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Kapitel 1


Er sitzt auf dem Stuhl,
starrt die Wand an.
Leute kommen, gehen.
Setzen sich neben ihn,
flüstern ihm etwas zu.
Er sitzt auf dem Stuhl
und starrt die Wand an.


„Der Stuhl neben Gina ist noch nicht besetzt. Setz dich doch dorthin.“ Die Worte meiner neuen Lehrerin hörten sich an, als wären sie mein Todesurteil.
Dabei war ich bloß in eine andere Stadt gezogen, zu meinem Bruder. Die Blicke der Lehrerin, Miss Armstrong, eine drahtige Person mit wirren grauen Locken, hafteten auf mir, während ich zum Stuhl neben dem verschüchterten Mädchen ging und mich setzte. Ich packte meinen Ordner mit den Ringbucheinlagen aus, legte einen Stift auf ein Blatt und konzentrierte mich auf den Unterricht. In meiner alten Schule waren wir bereits ein ganzes Stück weitergewesen in Mathe, aber so hatte ich wenigstens genügend Zeit, mich um mein Einleben bei meinem Bruder zu kümmern. Es war alles andere als einfach gewesen, ihn dazu zu überreden mich bei sich aufzunehmen, aber letztlich hatte ich ihn mit Erwähnung einer Playstation 3, die ich mitbringen würde, doch noch rumgekriegt. Bei dem Gedanken an seine sabbernde Visage in der Webcam musste ich grinsen.
Ich löste mich aus meiner Konzentration und sah mich in meinem neuen Mathekurs um.
Einige Mädchen tuschelten und warfen mir verstohlene Blicke zu. Einige Mädchen schienen meinen Bruder zu kennen, und ihn in mir zu erkennen, denn sie funkelten mich an, als wäre ich der Teufel höchstpersönlich. Ich hasste und hasse bis heute so etwas. Es macht mich krank, zu sehen, wie es in den Leuten „KLICK“ macht, wenn sie eine Person in ihrem Gedächtnis herausgekramt haben, die Ähnlichkeit mit der Unbekannten hat. Ich ließ diese Mädchen bereits im Kopf links liegen, als meine Sitznachbarin mich anstupste.
Meine Gedanken machten Platz in meinem Gehirn, sodass ich Gina registrieren konnte. Ich drehte meinen Kopf nach links und sah sie an. Wortlos reichte sie mir einen Zettel.
Ich machte ihn auf, und glaubte im falschen Film, oder aber in der falschen Stufe zu sein. Der Zettel war doch tatsächlich die Frage: Willst du mit mir gehen? In der Zeile darunter standen 4 Ankreuzmöglichkeiten: Ja. Nein. Ich bin schwul. Ich bin vergeben.
Es war nicht Ginas Schrift, das sah ich auf den ersten Blick.
Unwillkürlich ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte knallen. Miss Armstrong bemerkte es, kam zu mir an den Tisch und ging ab, wie eine Furie, Neulingsbonus oder so etwas in der Art gibt es bei ihr nicht. „Wenn Ihnen mein Unterricht nicht gefällt, dann bleiben Sie demnächst zuhause. Und Zettelchen schreiben – Finden Sie nicht, dass sie dafür etwas zu alt sind, Mister Cardy?“ waren dabei noch die harmlosesten Aussagen. Ich antwortete nicht, stattdessen waren meine Gedanken darauf konzentriert meine griechische Abstammung zu verfluchen. Wie stand ich denn jetzt da – Wie der letzte Depp. Toll.
Miss Armstrong beruhigte sich langsam wieder und sagte mir Zeit und Ort meiner Stunde Nachsitzen. Ich wollte protestieren, weil ich meinem Bruder versprochen hatte, ihm die PS3 anzuschließen und den Computer internettauglich zu machen – was sowas anging, war Lix eine echte Niete.
Musste ich wohl später machen, aber Nachsitzen am allerersten Tag – Darf sie das überhaupt machen? Unsere Schulordnung sagt nichts Gegenteiliges – Shit.
Miss Armstrong ging wieder nach vorn und überwachte ihren Kurs jetzt mit Argusaugen. Ich verkniff mir, den Zettel zu zerknüllen und auf ein Mädchen zu schnipsen, das besonders blöd feixte, und schaute auf meinem Stundenplan, was als nächstes anstand. Chemie. Yeyy. Ich liebte dieses Fach einfach. Es war so ganz anders als das komplexe Bio oder das verformelte Physik, von Informatik ganz zu schweigen. Ich steckte den Stundenplan zurück in die Tasche, dann klingelte die Schulglocke schon.
Ich fragte Gina, wo der Chemieraum sei, und sie sagte einfach nur, dass ich ihr folgen sollte.
Ich folgte ihr also zum Chemieraum, bedankte mich bei ihr und setzte mich auf einen Platz in der Mitte. Der Raum sah schön aus, Riesenposter der berühmtesten Chemiker der Welt zierten eine Wand, an der anderen hing ein Periodensystem, das definitiv von einem Schüler gefertigt wurde. Kleine Spicker hingen daran. Vorne befand sich ein Whiteboard, rechts und links daneben Schränke mit Chemikalien, Büchern, Materialien für den Unterricht, einem Computer. Die letzte Wand existierte nicht. Der Raum war dreieckig, wurde von vorne nach hinten enger.
Ein Lehrer, offensichtlich gerade aus dem Referendariat rausgewachsen, kam mit einigen übel riechenden Substanzen unterm Arm in den Raum. Die Jungen tuschelten eifrig, eigentlich doch eher eine Mädchensache, und warfen dem Lehrer missmutige Blicke zu. Befürchteten wohl einen neuen Konkurrenten. Innerlich lachte ich mich kaputt.
Ich sah zu Gina, dem einzigen Mädchen im Kurs; Sie betrachtete die Chemikalien in seinem Arm und sah zu mir nach hinten. Ich grinste leicht und sah daraufhin kurz ihre dunklen Augen strahlen.
Der Lehrer setzte sich vor die Klasse und sah uns an. Offenbar war er neu an der Schule, denn sein Blick war neugierig und nervös.
Irgendwie tat er mir Leid, so ganz allein vor dieser Menge pubertärer Jungen und dem Grufti-Mädchen in einer amerikanischen High School. Ich wollte ihm helfen, aber ich tat es nicht. Es war auch nicht mehr nötig, denn der Lehrer stellte sich vor – er hieß Nicholas Bell, wir sollten ihn duzen – und fragte uns nach unseren Namen, was für mich auch eine schöne Sache war, denn bis auf Gina kannte ich niemanden auf dieser Schule.
Als er zu meinem Namen kam stutzte er.
Jannis Cardy. Er sprach es aus, wie Janis Joplin. Ich berichtigte ihn kurzerhand. Er nickte mir zu und begann mit dem Unterricht. Thema: Carbonsäuren und Esther.
Mein alter Chemielehrer war fast nie dagewesen. Dauerkrank. Aber das Thema hatten wir bereits in der Middle School angerissen. Ich verstand den größten Teil, von dem, was Nicholas erzählte, womit ich nicht alleine war. Er wies in einigen Experimenten verschiedene Gruppen nach: Alkohole, Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren kamen zum Schluss. Wie er es erklärte, machte es sogar einigermaßen Sinn. Kurz bevor es dann zur Pause klingelte, gab er uns die Aufgabe, den Aldehydnachweis zu Protokollieren, mit Auswertung und Skizze des Versuchs. Als hätte ich sonst nichts zu tun.
Ich packte meine Sachen und ging in Richtung Toilette. Als ich herauskam, hörte ich mehrere Mädchen glucksen und hämisch lachen. Eigentlich wollte ich mich an solchen Kindereien nicht beteiligen und so ging ich in die entgegengesetzte Richtung, in Richtung Caféteria. Dort holte ich mir einen Latte Macchiato und setzte mich danach auf dem Schulhof auf eine Bank.
Ich dachte nach. Meinen ersten Tag hier hatte ich mir schlimmer vorgestellt, als neues Mobbingopfer Nummer Eins vielleicht. Aber bis jetzt war es ganz gut gelaufen. Keine dummen Briten-Witze, keine Verhohnepiepelung meines Namens, ich sollte mich glücklich schätzen.
Wenn ich nicht doch einen Blick auf das arme Mädchen erhascht hätte, über das mehrere meiner Mitschülerinnen gelacht hatten. Ihr Anblick war schrecklich gewesen, ihre Augen waren verquollen gewesen, ihre linke Wange war blutig geschlagen worden, ein dicker Bluterguss hatte sich auf ihrer Stirn gebildet.
Ihre Lippen hatten zwei Worte geformt: „Hilf mir!“
Mädchen waren unberechenbar beim Thema Mobbing, das hatte meine kleine Schwester Pallin am eigenen Leib erfahren müssen. Als ich ihr einmal versucht habe zu helfen, hatte eine ihrer Peinigerinnen blitzschnell meinen Arm gepackt und mich zu Boden geworfen. Peinliche Sache.
Ich hatte das Mobbing-Opfer einfach zurückgelassen, aus Angst, das Gleiche zu erfahren. Das würde ein Nachspiel von Madame Karma geben, garantiert.
Die Pause war beinahe vorbei, als mich eine Stimme aus meinen Gedanken rüttelte, die mir bekannt vorkam. Mary? Und tatsächlich, da stand Lix derzeitige Perle perfekt gestylt vor mir, kaute hektisch auf einem Kaugummi herum, und sah mich an: „Was ist jetzt? Gibst du mir Nachhilfe oder nicht?“
Einen Augenblick lang war ich verwirrt, dann klingelte es zur dritten Stunde. „Ich muss los, Mary. Ich kann dir Nachhilfe geben, überall außer in europäischer Geschichte. Meld dich einfach“. Mit diesen Worten ließ ich sie stehen und ging in den Raum, wo auch der Matheunterricht stattgefunden hatte, jetzt war Englische Literatur an der Reihe. Auch diesen Kurs besuchte ich zusammen mit Gina. Allerdings waren wir beiden auch so ziemlich die Einzigen, die sich dafür interessierten, wie ich schnell feststellte. Der Lehrer, ein rundlicher älterer Herr mit Glatze und Vollbart, schaute uns über seine Hornbrille hinweg an, und begann mit dem Unterricht, während, außer Gina und mir, sich alle anderweitig beschäftigten. Er gab mir eine Ausgabe von „Taming of the Shrew“ von Shakespeare – Geniales Stück übrigens, sehr lesenswert – und ließ Gina und mich einige Passagen vortragen.
Als wir beim 4. Aufzug, 5. Szene angekommen waren sprach Gina die Katharina so dermaßen genial, dass ich erst einmal Luft holen musste. Erst dann konnte ich mit meiner Passage von Petruchio fortfahren. Ich hatte keine hässliche Stimme, das nicht, aber an Ginas Vorstellung der Widerspenstigen Katharina kam ich nicht heran.
Die Stunde ging viel zu schnell und ich hätte gerne noch weitergelesen, allerdings sollten wir als Hausaufgabe einen Inhaltsüberblick über 3 DIN A4 Seiten über die Szene schreiben. Das milderte meine Euphorie doch deutlich.
Ich schob mir in der Fünf-Minuten-Pause schnell eins von Lix berühmten Sandwiches rein und hoffte, dass sie nicht auch noch berüchtigt waren, und ich am Ende noch brechen müsste.
In der Freistunde, die jetzt folgte, erledigte ich meine Mathe- und Literaturhausaufgaben. Mathe war schneller erledigt, als ich mein Sandwich aufessen konnte, aber für Literatur brauchte ich eine halbe Ewigkeit.
Die Sprache war nicht sonderlich schwer zu verstehen, aber teilweise hatte ich das Gefühl, ich würde den Inhalt völlig falsch erfassen. Als ich 3 Seiten geschrieben hatte, mit denen ich nicht zufrieden war, machte ich mich auf die Suche nach einer Bibliothek.
Laut meinem Plan sollte der Haupteingang sich am Ostflügel der Schule befinden. Mein Orientierungssinn ließ doch tatsächlich zu wünschen übrig und so dauerte der Gang zur Bibliothek den ganzen Rest der Freistunde. Wenigstens hatte ich sie jetzt gefunden und als ich mich umsah, erkannte ich, dass sie ganz nah beim Haupteingang der Schule lag.
Mein Stundenplan sagte mir, dass jetzt Technik und Design an der Reihe war. Ich grinste, da ich Gina auch dort erwartete, doch es war ein lupenreiner Jungenkurs. Ich war gerade dabei mich zu wundern, da kam auch schon die Lehrerin ins Zimmer und mir war schlagartig klar, weshalb kein Junge die Gelegenheit ausließ, an diesem Unterricht teilzunehmen: Sie war schlank, groß, hatte lange Beine, trug figurbetonende Klamotten und war leicht geschminkt. Ihre blonden Haare fielen bis auf ein paar nach hinten zusammengeflochtene Strähnen locker um ihr Gesicht und auf ihren Rücken, wodurch ihre kristallblauen Augen hervorgehoben wurden. Sie sah aus, als käme sie gerade von der New York Fashion Week oder einer anderen großen Modenschau.
Ich würde lügen, würde ich sagen, dass ich sie kein bisschen attraktiv fand, aber ich stand einfach nicht auf diese 08/15 Modetussis. America’s Next Topmodel oder den Playboy würde ich mir für eine Million Dollar nicht ansehen – Ich klinge jetzt nach dem perfekten Gentleman, oder? Eines vorweg, das bin ich nicht. Nicht im Entferntesten. Aber dazu später.
Mrs Evergreen, die modelähnliche, machte einen Unterricht, der an Folter erinnerte. Jeder, der einen Fehler machte, wurde mit einem bissigen Spruch abgespeist und zu einer Extrahausaufgabe verdonnert.
So kam es, dass ich mir bis zum Ende der Stunde 5 Seiten Extrahausaufgabe eingehandelt hatte, und irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich in der nächsten Stunde wieder auf ihrer Abschussliste stehen würde.
Gott sei Dank war mein Schultag nach dem Gong zu Ende und ich steuerte auf den Parkplatz zu, um mit Lix altem Honda Civic nach Hause zu fahren.
Da hörte ich wieder dieses Wimmern. Scheinbar war sie das Mobbingopfer Nummer Eins der Schule. Wieder mischte ich mich nicht ein, ging auf direktem Wege zum Wagen und stieg ein. Mein schlechtes Gewissen zeigte sich prompt und ich drehte die Musik auf, aber der Titel war ein gefundenes Fressen für meine Gewissensbisse. Für etwas zu kämpfen oder gar zu sterben war wirklich nicht der beste Text für solch eine Situation. Im Kopf machte ich einen Termin: „Something to die for“ aus Playlist löschen. Wann? 20 Uhr. Wo? Auto. Gespeichert.
Ich fuhr während der Happy Hour der Schrotthändler und Eisverkäufer durch die Stadt und kam nach gefühlten 10 Stunden endlich bei Lix Wohnung an. Ich klingelte, da ich noch keinen Schlüssel hatte und hörte kurze Zeit später Schritte, die auf die Tür zukamen. Lix machte mir die Tür auf und sah mich an. Seine Pupillen waren geweitet, sein Atem ging stotternd, seine Arme zuckten etwas unkontrolliert. „Wieso musst du immerzu kiffen, Felix?“, begrüßte ich ihn. Er hob aber nur abwehrend die Hände und ging zurück in den Keller. Ich schlug die andere Richtung ein und stieg die Treppe in den 6. Stock hoch. Die Tür war nur angelehnt und so ging ich rein und setzte mich an den Küchentisch, um mich an die Extrahausaufgabe Technik & Design zu begeben. Ich holte meinen Laptop aus meinem Zimmer und schaltete ihn ein. Unser Thema interessierte mich noch weniger als gar nicht. Wie man einen Funktionsgraphen am besten gestaltet. Mir fielen mehrere Dinge ein, die sie erwarten könnte. In die Zwischenräume ein paar glitzernde Einhörner, der Graph pink, das Koordinatensystem ein Herz, alles auf Diddl-Blättern geschrieben.
Ich musste lachen, obwohl es eigentlich gar nicht so witzig war, aber scheinbar reichte der Qualm von Lix Bong bis hinauf in die 6. Etage. Ich seufzte, öffnete alle Fenster und holte mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Ich trank einen Schluck und fühlte mich wieder besser, also normaler.
Ich schrieb Mrs Evergreen einige Ideen auf, wie beispielsweise „Um aufzubauen, könnte man den Graphen durch andere Skalierung strecken und um anzuspornen, etwas besser zu machen, den Graphen durch andere Skalierung stauchen.“ So ungefähr schrieb ich in meiner größten Schönschrift 5 Din A 4 Seiten voll und brauchte dafür nur knapp 2 Stunden. Zwischendurch war Felix vollends bekifft hochgekommen, hatte mich abgeknutscht und war in seinem Zimmer verschwunden. Ich bestellte im Internet einen Lektüreschlüssel für „Der Widerspenstigen Zähmung“ und fuhr das System runter.
Da ich Chemie erst am Donnerstag wieder hatte, beschloss ich, meinem Bruder das Internet einzurichten. Ich fuhr seinen alten XP hoch und machte mich ans Werk. Felix war nach dem Kiffen zu nichts mehr zu gebrauchen, und da nur er den Netzwerkschlüssel wusste, musste ich mein Vorhaben vertagen.
Stattdessen ging ich runter zum Auto, holte die Speicherkarte raus und steckte sie in den Schlitz an dem PC meines Bruders. Ich löschte das Lied „Something To Die For“ und ging wieder runter und setzte die SD-Karte wieder ein.
Die Sonne ging hinter der Skyline von Chicago langsam unter und ich gönnte mir eine Minute Pause. Ich lehnte mich an die Kühlerhaube und sah zu, wie nach und nach die Sterne zum Vorschein kamen und der Mond ein silbriges Licht auf die Straßen warf.
Einige Fledermäuse flogen durch die Gegend und deuteten darauf hin, dass es morgen regnen würde.
Als die ersten Regentropfen anfingen, meine Schuhe zu durchnässen, sprintete ich nach oben, schloss alle Fenster und hörte fünf Minuten später, wie der Regen gegen die Fenster peitschte. Ich machte Felix und mir einen Kaffee, zog mir was Gemütliches an und ging in das Zimmer meines Bruders.
Ich stupste ihn leicht an und er wachte tatsächlich auf, sah mich an und pfefferte mir eine.
Beeindrucken ließ ich mich davon allerdings nicht und so schob ich ihn gegen seinen Willen aus dem Bett, zog ihn auf die Beine und sah ihn an. Er sah immer noch leicht stoned aus, aber wenigstens war er zurechnungsfähig. Ich fing mit einer unverfänglichen Bemerkung ein Gespräch an: „Es regnet in Strömen“ „Aha“
„Ich habe uns Kaffee gekocht“
„Aha“
„Ich brauche den Netzwerkschlüssel“
„Aha“
Ich murrte etwas und zog ihn hinter mir her in die Küche. Eine dampfend heiße Tasse Kaffee drückte ich ihm in die eine, die Fernbedienung in die andere Hand.
Er protestierte ein bisschen aber schließlich setzte er sich doch auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Ich lächelte und machte mich fertig fürs Bett.
Als ich mich in meine Decke gewickelt hatte, meinen iPod eingeschaltet und das Licht ausgemacht hatte, dämmerte ich schnell weg, das gleichmäßige Trommeln des Regens auf das Dach des Hauses über die Musik hinweg hörend.
Als ich wieder aufwachte, war es draußen noch dunkel, ein Blick auf mein Handy sagte mir, dass ich noch gut 3 Stunden hatte, bis ich zur Schule musste. Ich stand trotzdem auf, ging ins Badezimmer und duschte, um richtig wach zu werden.
Ein Handtuch um die Hüfte gewickelt, ein anderes als Turban auf dem Kopf, ging ich in die Küche, machte mir Wasser in den Wasserkocher, schaltete ihn ein und ging ins Wohnzimmer, um den Fernseher auszuschalten. Es lief ein Bericht über ein Mädchen von meiner Schule, dass sich letzte Nacht selbst umgebracht hatte.
Automatisch schossen mir Gedanken an das arme Mädchen, das meine Mitschüler peinigten, durch den Kopf. Aber das Mädchen aus den Nachrichten sah nach einer Neuntklässlerin aus und hatte straßenköterblonde Haare. Das Mobbingopfer hingegen hatte rot-orangene Haare gehabt. Hastig suchte ich nach der Fernbedienung und drückte mit zittrigen Fingern auf den Ausschalten-Knopf.
Eine Weile starrte ich auf dem schwarzen Bildschirm. So schnell mir die Gedanken gekommen waren, so schnell waren sie nach dem Haarfarbenvergleich wieder weg. Ich ging zurück in die Küche und füllte mir kochendes Wasser in eine Tasse, holte aus dem obersten Regalboard einen Teebeutel – Apfel-Vanille. Lecker. – und setzte mich an den Tisch.
Felix alter Kater Chaim sprang mir auf den Schoß und verlangte eine Streicheleinheit.
Ich stellte die Tasse auf den Tisch und kraulte den Kater liebevoll in seinem roten Fell. Er schnurrte wohlig und drehte sich auf den Rücken, damit ich ihn auch am Bauch kraulen konnte. Ich gehorchte ihm und nahm zwischendurch den Teebeutel aus dem Tee, gab einen Löffel Honig in den Tee und rührte gedankenverloren mit der rechten in der Tasse, mit der linken in Chaims Fell.
Ich trank einen Schluck Tee und noch einen und noch einen, dann war irgendwann die Tasse leer, Chaim bei meinem Bruder im Zimmer verschwunden und für mich Zeit mich fertig zu machen.
Ich föhnte mir die Haare, wusch mich, putzte mir die Zähne und ging zu meinem Schrank. Ich zog ein graues T-Shirt, mein Blau-Rot kariertes Hollister Hemd und eine verwaschene graue Röhrenjeans hervor. Ich streifte die Klamotten über und ging in Lix Zimmer, um ihn zu wecken. Das Bild, das ich sah war zu knuddelig, um nicht schwul zu sein. Chaim hatte sich auf Lix Bett eingekugelt und genau dasselbe hatte Lix gemacht. So schliefen beide einträchtig in einem Bett und ich brachte es beim besten Willen nicht über mich, sie zu stören.
Also ging ich in die Küche, schnappte mir eine Mandarine und steckte sie in meine Schultasche. Dann nahm ich eins von Felix Sandwiches aus dem Kühlschrank, packte es in eine Dose und die Dose in meine Tasche.
Inzwischen war es halb Neun geworden und ich nahm den Autoschlüssel vom Schuhschrank, meine grau-karierte Jacke vom Haken, zog meine ausgelatschten Schnürer an und spurtete nach unten.
Es regnete, nein, es schüttete wie aus Eimern, daher war ich froh, dass ich nur die fünf Meter zum Auto laufen musste. Aber auch so, war ich schon nass genug, um den Sitz voll zu tropfen.
Ich warf meine Tasche auf den Beifahrersitz und fuhr los. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe und die Scheibenwischer hatten allerhand zu tun. Ich hasste es, bei so einem Mistwetter zu fahren. Aber, was blieb mir anderes übrig? Während mir Taylor Swift „Safe and Sound“ in die Ohren trällerte, verwandelte sich die Straße vor mir in einen See. Ich fuhr unbeirrt weiter und kam schließlich mit 15 Minuten Verspätung auf dem Parkplatz der Schule an. Der Parkplatz für Schüler war ungewöhnlich leer, aber nach und nach trudelten alle Schüler ein.
Ich nahm meine Tasche, stieg aus dem Wagen, schloss ab und rannte zum Haupteingang. Klitschnass trat ich ein. Ich suchte mir den Weg zum Technik und Design Raum, wrang meine Jacke aus und ging hinein. Die meisten meiner Kommilitonen waren scheinbar vom Regen betroffen und nur 4 junge Männer, inklusive mir, befanden sich in dem Raum.


Impressum

Texte: Joanna Panthera C.
Bildmaterialien: Joanna Panthera C.
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2013

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