickte.

"Wieso ist mir das nicht aufgefallen?! Sie stand damals schon auf ihn? Wie alt waren wir da? Zwölf?"

Katelyn lachte.

"Nah dran. Vierzehn."

Marco sah sie an.

"Verdammt, war Danni frühreif. Da wollte noch nicht einmal ich was von Mädchen."

Katelyn lehnte den Kopf gegen die Wand, schloss die Augen und seufzte.

"Kommt mir das nur so vor oder war damals alles einfacher?"

"Nein, damals war es einfacher. Du musstest dir nicht solche Mühe geben, so zu sein, wie die 'Akademie' dich gern hätte. Die Hormone haben dir noch keinen Strich durch die Rechnung gemacht und die Pubertät tut ihr übriges."

Katelyn seufzte und lehnte sich gegen Marcos Schulter.

Marco lächelte und sah sie an.

"Und jetzt sage noch einer, du verständest nichts von zwischenmenschlichen Beziehungen."

"Das sagt nur Danni. Und Ben.", meinte Katelyn und seufzte.

"Okay, wer ist Ben?", fragte Marco erneut.

"Der da.", antwortete Katelyn und deutete zum Eingang, durch den gerade Ben kam.

"Wo kommt er her?", fragte Marco und sah Ben aus der Ferne her an.

"Er ist eindeutig zu alt, um noch hier zu sein."

"Außenstelle in dem Ort, in dem Aiden und ich unsere erste Mission hatten. Hält sich für ziemlich toll, auch wenn er es nicht ist. Kämpfen kann er, aber das war's dann auch schon."

"Aha. Und so wie er dich ansieht, hasst Aiden ihn. Als wärst du ein Stück Fleisch, das er will."

"Mich verträgt er nicht.", meinte Katelyn nur und Marco lachte.

"Das glaub' ich sofort."

Katelyn sah auf die Uhr und stand seufzend auf.

"Ich muss gehen. Aiden wird gleich mit Mia hier auftauchen und dann sollte ich besser schon ganz woanders sein."

Marco stand ebenfalls auf und sah sie an.

"Ich begleite dich noch nach draußen. Nur so zur Sicherheit."

Katelyn lächelte dankbar.

"Du weißt, dass das nicht nötig wäre?"

"Ja. Aber ich will auch raus."

"Klar ...", murmelte Katelyn und ging los.

Als Ben sie und Marco sah, verengten sich seine Augen, doch er blieb, wo er war.

"So, sicher nach draußen gebracht. Und nur, damit du es weißt : Ich rede nochmal mit Danni. Wir beide waren zuerst befreundet. Sie kann mir nicht verbieten, mit dir zu reden."

"Da bin ich aber beruhigt.", meinte Katelyn und lächelte.

"Hey, du warst das erste Mädchen, dem ich den Apfel nicht weg nehmen konnte.", meinte Marco und Katelyn musste laut lachen.

"Ich hab' dir ganz schön eine verpasst, als du es versucht hast."

"Und als ich dich schlagen wollte, um mich zu revanchieren, stand Aiden, der einzige, den ich damals schon respektierte, plötzlich vor dir und du kleiner Pimpf scheißt ihn zusammen, was er sich eigentlich einbildet."

"Ich hatte schon damals einen dicken Kopf.", meinte Katelyn.

"Und Aiden hat schon damals immer auf dich aufgepasst."

"Und ich hab' ihm damals schon immer meine Meinung gesagt ...", murmelte Katelyn, blieb stehen und drehte sich zu Marco um.

"Das sollte ich wieder machen."

Marco sah sie an.

"Hast du das nicht schon?"

"Offensichtlich nicht deutlich genug."

"Was brauchst du dafür?", fragte Marco und sah sie an.

"Dannifreie Zeit. Heute Abend. Ab neun."

Marco grinste und nickte.

"Alles klar."

Katelyn lächelte.

"Danke. Ich muss jetzt los."

Marco nickte und konnte nicht aufhören, zu grinsen.

"Zeig's ihm heute Abend. Mach ihn zur Sau. Und sorg' dafür, dass unser Leben wieder angenehmer wird."

"Alles klar.", meinte Katelyn grinsend und ging.


Auf dem Weg zu ihrem Zimmer spürte Katelyn, dass sie verfolgt wurde. Doch als sie sich umdrehte, sah sie niemanden. Langsam lief sie weiter, wurde aber aufmerksamer und behielt ihre Umgebung genauer im Auge.

Wer auch immer ihr folgte, ließ sich nicht blicken.

Katelyn war sofort klar, dass der Mann im Trenchcoat, der Aiden angegriffen hatte, ihr folgte.

Alle anderen hätte sie schon längst entdeckt oder abgehängt.

Doch diesen Schatten wurde sie einfach nicht los.

Als sie am Wohnhaus ankam, blieb sie in der Lobby stehen und drehte sich um. Vollkommen aufrecht und selbstbewusst sah sie nach draußen und beobachtete alles genau. Doch mehr als einen Schatten, der sich davon schlich und zwischen einer Baumgruppe verschwand, sah sie nicht.

Genervt drehte sie sich um und ging auf ihr Zimmer.

Einen Moment lang überlegte sie, ob sie Aiden warnen sollte, doch sie beschloss, dass sie keine Lust mehr hatte, noch einmal in die Trainingshalle zu rennen.

Wenn sie den Schatten noch einmal sehen sollte, konnte sie Aiden auch noch später warnen.

Denn warnen würde sie ihn. Wenn es nötig sein sollte.

Katelyn sprintete die Treppe bis in ihr Stockwerk hoch und eilte in ihr Zimmer. Sie kontrollierte kurz, ob jemand versucht hatte, ihre Tür zu knacken, doch konnte sie nichts fest stellen. Also öffnete sie ihre Tür und betrat ihr Zimmer. Einen Moment blieb sie stehen und lauschte, doch sie hörte nichts. Erleichtert trat sie ganz ein und schloss die Tür hinter sich. Aiden hatte Mia gerade abgeholt und war vermutlich gerade auf dem Weg in die Trainingshalle. Also musste Katelyn sich für die nächsten Stunden von der Trainingshalle fern halten, wenn sie Aiden, und möglicherweise auch Danni, aus dem Weg gehen wollte.

Mit langsamen, beinahe schleppenden Bewegungen ging Katelyn zum Schrank, holte sich frische Sachen und ging dann ins Bad. Das Pflaster, das Aiden ihr auf den Schnitt am Hals geklebt hatte, löste sie vorsichtig und schmiss es in den Müll.

Dann stützte sie sich auf das Waschbecken, atmete tief durch und sah sich ihren Hals im Spiegel genauer an. Sie hasste es, sich Wunden anzusehen. Vor allem blutende und ihre eigenen.

Die Wunde war verschorft und sah nicht so aus, als ob sie entzündet war. Zum ersten Mal fiel Katelyn auf, wie sauber, glatt und vor allem fein der Schnitt war. Das Messer musste eine Spezialanfertigung mit extra glatter und schmaler Klinge sein. Jedes andere Messer hätte einen breiteren Schnitt hinterlassen.

'Na ganz toll.', dachte Katelyn und wandte sich vom Spiegel ab.

'Ein von der 'Akademie' beauftragter Killer ist hinter Aiden her.'


Katelyn rubbelte sich gerade mit einem Handtuch die Haare ab, als es wie wild an der Tür klopfte. Sie sah kurz auf die Uhr und wusste, dass es nicht Aiden sein konnte, der ihr Mia bringen wollte. Also legte sie das Handtuch zur Seite, schüttelte die Haare kurz auf und lief zur Tür.

"Wer ist da und was willst du?", fragte sie und lehnte sich gegen die Wand neben der Tür.

"Seit wann bist du so misstrauisch geworden?", kam es von der anderen Seite der Tür und Katelyn erkannte Ben sofort.

"Seit ich die Tür das letzte Mal ohne zu fragen geöffnet habe und ein Arsch vor mir stand.", antwortete Katelyn und lehnte sich gegen die Tür.

"Komm schon, Katelyn. Mach die Tür auf, lass mich rein und lass uns reden."

"Ähm ... Nein. Ganz eindeutig nicht. Wenn du reden willst, lass uns so reden."

Katelyn setze sich mit dem Rücken an die Tür gelehnt auf den Boden und wartete.

Sie hörte, wie Ben seufzte, sich aber ebenfalls setzte.

"Wer war der Typ in der Trainingshalle?"

"Dannis Partner. Ein guter Freund von mir. Er heißt Marco. Was machst du wirklich hier? Warum bist du her gekommen? Und erzähl mir nicht, du hast das alles auf dich genommen, nur weil du mit mir schlafen willst. Becca ist nicht dabei, was bedeutet, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Also?"

Ben schlug den Kopf gegen die Tür und seufzte.

"War klar, dass es dir auffallen würde."

Katelyn erwiderte nichts dazu, sondern wartete einfach.

"Ich hab' Mist gebaut. Deshalb bin ich hier. Es ist eine Art ...

Strafe

.

"Und bis dahin wolltest du dich amüsieren? Mit mir?", fragte Katelyn und lauschte wieder.

"Du klingst nicht wütend.", stellte Ben fest und Katelyn biss sich auf die Unterlippe.

"Bin ich auch nicht. Ich spiel ja nicht mit."

Ben seufzte traurig.

"Ich würde wirklich gerne mit dir schlafen.", flüsterte er und Katelyn schnaubte, überging aber sonst seine Aussage.

"Warum hast du Mist gebaut? Was genau hast du getan?"

Ben schwieg und Katelyn wartete.

"Als ... Aiden und du ... bei uns wart und ihr ... diesen Mann ausgeschaltet habt ... sind Becca und ich doch reingestürmt gekommen. Und ich habe ... wohl ein bisschen zu fest und zu oft zu geschlagen ..."

Katelyn spürte, wie sie sich verkrampfte.

Sie hatte wieder die Bilder im Kopf, wie Malik blutend vor ihr lag und sie spürte sofort, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie hob die Hände, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen und sah, wie sehr ihre Hände zitterten. Augenblicklich ballte sie ihre Hände zu Fäusten und vergrub sie in ihrem Schoß.

Sie konnte das nicht schon wieder.

Sie wollte sich nicht schon wieder daran erinnern.

Und sie wollte sich nicht schon wieder schuldig fühlen.

Obwohl sie versuchte, stumm zu bleiben, schluchzte sie einmal hörbar.

"Katelyn? Weinst du etwa?", fragte Ben irritiert und stand auf.

"Nein, tu ich nicht. Ich ... ich ..."

Sie seufzte und hielt die Luft an, um sich zu beruhigen.

"Mir geht's gut. Ich bin nur ..."

Katelyn seufzte erneut.

"Vergiss es. Ist sowieso egal. Geh einfach wieder und such' dir was anderes, um dich zu amüsieren. Und ich sagte was, nicht jemanden.", flüsterte sie und stand auf ihrer Seite der Tür auf.

"Katelyn, komm schon. Was ist los?"

"Geh einfach, Ben. Ich bin nicht deine Angelegenheit und ich werd' mit meinen Problemen selber fertig. Danke."

Sie ging von der Tür weg und setzte sich an den Tisch.

Sie konnte hören, wie Ben zögerte, doch schließlich ging. Auch wenn er noch nicht aufgegeben hatte.

Katelyn legte den Kopf auf den Tisch und starrte die Uhr an. Es war gerade kurz nach zwei und Katelyn hatte den ganzen Mittag noch nichts gegessen. Sie überlegte, ob sie etwas essen wollte oder Hunger hatte, doch sie verspürte keinen Hunger.

Sie überlegte, ob sie raus gehen wollte, doch sie wusste nicht, was sie dann tun sollte. Trainiert hatte sie schon, mit Marco geredet hatte sie schon und sie hatte sogar schon mit Ben geredet. Mit Aiden würde sie heute Abend reden. Geduscht hatte sie schon und ihre Wunde hatte sie auch gereinigt. Seufzend stand sie auf und ging wieder ins Bad. Ihre Haare waren noch nass und sie wollte ihre Wunde wieder verbinden, um Desinfektionen zu vermeiden. Normalerweise hätte sie dafür nur ein paar Minuten gebraucht, doch sie blieb beinahe eine viertel Stunde im Bad. Und dann hatte sie ihre Haare noch immer nicht geföhnt.

Sie stand im Bad vor dem Spiegel, stützte sich auf das Waschbecken und versuchte, die Tränen, die ihr noch immer über das Gesicht liefen, endlich unter Kontrolle zu bekommen. Doch sie wollten nicht aufhören.

Bens Geständnis, weshalb er wirklich an der 'Akademie' war, hatte alles von dem Tag wieder in ihr wachgerüttelt.

Wenn Ben bestraft werden sollte, weil er sich zu sehr eingemischt hatte, würde das bedeuten, dass der ganze Fall untersucht werden würde.

Katelyn zuckte zusammen und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Wenn der Fall untersucht werden würde, würde das bedeuten, dass Malik auch hier war.

Jedenfalls sein Körper.

Und das würde bedeuten, dass ...

Katelyn wusste, dass sie zitterte, auch wenn sie sich am Waschbecken fest hielt und ihre Arme anspannte.

Maliks Körper in der 'Akademie' würde bedeuten, dass Mia sich verabschieden konnte.

Sobald sie wusste, dass er tot war.

Katelyn atmete tief durch und überlegte, ob sie das wirklich tun wollte.

Es würde Mia das Herz brechen und Katelyn würde ihr die ganze, grauenhafte Wahrheit sagen müssen.

Doch das hätte sie sowieso irgendwann tun müssen.

Nur wollte sie es wirklich jetzt schon tun?

Mia war erst zehn, sie lebte sich gerade erst ein und jetzt zu erfahren, dass ihr Vater auf Befehl der 'Akademie' hin von ihrer Halbschwester getötet worden war ...

Das würde sie nicht verkraften.

Langsam und kontrolliert löste Katelyn ihre Finger vom Waschbecken, klebte sich schnell wieder etwas auf den Schnitt und rannte aus dem Zimmer.

Sie würde Aiden fragen, was er dachte.

Er kannte Mia fast so gut wie sie.

Wenn er glaubte, sie könnte es überstehen, würde sie Mia die Wahrheit sagen.

Aber wenn nicht, würde Mia noch auf die Wahrheit warten müssen.


Am Eingang zur Trainingshalle blieb Katelyn stehen und sah durch die Glastür in die Trainingshalle. Sie wollte nicht einfach rein gestürmt kommen und Danni gegenüber stehen.

Sie sah, wie Aiden mit Mia auf den Matten übte - und Danni direkt neben ihnen stand.

Als Mia eine der Übungen nicht ganz richtig begann, sagte Danni etwas zu ihr und Mia warf ihr einen tödlichen Blick zu, den Danni aber gar nicht mehr sah, weil sie Aiden küssen musste.

Stöhnend stieß Katelyn die Tür auf und ging so selbstbewusst und ruhig wie möglich zu Aiden und Mia.

"Hey, Mia. Das sieht super aus. Aber streck' die Arme nicht ganz so durch, dann wird es nicht so schnell anstrengend.", meinte sie lächelnd zu Mia und drehte sich zu Aiden um.

"Katelyn.", meinte Danni und klammerte sich an Aidens Arm, als würde der ihr das Leben retten.

"Was willst du hier?"

Katelyn stemmte ihre Hände in die Hüften und sah Danni an.

"Mit Aiden reden. Ohne dich. Und hör auf, dich in Mias Training einzumischen. Aiden ist ihr Trainer, nicht du. Wenn sie etwas falsch macht, wird Aiden ihr das schon sagen, nicht wahr?"

Sie sah zu Aiden und Aiden seufzte, legte seine Arm um Danni und sah Katelyn an.

"Was ist?"

Anstatt zu antworten, schnappte Katelyn sich seine Hand und schleifte ihn von Danni weg.

"Hey, was ...? Was soll das?", fragte er wütend und riss sich los.

"Mias Vater ist hier. Also sein Körper. Sein ... toter Körper. Und ich dachte, dass ... Mia sich vielleicht ... von ihm verabschieden sollte."

"Du willst Mia ihren toten Vater sehen lassen? Nachdem wir Schuld an seinem Tod sind?", flüsterte Aiden aufgebracht und zog sie noch ein Stück von den anderen weg.

"Genau genommen habe ich Schuld an seinem Tod, aber das ist ja Nebensache.", murmelte Katelyn und atmete tief durch.

"Aber ja, genau das habe ich vor. Sie ahnt schon, dass er tot ist. Wenn wir ihr jetzt nicht die Wahrheit sagen, wird sie es irgendwann von jemand anderem erfahren und uns das nie verzeihen."

"Und warum fragst du mich dann erst? Wenn du es für so eine geniale Idee halten würdest, hättest du es einfach gemacht, anstatt mich zu fragen.", meinte Aiden bissig.

Katelyn biss die Zähne zusammen und sah Aiden wütend an.

"Weil ich mir nicht sicher bin, ob sie es wirklich schon verkraften würde. Und da du ihr Trainer bist, dich um sie gekümmert hast, als sie eingefangen wurde, und sie ziemlich gut kennst ..."

Aiden drehte sich von ihr weg und seufzte.

"Woher weißt du überhaupt, dass er hier ist? Sein Körper, meine ich."

Katelyn biss sich auf die Lippe.

"Ben hat's mir erzählt. Er ist hier, weil er wohl ein paar Mal zu oft und zu fest zugeschlagen hat und sie das prüfen wollen."

Aiden wirbelte zu ihr rum und fixierte sie mit seinem Blick. Sein Blick war so direkt, dass Katelyn an die Wand zurück wich vor Schreck.

"Wenn sie den Fall überprüfen, könnten sie feststellen, wer ihn wirklich erschossen hat.", flüsterte er leise und kam immer näher auf Katelyn zu.

"Sollen sie doch. Du warst es. Du mit deiner Waffe. Alles andere interessiert sie nicht."

Katelyn klang nicht annähernd so sicher, wie sie klingen wollte.

"Katelyn, das ist nicht witzig."

Sie wollte etwas erwidern, doch Mia hinderte sie daran.

"Verdammt nochmal! Kate! Danni will mich die ganze Zeit korrigieren!"

Katelyn drückte sich an Aiden vorbei und lief zurück zu Mia und Danni, die gerade darüber diskutierten, wer von ihnen recht hatte.

"Hey, könntet ihr mal kurz ... ?

Mia ? Danni? Hallo?"

"Halt dich da raus, Katelyn! Das geht dich nichts an!", fuhr Danni sie an und griff nach Mias Arm.

Doch bevor sie Mias Arm greifen konnte, lag sie schon mit dem Rücken auf dem Boden und versuchte verzweifelt, wieder Luft zu holen.

"Ach nein? Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn du Mia trainieren willst. Oder ihr gegenüber handgreiflich wirst.", erwiderte Katelyn und sah Danni von oben her an.

Aiden trat neben Danni, reichte ihr die Hand und zog sie wieder hoch.

"Verdammt, Katelyn, musste das sein?"

"Sie hat mich auf den Boden geknallt. Einfach so!"

Sie verschränkte ihre Finger mit Aidens und hängte sich wieder an seinen Arm, Katelyn schaffte es gerade so, nicht laut aufzustöhnen, verdrehte aber die Augen.

"Ich will Mia doch nur helfen."

Mia und Katelyn schnaubten beide.

"Sie geht sie nichts an.", meinte Katelyn an Aiden gewandt und verschränkte die Arme.

"Schleim dich bei Aiden ein, wie du willst, ist mir egal, aber halt' dich von Mia fern."

Sie sah Danni wütend an.

Aiden funkelte Katelyn wütend an, doch sie ignorierte es.

"Lass sie in Ruhe. Du hast schon Aiden. Und von uns beiden bin ich eindeutig die bessere Kämpferin. Du solltest mich also besser nicht zu sehr reizen."

Katelyn nahm Mias Hand und sah Aiden an.

"Ich denke, sie hat für heute genug trainiert. Wir gehen jetzt."

"Katelyn ...", meinte Aiden warnend, doch Katelyn ignorierte es.

Zusammen mit Mia drehte sie sich um und verließ die Trainingshalle.


"Kate, was machen wir hier?", fragte Mia und sah sich um.

Sie wusste ganz genau, dass Katelyn sie in die Grauzone geführt hatte.

"Reden.", seufzte Katelyn und setzte sich in den Schneidersitz.

"Über?"

"Deinen Dad."

Mias Aufmerksamkeit sprang sofort komplett zu Katelyn und sie richtete sich auf.

"Was ist mit ihm?"

"Was glaubst du?", fragte Katelyn leise und Mia sah auf den Boden.

"Ben hat ihn ... geschlagen ...", flüsterte Mia leise und schluckte.

"Er hat ... wirklich schlimm geblutet ..."

Katelyn seufzte.

"Stimmt. Hat er.", gab Katelyn zu und sah sie an.

"Kate ... Ist er ... Ist er tot? Weil Ben ihn so schlimm geschlagen hat?", flüsterte Mia leise und sah wieder auf.

Katelyn sah sie an, seufzte traurig und nickte knapp.

"Ja. Er ist tot, Mia. Aber nicht, weil Ben ihn so geschlagen hat."

In Mias Augen traten Tränen, doch sie schaffte es, Katelyn fragend anzusehen.

"Was dann?"

Katelyn sah auf den Boden, rieb sich nervös die Hände an der Jeans trocken und setzte sich so, dass ihre Fersen unter ihrem Po waren.

"Er ... wurde erschossen, Mia. Und zwar ... nachdem du raus gebracht worden bist. Nachdem du schon geschnappt worden warst."

Mia wischte sich die Tränen von der Wange und sah Katelyn irritiert an.

"Warum weißt du das so genau?"

Katelyn atmete tief durch und sah Mia an.

"Weil ich dabei war, Mia. Weil ich ... ich diejenige war, die ihn erschossen hat."

Katelyn sah Mia an und bereitete sich innerlich auf alles vor.

Wutausbruch, Heulkrampf, Panikattacke, Hass ... Alles.

Aber nicht, dass Mia zu zittern begann vor Wut und trotzdem sitzen blieb.

"Warum? Wie konntest du das tun?", flüsterte sie leise und sah Katelyn direkt an.

"Wie konntest du meinen Vater töten und dich dann um mich kümmern, als ob nichts gewesen wäre?"

Mia ballte ihre Hände zu kleinen, zitternden Fäusten und sah Katelyn an.

"Das ist kompliziert.", murmelte Katelyn und seufzte.

"Aber wenn du mich lässt, werde ich versuchen, es dir zu erklären.", flüsterte sie und sah Mia an. Sie hatte gelernt, dass man Menschen in seinen Augen lesen lassen konnte. Oder sie eben aussperren konnte. Normalerweise ließ sie niemanden in ihren Augen lesen, doch dieses Mal musste sie Mia lassen, wenn sie wollte, dass Mia ihr glaubte.

Sie holte tief Luft, ließ die Augen offen, damit Mia sie ansehen konnte, und konzentrierte sich darauf, ihre automatischen Abwehrmechanismen auszuschalten.

Zögernd nickte Mia und wischte sich weitere Tränen aus dem Gesicht.

"Okay."

Katelyn sah ihre kleine Schwester an und fragte sich, wie es sein konnte, dass ein junges Mädchen, das gerade erfahren hatte, dass ihr Vater tot war, so ruhig und konzentriert da sitzen konnte. Obwohl es doch so eindeutig wütend und traurig war.

Und dann fiel Katelyn wieder der Erziehungsstil der 'Akademie' ein.

Erschrocken darüber, wie sehr Mia sich in diesen wenigen Tagen, die sie erst hier war, schon verändert hatte, lehnte sich Katelyn gegen den Baumstamm und sah Mia an.

"Durch Bens ... Eingreifen, wurde Malik schwer verletzt. Du hast ja ... das ganze Blut gesehen. Als ich zu ihm kam, war er schon fast mehr tot als lebendig, Mia. Ich habe mich neben ihn gekniet und versucht, ihm zu helfen, Mia. Aber seine Verletzungen waren schon zu schlimm. Er hatte unglaubliche Schmerzen, doch er wollte dich unbedingt beschützen, deshalb hat er nicht aufgegeben. Doch er hätte nicht überlebt, Mia. In keinem Fall. Er hat mich versprechen lassen, dass ich alles tue, um dich hier raus zu holen und mich gebeten, seine Schmerzen zu beenden. Er wollte nicht länger leiden, konnte er doch nichts mehr tun. Und glaub mir, hätte ich irgendeine andere Möglichkeit gesehen, hätte ich ihn gerettet. Er war beinahe so etwas wie ein Vater für mich, Mia. Ich konnte ihn aber auch nicht langsam und qualvoll sterben lassen."

Mia hatte Katelyn die ganze Zeit über angesehen. Jetzt sah sie auf den Boden zwischen ihnen.

"Im ... im Unterricht wurde gesagt, dass ... ein - ein ordentlicher Schuss schnell und ohne Schmerzen tötet.", flüsterte Mia und Katelyn konnte hören, wie sie mit den Tränen kämpfte.

"Stimmt. Während bei inneren Verletzungen, also Blutungen unter der Haut, der Tod erst nach ... einer langen Zeit eintritt."

Katelyn sah Mia an und seufzte.

"Mia, der Grund, warum ich dir das alles erzähle, ist der, dass ... du die Möglichkeit hättest, dich von deinem Vater zu verabschieden."

Mias Kopf schoss nach oben und sie sah Katelyn an.

"Sein ... Körper ist hier, in der 'Akademie'. Denn durch Bens Eingreifen in ... Aidens und meinen Fall ... hat er etwas getan, dass er nicht hätte tun sollen. Anstatt uns machen zu lassen und uns nur zu helfen, sollten wir Hilfe brauchen, hat er eingegriffen. Er hat Malik angegriffen, obwohl keiner von uns in Gefahr war und das hätte er nicht dürfen. Er hätte Malik nicht verletzen dürfen, schon gar nicht so. Deshalb will die oberste Leitung der 'Akademie' den Fall untersuchen und schauen, wie falsch sein Verhalten war, wie Ben bestraft werden soll und ob er bestraft wird. Deswegen ist Maliks Körper hier."

Katelyn sah Mia an.

"Und wenn du dich dazu bereit fühlst, wenn du dich stark genug fühlst ... würde ich dafür sorgen, dass du ihn ... sehen kannst. Dich verabschieden kannst."

Mia sah sie an und schien zu zögern.

Dann warf sie sich Katelyn in die Arme und Katelyn hielt sie fest.

Sie war froh darüber, dass Mia sie nicht vollkommen hasste und zu verstehen schien, warum sie das getan hatte, auch wenn sie sich das nicht vorstellen konnte.

„Hast du Aiden deshalb mit mir raus geschickt? Damit ich nicht sehe, wie Dad ...?", flüsterte Mia leise an ihrer Schulter und schniefte leise.

"Auch. Aber eben auch, weil Aiden nicht wissen darf, dass ich deinen Vater kannte. Oder deine Mutter kenne.", flüsterte Katelyn und strich Mia über das Haar.

"Das darf niemand wissen. Deshalb sind wir ja hier und reden hier. Weil uns hier niemand sehen oder hören kann."

Sanft schaukelte sie sich und Mia vor und zurück und hörte nicht auf, über Mias Locken zu streichen.

"Kann ich Daddy wirklich sehen?", fragte Mia leise und legte ihren Kopf an Katelyns Brust.

Katelyn küsste sie sanft aufs Haar und strich ihr über den Rücken.

"Wenn du willst, ja."

"Okay.", flüsterte Mia und Katelyn nickte.

Im Stillen beschloss sie, dafür zu sorgen, dass Malik möglichst schlafend aussehen würde.

Katelyn hielt Mia noch immer fest und sah über die Wiese. Ihr Blick blieb an einem der Bäume hängen, hinter dem sich ein grauer Schatten davon schleichen wollte.

Erschrocken hielt sie in der Bewegung inne und starrte den Schatten an.

Als würde er es merken, sah der Schatten sie an.

Katelyn spürte, wie sie Panik bekam, doch sie schaffte es, nicht weg zu sehen und ihn dadurch wissen zu lassen, dass sie etwas falsches tat.

Dann war der Schatten plötzlich weg und Katelyn blinzelte ein paar Mal.

"Mia, wir müssen gehen. Komm."

Katelyn stellte Mia wieder hin und stand auf.

"Komm, wir müssen zu Aiden."

"Warum?"

"Um Danni zu ärgern."

Mia grinste und Katelyn musste lächeln.

"Nein, wir müssen mit Aiden klären, wie wir das anstellen, dass du dich von deinem Dad verabschieden kannst. Alleine kann ich das nicht organisieren, also brauch' ich Aidens Hilfe."

Aidens Augen verengten sich misstrauisch, als er Katelyn mit Mia auf sich zu kommen sah. Er zog Danni enger an sich und Katelyn blieb stehen. Aiden küsste Danni kurz aufs Haar, flüsterte ihr schnell etwas ins Ohr und kam zu ihnen rüber.

"Hast du's ihr gesagt?", flüsterte er und sah Katelyn an.

"Ja. Und zwar alles. Und sie will ihn sehen."

Aiden schloss die Augen und atmete tief ein, hielt die Luft einen Moment in den Lungen und atmete dann ganz langsam und kontrolliert aus.

"Katelyn, das geht nicht."

"Wieso nicht?", fragte Mia und sah ihn an.

"Weil es zu gefährlich ist.", knurrte er und sah Mia an, doch Mia reckte entschieden das Kinn vor.

"Katelyn hat gesagt ..."

"Katelyn sagt eine Menge, wenn der Tag lang ist. Und einiges davon übersteigt jede Realität."

Aiden sah sie wütend an und Katelyn knirschte mit den Zähnen.

Ihr Trotz wurde geweckt und sie hatte immer noch ein ziemlich gutes, wenn auch wirklich hinterhältiges, Ass im Ärmel.

Sie legte ihre Hände auf Mias Ohren und trat näher zu Aiden.

"Wenn du mir nicht hilfst, frag' ich eben Ben. Der hilft mir bestimmt. Und zum Dank schlaf' ich mit ihm. Fairer Tausch, oder?"

Sie sah Aiden herausfordernd an.

Aidens Blick wurde so wütend, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Sein Mund war nur noch eine dünne Linie und sein Kiefer war extrem angespannt.

Doch Katelyn beeindruckte das gar nicht.

"Du sagtest doch, er sei nur deshalb gekommen, richtig? Nur, um mich zu vögeln."

Sie spuckte ihm das Wort entgegen und funkelte ihn wütend an. Es gab nichts, was sie mehr hasste, als dieses Wort und Aiden wusste das ganz genau. Und trotzdem hatte er es für sie benutzt.

Aiden zuckte minimal zurück und sein Blick verlor etwas von der Wut und wurde von schlechtem Gewissen ersetzt, doch es hielt nicht lange.

"Du fragst Ben nicht um Hilfe. Und du schläfst auch nicht mit ihm.", knurrte Aiden heiser und ballte seine Hände zu Fäusten.

"Das hast du nicht zu entscheiden."

"Katelyn, ich mein' es ernst."

"Ich auch, Aiden."

Katelyn nahm ihre Hände von Mais Ohren und sah sie an.

"Tu mir einen Gefallen und geh raus. Aiden und ich müssen reden."

Mia nickte, sah kur zu Aiden und ging nach draußen.

Als Mia draußen war, sah Katelyn wieder zu Aiden.

"Mia hat ein Recht darauf, ihren Vater ein letztes Mal zu sehen, Aiden. Wir können es nicht, aber sie kann es.", flüsterte Katelyn eindringlich und sah Aiden an.

Sie wusste, dass sie an seinen Familiensinn appellieren musste, wollte sie, dass er ihr half. Wenn sie wollte, konnte sie ihn wirklich mies manipulieren, mit dem, was sie alles über ihn wusste.

Aiden seufzte und fuhr sich nervös mit der linken Hand durchs Haar.

Dabei fiel Katelyn das Armband auf, das Aiden ums Handgelenk trug. Es war neu und eine Metallkette, an der ein kleines, rosanes Herz hing.

Es passte überhaupt nicht zu ihm.

Und es sah furchtbar lächerlich aus.

Doch Katelyn hielt die Klappe und sah weg.

"Wenn ich dir helfe, hörst du endlich mit dem, was auch immer zwischen Ben und dir läuft, auf. Und du lässt Danni in Ruhe.", verlangte Aiden und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Warum? Weil sie dir ein kleines rosanes Herz geschenkt hat? Oder etwa, weil du sie liebst? Das wäre noch witziger als das rosa Herz. Aber bitte, wie du willst."

Aiden sah sie einfach nur an, ohne etwas zu sagen.

"Heute Abend. Wenn es dunkel ist. Ich kümmer' mich darum, dass wir rein kommen, und du dich darum, dass wir nicht erwischt werden."

Aiden wollte sich umdrehen und gehen, doch Katelyn hielt ihn zurück.

"Was?", fragte Aiden und sah sie an.

Katelyn wollte ihn schon vor dem grauen Schatten warnen, doch dann ließ sie es und schüttelte nur den Kopf.

"Danke."

Aiden nickte und Katelyn ließ ihn los.

"Du bist schließlich du. Du bist dickköpfig und stur. Und ich kann nicht zulassen, dass du Mia deswegen in Gefahr bringst."

Katelyn schluckte und sah zu, wie Aiden zu Danni zurück ging.

Sie konnte nicht glauben, was Aiden gesagt hatte.

Ob er es ernst meinte oder nur gesagt hatte, um sie zu verletzen, wusste sie nicht.

Doch es hatte gesessen.

Danni kam Aiden entgegen, lächelnd, und küsste ihn.

Katelyn sah sie an und fragte sich, was um alles in der Welt das sollte.

Überall waren Kameras und eigentlich war es strengstens verboten, Gefühle zu zeigen.

Und doch stand Danni in der Trainingshalle und küsste Aiden, als wären sie in der normalen Welt.

Katelyn holte tief Luft, sah ein letztes Mal zu Aiden und drehte sich um.

Sie hatte genug für einen Tag.

Den Rest des Tages würde sie mit Mia irgendetwas schönes machen.

Irgendetwas, das nichts mit alldem zu tun hatte.


Einige Stunden, nachdem sie mit Aiden geredet hatte, stand Katelyn im Türrahmen des Aufenthaltsraumes des Neuankömmlings- Wohnhauses ( oder wie die älteren es gerne nannten : dem Laufstall, da nur dieses Haus eingezäunt war und dezent an einen überdimensionalen Laufstall erinnerte ) und beobachtete Mia, wie sie am Tisch saß und zeichnete.

Mia sah mit den Stiften in der Hand und dem Blatt vor sich so glücklich und entspannt aus, wie sie mit voller Konzentration zeichnete, dass Katelyn sie gerne ewig hätte zeichnen lassen. Doch die Sonne ging unter und sie mussten los. Aiden wartete vermutlich schon auf sie.

"Mia? Kommst du? Wir müssen los."

Mia sah auf und blinzelte kurz. Dann packte sie ihr Bild ein und kam zu Katelyn.

"Ich hab' ihm ein Bild gemalt. Kann ich ihm das da lassen?"

Mia nahm Katelyns Hand und sah sie an.

Katelyn seufzte und schüttelte den Kopf.

"Ich weiß es nicht, Mia. Wir müssen schauen."

"Daddy hat es immer geliebt, wenn ich ihm etwas gezeichnet habe.", meinte Mia und Katelyn lächelte.

"Glaub' ich dir sofort."

Ein Schatten löste sich vor ihnen aus der Dunkelheit und Katelyn zuckte zusammen, doch es war nur Aiden.

"Ihr seid spät dran.", meinte er und streifte Katelyn nur mit seinem Blick, während er die Tür mit einigen geschickten Kniffen aufbrach.

In nur wenigen Sekunden war die Tür auf und die drei standen vor einem dunklen, langen Korridor.

Mia schlich voran und keiner der beiden hielt sie auf.

"Mia hat gezeichnet. Ich konnte sie einfach nicht dort wegreißen.", flüsterte Katelyn leise und folgte Mia lautlos.

Mia wartete an der nächsten Ecke und sah sich nervös um.

"Mia, alles okay?", fragte Aiden und schob sie sanft hinter sich.

"Hm- hm.", machte Mia und Katelyn kniete sich neben sie.

"Sieh mich an."

Widerwillig hob Mia den Kopf und Katelyn seufzte.

"Bist du dir ganz sicher, dass du das machen willst, Mia? Wir können immer noch umdrehen und gehen."

Mia schüttelte entschieden den Kopf und atmete tief durch.

"Ich will das."

Katelyn erhob sich und bemerkte, dass Aiden sie ansah.

"Was ist?", fragte er.

"Sie ist blass und total nervös. Aber sie will unbedingt da rein."

Aiden sah sie vielsagend an und Katelyn schaffte es, nicht genervt die Augen zu verdrehen.

Sie kannte seinen 'Ich - hab's - dir - doch - gesagt' - Blick nur zu gut.

"Komm schon. Mal sehen, wie weit sie es noch schafft.", meinte Katelyn zickig und ging weiter.

Aiden seufzte, nahm Mias Hand und folgte ihr.

"Wir müssen die Treppe nach unten.", flüsterte er ihr leise zu und Katelyn stieß die Tür auf, ohne zu kontrollieren, ob es sicher war. Doch es war ihr egal und sie hatte Glück.

"Könntest du bitte das nächste Mal kontrollieren, ob da jemand ist, bevor du eine Tür öffnest? Wenn schon nicht für deine Sicherheit, dann wenigstens für Mias."

Katelyn warf ihm einen bösen Blick zu und lief weiter.

"Ich mein' ja nur.", murmelte Aiden.

"Wo jetzt lang?", fragte sie ihn leise, als sie an einer Kreuzung mit drei abzweigenden Gängen kam.

"Gerade aus. Und die viertnächste Tür links.", flüsterte er leise zurück und Katelyn schlich weiter.

Gerade, als sie die zweite Tür passieren wollte, hörte sie, wie sich in dem Raum jemand der Tür näherte.

"Verdammt!", flüsterte Aiden und sah Katelyn an.

Er zog Mia in den Schatten und Katelyn drückte sich neben der Tür an die Wand. Doch die Tür ging nicht auf.

Katelyn wartete angespannt und lauschte angestrengt. Sie hörte, wie sich zwei Stimmen gedämpft unterhielten und sich quälend langsam wieder von der Tür entfernten.

Erleichtert atmete Katelyn aus, sah zu Aiden und winkte ihn weiter.

Vor der Tür zum Raum, in dem die Kühlfächer waren, holte Aiden sie ein, hielt sie fest und zog sie ein Stück zurück, sodass sie mit dem Rücken seine Brust berührte, und beugte sich zu ihrem Ohr vor.

Die plötzliche Nähe zu Aiden, sein dezenter, nicht aufdringlicher, und dennoch angenehm maskuliner Duft stieg ihr in die Nase, und sie spürte, wie sich ihr Herzschlag erhöhte.

"Dir ist klar, dass das bedeutet, dass wir ab jetzt extrem vorsichtig sein müssen, oder? Wir sind hier nicht allein und wenn wir sie auf uns aufmerksam machen, kommen wir hier nicht mehr raus."

Katelyn schluckte und versuchte, ihre Handflächen unauffällig an der Hose abzutrocknen.

"Ich weiß. Und das werden sie nicht."

Entschlossen drückte sie die Tür auf und Mia betrat vorsichtig den Raum. Katelyn und Aiden folgten ihr und Aiden schloss hinter ihnen leise die Tür.

"Er ist wirklich hier?", fragte Mia und sah sich ängstlich in dem Raum um.

Der Raum war grau und das Licht weiß und schmerzhaft, wenn man zu direkt hinein sah.

An der Wand der Tür gegenüber waren vier quadratische Metalltüren untereinander und fünf Reihen nebeneinander. Sofort fragte sich Katelyn, für was die 'Akademie' zwanzig Fächer brauchte, in denen man Leichen aufbewahren konnte.

"Ja - in irgendeinem der Fächer.", meinte Aiden und ging zu der Wand.

Er begann, die oberen Fächer aufzuziehen und nach zu sehen, ob Malik darin lag.

Katelyn schloss die Tür, trat zu Mia und legte ihre Hände auf Mias Schultern. Mia zitterte, doch Katelyn war sich nicht sicher, ob vor Nervosität oder Kälte, denn es war ziemlich kühl.

"Katelyn."

Katelyn sah auf und traf Aidens Blick.

Sie war es nicht gewohnt, dass er sie Katelyn nannte, doch sein Blick sagte ihr mehr.

"Bleib hier, Mia.", murmelte sie leise, ließ sie los und trat neben Aiden.

Aiden schlug das Tuch zurück und Katelyn sah direkt in Maliks Gesicht.

Sie musste schwer schlucken und ballte ihre Hände zu Fäusten, um ruhig zu bleiben. Aiden schlug das Tuch wieder über sein Gesicht und trat zur Seite.

"Bist du sicher, dass du ihn wirklich sehen willst?", presste sie an Mia gewandt heraus und wandte sich von Maliks Körper ab.

Sie hatte ihn schon tot gesehen, und nackt und kalt mit einem weißen Leinentuch bedeckt wollte sie ihn nicht in Erinnerung behalten.

Mia nickte und trat näher zu der Barre, auf der Malik lag und Katelyn verspürte das Bedürfnis, sie daran zu hindern, sie fest zu halten, ihr die Augen zu zuhalten, Aiden zu sagen, dass er Recht hatte und das alles ein Fehler gewesen war, doch es war schon zu spät, als sie den Arm ausstreckte.

Mia stand bereits vor Malik, schlug das Tuch zurück, schrie vor Schreck und taumelte zurück.

Katelyn sprintete sofort zu ihr, zog sie an sich und hielt ihr den Mund zu, damit sie nicht noch einmal schreien konnte, doch es war schon zu spät.

"Verdammt!", zischte Aiden, als er die Schritte auf dem Gang hörte und sah zu Katelyn, die ihn ebenfalls mit vor Schreck leicht geweitete Augen ansah.

Normalerweise wusste Katelyn in jeder Situation mindestens drei Möglichkeiten, zu fliehen, oder wenigstens, was sie tun sollte, doch dieses Mal wusste sie nichts.

Sie hatte einfach nur Angst.

Und Aiden konnte es sehen.

Aiden sah sie an, sah ihr in die Augen, und schaffte es, eine Entscheidung zu treffen.

"Nimm Mia und stell dich hinter die Tür. Los!", flüsterte er leise und Katelyn tat einfach, was er sagte.

Sie schnappte sich Mia, nahm sie auf den Arm und stellte sich, wie Aiden gesagt hatte, direkt hinter die Tür, wo sie niemand sehen konnte.

"Aber was machst du?", fragte sie ihn tonlos, doch Aiden deutete ihr, ruhig zu sein.

Katelyn atmete durch den Mund, um die Tränen zurück zu halten, und beobachtete, wie Aiden vorsichtig eine Schale mit Obduktionsbesteck auf dem Boden verteilte, während die Schritte immer näher kamen.

Dann stützte er sich mit den Händen an der Wand ab, drückte die Schultern durch, dass es knackte, und atmete tief durch. Als die Tür aufging, stand er neben Malik und sah auf, als wäre er überrascht worden.

"Was machst du hier ? Du hast hier keinen Zutritt!", rief einer der beiden Männer, richtete seine 9- Millimeter auf Aiden, weshalb sein Sweatshirt verrutschte und Katelyn die lange Narbe an seinem Unterarm sehen konnte.

"Ich wusste nicht mehr, wo ich ihn getroffen habe. Ich wusste nicht mehr, ob ich zu weit links oder rechts getroffen habe. Ich musste es kontrollieren. Und Ben hatte erwähnt, dass er wegen irgendetwas hier wäre. Ich musste es einfach kontrollieren."

Der Mann, der als zweiter eingetreten war und noch nichts gesagt hatte, trat zu Aiden und betrachtete Malik.

"Der Schuss war doch perfekt. Genau mittig. Kurz und schmerzlos.", meinte er und trat wieder zurück.

"Eigentlich müssten wir dich melden. Du hast unbefugt dieses Gebäude betreten. Doch ausnahmsweise drücken wir ein Auge zu."

"Was?!", fragte sein Partner mit der Narbe und sah ihn an.

"Er hat gegen die Regeln verstoßen!"

Sein Partner, der die Waffe nicht gezogen hatte, verdrehte die Augen und sah seinen Partner mit schüttelndem Kopf an.

"Entspann dich, Seek. Das ist Aiden. Der Typ, der fast 7 Jahre jünger ist als du und von dem du schon vor zwei Jahren beeindruckt warst. Und der Kerl, der da liegt, ist der Kerl, den er umgebracht hat. Der erste Kerl, den er umgebracht hat."

Widerwillig gab sein Partner nach.

"Er muss hier jetzt trotzdem raus.", knurrte er und sah Aiden an.

"Er hat ja jetzt alles gesehen."

Aiden hob die Hände und nickte.

"Natürlich. Kein Problem."

Er ließ einen der beiden vor gehen und sah kurz aus den Augenwinkeln zu Katelyn, bevor er den Raum verließ. Katelyn hielt Mia fest an sich gedrückt und spürte, wie ihre Tränen in ihr T-Shirt sickerten, doch immerhin gab Mia keinen Ton von sich.

Katelyn tätschelte Mia liebevoll den Kopf, während sie auf die sich immer mehr entfernenden Schritte lauschte. Sie wusste genau, dass Aiden die beiden lange genug hin halten würde, damit sie Mia in ihr Zimmer und ins Bett bringen konnte, ohne gesehen zu werden.

"Komm schon, kleines. Wir müssen ... Wir müssen hier raus. Und uns bleibt nicht viel Zeit.", flüsterte sie, hob Mia ein Stück höher, um sie besser heben zu können, und schlich vorsichtig aus dem Raum.

Da die beiden Typen, die mit Aiden raus gegangen waren, die einzigen in dem Gebäude waren, schaffte sie es mit Mia auf dem Arm, die lautlos in ihre Schulter weinte, aus dem Haus und in Mias Wohnheim, ohne dass jemand sie bemerkte. Lautlos schlich sie sich in Mias Zimmer und legte Mia ab.

"Sch, Süße. Hör auf zu weinen. Es ist alles okay. Alles in Ordnung."

Sie deckte Mia zu und strich ihr die Haare aus der Stirn. Katelyn setzte sich auf ihre Bettkante und wischte ihr die Tränen von der Wange.

"Du hättest ihn nicht sehen sollen. Es tut mir leid. Ich hab' geahnt, dass du noch nicht stark genug dafür wärst, aber ich wollte unbedingt, dass du bekommst, was du willst. Aiden wusste, dass es nicht gut gehen würde, aber ich musste ja unbedingt meinen Dickkopf durchsetzten."

Sie lächelte Mia entschuldigend an und eine Träne lief ihr über die Wange.

"Ich wollte nicht schreien. Wirklich nicht. Aber er war so ... so ..."

Mia schüttelte es und Katelyn wickelte sie enger in die Decke.

"Ich weiß. Ich weiß. Ich hab's auch gesehen.", flüsterte sie und strich Mia über das Gesicht.

Dann stand sie auf und wollte gehen.

"Bitte geh nicht.", wisperte Mia leise und Katelyn drehte sich zu ihr um.

"Ich muss, Süße. Und du musst schlafen."

"Ich kann aber nicht schlafen.", wisperte Mia und klang, als würde sie gleich wieder anfangen zu weinen.

Katelyn seufzte leise, ging zurück zu Mias Bett und setzte sich wieder auf ihre Bettkante.

"Hier.", meinte sie und fischte aus ihrer Hosentasche einen kleinen, lila farbenen Stein.

"Was ist das?", fragte Mia und nahm ihn behutsam in die Finger.

"Mein Glücksbringer. Mein Beschützer. Ich hab' ihn noch ... von meiner Mum. Sie hat ihn mir zu meinem fünften Geburtstag geschenkt und gesagt, dass solange ich diesen Stein immer bei mir trage, mir nichts passieren kann. Und ich auch keine Albträume haben werde. Denn der Stein besitzt die Kraft, alles böse von dir fern zu halten."

Mia sah den Stein halb staunend und ehrfürchtig, aber auch ein zweifelnd an.

"Das ist bloß ein Stein."

Katelyn nickte und stand auf.

"Aber es ist mein Stein. Bei mir hat es funktioniert, weil ich wusste, dass der Stein von meiner Mutter war. Und jetzt bekommst du ihn, damit er dich heute Nacht beschützt."

Mia sah beruhigter aus und Katelyn strich ihr ein letztes Mal die Haare aus der Stirn.

"Ich geh jetzt, okay? Und du schläfst. Ich bin da, wenn was ist."

Mia nickte und Katelyn ging zur Tür.

"Gute Nacht, Mia."

"Gute Nacht, Kate."

"Träum was schönes. Stell dir einfach vor, dass du bei deiner Mama bist.", flüsterte Katelyn leise und zog die Tür zu.

Sie hoffte, dass Mia keine Albträume haben würde.

Auch wenn es ein wenig unfair war, ihr deswegen so etwas zu erzählen. Doch Mia glaubte ihr und darauf kam es an. Denn wenn Mia es glaubte, war es für sie auch so. Kinder hatten so eine wundervolle Vorstellungskraft.

"Hey."

Erschrocken zuckte Katelyn zusammen und war erleichtert, als sie Aiden an der Wand lehnen sah.

"Oh. Hey."

Sie lief weiter und merkte, dass Aiden ihr folgte.

"Was willst du?", fragte sie seufzend und drehte sich draußen zu Aiden um.

"Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, okay ? Und es tut mir leid. Ich hab' nicht nur mich in Gefahr gebracht, sondern auch Mia und dich. Das wollte ich nicht. Aber ich kann jetzt nicht mit dir reden."

"Wir müssen aber reden, Katelyn.", meinte Aiden, sah sie an und trat auf sie zu.

Katelyn wich vor ihm zurück und schüttelte den Kopf.

"Ich will gerade nicht mit dir reden. Also lass mich bitte nur dieses eine Mal in Ruhe.", flüsterte sie erschöpft und drehte sich um.

"Katelyn.", meinte Aiden, doch sie ignorierte ihn und lief weiter.

"Katelyn!", rief er, doch Katelyn wollte sich nicht umdrehen.

Ihr fiel wieder ein, dass sie ihm eigentlich sagen wollte, was sie von Danni hielt, dass sie ihm sagen wollte, dass es nicht in Ordnung war, wie er sich ihr gegenüber verhielt und wie er sie behandelte, doch sie hatte einfach nicht mehr die Kraft dazu.

Aus den Augenwinkeln sah sie gerade noch, wie etwas auf sie zu kam, dann spürte sie schon eine Hand, die sie packte, wie etwas ihr die Beine weg zog und wie sie fiel. Erschrocken schnappte sie nach Luft und fand sich mit dem Rücken im Gras liegend wieder. Aiden kniete neben ihr, hielt sie mit beiden Händen an den Oberarmen fest, drückte sie nach unten und sah sie an.

"Wir müssen jetzt reden, Katelyn! Bevor es zu spät ist!"

Katelyn versuchte wütend, sich aus seinem Griff zu befreien, doch sie schaffte es nicht.

"Bevor was zu spät ist, Aiden ? Was versuchst du jetzt zu retten ?", fragte sie ihn und funkelte ihn wütend an.

Er ignorierte ihre Befreiungsversuche und sah sie weiterhin vollkommen ruhig an.

"Du musst Danni in Ruhe lassen, Katelyn. Ich mein's ernst. Lass sie. Vollkommen egal, was sie sagt, tut oder sonst macht."

Katelyn zuckte innerlich zusammen und hatte einen Moment lang das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

"Du verlangst gerade allen Ernstes von mir, dass ich Danni in Ruhe lasse? Und sie einfach ... einfach machen lasse?", fragte sie Aiden fassungslos und sah ihn an, in der Hoffnung, dass sie ihn missverstanden hatte, dass seine Augen ihr verraten würden, was er wirklich sagen wollte. Doch seine Augen blieben stumm, wie schon seit einer ganzen Weile.

"Ja.", antwortet Aiden fest und sah sie an.

"Warum?", fragte sie wie ein kleines Kind und versuchte zu verstehen, was da vor sich ging.

"Du bist mein Partner, Aiden. Nicht ihrer. Du müsstest auf meiner Seite stehen. Nicht auf ihrer."

Aiden sah sie an und sah so aus, als ob er etwas sagen wollte, doch dann ließ er es, seufzte, schüttelte den Kopf und ließ sie los.

"Du hast gesagt, wir seien nur noch Partner auf dem Papier. Und ich bin mit ihr zusammen. Nicht mit dir.", sagte Aiden, stand auf, ging und ließ Katelyn einfach im Gras sitzen.

Katelyn starrte ihm nach, ohne ihn wirklich zu sehen, und spürte die Tränen, die ihr i den Augen brannten.

Sie hatte keine Ahnung, was genau die letzten Stunden über passiert war, oder wie es dazu kam, doch sie wusste :

Aiden und sie hatten keine Chance mehr, je wieder auf diese Ebene von Freundschaft zu kommen, wie sie gewesen waren, bevor er mit Danni zusammen gekommen war.

Dazu hatten sie beide zu viele falsche Entscheidungen getroffen.

Langsam stand sie auf, wischte sich die Hände ab und wandte sich Richtung Wohnhaus - um gerade noch zu sehen, wie ein Schatten in das Haus schlich.

Sie wusste, dass dieser Schatten nicht in dem Haus sein sollte. Und sie wusste auch, wer dieser Schatten war und wo dieser Schatten hin wollte.

Sie wusste es und Panik durchzuckte sie.

Doch sie zögerte, bevor sie los lief.

Aiden hatte ihr gerade gesagt, dass sie in seiner Rangliste irgendwo weit unter Danni stand und sie wollte ihn eigentlich nicht noch einmal sehen.

Doch sie konnte auch nicht zu lassen, dass dieser graue Schatten ihn tötete.

Sie stieß die Tür auf und rannte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Der Schatten war immer noch einen knappen Treppenabsatz vor ihr und hatte Aidens Zimmer fast erreicht. Katelyn rannte schneller und schaffte es, noch durch die Tür zu schlüpfen, bevor sie zu fiel. Niemand war auf dem Gang und in Aidens Zimmer war nichts zu hören.

Der Schatten, der ein relativ kleiner und schmaler Mann mit Brille war, kniete vor Aidens Tür und versuchte mit einem Dietrich, das Schloss zu knacken.

Katelyn atmete tief durch, straffte die Schultern und ging zu ihm. Trotz seiner besonderen Ausbildung hörte er sie nicht kommen.

"Hey.", meinte sie, als sie beinahe direkt hinter ihm stand.

Überrascht wirbelte er herum, doch noch bevor er sah, wer hinter ihm stand, trat Katelyn ihm mit ihrem Schienbein genau gegen die Brust und stieß ihn damit zur Seite und von Aidens Tür weg.

"Das ist definitiv nicht Ihr Zimmer.", flüsterte sie und ging in Verteidigungsstellung, während sich der Mann vom Boden erhob und sie anfunkelte.

"Das ist nicht deine Angelegenheit, kleines Mädchen."

Sein Blick wanderte zu ihrem Hals und blieb an dem Pflaster für einen Moment hängen.

"Das sagte ich dir bereits bei unserer letzten Begegnung."

Katelyn schnaubte und spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten.

"Und Sie glauben wirklich, ich würde mich daran halten ?"

Er schnellte nach vorn, griff sie an, doch sie schaffte es, ihn abzuwehren.

"Es wäre besser für dich!", zischte er und schaffte es, Katelyn so zu packen, dass er sie von sich schleudern konnte.

"Das heißt noch lange nicht, dass ich es auch tue.", murmelte sie und stürzte sich wieder auf ihn.

Er hatte ihr den Rücken zugewandt und sich wieder dem Schloss gewidmet, also sprang sie ihm einfach auf den Rücken und vergrub ihre Fingernägel in seiner Haut. Statt zu schreien vor Schmerz wurde er noch wütender, griff hinter sich, packte Katelyn, zog sie nach vorne und schmiss sie mit voller Kraft von sich, sodass sie auf dem Boden aufschlug und mit dem Kopf gegen die Ecke knallte, die von der Wand des Flures und der Wand der Nische, in der Aidens Zimmertür lag, gebildet wurde. Sie spürte einen stechenden Schmerz, der nicht mehr aufhörte, und für einen Moment wurde ihr komplett schwarz vor Augen. Als sie wieder etwas sah, war ihre Sicht verschwommen. Sie blinzelte ein paar Mal, doch es wurde nicht besser und der Schmerz in ihrem Kopf schien zuzunehmen. Sie stöhnte vor Schmerz und konnte hören, wie der Mann auf sie zu kam, mehr als seine Silhouette vor den weißen Wänden konnte sie aber nicht erkennen.

"Dummes Gör.", murrte er und trat gegen Katelyns Schienbein.

Der Schmerz war heftig, aber nur kurz und sie zog die Beine an, um weitere solcher Angriffe zu verhindern.

Ihre Sicht klärte sich langsam wieder, doch eine leichte Verschwommenheit ließ sich nicht bestreiten.

Sie sah, dass der Mann ungefähr auf Höhe ihrer Knie stand und wusste, dass sie nur einen Versuch hatte, um ihn los zu werden. Mit voller Konzentration, um ihre verschwommene Sicht auszugleichen, trat sie mit dem rechten Bein so stark sie konnte gegen sein Knie.

Und dieses Mal schrie er vor Schmerz.

Katelyn hörte, wie aus Aidens Zimmer Geräusche drangen und versuchte, sich an der Wand hoch zu ziehen. Der Mann lauschte, hörte, wie es sich in mehreren Zimmern regte, fluchte leise und verschwand.

Also blieb Katelyn alleine auf dem Gang stehen. Ihr war schwindelig, sie konnte nicht klar sehen und ihr Kopf fühlte sich an, als würde er vor Schmerz bald zerspringen.

"Aiden, nicht. Bleib hier. Komm schon. Das war bestimmt nichts.", hörte sie Danni sagen und biss sich auf die Zunge.

Natürlich war sie bei Aiden.

"Komm wieder her. Bitte.", flehte sie und Katelyn konnte sich denken, was genau mit her gemeint war.

"Ich muss nachsehen. Es klang, als wäre es genau vor meiner Tür gewesen.", erwiderte Aiden und Katelyn wünschte sich, er würde einfach tun, was Danni wollte.

Doch er stand bereits an der Tür, sonst könnte sie nicht verstehen, was er sagte.

Langsam tastete sie sich an der Wand entlang Richtung Tür, doch sie war nicht schnell genug, sie wusste es.

Ihr Schienbein, gegen das der Mann getreten hatte, zitterte, wenn sie es belastete und drohte, unter ihr nachzugeben.

Doch sie wollte nicht, dass Aiden sie hier sah. Nicht jetzt. Und nicht so. Also musste sie hier weg.

"Katelyn ?", hörte sie Aiden überrascht, und auch ein klein wenig genervt, sagen. Ausgerechnet in dem Moment musste ihr Bein unter ihr nachgeben, doch Katelyn schaffte es, sich gegen die Wand zu lehnen, und nicht auf den Boden zu fallen.

"Na super. War ja klar.", hörte sie Danni murmeln und hasste sich dafür, dass sie Aiden unbedingt hatte retten wollen.

"Ich wollte gerade gehen. Eigentlich wollte ich nicht einmal hier sein.", murmelte sie, ohne sich nach Aiden umzudrehen, und stieß sich von der Wand ab.

Sie atmete tief durch und lief los, doch ihr Bein tat zu sehr weh.

"Alles okay?", fragte Aiden und trat zu ihr, als er sah, wie sie humpelte.

"Alles bestens. Ich wollte euch nicht stören.", antwortete Katelyn gepresst und stellte erleichtert fest, dass sie wieder klar sehen konnte.

"Katelyn."

Aiden stellte sich ihr in den Weg und Katelyn sah erst jetzt, dass er kein T-Shirt oder eine andere Art von Oberteil trug. Sie schluckte unwillkürlich, als sie seinen durchtrainierten Oberkörper sah und ihr wurde ganz warm, auch wenn sie nicht wusste, warum. Dann wurde ihr bewusst, dass Aiden die Jogginghose in aller Eile angezogen haben musste, bevor er aus seinem Zimmer gekommen war und vermutlich nichts oder nur sehr wenig darunter trug und sie wurde auch noch rot. Seine Hose hing gerade so auf den Hüften und war wirklich sehr locker. Sie sah zur Seite und versuchte, tief durch zu atmen.

"Geh zurück zu Danni, Aiden. Sie wartet doch schon auf dich. Ich komm alleine klar."

Aiden musterte sie und seufzte leise, dann stutzte er plötzlich.

"Bist du irgendwie gestürzt ?", fragte er sie, hob ihr Kinn an und strich ihr einige Haare aus dem Gesicht.

"Du blutest."

Aiden sah sie an und Katelyn biss die Zähne zusammen.

"Was ist passiert ?", fragte Aiden sie und seine Augen verengten sich leicht.

"Gar nichts. Ich hab' wohl nicht aufgepasst, wo ich hin laufe."

"Aiden, kommst du ? Was dauert da denn so lange ?", fragte Danni aus seinem Zimmer und die beiden sahen zur Tür.

"Du solltest gehen. Danni wartet schließlich.", flüsterte sie und löste Aidens Hände von ihrem Gesicht. Er hatte ihren Kopf noch immer fest gehalten, um die Wunde anschauen zu können.

"Katelyn ...", flüsterte er und sah sie an.

"Aiden! Oh ..."

Danni war an die Tür gekommen und sah Katelyn abschätzig an.

"Du bist immer noch da."

"Du hast hier eigentlich auch nichts verloren, Danni.", fauchte Katelyn und funkelte sie an.

"Wie kommt es eigentlich, dass ihr beiden euch so dermaßen offensichtlich trefft, wenn sich alle anderen doch heimlich treffen müssen ? Wie kann es sein, dass ihr immer und überall rumknutschen könnt, wenn doch überall Kameras sind ?", fragte sie und sah Danni und Aiden, der sich sofort zu Danni gestellt hatte, wütend an.

"Das ist nicht deine Angelegenheit, Katelyn.", meinte Danni nur und vernichtete Katelyn mit ihrem Blick.

"Das hab' ich heute schon mal gehört, obwohl es sehr wohl auch meine Angelegenheit war."

Sie sah zu Aiden, doch Aiden sah sie nicht an. Er hatte seinen Arm um Danni gelegt und versuchte so zu tun, als ob ihn das ganze nichts angehen würde.

"Wie du meinst. Ich sollte sowieso nicht hier sein.", meinte Katelyn, drehte sich schwungvoll um, um zu gehen - und musste sich an der Wand abstützen, um nicht umzufallen, denn die schnelle Drehung hatte einen Schwindelanfall ausgelöst.

"Verdammt.", murmelte sie, schloss die Augen und atmete tief durch, um gegen den Schwindel zu kämpfen.

"Katelyn."

Aiden stützte sie und sah sie an.

"Ich bring' dich ins Krankenzimmer. Wenn ich dich alleine gehen lasse, kippst du am Ende irgendwo um und dir passiert sonst was."

"Als würde dich das interessieren.", murmelte sie und Aiden knirschte mit den Zähnen.

"Lass sie doch alleine gehen, wenn sie will. Komm schon, Aiden. Mir ist kalt.", quengelte Danni und Katelyn musterte sie.

Beinahe hätte sie gesagt 'Dann zieh dir doch was an.', denn Danni trug, soweit sichtbar, nur eins von Aidens T-Shirts, das ihr viel zu groß war.

Aiden ging zu Danni und küsste sie sanft.

"Ich bin gleich wieder da, okay? Ich bring sie nur schnell hin, damit ich sicher sein kann, dass sie den Weg auch findet. Dann bin ich zurück und hab' nur noch Zeit für dich."

Er lächelte sie an und Danni schien es akzeptieren zu können.

"Okay.", meinte sie mit einem Schmollmund und küsste Aiden.

Dann wollte er wieder Katelyn stützen, doch Katelyn zog die Arme weg und schüttelte entschieden den Kopf. Wenn Aiden sie schon begleiten wollte, dann ohne sie zu stützen.

"Ich geh nicht ins Krankenzimmer. Ich will in mein Bett.", meinte sie, als sie im Treppenhaus waren und sah Aiden an.

Aiden seufzte, ließ es aber zu.

Sie schwiegen, während sie die zwei Stockwerke zu Katelyns Zimmer liefen, und sahen sich auch nicht an.

"Ich schaff's auch noch alleine in meine Bett, Aiden. Geh ... geh lieber wieder zurück zu Danni.", flüsterte Katelyn, als sie vor ihrer Zimmertür standen und lehnte sich gegen den Türrahmen.

"Du kannst nicht mal alleine stehen, Katelyn. Außerdem blutest du immer noch.", meinte Aiden nur, nahm ihr den Schlüssel zu ihrem Zimmer ab, schloss auf und ging vor ihr in ihr Zimmer. Zielstrebig ging er in ihr Bad und holte den Korb, in dem Katelyn ihre medizinischen Utensilien aufbewahrte.

Als er wieder aus dem Bad kam, stand Katelyn noch immer unentschlossen im Flur.

"Ich geh nicht, bevor ich nicht weiß, dass du Morgen früh auch wieder aufstehst, Katelyn. Also setz' dich."

Sie wusste, dass Aiden es Ernst meinte.

"Warum bist du jetzt auf einmal wieder so fürsorglich? Du kannst nicht erst so tun, als ob es dich nicht interessieren würde, wie es mir geht und dich dann wieder um mich kümmern wollen, Aiden.", flüsterte sie leise und sah ihn an, ohne sich zu rühren.

"Katelyn, komm schon. Setz' dich, bitte. Ich hab' nicht viel Zeit.", meinte Aiden und ging zu dem kleinen Tisch mit den zwei Stühlen.

Katelyn blieb stehen, wo sie war, und sah ihn an.

"Wenn du unbedingt zu Danni zurück willst, kannst du gerne gehen. Ich bin bestimmt die letzte, die deinem Glück mit Danni im Weg stehen will.", meinte sie und hielt ihm die Tür auf.

Aiden seufzte, stand auf, kam zu ihr, blieb vor ihr stehen, sah sie lange an und stieß dann die Tür zu.

"Du hast dich am Kopf verletzt, Katelyn. Ich weiß nicht, wie oder warum, und ich bin mir nicht im Mindesten sicher darüber, ob ich es überhaupt wissen will, aber Kopfverletzungen sind keine Kleinigkeit. Und du bist ..."

Er stoppte und seufzte erneut.

"Ich will einfach nur sicher gehen, dass du dich nicht schlimmer verletzt hast, als es den Anschein hat."

"Wirklich? Ganz ehrlich? Oder sagst du das gerade genau so, wie du Danni gesagt hast, dass du kein anderes Mädchen geküsst hast?", fragte Katelyn ihn und lehnte sich gegen die Wand, um aufrecht stehen zu können.

"Du hast nicht auf ihre Frage geantwortet. Zugegeben, sie hat auch meine Aussage in eine falsche Frage gesteckt, aber trotzdem."

"Katelyn, hör auf.", bat Aiden sie leise, doch sie dachte gar nicht daran.

"Ich dachte immer, du wärst einer dieser Wahre - Liebe - Verfechter, doch da habe ich mich wohl geirrt. Ich dachte immer, du würdest dich nicht einfach so auf irgendein Mädchen einlassen, weil du auf die eine warten würdest, die es wirklich wert ist. Mit der du dein Leben verbringen willst. Du liebst Danni nicht, und das wissen wir beide. Das wird nie funktionieren. Und trotzdem stellst du sie über mich. Du trägst dieses dämliche, hässliche Armband wie ein Hundehalsband und ganz ehrlich, ich glaube, genau das ist es auch. Wenn sie ruft, springst du. Wenn sie sagt, ich wäre Schuld, glaubst du es. Wenn sie etwas sagt, ist es Gesetz."

"Katelyn, bitte. Hör auf.", meinte Aiden und kam näher.

"Nein. Denn weißt du, mir ist aufgefallen, dass ich mal die Eigenschaft hatte, Leuten zu sagen, was mich an ihnen nervt. Und ich war stolz darauf. Ich werd' das nicht lassen, nur weil es dir gerade nicht passt. Oder weil Danni was dagegen hat. Und du hast mal gesagt, dass nichts wichtiger ist, als ehrlich zu sein und zu seinen Freunden zu stehen."

"Katelyn. Stopp.", knurrte Aiden leise und stand so dich vor ihr, dass sie sich gegen die Wand drücken musste.

"Nein. Ich weiß, dass ich auch nicht fehlerfrei bin, aber wenigstens verbiege ich mich nicht komplett für eine Person, dich ich nicht liebe. Ich tue nicht so, als würde ich sie lieben und ich lüge auch nicht, um ihr zu gefallen."

Katelyn schluckte die Tränen und den Schmerz runter und sah Aiden in die Augen.

"Du hast versucht, mich zu küssen, Aiden. Und wenn Danni nicht aufgetaucht wäre, hättest du es auch getan. Du kannst Danni gar nicht lieben."

Aiden schlug wütend seine Faust gegen die Wand und Katelyn zuckte zusammen.

"Das war ein Fehler, okay?! Es war ein Fehler, dich küssen zu wollen, und ich bin froh, dass ich es nur versucht habe und Danni rechtzeitig aufgetaucht ist!", zischte Aiden wütend.

Dann drehte er sich um, atmete tief durch und fuhr mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand die Nase nach oben.

"Jetzt setz' dich hin, damit ich deine Wunde versorgen kann."

Er drehte sich wieder zu Katelyn um und sah sie an, doch Katelyn hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Boden.

"Nein, werde ich nicht. Und wirst du nicht.", flüsterte sie und riss die Tür auf.

"Du wirst jetzt sofort gehen. Ich komm' alleine klar. Und du musst zurück zu Danni. Sofort. Sonst glaubt sie noch, ich würde sonst was mit dir anstellen."

"Katelyn ...", begann Aiden, doch Katelyn schüttelte energisch den Kopf.

"Hör auf, mit diesem 'Katelyn'. Du hast deutlich genug gesagt, was du denkst und auf wessen Seite du stehst, als du Danni mich beinahe hast schlagen lassen und zugelassen hast, dass sie sich in Mias Training einmischt, als du sie verteidigt hast, weil sie Mia angefasst hat und mir gesagt hast, ich soll mich von ihr fern halten, obwohl sie mich die ganze Zeit so dumm anmacht und mich hasst. Oder hast du mit bekommen, dass ich unnötig gemein zu ihr war?"

Aiden schwieg.

"Gute Nacht, Aiden. Geh zu Danni. Sie wartet."

Aiden sah sie an, sah ihr in die Augen und seufzte schließlich. Langsam, fast widerwillig, als wolle er Katelyns Zimmer nicht verlassen, trat er auf den Flur.

"Du solltest wirklich nicht alleine ...", fing er an, doch Katelyn knallte die Tür zu, noch bevor er die Hälfte des Satzes hatte sagen können.

Sie lehnte sich dagegen und seufzte, dann öffnete sie die Tür noch mal einen Spalt breit.

"Aiden?"

Aiden, der nur wenige Schritte von ihrer Tür entfernt war, drehte sich zu ihr um.

"Ja?", fragte er fast hoffnungsvoll und sah sie an.

Katelyn biss sich unentschlossen auf der Unterlippe herum und seufzte schließlich.

"Du solltest in nächster Zeit mal mehr darauf achten, ob dir jemand folgt. Möglicherweise könnte dir ein grauer Schatten folgen, der dir nichts Gutes will. Und er ist verdammt gut."

Aiden wollte etwas sagen, doch Katelyn schloss die Tür, bevor er auch nur ein Wort heraus bringen konnte.

Sie hatte ihn gewarnt, wie sie es vor gehabt hatte.

Ab jetzt war der Schatten sein Problem.

Nicht ihres.








































Kapitel 15 : Eifersucht


Kaum hatte Katelyn am nächsten Morgen die Augen geöffnet, wusste sie, dass es ein mieser Tag werden würde.

Ihr Kopf tat höllisch weh, was bedeutete, dass sie nicht wirklich trainieren konnte, sie würde Mia erst am Nachmittag sehen und sie musste Danni, Aiden und Ben unbedingt aus dem Weg gehen.

Seufzend stand sie auf, zog sich an und ging nur ein Stockwerk tiefer, wo Marco sein Zimmer hatte. Sie wusste, dass er schon wach war und sie hoffte, dass er mit ihr frühstücken gehen würde, denn alleine würde sie sich nicht in die Kantine trauen. Würde Ben sie alleine sehen, würde er sich sofort zu ihr setzten, und würde Danni sie alleine sehen, würde sie sich bestätigt fühlen. Und diesen Gefallen wollte Katelyn ihr einfach nicht tun.

Sie klopfte und hörte, wie Marco zur Tür kam.

"Guten Morgen, Katelyn. So früh schon auf?", scherzte er, lächelte sie an und lehnte sich entspannt gegen den Türrahmen.

"Haha, du Schlafmütze. Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen frühstücken gehen können. Meine einzige Alternative wäre Ben, aber das finde ich nicht so verlockend. Also, kannst du mich so früh am Morgen schon ertragen ?"

Marco lachte, zog seine Tür hinter sich zu und grinste sie an.

"Gerade so. Damit du nicht mit Ben frühstücken musst."

Katelyn lächelte und lief mit ihm zusammen zur Kantine.

"Was wird Danni eigentlich sagen, wenn sie sieht, dass du immer noch mit mir redest?", fragte sie ihn auf dem Weg zur Kantine und rieb sich über die Stirn, damit die Schmerzen nach ließen, doch es half nichts.

Marco zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Vermutlich wird sie nicht gerade erfreut sein. Aber was soll's. Ich bin auch nicht gerade erfreut darüber, was sie in letzter Zeit so abzieht.", meinte er und seine Augen verfinsterten sich.

"Wieso, was macht sie denn alles so ?", fragte Katelyn ihn und sah ihn von der Seite her an.

"Ach, es ist irgendwie ganz merkwürdig. Sie tut so, als würden die Regeln der 'Akademie' für sie nicht gelten. Ist dir aufgefallen, dass sie Aiden immer und überall küsst ?"

"Jep.", meinte Katelyn nur und steckte ihre rechte Hand in die Hosentasche, während die linke ihre Schläfe massierte.

"Ich hab' sie mal gefragt, ob sie denn keine Angst hat, deswegen bestraft zu werden, weil es je nach Bestrafung ja auch mich treffen würde, doch sie lachte nur laut und meinte, dass ich mich doch um die wirklichen Dinge sorgen soll."

"Okay ... Ungefähr so hat sie bei mir auch reagiert. Nur hat sie nicht gelacht. Und sie meinte, das wäre nicht meine Angelegenheit. Oh, und sie hat mich böse angeschaut. Und Aiden hat gar nichts dazu gesagt."

"Ist dir eigentlich auch aufgefallen, dass Aiden nicht halb so glücklich wirkt, wie sie? Er wirkt irgendwie so ... resigniert. Um ehrlich zu sein bezweifle ich, dass er für Danni das empfindet, was sie für ihn empfindet.", meinte Marco nachdenklich und Katelyn schnaubte.

"Er liebt sie auch nicht. Ich hab' keine Ahnung, warum er mit ihr zusammen ist, aber ganz bestimmt nicht, weil er sie liebt."

"Tja, dann muss es am Sex liegen.", ertönte eine Stimme hinter ihnen und Katelyn stöhnte innerlich auf.

Ben trat neben sie und reichte an ihr vorbei Marco die Hand.

"Hi, ich bin Ben."

"Schon gehört.", meinte Marco und sah Katelyn irritiert an.

Doch sie zuckte nur mit den Schultern. Sie wusste auch nicht, was Ben wollte.

"Also, wenn Aiden Danni nicht liebt, und ich gehe mal davon aus, dass es so ist, weil Katelyn sich da absolut sicher zu sein scheint, und sie ihn am Besten kennt, muss er wegen dem Sex mit ihr zusammen sein."

Marco und Katelyn schnaubten beide.

"Das glaubst du doch wohl selber nicht.", meinte Katelyn und lief einfach weiter.

"Du wärst erstaunt, was man alles für wirklich guten Sex auf sich nehmen würde."

Katelyn blieb stehen und sah ihn wütend an.

"Nur weil du so was machst, heißt das nicht, dass andere das auch machen. Und du kannst nicht von dir auf Aiden schließen. Du und Aiden seid so verschieden, wie man nur sein kann."

"Du meinst so extrem unterschiedlich, wie dass ich dich gut behandle und er nicht ? Dass ich versuche, dir zu helfen, während er sich mit Danni amüsiert ?"

"Hey, ganz ruhig. Danni ist meine Partnerin.", meinte Marco sauer und fasste nach Katelyns Arm, um sie davon abzuhalten, Ben zu schlagen.

"Mein herzliches Beileid.", meinte Ben und sah Katelyn an.

"Aiden wäre nie nur wegen dem Sex mit einem Mädchen zusammen. Das ist deine Masche, nicht seine. Aiden würde so etwas niemals tun.", flüsterte sie leise, um das Zittern ihrer Stimme zu verbergen.

Ben sah sie an und lächelte.

"Tja, Cherié, dann wirst du dich wohl oder übel doch damit abfinden müssen, dass er sie liebt. Denn einen anderen Grund kann es nicht geben, wenn es nicht der Sex ist."

Katelyn biss die Zähne zusammen, bis ihre Kopfschmerzen wieder schlimmer wurden.

Ben konnte nicht recht haben.

Es konnte einfach nicht sein.

Doch sie fand keinen anderen Grund, der erklären würde, warum Aiden dann mit Danni zusammen war.

"Das ist doch Schwachsinn. Komm schon, Katelyn. Wir gehen jetzt frühstücken - alleine.", fügte er wütend hinzu und signalisierte Ben so, dass er unerwünscht war. Dann schnappte er sich Katelyn, fasste sie um die Hüfte und zog sie mit sich zur Kantine.

"Alles okay?", fragte er sie leise, als sie die Türen erreichten und ließ sie los.

"Geht schon.", murmelte sie leise, atmete tief durch und schaffte es, Marco an zu lächeln.

Marco seufzte und nickte.

"Okay, gehen wir essen."

Sie nickte und stieß die Tür auf.

"Ich will dich ja nicht beunruhigen, aber Aiden und Danni kommen gerade.", flüsterte Marco und stellte sich so dicht wie möglich neben sie, ohne die Tabletts mit dem Frühstück zu gefährden.

Katelyn schluckte und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen.

"Dann essen wir eben so weit weg von ihnen, wie möglich.", murmelte sie und folgte Marco zu einem Tisch ganz in der Ecke.

"Sie haben uns zum Glück noch nicht gesehen.", meinte Marco und schien erleichtert.

"Angst, dass Danni dich mit mir sieht ?", fragte Katelyn, trank einen Schluck und ließ Aiden nicht aus den Augen.

"Quatsch. Ich hab' mehr Angst davor, dass sie uns 'ne Szene macht. Käme mitten in der Kantine nicht so gut."

"Stimmt.", gab Katelyn ihm recht, während sie immer noch jedem von Aidens Schritten folgte.

"Sag mal ... Was genau war eigentlich zwischen Ben und dir ? Er starrt mich an, als würde ich mit seinem Spielzeug spielen.", meinte er und sah Katelyn an.

"Witzig, letztes Mal war ich noch ein Stück Fleisch.", murmelte sie leise.

Marco schnippte mit seinen Fingern vor ihrer Nase herum.

"Katelyn, hör auf, ihn an zu starren. Dadurch ändert sich nichts."

Katelyn drehte sich seufzend zu Marco um.

"Ich weiß. Tut mir leid. Aber ... ich muss einfach wissen, ob er sie liebt oder nicht. Eigentlich dachte ich, dass er es nicht tut, aber dann meinte Ben, dass es dann der Sex sein muss, aber das kann ich mir bei Aiden auch nicht vorstellen."

Marco sah sie an und sah zu Ben.

"Okay, erzähl mir, was zwischen Ben und dir war.", verlangte er und Katelyn seufzte.

"Er hat mich geküsst, und zwar mehr als einmal, was eigentlich nicht schlecht war. Er wollte noch mehr, aber ich nicht und als er es sich nehmen wollte, hab' ich ihm gegen die Kronjuwelen getreten. Dann sind wir abgereist und ich dachte, ich muss ihn nie wieder sehen und dann stand er plötzlich vor meiner Zimmertür. Und seitdem verschwindet er nicht mehr."

Marcos Kiefer war angespannt und er tötete Ben gerade mit seinen Blicken.

"Weiß Aiden davon ?"

Katelyn sah ihn mit leicht geneigtem Kopf an.

"Glaubst du, er würde dann noch leben ?"

"Gutes Argument."

Marco atmete tief durch, beruhigte sich wieder und sah Katelyn dann an, die schon wieder zu Aiden sah und versuchte, seine Gesten zu analysieren.

"Ein Wunder, dass er dich noch nicht bemerkt hat.", meinte Marco und biss in sein Brötchen.

"Hat er. Aber er ignoriert mich. Ich weiß nur nicht, ob er mich ignoriert, weil er mich ignorieren will oder weil er Danni nicht auf mich aufmerksam machen will.", murmelte Katelyn.

"Katelyn, verdammt, jetzt hör auf damit!"

Marco schlug mit der Faust auf den Tisch und Katelyn drehte sich zu ihm um.

"Tut mir leid."

"Schon okay.", meinte Marco und sah an Katelyn vorbei abwechselnd zu Ben und Aiden.

"Okay, ich hab' eine ganz verrückte und auch ziemlich verwerfliche und miese Idee, wie du testen kannst, ob erstens Aiden Danni wirklich liebt und zweitens du ihm egal bist oder nicht."

Katelyn sah auf und sah Marco an.

"Was?", fragte sie misstrauisch, aber neugierig.

"Flirte mit Ben."

Katelyn sah Marco an.

"Du verarschst mich gerade, oder?"

"Nein, das ist mein Ernst."

"Ich ... ich soll mit Ben flirten? Ich weiß gar nicht, wie man flirtet, Marco. Und außerdem will ich nicht mit Ben flirten."

"Hör zu, ich weiß, dass du ihn nicht magst. Und du sollst ihn ja auch nicht küssen oder mit ihm schlafen oder so, du sollst nur mit ihm reden. Und vielleicht hin und wieder über das, was er sagt, lachen. Am Besten, wenn Aiden in der Nähe ist."

Katelyn stutzte und sah ihn mit großen Augen an.

"Du willst, dass ich versuche, Aiden eifersüchtig zu machen ?"

Marco nickte und nickte mit dem Kopf in Bens Richtung.

"Sie hassen sich gegenseitig, weil sie dich beide wollen und den anderen nicht in deiner Nähe wollen."

"Aiden will mich nicht. Nicht als Freundin, nicht als Partnerin und schon gar nicht in dem Sinne, auf den du gerade anspielst, Marco. Ben ja vielleicht noch, aber Aiden nicht. Das hat Aiden mehr als deutlich genug gesagt.", flüsterte sie leise und beendete ihr Frühstück.


"Okay, okay, was meinst du damit, Aiden hat es mehr als deutlich gesagt ? Was hat Aiden mehr als deutlich genug gesagt ?", fragte Marco, als sie aus der Kantine kamen und hielt Katelyn fest.

Katelyn seufzte, biss sich auf der Lippe herum und drehte sich schließlich zu ihm um.

"Er hat versucht, mich zu küssen, nachdem ich aus der Halle gerannt bin und er mir gefolgt ist. Doch Danni kam und dann ... dann ist er zu ihr gegangen. Und gestern Abend, als er mich in mein Zimmer gebracht hat, weil er der Meinung war, ich würde es wegen der Kopfverletzung nicht alleine schaffen, habe ... habe ich ihn danach gefragt und er ... er ist ausgerastet und meinte, dass ... es ein Fehler war, mich küssen zu wollen und er froh sei, dass Danni aufgetaucht sei.", flüsterte sie und spürte wieder den Schmerz, den sie gestern Abend schon gespürt hatte, bevor und nachdem sie Aiden raus geschmissen hatte.

"Ich wusste es !!", rief Marco begeistert und lachte.

Katelyn starrte ihn einfach nur irritiert an.

"Ich ... glaube nicht, dass ich verstehe, warum du dich so freust ...", meinte sie und sah Marco fragend an.

Marco strahlte sie an.

"Aiden liebt Danni nicht. Da bin ich mir sicher. Und bitte, bitte, bitte, bitte, flirte mit Ben. Bitte. Tu mir den Gefallen. Dann kann ich dir beweisen, dass Aiden Danni nicht liebt."

Katelyn sah ihn an und seufzte.

"Okay, ich versteh's nicht. Erklär's mir. Was hast du vor und warum bist du dir so sicher, dass Aiden Danni nicht liebt ?"

Marco trat näher zu Katelyn, umfasste sanft ihre Oberarme und sah sie an.

"Hast du je mitbekommen, dass er Danni in irgendeiner Weise gesagt hat, dass er sie liebt ? Oder es ihr auch nur gezeigt hat ? Davon abgesehen, dass er sie küsst und mit ihr schläft ? Und dieses unglaublich hässliche Armband trägt ?"

Katelyn musste kichern, als er das Armband erwähnte und seufzte dann.

"Nein. Hat er nicht. Aber Männer müssen es ja nicht immer aussprechen, damit die Frau es weiß.", äffte sie Danni nach und verdrehte die Augen.

Marco lächelte.

"Glaub mir, wenn dir ein Junge nicht sagt, dass er dich liebt, liebt er dich auch nicht. Und wenn er es sagt, solltest du es nicht unbedingt zu ernst nehmen. Es gibt immer so ... Spezialisten, die es sagen, ohne es zu meinen."

"So Spezialisten wie Ben?", hakte Katelyn nach und Marco nickte.

Marco ließ sie los und sah sie an.

"Vertrau mir, Katelyn. Er liebt sie nicht. Und wenn du nur ein klein bisschen mit Ben flirtest, wenn Aiden in der Nähe ist, kann ich es dir beweisen."

Sie sah Marco in die Augen und seufzte dann.

"Sag's mir.", verlangte sie und stützte eine Hand in die Hüfte.

"Da ist noch was, was du mir nicht sagst. Wenn du willst, dass ich das mache, musst du mir schon alles sagen."

Marco lächelte sie an.

"Hast du das wirklich nicht bemerkt, Katelyn ? Die ganzen letzten Jahre nicht ?"

"Was hätte ich bemerken sollen ?", fragte sie ihn und sah ihn an.

"Wie Aiden dich ansieht. Wie er auf dich aufpasst. Und wie er allgemein mit dir umgeht. Er empfindet etwas für dich, Katelyn. Und das kannst du benutzen, um ihm, Danni und Ben zu beweisen, dass er Danni nicht liebt."

Marco sah sie an und versuchte, sie stumm davon zu überzeugen, ihm zu vertrauen.

Katelyn seufzte.

Sie hatte immer noch kein gutes Gefühl dabei, doch sie wollte wissen, was Marco meinte.

"Mal angenommen, ich würde einwilligen ... wärst du dann immer in der Nähe? Und würdest eingreifen, wenn Ben zu weit geht?", fragte sie Marco und sah ihn an.

Marco sah sie vollkommen ernst an und nickte.

"Versprochen."

Sie sah ihm in die Augen und nickte schließlich.

"Okay. Ich bin dabei. Ich mach mit. Aber wehe, es geht was schief. Dann bist du Schuld."

Marco grinste und stand auf.

"Es kann gar nichts schief gehen."

Er zog Katelyn hoch und lächelte sie an, gerade als Ben aus der Kantine kam.

Marco sah sie fragend an.

"Willst du gleich anfangen?"

"Was genau sollte ich tun?", fragte sie ihn und sah zu Ben, der den Weg in ihre Richtung entlang kam und in Begleitung von zwei Mädchen war, die beide eine Jahrgangsstufe über Katelyn waren.

"Nur mit ihm reden."

"Über?

Marco zuckte mit den Schultern.

"Lass dir was einfallen."

Katelyn seufzte, straffte die Schultern und ging auf Ben zu.


Als er sie auf sich zu kommen sah, blieb Ben stehen, redete kurz mit den Mädchen und schickte sie mit einem entschuldigenden Lächeln weg. Dann wandte er sich Katelyn zu und wartete, bis sie ihn erreicht hatte.

"Neue Freunde gefunden?", fragte sie ihn und sah ihn missbilligend an.

"Nicht wirklich. Eher so was wie eine Essgemeinschaft gegründet.", antwortete er und lächelte sie an.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du noch mal mit mir redest."

Katelyn zuckte mit den Schultern.

"Wollte ich auch eigentlich nicht. Aber da Aiden nicht mit mir trainiert und kein anderer gut genug ist oder Zeit hat ..."

Ben sah sie überrascht und völlig verdutzt an.

"Du willst mit mir trainieren?", fragte er ungläubig und als Katelyn sah, wie Aiden mit Danni aus der Kantine kam, nickte sie.

"Ja. Wenn du noch willst. Du meintest doch, du könntest mir noch ein paar Techniken und Tricks zeigen."

Sie lächelte Ben an und schob sich eine Strähne ihrer offenen Haare, die ihr ins Gesicht gefallen war, hinters Ohr.

Ihre Finger zitterten leicht, doch sie schaffte es, das zu verbergen.

"Die Trainingshalle wäre jetzt beinahe komplett frei und leer, wir hätten also wirklich Zeit, intensiv zu trainieren, ohne dass uns zu viele neugierige Augen beobachten würden.", meinte sie leiser, als sie beabsichtigt hatte, doch Ben schien es nicht aufzufallen.

Oder er interpretierte es falsch.

"Okay.", meinte er und lächelte zufrieden.

Katelyn nickte und lief neben ihm her zur Trainingshalle.

Sie wusste, dass Aiden sie mit Ben gesehen hatte. Es war unmöglich, dass er sie nicht gesehen hatte, hatten sie doch fast genau vor dem Eingang gestanden.

Und Marco blieb in ihrer Nähe, was sie beruhigte.

Obwohl sie wusste, dass sie Ben hätte besiegen können, wenn er sie angegriffen hätte, war ihr wohler bei dem Gedanken, dass noch jemand dabei war, der ihr helfen würde.

"Was ist das eigentlich für ein Kratzer an deiner Stirn? Hast du dich verletzt?", fragte Ben sie auf dem Weg zur Trainingshalle und Katelyn fasste automatisch an die Stelle.

"Ja ... Ich war ungeschickt und bin gegen 'ne Ecke gerannt. Aber es geht schon.", antwortete Katelyn und Ben sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

"Hat Aiden dir das ernsthaft abgenommen?"

"Nein.", antwortete Katelyn ehrlich.

"Aber ich hab' ihm keine Chance gelassen, es sich selbst anzuschauen oder mich zur Krankenstation zu bringen."

"Wieso nicht? Habt ihr euch gestritten?", fragte Ben und klang beinahe wirklich interessiert, doch Katelyn hörte den feinen Unterschied.

Aber sie tat so, als wäre er nicht da.

"Kann man so nicht sagen. Schließlich haben wir schon seit einer ganzen Weile immer unterschiedliche Meinungen.", sagte sie und lächelte traurig.

Ben legte mitfühlend den Arm um sie und lächelte sie aufmunternd an.

"Naja, zum Glück wirst du gleich für ein paar Stunden diesen ganzen Kram einfach vergessen. Glaub bloß nicht, dass ich es dir zu leicht mache!"

Auch wenn Katelyn wusste, dass Ben immer noch Hintergedanken hatte, war das Lächeln, das er ihr gerade schenkte, ehrlich. Und auch wenn sie sich unwohl fühlte, weil es Ben war, freute sie sich doch mal wieder auf ein paar Stunden Training.

"Ich hatte auch nichts anders erwartet. Oder glaubst du, ich mag es, wenn man mich gewinnen lässt?", fragte sie ihn lächelnd, stieß die Tür auf und band sich die Haare zusammen.


"Uff.", stöhnte Katelyn, als Ben sie wieder einmal auf die Matte knallte, wobei er sie nicht so hart fallen ließ, wie er hätte sollen, und schloss für einen Moment die Augen.

"Wir können gern 'ne Pause machen, wenn du willst.", bot er ihr an, setzte sich neben sie und wedelte mit der Trinkflasche über ihrer Nase herum.

Katelyn öffnete die Augen wieder, schnappte sich die Trinkflasche und setzte sich auf.

"Geht schon.", meinte sie lächelnd, als sie aus den Augenwinkeln sah, wie Aiden Ben ansah.

"Du lässt mich ja schon nicht so hart fallen."

Sie stand auf und stellte die Flasche wieder an den Rand.

"Soll ich das etwa nicht? Ich kann dich auch gerne ganz fallen lassen, wenn du darauf bestehst.", meinte er und grinste sie an.

Katelyn setzte ein extra freches Lächeln auf, als sie merkte, dass Aiden sie ansah.

"Nein, schon okay. Auch wenn ich es nicht gern zugebe, mein Kopf ist dir dankbar, dass du mich schonst. Er tut auch so schon genug weh."

Ben trat näher zu ihr und Katelyn verspürte den Impuls, zurück zu weichen, doch sie blieb stehen.

"Wir können auch aufhören, wenn du zu starke Schmerzen hast. Und etwas anderes machen.", bot Ben ihr an. Sie sah an seiner Schulter vorbei, wie Aiden mit angespanntem Kiefer, die Hände zu Fäusten geballt und in ihre Richtung gewandt da stand und einen Schritt nach vorne gehen wollte.

Zufrieden entspannte sich Katelyn etwas - seine Reaktion hatte ihr mehr als genug gezeigt.

Doch auch Danni hatte es gesehen.

Wütend funkelte sie Katelyn an, bevor sie Aiden fast gewaltsam zu sich umdrehte und ihn küsste.

"Wollen wir nicht woanders hingehen? Ich finde, wir haben genug trainiert.", säuselte Danni und sah Katelyn dabei genau in die Augen.

Doch anstatt auszurasten lächelte sie Ben, so weit sie das beurteilen konnte, verführerisch, an und übte an ihm ihren Augenaufschlag.

"Lass uns doch noch ein bisschen trainieren. Nahkampf."

Ben gefiel die Idee, doch er hatte noch eine andere und sah Katelyn fragend an.

"Mit viel Körperkontakt?", fragte er vorsichtig und rechnete schon fast mit einer Abfuhr.

Katelyn konnte förmlich spüren, wie Aiden die Luft anhielt, bevor sie antwortete, und genoss es, ihn auf die Palme zu bringen.

Sie lächelte Ben zuckersüß an und nickte.

"Was denn sonst?"

Ben sah sie mit großen, ungläubigen Augen an, doch dann lächelte er zufrieden.

"Einverstanden."

"Nicht jetzt, Danni. Deine Prüfung steht kurz bevor und du musst noch üben.", hörte sie Aiden mit zusammengebissenen Zähnen zu Danni sagen, während sie sich aufstellte, um mit Ben zu üben.

Sie atmete tief durch und sah wieder zu Ben. Sie musste sich auf ihn konzentrieren, nicht auf Aiden.

Doch wie ein Magnet zog er ihren Blick immer wieder auf sich und lenkte sie ab, während sie mit Ben trainierte. Die ersten Male schaffte sie es noch, Ben rechtzeitig abzuwehren oder ihm auszuweichen, doch irgendwann schaffte Ben es schließlich, ihre Hände zu packen, sie mit dem Rücken an sich zu ziehen und ihre Arme über ihrer Brust zu verkreuzen, sodass ihre Arme wie eine Zwangsjacke waren und sie sich nicht mehr rühren konnte.

Ben hielt sie fest und war leicht außer Atem, doch er beugte sich vor und obwohl sie es nicht sah, wusste Katelyn, dass er lächelte.

"Eins zu null für mich.", flüsterte er ihr leise ins Ohr und ließ sie wieder los.

Katelyn trat einen Schritt von ihm weg, atmete tief durch und drehte sich dann langsam zu ihm um.

Ben so nah zu sein machte ihr Angst, auch wenn es dumm war.

Ihr konnte nichts passieren, war Marco doch in der Nähe und sie konnte sich wehren.

Außerdem hatte Ben sie in keinster Weise bedroht oder belästigt.

Aber die Erinnerung an das, was er schon getan hatte, haftete noch immer an ihm und würde es für Katelyn auch immer.

Doch sie verfolgte ein Ziel und Ben war ihr Schlüssel, um dieses Ziel zu erreichen.

Also musste sie diese Angst irgendwie überwinden.

Oder wenigstens ignorieren.

Sie lächelte Ben an und trat noch einen Schritt zurück.

"Das sagt noch gar nichts."

Ben grinste und griff sie an, doch sie schaffte es, ihm auszuweichen, indem sie sich unter seinem Arm weg duckte, sich sein Handgelenk schnappte und es ihm auf den Rücken drehte.

"Eins zu eins würde ich mal sagen.", flüsterte sie ihm ins Ohr und lachte leise.

Dann ließ sie ihn los, verschränkte die Arme und trat gleichzeitig ein Stück zurück, dass, sollte er sich sofort umdrehen und nach ihr greifen, sie nicht zu fassen bekam.

Dabei rutschte sie mit dem linken Fuß vom Rand der Matte, die immer hin sieben Zentimeter hoch war, fiel nach vorne, versuchte, sich abzufangen, und rollte sich halb ab, streifte dabei jedoch mit der Stirn die raue Mattenoberfläche.

"Katelyn! Alles okay?", fragte Ben besorgt und kniete sich neben sie.

"Ja ... ich denke schon. Ich sollte die Arme nicht mehr verschränken, wenn ich so nah am Mattenrand stehe.", meinte sie scherzhaft und fasste sich an die Stirn, weil ihr leicht schwummrig war. Als ihre Fingerspitzen etwas Nasses spürten, stöhnte sie genervt auf und nahm die Finger wieder von der Stirn.

Tatsächlich waren ihre Fingerspitzen voller roter Flüssigkeit.

"Aua.", meinte Katelyn mehr aus Schock als vor Schmerz und beobachtete, wie ihr Blut langsam an ihren Fingern nach unten lief.

"Du blutest.", stellte Ben fest und klang etwas erschrocken.

"Ja ... Ich scheine grad echt talentiert zu sein, was so was angeht.", meinte sie und schüttelte mit einem ungläubigen Lächeln den Kopf.

"Nicht eine einzige Verletzung die ganzen verdammten letzten Jahre, und jetzt so was! Beim auf die Matte fallen den Eckenkuss wieder aufgerissen ..."

Ben umfasste mit seinen Händen sanft ihr Gesicht und zwang sie so, still zu halten und mit dem Kopfschütteln aufzuhören.

"Nicht bewegen, okay? Ich mach das schnell. Wir wollen ja nicht, dass du die Matten voll blutest.", flüsterte er sanft und Katelyn sah ihm in seine Augen, die sie an das Meer erinnerten.

"Nein, wollen wir nicht.", flüsterte sie zurück und spürte, wie sie leicht hypnotisch Ben anstarrte.

Verwirrt blinzelte sie und sah gerade noch, wie Ben sich lächelnd weg drehte, um ein Tuch zu nehmen, mit dem er ihr sanft die Stirn tupfte.

Katelyn hielt ganz still, lag seine Hand, die er nicht zum Tupfen benötigte, doch noch immer an ihrer Wange, und schielte vorsichtig zu Aiden.

Aiden hatte ihr den Rücken zugewandt und trainierte Danni, doch er war viel zu angespannt, um gedanklich vollkommen bei Dannis Übungen zu sein. Er sah aus, als würde er jeden Moment damit rechnen, los sprinten zu müssen, und Katelyn konnte sehen, wie sehr er sich darauf konzentrierte, sie im Falle eines Falles hören zu können.

"So, fertig. Und so gut wie neu.", meinte Ben lächelnd, als er das Pflaster fest strich und sich wieder nach hinten lehnte.

"Danke.", meinte Katelyn leise und räusperte sich.

"Sollen wir weiter machen?", fragte Ben sie und Katelyn sah zu Aiden.

Aiden hatte zwar etwas dagegen, dass sie mit Ben trainierte, doch es ihr oder ihm gesagt oder wirklich eindeutig gezeigt, hatte er nicht.

Katelyn erwischte sich dabei, wie sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass Aiden zu ihnen rüber kommen würde und ihr klipp und klar sagen würde, dass sie seine Partnerin war und gefälligst mit ihm trainieren sollte und nicht mit Ben.

Doch das würde er nicht machen und sie wusste es.

Sie unterdrückte ein Seufzen und schüttelte den Kopf.

"Nein, schon okay. Ich glaube, für heute reicht es. Außerdem kommen bald die kleineren und das will ich mir nicht antun.", meinte sie.

"Wie du meinst."

Ben stand auf und hielt ihr die Hand hin.

"Es gibt eh gleich Mittagessen."

Vorsichtig nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm hoch ziehen.

Gemeinsam mit Ben ging sie raus, doch sobald sie außer Sichtweite der Halle waren, blieb sie stehen.

"Alles okay?", fragte Ben sie und sah sie an.

"Ja, aber ich gehe nicht mit dir Essen.", meinte Katelyn und sah zu Marco.

"Wieso nicht?", fragte Ben und Katelyn konnte seine Enttäuschung hören.

"Wir haben doch so toll zusammen trainiert."

"Eben deshalb, Ben. Wir haben den ganzen Morgen zusammen trainiert. Aber ich habe nicht vergessen, was du noch getan hast. Das Training war toll, aber ich kann dich nicht so lange am Stück ertragen. Ich muss mich erst wieder ... an dich gewöhnen. In vielen, vielen kleinen Dosen. Und vielleicht esse ich dann mal mit dir.", erklärte sie ihm und ging mit Marco, der sie eingeholt hatte, weiter zur Kantine.

"Trainieren wir nochmal?", rief Ben ihr nach und Katelyn drehte sich um und lief ein paar Schritte rückwärts, um nicht stehen bleiben zu müssen.

Aiden kam gerade mit Danni aus der Halle und wollte Mia von der Schule abholen.

"Klar.", antwortete sie Ben so laut, dass auch Aiden es hörte, lächelte und drehte sich wieder um.

"Wie war das mit 'du kannst nicht flirten' ?", hakte Marco lächelnd nach, als sie alleine waren, und Katelyn stieß ihn in die Seite.

"Kann ich auch nicht. Woher denn? Wurde uns ja nicht beigebracht.", meinte Katelyn und vergrub ihre Hände in den Taschen ihrer Trainingsjacke.

"Hey, so schlecht war das gar nicht. Und es hat auf jeden Fall ausgereicht, um Aiden beinahe durchdrehen zu lassen.", meinte er grinsend und Katelyn seufzte.

"Aber nur beinahe."

"Der Rest kommt noch. Keine Sorge. Wenn du so weiter flirtest, wird Ben irgendwann etwas Dummes machen und spätestens dann wird Aiden einschreiten."

"Wow, klingt echt beruhigend...", meinte Katelyn und es schüttelte sie leicht, als sie daran dachte, dass Ben ihr nochmal so nah kommen könnte.

"Er wird dir nichts tun, Katelyn. Ich bin die ganze Zeit über in deiner Nähe, wie ich es dir versprochen habe. Und Aiden würde niemals zu lassen, dass er dir etwas antut. Glaub mir. Aiden würde alles tun, um dich zu beschützen."

Marco blieb stehen und sah sie an.

"Vertrau mir. Und Aiden. Du hast gesehen, wie er heute reagiert hat."

Katelyn sah Marco an und seufzte.

Er hatte Recht, was Aidens Reaktionen anging.

Doch bei allem anderen war sie sich nicht sicher.

Also würde sie wohl oder übel Marco vertrauen müssen.

Und hoffen, dass er Recht behielt.


Nachdem sie mit Marco zu Mittag gegessen hatte, hatten sie beide beschlossen, zusammen draußen zu trainieren, denn die Sonne schien und es war angenehm warm.

"Außerdem muss ich ja auch mal wieder trainieren. Danni hat ja keine Zeit mehr für mich.", schmollte er gespielt und Katelyn musste lachen.

"Du ärmster. Könnte man dir fast abnehmen - wenn ich nicht wüsste, dass du übertreibst."

Sie grinste ihn an und sprintete über die Wiese.

"Wie geht's eigentlich deinem Kopf?", fragte Marco sie, als er sie eingeholt hatte.

Katelyn drehte sich lächelnd zu ihm um.

"Besser. War eigentlich gar nicht so schlimm. Nur blöd, dass ich den Kratzer wieder aufgekratzt habe, als ich gefallen bin."

"Das war keine Absicht?", fragte Marco und sah sie an, während sie nebeneinander her liefen.

"Nein. War ein unglücklicher Zufall.", meinte sie und lief weiter.

"Naja, geschadet hat es jedenfalls nicht.", meinte Marco und grinste.

"Erinner' mich nicht daran."

Katelyn wurde ganz flau im Magen, als sie daran dachte, wie dicht Ben vor ihr gesessen hatte und wie sie ihm wie hypnotisiert in die Augen gestarrt hatte, während er getan hatte, was eigentlich Aidens Aufgabe war.

Und schlecht fühlte sie sich, wenn sie daran dachte, wie Aiden sie angesehen hatte.

Doch dann fiel ihr wieder ein, wie Danni ihn immer an sich zog und küsste, sobald er auch nur ansatzweise in Katelyns Richtung sah, und wie Aiden es sich gefallen ließ, und sie wusste wieder, warum sie zugestimmt hatte.

"Ich hoffe nur, ich muss das nicht mehr allzu lange machen.", flüsterte sie und blieb an einem Baum keuchend stehen.

"Das heute war schon hart an der Grenze. Wenn ich ihn noch näher an mich ran lassen muss ..."

"Musst du ja nicht. Du hast dir heute die perfekte Ausrede geliefert, ihn auf Abstand zu halten. Außerdem steht er doch drauf, dass du anders bist.", beruhigte Marco sie und lächelte sie an.

"Er findet es aufregend.", meinte sie und schüttelte den Kopf, während sie die Beine dehnte und sah zu Marco auf.

"Dafür, dass du meintest, nicht flirten zu können, hast du Ben ganz schön heiß gemacht und Aiden ganz schön eifersüchtig.", meinte Marco und lächelte sie zufrieden an.

"Bist du etwa stolz auf mich?", fragte Katelyn lächelnd und richtete sich auf.

Und begegnete Bens Blick, der hinter Marco stand.

"Scheiße.", murmelte sie und wusste, dass sie gerade kreideweiß war.

Marco wirbelte herum und trat zwischen Katelyn und Ben.

Ben starrte an ihm vorbei zu Katelyn und Katelyn erwiderte seinen Blick.

Er sah sie an, doch sie konnte keine Wut und auch keine Aggression erkennen, obwohl er etwas von ihrem Gespräch gehört haben musste. Die Frage, die Katelyn sich stellte, war, wie viel er gehört hatte und was jetzt passieren würde. Denn dass er das einfach so hinnehmen würde, konnte sie sich nicht vorstellen.

Und so sah er auch nicht aus.

"Marco, lass uns ... kurz etwas Raum zum Reden, bitte.", meinte sie, trat neben Marco und legte ihm sanft ihre Hand auf die Schulter.

Marco sah sie fragend an und als sie nickte, seufzte er, tat aber, worum sie ihn gebeten hatte. Marco ging gerade weit genug weg, um sie nicht mehr hören zu können, solange sie normal miteinander sprachen, aber immer noch nah genug war, um jeder Zeit eingreifen zu können.

"Wie viel hast du gehört?", fragte sie Ben und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Genug, um zu wissen, dass du nicht mit mir Essen gehen willst. Und dass das Training heute nur eine Show war."

Er trat auf Katelyn zu und Katelyn blieb stehen, auch wenn sie schlucken musste, um dem Impuls, weg zu rennen, widerstehen zu können.

"Du bist nicht wütend.", stellte sie fest und sah ihn an.

"Wieso nicht?"

Ben trat noch weiter auf sie zu, bis nur noch knappe dreißig Zentimeter zwischen ihnen lagen, und lächelte sie an.

"Du versuchst, Aiden mit mir eifersüchtig zu machen. Auch wenn ich es nicht nett finde, dass du mich nur benutzt, muss ich zugeben, dass Aidens Eifersucht auch mir schmeichelt. Denn das bedeutet, dass wenigstens er mich als wirkliche Gefahr sieht. Und dass er mich für Konkurrenz hält. Was bedeuten würde, dass er glaubt, dass du durchaus noch meinem Charme erliegst. Dass er dich für nicht stark genug hält, mir zu widerstehen."

Ben war immer näher gekommen und wisperte den letzten Satz in Katelyns Ohr.

"Das ist nicht wahr. Ich werde dir nicht verfallen. Und das weiß Aiden."

"Ach wirklich?", fragte Ben und sah sie mit einem Lächeln an, das Katelyn ihm am Liebsten sofort aus dem Gesicht gewischt hätte.

Vorzugsweise mit ihrer Faust.

"Ja.", erwiderte sie und biss die Zähne zusammen.

"Schön.", meinte Ben und verschränkte locker und selbstbewusst die Arme vor der Brust, bevor er sie wieder anlächelte.

"Dann ist es doch bestimmt in deinem Sinne, wenn wir dieses kleine 'Eifersuchtsdrama' für Aiden fortsetzen, oder?"

Katelyn sah ihn misstrauisch an.

"Natürlich ... mit ein wenig veränderten Regeln, versteht sich."

"Inwiefern verändert?", hakte Katelyn nach und wusste nun, dass ihr Misstrauen gerechtfertigt war.

Ben konnte man nicht vertrauen.

Ben lächelte sie an und trat noch näher zu ihr, sodass er mittlerweile ganz dicht vor ihr stand.

"Na ja, zum Beispiel wirst du zu lassen, dass ich ..."

Ben legte seine Finger unter ihr Kinn und hob es an.

"... dich hier berühren darf. Immer und vor Allem, wenn Aiden in der Nähe ist."

"Was wäre, wenn ich Nein sagen würde?", flüsterte sie und ahnte die Antwort bereits.

Bens Hände wanderten zu ihrer Taille und Katelyn spürte, wie die Panik in ihr wuchs. Sie schluckte und versuchte, ruhig zu bleiben.

"Dann würde ich nicht länger mitspielen. Und du hättest niemanden mehr, mit dem du Aiden zeigen kannst, dass er Danni nicht liebt. Und das ist es doch, was du willst."

Ben sah sie an und dieses Lächeln, was irgendwie gemein wirkte, wollte nicht verschwinden.

Katelyn schluckte.

"Ist das alles?"

Ben lachte und sah sie an.

"Cherié, das glaubst du nicht wirklich, oder?"

Katelyn seufzte und schloss die Augen.

"Was noch?", flüsterte sie und sah Ben wieder an.

Ben lächelte und schien ihr Unbehagen zu genießen.

"Ab Morgen wirst du zu lassen, dass ich ..."

Seine Hände wanderten über ihre Hüften und Taille, Katelyn ballte die Hände zu Fäusten, um nicht zu zittern, und Ben lachte leise.

"das hier mache. Du wirst mich zur Begrüßung oder wenn wir uns verabschieden auf die Wange küssen."

Katelyn schluckte schwer und funkelte ihn wütend an, doch sie wusste, dass sie zustimmen würde. Er war ihre einzige Chance, Aiden von Danni los zu bekommen.

"Okay.", willigte sie widerwillig ein und nickte.

"Und du wirst mit mir essen, damit es auch wirklich glaubwürdig ist."

Katelyn biss sich auf die Lippe und zögerte.

Doch sie hatte schon eingewilligt, ihn auf die Wange zu küssen.

Essen gehen war da wesentlich ungefährlicher.

"Wie du willst. Aber mehr nicht. Das ist eindeutig genug."

Dieses mal lachte Ben lauter.

"Cherié, ich bestimme jetzt, wann genug ist. Denn ohne mich funktioniert dein hübscher kleiner Plan nicht."

Katelyn klappte der Mund beinahe auf, als ihr klar wurde, dass Ben Recht hatte.

Er hatte sie in der Hand.

Theoretisch konnte er verlangen, was er wollte.

Entweder sie würde es tun oder er würde sie auflaufen lassen.

"Was glaubst du, würde Aiden wohl dazu sagen, wenn er wüsste, dass du das alles inszenierst? Wenn er wüsste, dass du nur so tust? Dass du ihn und Danni absichtlich auseinander bringen willst?"

Katelyns Blick schoss nach oben und sie sah ihn entsetzt an.

Sie wusste, dass, sollte Aiden von Ben erfahren, was sie tat oder vor hatte, würde er ausrasten, anstatt zu erkennen, dass sie ihm helfen wollte.

"Das wagst du nicht.", flüsterte Katelyn leise und wusste doch, dass er genau das tun würde.

Ben sah sie an, lächelte, legte zwei Finger unter ihr Kinn, hob es an und drückte schnell und sanft seine Lippen auf ihre, bevor er sie wieder los ließ und zurück trat.

"Natürlich nicht. Außer du lieferst mir einen Grund, es doch zu tun.", meinte er, während er ging und lachte.

Katelyn blieb stehen und kämpfte verzweifelt gegen den Kloß in ihrem Hals und gegen die Tränen der hilflosen Wut.

"Was war los? Alles okay? Katelyn? Was wollte er?"

Marco stand wieder neben ihr und sah sie verunsichert an.

"Er weiß es, Marco. Er weiß, dass ich ihn nur benutzt habe. Und er hat den Spieß umgedreht. Jetzt benutzt er mich, Marco.", flüsterte sie und ließ sich ins Gras auf die Knie sinken.

"Was meinst du, er benutzt dich?", fragte Marco nach und setzte sich neben sie.

Katelyn seufzte und sah ihn an.

"Er hat gehört, was wir gesagt haben. Das mit Aiden eifersüchtig machen."

"Mist! War er sehr wütend?"

Katelyn schüttelte den Kopf und Marco war verwirrt.

"Er hat gesagt, er hilft mir."

"Er ... hilft dir?", wiederholte Marco und war nun vollkommen verwirrt.

Katelyn nickte knapp.

"Allerdings nach seinen Regeln."

Sie seufzte und stand auf.

"Was genau bedeutet das?", wollte Marco wissen und folgte ihr.

Katelyn blieb stehen, seufzte und drehte sich zu ihm um.

"Das hast du doch gesehen. Er ... er bestimmt über mich. Wenn ich nicht tue, was er verlangt, wird er es Aiden sagen. Oder mir nicht mehr helfen."

Katelyn schluckte und atmete tief durch.

Sie hatte beschlossen, nur noch zu weinen, wenn es wirklich gerechtfertigt war.

Wenn es jemand wert war.

Und Ben war es nicht.

"Ich muss ihm geben, was er will.", flüsterte sie und überlegte, ob sie wirklich bereit war, diesen Preis zu zahlen.


Katelyn hatte die letzten Stunden damit verbracht, in ihrem Zimmer auf dem Bett zu liegen, Mias gezeichnetes Bild immer und immer wieder zu betrachten und zu versuchen, nicht zu sehr darüber nach zu denken, wie sich der Tag bisher entwickelt hatte.

Sie wusste, dass sie Mia bald an der Halle abholen sollte, doch konnte sie sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und ihr Zimmer zu verlassen.

Viel zu knapp verbarg sie das Bild schließlich wieder in ihrem Schrank und machte sich auf den Weg zur Halle.

"Du bist zu spät.", maulte Danni, als sie schließlich ankam, und ergriff sofort Aidens Hand.

"Keine Sorge, ihr habt noch genug Zeit für euer Schäferstündchen. Ihr macht doch eh nichts anderes.", meinte Katelyn nur und mied es, beiden in die Augen zu sehen.

Aiden stand daneben und sagte nichts. Er starrte Katelyn an und wartete darauf, dass sie ihn ansah, doch diesen Gefallen tat sie ihm nicht.

"Na los, Mia, gehn wir. Wir haben viel vor heute."

"Wirklich? Was denn?", fragte Mia begeistert und sah sie an.

Katelyn musste lächeln und schüttelte den Kopf.

"Verrat ich dir nicht."

"Hey, Katelyn!", rief Ben auf einmal und Katelyn sah ihm entsetzt entgegen, als er genau auf die vier zu kam.

"Was willst du?", blaffte Aiden sofort und funkelte ihn wütend an, als er die letzten Meter näher kam.

Ben trat neben Katelyn, legte seinen Arm um sie, seine Hand auf ihre Hüfte und zog sie an sich.

„Hi, Süße.“, hauchte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Katelyn zuckte zusammen und wollte von ihm weg treten, doch Ben hielt sie fest.

"Was willst du hier?", fragte sie ihn und versuchte, möglichst nett zu klingen.

"Du weißt, dass ich jetzt keine Zeit habe."

Sie sah Ben an und versuchte, ihn dazu zu bringen, zu verschwinden, doch er grinste nur.

"Ja, genau deshalb bin ich kurz vorbei gekommen. Ich wollte dich sehen, bevor du den Rest des Nachmittags verschwindest."

Katelyn knirschte mit den Zähnen vor Wut.

"Hast du ja jetzt. Jetzt ist Mia dran. Ich muss los.", meinte sie, wand sich aus seinen Armen und wollte gehen, doch Ben hielt sie an der Hand zurück.

"Hast du nicht was vergessen?", fragte Ben sie mit einem zuckersüßen Lächeln und Katelyn sah von ihren Händen zu ihm auf.

Ben zog vielsagend eine Augenbraue hoch und Katelyn biss die Zähne zusammen.

Dann ging sie zu ihm, ignorierte Aiden, der hinter ihr stand, und küsste Ben kurz auf die Wange.

"Mehr nicht?", fragte er, als sie sich umdrehte, Mias Hand schnappte und ging und er grinste.

Katelyn drehte ihren Kopf zu ihm und ging weiter.

"Warte auf's nächste gemeinsame Training.", erwiderte sie und ging einfach weiter.

"Kate? Bist du ... mit Ben zusammen?", fragte Mia sie und Katelyn konnte hören, wie schockiert sie bei der Vorstellung war.

"Nein, bin ich nicht. Und werde ich auch nie. Fest versprochen.", erwiderte sie immer noch wütend und musste tief durchatmen, um nicht Mias Finger zu zerquetschen.

"Warum hat er dich dann auf die Wange geküsst? Und du ihn?"

Katelyn seufzte und überlegte, was sie Mia antworten sollte.

"Nennen wir es ... ein Experiment. Ein ziemlich riskantes Experiment.", fügte sie hinzu und konnte Bens Dreistigkeit nicht fassen.

"Ein Experiment? Was für eins?"

Katelyn dachte einen Moment darüber nach.

Sie wollte Mia nicht anlügen, aber sie wollte ihr auch nicht sagen, was sie vor hatte.

"Ein Experiment darüber, wie sich maskuline Individuen verhalten, wenn ein möglicher Rivale ... in ihr Gebiet eindringt und ... ihm das Rudel streitig macht?"

Mia sah sie verständnislos an.

"Musst du nicht verstehen. Du musst nur wissen, dass ich nicht mit Ben zusammen bin.", beruhigte sie Mia und Mia nickte.

"Okay."

Mia sah sie an.

"Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?"

Katelyn lächelte und sah sie an.

"Ich will dir was zeigen. Etwas, das ich vor Jahren zufällig entdeckt habe und von dem noch nicht einmal Aiden weiß. Es ist mein absoluter Lieblingsplatz und ich glaube wirklich, dass niemand davon weiß."

Mia sah sie mit großen Augen an.

"Und du willst es mir zeigen?"

Katelyn nickte.

"Ja. Es war immer ... mein Zufluchtsort, wenn mir alles zu viel wurde. Dort konnte ich mich zurück ziehen und wieder runter kommen. Und jetzt bekommst du ihn. Ich weiß, wie hart das erste Jahr war. Und du wirst ihn brauchen können."

Mia sah sich um und stellte fest, dass Katelyn sie hinter eines der Gebäude geführt hatte, die nicht all zu weit von der Trainingshalle entfernt waren. Keine Menschenseele war in der Nähe. Die wenigen Gebäude zwischen diesem und der Trainingshalle standen so dicht, dass zwischen ihnen nur ein winziger Spalt blieb, der allerhöchstens einen Meter breit war. Dafür waren die Häuser aber ziemlich hoch.

"Was sind das für Häuser?", fragte Mia und betrachtete die fünf dicht beieinander stehenden, grauen Gebäude, die schon leicht baufällig aussahen.

"Alte Schul- und Wohngebäude. Und ein altes Lagerhaus. Doch seit sie die neuen gebaut haben, sind diese für Schüler eigentlich verboten, weil sie in diesen vieren"

Katelyn deutete auf die vier Häuser der Reihe, vor denen sie nicht standen,

"die Bestrafungen durchführen und Akten und so was aufbewahren. Dort geschieht eben alles, was offiziell gar nicht passiert."

Mia schluckte und sah Katelyn an.

"Dürfen wir dann hier sein?", fragte sie leise und Katelyn sah sie an.

"Ja. Wir gehen ja nicht in eines dieser Häuser. Das alte Lagerhaus ist nicht verboten - jedenfalls nicht ausdrücklich. Es ist ... wie die Grauzone.", meinte Katelyn lächelnd und ging um das Gebäude herum auf die Rückseite.

Mia folgte ihr.

"Niemand macht sich je die Mühe, mal hinter eines der Häuser zu gehen. Hätten sie das gemacht, hätte irgendjemand bestimmt diese Treppe gefunden."

Katelyn räumte einige riesige Pappkartons zur Seite und zeigte Mia eine ungefähr 1,50 Meter hohe und ungefähr neunzig Zentimeter breite Öffnung in der Wand, hinter der eine Treppe lag, die relativ steil nach oben führte.

"Komm schon. Aber pass auf. Die Treppe ist an manchen Stellen ziemlich rostig und könnte brechen."

Sie ließ Mia vorgehen, damit sie sie, falls die Treppe zu rostig sein sollte, auffangen konnte.

"Was ist da oben?", fragte Mia sie, während sie vorsichtig Stufe für Stufe nach oben kletterte.

"Wirst du gleich sehen.", meinte Katelyn gerade, als Mia das Ende der Treppe erreichte.

"Wow.", war alles, was Mia zustande brachte.

Mit offenem Mund stand sie am Treppenaufgang und sah sich staunend auf dem Dachboden um.

Der Dachboden war genau so groß, wie die Grundfläche des Hauses, doch im Gegensatz zum Rest des Hauses noch in tadellosem Zustand. Nichts stand herum, kein Abfall, kein Krimskrams, keine aussortierten Utensilien, es war alles frei und sogar relativ sauber. In einer der Ecken stand ein alter, vom Wasser verzogener Holzschrank, doch das war auch schon alles.

Der Dachboden hatte eine gemütliche, ruhige Atmosphäre, die ein wenig Ablenkung vom 'Akademie'- Alltag und Entspannung versprach.

Durch verstaubte Dachfenster drang gerade noch genug Licht, um alles in ein sanftes Gold zu tauchen und die Wohlfühlatmosphäre zu perfektionieren.

Katelyn ging zu dem Schrank, der in der Ecke stand, und holte einige Decken und ein paar Sitzkissen heraus.

"Es ist ... als wäre man in eine andere Welt gestolpert.", flüsterte Mia und sah sich glücklich um.

"Ich weiß. Hier kannst du wenigstens für eine Weile alles vergessen. Es ist, als ob hier alles, was die 'Akademie' bestimmt, nicht mehr zählt. Die ganzen Regeln und Vorschriften und Entscheidungen, die die 'Akademie' für dich trifft ... Hier ist das alles egal. Hier bist du einfach nur ... du."

Katelyn lächelte Mia an und setzte sich auf eins der Kissen, die sie geholt hatte.

Mia setzte sich neben sie und lehnte sich an sie.

"Es ist wunderschön hier. Und so ruhig."

Katelyn küsste Mia sanft aufs Haar.

"Ich ... hab' noch was für dich."

Mia sah sie an und Katelyn holte einige Blätter und zwei Bleistifte aus ihrem Pulli.

"Die hab' ich im Zeichenraum geklaut. Ich versuch in den nächsten Tagen noch, einen Spitzer und ein paar Radiergummis zu stibitzen, aber für heute reichen die paar Blätter und zwei Bleistifte."

Sie lächelte Mia an und legte alles vor ihr ab.

"Ich möchte, dass du jetzt etwas malst. Irgendetwas, dass dich immer daran erinnert, dass du eine Familie hast, die dich liebt und die dich vermisst. Etwas, das dir dieses Gefühl auch noch in zehn Jahren geben würde, okay?"

"Warum?", fragte Mia und sah sie an.

"Weil die 'Akademie' alles daran setzen wird, dich das vergessen zu lassen. Du darfst es aber nicht vergessen, Mia, denn damit würdest du auch das Menschliche in dir vergessen. Und dann wirst du zu einem Roboter der 'Akademie', der Menschen tötet, wenn es verlangt wird, obwohl diese Menschen nichts Falsches getan haben."

"So wie ... es bei meine Dad verlangt war?", fragte Mia vorsichtig und Katelyn nickte.

"Genau so. Aber ich hatte Glück, dass ich mich daran erinnert habe, dass ich ihn kenne, Mia. Und dass ich Aiden hatte, der das Menschliche in mir am Leben gehalten hat. Sonst hätte ich Malik vermutlich sofort und ohne mit der Wimper zu zucken getötet."

Mia schwieg, dachte nach und griff schließlich nach dem Papier und einem Stift.

"Etwas, dass mich immer daran erinnert, dass ich Familie habe. Dass mich jemand lieb hat.", flüsterte sie leise vor sich hin und kniff die Augen zusammen, um sich besser konzentrieren zu können.

Katelyn lehnte sich gegen einen der Holzbalken, die von oben bis unten durch den ganzen Raum liefen und durch das Haus, und sah Mia dabei zu, wie sie sich ihre Erinnerungen auf Papier fest hielt.

Und zum ersten Mal, seit sie Malik versprochen hatte, Mia vor der 'Akademie' zu beschützen, hatte sie auch wirklich das Gefühl, dieses Versprechen zu halten.


Erst, als es bereits dunkel wurde, hatten Katelyn und Mia den Dachboden wieder verlassen und waren zusammen Essen gegangen.

Jetzt schlief Mia bereits und Katelyn stand in ihrem Wohnhaus auf dem großen Balkon des Aufenthaltsraumes im dritten Stock, von wo aus sie Mias Wohnhaus und die Trainingshalle sehen konnte.

Der Aufenthaltsraum war gerade gefüllt und es war ziemlich laut drinnen, da sich alle über ihre Test- und Prüfungsergebnisse austauschten.

Die zehn Besten in jedem Jahrgang hatten immer schon zwei Wochen früher Prüfung, deswegen hatten Aiden, Katelyn und die anderen acht auch kein Interesse mehr daran, sich jetzt noch mit Unterricht und prüfungsvorbereitenden Maßnahmen auseinander zu setzten.

Als es Katelyn zu voll und zu laut geworden war, hatte sie sich auf den Balkon geschlichen und die Tür hinter sich geschlossen, um ein wenig Ruhe zu haben, nachdem sie allen zu ihren bestandenen Prüfungen gratuliert hatte.

Sie lehnte mit übereinander gelegten Armen am Geländer und sah in die Ferne.

Ben war zwischendurch mal aufgetaucht und hatte sie gesucht, doch sie hatte es geschafft, ihm in der Menschenmenge aus dem Weg zu gehen. Jetzt sah sie, wie er mit einem anderen Mädchen unter ihr lang lief, ohne zu wissen, dass sie ihn sehen konnte, und kichernd mit ihr im Schatten verschwand.

Ihr tat das Mädchen leid, auch wenn sie sie nicht kannte.

Doch meistens war es so, dass sich die Mädchen viel zu schnell zu viel von so etwas erhofften und immer mit den Konsequenzen leben mussten.

So wie ihre beste Freundin Kelly, die jetzt nun schon seit fast einem Jahr verschwunden war.

Katelyn wusste nicht, was genau mit Kelly passiert war, doch sie versuchte auch, nicht zu sehr darüber nach zu denken.

Genau genommen hatte sie schon seit fast einem Jahr nicht mehr an Kelly gedacht.

Zu groß war der Schock gewesen, als ihre Freundin ihr unter Tränen erzählt hatte, wie dieser Kerl sie in das vergessene Zimmer gelockt und sie überredet hatte, mit ihm zu schlafen, obwohl sie dazu eigentlich noch nicht bereit gewesen war. Obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte.

Und noch schlimmer war der Schock, als Kelly ihr erzählte, dass sie glaubte, schwanger zu sein. Oder als sich raus stellte, dass sie es wirklich war.


Mit einem saugenden Geräusch öffnete sich die Balkontür leise und Katelyn zuckte erschrocken zusammen, war sie doch gerade gedanklich vollkommen abwesend gewesen.

Doch es war nicht ihr Balkon und jeder hatte das Recht, hier her zu kommen.

"Hey.", kam es vorsichtig von der Tür und Katelyn wusste sofort, dass es Aiden war.

"Hi.", erwiderte sie leise, drehte sich aber nicht zu ihm um. Sie blieb am Geländer stehen und starrte weiterhin in die Ferne.

"Was machst du hier draußen? Alle anderen sind drin.", meinte er und trat langsam neben sie.

"Genau deshalb bin ich ja hier. Da drin ist es so laut, dass du nicht mal mehr deine Gedanken hören kannst."

"Du denkst nach? Worüber?", fragte Aiden und sah sie an.

Katelyn seufzte und legte ihr Kinn auf ihre Arme.

"Über Kelly. Und was wohl aus ihr geworden ist.", antwortete sie leise.

Aiden schwieg und blieb einfach stehen, nur wenige Zentimeter neben ihr, und doch hatte Katelyn das Gefühl, als wären es Meilen.

"Du und Ben scheint euch ja sehr zu mögen. Gemeinsames Training mit Körperkontakt, diese lächerliche Show heute vor der Trainingshalle ...", meinte er nach einer Weile und Katelyn hörte sofort, dass Aiden keineswegs so ruhig war, wie er vorgeben wollte, zu sein.

Sie seufzte und schwieg.

Es war nicht nötig, irgendetwas dazu zu sagen, fand sie. Entweder Aiden ahnte, dass es nur eine Show war, oder er glaubte es.

"Du hast mal gesagt, zwischen Ben und dir würde nie etwas sein.", meinte er schließlich und sah sie an.

Katelyn zuckte mit den Schultern und richtete sich auf.

"Und du hast mal gesagt, dass Mia und ich das wichtigste für dich sind."

Sie spürte, wie Aiden sie ansah, doch sie starrte weiterhin in die Ferne.

Irgendwann schnaubte Aiden leicht und stützte seine Unterarme auf dem Geländer ab.

"Du bist mit ihm zusammen?", fragte Aiden.

Katelyn sah auf den Boden zwischen ihren Füßen und beschloss, nicht zu antworten.

Wenn sie antworten würde, müsste sie entweder lügen oder die Wahrheit sagen.

Und sie hatte nicht vor, eins davon zu tun.

"Wow.", meinte Aiden und schüttelte mit einem ungläubigen Lächeln den Kopf.

Dann sah er sie an und musterte sie.

Katelyn ließ es über sich ergehen und fragte sich, was wohl als Nächstes kommen würde.

"Liebst du ihn?", fragte Aiden leise und sah sie an.

Katelyn leckte sich nervös über die Lippen und biss dann auf ihre Unterlippe, während sie überlegte, was sie antworten sollte.

Denn darauf würde sie antworten müssen.

Langsam drehte sie sich zu ihm und sah ihn an.

"Liebst du Danni?", fragte sie zurück und sah ihn an.

Katelyn wollte ihn nicht drängen, doch sie wollte ihm auch nicht erzählen müssen, dass sie etwas für Ben empfand, wenn es nicht so war. Sie wollte Aiden die Chance geben, ihr die Wahrheit zu sagen, bevor sie ihn belog.

Aiden machte den Mund auf, um zu antworten, doch es kam kein Wort raus. Mit einem traurigen Seufzer schloss er ihn wieder und sah Katelyn an.

"Die Gefühle, die ich für Danni habe, sind ..."

Er brach ab und seufzte.

"Das lässt sich schwer in Worte fassen.", antwortete Aiden leise und Katelyn drehte sich enttäuscht weg von ihm.

Sie atmete tief durch und wandte sich dann wieder lächelnd zu Aiden.

"Ich ... ich verstehe, wie es dir mit Danni geht. Wirklich. Anfangs nicht, doch jetzt ... jetzt schon. Denn die selben Gefühle ... löst Ben in mir aus. Ich verstehe, dass es schwierig ist, das zu formulieren. Denn so geht es mir mit Ben. Diese Gefühle sind ..."

Katelyn lächelte widerwillig und sah Aiden an.

"... unbeschreiblich."

Sie sah ihm in die Augen und er erwiderte den Blick, ohne zu blinzeln. So standen sie eine Weile da und versuchten, zu erraten, wie ernst der andere meinte, was er gesagt hatte.

Doch keiner von beiden wollte nachgeben.

Plötzlich vibrierte Aidens Handy und er musste das Blickduell unterbrechen.

"Danni?", fragte Katelyn und wusste doch schon, dass sie es war.

"Du solltest gehen. Du willst sie doch nicht warten lassen.", meinte Katelyn und zog eine Augenbraue hoch.

"Nein, sollte ich nicht.", murmelte Aiden und Katelyn runzelte irritiert die Stirn.

Aiden atmete tief durch und sah Katelyn wieder an.

"Ich geh jetzt.", meinte er und Katelyn trat zu Seite, um ihm mehr Platz zu lassen.

Aiden sah sie ein letztes Mal an, dann seufzte er kurz und ging.

Katelyn blieb am Geländer stehen und sah wieder in die Ferne, während sie auf seine Schritte lauschte.

"Du solltest vorsichtig sein, Katelyn. Ben scheint nicht gerade ... ein vorsichtiger Typ zu sein. Und du willst lieber nicht selbst raus finden, was mit Kelly passiert ist.", meinte Aiden an der Tür und Katelyn drehte sich um.

Aiden stand noch vor der geschlossenen Tür und sah sie an.

"Du weißt, was mit ihr passiert ist?", fragte sie und sah ihn an.

Aiden nickte knapp.

"Was?", fragte Katelyn und hielt sich mit beiden Händen hinter sich am Geländer fest.

Aiden sah sie einen Moment lang an, als überlege er, ob er es ihr wirklich sagen sollte, doch schließlich atmete er aus und sah ihr in die Augen.

"Sie wurde vom Campus geholt, um das Baby auf die Welt zu bringen. Es lebt jetzt bei einem Paar, das keine eigenen Kinder bekommen konnte."

"Und Kelly?", fragte Katelyn und musste schlucken.

"Sie hätte zurück kommen können. Aber sie ist es nicht."

"Tote können nicht zurück kommen, Katelyn.", meinte Aiden, öffnete die Tür und ging, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.

Katelyn sank gegen das Geländer und daran hinunter.

Mit angezogenen Beinen saß sie da und versuchte zu begreifen, dass ihre beste Freundin getötet worden war, weil sie schwanger gewesen war, während das Baby noch lebte.

Und Aiden es vermutlich schon seit fast einem Jahr wusste.

Sie wollte sauer sein auf Aiden, weil er es ihr erst nicht und dann doch erzählt hatte, sie wollte ihn gerne dafür hassen, doch sie konnte nicht.

Denn Aiden hatte es ihr erst erzählt, als er glaubte, sie würde sich auf Ben einlassen und auch mit ihm schlafen.

Und auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, vermutete sie hinter seinem Motiv eine Art Warnung, eine Art 'Pass auf, dass du nicht schwanger wirst '- Warnung, damit sie am Leben blieb.

Sie wollte es so gern glauben.

Doch ganz sicher war sie nicht.






Kapitel 16 : Erkenntnis


"... und ich schwöre, ich habe noch nie jemanden so schnell rennen sehen."

Die Leute, die um Katelyn herum saßen, fingen laut an zu lachen und Katelyn verdrehte genervt die Augen.

Seit sie sich vor drei Tagen auf Bens 'Spiel' eingelassen hatte, hatte sie auch mit Ben zu Mittag gegessen, und aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund waren jeden Tag immer mehr Leute dazu gekommen, die Ben zu mögen schienen.

Und über seine nicht witzigen Geschichten lachten.

Sie drehte sich halb um, so dass sie an Ben vorbei zu Marc sehen konnte, der in ihrer Nähe saß und sie nicht aus den Augen ließ, wie er es versprochen hatte, und formte ein stummes 'Hilf mir', doch Marco grinste sie nur an und schüttelte den Kopf.

Sie merkte, wie Bens Hand, die eigentlich auf ihrem Knie liegen sollte, schon wieder immer weiter nach oben rutschte, und trat Ben unter dem Tisch einmal kräftig auf den Fuß, um ihn daran zu erinnern, wo seine Hand hin sollte.

Bens Hand wanderte augenblicklich wieder zu ihrem Knie zurück und Katelyn lächelte zufrieden. Sie hatte ihm in den letzten zwei Tagen viel zugestanden, doch erwartete sie dafür auch, dass er sich an das hielt, was sie absprachen.

Tat er es nicht, erinnerte sie ihn eben auf ihre Weise daran.

Ben erzählte weiter, als wäre nichts gewesen und Katelyn sah sich gelangweilt in der Kantine um.

Aiden saß zusammen mit Danni und den üblichen Leuten am üblichen Tisch, auch wenn er nicht so glücklich aussah, wie Katelyn auffiel.

"Du bist ja sooooooo mutig, Ben.", himmelte eines der Mädchen, das mit am Tisch saß, Ben an und ihre Freundin kicherte.

Katelyn sah die beiden an und schüttelte nur in stummen Unglauben den Kopf.

Das Mädchen und ihre kichernde Freundin steckten die Köpfe zusammen und tuschelten leise und Katelyn fiel wieder ein, dass sie dieses alberne Mädchengekicher und -getuschel noch nie hatte leiden können.

Doch als die beiden Ben mit ihren leuchtenden Augen begeistert anstarrten und jedes seiner Worte aufsaugten, musste Katelyn einschreiten.

Davon abgesehen, dass die beiden Mädchen mit ihrer übertrieben lebhaften Art und ihrem ständigen Gekicher ihr furchtbar auf die Nerven gingen, machten sie Ben gerade schöne Augen und zwar auf die auffälligste und dämlichste Art und Weise, die Katelyn kannte.

Und auch wenn ihr der Gedanke missfiel und noch immer erschreckte, war Ben - jedenfalls für Aiden - IHR Freund.

Dementsprechend böse starrte sie die beiden Mädchen nieder und registrierte befriedigt, wie die Mädchen beschämt den Blick senkten und verstummten.

Das dumme war nur, wie sie sofort bemerkte, dass Ben, der normalerweise nicht darauf achtete, was sie tat, es bemerkt hatte und nun dachte, sie wäre eifersüchtig, wenn er seine Aufmerksamkeit anderen Mädchen widmete.

Lächelnd lehnte er sich zu den beiden rüber.

"Ach wisst ihr, die Bösen zu schnappen ist ja schon cool, aber das, was mich immer wieder dazu bringt, mein Leben zu riskieren, ist, dass ich dadurch die Welt für so wunderschöne Mädchen wie euch ein bisschen sicherer mache.", meinte er und zwinkerte den Mädchen zu, weshalb sie sofort wieder anfingen zu kichern und Katelyn genervt die Augen verdrehte.

Dann kam ihr eine Idee und sie musste grinsen, bevor sie sich mit einem Lächeln auf Bens Schultern abstützte und nach vorne lehnte, so dass ihr Gesicht neben seinem war.

"Ja, mein Schatz ist wirklich unglaublich. Die Welt ist voller böser Menschen ..."

"Wo du Recht hast...", meinte Ben und Katelyn konnte förmlich sehen, wie ihm vor Stolz die Brust anschwoll. Sie stand auf und stellte sich direkt hinter ihn.

"Schade nur, dass du Auftragskiller bist."

Sie tätschelte ihm mitfühlend die Schulter, registrierte dabei die vor Schreck weit aufgerissenen Augen der Kichererbsen und verließ mit einem Lächeln die Kantine.

Ihr war klar, dass Ben deswegen wütend war, doch jetzt gerade interessierte es sie einfach nicht. Wenn er meinte, er könne sich alles erlauben, musste sie ihn wieder in seine Schranken weisen.

Plötzlich blieb sie stehen, schloss die Augen und stöhnte über ihre eigene Dummheit.

Auch wenn es ihr gut getan hatte, das zu sagen, musste sie sich eingestehen, dass es wirklich unglaublich dumm gewesen war. Anstatt Ben zu verteidigen und klar zu stellen, dass er (mehr oder weniger) zu ihr gehörte, hatte sie ihn lächerlich gemacht - und das auch noch vor Aiden.

Seufzend blieb sie stehen und überlegte, wie sie das wieder gerade biegen sollte.

Sie drehte sich schon um und wollte wieder rein gehen, als Ben ihr entgegen kam und sie sauer, wenn auch nicht wütend, ansah.

"Willst du mir bitte mal erklären, was um alles in der Welt du dir dabei gedacht hast?" fuhr er sie an, kaum dass er vor ihr stand.

"Gar nichts.", antwortete Katelyn ehrlich und sah ihn an.

"Dachte ich mir.", meinte Ben und schnaubte.

Dann atmete er tief durch und zog sie an sich.

"Die beiden Mädchen kommen gleich raus und ich hab' ihnen gesagt, dass du ein klein wenig schnell eiersüchtig wirst, weil dein letzter Partner eine andere noch neben her hatte.", erklärte Ben ihr und Katelyn wusste, dass er auf Aiden anspielte, und ein kurzer Schmerz durchzuckte ihre Brust.

"Lass Aiden aus dem Spiel.", murmelte sie an seiner Brust und konnte unter seinem Arm durchsehen, wie die beiden Mädchen wirklich aus der Kantine kamen, sie sahen und sofort wieder mit tuscheln begannen.

"So, sie sind weg, du kannst mich wieder los lassen.", meinte sie, kaum dass die Mädchen weit genug weg waren.

"Mach so was nie wieder, Cherié. Alles klar? Aiden saß nur wenige Tische von uns weg und er hat alles mitbekommen. Beim nächsten Mal wird er misstrauisch - wenn er es nicht eh schon ist."

Katelyn seufzte und nickte.

„Wollen wir ja nicht.“, meinte sie leicht sarkastisch und Ben sah sie böse an, obwohl Katelyn genau wusste, dass es ihm lieber wäre, Aiden würde die Wahrheit kennen und sie hätte keine andere Möglichkeit mehr, als sich mit ihm abzugeben.

Er hatte es nie offen zugegeben, und auch jetzt spielte er gut.

Plötzlich lächelte er und strich ihr sanft mit dem Daumen über die Unterlippe.

„Vielleicht sollten wir einen Schritt weiter gehen. Und es nicht mehr beim unschuldigen Berühren lassen.“, meinte er und ließ seine Hände über Katelyns Rücken zu ihrem Po wandern.

„Aiden hat ja bisher noch nicht wirklich reagiert, oder?“

Wütend hielt Katelyn seine Hände fest und funkelte ihn an.

„Übertreib’s nicht gleich, Ben. Hier sind immer noch jede Menge Kameras.“

Ben grinste sie an.

„Wir können gerne wohin gehen , wo keine Kameras sind.“

„Wann kehrst du wieder zu deiner Außenstelle zurück?“, fragte Katelyn, verdrehte die Augen und ließ seine Hände los.

„Erst, wenn der Ausschuss beschlossen hat, ob ich rechtswidrig gehandelt habe oder nicht. Und wenn du mit mir geschlafen hast. Vorher gehe ich nicht.“

Katelyn schnaubte und trat zurück.

„Werden wir ja sehen. Ich geh dann mal. Ich hab’ noch andre Dinge zu erledigen.

Dinge, die leichter sind, wie so zu tun, als ob ich dich mögen würde.“

Sie lächelte ihn an, küsste ihn zum Abschied, wie vereinbart, auf die Wange und ging.

„Du tust nicht nur so, Cherié ! Du magst mich wirklich !“, rief Ben ihr nach und lachte, doch sie schüttelte nur den Kopf und lief weiter.

Sie mochte ihn nicht.

Es war nicht mehr so schlimm, sich von ihm berühren zu lassen, wie es das zu Anfang noch gewesen war, doch sie konnte ihn noch immer nicht ausstehen.

Und das würde sich auch nicht ändern.

Auch nicht, sollte er der letzte Mann auf Erden sein.

Katelyn grinste bei dem Gedanken.

Eigentlich war das die Lösung :

Wäre Ben der einzige Mann auf Erden, wäre er so beschäftigt, dass er sich keinen Kopf mehr über sie machte.

Doch eine Welt voller kleiner Bens konnte unmöglich gut sein.

Eine Welt voller kleiner Aidens hingegen ...

Erschrocken schnappte Katelyn nach Luft und überlegte, ob sie gerade wirklich an das gedachte hatte, was sie jetzt im Kopf hatte.

Langsam schüttelte sie den Kopf und ging weiter zur Trainingshalle, an der Marco schon auf sie wartete.

Wenn sie je die Wahl haben sollte, dachte sie, während sie die letzten Meter auf Marco zuging, würde sie nicht wollen, dass Aiden der letzte Mann auf Erden wäre.

Ben könnte sie den anderen existierenden, weiblichen Wesen überlassen, ohne sich schlecht zu fühlen.

Doch Aiden würde sie um Nichts auf der Welt mit auch nur einer anderen teilen.

"Na, wie ist es so, mit Ben und seinem Fanclub an einem Tisch zu sitzen?", fragte Marco sie, als sie vor ihm stand und grinste sie an.
"Hättest mich ja erlösen und dich zu uns setzen können. Aber es ... man gewöhnt sich dran. Erstaunlicherweise."
Marco lachte und die beiden gingen zur Ecke der Halle, um nicht durch den Haupteingang zu müssen, sondern durch den Seiteneingang rein zu kommen.
Doch kurz vor der Ecke blieb Katelyn plötzlich stehen, hielt Marco zurück und legte ihren Finger auf die Lippen.
Marco lauschte und hörte, was Katelyn schon gehört hatte.
Aiden und Danni, die sich unterhielten.

"... komm schon, Aiden. Sag's mir. Was machen wir hier?"
Katelyn hörte die Neugier und auch die leichte Spur von Misstrauen in ihrer Stimme.
Aiden lachte leise und Katelyn schluckte schwer. Aiden lachte nur so, wenn er wirklich glücklich war. Und bisher hatte er nur so gelacht, wenn sie dabei war.
"Das sagte ich doch bereits. Ich hab' ein ruhiges Plätzchen gesucht. Wo uns niemand hören kann. Nur du und ich."
Für einen Moment war alles still und Katelyn wusste, dass Aiden Danni gerade küsste.
"Wieso hören?", fragte Danni schließlich und Katelyn ballte ihre Hände zu Fäusten.
Ihr Hals wurde trocken und sie wünschte sich gerade, ganz woanders zu sein, doch sie konnte sich nicht rühren.

"Weil ich dir was sagen will."
Er lachte sanft und Katelyn biss sich auf die Lippe.
Marco schien genau so gespannt zu lauschen, wie sie.
Doch schien er noch nichts zu ahnen.
Und Katelyn betete, dass es nicht so kommen würde, wie sie es ahnte.
"Also musst du gut zu hören."
Katelyn atmete tief ein, schloss die Augen und atmete langsam und kontrolliert wieder aus.
"Okay. Ich bin ganz Ohr.", antwortete Danni und Marco und Katelyn konnten hören, wie sie erwartungsvoll lächelte.
Es war einen Moment lang still.
"Ich liebe dich, Danni.", hörten sie plötzlich, sanft und zärtlich Aiden sagen und Katelyn durchzuckte ein so unglaublich heftiger Schmerz, dass sie aufkeuchte.
"Ich liebe dich so sehr, dass ich an nichts anderes denken kann, als an dich. Den ganzen Tag lang."
Es war still und nur das Geräusch von einem Kuss war zu hören.

"Ich liebe dich auch, Aiden.", flüsterte Danni und drückte ihre Lippen nochmal auf seine.
"Und ich bin so froh, dass du es endlich gesagt hast."
Sie küsste Aiden erneut und Katelyn spürte, wie sie um die Ecke stürmen und Danni eine verpassen wollte.
Und noch eine.
Und noch eine ...
"Aber was ... ist mit Katelyn?", fragte Danni und Aiden seufzte.
"Was soll mit ihr sein? Ich habe keine Gefühle für sie. Ich muss nicht mit ihr trainieren. Sie hat schließlich Marco und Ben zum Training. Und ich habe dich.", flüsterte er und Katelyn wusste genau, wie er Danni gerade anlächelte.
Und der Schmerz in Katelyns Brust nahm zu.
Denn bisher hatte er dieses Lächeln nur mit ihr geteilt.
"Ich muss nicht mal unbedingt mit ihr reden. Abgesehen davon, wenn es etwas wegen Mia gibt, vielleicht."
"Wirklich?", fragte Danni und klang viel zu begeistert.
"Wirklich.", antwortete Aiden und Katelyn spürte einen stechenden Schmerz in der Brust.
"Ich muss hier weg.", wisperte sie und schaffte es gerade noch, die Tränen zurück zu halten.
"Das kann ich mir nicht länger anhören."

Sie drängte sich an Marco vorbei und rannte los, ohne darauf zu achten, wo sie hin rannte.
Marco ließ sie laufen und versuchte gar nicht erst, sie aufzuhalten oder sie fest zu halten und sie war ihm dankbar dafür. Sie hätte es jetzt nicht ertragen, wenn er sie fest gehalten hätte oder versucht hätte, sie zu trösten.
Ziellos rannte sie die Schleichwege des Geländes entlang und war froh darüber, dass ihr niemand entgegen kam.
Sie konnte nicht zulassen, dass sie irgendjemand so sah. Sie war viel zu aufgewühlt und generell zu emotional, um momentan nicht aufzufallen.
Und sie konnte es sich nicht leisten, aufzufallen.
Irgendwann, als sie so lange gerannt war, dass ihre Beine sie nicht mehr trugen, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen den Stamm eines uralten Baumes und versuchte verzweifelt, wieder zu Atem zu kommen.
Bis jetzt hatte sie es geschafft, noch nicht in Tränen auszubrechen.
Sie schloss die Augen und atmete so tief ein, wie sie konnte, hielt die Luft in ihren Lungen, lauschte auf ihren noch immer viel zu schnellen Puls und atmete ganz langsam wieder aus.
Sie wusste, dass sie alleine war und sie war sich nicht sicher, ob sie allein sein wollte.
"Katelyn?", hörte sie jemanden leise und erstaunt fragen und öffnete die Augen.
Ben stand auf dem Weg vor ihr und sah sie überrascht an.
Langsam kam er auf sie zu, blieb aber so weit von ihr entfernt stehen, dass sie jeder Zeit gehen konnte, sollte sie sich unwohl fühlen.
"Alles okay?", fragte er sanft und sah sie an.
Katelyn biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf, die Tränen ließen sich nicht länger zurück halten und sie schluchzte leise.

"Was ist passiert?", fragte Ben und trat ein winziges Stück näher zu ihr.
Bevor sie wusste, was sie überhaupt tat oder realisierte, was geschah, warf sie sich ihm in die Arme und schluchzte an seiner Brust.
Auch wenn Ben völlig überrumpelt war und völlig perplex war, legte er sanft die Arme um sie und streichelte ihr tröstend über den Rücken.
"Was ist passiert, Katelyn? Erzähl's mir.", flüsterte er ihr ins Ohr und streichelte weiter ihren Rücken in einem beruhigenden und tröstlichen Rhythmus.
Katelyn wollte ihm gerne erzählen, was los war, doch sie konnte nicht. Sie schaffte es nicht, lange genug mit dem schluchzen aufzuhören, um auch nur ein Wort raus zu bringen.
"Aiden?", fragte Ben schließlich und Katelyn nickte nur.
"Hat er raus gefunden, was du tust?", fragte er und Katelyn schüttelte den Kopf.
"Er h- hat Danni g- gesagt, dass - dass er sie- sie lie- liebt.", schluchzte sie schließlich und Ben hielt sie fester.
Doch anstatt dass sie sich wehrte, ihn los werden wollte und sich unwohl fühlte, kam ihm seine Nähe gerade recht. Seine Wärme, sein Herzschlag, seine Hände auf ihrem Rücken und die regelmäßigen Abstände, in denen seine Brust sich enger an ihre drängte und sich wieder von ihrer entfernte, hatten eine beruhigende Wirkung auf sie.
Sie spürte, wie sie ruhiger wurde und ihre Schluchzer abnahmen.
Doch sie ließ Ben nicht los.
Und Ben ließ sie auch nicht los.
"Besser?", fragte er sanft, sah zu ihr nach unten und lächelte.
Katelyn überlegte einen Moment, nickte dann und sah dann vorsichtig zu ihm auf.
"Solange du nicht versuchst, mich zu küssen ... ein wenig."
Ben lachte sanft und sah sie an.
"Und wenn ich es versuchen würde?"
Katelyn sah nach unten und schmiegte sich wieder an seine Brust.
"Versuch es einfach nicht."
Ben küsste sie auf den Kopf und strich ihr weiter über den Rücken.
"Also bin ich einfach brav und nur ein guter Freund - für den Augenblick."
"Danke.", flüsterte sie und ließ sich weiterhin von seiner Wärme trösten.

Eine Weile standen sie so da, schweigend und ohne sich anzusehen, doch Katelyn war es recht.

Sie hatte Zeit, sich zu beruhigen und sich über das Gehörte Gedanken zu machen. Sich darüber Gedanken zu machen, was es bedeutete, was Aiden gesagt hatte.

Doch irgendwann löste sie ihre Arme von seinem Rücken und trat seufzend zurück.

„Ich muss ... zurück zur Halle. Marco wartet dort bestimmt noch. Wir wollten eigentlich trainieren.“

Ben nickte und lächelte sie freundlich an.

„Soll ich dich begleiten?“

Katelyn schüttelte sanft den Kopf, lächelte ihn aber dankbar an.

„Es ist bloß Training mit Marco. Und ...“

Katelyn seufzte.

„Aiden ist bestimmt nicht mehr in der Halle.“

Sie konnte es nicht fassen, dass sie zögerte, bevor sie seinen Namen aussprach.

„Und falls doch?“, fragte Ben und sah sie an.

„Marco ist auch noch da.“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern.

Sie legte ihm ihre Hand auf die Schulter, streckte sich zu seiner Wange und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke. Du hast dich mal nicht wie ein kompletter Arsch verhalten und warst für mich da, als ich jemanden brauchte.“

Sie lächelte ihn an und Ben erwiderte ihr Lächeln.

„Gern. Vielleicht schläfst du ja zum Dank mit mir.“

Katelyn sah ihn an und beschloss, dass er es nicht ganz ernst gemeint haben konnte.

„Bis heute Abend?“, fragte er.

„Vielleicht.“, antwortete Katelyn und ging zurück zur Halle.


Marco lehnte neben dem Haupteingang an der Wand, seine Arme verschränkt und sein Blick aufmerksam das Gelände absuchend.

Katelyn atmete tief durch, bevor sie zu ihm ging und vor ihm stehen blieb.

„Alles okay?“, fragte er und sah sie an.

„Geht schon.“

Sie lächelte ihn an und atmete tief durch.

„Gehen wir trainieren?“

Marco musterte sie und nickte dann.

„Danni und Aiden sind ... vor einer Weile gegangen.“

Katelyn biss die Zähne zusammen und nickte.

„Dann gibt es ja keine Ablenkung mehr.“

Sie stieß die Tür ein wenig zu heftig auf, sodass die Tür gegen die Wand knallte, doch es war ihr egal.

„Okay, wir trainieren am Boxsack. Das ist immer noch gefährlich genug.“, meinte Marco und ging voran zum Boxsack, doch sie kamen gar nicht erst dazu, mit dem Aufwärmen an zu fangen.

„Oh- oh ...“, meinte Marco, als er sich mit dem Gesicht zur Tür stellte und anfangen wollte, sich aufzuwärmen.

„Was?“, fragte Katelyn und wollte sich umdrehen, doch Marco hielt sie fest.

„Tu’s nicht. Wäre nicht gut.“

Katelyn sah ihn an.

„Aiden?“, fragte Katelyn und Marco nickte langsam.

Katelyn seufzte.

„Kommt er her?“

Wieder nickte Marco und Katelyn wollte sich in Luft auflösen.

„Katelyn.“, hörte sie Aiden sagen und drehte sich langsam zu ihm um.

Sie sah ihn an, doch fiel ihr sofort auf, dass Ace und Ziza dicht hinter ihm waren.

Vorsichtig, damit es niemand außer Aiden sah, sah sie ihn fragend an.

„Was?“

Aiden trat so dicht vor sie, dass sie die einzige war, die ihn hören konnte.

„Du musst mit mir trainieren.“, wisperte er ihr ins Ohr und hielt sie, als sie zurück zucken wollte, mit einem starken Griff am Oberarm fest.

„Katelyn! Offiziell sind wir immer noch Partner. Wir müssen mit unseren Partnern trainieren. Das weißt du.“

Katelyn sah ihn mit großen Augen an.

„Hast du nicht kürzlich noch gesagt, du hättest doch Danni? Und ich Ben und Marco?“, fragte sie ihn leise und sah ihm in die Augen.

Sie wusste, dass sie gerade zugab, gehört zu haben, was er gesagt hatte.

Aiden starrte sie an, ohne etwas zu sagen.

Er sah sie einfach nur an.

Ace, der inzwischen näher gekommen war und hinter ihnen stand, räusperte sich und Aiden drehte sich zu ihm um.

„Zwischen euch ist doch alles klar, oder? Ihr habt keine ... Differenzen, oder? Das wäre äußerst ... nun ja, nicht gerade förderlich, habt ihr doch als Partner eine gewisse Verantwortung übernommen.“

Ziza sah die beiden an und musterte sie und Katelyn schluckte.

„Nein. Alles in Ordnung.“, antwortete Aiden schnell und sah Katelyn an.

„Was gibt’s?“, fragte Katelyn und sah Ace und Ziza an.

Irgendetwas stimmte nicht, das sah sie sofort.

„Uns ist zu Ohren gekommen, dass es zwischen euch ... gewisse Spannungen gab. Oder gibt. Das müssen wir überprüfen.“, erklärte Ace und Katelyn sah zu Aiden.

Aiden sah sie nicht an, er starrte Ace und Ziza an, doch sein Oberarm berührte ihren auf der ganzen Länge bis zum Ellenbogen.

„Es gibt keine Spannungen.“, flüsterte Katelyn und sah wieder zu Ace und Ziza.

„Aiden und ich wissen, wie wichtig die Partnerschaft ist. Dass sie alles ist. Und sie bedeutet uns auch alles.“

Ziza sah zu Marco und sah dann wieder Katelyn an.

„Ihr trainiert nicht zusammen.“

„Wir haben die letzten zwölf Jahre zusammen trainiert. Wir kennen alle Tricks des anderen und es gibt keinerlei Überraschungen mehr. Um wirklich in Form zu bleiben, sollten wir aber auch mal Überraschungen erleben. Wir wissen, dass wir uns im Kampf auf einander verlassen können. Es gibt keinen Kampf, den wir zusammen nicht gewinnen könnten – wenn uns die Überraschungen nicht zu sehr überraschen. Und wir kümmern uns beide um Mia. Wir haben uns diese Verantwortung zusammen ausgesucht und wir meistern sie auch zusammen. Und das mit Erfolg. Mia ist die beste.“

Sie sah Ziza in die Augen und Ziza sah zu Ace.

„Schön zu hören. Aber es wäre uns doch lieber, wenn wir sehen würden, wie ihr zusammen trainiert. Jetzt.“

Aiden straffte die Schultern und sah zu Katelyn.

Katelyn atmete tief durch und trat auf die Matten.

Sie drehte sich um und Aiden stand ihr gegenüber, so wie immer, wenn sie trainierten.

Für einen Moment kam es ihr vor, als ob es wie immer wäre, als ob sie sich nie gestritten hätten, doch dann sah sie Aiden in die Augen und erkannte, wie sehr er sich verändert hatte.

Dann griff er sie plötzlich an und Katelyn musste ihm ausweichen.

Mit großen Augen sah sie ihn an und realisierte, dass Aiden sie gerade in zwölf Jahren zum ersten Mal angegriffen hatte.

Sie wehrte seine nächsten Attacken erfolgreich ab, bevor sie beschloss, selbst anzugreifen. Sie täuschte einen Schlag vor und trat dann zu, doch Aiden erkannte ihre Absicht, fing ihr Bein ab und brachte sie zu Fall.

„Was genau hast du heute Mittag gehört?“, fragte er sie leise, als er ihr die Hand entgegen streckte, um ihr auf zu helfen.

„Mehr, als ich wollte, genug, um meine Schlüsse zu ziehen und alles, was du gesagt hast.“, flüsterte sie zurück, nahm seine Hand und zog ihn nach unten.

Aiden schaffte es, sich abzurollen und auf dem Rücken liegen zu bleiben, doch bevor er aufstehen konnte, saß Katelyn auf seinem Bauch, packte seine Handgelenke und drückte sie mit aller Kraft auf den Boden.

„Und nur, damit du dir nichts falsches einbildest : Ich tue das hier nicht für dich.“, wisperte sie und stand auf.

„Reicht das ? Oder bestehen immer noch Zweifel ?“, fragte sie Ace und Ziza und drehte sich zu ihnen um.

Sie streckte die Hand nach hinten, ohne zu sehen, wo Aiden war, und er griff ihre Hand. Sie zog ihn hoch und er stellte sich neben sie.

Er berührte sie wieder, und das irritierte sie.

Ziza und Ace wechselten einen schnellen Blick und nickten dann.

„Ja. Ihr seid immer noch ein unschlagbares Paar.“

„Wer auch immer das Gegenteil behauptet hat, hat euch nie zusammen kämpfen sehen.“, fügte Ziza hinzu und die beiden gingen wieder.

„Doch, hat sie – nur wollte sie, dass es aufhört.“, wisperte Katelyn und sah Ace und Ziza nach, als sie nach draußen traten.

Kaum waren die Türen hinter ihnen zugefallen, trat Katelyn von Aiden weg und wollte zu Marco gehen, doch Aiden hielt sie am Oberarm fest und drehte sie wieder zu sich um.

„Katelyn.“

„Lass mich los, Aiden.“

Sie wollte sich los reißen, doch Aiden hielt sie fest und zog sie näher an sich.

Er legte ihr die Finger unters Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

„Katelyn.“, flüsterte er und sie spürte, wie sein Daumen sanft über ihren unteren Kieferknochen strich.

Sie sah ihm in die Augen, in seine wundervollen, braunen Augen, die sie schon seit zwölf Jahren kannte, die sie schon so oft getröstet hatten und die sie immer voller Wärme angesehen hatten.

Und die Danni gesagt hatten, er würde sie lieben.

Und dass sie ihm nichts bedeuten würde.

Katelyn biss sich auf die Unterlippe und befreite ihr Kinn aus seinem Griff.

„Ich hab’ das nicht für dich getan, Aiden. Der einzige Grund, warum ich diese Show mit dir abgezogen habe, ist Mia. Sie würde anderen zugeteilt werden, wenn raus käme, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben. Dass wir nicht mehr zusammen trainieren. Und das geht nicht.

Aber dieser Kampf hatte nichts mit dir zu tun.“

Sie befreite ihren Arm aus seinem Griff und wandte sich von ihm ab.

„Katelyn, jetzt warte doch einen Moment.“

Aiden stellte sich ihr in den Weg und versperrte den Durchgang mit seinem Arm.

„Aiden, bitte. Lass es. Lass mich.“, flüsterte sie und hoffte, dass er sie in Ruhe lassen würde, doch er tat es nicht.

„Danke, Katelyn.“, meinte Aiden, als sie sich unter seinem Arm weg ducken wollte, hob sie fest und drückte sie leicht gegen die Wand, damit sie keine andere Wahl hatte, als ihm zu zuhören.

„Ich mein’ es Ernst. Danke. Hättest du das nicht getan ... wäre heute einiges zerstört worden, auf das ich ... lange hingearbeitet habe.“

„Danni zu sagen, dass du sie liebst, zum Beispiel ?“, fragte Katelyn und sah ihn an.

Aiden sah sie an, seine Kiefer fest aufeinander gepresst, seine Nasenlöcher geweitet

vor Wut und es schien, als ob in seinen Augen ein Sturm toben würden.

Doch er sagte nichts.

„Ich sagte doch, ich habe alles gehört, was du gesagt hast.“, meinte sie und duckte sich unter seinem Arm durch.

Und dieses Mal ließ Aiden sie gehen.

Marco folgte ihr nach draußen und sah sie von der Seite her an.

„Alles okay ?“, fragte er vorsichtig und Katelyn nickte.

„Was wollen wir noch machen ?“, fragte er und wechselte das Thema.

Katelyn wollte etwas antworten, doch sie sah Mia alleine auf die Turnhalle zukommen und war abgelenkt.

„Warte kurz.“, meinte sie zu Marco und lief Mia entgegen.

„Hey, Süße, was machst du denn hier ?“

Sie lächelte Mia an und beugte sich zu ihr runter..

„Aiden hat mich nicht abgeholt. Ich hab’ gewartet, aber er kam nicht, also bin ich hergekommen.“

„Oh ...“, meinte Katelyn und drehte sich zum Eingang der Halle um.

Aiden stand in der Tür und sah sie an, doch er blieb stehen und kam nicht zu ihnen rüber. Ein Teil von Katelyn war froh darüber, doch ein anderer Teil, ein tieferer und verborgenerer Teil von ihr, wünschte sich, dass er zu ihr rüber kommen würde.

„Das wusste ich nicht. Aiden hätte dich gerne abgeholt, doch es ... kam was dazwischen.“

Mia sah an Katelyn vorbei zu Aiden und sah dann wieder Katelyn an.

„Ich sehe Danni aber nirgends.“

Katelyn musste lächeln und schüttelte den Kopf.

„Dieses Mal hatte es auch nichts mit Danni zu tun.“

Sie strich Mia sanft über die Wange und richtete sich auf.

„Na los, geh schon. Aiden sieht so aus, als ob er dich gerade holen wollte. Er wartet schon auf dich.“

Mai sah wieder an Katelyn vorbei und schnaubte belustigt.

„Mag sein, dass er wartet – aber er schaut nicht mich dabei an.“

Katelyn drehte sich um und wollte sehen, was Mia meinte – und begegnete dabei Aidens Blick, der fest auf sie geheftet war.

Mia ging hinüber zu ihm, doch anstatt dass er ihr entgegen sah, sah er nach wie vor Katelyn an und auch Katelyn konnte nicht weg sehen.

Es war, als würden ihre Blicke miteinander verschmelzen.

Als würde sie etwas verbinden, das Katelyn nicht beschreiben konnte.

Etwas, das sie selbst nicht kannte und das ihr bisher noch nie bewusst geworden war.

Etwas, das sie dazu drängte, alles, was gewesen war, zu vergessen, und in ihr den Wunsch erwachen ließ, genau jetzt auf Aiden zu zugehen und ihn zu küssen, ihn fest an sich zu pressen, während seine Hände über ihre Haut glitten und ihren Körper mit Begierde nach mehr erfüllten ...

Doch bevor sie auch nur einen Schritt nach vorne machen konnte oder sich darüber bewusst wurde, was sie gerade wollte, wurde Aiden von jemandem hinter ihm, der aus der Trainingshalle raus wollte, angerempelt und der Blickkontakt brach ab.

Erschrocken wirbelte Katelyn herum und holte tief Luft.

Hey, sorry, man.

„Kein Problem. Ich wollte eh gerade ...“

Katelyn wartete nicht ab, was Aiden wollte oder nicht wollte, sie ging langsam davon und versuchte, ihre eigenen Gedanken zu verstehen.

Marco holte sie problemlos ein und lief neben ihr her, ohne etwas zu sagen, und dafür war sie ihm dankbar.

Als sie so weit gelaufen war, dass sie die Trainingshalle nicht mehr sehen konnte, blieb sie stehen und legte ihre Hände auf die Augen, holte tief Luft und begann, zu schreien.

Marco zuckte erschrocken zusammen, als sie neben ihm plötzlich zu schreien anfing, doch dämpften ihre Hände den Schrei, so dass man sie nur hörte, wenn man direkt neben ihr stand.

Er wartete, bis sie fertig war und sich verzweifelt ins Gras sinken ließ, und setzte sich neben sie.

„Fühlst du dich jetzt besser ?“, fragte er sie und Katelyn seufzte.

„Nein. Nicht wirklich. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, bald vor lauter unterdrückter ... was – auch - immer zu explodieren. Aber besser fühle ich mich nicht.“

Marco sah sie an und begann, Grashalme zu zupften.

„Was ist los ? Seit Aiden mit Danni schläft, und du es weißt, bist du völlig neben der Spur. Du rastest aus, rennst weg, legst dich mit Aiden an ...“

„Ich brauche keine Aufzählung der Dinge, die ich getan habe, danke.“, meinte Katelyn zickig und Marco sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

„Soll ich das hinzufügen ?“

Katelyn stöhnte und ließ sich ins Gras sinken.

Sie starrte in den wolkenlosen, blauen Himmel und überlegte, was sie sagen sollte.

„Es ist einfach, dass ...“, fing sie langsam an, unterbrach sich und seufzte traurig.

Sie pflückte ein Gänseblümchen, das neben ihr im Gras wuchs, und rupfte es langsam auseinander.

„Aiden und ich kennen uns schon so lange. Er ist mein bester Freund. Wir sind ein Team. Wir konnten uns immer alles sagen. Doch dann ...“

Katelyn ließ das zerrupfte Gänseblümchen fallen und stützte sich auf den Ellenbogen auf Marcos Seite und sah ihn an.

„Ich wusste nicht einmal, dass er mit einem Mädchen schlief. Ich weiß nicht, wann er angefangen hat, mit ihr zu schlafen und ich weiß nicht, warum er angefangen hat, mit ihr zu schlafen. Ich habe von ihr durch Zufall davon erfahren, anstatt von ihm.

Aiden hatte immer gesagt, dass er auf die eine wartet, die ihm vom ersten Augenblick an nicht mehr aus dem Kopf geht, die er wirklich aus tiefstem Herzen liebt und mit der er sich ein normales Leben vorstellen könnte. Für die er für ein normales Leben kämpfen würde.“, flüsterte Katelyn leise und schaffte es nicht, Marco dabei anzusehen.

„Und du glaubst nicht, dass Danni diese eine sein könnte ?“, fragte Marco sie leise und sah sie an.

Katelyn sah ihn an und schüttelte dann langsam den Kopf.

„Sie zusammen zu sehen ist ... merkwürdig. Zu wissen, dass sie miteinander schlafen ist ... verstörend. Und annehmen zu müssen, dass er sie liebt, ist ... ist ...“

Katelyn seufzte erneut und setzte sich ganz auf.

„Falsch. Alles, was mit den beiden zusammen zu tun hat, fühlt sich falsch an. Es fühlt sich falsch an, wenn er ihre Hand hält, es fühlt sich falsch an, wenn er sie küsst.

Es fühlt sich falsch an, wenn sie ihn zum Lachen bringt und es fühlt sich falsch an, wenn sie an seinem Arm hängt. Und selbst, wenn sie seinen Namen ausspricht, fühlt es sich falsch an. Und es klingt falsch.“

Katelyn sah Marco an, ein Flehen lag in ihrem Blick, fast, als würde sie ihn bitten, ihr zuzustimmen.

„Wenn sie die eine wäre, müsste es sich doch besser anfühlen, richtiger. Oder ? Es müsste ... mehr Sinn ergeben.“

„Kann schon sein.“, meinte Marco und sah sich um.

„Aber wenn du Gefühle für ihn hast ... willst du möglicherweise nicht einsehen, dass er wirklich eine andere liebt.“

Katelyn starrte Marco ungläubig an und es hätte nicht viel gefehlt, dass ihr der Mund aufgeklappt wäre.

„Du ... Du glaubst, ich hätte Gefühle für Aiden ?“, fragte sie fast entsetzt und sah ihn mit großen Augen an.

Marco nickte knapp und stand auf.

„Ich halte es für möglich.“

Dann drehte er sich um und ging auf das Wohnhaus zu.

Katelyn saß noch einen Moment wie erstarrt da, dann sprang sie auf und folgte ihm.

„Wieso glaubst du das?“, fragte sie ihn, als sie ihn eingeholt hatte, und lief neben ihm her.

„Weil du keinen anderen Jungen je an dich ran gelassen hast, Katelyn. Seit ich dich kenne, musstest du immer jedem Jungen beweisen, dass du stärker oder schneller oder geschickter bist. Du hast nie einen Jungen gewinnen lassen – bis auf ein einziges Mal.“

Katelyn wusste, was Marco meinte.

Vor knapp eineinhalb Jahren war Aiden zum Zeitpunkt der Prüfung mal so schlimm erkältet gewesen, dass er nicht einmal gegen die zwei Jahrgänge unter ihnen bestanden hätte. Und das hatte sie ihm einfach nicht antun können.

„Das war eine Ausnahme.“, meinte sie sofort und Marco sah sie an.

„Ja, eben. Deine einzige Ausnahme, Katelyn. Und du hättest es auch für niemand anderen getan. Du hast Aiden nie erzählt, was du für ihn getan hast und ihm eingeredet, dass er einfach verdammtes Glück hatte, weil du genau wusstest, dass er das Prüfungsergebnis nicht angenommen hätte, wenn er die Wahrheit gewusst hätte. Keiner von uns anderen würde das für seinen Partner tun, Katelyn. Aber du hast es getan.“

Sie sah Marco wütend an.

„Das bedeutet noch lange nicht, dass ich etwas für Aiden empfinde.“

„Gut, dann erklär mir, warum du weggerannt bist, als du Aiden und Danni zusammen gesehen hast. Warum du nicht bleiben konntest und dir Aidens Erklärung nicht anhören wolltest.“, verlangte Marco und sah sie an.

Katelyn biss die Zähne zusammen und sah Marco an.

„Weil er mir gesagt hatte, dass er mit ihr redet. Dass er es beenden würde.“

„Das hat er nicht gesagt, und das weißt du. Du hast es so interpretiert, weil du das hören wolltest.“

Katelyn öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch sie musste sich eingestehen, dass er recht hatte.

Aiden hatte mit keinem Wort gesagt, dass er es beenden würde. Er hatte lediglich gesagt, er würde mit Danni reden.

„Warum bin ich dann weggerannt ?“, wollte sie von Marco wissen, versperrte ihm den Weg und stemmte die Hände in die Hüften.

„Sag’s mir, wenn du doch so ein unglaublicher Experte darin bist.“, forderte sie und Marco seufzte.

„Ich hab’ dich echt gern, Katelyn. Aber es erstaunt mich, dass du so blind sein kannst. Vor allem dir selbst gegenüber.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Du bist eifersüchtig, okay ? Eiersüchtig und unglaublich verletzt, weil Danni diejenige ist, die Aiden zu sich ins Bett nimmt und die er küsst und berührt. Weil er ihre Hand hält und sie anlächelt und natürlich, weil er ihr gesagt hat, dass er sie liebt. Und nicht dir.“

„Nicht mehr.“, wisperte Katelyn leise und senkte ihren Blick.

Heiße Tränen sammelten sich in ihren Augen und der Schmerz, der sie durchzuckt hatte, als sie gehört hatte, wie Aiden Danni gesagt hatte, dass er sie liebt, flammte wieder neu auf. Nur dieses Mal noch heftiger und tiefer.

Sie wollte nicht glauben, dass Marco recht hatte.

Sie konnte es nicht. Und doch konnte sie nicht leugnen, dass da dieser Schmerz war, der jedes Mal, wenn sie an Aiden dachte, schlimmer wurde. Und noch schlimmer, wenn sie Aiden mit Danni zusammen sah.

„Ich ... sollte gehen. Ich hab’ noch ... was zu erledigen, bevor ich Mia von ... Aiden ... abhole.“, meinte sie leise und sah Marco dabei nicht an. Sie wollte nicht, das er ihre Tränen sah.

„Ach, Scheiße, Katelyn. Ich wollte dich nicht verletzen, es tut mir leid.“

„Schon okay, Marco. Du hast mich nicht verletzt. Du hast ... Du hast nur die Wahrheit gesagt.“

Katelyn hob den Kopf und lächelte ihn traurig an.

„Alles andere ist meine Schuld.“

Marco sah die Tränen in ihren Augen und wie sie sich bemühte, sie zurück zu halten und seufzte.

„Ich wünschte ... Ich wünschte, Danni wäre nicht so verdammt egoistisch und ich wünschte, Aiden wäre gerade nicht so ein verdammtes Arschloch. Vielleicht wäre dann alles besser.“

„Das kannst du nicht wissen, Marco. Vielleicht ... Vielleicht habe ich auch gar keine Gefühle für ihn. Vielleicht wird mir gerade nur alles zu viel und ich drehe deshalb durch. Vielleicht liebt er sie wirklich und ich bin zu egoistisch, um ihn glücklich werden lassen zu können.“

Marco sah sie zweifelnd an.

„Kann ich mir nicht vorstellen.“

Katelyn zuckte mit den Schultern.

„Ich geh jetzt auf jeden Fall erst mal in mein Zimmer. Und da überleg ich mir dann, was ich heute mit Mia mache.“

Marco nickte.

„Okay. Sehen wir uns beim Abendessen ?“

„Klar.“, antwortete Katelyn und ging die Treppen zu ihrer Etage hoch.


In ihrem Zimmer ließ sie sich einfach auf ihr Bett fallen und seufzte schwer.

Was Marco gesagt hatte, ließ sie nicht in Ruhe.

Es war unmöglich, dass sie sich verliebt hatte.

Und schon gar nicht in Aiden ... Oder ?

Es stimmte, dass sie ihn anders behandelte, als andere Jungs.

Und es war auch richtig, dass sie bei keinem anderen Jungen eine Ausnahme gemacht hätte.

Aber Aiden war nun mal ihr Partner, er war erkältet gewesen und sie hatte einfach nicht dabei zuschauen können, wie er durch die Prüfung gerasselt wäre.

Zumal es nicht fair gewesen wäre, ihn in angeschlagenem Zustand gegen sie antreten zu lassen.

Aber hatte sie deshalb gleich Gefühle für ihn ?

Nur, weil sie ihn einmal geschont hatte ?

Vor gut eineinhalb Jahren ?

Nein, beschloss Katelyn und schüttelte den Kopf.

Nicht, weil sie ihn geschont hatte.

Sie dachte an den Moment zurück, in dem ihr klar geworden war, was die nächsten Worte sein würden, die Aiden zu Danni sagen würde, und wie sie sich dabei gefühlt hatte.

Wie verzweifelt sie sich gewünscht hatte, dass sie sich täuschen würde, dass Aiden Danni irgendetwas anderes sagen würde, als diese drei Worte und wie sehr sie sich an die winzige Hoffnung geklammert hatte, sie würde sich täuschen.

Und wie heftig der Schmerz gewesen war, als sie sich nicht getäuscht hatte und Aiden Danni genau die drei Worte sagte.

Wie sehr es seit dem weh tat, Aiden anzusehen oder auch nur an ihn zu denken, und wie sehr sie Danni seit dem hasste.

Sie dachte daran, wie sie, als sie Aiden und Danni Hand in Hand auf die Halle hatte zukommen sehen, vollkommen ausgerastet war und Aidens Erklärung gar nicht erst hatte hören wollen.

Wie es sich angefühlt hatte, als sie zusammen im Regen gestanden hatten und er sie beinahe geküsst hatte.

Wie ungeheuer sehr sie sich gewünscht hatte, dass er es tun würde.

Ihre Enttäuschung, als Danni aufgetaucht war.

Die Tatsache, wie gut sie sich hatte vorstellen könne, wie sich Aidens Hände auf ihrer Haut anfühlen würden ...

Sie drehte ich auf den Bauch, vergrub ihr Gesicht in ihrem Kissen und wimmerte, bis sie keine Luft mehr hatte.

Dann drehte sie sich wieder auf den Rücken und starrte betrübt an die Decke.

Sie musste sich eingestehen, dass Marco recht hatte, auch wenn es ihr nicht gefiel. Sich zu verlieben war in der ’Akademie’ ein Fehler, ein Problem, bei dem man sich nicht oft genug überlegen konnte, ob man ihn wirklich bereit war, einzugehen.

Doch sie war in Aiden verliebt.

Sie konnte nichts daran ändern.

Es war schon geschehen.

Das einzige, was sie noch tun konnte, war, sich zu überlegen, wie sie damit umgehen wollte.

Ob sie den Mut haben würde, es Aiden zu sagen.

Oder es lieber lassen sollte.

Ob sie riskieren wollte, dass Aiden sie auslachte, weil er Danni liebte und ihr das Herz brach.

Oder er wie durch ein Wunder erkennen würde, dass Danni nicht die richtige für ihn war und er sich von ihr trennen würde.

Und sie musste gut darüber nachdenken, ob sie alles riskieren wollte, nur weil möglicherweise der minimalste Hauch einer winzigen Chance bestand, dass sie und Aiden glücklich werden könnten.

Dass sie zusammen kommen könnten.

Denn sollte es schief gehen oder sie auffliegen, entdeckt werden oder sollten sie sich trennen, weil es doch nicht funktionierte, könnte sie alles verlieren.

Aiden, Mia – einfach alles. Sogar ihr Leben.

Kapitel 17 : Die Entscheidung

 

Seit einer geschlagenen Stunde saß Katelyn auf ihrem Bett, tigerte nervös durch ihr Zimmer oder starrte ihr Handy, das sie auf den Tisch gelegt hatte, an und überlegte, ob sie Aiden eine Nachricht schreiben sollte oder nicht.

Sie hatte sich entschlossen, mit Aiden zu reden, auch wenn sie sich noch nicht ganz sicher war, ob sie ihm von ihren Gefühlen für ihn erzählen würde oder nicht. Sie wollte mit ihm reden und das zwischen ihnen klären, sie wollte von ihm wissen, wie fest das zwischen ihm und Danni war und warum er ihr nichts davon erzählt hatte.

Und wenn sie dann noch nicht ausgerastet war oder er sich nicht abgewandt hatte, würde sie all ihren Mut zusammen kratzen und es ihm sagen.

Und hoffen und beten, dass er sich nicht vollkommen von ihr abwandte.

Sie atmete tief durch und griff nach dem Handy, nahm es vom Tisch und öffnete das SMS – Menü.

Langsam wanderten ihre Finger über die Tasten und drückten einzelne, um ihre Nachricht zu schreiben.

Sie war nur kurz, doch sie würde dafür sorgen, dass Aiden sich mit ihr treffen würde und mit ihr reden würde, und zwar ohne Danni.

Nur er und sie.

Das war alles, was sie wollte.

Doch bevor sie es abschickte, zögerte sie.

Wenn sie diese SMS abschickte, gab es kein Zurück mehr.

Ihr Daumen hing über der Taste und sie spürte, wie sie anfing zu zittern.

Schnell, bevor sie es sich noch einmal überlegen konnte, drückte sie auf ’Senden’ und schickte gleichzeitig ein Stoßgebet gen Himmel.

Ihr Handy piepste und zeigte ihr ’Nachricht gesendet’ an und Katelyn schaltetet ihr Handy aus.

So hatte Aiden keine Chance, sie per SMS zu fragen, um was es ging oder ihr sogar abzusagen. Er hatte keine andere Möglichkeit, als zu kommen, wie sie es verlangte.

Katelyn atmete tief durch und sah auf ihren Wecker.

Es war bereits nach neun Uhr abends, sie hatte Mia bereits in ihr Wohnhaus gebracht und sich von ihr verabschiedet, ihr eine gute Nacht gewünscht und ihr versprochen, dass sie Morgen etwas tolles zusammen machen würden und wieder auf den Dachboden gehen würden.

Und in knapp einer Stunde wollte sie sich mit Aiden treffen.

Sie spürte, wie angespannt sie war und beschloss, heiß duschen zu gehen, um sich ein wenig zu entspannen. Sie konnte Aiden nicht gegenüber treten und ihm möglicherweise sagen, dass sie ihn liebte, wenn sie vollkommen hibbelig und nervös und aufgekratzt war.

 

Als Katelyn aus der Dusche kam, hatte sie noch eine viertel Stunde, um sich fertig zu machen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben überlegte sie, was sie anziehen sollte. Oder wie sie ihre Haare machen sollte.

Sie hatte zwei Möglichkeiten, wie sie ihre Haare machen konnte : Offen oder in einem Zopf.

Bei den Klamotten wurde es schwieriger.

Sie hatte nur Sachen der ’Akademie’, die alle gleich waren. Der einzige Unterschied war, dass es dünnere und dickere Pullover gab, kurze und lange Hosen und alles in verschiedenen Farben. Katelyn nahm eine Jeans aus ihrem Schrank, die noch relativ figurbetonend war, und legte sie auf ihr Bett. Sie wühlte ihren gesamten Schrank durch und fand dabei wieder Mias Bild. Sie hielt es zwischen den Fingern und überlegte, ob sie es mitnehmen sollte oder nicht. Schließlich warf sie es aufs Bett und suchte weiter nach einem Pullover. Nach fünf Minuten gab sie es mit einem entnervten Stöhnen auf und nahm ihren Lieblingspulli, einen dunkelblauen, dünnen Baumwollpullover, mit einem relativ tiefen V- Ausschnitt, und zog ein schwarzes Top drunter. Dann zog sie die Jeans an, schob das zusammen gefaltete Bild von Mia in die hintere Hosentasche und zog ihre Turnschuhe an.

Sie sah aus dem Fenster, draußen war es schon dunkel, und atmete tief durch. Ihr Handy lag stumm und schwarz auf dem Tisch und dort ließ sie es auch, als sie zur Tür ging und sich auf den Weg machte, Aiden um halb elf in der Trainingshalle zu treffen.

Kaum hatte sie das Wohnhaus verlassen, kam ihr der Gedanke, dass Aiden möglicherweise gar nicht kommen würde, obwohl sie ihm geschrieben hatte, dass es ein Notfall war. Danni würde ihn nicht gehen lassen, wenn sie von der SMS wusste. Panik stieg in ihr auf und sie überlegte kurz, einfach umzudrehen und wieder in ihr Zimmer zu gehen, doch das war Unsinn. Sie hatte schließlich nach diesem Treffen verlangt. Entweder er kam, oder er kam nicht.

Katelyn zog die Ärmel ihres Pullis über die Handflächen und atmete tief durch.

Jetzt konnte sie auch nichts mehr daran ändern.

Und wenn sie jetzt umdrehen würde, würde sie nie erfahren, ob Aiden dort war oder nicht.

Also ging sie weiter, auch wenn sie es ein wenig unheimlich fand, alleine im Dunkeln über das Gelände zu laufen. Überall um sie herum knackte und raschelte es.

Um so erleichterter war sie, als sie den beleuchteten Eingang der Trainingshalle endlich sah.

Sie blieb kurz stehen und sah sich um, ob sie Aiden irgendwo stehen sah, doch sie sah ihn nirgends. Sie schluckte nervös und ging weiter, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Handflächen wurden schweißnass. Sie redete sich ein, dass Aiden noch ein paar Minuten hatte, sie war schließlich ein wenig zu früh dran, und sie hatte geschrieben, dass sie sich in der Halle treffen würden.

Vorsichtig drückte sie gegen die Tür und stellte erleichtert fest, dass die Türen noch offen waren. Sie öffnete die Tür gerade weit genug, um durch zu passen und schloss sie lautlos wieder hinter sich.

„Du bist zu spät.“, ertönte eine Stimme hinter ihr und sie wirbelte erschrocken herum.

Doch es war Aiden.

„Gott, hast du mich erschreckt.“, meinte sie leise und atmete tief durch.

„Du wolltest doch, dass wir uns hier treffen.“, erwiderte Aiden nur und sah sie kalt an.

„Du hast geschrieben, es wäre wichtig. Dass es ein Notfall wäre. Und als ich dir schreiben wollte, warum es so wichtig wäre, war dein Handy aus.“

„Wärst du gekommen, wenn ich dich einfach so darum gebeten hätte ?“, fragte sie ihn leise und strich sich ihre Haare hinters Ohr.

Aiden sah sie an und knirschte mit den Zähnen.

„Nein. Wahrscheinlich eher nicht.“

„Dachte ich mir.“, flüsterte Katelyn und versuchte, in der Dunkelheit Aidens Gesicht aus zu machen, doch er stand zu sehr im Schatten.

„Ich wäre auch so fast nicht gekommen.“, fügte Aiden hinzu und Katelyn biss sich auf die Lippe.

„Das musstest du natürlich hinzufügen.“, flüsterte sie und schaffte es nicht, den Schmerz aus ihrer Stimme raus zu halten.

Dann atmete sie tief durch, richtete sich auf und sah Aiden an – jedenfalls so gut es ging, stand er doch immer noch in den Schatten.

„Der Grund, warum ich dich gebeten habe, zu kommen, ist auch wichtig. Nicht ... gerade ein Notfall, aber durchaus wichtig. Zumindest für mich.“

Sie ging auf Aiden zu, bis sie so dicht vor ihm stand, dass sie ihn wieder erkennen konnte, und sah ihn an.

Es erstaunte sie, dass sie Aiden schon seit zwölf Jahren kannte und ihn seit zwölf Jahren jeden Tag sah, und ihr doch nie aufgefallen war, wie verdammt gut er aussah. Oder wie sexy er war.

Er war fast einen Kopf größer als sie, durchtrainiert, ohne übertrieben muskulös zu wirken, hatte eine tolle Lippenform, ohne dass es irgendwie komisch aussah, und war doch nicht so makellos, dass man Komplexe bekam, wenn man zu lange neben ihm stand.

Ihr war bewusst, dass sie ihn anstarrte, doch konnte sie nicht damit aufhören.

Sie kannte dieses Gesicht einfach viel zu gut, um den harten, eiskalten Blick darin übersehen zu können.

Es machte sie traurig, ihn so zu sehen, und noch trauriger machte es sie, zu wissen, dass dieser Blick ihr galt.

„Was ist dir so wichtig, dass du mich so spät abends her bestellst?“, fragte Aiden sie mit vor der Brust verschränkten Armen und sah sie an.

Katelyn fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen, um sie zu befeuchten, bevor sie den Mut aufbrachte, Aiden zu sagen, was sie wollte.

„Du ... hast mir nicht erzählt, dass du mit Danni schläfst. Und ich weiß, dass du gesagt hast, du hättest nicht den richtigen Zeitpunkt dazu gefunden. Aber Tatsache ist, dass ... dass Zeit gewesen wäre, Aiden. Du hättest es mir erzählen können. Aber du hast es nicht. Also hast du es mir nicht erzählt, weil du es mir nicht erzählen wolltest.“ , meinte Katelyn und sah Aiden an.

Sie hoffte, dass er ihr antworten würde, dass er ihr eine vernünftige Antwort geben würde, mit der sie leben konnte. Dass er ihr die Wahrheit sagen würde.

„Genau genommen geht es dich ja auch nichts an, mit wem ich schlafe.“, meinte Aiden und wandte sich von ihr ab, um zur Tür zu gehen.

„Verdammt, Aiden !“ Katelyn versperrte ihm die Tür und sah ihn an.

„Wir kennen uns seit über zwölf Jahren, Aiden ! Du warst immer mein bester Freund. Dank dir habe ich das erste Jahr hier überstanden und auch jedes folgende. Du hast es als einziger innerhalb von Sekunden geschafft, mich zum Lächeln zu bringen. Du hast dafür gesorgt, dass ich menschlich bleibe, Aiden. Ohne dich wäre ich ... wäre ich verloren gewesen. Ich wäre genau so geworden, wie sie mich hätten haben wollen.“

Katelyn spürte, wie ihr etwas Nasses über die Wange lief und wischte es weg.

Es war ihr egal, dass sie weinte. Es war ihr auch egal, dass Aiden es sah. Es zeigte nur, dass sie noch menschlich war und ihr etwas an Aiden lag.

„Aber das bin ich nicht. Ich bin nicht so, wie sie mich wollten und ich bin nicht verloren gewesen.“

Sie schniefte leise und schaffte es, ein zitterndes Lächeln zustande zu kriegen, bevor sie Aiden ansah.

„Weil du da warst. Weil du mir jeden Abend erzählt hast, wie das Leben außerhalb dieser Mauern ist und mich daran erinnert hast, dass Zuneigung etwas gutes ist, und keine Schwäche. Weil du mein bester Freund warst, dem ich immer alles erzählen konnte und von dem ich wusste, dass ich ihm vertrauen kann, weil er mir immer die Wahrheit sagt. Weil du keine Geheimnisse vor mit hattest.

Doch seit ... seit dieser Mission, seit wir zurück sind, und Danni aufgetaucht ist, weiß ich, dass du mich schon eine ganze Weile hintergangen hast.“

Katelyn wischte sich erneut über die Wange und atmete tief durch, bevor sie Aiden in die Augen sah.

„Und ich will jetzt von dir wissen, warum. Ich will jetzt von dir hören, warum du es mir nicht erzählt hast. Und bevor du mir darauf nicht geantwortet hast, lass’ ich dich hier nicht raus.“

Aiden starrte sie an, ohne zu blinzeln, doch Katelyn meinte es ernst.

„Um Mitternacht schließen sie die Türen. Dann kommen wir hier gar nicht mehr raus.“, meinte er wütend und verschränkte die Arme vor der Brust, doch Katelyn zuckte nur mit den Schultern.

„Es ist erst kurz vor elf. Du hast also noch über eine Stunde.“, meinte sie locker und lehnte sich gegen die Tür, wodurch sie sie auch gleich blockierte.

„Das ist alles, was du wissen willst ? Ernsthaft ? Nur deswegen hast du mich hierher bestellt ?“, fragte Aiden sie und schnaubte verächtlich, als sie ihn nur trotzig ansah.

„Ich fass’ es nicht. Ich stehe hier im Dunkeln in der Trainingshalle rum, anstatt ...“

„... bei Danni zu sein und ihr das bisschen Hirn, das sie hat, auch noch ...“, fing Katelyn an, doch sie stoppte, biss die Zähne zusammen und atmete lange und tief ein.

„Ich weiß, dass du gerne was anderes machen würdest und bei jemand anderem wärst. Aber jetzt bist du hier und ich habe nicht vor, dich gehen zu lassen, bevor du mir nicht die Wahrheit gesagt hast.“

Sie sah Aiden in die Augen und lächelte.

Ich hab’ die ganze Nacht Zeit.“

Aiden starrte sie an und knirschte mit den Zähnen, während er seine Möglichkeiten abwog. Er könnte natürlich versuchen, an ihr vorbei zu kommen, doch die Chance, dass es ihm gelang, war ziemlich gering. Jedenfalls gering genug, damit es einfacher war, Katelyn zu sagen, was sie wissen wollte.

Aiden seufzte und drehte sich um, ging ans andere Ende der Halle und lehnte sich gegen einen Stapel Matten.

Katelyn folgte ihm langsam, achtete aber darauf, dass sie immer so stand, dass sie schneller wieder an der Tür wäre.

„Du willst also wissen, warum ich dir nicht erzählt habe, dass ich mit Danni schlafe.“, meinte Aiden und sah sie an.

„Ja. Und auch, seit wann und auch ... warum du mit ihr schläfst.“, fügte sie hinzu und sah Aiden an.

„Warum willst du das alles wissen ?“, seufzte Aiden und löste seine verschränkten Arme, um sich auf den Matten abzustützen.

Katelyn trat näher zu ihm und blieb vor ihm stehen, so nah, dass sie sich fast gegen seine Beine lehnen konnte.

„Ich weiß, dass ich zuerst gesagt habe, wir wären keine Partner mehr, Aiden. Und das war ... unglaublich dumm von mir. Und es tut mir leid. Denn Fakt ist, dass wir Partner sind. Wir sind ein Team, eins der besten, das die ’Akademie’ je hatte, und wir werden auch immer ein Team bleiben. Und ich versuche wirklich, zu verstehen, was in den letzten Tagen alles passiert ist, aber ich schaff’s nicht. Ich ... ich brauche dich. Und ich will wieder mit dir trainieren. Aber das geht nicht, solange du ... Geheimnisse vor mir hast.“

Aiden sah sie an und seufzte schließlich.

„Schön. Wie du willst.“

Er verschränkte die Arme wieder und seufzte.

„Ich hab’ ... vor circa ...“ Aiden dachte kurz nach. „... zwei, drei Monaten das erste Mal mit ihr geschlafen. Es ... war rein körperlich, und anfangs ... relativ selten ...“

„Was genau heißt ‚relativ selten’ ?“, fragte Katelyn leise und konnte ihn dabei nicht ansehen. Sie spürte, wie der Schmerz in ihrer Brust wieder aufflammte und schluckte. Sie musste ein Stück von Aiden weg treten, sie konnte es nicht ertragen, jetzt so nah bei ihm zu stehen. Aiden bemerkte es, sagte aber nichts dazu.

Er zuckte mit den Schultern.

„Zwei, drei Mal die Woche ...“

Katelyn wurde fast schlecht und sie drehte sich kurz weg.

„Und das war selten ?!“, presste sie heraus und schluckte, um bei der Vorstellung von Danni und Aiden nicht in Tränen auszubrechen.

Aiden stand auf, drehte sie zu sich um und sah sie an.

„Du wolltest die Wahrheit hören. Das ist sie. Willst du den Rest auch noch hören ? Oder hast du genug ?“

Katelyn sah ihn an und wusste sofort, dass Aiden ihr das absichtlich erzählt hatte, um sie zu schocken. Sie sah es daran, wie kalt seine Augen waren.

„Was zum Teufel spielst du hier für ein Spiel, Aiden ?“, flüsterte sie wütend und funkelte ihn an.

„Was um alles in der Welt machst du ? Versuchst du absichtlich, mich von dir zu stoßen, indem du mir all die schrecklichen, dreckigen, kleinen Details erzählst ? Nachdem ich dich jetzt zwinge, mir die Wahrheit zu sagen ?“

Aiden antwortete nicht, doch das musste er auch nicht. Katelyn sah, wie seine Wange zuckte und wusste, dass sie richtig lag.

„Deine Wange zuckt.“, zischte sie und trat von ihm weg.

Mit verschränkten Armen blieb sie gut einen halben Meter von Aiden entfernt stehen und sah ihn an.

„Glaub bloß nicht, dass du mich so los wirst, Aiden. Ich will es wissen und ich werde es wissen. Du wirst es mir sagen. Und ich werde es ertragen, ganz egal, was du mir noch alles erzählst.“, drohte sie ihm und Aiden setze sich mit zusammen gebissenen Zähnen wieder auf die Matten.

„Werden wir ja sehen.“, meinte er, legte den einen Knöchel über den anderen und verschränkte ebenfalls die Arme.

Katelyn biss ich auf die Innenseite ihrer Backe und sah Aiden an.

„Du sagtest, anfangs war es körperlich und relativ selten.“, setzte Katelyn wieder an ihrem eigentlichen Thema an und Aiden nickte.

„War es. Aber irgendwann ... sagte Danni mir, dass sie mehr wollte.“

Er seufzte und es klang beinahe traurig, doch als Katelyn ihn ansah, sah er einfach nur müde und genervt aus.

„Dann waren wir ... auf dieser Mission ... und mir wurde klar, dass ... dass ich nicht allein sein wollte, wenn ich zurück komme. Dass ich jemanden an meiner Seite wollte. Aber ich wollte es dir nicht sagen. Es wäre ... zu gefährlich gewesen.“

 

 

Katelyn spürte, wie sich ihre Hände wütend zu Fäusten ballten.

„Weil die Möglichkeit bestanden hätte, dass ich dich verrate ?“, fragte sie ihn wütend, trat noch ein Stück von ihm weg und spürte, wie ihre Fäuste anfingen, zu zittern.

Ob aus purer Wut oder weil es sie so verletzte, wusste sie nicht.

Aiden antwortete nicht, doch das brauchte er auch gar nicht.

Sie sah ihn an und wusste, dass sie zum Teil richtig lag.

Denn das war eine ständige Gefahr in der ’Akademie’.

Sie konnte nur nicht glauben, dass Aiden ihr so etwas zutraute.

Doch das tat er, und diese Erkenntnis verschlug ihr für einen Moment den Atem.

„Okay, das reicht mir. Ich hab’ mich eindeutig geirrt und will doch nicht mehr alles wissen. Entschuldige bitte, dass ich deinen Abend ruiniert habe, indem ich versuchen wollte, das zwischen uns zu klären. Denn ganz offensichtlich gibt es nichts mehr zu klären.“, fauchte sie, wirbelte herum und stolzierte mit erhobenem Kopf und geradem Rücken zur Tür.

Doch noch bevor sie die Hälfte der Halle durchquert hatte, hatte Aiden sie eingeholt, packte sie unsanft am Oberarm und drehte sie wieder zu sich um.

„Du lässt mich hier nicht einfach stehen, wenn ich schon her gekommen bin, Katelyn! Du nicht ! Du hast absolut kein Recht dazu, dich von mir abzuwenden !“, zischte er und sein Griff um ihren Oberarm wurde immer fester.

„Ich kann tun und lassen, was ich will, Aiden. Lass mich los.“, knurrte sie und erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Wir sind hier noch nicht fertig.“, meinte Aiden und versuchte, sich zu beruhigen, doch was auch immer er wollte, brachte ihn so in Rage, dass er sich nicht beruhigen konnte.

Katelyn spürte den Druck an ihrem Oberarm, der immer mehr zunahm, je länger Aiden sie fest hielt, sie anstarrte und versuchte, sich zu beruhigen.

Langsam hob sie den Kopf, bis sie ihm in de Augen sah.

„Ich wüsste nicht, warum wir noch miteinander reden müssten.“, flüsterte sie leise und langsam, während der Schmerz an ihrem Arm immer stärker wurde.

„Wie wäre es zum Beispiel damit, dass Ben“, Aiden spuckte den Namen gerade zu aus und seine Abneigung hätte selbst ein Taubstummer hören können, „ein solcher Gentleman ist, dass er nicht nur dich beglückt, sondern noch jedes andere Mädchen, dass nicht bei drei auf dem Baum ist ?!“

Katelyn klappte der Mund auf und sie starrte Aiden mit vor Entsetzten und Fassungslosigkeit weit aufgerissenen Augen an.

„Lass. Mich. Sofort. Los.“

Sie spürte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann vor Wut.

Aidens Griff lockerte sich nicht das kleinste bisschen, doch sie musste von ihm weg, sonst würde sie ihm weh tun.

Und zwar körperlich weh tun.

„Nicht gerade schön, die Wahrheit über seinen Schatz zu hören, oder?“, flüsterte Aiden, doch es war kein Erbarmen in seiner Stimme.

„Doch du hast nichts anderes verdient, wenn du dich diesem Arsch freiwillig hingibst. Dir hätte klar sein müssen, dass du nicht seine einzige Schlampe bist.“

Bevor Aiden reagieren konnte, hatte Katelyn ihm mit aller Kraft eine geknallt und starrte ihn nun mit Zornestränen in den Augen an.

„Du hast absolut kein Recht, mich so zu nennen. Du hast absolut gar kein Recht dazu, mich als Schlampe zu bezeichnen.“

Sie hätte ihn gerne angeschrieen, ihre Wut hinaus gebrüllt, doch wusste sie genau, dass ihre Stimme versagt hätte, wenn sie es auch nur versucht hätte.

Stattdessen kam ihr nur ein Wispern über die Lippen, kaum hörbar, und doch voller Schmerz.

Aiden, der Katelyns Schlag einfach so hingenommen hatte, drehte seinen Kopf ganz langsam wieder zurück und starrte sie an, kalt, aber definitiv wütend. Doch Katelyn hatte keine Angst vor ihm.

„Du. Nicht.“

Mit einem letzten, kräftigen Ruck befreite sie ihren Arm aus Aidens Griff und funkelte ihn zutiefst verletzt an.

Du bist wirklich der allerletzte, der das Recht hätte, mir so etwas vor zu verwerfen.“

Eine einzelne Träne, die sich aus ihrem Augenwinkel gestohlen hatte, lief ihr über die Wange, doch sie wischte sie nicht weg.

„Du schläfst mit Danni, obwohl du nichts für sie empfindest. Du benutzt sie für dein Vergnügen. Und dann nennst du allen Ernstes mich Schlampe ?“, flüsterte sie und spürte, wie ihr immer mehr heiße Tränen über die Wangen liefen.

„Hör auf.“, flüsterte Aiden heißer und Katelyn konnte seine Wut hören.

Doch sie war zu verletzt und kannte ihn schon zu lange, um sich von seiner Wut beeindrucken oder abschrecken zu lassen, obwohl sie wusste, wie beängstigend Aiden sein konnte, wenn er wirklich wütend wurde. In all den Jahren hatte er ihr noch nie etwas getan. Und das würde er auch jetzt nicht.

„Willst du vielleicht auch noch sagen, dass ich mies, egoistisch, hinterhältig, verlogen und rücksichtslos bin ? So, wie Danni es gesagt hat? Und du nichts dagegen gesagt hast ? Oder reicht es dir, zu behaupten, ich wäre dumm genug, mit Ben zu schlafen?“, redete sie weiter, teils, um ihn zu provozieren, teils, um ihrem Schmerz zu entkommen.

Der erste Teil klappte, der zweite nicht.

Mit einem wütenden, beängstigend bestialischen Knurren packte er Katelyn, stieß sie gegen die Wand , in seiner kompletten, leicht bedrohlich wirkenden Breite und Größe überragte er sie und bildete mit seinem Körper eine undurchdringliche Wand, an der sie nicht vorbei kam.

„Das zwischen Danni und mir geht dich absolut nichts an, Katelyn. Und nur, weil es dir nicht passt, heißt das nicht, dass es schlecht ist.“, fuhr er sie an und Katelyn sah, wie seine Augen wieder begannen, sich mit Gefühlen zu füllen, wenn er sie ansah, anstatt sie nur kalt und abweisend anzustarren.

„Es geht hier nicht darum, was ich gut oder schlecht finde, Aiden. Es geht darum, dass ich dich her gebeten hatte, weil du mein Partner bist und wir nicht einmal mehr miteinander reden. Ace und Ziza ist es schon aufgefallen, dass irgendetwas nicht stimmt. Sollten sie raus finden, was zwischen uns nicht stimmt, nämlich die kleine, unbedeutende Sache, das wir kein richtiges Team mehr sind, werden sie uns nicht nur endgültig trennen, sie werden uns auch Mia weg nehmen.“, zischte sie aufgebracht.

Aiden biss die Zähne zusammen und Katelyn stockte der Atem, als sie ihn ansah.

„Du ... willst ... dass sie uns trennen ?“, fragte sie ihn und sah ihn an, doch seine Augen gaben nichts Preis.

Wie betäubt sank sie gegen die Wand, die in diesem Moment alles war, das sie noch auf den Beinen hielt, und starrte ausdruckslos vor sich hin.

„Wir haben uns beide weiter entwickelt, Katelyn.“, begann Aiden beinahe sanft und trat auf sie zu, sodass die Lücke, die durch ihr Zurückweichen zwischen ihnen entstanden war, wieder geschlossen wurde.

„Wir sind so alt, dass wir auch ohne den anderen zurecht kommen sollten.“

Aiden stand so dicht vor ihr, dass sie die Wärme, die sein Körper abstrahlte, spüren konnte. Langsam hob sie den Kopf, bis sie ihm in die Augen sah.

Und kam nicht umhin zu bemerken, wie einfach es wäre, ihn jetzt zu küssen.

Doch er hatte mehr als deutlich gezeigt, dass er keinerlei Interesse mehr an ihr hatte.

Sie sah ihn an und beobachtete, wie verschiedenste Gefühle durch seine Augen wirbelten und die Weite seiner Pupillen leicht veränderten.

Wut, Verachtung, Ungeduld ...

Sie senkte wieder den Blick und nickte langsam.

„Wahrscheinlich hast du Recht. Wir sind kein gutes Team mehr, und uns zu etwas zu zwingen, ändert nichts daran. Aber ... Nenn mir einen Grund. Einen verdammten Grund, warum du dich nach all den Jahren für Danni entschieden hast. Einen Grund, den ich nachvollziehen kann, und ich werde dich in Ruhe lassen. Ich wollte deinem Glück nie im Weg stehen. Auch nicht, wenn sie dein Glück ist.“

Aiden sah sie an und seufzte schließlich leise.

„Weil ich von dir gar nichts bekomme, Katelyn. Du sagst mir absolut nichts über das, was Mia und dich verbindet. Ich habe ... dir wenigstens immer etwas gegeben, auch wenn es ... nicht immer zu einhundert Prozent der Wahrheit entsprach.“, flüsterte er leise und Katelyn schloss die Augen und biss sich fest auf die Unterlippe, um die Tränen und das verzweifelte Lachen zurück zu halten.

„Deshalb ? Nur, weil ich dir nichts von meiner Verbindung mit Mia erzählt habe ?“, fragte sie flüsternd und konnte ihn nicht ansehen.

Dann holte sie tief Luft und sah ihn wieder an.

„Glaubst du allen Ernstes, Halbwahrheiten und Sätze, die so formuliert wurden, dass ich den wahren Sinn nicht verstehe, sind besser, als Nichts ? Dass sie besser gegen Kummer helfen, nur weil es etwas ist ?“, fragte sie ihn und sah ihn an, betrachtete sein Gesicht, das ihr so vertraut war, und wusste nicht, was sie tun sollte, würde sie es nicht mehr jeden Tag sehen können.

Allein der Gedanke daran brach ihr das Herz.

„Ist es nicht, Aiden. Ist es absolut gar nicht. Du hast keine Ahnung, in welche Richtung es gehen könnte, weil du nichts weißt. Ich hingegen habe ... Spekulationen, Ahnungen, Interpretationen und was weiß ich noch alles. Ich kann so viel in diese wenigen Worte hinein stecken. Aber was willst du machen, wenn du nichts hast ?“, fragte sie ihn wieder ruhiger und sah ihn an.

Aiden erwiderte ihren Blick, ohne etwas zu sagen. Sie standen einfach nur da, so nah beieinander, dass sie sich fast berührten, und sahen sich in die Augen. Katelyn spürte, wie sie ruhiger wurde, je länger sie Aiden ansah und ihm nahe war, und ein warmes, erfüllendes Gefühl breitete sich von ihrer Brust in ihrem ganzen Körper aus.

Nur um noch mehr zu schmerzen, sollte er sie wirklich verlassen.

Katelyn wusste, dass jede Sekunde, die sie länger blieb, mehr weh tun würde, wäre sie erst allein, doch sie konnte einfach nicht gehen. Sie war nicht stark genug, sich los zu reißen und auch nicht, um die erste zu sein, die ging.

Sie standen so dicht beieinander, dass sich ihre Knie berührten, sie seinen angenehm maskulinen Duft bei jedem Atemzug in ihre Lungen sog und seine Wärme sich auf sie übertrug.

Sie wollte nichts lieber, als sich an ihn zu schmiegen, seine Arme schützend um sich zu spüren und ihn fest zu halten.

Und das, obwohl er ihr gerade gesagt hatte, dass er nicht länger mit ihr arbeiten wollte.

„Es ist alles so ... schwierig geworden. Zu unterscheiden, was richtig und was falsch ist ... Das richtige zu tun ...“, flüsterte Aiden plötzlich und holte Katelyn aus ihren Gedanken zurück.

„Wusstest du, dass man das Falsche aus den richtigen Gründen tun kann ? Man hofft, dass es eigentlich nicht wirklich falsch ist, was man tut, will man doch nur ... jemand anderen schützen, und doch ... fühlt es sich vollkommen falsch an.“, flüsterte Aiden und seine Hand strich an Katelyns entlang. Ihre Finger zuckten, doch sie hielt seine nicht fest.

„Du weißt genau, dass es falsch ist. Und du weißt, dass es den Menschen, der dir am meisten bedeutet, unglaublich verletzt. Und trotzdem tust du es. Weil du weißt, dass die Konsequenzen, wenn du es nicht tun würdest, noch viel schlimmer wären.“

Aiden klang niedergeschlagen, echte Trauer war in seiner Stimme zu hören, und in Katelyn wuchs die Hoffnung, dass alles, was er zu ihr gesagt hatte, nur ein Missverständnis war.

Ein großes, dummes, reparables Missverständnis.

„Danni wollte nicht, dass ich her komme. Sie hat mich gebeten, es zu lassen. Doch da ich dich nicht erreichen konnte, sagte ich ihr, dass ich gehen würde.“, flüsterte er und Katelyn hatte das Gefühl, ihr Herz setze für einen Moment aus vor Schmerz, als ihr klar wurde, dass es darum ging, dass Aiden Danni enttäuscht hatte.

Und sie nichts weiter als eine unangenehme Angelegenheit für ihn war.

„Das bin ich also für dich ? Etwas, das schlimme Konsequenzen mit sich bringt ?“, fragte sie ihn und ihre Stimme brach zu jedem Ende des Satzes weg.

Sie wartete einen Moment, und als er nicht antwortete, schob sie sich schnell an ihm vorbei und trat zwei Schritte in die Halle, bevor sie sich zu ihm umdrehte.

„Wenn du findest, dass ich so schrecklich bin, warum hast du dich dann zwölf Jahre lang um mich gekümmert ? Du hättest jederzeit damit aufhören können. Dich hat niemand gezwungen .... Oder ?“, fragte sie ihn und schaffte es, ihre Stimme etwas fester klingen zu lassen.

Aiden sah sie an, unterdrückte ein Seufzen, trat langsam die zwei Schritte auf sie zu und umfasste sanft, aber bestimmt, ihre Oberarme.

„Mich hat niemand gezwungen.“, flüsterte er als Antwort und Katelyn spürte, wie sie diese einfache Antwort ungeheuer erleichterte.

Nach allem, was an diesem Abend schon gesagt worden war, hätte sie das Wissen, dass Aiden sich nur um sie gekümmert hat, weil er musste, nicht auch noch ertragen können.

 

 

Plötzlich schlug mit einem lauten Knall die Tür der Trainingshalle auf und Aidens Hände fielen von ihr, als Katelyn erschrocken herum wirbelte. Er trat einen Schritt zurück und sah auf, doch sie sahen beide nichts.

„Was war das ?“, fragte Katelyn irritiert und durchsuchte mit ihrem Blick die Schatten neben der Tür, doch ihr fiel nichts auf.

„Das gefällt mir nicht.“, murmelte Aiden leise und trat so nah an Katelyn heran, dass sie ihn direkt an ihrem Rücken spürte. Er hatte recht, auch wenn Katelyn noch nicht wusste, was nicht stimmte.

Aiden umfasste ihr Handgelenk und zog sie vorsichtig weiter nach hinten, in den Teil der Halle, der voller dunkler Schatten war.

„Komm mit. Wir müssen hier irgendwie raus, ohne dass wir bemerkt werden.“, flüsterte er ihr ins Ohr und auch wenn es die absolut falsche Situation war, spürte Katelyn, wie sie auf seine Nähe und seine Berührung reagierte. Ihr Puls erhöhte sich und ein Kribbeln breitete sich von dort, wo Aiden ihre nackte Haut berührte, durch ihren ganzen Körper aus. Vorsichtig schielte sie zu ihm, doch er schien nichts davon zu bemerken.

Aiden zog sie plötzlich stark nach hinten, an sich vorbei, und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand, legte ihr eine Hand auf den Mund und den Zeigefinger der anderen Hand an seine Lippen.

Erst jetzt hörte Katelyn, dass jemand auf der anderen Seite der Halle durch die Schatten auf sie zu schlich. Entsetzt schloss sie die Augen und atmete durch die Nase aus. Sie konnte nicht glauben, dass sie nicht bemerkt hatte, dass jemand sie bedrohte. Und sie Aiden und sich fast in Gefahr gebracht hätte, weil sie unaufmerksam gewesen war.

Sie öffnete die Augen wieder und nickte, um Aiden zu signalisieren, dass sie verstanden hatte, und Aiden nahm seine Hand von ihrem Mund.

„Wir müssen unbedingt hier raus. Und zwar sofort.“, flüsterte Aiden und Katelyn nickte.

„Du gehst vor.“, wisperte er und zeigte ihr die Richtung, in die sie sollte, weg von wem auch immer, der auf sie zu kam.

Katelyn sah ihn an, doch sie wusste, dass sie in diesem Fall nicht mit ihm verhandeln konnte. Er bestand darauf, und jede Sekunde, die sie zögerte, brachte sie mehr in Gefahr.

Sie nickte und lief los, so leise sie konnte. Alle paar Meter drehte sie sich halb um, um sich zu vergewissern, dass Aiden ihr auch folgte.

Als sie nur noch knapp zwanzig Meter von der Tür entfernt waren, drehte sich Katelyn noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass Aiden noch da war, als sie hinter ihm einen Schatten wahrnahm.

„Aiden !“, warnte sie ihn und Aiden wirbelte herum.

„Lauf !“, rief er und stürmte zur Tür, Katelyn ihm hinter her.

Aiden hielt die Tür auf und Katelyn lief hinaus, in dem Glauben, Aiden wäre direkt hinter ihr, doch dann hörte sie, wie die Tür zu schlug und drehte sich um.

„Tut mir leid.“, konnte sie an Aidens Lippen ablesen und sah, wie Aiden die Tür von innen abschloss, sodass von außen kein Reinkommen mehr war.

„Nein ! Aiden !“

Sie stürmte zur Tür und rüttelte daran, auch wenn sie wusste, dass sie nicht aufgehen würde.

„Aiden !“

Verzweifelt rüttelte sie stärker an der Tür, sah dann durch das Glas in die Halle und versuchte, etwas zu erkennen. Doch mehr als zwei Schatten, die gegeneinander kämpften, konnte sie nicht richtig erkennen. Als einer der beiden Schatten zu Boden ging, wusste sie sofort, dass es Aiden war.

„Aiden !“, wimmerte sie und überlegte panisch, wie sie ihm helfen konnte.

Sie musste ihm helfen, sie musste ihn retten, es ging einfach nicht anders. Egal, was er dachte oder gesagt hatte. Sie durfte ihn nicht verlieren. Sie konnte einfach nicht.

„Verdammt !“

Aiden sah es vielleicht nicht mehr so, aber für sie war er noch immer wichtig. Sie konnte ihn nicht allein lassen.

Auch wenn Aiden sich wünschte, dass es anders war, war sie seine Partnerin. Und sie würde ihn auf keinen Fall alleine lassen.

Außerdem hatte er sich bei ihr dafür entschuldigt, dass er sie ausgesperrt hatte. Was keinen Sinn ergab, wenn sie ihm wirklich so egal war.

Sie trat ein paar Schritte zurück und sah am Gebäude hoch. Nur, weil sie nicht durch die Tür kam, bedeutete das nicht, dass sie gar nicht mehr in das Gebäude kam.

So schnell sie konnte, rannte sie den Weg weiter nach hinten, vorbei an den stillgelegten und umfunktionierten Wohn- und Schulgebäuden, bis zu dem einen, das den Dachboden verbarg. Sie stürmte die Treppe hinauf und fiel fast, als sie oben ankam, doch sie fing sich ab und rannte zu einem der Dachfenster. Dort kletterte sie hinaus, kletterte über das Schrägdach zu dem ebenen Teil des Daches hinauf, und rannte dort an das Ende, von dem sie auf das daneben stehende Haus springen konnte. Die Lücken zwischen den Häusern waren zwischen einem halben Meter und maximal einem knappen Meter breit, also war es für Katelyn kein Problem, von einem Haus auf das andere zu gelangen. Nur auf die Halle zu gelangen war schwieriger, denn die Halle war nur knapp sechs Meter hoch, die anderen Gebäude wesentlich höher. Katelyn musste also nicht nur springen, sie würde auch fallen.

Und wenn sie auf dem Dach war, musste sie vorsichtig sein, denn das Dach der Trainingshalle war verglast, um tagsüber möglichst viel Licht hinein zu lassen.

Sie atmete tief durch und sprang ab.

Kaum berührten ihre Füße das Glas, rollte sie sich ab und zog sich so schnell und so leise wie möglich zum Rand des Daches zurück, um sich zu überlegen, wie sie in die Halle kommen sollte.

Das Glasdach war mit speziell verstärktem Glas gebaut, dass, sollte mal ein Unwetter toben, nicht gleich das ganze Dach erneuert werden musste, nur weil ein Ast auf das Dach gefallen war. Durch das Dach ging also nicht, zumal es viel zu viel Lärm verursachen würde.

Die kleineren Fenster in der Hauswand direkt unter dem Glasdach hatten jedoch normale Fensterscheiben. Doch wie sollte sie die aufbekommen ? Die Fenster waren nur von innen zu öffnen. Fluchend sah sie sich auf dem Dach nach einer anderen Möglichkeit um und ihr Blick blieb an einem der vielen Lüftungsschächte hängen. Der größte von ihnen, welcher genau in die Ecke führte, in der die Matten gestapelt wurden, war erst vor wenigen Tagen gereinigt worden. Anscheinend hatten die Handwerker nicht genau gearbeitet, denn Katelyn sah, dass eine der vier Schrauben ganz fehlte und zwei weitere nur lose in ihren vorgesehenen Löchern hingen. Die Lücken zwischen den Metallstreifen waren groß genug, damit sie hindurch greifen konnte, und mit einem kräftigen Ruck war die Verkleidung fast vollständig gelöst.

Katelyn zog noch einmal kräftig und auch die vierte Schraube lockerte sich weit genug, damit sie die Abdeckung zur Seite schieben konnte und hindurch passte. Im Schacht drehte sie sich noch einmal um und legte die Verkleidung so gut es ging wieder über den Schacht, bevor sie weiter in die Halle hinein krabbelte.

Als sie das andere Ende des Schachtes erreichte, hörte sie, wie Aiden im Dunkeln gegen diesen Mann kämpfte und Panik durchzuckte sie.

Vorsichtig, so schnell sie konnte, schraubte sie die vier Schrauben los und zog die Abdeckung lautlos in den Schacht. Dann ließ sie sich langsam auf den Mattenstapel hinunter und von dort auf den Boden und stürmte los, um Aiden zu helfen.

Doch sie wusste nicht, was sie tun sollte.

Sie musste Aiden helfen, ihn retten, doch sie wusste nicht, wie.

Ihr war, kaum, dass sie den Schatten bemerkt hatte, klar gewesen, dass es der selbe Typ sein musste, der Aiden schon einmal angegriffen hatte, und als sie durch die Tür gesehen hatte, dass er leicht humpelte, wusste sie, dass es der selbe war, wie der, den sie vor Aidens Zimmer gegen das Knie getreten hatte.

Auch wenn sie nichts lieber wollte, als zu Aiden zu stürmen und ihn sofort zu retten, zwang sie sich, stehen zu bleiben und zu beobachten.

Sie musste erst wissen, wie sich der Schatten, wie sie ihn insgeheim getauft hatte, bewegte und kämpfte, wollte sie gegen seine wesentlich besseren und abwechslungsreicheren Techniken eine Chance haben.

Ungefähr dreißig Sekunden sah sie zu, wie er auf Aiden einschlug, und hasste sich für jeden Moment, in dem sie ihn nicht half. Doch sie musste warten, wollte sie ihm effektiv helfen.

Keiner der beiden hatte sie bisher bemerkt, und das war ihr Vorteil :
der Überraschungsmoment.

Doch als sie sah, wie der Schatten ein Messer aus seinem Stiefel zog, konnte sie nicht länger warten.

„Aiden !“, rief sie und Aiden sah überrascht auf. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er Katelyn auf sich zu rennen sah.

„Messer !“, warnte sie ihn und Aiden wirbelte zu dem Schatten herum, nur um es gerade so zu schaffen, dem Messer auszuweichen.

Aiden versuchte, sich zu verteidigen, indem er zu schlug, so oft und so schnell er konnte, doch der Mann wehrte alles ab. Diesen Moment nutzte Katelyn, um ihm von hinten in die Beine zu rutschen, ihm die Beine weg zu treten und ihn zu Fall zu bringen. Sie musste sich schnell weg rollen und aufspringen, damit der Mann keine Gelegenheit bekam, sie zu packen. Denn sie wusste, dass sollte er sie zu fassen bekommen, wenn sie noch auf dem Boden lag, nicht einmal Aiden sie mehr würde retten könnten.

Kaum stand sie, war Aiden neben ihr und wirbelte sie hinter sich.

„Warum bist du hier, Katelyn ? Warum bist du zurück gekommen ? Du hättest dich in Sicherheit bringen können !“, zischte Aiden wütend, während der Mann, der sie angegriffen hatte, sich wieder aufrappelte.

„Dafür, dass wir kein Team mehr sind, machst du dir ganz schön viele Sorgen.“, meinte sie nur trocken und konzentrierte sich wieder auf den Mann.

Auch wenn es idiotisch war, hielten Aiden und Katelyn sich an die Kampfregeln :

Jemand, der am Boden lag, wurde nicht getreten.

„Glaubst du wirklich, ich würde dich alleine lassen ? Oder wäre noch sicher ?“, fragte sie ihn und behielt den Mann genau im Auge.

„Er ist nicht nur irgendein Agent, Aiden. Er ist einer der besten, wenn nicht sogar der Beste. Er hat ein speziell für ihn angefertigtes Messer mit extrem dünner Klinge. Er wurde geschickt, um dich zu töten, Aiden. Ich wette es. Und ich wette auch, dass er den Auftrag hatte, uns zu beobachten, um zu sehen, ob ich ebenfalls eine Bedrohung darstelle. Und so, wie er mich gerade ansieht, würde ich mal sagen, dass ich richtig liege.“

Sie sah den Mann, der inzwischen wieder stand, an, und konnte in seinen Augen absolut nichts sehen, als das verwaschene Grau seiner Iris. Keine Gefühlsregung.

„Er ist genau das, was die ‚Akademie’ aus ihm gemacht hat.“, flüsterte sie.

Der Mann sah sie an, ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und wurde dann zu einem lauten, widerlichen Lachen.

„Du bist clever, kleines Mädchen. Und doch nicht clever genug.“

Das Lachen verschwand und sein Blick wurde wieder gefühllos. Alles, was er wollte, war seinen Auftrag erledigen.

„Du hättest viel erreichen können, wenn du nicht zu gelassen hättest, dass dieser Junge und das Mädchen beginnen, dir so viel zu bedeuten.“

Er sah sie abfällig an.

„Jetzt bist du infiziert. Du verweichlichst.“

Das Messer wirbelte durch seine Finger, ohne, dass er sich darauf konzentrieren musste.

Aiden schnaubte verächtlich.

„Bitte, ich bin doch keine Krankheit.“

„Wenn ich eine schlimme Konsequenz bin, bist du eine Krankheit.“, meinte Katelyn achselzuckend und ignorierte Aidens bösen Blick.

„Die einzige Möglichkeit, dich zu retten, wäre, sie beide sofort zu töten ...“, überlegte er laut und Katelyn blieb vor Schock die Luft weg.

Dass er Aiden töten wollte, war schon schlimm, aber das konnte sie noch irgendwie verstehen, auch wenn sie es nicht zulassen würde.

Aber Mia, die gerade einmal eine knappe Woche in der ‚Akademie’ war, hatte noch nicht einmal die Chance gehabt, etwas falsch zu machen ...

Katelyn schnappte entsetzt nach Luft, als ihr der Tag einfiel, an dem sie mit Mia in die Grauzone gegangen war, um ihr die Wahrheit über den Tod ihres Vaters zu sagen. Und wie sie Mia festgehalten hatte, als sie weinend an ihrer Schulter gelehnt hatte.

„Nein.“, flüsterte sie leise und ballte teils vor Wut, teils vor Angst, die Hände zu Fäusten.

Das würde sie nicht zulassen.

Sie atmete tief durch und erinnerte sich an das, was sie die letzten zwölf Jahre jeden Tag gelernt hatte.

Was der Agent konnte, konnte sie auch.

Mit grimmiger Entschlossenheit verbannte sie all ihre Gefühle aus ihrem Blick, ihren Gedanken und ihrem Kopf und richtete ihre gesamte Konzentration auf ihren Gegner.

So etwas wie einen übermächtigen Gegner gab es nicht, wurde immer gesagt, es gab nur einen, der seine Angst beherrschte und einen, der von seiner Angst beherrscht wurde.

Sie schnellte an Aiden vorbei nach vorne und entwand dem Mann mit einem kurzen, kräftigen Schlaf auf den Unterarm das Messer. Es flog einige wenige Meter durch die Luft und blieb schließlich unbeachtet auf dem Boden liegen. Unwillkürlich wich er ein Stück zurück und Katelyn setzte mit dem stärkeren Bein zu einem Tritt auf seine ungeschützten Rippen an, die er aufgrund der unerwarteten Rückwärtsbewegung nicht deckte.

Schmerz flackerte kurz in seinen Augen auf, als einige Rippen knackten, doch viel zu schnell fing er sich wieder und griff sie an.

Doch er hatte nicht mit Aiden gerechnet.

In diesem Moment der absoluten Gefahr und Konzentration verschmolzen sie wieder zu dem vollkommenen Team, das sie immer schon gewesen waren.

Immer noch waren, wie Katelyn feststellte.

Katelyn wehrte die Schläge nur ab, sie wusste, dass sie sich einen weiteren verlorenen Angriff nicht würde leisten können, und überließ es Aiden, einzugreifen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war.

„Ach, jetzt sind wir also wieder ein Team ? Jetzt, wo ich dir deinen verdammten Arsch rette, kämpfst du wieder mit mir ?“, fragte Katelyn Aiden, als sie sich duckte und gleichzeitig drehte und Aiden versuchte, sie zu unterstützen.

„Wollen doch mal sehen, wer hier wem den Arsch rettet.“, knurrte Aiden, als er Katelyn einen Schritt zurück zog und sie knapp vor einem Schlag rettete.

Als der Agent mit der rechten nicht richtig traf, reagierte Katelyn sofort, wehrte sie ab und schlug mit der linken zu. Sie traf und der Agent taumelte überrascht nach hinten. Sein Kopf flog zur Seite und sein Hals war ungeschützt. Diesen Moment nutzte Aiden und zielte auf seinen Kehlkopf, traf aber auch nicht richtig. Der Agent röchelte und taumelte, doch er fiel nicht.

Mit einem beinahe animalischen Knurren setzte Aiden ihm nach und trat ihn hart in den Bauch, so dass er auf den Rücken fiel und dort zuckend und röchelnd liegen blieb.

Aiden trat langsam auf ihn zu, die Augen fest auf das Gesicht des Agenten gerichtet, kniete sich auf einem Knie neben ihn und umfasste mit einer Hand seinen Hals.

Katelyn wusste, dass wenn Aiden richtig zugriff und stark genug zudrückte, den Mann mit einer Hand erwürgen könnte. Aiden konzentrierte sich ganz auf den Mann, weshalb ihm auch entging, wie seine Hand suchend nach dem Messer tastete, bis sie es schließlich hatte und fest umfasste, während er röchelnd da lag und versuchte, sich aus Aidens Griff zu befreien.

Gerade, als Aiden dachte, er würde sich nicht mehr wehren, riss der Mann die Hand mit dem Messer nach vorne und stieß es in Aidens Oberarm.

Aiden brüllte auf vor Schmerz und stieß den Mann von sich, das Messer hatte der Schatten noch immer in der Hand. Fluchend drehte Aiden sich von ihm weg und presste die andere Hand auf den verletzten Oberarm. Mit zwei Schritten stand Katelyn neben ihm und mit einem dritten kickte sie dem Mann das Messer aus der Hand und sah zu, wie es gute zwanzig Meter weit schlitterte.

Da würde er nicht mehr so schnell ran kommen.

Der Mann hievte sich auf alle viere und keuchte noch immer von dem Schlag auf den Kehlkopf.

„Gilt das noch als auf dem Boden liegend oder nicht mehr?“, fragte Aiden wütend, nachdem er sich wieder zu ihnen umgedreht hatte, und Katelyn sah den Mann an. Sie sah ihn an, sah, dass er Schmerzen hatte, und empfand nichts dabei.

„Nein,“, antwortete sie leise, „das gilt nicht mehr.“

Aiden trat vor, holte aus und trat dem Mann nochmal gegen die Rippen. Auch wenn er keinen Ton von sich gab, wusste Katelyn, dass er große Schmerzen hatte. Sie sah, als sein Sweatshirt verrutschte, wie sich große, blaue Flecken an seinen Rippenbögen bildeten und wusste, dass diese von inneren Blutungen stammten.

Der Agent hatte sich wieder auf alle viere gekämpft, doch dieses Mal zitterten seine Arme vor Anstrengung.

„Aiden, wie schwer ist er verletzt?“, fragte sie Aiden und sah ihn an.

Aiden sah sie an, stapfte dann zu dem Mann, packte ihn mit der unverletzten Hand am Kragen und zog ihn hoch, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

„Noch nicht genug, wenn du mich fragst.“, meinte Aiden kalt und Katelyn trat neben ihn.

Der Mann keuchte bei jedem Atemzug und hatte Schmerzen, doch das lag an den gebrochenen Rippen. Ansonsten hatte er noch nichts, sein Gesicht sah noch genau so aus, wie zuvor, und das passte Katelyn auf einmal nicht mehr.

Dieser Mann hatte Aiden direkt vor Mias Augen angegriffen, ihr selbst ein Messer an den Hals gehalten, sie alle tagelang beobachtet und ausspioniert und hatte mehrfach versucht, Aiden zu töten. Und nun war er auch noch hinter Mia her.

Ohne dass sie sich bewusst dazu entschlossen hatte, schlug sie plötzlich zu, aus Wut und Hass heraus, genau auf die Nase, so, dass es fast sofort anfing zu bluten.

Sie holte nochmal aus, doch bevor sie erneut zuschlagen konnte, ließ Aiden den Mann einfach zu Boden fallen und umschloss fest, aber nicht schmerzhaft, ihr Handgelenk.

„Katelyn, tu das nicht. Auch wenn er es verdient hätte.“, flüsterte Aiden sanft und sah ihr in die Augen.

„Er hat Mia bedroht, Aiden. Das kann ich nicht zulassen.“

„Ich weiß. Aber ihn zu schlagen nützt nichts. Das ändert nichts.“

Katelyn riss unsanft ihren Arm aus seinem Griff und funkelte ihn an.

„Das verstehst du nicht.“

Aiden schüttelte den Kopf.

„Lass es. Du würdest es bereuen, wenn du ihn tötest.“

Katelyn wollte etwas erwidern, ihm widersprechen, doch der Schrei des Mannes lenkte sie ab.

Während Aiden sie davon abgehalten hatte, ihn noch einmal zu schlagen, war er zu dem Messer gekrochen, hatte es aufgehoben und irgendwie die Kraft gefunden, aufzustehen und einen letzten Angriff zu starten.

Mit dem Messer in der erhobenen Hand stürmte er auf Katelyn zu und griff sie an, Katelyn konnte nur noch reagieren, indem sie Aiden von sich weg stieß, als der Mann schon vor ihr stand und mit dem Messer nach ihr stach. Katelyn wich aus, doch sie spürte, wie das kalte Metall ihre Haut und ihr Fleisch an den Rippen zerschnitt und ein stechender, brennender Schmerz aufflammte.

Sie schluckte und presste ihre linke Hand auf die Seite, während sie immer weiter zurück weichen musste, denn der Schatten war zwar verwundet, aber noch lange nicht am Ende.

Er war so flink und gefährlich, dass Katelyn sich voll und ganz darauf konzentrieren musste, ihm auszuweichen und den Schmerz zu ignorieren, sonst wäre sie gestolpert oder das Messer hätte sie nochmals getroffen.

Mit einem einzigen, kräftigen und gezielten Schlag schaffte sie es, ihm das Messer aus der Hand zu schlagen, zahlte dafür aber einen hohen Preis. Denn dadurch, dass sie relativ nah an ihn heran musste, um zuschlagen zu können, war sie ihm zu nah und er packte sie sofort am Hals.

Irgendwo hörte sie irgendetwas klappernd zu Boden fallen.

Seine Augen waren noch immer grau und emotionslos, als er ihr langsam die Luft abdrückte und dabei zusah, wie sie immer schwächer wurde, je weniger Sauerstoff sie hatte.

Katelyn sah schon Lichtblitze durch ihr Sichtfeld zucken, als Aiden plötzlich hinter dem Mann auftauchte, das Messer in der Hand, mit entschlossenem Gesichtsausdruck die Hand hob und die Klinge einmal quer durch die Kehle des Mannes zog, ohne mit der Wimper zu zucken oder auch nur kurz zu zögern.

Der Mann sackte sofort tot auf den Boden und Katelyn schnappte, kaum, dass der Griff um ihren Hals lockerer wurde, nach Luft und drohte, ebenfalls zu Boden zu sinken, doch Aiden fing sie auf.

Hustend und keuchend brachte sie ein Danke heraus und Aiden nickte knapp.

„Er ist tot.“, flüsterte Aiden leise, und auch wenn es eigentlich nicht gut war, wenn jemand starb, klang es doch irgendwie tröstlich in Katelyns Ohren.

„Oh Gott.“, flüsterte Katelyn und drehte sich von dem am Boden liegenden Körper weg. Sie wollte nicht sehen, wie das Blut immer weiter aus seiner Wunde floss und sich auf dem Hallenboden ausbreitete. Sie zitterte am ganzen Körper und Aidens Arm war alles, was sie gerade aufrecht hielt. Und anscheinend störte es ihn nicht, dass sie voller Blut war.

„Wenigstens ist Mia in Sicherheit.“, flüsterte sie.

Aiden löste den Arm, den er benutzt hatte, um sie aufzufangen, von Katelyn, trat neben den toten Körper und wischte die Klinge am Sweatshirt des Toten sauber, bevor er es einmal um einhundertachtzig Grad drehte und es Katelyn mit dem Griff voran reichte.

„Er braucht es nicht mehr und du kannst besser mit Messern umgehen als ich.“, meinte er und Katelyn nahm das Messer zögernd entgegen.

„Dir ist klar, dass ...?“, fragte sie leise und schob das Messer behutsam in eine leere Scheide, die in ihrem Hosenbein eingenäht war.

„... wir hier nicht bleiben können ? Ja.“, antwortete Aiden und sah sie an.

„Was machen wir jetzt also ?“, fragte sie ihn und sah zu ihm.

„Wir müssen ...“

Doch weiter kam er nicht, denn laute Geräusche vor der Halle ließen ihn verstummen.

Schritte waren zu hören und Stimmen, viele, laute Stimmen.

Aiden und Katelyn sahen sich schockiert an, dann nahm Aiden Katelyns Hand und zog sie von der Tür weg.

„Wie bist du hier rein gekommen?“, fragte er und zwang sie, sich auf ihn zu konzentrieren, anstatt auf den Tumult vor der Halle.

„Durch ... durch den Lüftungsschacht. Aber ... ich bezweifle, dass du da durch passt. Und ich bin nicht zurück gekommen, um dich wieder allein zu lassen, Aiden. Entweder wir fliehen gemeinsam oder wir gehen gemeinsam unter.“

Sie sah ihn an und Aiden wusste, dass sie es ernst meinte. Seufzend nickte er.

„Lass es uns versuchen. Vielleicht haben wir ja Glück, und ich passe auch durch.“

Katelyn nickte erleichtert und rannte vor zum Lüftungsschacht.

„Du gehst vor.“, meinte Aiden und Katelyn überlegte, ob sie es riskieren konnte.

Sollte Aiden nicht durchpassen, konnte sie immer noch wieder hinaus klettern.

Katelyn seufzte und nickte schließlich.

Dann hievte sie sich zu dem Lüftungsschacht hoch und krabbelte weit genug hinein, um Aiden Platz zu machen.

Aiden folgte ihr und schaffte es, in den Lüftungsschacht zu krabbeln.

Katelyn reichte ihm die Abdeckung.

„Mach sie davor. Sonst wissen sie sofort, welchen Weg wir genommen haben.“, flüsterte sie und Aiden nickte.

Katelyn setzte sich und wartete, bis Aiden die Abdeckung wieder angebracht hatte, so gut es ging.

„Los, vorwärts. Wir haben nicht viel Vorsprung, und das bisschen, das wir haben, sollten wir nicht verspielen.“, flüsterte Aiden und Katelyn nickte.

„Wir müssen ... aus dem Lüftungsschacht raus. Wir müssen ... müssen uns überlegen, was wir ... jetzt tun wollen. Wir können ...“, flüsterte Katelyn, während sie krabbelte, und konnte die Angst, die der Gedanke in ihr auslöste, geradezu auf der Zunge schmecken, „... nicht hier bleiben. Nicht ... nicht in der ‚Akademie’.“

„Wer auch immer vor der Halle ist, wird nicht lange dort bleiben. Und dann ... sollten wir nicht mehr hier sein.“, flüsterte Aiden und stimmte ihr zu.

Doch keiner von beiden wagte es, auszusprechen, was genau es bedeutete.

„Was machen wir eigentlich, wenn wir auf dem Dach sind ?“, fragte Aiden nach einer Weile.

„Wir müssen vom Dach kommen. Und wir ... wir müssen vom Gelände runter.“

Katelyn trat die Abdeckung des Lüftungsschachts ab und kletterte nach draußen.

„Du meinst also, wir müssen aus der ‚Akademie’ raus.“, meinte Aiden und sah sie an.

Katelyn wollte etwas sagen, doch sie konnte nicht.

Von unter ihnen drangen Geräusche, wie wenn sich eine kleine Armee darauf vorbereiten würde, die Halle zu stürmen.

Aiden sah Katelyn an.

„Komm. Wir versuchen, hinten runter zu kommen. Irgendwo muss es eine Art Leiter geben, mit der die Techniker für die Lüftungsschächte immer hinauf kommen.“

Katelyn nickte und Aiden nahm ihre Hand. Zusammen schlichen sie zur hinteren Wand und fanden die Leiter.

„Was machen wir, wenn wir unten sind ?“, fragte Katelyn, als Aiden schon zwei Sprossen nach unten geklettert war, und Aiden hielt inne, um sie anzusehen.

„Werden wir dann sehen. Schauen wir erst mal, dass wir unbemerkt nach unten kommen.“

Dann kletterte er weiter und Katelyn folgte ihm.

Kaum berührten Katelyns Füße den Boden, spürte sie, wie Aiden sie auf den Boden zog, in den Schatten eines kleinen, immer grünen Busches.

Aus den Fenstern über ihnen schien Licht sich über die gesamte hintere Rasenfläche zu ergießen und ein unbemerktes Entkommen unmöglich zu machen.

„Sie haben ihn inzwischen bestimmt gefunden.“, flüsterte Katelyn und unterdrückte die Angst, die leise in ihr aufstieg.

„Und sie werden wissen, dass wir es waren.“, meinte Aiden und suchte nach einem möglichst ungefährlichen Fluchtweg in die schützenden Schatten der Grauzone, die gute hundert Meter vor ihnen begann.

„Wir müssen sprinten und hoffen.“, flüsterte Katelyn.

„Noch ist hier hinten niemand. Das garantiert für Nichts, aber es ist unsere beste Chance.“

Aiden erhob sich vom Boden auf die Füße, ohne sich aus dem schützenden Schatten zu erheben, und sah sie an.

„Wenn wir überleben wollen ...“

Er sah Katelyn an und Katelyn stöhnte leise auf.

„... müssen wir zusammen arbeiten.“

Aiden nickte und hielt ihr seine offene Hand hin.

Sein Blick lag auf ihr und er wartete ruhig und geduldig.

„Ich werde dich hier nicht zurück lassen, Katie. Selbst wenn du ihnen erzählen würdest, dass ich dich gezwungen hätte, würden sie dich von den anderen isolieren, verhören und letzten Endes doch töten, sobald sie mich haben.“

Katelyn sah ihn an und wusste, dass er Recht hatte.

Langsam legte sie ihre Hand in seine und konnte das leichte Zittern nicht unterdrücken. Noch bevor ihre Hand ganz in seiner lag, schloss er seine Hand um ihre und verbarg somit ihr Zittern.

Langsam zog er sie hoch und sie drückten sich gegen die dunkle Hauswand.

„Auf drei, okay?“

Er sah sie an und Katelyn atmete tief durch, wobei sie ein Stechen in der Seite spürte. Sie tat so, als sei nichts und nickte.

„Okay.“

Aidens Griff um ihre Hand wurde fester und er atmete tief durch.

„Eins.“, begann er zu zählen und Katelyn griff ebenfalls fester zu.

„Zwei.“, flüsterte er und Katelyn bereitete sich darauf vor, los zu rennen.

„Drei !“

Die beiden sprinteten los, so schnell sie konnten, die Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie aus den Schatten in das helle Licht rannten. Erst, als sie die Grauzone erreichten, fiel ein Teil der Anspannung von ihnen ab, aber der schwierigste Teil stand ihnen noch bevor. Eine leise Ahnung dessen, was passieren würde, wenn man sie zu fassen bekäme, jagte sie in einem Tempo über die nassen Wiesen, das jedem Langstreckensprinter Konkurrenz gemacht hätte. Auch, als sie die Mauer erblickten, wurden sie nicht langsamer, war sie doch vorrangig dazu errichtet worden, Eindringlinge abzuhalten. Die eisernen Spitzen befanden sich nicht an der Innenseite, sondern an der Außenseite.

Sie hatten die Mauer gerade erreicht, als das Licht der Türme aufflammte.

„Scheinwerfer.“, keuchte Katelyn entsetzt, fuhr sich durch die Haare und sah die Mauer hinauf. Sie war mindestens drei Meter hoch.

„Die Scheinwerfer, verdammt! Das schaffen wir nie", flüsterte sie etwas resigniert. Aiden rannte bereits dicht an der Mauer entlang, den Lichtkegel konzentriert im Auge behaltend.

„Scheiße, Aiden!"

Katelyn war so verzweifelt, dass sie beinahe aufgab und sich in den Zustand sinken ließ, in dem man sich dem Schicksal, dem man vorher vehement entkommen wollte, ergab. Doch dann fand sie einen anderen Weg.

„Konzentration!", rief sie Aiden plötzlich zu.

„Konzentration.“ wiederholte er leiser.

"Wir kommen hier nicht an der Mauer hoch. Aber über die Türme. Wir müssen eine Wache überwältigen, bevor Verstärkung eintrifft. Die Lichtkegel kreuzen sich alle drei Sekunden."

Katelyn wurde ruhiger und schloss zu Aiden auf. Sie schlüpften zwischen dem Licht hindurch und erreichten die Tür des nächstgelegenen Wachturms. Aiden trat sie rücksichtslos ein. In stummem Einverständnis nutzten sie den kleinen Überraschungseffekt und stürmten die Treppe hinauf. Sie wussten, dass der Wächter sie am schmalen Eingang mit einer Waffe erwarten würde, aber ihnen blieb keine Zeit.

Aiden machte auf der Treppe einen Salto, noch bevor der Mann zielen konnte, und trat ihm die Waffe weg. Katelyn zog den Mann an sich vorbei die Treppe hinab, und er blieb unten vermutlich bewusstlos liegen. Aiden stürmte sofort zu dem einzigen Fenster, das zur Mauer zeigte, riss es auf und sprang von dort einfach hinab, rollte sich auf der anderen Seite ab, und Katelyn folgte ihm.

„Wir dürfen nicht stehen bleiben, sie werden Hunde haben", keuchte Aiden und rannte los, kaum, dass Katelyn sich neben ihm wieder aufgerappelt hatte. In der Dunkelheit konnten sie bereits die Silhouetten der Bäume des angrenzenden Waldes ausmachen, doch er war noch eine Ewigkeit entfernt, und der Weg dort hin war gefährlich. Aus der Ferne ertönte Hundegebell und die beiden beschleunigten.

Katelyn schnappte plötzlich erschrocken nach Luft und blieb augenblicklich stehen.

„Oh Gott. Wir haben Mia vergessen. Wir haben Mia einfach alleine zurück gelassen.“, flüsterte sie und sah zurück zur Mauer.

Aiden blieb ebenfalls keuchend stehen und sah sie an.

„Katie, komm schon. Wir müssen hier weg.“

„Ich kann sie nicht allein zurück lassen, Aiden. Wir müssen zurück und sie holen.“

Katelyn wollte sich umdrehen und zurück rennen, doch Aiden packte sie am Handgelenk und sah sie an.

„Katelyn, wir kommen nicht mehr zurück. Die Mauer ist unüberwindbar von der Seite.“

Er sah ihr fest in die Augen und ließ keinen Zweifel an seinen Worten.

„Ich ... ich kann nicht, Aiden. Ich muss ...“

Doch Aiden ließ ihr keine Zeit zum Ausreden. Mit einer einzigen schnellen Bewegung zog er sie an sich und mit einer zweiten Bewegung drehte er sie so, dass sie das Tor sehen konnte, durch das immer die LKWs ein- und ausfuhren, die die Nahrungsmittel lieferten. Das Tor ging auf, doch dieses Mal waren es keine LKWs voller Essen, sondern LKWs voller Menschen mit Waffen und scharfen Spürhunden.

„Willst du wirklich jetzt zurück, Katelyn ? Sie werden dich töten, noch bevor du zwei Schritte auf das Gelände gemacht hast. Mia ist dort momentan am Sichersten. Und wir müssen jetzt hier weg. Komm schon.“

Er hielt sie immer noch fest und zog Katelyn hinter sich her, die ihm widerwillig folgte. Alle paar Meter drehte sie sich um und sah zurück, doch sie musste sich eingestehen, dass Aiden recht hatte. Mia war dort sicherer, als wenn Katelyn sie mitnehmen würde. Und doch hatte sie bei jedem Schritt das Gefühl, spüren zu können, wie sie sich weiter von Mia entfernte.

Die Hunde, die sie schon lange gehört hatten, kamen immer näher und Katelyn riss ihre Hand aus Aidens Griff.

„Schon okay. Lauf einfach weiter.“, meinte sie zu Aiden und lief weiter.

Aiden sah sie einen Moment lang misstrauisch an, als befürchte er, sie würde doch noch zurück rennen, doch sie hielt sein Tempo problemlos mit und blieb bei ihm.

„Wie weit wollen wir noch rennen?", fragte Katelyn irgendwann, als sie schon eine Weile zwischen den Bäumen hindurch sprinteten.

„Nicht mehr weit. Wir müssen uns über die Nacht verstecken. Du weißt, wie Suchen hier ablaufen."

Beide sahen unwillkürlich nach oben.

Von Helikoptern aus würden sie leicht entdeckt werden, wenn sie nicht schnell Unterschlupf suchten.

Sie blieben stehen. Ihr Schweiß verdampfte und kondensierte in der, für Frühlingsnächte, kalten Luft.

"Wenn wir Pech haben, wird die Spezialeinheit den ganzen Wald durchkämmen. Mit Wärmebildkameras."

Katelyn sah Aiden an. Sie hoffte, er würde einen Vorschlag machen, aber Wärmebildkameras konnte man nur schwer entkommen.

„Wir müssen unter die Erde, weit unter die Erde, irgendwo, wo nichts mehr Wärme reflektiert.", flüsterte sie, weil das das erste war, was ihr als Möglichkeit einfiel.

„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, jetzt noch einen Dachsbau oder ähnliches zu entdecken?", erwiderte Aiden entmutigt.

„Dann müssen wir irgendwohin, wo sie uns nie vermuten würden. Was wäre das dämlichste, was wir tun könnten?"

Katelyn dachte nach. Aiden wartete ab.

Schließlich sank Katelyn seufzend gegen den nächstbesten Baum und hielt sich erschöpft die Seite.

„Ich weiß es nicht.“

Mit der einen Hand wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, die andere presste sie noch immer auf die Stichwunde zwischen ihren Rippen.

„Ich hab’ keine Ahnung.“, flüsterte sie leise und spürte, wie sich langsam Verzweiflung durch ihre Erschöpfung nach oben arbeitete.

Sie sah Aiden an und konnte sehen, dass er genau so erschöpft war, wie sie, und auch seine Stichwunde blutete wieder.

Sie nahm die Hand von der Seite und trat auf Aiden zu.

„Lass mich deine Schulter sehen.“, murmelte sie und Aiden nickte langsam.

Vorsichtig lehnte er sich gegen den Baum und Katelyn rollte den Ärmel seines T-Shirts vorsichtig nach oben.

„Ich brauch’ irgendetwas, um das verbinden zu können.“, flüsterte sie.

„Wir haben aber nichts. Ich hatte leider keine Zeit, den Notfallkoffer einzupacken.“, erwiderte Aiden und zuckte leicht zusammen, als Katelyn mit dem Stoff über die Wunde strich.

Kurzerhand riss Katelyn den Ärmel ab, machte einen Streifen Stoff daraus und verband die Wunde, so gut sie konnte.

„Das ist nicht optimal, aber immer noch besser, als nichts.“, murmelte Katelyn und seufzte.

„Wie geht’s dir?“, fragte Aiden vorsichtig und sah sie an.

„Du hast mich wieder Katie genannt.“, murmelte sie leise und starrte vor sich auf den Boden.

„Du hast mich nicht Katelyn genannt, sondern Katie. Du ... du hast gesagt, du würdest mich nicht allein lassen.“

Sie hob den Kopf und traf Aidens Blick.

„Stimmt. Habe ich.“, gab er leise zu und nickte.

Katelyn lächelte, aber nicht, weil sie es toll fand, sondern aus Unverständnis und Erschöpfung heraus. Das Adrenalin, das ihr die Kraft zur Flucht gegeben hatte, war wieder abgebaut und nun spürte sie, wie erschöpft und erledigt sie war. Und auch der Schmerz wurde schlimmer.

„Wieso, Aiden ? Nur ... nur ein paar Minuten vorher hast du noch gesagt, dass es besser wäre, wenn wir kein Team mehr wären. Dass wir uns weiterentwickelt hätten und alt genug wären, alleine zurecht zu kommen.“

„Glaubst du wirklich, ich würde zulassen, dass irgendjemand anderes Mia zugeteilt wird ? Sie gehört zu uns, und auch wenn ich es nie für möglich gehalten hätte, ist sie mir wirklich wichtig geworden.“

Katelyn biss die Zähne zusammen und funkelte ihn wütend an.

„Und deshalb hast du sie verlassen ? Weil sie dir so wichtig geworden ist, hast du sie im Stich gelassen, als sie dich brauchte ? Sie musste damit klar kommen, dass ihr Vater tot ist, sie musste lernen, sich an die neue Umgebung anzupassen und die neuen Regeln zu befolgen, und du hast sie allein gelassen. Du hast dich lieber mit Danni amüsiert.“, meinte sie bitter und wandte den Blick von ihm ab.

„Ich war immer für Mia da, wenn sie mich brauchte. Wenn sie zu mir gekommen wäre und mich um Hilfe gebeten hätte, hätte ich sofort alles stehen und liegen lassen. Aber sie ist lieber zu dir gegangen. Dir hat sie mehr vertraut. Von Anfang an.“

Aiden sprach ruhig und sanft, während er langsam auf sie zu trat.

„Hat sie nicht, Aiden. Nicht von Anfang an. Du warst der erste, der sie auf dem Arm hatte. Ich habe gesehen, wie schnell sie sich beruhigt hat, kaum dass du sie hattest. Aber dann musstest du deine Zeit zwischen ihr, mir und Danni aufteilen. Und vor allem sie kam zu kurz. Auch wenn Danni es bestimmt anders sehen würde.“

„Und du hast dich voll und ganz auf sie konzentriert.“

„Natürlich habe ich das ! Sie ist meine kleine Schwester, Aiden ! Sie ist gerade einmal zehn Jahre alt, wurde von ihrem Vater weggerissen und hat ihre Mutter schon was weiß ich wie lange nicht mehr gesehen ! Sie ist meine Familie. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich sie je wiedersehen werde. Wie es ihr geht. Ob sie zurecht kommt.“, flüsterte sie und Aidens Augen weiteten sich überrascht.

Sie ist deine Schwester?“

Katelyn nickte und schluchzte.

„Meine Mutter wurde zwei Jahre nach meinem Verschwinden mit ihr schwanger. So weit ich es verstanden habe, hat sie Mia und ihren Vater weggeschickt, nachdem sie den Verdacht hatte, dass sie Mia einfordern wollten.“

Katelyn schluckte und funkelte Aiden wütend an.

„Ich habe Malik versprochen, auf sie aufzupassen. Und wegen dir kann ich das jetzt nicht mehr! Wegen. Dir. Musste. Ich. Sie. Alleine. Lassen!“

Katelyn trommelte verzweifelt mit den Fäusten auf Aidens Brust ein, doch es war keine Kraft dahinter. Es war nur eine Art, ihre Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. Aiden ließ es zu und wartete, bis sie etwas ruhiger geworden war, bevor er ihre Hände packte und sie festhielt.

„Sch, Katie, sch. Hör auf. Hör auf. Ganz ruhig. Sch, Katie.“

Katelyn hörte auf, sich gegen seinen Griff wehren zu wollen und sah ihn an, ihre Brust hob und senkte sich heftig und Aiden konnte ihren Puls heftig gegen seine Fingerspitzen pochen spüren.

„Es tut mir leid. Okay? Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ... dass sie dir so viel bedeutet. Ich wusste es nicht. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich dich ...“

„Was?“, flüsterte Katelyn und löste ihre Hände aus seinem Griff.

„Hättest du mich zurück gelassen, wenn du es gewusst hättest? Hättest du mich der Gefahr ausgesetzt, eventuell getötet zu werden, nur weil ich deine Partnerin bin? Oder hättest du sie mitnehmen wollen?“

Sie sah ihn an und wartete auf eine Antwort, doch Aiden wusste nicht, was er sagen sollte.

„Dachte ich mir.“, meinte Katelyn und drehte sich weg.

„Es wäre unverantwortlich gewesen, Mia mitzunehmen. Du hast Recht. Momentan ist sie in der ‚Akademie’ wirklich am Sichersten. Nichts wissend, nichts ahnend und ohne uns.“

Katelyn schlang ihre Arme um sich und seufzte traurig.

„Egal, was du getan hättest, wenn du es gewusst hättest, es wäre trotzdem falsch gewesen.“

Aiden trat hinter sie und legte sanft seine Arme um sie. Er hielt sie fest und legte sein Kinn sanft auf ihrer Schulter ab.

„Ich hätte mir etwas anderes überlegt. Ich hätte eine andere Möglichkeit gefunden, wenn ich es gewusst hätte. Ich ...“

„Du hättest gar nichts tun können, Aiden. Wenn ich dich nicht gebeten hätte, in die Halle zu kommen ...“

„Es wäre trotzdem irgendwann passiert, Katie. Irgendwann hätte er so oder so versucht, mich umzubringen. Du hattest Recht. Die ‚Akademie’ hat mir einen Killer auf den Hals gehetzt. Deine Frage nach dem Treffen hat es nur beschleunigt.“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Wenn das Treffen nicht gewesen wäre ... Was hättest du dann gemacht? Wenn er dich angegriffen hätte? Hättest du dich von ihm töten lassen?“, fragte Katelyn und hob ihre Hände von unten und umfasste seinen Arm, der um ihre Schultern lag.

„Ich hätte dafür gesorgt, dass dir und Mia nichts passiert. Ich wäre verschwunden, ohne dass es jemand mitbekommen hätte und ohne dass jemand Fragen hätte stellen können.“, antwortete Aiden und Katelyn drehte sich erschrocken zu ihm um.

„Du hättest dich von ihm töten lassen?“

Aiden sah sie an und nickte langsam.

„Nur so hätte ich sicher stellen können, dass es für euch keine Konsequenzen gibt. Wenn die ‚Akademie’ jemanden eliminieren lässt, werden nie Fragen gestellt. Du hättest einen neuen Partner bekommen, Mia einen neuen Trainer, aber das wäre auch schon alles gewesen.“

„Du kannst dich doch nicht ernsthaft für uns töten lassen! Wieso hast du überhaupt mit dem Gedanken gespielt? Ist dir je in den Sinn gekommen, dass Danni damit nicht einverstanden sein könnte?“, fragte Katelyn ihn fassungslos und trat von ihm weg.

Aiden trat auf sie zu und schüttelte den Kopf.

„Danni geht das hier nichts an. Sie interessiert sich eh nur für sich und ihre Vorteile.“

„Und für dich.“, flüsterte Katelyn und war zu erschöpft, um den Schmerz aus ihrer Stimme zu halten.

Aiden schwieg und Katelyn lehnte sich gegen den Baum. Jedes Mal, wenn sie zu tief einatmete, wurde der Schmerz zwischen ihren Rippen immer schlimmer.

„Aber ich mich nicht für sie.“, meinte Aiden und trat zu ihr, um sich ihre Verletzung anzusehen.

„Aber ... du bist mit ihr zusammen. Und du liebst sie.“, flüsterte Katelyn und biss die Zähne zusammen, als Aiden vorsichtig mit dem Rand ihres T-Shirts über den Schnitt fuhr.

Aiden schwieg und antwortete nicht. Katelyn beobachtete, wie seine Hände vorsichtig, um ihr nicht noch mehr weh zu tun, versuchten, das getrocknete Blut von der Haut unter der Wunde zu lösen.

„Wir sollten zusehen, dass wir irgendwo medizinische Hilfe finden. Für heute reicht die Wundversorgung so, doch für die nächsten Tage sollten wir uns etwas einfallen lassen.“, murmelte Aiden und schob Katelyns T-Shirt wieder zurecht.

Sie hatte erwartet, dass er wieder zurück treten würde, doch er blieb direkt vor ihr stehen und ließ seine Hände auf ihren Hüften.

Katelyn sah auf und Aiden sah sie an.

Es war stockdunkel, und würde er mehr als einen Schritt von ihr entfern stehen, hätte sie ihn gar nicht richtig erkennen können.

„Ich glaube nicht, dass Danni davon begeistert wäre, wenn sie wüsste, dass du gerade so dicht vor mir stehst.“, flüsterte Katelyn und drehte den Kopf zur Seite.

Auch wenn sie überlegt hatte, Aiden zu sagen, was sie für ihn empfand, wusste sie doch, dass sie nicht den Mut dazu haben würde. Aiden war fest mit Danni zusammen. Und ob es ihr nun gefiel oder nicht, er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte.

Sie wand sich an ihm vorbei und lief weiter in den Wald hinein.

„Wir sollten weiter gehen. Falls sie uns noch suchen, ist es alles andere als hilfreich, hier herum zu stehen.“, meinte sie zu Aiden, ohne stehen zu bleiben.

„Katie, ich weiß, dass du Recht hast, aber bitte, warte.“

„Wir müssen immer noch ein Versteck für den Rest der Nacht finden. Es ist relativ kühl, deshalb werden wir wohl kaum im Wald direkt schlafen können.“

„Katie. Jetzt bleib doch mal stehen.“

Aiden versuchte, sie einzuholen und festzuhalten, doch Katelyn entwischte ihm jedes Mal ganz knapp.

„Eine Jagdhütte oder so etwas in die Art wäre perfekt. Aber so viel Glück werden wir wohl nicht haben. Wir bräuchten ...“

Aiden hatte es endlich geschafft, sie einzuholen, schnappte ihre Hand und zog sie zurück.

„Was ist los?“, fragte er sie, als sie ihm zugewandt war und sah sie an.

Katelyn seufzte, zog ihre Hand aus seinem Griff und trat ein kleines Stück von ihm zurück, um mehr Abstand zwischen sie zu bringen.

„Du bist mit Danni zusammen, Aiden. Und hast mit ihr geschlafen und ihr gesagt, dass du sie liebst. Das ... das ist einfach merkwürdig für mich. Zwölf Jahre lang war ich die einzige, die dich zum Lachen gebracht hat, und jetzt macht sie das. Jetzt macht sie dich glücklich und bringt dich zum Lächeln, während ich ... ich um deine Aufmerksamkeit kämpfen musste, wenn ich sie mal gebraucht habe.“

Sie drehte sich von ihm weg und schob ihre Fingerspitzen in die hinteren Hosentaschen.

„Ich habe sogar mit Ben geflirtet, damit du mich wahrnimmst! Aber es hat dich nicht annähernd genug gestört.“

Sie seufzte und ließ die Schultern hängen.

„Ich habe so oft gehofft, du würdest rüber kommen und irgendetwas sagen, aber du hast es nie. Du bist immer bei Danni geblieben.“

Ohne Vorwarnung stand Aiden plötzlich direkt hinter ihr und wirbelte sie geradezu zu sich herum.

„Du hast absichtlich mit Ben geflirtet, damit ich auf dich aufmerksam werde?“

„Ich war nicht wirklich gut darin. Aber Ben war es eh egal. Es hat ihm gefallen, mich neben sich zu haben, wenn andere vorbei kamen, ob wir nun wirklich zusammen waren oder nicht.“

Aiden schnaubte wütend.

„Allerdings. Ich habe mich schon gewundert, ob ich dich moralisch wirklich so falsch eingeschätzt hatte oder ob du nun vollkommen verrückt geworden warst.“

Katelyn klappte der Mund für einen Moment auf, dann stemmte sie ihre Hand in die unverletzte Seite und sah ihn an.

„Entschuldige bitte, aber du hast mit Danni geschlafen, bevor du dich in sie verliebt hast. Und du hast versucht, mich zu küssen, während du mit ihr geschlafen hast. Willst du mir etwa erzählen, dass das zwar ein Fehler, aber moralisch vertretbar war?“

„Das verstehst du nicht, Katie.“, begann Aiden und Katelyn schnaubte.

„Wieso nicht? Weil ich noch keinen Sex hatte und nicht weiß, wie toll das sein kann? Wenn es so toll ist, dass jemand wie du nach einem Mal nicht mehr aufhören kann und deshalb mit dem falschen Mädchen ins Bett springt, will ich es gar nicht wissen. Wirklich, dann verzichte ich lieber komplett auf diese Erfahrung.“

Katelyn bekam gar nicht mit, wie Aiden die winzige Entfernung zwischen ihnen überwand und sie mit dem Rücken an den nächsten Baum drängte. Erst, als er mit seinen Händen sanft ihr Gesicht umfasste, registrierte sie, wie nah er ihr war. Und dass sie nicht von ihm weg kam.

Doch bevor sie auch nur darüber nachdenken konnte, was passiert war oder warum sie plötzlich mit dem Rücken gegen einen Baum da stand, beugte Aiden seinen Kopf zu ihr runter und legte seine Lippen schnell und sanft auf ihre.

Wie ein elektrischer Schlag zuckte seine Berührung durch ihren Körper und schaltete alles aus, jeden Verteidigungsreflex, jeden Angriffsreflex, alles, sogar ihr Denken. Sie konnte nicht mehr klar denken und auch nicht analysieren, was da gerade passierte.

Alles, was sie noch konnte, war Aiden wahrzunehmen. Aidens Lippen auf ihren, seine Hände an ihrem Gesicht und ihrem Hals, seine Brust, die sich im selben Rhythmus hob und senkte, wie ihre eigene, und seinen Körper, der sich, bestimmt aber sanft, gegen ihren drückte und sie gegen den Baum drückte. Doch sie spürte die raue Rinde des Baumes gar nicht.

Sie spürte nur Aiden. Und das Glück, das mit jedem neuen Kuss und jeder neuen Berührung, die Aiden ihr schenkte, größer wurde.

Vorsichtig schlang sie ihre Arme um seinen Hals und zog ihn näher zu sich, und Aiden gehorchte lächelnd.

Seine Hände wanderten langsam von ihrem Gesicht auf ihren Rücken und zu ihrer Taille, bis Aiden sie enger an sich ziehen konnte, und erst, als zwischen sie kein Blatt mehr gepasst hätte, schienen sie beide zufrieden.

Aiden lachte leise, aber so glücklich, wie Katelyn ihn noch nie gehört hatte, und sah ihr in die Augen, während er sie so zärtlich küsste, dass sie das Gefühl hatte, beinahe zu zerfließen.

Sie konnte nicht glauben, dass Aiden sie wirklich küsste, und dass es sich so richtig anfühlte. Doch genau das tat es.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die für ihre Freiheit kämpfen würden. Oder es sogar schon mussten. Und für Dagmar und Kathrin, die mir mit ihren wertvollen "Tipps" und "Kritiken" (sorry für die leichte Spur von Ironie :* ) wahnsinnig geholfen haben. Auch wenn ich mir damals nicht vorstellen konnte, dass das Leben uns so auseinander reißen würde.

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