Cover

"Sie sollten ein wenig lächeln, Lucy. Alle Leute sehen zu uns her..." Marys Stimme klang verzückt, doch Lady Luciana Campbell konnte dieser Fahrt in ihrer eleganten Kutsche heute gar nichts abgewinnen. Sie hatte eben ihr Hochzeitskleid anprobiert und die Schneiderin hatte endlos an ihr herumgezupft und sie sogar dreimal mit einer Nadel gestochen. Nicht, das es sie sehr geschmerzt hatte, aber die Anprobe dieses Kleides stellte sie auf eine harte Geduldsprobe. Longhorns über die Prärie treiben fand sie wesentlich weniger anstrengend. Seufzend streckte sie die Beine unter dem weiten Rock aus. Wie gern würde sie jetzt im Sattel ihres Pferdes reiten, anstatt diese blödsinnige Fahrt in der Kutsche ... Ihre Gedanken wurden von dem erstaunten Ausruf Marys unterbrochen. Ihre Zofe hatte mal wieder jeden Sinn von Anstand vergessen, dachte Lucy ironisch, als sie sah, das Mary ganz zur Außenseite des Sitzes gerutscht war und die Menschen begaffte, die in dem milden, sonnigen Frühlingswetter von London die Straße hinauf und hinab flanierten. Ihre Begeisterung rang Lucy ein Lächeln ab. Sie beugte sich etwas vor und gab dem Kutscher einen Befehl.
Mary war außer sich vor Entzücken, als der Mann die Zügel anzog und Lucy Mary bedeutete, ihnen bei einem Pastetenverkäufer etwas zu holen. Der würzige Duft des heißen Gebäcks hüllte die beiden sofort ein und genussvoll verspeisten sie die Köstlichkeit, während die Kutsche am Straßenrand hielt. Leider hatte Lucy die offene Kutsche nehmen müssen, da ihr geschlossenes Lieblingsgefährt einer Reparatur bedurfte. Sie hasste es, wenn sich die adeligen Londoner das Maul darüber zerrissen, was sie gerade tat. Doch dieser Gedanke konnte sie im Moment nicht wirklich erschüttern. Die Pastete war herrlich und der Sonnenschein ebenfalls. Sie streckte ihr Gesicht der Wärme entgegen.
Mary kicherte und Lucy machte unwillig die Augen wieder auf.
"Sie werden an ihrem Hochzeitstag so braun aussehen wie ein Brathühnchen, wenn sie weiter ihr Gesicht so in die Sonne halten. Das ist unfein."
Lucy sagte etwas und Mary kicherte wieder. "Das war auch unfein. Kein Wunder, wenn man Sie nicht für eine feine Dame hält. Woher kennen Sie bloß solche Wörter?"
Einen Moment lang sahen die beiden sich an, dann prusteten sie los. Lucy wandte lachend den Kopf und erstarrte, als sie in blitzende grüne Augen blickte.
"Miss Lucy." Der Hochgewachsene, dunkelhaarige Mann nickte ihr grüßend zu. Offensichtlich gehörte er zu den Spaziergängern, die das warme Wetter genossen. Und das nicht alleine. An seinem Arm hing eine zarte, ebenfalls dunkelhaarige Frau. Die Frau wirkte neben dem muskulösen Mann mit den breiten Schultern noch zerbrechlicher, als sie eigentlich war.
"Jack." Lucy nickte zurück und hoffte insgeheim, der Mann würde weitergehen. Sie sah seine gefährlich blitzenden Augen, gewahrte den milden Spott darin, als er die angebissene Pastete in ihrer und Marys Hand sah und blieb stehen. Er grüßte Mary und stellte seine Begleitung vor, eine Miss Audrey Collinsworth. Miss Collinsworth trat an den Wagen, hielt ihr die Hand zur Begrüßung hin und lächelte zu Lucy hinein. Diese lächelte zurück. Ihr Lächeln verstärkte sich noch, als sie sah, wie Miss Collinsworth erschreckt zusammenfuhr und zurückwich.
Lucy schüttelte gespielt tadelnd den Kopf, während ihr Lächeln schlagartig erstarb. "Jack, wo sind Ihre Manieren? Nicht jeder ist so stark und kann meinen Anblick ertragen. Sie hätten die Dame vorwarnen sollen. Einen schönen Tag noch." Damit wandte sie sich ab.
"Sie sind ein Biest," raunte eine sonore Stimme an ihr Ohr. Jack war an die Kutsche herangetreten. Lucy drehte den Kopf und sah ihn an. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, während seine intensiv grünen Augen in ihre silbernen starrten.
"Aber es stimmt. Man muss wirklich vor ihnen warnen." Er kniff seine Augen zusammen und Lucy fühlte seinen Atem auf ihren Lippen. Dann trat er unvermittelt zurück und verabschiedete sich abrupt.
"Wow, " murmelte Mary beeindruckt und starrte ihm hinterher. "Was würde ich darum geben, einmal mit ihm spazieren gehen zu können..."
"Bitte geh mit ihm spazieren und führe ihn direkt in die Themse," knurrte Lucy und warf das restliche Stück jetzt erkaltete Pastete einem streunenden Hund hin.
"Damit wäre Diego aber nicht einverstanden, schließlich ist der Sheriff sein Trauzeuge."
"Nenn ihn nicht so," murmelte Lucy automatisch und wischte sich die Hände an ihrem blütenweißen Taschentuch ab. Missmutig stopfte sie es in ihr Retikül. Sie dachte daran, wie sie Jack Williams das erste mal begegnet war. Sie kam aus London zurück nach Amerika, ihrer Wahlheimat. In Dark-City stieg sie spät abends aus der Postkutsche. Der Mann, der ihr hilfreich die Hand reichte, war der neue Sheriff Jack Williams. Diego DeSantos hatte ihn während ihrer Abwesenheit kennen gelernt und ihm nach einigen Monaten den Posten des Sheriffs angeboten. Die beiden waren Freunde geworden. Als Lucy aus der Kutsche stieg, wartete der neue Sheriff gerade auf einen Sack voll Post. Der Postvorsteher war krank geworden und hatte Jack gebeten, die ankommende Post in Empfang zu nehmen. Jack hatte ihr hilfreich die Hand entgegengetreckt. Lucy war gezwungen gewesen, sie zu ergreifen. Alles andere wäre eine unverzeihliche Unhöflichkeit gewesen. Und normalerweise machte es ihr nichts aus, eine solche Unhöflichkeit zu begehen, doch die Herausforderung in seinen grünen Augen war ihr sofort entgegengeschlagen. Er hatte erwartet, zurückgewiesen zu werden.
Hoheitsvoll war sie ausgestiegen und hatte ihm direkt in die Augen gesehen. Ohne mit der Wimper zu zucken oder zurück zuweichen, hatte er ihren Blick erwidert und sie angelächelt.
"Willkommen zu Hause. Ich bin Sheriff Jack Williams. Und Sie müssen Miss Campbell sein. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise?"
Lucy ließ seine Hand los und strich ihr Kleid glatt. "Danke. Die Heimreise ist immer eine gute. Scheiß Kleider. Ich bin es leid." Sie streckte ihren Rücken durch und atmete tief ein. Dann wandte sie sich um und sah dem Gehilfen des Kutschers zu, wie er ihr Gepäck auslud.
"Werden Sie eine Weile in der Stadt bleiben?" fragte Jack. Er sah, wie sich ein Hausmädchen und eine Zofe aus Diegos Haus näherten, um ihr Gepäck mit einem kleinen Karren zu holen, den sie hinter sich herzogen. Lucy sah ihn kurz von der Seite an, beantwortete seine Frage aber nicht.
"Wie wäre es mit einem Pokerspiel? Ich habe von Diego gehört, Sie sollen sehr gut spielen."
"Wie wäre es mit Schach," murmelte Lucy geistesabwesend und lächelte den beiden Frauen entgegen. Männliche Bedienstete außer dem Stiefeljungen gab es in Diegos Haushalt nicht. Jack sah Luciana Campbell an und ahnte, warum.
"Morgen Abend?" ließ Jack nicht locker.
"Warum nicht?" Sie sah ihn erneut an. "Warum eigentlich nicht. Morgen um acht. Ich hoffe, Sie sind gut. Ich habe schon lange keinen wirklich guten Gegner mehr gehabt." Damit ging sie, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen. Er blickte ihr nach, während er seinen Postsack in Empfang nahm. Sie ging geschmeidig und zielstrebig und ihre Shilouette zeichnete sich vor dem hell erleuchteten Haus ab, auf das sie zuging. Es war Diegos Stadthaus. Jack wusste, Diego hielt sich auf seiner Ranch außerhalb der Stadt auf und Jack fragte sich, warum er nicht gekommen war, um seine Geliebte zu begrüßen. Schließlich war sie fast ein Jahr nicht hier gewesen.
Die Tür öffnete sich und verschluckte sie. Irgendetwas irritierte Jack, doch er kam einfach nicht darauf, was es war. Mittlerweile hatten der Kutscher und sein Gehilfe die Gepäckstücke aufgeladen und die beiden Frauen zogen den Karren zum Haus. Schwer schien er nicht zu sein.

Impressum

Texte: Cover ist nicht von mir!! Quelle: http://i67.servimg.com/u/f67/12/47/61/37/emil10.jpg
Tag der Veröffentlichung: 17.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Michelle und Sarah *-*

Nächste Seite
Seite 1 /