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Der trockene Wind weht über die Bäume und versucht Imani zu beruhigen, indem er die warmen Sandkörner wie einen geschmeidigen Mantel um ihren geschundenen Körper legt.
Die Sonne hat ihre Tagesreise über ihr zerrüttetes Land schon fast beendet und verschwindet immer schneller hinter den großen Bergen am Horizont. Der Himmel leuchtet in bestechend schönen Rottönen, ein Anblick, wie er prachtvoller und harmonischer nicht sein könnte.
Tag für Tag legt die Welt für einige kurze Minuten ihr schönstes Gewand an und schenkt den Reichen und Machtvollen dieses Landes einen Moment der Romantik und der bedingungslosen Schönheit.
Für alle anderen, die außerhalb der gesicherten Festungen und außerhalb jeglichen militärischen Schutzes leben, ist der Sonnenuntergang die Einleitung in eine schlaflose Nacht, geprägt durch Angst und Verzweiflung.
Immer wenn das Licht der Sonne wie dunkelrotes Blut am Himmel verläuft, ist es Zeit für die Frauen und Kinder die zerstörten Dörfer zu verlassen um in den dunklen Wäldern Schutz zu suchen. Oftmals schaffen sie es nur mit Einsatz tief verborgener Kraftreserven sich und die Kleinen bis zu dem fünf Meilen entfernten Buschwald zu schleppen.
Der Weg ist jeden Tag anders – mal geht es Imani gut, dann sind die Schmerzen entweder vergangen oder durch Infektionen betäubt. In diesen Fällen schafft die junge Frau die Strecke in einer halben Stunde. Größtenteils rennend, um das Risiko der Entdeckung so gering wie möglich zu halten. Ihre Kinder trägt sie dabei meistens auf dem Rücken und vor der Brust.
An schlechten Tagen allerdings will ihr Körper gar nicht aufhören zu bluten und jeder Schritt schmerzt. Wenn es ganz schlimm ist, und ihr Körper alle Kraftreserven darauf verwendet die Schmerzen zu ertragen und die Heilung voran zu treiben, muss sie ohnmächtig in ihrer verfallenen Hütte zurückbleiben. Während die anderen Frauen sich und ihre Familien in Sicherheit bringen.
Die Rebellen kommen seltener in ihr Dorf als früher. In der Regel nur einen Tag in der Woche. Offenbar sind sie darüber im Bilde, dass schon viele von ihnen an Infektionen und Verletzungen gestorben sind. Tatsächlich weiß nicht einmal Imani, wer aus ihrem Dorf überhaupt noch lebt und wer tot ist.
Tagsüber trifft sie ab und zu Frauen, die in der Nähe ihres Dorfes Nahrung und Feuerholz suchen und in ihren alten Hütten Essen zubereiten. Doch kaum eine sieht sie regelmäßig. Auch heute kann sie nicht sicher sein, ob Maarifa, die Frau mit der sie vorhin auf Holzsuche war, in diesem Moment überhaupt noch lebt.
Der Himmel verdunkelt sich zusehends und legt endgültig die ganze Bedrohlichkeit ihrer Welt frei. Nun verschließen auch die Machthaber der Republik die Fenster und ziehen die Vorhänge zu – unwillig die Augen für die Gefahren der Dunkelheit zu öffnen.
Sie blickt sich um. Vorhänge und Fensterläden gibt es hier nicht, dennoch benötigt auch Imani etwas, wohinter sie und ihre Kinder vor Blicken verborgen bleiben können. Sie sind hier, in der Walunga Region, völlig schutzlos dem Willen des Schicksals ausgeliefert.
Der Wald hüllt sich langsam in tiefes Schwarz und nur wenige Konturen sind noch erkennbar.
Sie haben Glück, es noch in diesen Teil des Buschwaldes geschafft zu haben. Hier ist die Luft rein, nicht so wie ein paar Meilen weiter östlich, wo ein beißender Gestank das Atmen zur Qual macht. Ab und zu, wenn andere Waldstücke zu gefährlich erscheinen, müssen sie sich dorthin flüchten und die Nacht in der Nähe von Dutzenden getöteter Männer verweilen- ihrer eigenen Männer, achtlos nebeneinander geworfen wie Abfälle.
Der Himmel verfinstert sich verheißungsvoll und ein kühler Wind weht Imani gegen den Hals. Wütend schlägt sie sich gegen ihr taubes Bein, das sie dazu verleitet hat, einen Moment zu lange zu ruhen. Nun ist es fast zu dunkel um nach geeigneten Ästen zu suchen, mit denen sie ein sicheres Versteck bauen konnte.
Kraftlos hinkt sie ein paar Meter vorwärts und beginnt damit, wahllos Äste von den Bäumen abzubrechen und mit größerem, herumliegendem Holz auf einen Haufen zu werfen.
Nur wenig Zeit vergeht, bis sie mit schnellen und geübten Bewegungen einen geschützten Platz am Rande eines Abhangs für sich und die Jungs geschaffen hat. Sie drückt sich eng an den brüchigen Waldboden und schlingt fest die Arme um Anele und Paki.
Anele ist eineinhalb Jahre alt, Paki erst fünf Monate. Beide Kinder haben andere Väter, und wann und von wem genau sie gezeugt wurden kann Imani nicht genau sagen. Sie kann sich kaum noch an all die Nächte erinnern, in denen die Rebellen sie gefunden und misshandelt haben, zu häufig hat man sich an ihr vergriffen.
Der erste Tag, an dem sie in ihr Haus kamen, haftet jedoch noch immer beständig in ihrer Erinnerung.
Es war Nacht als sie aufwachte, weil ihre Mutter verzweifelt schrie und weinte. Sie setzte sich auf und sah, wie fremde Männer sich an ihr vergingen und ihr Vater von drei weiteren Männern festgehalten und mit Messern verwundet wurde. Ein Schnitt nach dem anderen zog sich über ihre dunkle Haut, gefolgt von tropfendem Blut, das eilig an ihrem Kleid hinab rann. Ihre Schreie wurden immer leiser und erstarben schließlich ganz.
Die Verzweiflung in den Augen ihres Vaters brennt schmerzlich in Imanis Erinnerung. Das Letzte, was er in seinem ausklingenden Leben sah, war das Tränen überströmte und schmerzverzerrte Gesicht seiner geliebten Frau, die ein Rebell sich gerade zu Eigen machte.
Einer nach dem anderen benutzte ihren Körper, so, wie man einen Kelch Wasser herumreicht, damit jeder einen Schluck daraus nehmen kann. Als einer der Rebellen Imani in der Dunkelheit entdeckte, wie sie starr vor Angst und Entsetzen auf ihrem Schlafplatz kauerte, ließen sie von ihrer Mutter ab und ihr blutender Körper sank geschwächt zu Boden. Ihr Blick war leer und ihr Schreien längst erstorben.
Die Männer kamen zu Imani hinüber, rissen ihr das Hemd vom Körper und berührten sie mit ihren blutigen, feuchten Händen am ganzen Körper. Ihr Lachen hallte in Imanis Kopf wider, als sich einer der Männer auf sie legte. Sie stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus. Machtlos lag sie da und ließ die unbekannten, grauenvollen Schmerzen über sich ergehen. Dabei starrte sie benommen auf den immer lebloser aussehenden Körper ihrer Mutter.
Noch bevor der bewaffnete Mann von ihr abgelassen hatte, übermannten sie die Schmerzen und sie verlor das Bewusstsein.
Als sie wieder zu sich kam war es bereits Tag. Sie spürte, dass der Boden unter ihr feucht war. Als sie sich aufrichten wollte, war sie gelähmt vor Schmerzen. Keuchend rollte sie sich zur Seite, um dem nassen Untergrund zu entkommen. Durch Tränen verklebte Augen sah sie, dass um sie herum alles voller Blut war. Ohne zu sehen, wo genau sie überall verwundet war, wusste Imani sofort, woher es kam. Unter ihr wurde es schon wieder etwas feucht. Das Blut lief immer noch.
Seit diesem Tag hörte das Bluten nur selten auf. Immer wieder kamen sie und nahmen Imani, wann immer sie sich dazu in der Laune fühlten. Selbst als diese mit Anele schwanger war, verschonten die Rebellen sie nicht. Im Gegenteil. Nicht wenige Male dachte Imani daran, das ungeborene Baby zu töten, nur um ihm die Schmerzen des Lebens zu ersparen. Doch sie schaffte es nicht. Mit ihren gerade einmal dreizehn Jahren war sie verängstigt und auf sich allein gestellt, ohne zu wissen, was auf sie zukam.
Die nächsten Monate glichen einer Hetzjagd. Imani musste Anele tagsüber in Höhlen oder Waldschluchten verstecken, damit die Rebellen ihn nicht fanden. Die Männer in ihrem Dorf waren längst alle getötet worden, ebenso wie ein Großteil der männlichen Babys, die aus den Vergewaltigungen entstanden waren. Die Rebellen verfolgten das Ziel, das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen – männliche Gegenwehr und unkontrollierte Population waren dabei ein Hindernis, welches es schnellstmöglich zu beseitigen galt.
Während Imani sich tagtäglich mehrere Stunden in der sengenden Sonne auf Nahrungssuche begab, blieb ihr Kleiner schutzlos zurück, oft zusammen mit anderen männlichen Säuglingen. Wenn es möglich war, verharrte zur Wache eine Mutter bei ihnen. Doch fast wöchentlich verminderte sich die Zahl der Frauen, häufig wurden sie bei Übergriffen getötet oder starben an deren Folgen. Auch die Kinder starben.
Und so verging die Zeit in ihrem Land.
Imani selbst kann sich mittlerweile während der Vergewaltigungen so weit abstumpfen, dass sie es ohne jegliche Gefühlregung über sich ergehen lässt. Wie ein nötiges Übel, eine schlechte Gewohnheit.
Ekel, Demütigung oder Angst empfindet sie schon lange nicht mehr. Jegliche Emotionen sind der Resignation gewichen. Der Tod von bekannten Menschen ging irgendwann in eine alltägliche, unumgängliche Gewissheit über.
Ihre Seele ist tot. Alles, was Imanis Herz daran erinnert trotzdem weiter zu schlagen, sind ihre Söhne.
Anele strampelt unter ihrer Umarmung. Schmatzend und zuckend gibt er sich seinem Traum hin, vermutlich ein Traum von einer besseren Welt. Seine Gesichtszüge sind entspannt und selig. Sie ähneln Imanis unbeschwerten Gesichtsausdruck aus der frühen Kindheit und erinnern sie an die Sicherheit, die sie damals verspürt hatte, wenn sie sich in den Schoß ihrer Mutter kuscheln konnte.
Ihr heutiges Gesicht ist übersät mit Narben. Es fühlt sich leblos und alt an, obwohl sie doch aber eigentlich fast noch ein Kind ist. Immer wieder ertappt sie sich dabei, hohlen Gedanken nachzuhängen und mit starrem Blick in der Leere einen Sinn erkennen zu wollen.
Hoffnung gibt es für Imani kaum. Abseits der gekennzeichneten Straßen und vierzig Meilen entfernt von jeglicher gesetzlichen Obrigkeit, ist sie auf sich alleine gestellt.
In den Wäldern, zu denen sich weder Militär noch Hilfsorganisationen vorzudringen trauen, weil es ihnen zu gefährlich scheint, leben sie: Mädchen, Frauen, Kinder. Hungrig, geschwächt und geschunden. Die Illusion von einer besseren Welt erreicht sie nicht.
Fremde Stimmen aus den Tiefen des Waldes erregen plötzlich Imanis Aufmerksamkeit. Die Taubheit der letzten Stunden ist unmittelbar vergangen. Alarmiert schärft sie ihre Sinne. Sie horcht und wagt einen Blick durch die Äste. Die Nacht ist schon fast vorüber und der Morgen bricht langsam an.
Die Worte dringen jetzt deutlicher in ihr Ohr, die Schritte von schweren Stiefeln hallen durch die Stille. Sie kommen näher. Ein Lichtstrahl hüpft hin und her, so ausdauernd und zielstrebig, dass er ihr Versteck unmöglich verfehlen kann.
Noch ehe die Äste zur Seite geschoben werden und der strenge, bekannte Geruch in Imanis Nase dringt, erkennt sie die Männer an ihren hämischen Stimmen und dem gefährlichen Gelächter.
Der Himmel verfärbt sich langsam. Aus dem dunklen Grau des Nachthimmels laufen betörende Farben in den Horizont.
In diesem Moment werden die Vorhänge in den Residenzen und gesicherten Häusern im ganzen Land aufgezogen, um den faszinierenden Anblick des erwachenden Tages in all seiner Schönheit zu bestaunen.
Und während sich das Blut unter Imanis Körper sammelt, erstrahlt der Morgen über ihrem Land.

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Tag der Veröffentlichung: 17.04.2009

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