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Auf dem Foto sah er doch gut aus, dachte Nina. „ Jack Whatever“ war sein Name und die Person, die ihr gerade auf Facebook eine Freundschaftsanfrage gemacht hatte. Mäßig interessiert klickte sie auf die Profilbilder. Nein, er sah nicht gut aus- sondern fantastisch. Verboten guttausehend war er, wie ein Schauspieler. Sein schiefes Lächeln wirkte wie eine Einladung, den Blick hatte er herablassend auf sie gerichtet, sein dunkles Haar hing ihm nur wenig über den Augen. Mit seinen hohen Wangenknochen und seinem markanten Kinn wirkte er wie ein griechischer Halbgott.
„ Komm, Nina, lass dich darauf ein“, flüsterten die Porträts. Dennoch, ein leichtes Unbehagen ließ sich nicht vertreiben. Sie kannte diesen atemberaubenden Mann doch gar nicht, nicht persönlich. 200 Facebook- Freunde, stand in der Leise. Als sie die Ziffer näher betrachtete, runzelte sie die Stirn. Entweder er war eine kleine Lokalberühmtheit oder ein fleißiger Sammler. Woher kam er denn überhaupt? Bremen. Bremen? Dieser Jack wohnte in der gleichen Stadt wie sie und nie hatte sie von nicht gehört? Solch einen Mann hätte sie niemals vergessen, dessen war sie sich sicher.
50 gemeinsame Freunde. Ach, was sollte schon geschehen? Und er war in ihrem Alter, ebenfalls 16. Somit drückte sie auf annehmen und schickte ihm sogleich eine Nachricht: „ Hi, ich bin Nina. Kennt man sich?“

Peter Häftler hievte sich die Treppen zu seiner Wohnung im 10. Stock herauf. Sein Übergewicht erschwerte ihm ein ruhiges Leben. Vielleicht sollte er auf den Arzt hören, der ihm riet, das Rauchen aufzugeben. Möglicherweise sollte er sich nicht jeden Abend in der Kneipe gegenüber volllaufen lassen. Ach, egal. Seit er arbeitslos war und seine Frau ihn verlassen hatte, war sein Leben ohnehin nicht mehr lebenswert. Seine Rechnungen konnte er gerade nur so bezahlen, und dennoch musste er auf vieles verzichten. Er hatte es so satt.
Mürrisch schloss er die Haustür auf und marschierte sogleich in die Küche. In den Ecken stand der Schimmel und es roch nach vergammeltem Essen. Häftler war 60 Jahre alt- und hatte das Gefühl, dass vom Leben nicht mehr viel zu erwarten war. Es gab nichts mehr, was ihn erfreute, was ihn lächeln ließ. Nur eine Sache fesselte ihn, und gab ihm das Gefühl, ein anderer zu sein.
Er ließ im Nebenzimmer den alten Windows 98 hochfahren.

Mit seinem Fertiggericht aus der alten Mikrowelle setzte er sich 10 Minuten später vor den alten, sperrigen Monitor. Als er auf Facebook ging, sah er es: Eine kleine eins neben dem Welt- Icon sagte ihm, dass eine Neuigkeit eingegangen war. „ Nina Müller ist jetzt mit dir befreundet“. Häftler lächelte. Ja, das war die Kleine, sie gehörte nun ebenfalls zu Jacks Freundeskreis und ebenfalls zu Peters, auch wenn sie es nicht ahnte. Das hier war seine zweite Identität. Noch war kein Mensch auf die Idee gekommen, dass die Bilder einfach nur die eines unbekannten russischem Schauspielers waren. Er lachte höhnisch. Diese Kinder waren sind naiv und ihre Eltern unendlich dumm, sie nicht zu schützen. Niemand hätte eine Freundschaftsanfrage des Peter Häftlers angenommen, doch auf Jack Whatever fuhren alle kleinen Mädchen ab. Genau wie die kleine Hure letzte Woche. Sie war ebenso leichtsinnig gewesen, sich auf diese Lügengeschichte einzulassen. Zu sehr waren sie alle von dem Gedanken geblendet, dass sie Jacks feste Freundin werden könnten, um zu prahlen. Es ist nur ein Gesicht, kleines, dachte Peter grinsend, aber schön, dass dir dieses Gesicht so sehr gefällt. Ach, eine Nachricht hatte die kleine Schlampe auch noch geschrieben? Aber sie hatte es doch direkt auf seine Bekanntschaft angelegt, so wie sie sich mit diesem tief ausgeschnittenem T- Shirt auf dem Sofa geräkelt hatte, als wäre sie ein entlaufenes Mädchen der Playboy- Mansion.
„ Hi, ich bin Nina. Kennt man sich?“. Seine Finger fuhren über die Tastatur, als er das einzige Spiel spielte, das ihm in seinem beschissenen Leben überhaupt noch Freude bereitete. „ Hi, ich bin Jack ;) Nein, aber das lässt sich doch leicht ändern, oder? “. Inzwischen liebte er Jack. Dieser Junge war eine wundervolle Maske. Ein grüner Punkt war neben Ninas Namen zu lesen. Ach, online war die kleine Schnecke auch! Ein Pling sagte ihm, dass eine Nachricht von ihr eingegangen war. „ Und wie, Süßer?“ Oh, die lässt aber nichts anbrennen. Ein hämisches Lächeln erstreckte sich über seinem Gesicht. Du willst spielen, Kleine? Zu gern. „ Lass uns doch treffen. Heute Abend, an der Mühle am Wall?“. Mit wild pochendem Herzen wartete er begierig auf die Antwort. „ Komm schon Kleines“, feuerte er sie an. „ Du weißt, dass es gut wird. Zumindest für mich“
Und endlich. Blau schimmerte ihr Namensfeld. „ Klar. Um Acht?“ „ Gute Idee, bis später “ . Die Welt wollte doch betrogen werden. Die kleine, unschuldige Nina wollte doch betrogen werden. Nun gut. Dann wollte man ihnen den Gefallen eben tun. Mundus vult decipi. Auf ein Neues.

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Bildmaterialien: http://i.telegraph.co.uk/multimedia/archive/01796/facebook-front_1796837b.jpg
Tag der Veröffentlichung: 11.11.2012

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