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Kurzgeschichte

Ich lausche im Halbschlaf dem gleichmäßigen Rhythmus des Regens, der beruhigend gegen die Fensterscheibe prasselt. Die Temperatur ist deutlich gesunken, und ich zittere wie Espenlaub, sodass ich automatisch mit meinen kalten Fingern nach dem Saum der Decke greifen möchte. Doch meine Hände folgen meiner Aufforderung einfach nicht und ich versuche meine Augen zu öffnen, um aus dem trüben Zustand aufzuwachen, in dem ich mich befinde.
Ich kämpfe gegen die Müdigkeit an, die mich mit wohligen Gefühlen übermannen und mich für sich einnehmen möchte. Mit viel Mühe konzentriere ich mich auf meine Finger und stelle mir bildlich vor, wie ich sie bewege und somit die Starre meines Körpers aufhebe. Aber auch das funktioniert nicht und ich beginne damit, langsam aber sicher in Panik zu verfallen.
Warum kann ich mich nicht bewegen?
Träume ich das etwa nur?
Schlafe ich noch?

Aber ich bin doch ganz klar bei Verstand...oder?
Ich rufe mir die letzten Erinnerungen wach, die ich an den vorherigen Tag habe und komme zu dem Entschluss, dass ich definitiv wach bin.
Ein lauter Donnergroll lässt mich innerlich zusammenzucken und mein Herz schlägt nun in einem schnelleren Takt.
Mit aller Macht befehle ich meinem Körper sich erneut zu bewegen und die psychische Kraft, die ich dafür anwenden muss, ist damit zu vergleichen, zum allerersten Mal einen Klimmzug zu versuchen. Es kommt mir so vor, als würden meine Arme und Beine Tonnen wiegen und je mehr ich versuche dagegen anzukämpfen und sie hochzuheben, desto schwerer drücken sie sich in die Matratze.
Als würde dieser Körper nicht mehr mir gehören.
Schießt es mir durch den Kopf.
Ich versuche eine rationale Lösung dafür zu finden, doch mir fällt einfach nichts ein, was diesen Zustand meines Körpers erklären könnte. In Gedanken spreche ich mir beruhigende Worte zu und konzentriere mich auf den Regen, der nun förmlich gegen die Scheiben hämmert. Es wird eine Sekunde vor meinen Augen hell und kurz danach ist wieder ein lauter Donner zu hören und der pfeifende Wind lässt die Wassertropfen nur noch schneller gegen die Scheiben aufprallen. Zuerst hat der Regen mit seinem sanften Rhythmus wie ein leises Flehen gewirkt, doch nun kommt es mir so vor, als seien sie voller Zorn und schrien förmlich um Einlass. Auch der Donner scheint immer näher zu kommen und damit lauter zu werden und am liebsten, würde ich mir mit den Händen die Ohren zuhalten, doch ich bringe noch nicht einmal ein Zucken zustande.
Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht und abgesehen davon dass ich überhaupt keine Kontrolle mehr über mich habe, ist es wirklich seltsam, dass mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert, während meine Atmung ruhig und gleichmäßig bleibt.
Das Quietschen der Haustüre und ein darauffolgendes Poltern ist zu hören und ich stelle mir vor, dass ein Einbrecher mein Haus betreten und den Garderobenständer umgerissen hat.
Oh Gott, es ist Jemand im Haus!
Die Panik hat mich nun vollständig im Griff und ich male mir die schlimmsten Szenarien aus, die jetzt auf mich zukommen könnten.
Bleib ruhig, Gracie. Vielleicht ist es auch nur der Wind.
Ja genau, das wird es bestimmt sein.
Mein Herz schlägt mir nun bis zum Hals und angestrengt lausche ich nach weiteren Geräuschen, doch außer dem laut pfeifenden und tobenden Wind, der nun auch von unten zu kommen scheint, ist nichts zu hören.
Das Pochen in meinen Ohren wird immer lauter, sodass der Krach des Sturms von draußen in den Hintergrund rückt. Und dann ganz plötzlich, herrscht eine beängstigende Stille, die noch viel schlimmer als der tobende Sturm ist. Die Atmosphäre im Raum hat sich von einer Sekunde auf die andere geändert und sie ist greifbar spürbar. Wie ein dicker Nebel umhüllt sie mich und legt sich schwer wie eine Decke in den Raum und das Atmen fällt mir mit einem Mal schwerer. Während ich einen weit entfernten Donnergroll und das leise Tröpfeln des Regens höre, überkommt mich ein seltsam ungutes Gefühl und ich spüre, dass gleich etwas Schlimmes passieren wird. Ein Knarzen im Zimmer lässt mich aufhorchen und ich versuche nicht an die ganzen Horrorfilme zu denken, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Doch leider gelingt mir das überhaupt nicht und ich muss feststellen, dass einer dieser Filme erschreckenderweise diesem Moment sehr ähnlich sieht.
Ich nehme deutlich ein Kratzen auf Holz wahr, das vom Kleiderschrank direkt gegenüber von mir zu kommen scheint.
Jetzt kämpfe ich nicht mehr nur gegen meinen Körper, sondern auch noch gegen meine Angst, die mir schreckliche Bilder durch den Kopf schießen lässt.
Da ist nichts, du bildest dir das bloß ein.
Doch die Selbstberuhigung bringt überhaupt nichts mehr und meine Panik steigt weiter ins Unermessliche, sodass ich in Schweiß ausbreche und spüre, wie das Laken unter meinen Händen immer feuchter wird.
Ich muss ruhig bleiben und eine Lösung finden. Wenn wirklich Jemand hier ist, muss ich mich verteidigen können.
Also versuche ich mich diesmal auf meine Zehen zu konzentrieren, die aus der Decke hervorlugen und sich bereits kalt und taub anfühlen.
Tränen sammeln sich in meinen geschlossenen Augen, während ich auch bei diesem Versuch versage.
Ruhig bleiben. Versuch dich weiter zu bewegen.
Leise Schritte sind zu hören, diesmal jedoch näher. Sie sind nicht weit von meinem Bett entfernt.
In meinen Gedanken stelle ich mir einen maskierten großen Mann vor, der ein langes Küchenmesser in der Hand hält und sich mir langsam aber sicher nähert.
Ich begreife nun, dass ich in Lebensgefahr schweben könnte und anstatt ruhig zu bleiben, schreit alles in mir, dass ich gleich sterben werde.
Das kann doch nicht wahr sein. Ich träume nur, ich träume nur oder ich werde verrückt.
Ich will weinen, schreien, meine Augen aufreißen, doch ich kann es nicht. Wie festgefroren liege ich auf den Rücken und bin der Situation, wie auch immer sie aussehen mag, völlig ausgeliefert.
Dann höre ich ein Schlurfen, genau links von mir. Die Tränen, die sich in meinen Augen angesammelt haben, laufen mir nun in heißen Bahnen über meine Wangen und im Stillen bete ich, mich endlich bewegen zu können. Ich kann es nicht sehen und auch nicht mehr hören, doch ich spüre, nein ich weiß, dass irgendjemand neben meinem Bett steht und mich beobachtet. Der Schweiß läuft mir langsam über den Rücken und was eben noch feucht gewesen war, ist nun schweißdurchtränkt. Immer wieder bete ich für ein Wunder und hoffe, dass das Alles bloß ein furchtbarer Alptraum ist, aus dem ich gleich erwachen werde. Aber ich kann mich nicht selbst belügen, denn ich weiß es besser.
Ich denke wieder an meine Hand und daran, wie sie sich bewegt. Ein Kribbeln macht sich in meinen Händen bemerkbar und ich spüre, dass es gleich soweit sein wird, und ich mich endlich wieder bewegen kann.
Los, bitte. Beweg dich.
Meine anspornenden Gedanken sind gerade das Einzige, was mich durchhalten lässt.
Mein Atem stößt gegen einen Widerstand.
Es zuckt in meinem rechten Zeigefinger und ich kämpfe mit all meiner Kraft gegen das unsichtbare Gewicht, das wie eine Bleidecke auf mir liegt.
Etwas drückt gegen meinen Brustkorb und das Atmen fällt mir schwer. Endlich schaffe ich es meine Augen zu öffnen. Panisch blicke ich mich um, kann in der Dunkelheit jedoch nichts erkennen.
Immer noch drückt mich etwas in die Matratze und mir wird speiübel.
Deutlich nehme ich zwei Hände wahr, die auf meinen Brustkorb Druck ausüben.
Noch mehr Tränen laufen über meine Wangen und ich spüre, wie sie mein Kinn hinunterfließen und auf meine Schlüsselbeine tropfen.
Ich will nicht sterben. Bitte nicht. Oh Gott!
Ein Blitz erhellt das Zimmer für eine Sekunde und das Bild was sich mir zeigt, brennt sich tief in mein Gedächtnis ein.
Eine alte Frau mit wirren weißen Haaren sitzt auf mir und drückt mit ihren Händen auf meine Brust.
Doch das, was ich immer noch vor meinen inneren Augen sehe, ist ihr Gesicht. Ihre weit aufgerissenen Augen, die mich voller Angst und Verwirrung ansehen und ihr geöffneter Mund, der nur noch einzelne Zähne entblößt.
Ihr Gesicht wirkt eingefallen und blass, fast schon kreideweiß. Das Alles habe ich innerhalb einer Sekunde erfassen können und ich wünschte, ich hätte es nicht sehen müssen.
Wer ist diese Frau? Wie ist sie hier reingekommen und warum tut sie mir das an? Diese ganzen Gedanken kreisen durch meinen Kopf und lassen mich in nur noch größere Panik ausbrechen, doch ich kann einfach nur wie erstarrt daliegen und in die Dunkelheit vor mich hin starren. Ob es jetzt daran liegt, dass ich mich immer noch nicht bewegen kann, oder ob es von der Angst kommt, die mich lähmt, kann ich nicht sagen.
Das kann doch kein Traum sein, dafür ist das doch alles zu real. Fühlt sich zu real an.
In meinem Kopf rasen die Gedanken mit der Geschwindigkeit eines Zuges, sodass ich keinen einzigen mehr davon erfassen kann. Das Atmen fällt mir immer schwerer und die Angst zu ersticken, ruft in mir Todesangst hervor.
Ihre Hände drücken immer fester gegen meine Brust und ich versuche einen inneren Druck aufzubauen, doch auch meine Atmung lässt sich nicht kontrollieren.
„Wach auf!“ ruft die Alte und ihre spitzen Fingernägel bohren sich tief durch den dünnen Stoff meines Schlafshirts und ich verspüre einen brennenden Schmerz.
„Wach auf!“ ruft sie erneut und wieder höre ich das Knacken von Holz, so als ob Jemand auf einen alten Holzstuhl sitzt und darauf immer wieder hin und her schaukelt.
„Gracie.“
Ihre kratzige Stimme nimmt nun einen mahnenden Ton an und die Angst, die ich spüre, wird unerträglich.
Ich bin mir sicher, gleich bewusstlos zu werden. Die nackte Angst sitzt mir in Mark und Bein, als ein raues, schadenfrohes Lachen durchs Zimmer schallt.
„Ich sagte...“ Sie zieht die Wörter in die Länge, was ihre Aufforderung nur noch angsteinflößender macht.
Nun kribbelt auch meine andere Hand und ich nehme deutlich wahr, dass meine Zehen zucken.
„WACH AUF!“ kreischt sie und schüttelt mich, wobei ich ihr ein Stück näher komme und ein faulig beißender Geruch meine Nase zum Brennen bringt.
Das bösartige Lachen wird immer lauter und als ein weiterer Blitz das Zimmer erhellt, sehe ich genau an der alten Frau vorbei und blicke auf einen sehr großen und dürren Mann, der sich auf meinem Kleiderschrank in schneller Abfolge immer wieder vor und zurück bewegt, sodass der Schrank bei jeder Vorwärtsbewegung, umzukippen droht.
„WACH AUF!, WACH AUF!, WACH AUF!“
Immer schneller schüttelt sie mich und mein Kopf fliegt hin und her. Der Gestank wird immer schlimmer und mein Magen dreht sich um. Ich will sie von mir stoßen und laut schreien, doch lediglich erstickende Laute entweichen aus meinem Mund. Und dann ganz plötzlich hält sie inne, genau wie das Gelächter mit einem Mal verstummt. Wie eine schlaffe Puppe liege ich in ihren Armen und warte auf das, was als nächstes passieren wird. Ihr heißer fauliger Atem stößt gegen mein Ohr, während ich Salz in meinem Mund schmecke. Als ihre Lippen meine Ohrmuschel berühren, kitzelt ihr Atem meine Haut und ich glaube mich übergeben zu müssen.
Das Herz in meiner Brust schlägt so schnell, dass ich denke, jeden Moment einen Herzinfarkt zu erleiden. Immer wieder sage ich in Gedanken ein Gebet auf und hoffe, dass es wirklich nur ein Traum ist, aus dem ich jetzt erwachen werde. Ein paar Mal noch schlägt ihr Atem gegen meine feuchte Haut, als sie zu sprechen beginnt. Es ist nur ein heiseres Flüstern, jedoch gefriert mir bei ihren Worten mein Blut in den Adern.
„Er ist hier, um dich sterben zu sehen.“
Endlich schaffe ich es, meinen Arm hochzuheben und genau in diesem Augenblick verschwindet der Druck auf meiner Brust und damit auch die alte Frau auf mir und es ist, als wäre nie etwas gewesen.
Schweißgebadet und außer Atem fahre ich aus meinem Bett hoch während es anfängt draußen zu donnern und zu regnen. Ich versuche meinen Puls wieder unter Kontrolle zu bringen, während ich mir mit zittrigen Fingern durchs Haar fahre. Wie eine Wahnsinnige sehe ich mich im Zimmer um und suche nach der alten Frau und dem Mann, der vor einigen Sekunden noch auf dem Schrank gesessen hatte. Doch ich kann sie nicht finden, und auch die sonderbare Kälte, sowie die negativ geladene Energie sind fort.
Doch die Angst lässt mich immer noch nicht los, so dass nun auch mein Brustkorb sich hektisch auf und ab bewegt und ich keuchend meinen Rücken nach vorne beuge, um besser Luft holen zu können.
Ich zucke zusammen, als ich das bekannte Knarzen der Treppenstufen höre und wie erstarrt sehe ich zu dem offenen Türspalt, wo ich jedoch nichts erkennen kann. Ich versuche leiser zu Atmen und presse mir die Hand auf den Mund und horche nach jedem noch so kleinesten Geräusch.
Leise Schritte kommen meinem Zimmer immer näher und mein Herz scheint in meiner Brust zu zerspringen, als eine warnende Stimme, die noch klar und deutlich in meinem Kopf zu hören ist, so als würden sie wie eine Botschaft vor meinen Augen auftauchen.
Er ist hier, um dich sterben zu sehen.

 

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Tag der Veröffentlichung: 09.04.2019

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