Weihnachtsmarkt in Berlin. Was bedeutet das? Um das für Außenstehende zu erklären: Weihnachtsmarkt Berlin, das sind unheimlich hässliche Weihnachtsbäume ( aber da wir ja in der Hauptstadt sind, ist es kein Müll, sondern Kunst), eine Imbissbude neben der anderen ( als Zeichen für die steigende Rate der Übergewichtigen in EU- Ländern), Fahrgeschäfte, bei denen ich mir oft überlegt habe, ob sie auch wirklich nicht lebensgefährlich sind und natürlich die Masse an Betrunkenen Menschen, bereits um 4 Uhr nachmittags zu wie Haubitze von… Glühwein… Der Glühwein ist, seit meinem Absturz vor zwei Jahren, mein Erzfeind, der Will Wheaton zu meinem Sheldon, der grüne Kobold zu meinem Spiderman, der Internet Explorer für meinen Firefox.. das Iphone zu meinem Samsung Galaxy.
Das ironische an der Situation ist… Verdammt, ich wäre jetzt zu gern in Berlin! Wo ich bin? Tja, ratet mal. Ich bin eingeschneit, in einer verdammten Berghütte, in einem verdammten Nest in den gottverfluchten Alpen. Wie man mir vielleicht anmerkt ist meine Stimmung bereits ins Bodenlose gesunken, mir ist kalt und ich bin zu nüchtern um die Situation einigermaßen lustig zu finden.
Gute Frage, 100 Punkte für den Kandidaten: Ja, was mache ich in einer Berghütte? Ein Hinweis für mein ich aus der Zukunft, falls ich dieses Fiasko jemals überleben werde: Fahre niemals, hörst du, NIEMALS mit deiner Familie an Weihnachten in die Alpen, nicht, wenn Schneesturm angesagt ist. Höre nie mehr auf deiner Mutter, die sagt: „ Und wird dieser Sturm schon nicht treffen, Christian, der zieht an uns vorbei“. Ich hätte antworten sollen. Ich hätte sie fragen sollen, warum der gottverfluchte Sturm gerade an uns vorbei ziehen sollte. Denkt sie etwa, der Wetterfrosch von RTL sitzt da oben in den Wolken, deutet auf unsere Hütte und sagt: „ Nein, heute nicht!“ ? Außerdem hätte ich ihre ganze Idee dieses Urlaubs mit einem hervorragendem Beweis meiner geografischen Fähigkeiten (keine Ahnung, wie ich das Abi geschafft habe) ihr nahelegen sollen, dass eine Wetter- Situation, sei es nun Regen, Sturm oder eben SCHNEE durch die Höhe meist noch verschlimmert wird. Das beste Beispiel ist doch der Brocken. In Wernigerode ist es kalt und windig, auf dem Berg liegt zentimeterdicker Schnee bereits im Oktober und es ist schwierig, einen Fuß vor den anderen zu setzten, ohne von einer Windböe wieder herunter gefegt zu werden.
Meine Großmutter stimmt gerade den millionsten Versuch von „ Morgen Kinder wird’s was geben“ an, nur die letzte Strophe fällt ihr nicht mehr ein. Also hat man beschlossen, das Lied einfach zu wiederholen, wieder und wieder, bis es auch der letzte Wicht nicht mehr hören kann!
Ich stochere lustlos in der Asche des Kamins umher. Ich höre Schritte und wende mich um. Lilly, meine kleine Schwester, lässt sich seufzend neben mir auf dem Boden fallen. „ Ziemlicher Mist, was?“, fragt sie mich mit einem schweren Lächeln. Ich ziehe scharf die Luft ein. „ Ziemlicher Mist, ist vollkommen untertrieben! Nicht einmal Mobilfunknetz hast du hier oben, hier ist gar nichts! Glaubst du etwa, Ötzi wäre ohne Grund hier eingefroren? Das ist eine unheimlich menschenfeindliche Gegend, die sich vollkommen gegen den Menschen und das Leben verschworen hat! Mein Selbsterhaltungstrieb schüttelt bloß den Kopf über mich und fragt sich, warum ich nicht schimpfend in Berlin geblieben bin!“. Man sollte mich in solchen Momenten nicht ansprechen. Es geschieht einfach zu leicht, dass ich anfange, mich im Selbstmitleid zu suhlen, doch ich kann nicht aufhören.
Lilly hebt eine Braue. „ Christian, es ist vollkommen egal, wo du bist, du schimpfst ohnehin nur. Echt jetzt. Komm mal runter. Das ist hier für keinen eine angenehme Situation, aber durch dein Gezeter wird es nicht viel schöner. Außerdem hat der Bergrettungsdienst gesagt dass er uns innerhalb von einer halben-.“ „ Er sprach von fünf Stunden, Lilly. FÜNF STUNDEN! Weil irgendwelche Touris wichtiger sind als wir!“ „ Sind wir nicht auch nur Touris?“, erwidert sie arglos, doch bevor ich auf ihre stumpfsinnige, aber leider wahre, Aussage auch nur reagieren kann, steht sie auf und gesellt sich zu den anderen. Vielleicht sollte ich auch-? Ach nee. Warum auch. Sollen die bloß mitbekommen, dass sie mir meinen Freitagabend versaut haben. Ich schaue auf mein Handy. Kein Empfangsbalken. Eigentlich ziemlich ungerecht von Vodafone, mich jetzt im Stich zu lassen. DAS sind die Momente, wo ich meinen Mobilfunkanbieter brauche, jetzt würd ich mich sogar mit meinem Kundenservice unterhalten.
Die Stimmung g wird noch schlechter, als ich es jemals erwartet hätte. Ich wickle mich in eine warme Daunendecke ein und fange mit finsterer Miene an, Angry Birds zu spielen. Nach einer halben Stunde ist mein Akku alle. Verdammt!
„ Los, Christian, du bist dran!“. Mit mürrischer Miene würfe ich, um aus meiner Misere des „Mensch- ärgere- dich- nicht“ – Spiels herauszukommen. Es misslingt mir. „ Hey, schaut mal!“, ruft mein Vater aus der Küche. Wir wenden uns zu ihm um. Er zieht aus dem ebenholzfarbenen Küchenschrank eine Flasche mit einer dunklen Flüssigkeit. In einer Ahnung, was das zu bedeutet hat, frage ich vorsichtig. „ Was hast du da, Dad?“. „ Glühwein!“, antwortet er mit einem strahlenden Lächeln, untermalt von unwillkürlichem Applaus.
Ich schlucke. Das kann ja nicht viel besser werden.
Drei Stunde später kann ich mein Lachen nicht mehr unterdrücken. Mein Dad hat noch zwei weitere Flaschen gefunden, und ich bin voll. Und zwar richtig. Wie ein Fass. Mein Verstand hat mich schon lang imaginär mit einer Brechstange zusammengeschlagen. „ Du dämlicher Idiot! Du verträgst keinen Alkohol! Versuch doch nicht andauernd, es ädern zu wollen!“. Mit diesen Worten übergießt es mich mit Benzin und zündet mich an. Ach. Deshalb ist mir jetzt auch so warm. Ich grinse. Dem Glühwein sei Dank. Jetzt ist die Welt wenigstens weniger scheiße. Was will ich eigentlich in Berlin? Ist doch schön hier. Keine besoffenen Idioten außer mir, und mit mir komm ich schon zurecht. „ Denkst du!“, zischt mein Verstand gehässig. Der hat aber wirklich hundsmiserable Laune. Vielleicht sollte er auch etwas trinken. Dann ginge es ihm bestimmt besser…
„ Christian, was tust du denn da?“, kreischt meine Großmutter entsetzt. Irritiert höre ich auf, mir den letzten Schluck Rotwein über den Kopf zu kippen und sehe sie an. „ Na, mein Verstand. Der ist noch nüchtern“, gebe ich, vollkommen verwirrt zurück. Sie schüttelt den Kopf. „ Euer Junge ist ja noch schlimmer betrunken, als Großvater im Winter 1987.“ „ Na und?“, schaltet Lilly sich ein, bevor eine Erzählung aus alten Tagen folgt. Mir dröhnt der Kopf. War vielleicht doch keine gute Idee, mich so abzufüllen. „ Schaut ihn euch doch an! Jetzt ist er wenigstens gut gelaunt“. Sie grinst.
Plötzlich klopft es an der Tür. Ich stehe auf, und muss mich sofort an meinem Stuhl festklammern. Scheiße, bin ich dicht. So ein Mist. „ Bergrettungsdienst!“, höre ich eine laute Stimme rufen. Ich drücke den Türknauf mit all meiner Kraft herunter und stehe plötzlich einem dick eingepacktem, bärtigem Alm Öhi gegenüber. „ Na endlich“, schnauze ich und übergebe mich vor seinen Füßen auf die „ Zuhause ist es doch am schönsten“- Fußmatte.
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Tag der Veröffentlichung: 06.11.2012
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