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Unter Beobachtung




Im Schutz der Tannengruppe war es eine ruhige und wohltuende Nacht. Ein leichter Wind pfiff durch die Bäume, durchdrang jedoch nicht die Tannen. Die kleine Gruppe konnte sich ungestört von den Anstrengungen des Tages erholen und selbst das Treiben des Waldes vermochte sie nicht zu wecken. Sie hörten weder das Heulen der Wölfe, noch das Singen der Eulen und glücklicherweise vernahm keiner von ihnen die immer wiederkehrenden Schreie der Tieren, die zu Beute wurden. Die Art einer Nacht lag wohl im Auge des Betrachters.

Erst am Morgen war es ein leichter Nieselregen, der sie alle beinahe gleichzeitig aus den Träumen holte. Brand’Orok gähnte herzhaft und machte sich ohne Umschweife an das Zubereiten einer kleinen Mahlzeit. Sein Begleiter hingegen brauchte eine kurze Zeit, um sich zu erinnern, wo er war. Dann jedoch wich seine Panik purer Freude, in nur einem Augenblick.
Ihm und seiner Tochter ging es gut, sogar besser als er es sich je erträumt hatte und er spürte in sich einen regen Tatendrang für die weitere Reise. Rasch gesellte er sich wortlos zu Brandy und machte sich nach dem Mahl an die Aufräumarbeiten.
Die junge Frau versuchten die beiden Männer so lange wie möglich den Schlaf genießen zu lassen, doch ihr Lager war nicht sehr groß. Schließlich war es der Jäger, der Sera wachrüttelte.
„Los Sera, steht auf.“


Doch sie drehte sich nur verschlafen auf die andere Seite, als wolle sie die ungebetenen Geräusche verscheuchen.
„Die Drachen beobachten uns bereits.
Hier wird es bald ungemütlich. Wir müssen weiter.“


Brandy ließ nicht locker und wollte ihr gerade die Decke streitig machen, als sie die Augen aufriss und ihn anstarrte.
„Drachen?“


In der Gegenwart dieses zu klein geratenen Mannes war ihr wohl keine Geschichte zu abwegig. Der Zwerg jedoch lachte laut los.
„Oh, verzeiht.
Ein altes zwergisches Sprichwort.
Steht auf, sonst holen sie euch!“


Flunkerte er und erntete einen bösen Blick.

„Das ist nicht witzig“

murmelte das Mädchen, während sie sich, nun hellwach, aus ihrem Lager schälte. Grinsend hielt ihr Cedric den Rest des Frühstücks vor die Nase, den sie dankend annahm.
„Was ist das für ein Sprichwort?“


Brachte sie noch kurz hervor, bevor sie sich an die Mahlzeit machte, als sei ihr der Zwerg nun noch etwas schuldig.
Zufrieden mit dem Zustand ihres Lagers drehte er sich um.
„Esst und dann marschieren wir los.
Ich erzähl es euch unterwegs.
Es wird ein langer Tag.“


Sie versteckten ohne Hast den Eingang zu ihrem Versteck und machten sich dann auf gen Osten.

Brand’Orok stützte sich beim Gehen auf seine Armbrust und schritt voran, während er die Umgebung im Auge behielt. Seine Gefährten folgten ihm in nur geringem Abstand und kämpften vor allem mit dem tückischen Untergrund. Sera kam es so vor, als sei sie in einem vollkommen anderen Wald erwacht. Der Boden war schlammig und rutschig oder von nassem Laub und Zweigen bedeckt. Von den Bäumen fielen dicke Tropfen herab und stahlen jedes Gefühl von Wärme auf der Haut und ließen kaum andere Geräusche zu, als ihr eigenes Prasseln. Hatte sie sich am vergangenen Tag noch über die Passagen gefreut, in denen die Bäume nicht so dicht gedrängt standen, so ließen diese den Regen nun ungehindert durch. Regen und Nebel schienen nun ehrgeizig um die Vormachtstellung zu kämpfen. Es gab kaum noch etwas das der jungen Frau hin und wieder die Lebensgeister zurückbrachte, und die nächste Rast lag sicher noch in weiter Ferne.
Erst Brand‘Orok gelang es sie nach einigen Meilen aus ihren düsteren Gedanken zu holen. Sein Versprechen hatte sie bis dorthin längst wieder vergessen.

„Also…“


Begann er und vergewisserte sich kurz, das seine beiden Begleiter ihn hörten.
„Es gibt ein altes Sprichwort bei uns Zwergen, das vor allem die jungen davon abhalten soll, zu weit in die Lande jenseits der Berge zu wandern.
Es besagt, dass die Wolken magische Erzeugnisse riesiger Drachen sind, hinter denen sie sich verstecken und von wo aus sie uns beobachten.“


Wehmütig blickte er zum Himmel, durch Lücken im Nebel und die Baumwipfel hindurch. Riesige Wolkenberge türmten sich über ihnen auf und ließen keinen Flecken unbedeckt. Düster drückte ihre dunkel-graue Farbe auf Brandys Gemüt, wie das Dach eines alten Gemäuers.
„Warum sollten euch denn Drachen beobachten?“


Hakte Cedric nach, als er mit einem Büschel Zweige rang, das nach ihm griff.
„Man sagt, sie jagen uns.
Der Blitz sei ihre Waffe und der Donner ihr Brüllen, ihr Jubel…. Ihre Freude, wenn sie einen von uns erwischt haben.“


Plötzlich wirbelte er zu Sera herum und starrte sie unheilschwanger an.
„…und es donnert nach JEDEM Blitz!“


Das Mädchen wehrte sich dagegen, konnte jedoch ein Grinsen nicht unterdrücken.
„Eine sehr erfolgreiche Art, die Kleinen in Sicherheit zu behalten, schätz ich.“


Gab Cedric zurück.
„Wahrscheinlich. Schließlich habt ihr bisher keinen anderen Zwerg gesehen, nehme ich an.“


Fast einheitlich schüttelten die beiden Menschen die Köpfe.
„Ihr glaubt nicht an diese Sagen, richtig?“


Wissbegierig hakte Cedric nach. Als sie ein dichtes Dickicht hinter sich gebracht hatten, antwortete der Zwerg.
„Nein.
Ich hab Blitze auf Feldern einschlagen sehen, die nicht mal ich aufsuchen würde. Da war weit und breit kein Zwerg, soviel ist sicher.
Und dennoch hat es gedonnert!“


Sagte er lauter und lachte. Nur wenige Augenblicke später verstummte er schlagartig und beäugte argwöhnisch den Wald.
„Und wegen dieser Geschichten leben die Zwerge unter der Erde?“
„Nun… ICH nicht… aber die meisten von uns, tun das, ja.
Ob das tatsächlich der Grund ist, solltet ihr einen gelehrten Zwerg fragen.
Ich wette ihr Menschen erfindet auch Märchen um eure Kinder zu belehren und zu ängstigen, he?“
„Und ob!“


Rief das Mädchen an seiner Seite und grinste ihren Vater über beide Ohren an.
„Sie sind fast so weit hergeholt und unwirklich wie eure Drachensagen.“


Doch ihr Vater winkte nur ab, der Jäger schien viel interessanter.
„Aber.. wie darf ich mir dieses Leben vorstellen? Sucht ihr nach Höhlen in denen ihr wohnen könnt?“
„Nein! Wir graben!
Wir sind keine Fledermäuse oder Berglöwen. Mit Händen und Werkzeugen haben meine Vorfahren große Räume in den Stein gehauen.
Ganze Städte sagen manche.“


Mit weit ausholenden Bewegungen schien er das Ausmaß dieser Städte in den Nebelschleier zu zeichnen.
„Sagen sie?
Wart ihr noch nie dort?“


Der Zwerg wurde ruhiger.
„Nein. Zumindest weiß ich nichts davon. Und ich hab nen gutes Gedächtnis.“
„Wo seid ihr dann aufgewachsen?“


Ohne ein Antwort stoppte der Zwerg abrupt und horchte in den Wald hinein.
Auch seine Augen suchten nach ungewöhnlichen Dingen, fanden jedoch nichts, an dem sie sich festhalten konnten.
„Psst! Schluss mit dem Gerede.“


Sagte er leise.
Seine Gefährten taten es ihm gleich, konnten jedoch nichts wahrnehmen. Nach wenigen Sekunden des Verharrens, tastete sich die Gruppe weiter vorsichtig durch das Unterholz.
Anfangs waren Cedrics Gedanken wie gefroren, er hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, doch nach einigen Minuten, ohne jegliche Entdeckung, führte er das Gespräch weiter.
„Ihr wollt doch bloß meinen Fragen ausweichen. Nicht wahr?“


Er grinste den Zwerg breit an, erntete aber nicht, was er erwartete. Sein Gegenüber drehte sich blitzartig um und starrte ihm feindselig in die Augen. Flüsternd brüllte er ihn an.
„Wenn ich sage, ihr sollt ruhig sein, dann seid ihr ruhig.
Ich bin locker, wenn ich es mir leisten kann, aber wenn ich angespannt bin, sollte EUER Herz verdammt nochmal bis zur Kehle schlagen.“


Der Reisende schluckte geräuschvoll und ließ den Blick zu seiner Tochter gleiten. Genau wie ihm, war auch ihr das Erstaunen ins Gesicht geschrieben.
Die Gewissheit das ihr Führer es ernst meinte, ließ bei ihnen den Schweiß strömen.
„Genau.. jetzt seht ihr so aus, wie ihr euch fühlen solltet. Und jetzt folgt ihr mir langsam und vor allem leise.“




Der Zwerg achtete auf jeden seiner Schritte und verursachte trotz seiner Stämmigkeit kaum ein Geräusch. Seine Gefährten verloren keine Zeit und folgten ihm vorsichtig.
Sie schlichen sich von Baum zu Baum und vermuteten hinter jedem eine lauernde Gefahr. Die Reisenden wussten nicht, was der Jäger gehört hatte, aber noch beklemmender war das Gefühl, das er es selbst nicht genau sagen konnte.
Ängstlich sahen sie sich in alle Richtungen um, durften aber nie den Zwerg oder den Untergrund aus den Augen verlieren. Ihre Nerven waren von jetzt auf gleich, bis zum Zerreißen gespannt.
Für Sera schienen die Bäume ständig näher zu rücken und schärfer als jemals zuvor, schälten sich für ihre Augen Gestalten aus dem Nebel. Schatten, die eben noch ungenaue Formen gebildet hatten, schienen sich nun zu allerlei zu vereinen, das ihr Angst machte, ohne dass sie eine der Figuren hätte benennen können.
*Knack*
Die junge Frau trat auf einen eigentlich unübersehbaren Ast, den ihre Begleiter erfolgreich überlaufen hatten. Der Knall schien von den Bäumen wie Gelächter zurück zu hallen.

Wie angewurzelt blieb sie stehen. Auch ihr Vater und der Jäger rührten sich nicht mehr vom Fleck. Man hörte nur das leise Atmen, den prasselnden Regen und den eigenen Herzschlag. Außer der Jäger.
„Dort.“


Geräusche hatten ihm die Richtung gewiesen und seine Augen bestätigten ihm, das er sie sich nicht eingebildet hatte.
Seine Gefährten hatten nur wenige Momente Zeit, seinem Blick zu folgen und die im Nebel verschwommen flackernde Fackel zu erkennen. Wer sie hielt war nicht zu erkennen, aber definitiv bewegte sie sich. Ob auf die Gruppe zu oder von ihr weg, konnte nicht einmal der Zwerg entscheiden, doch das hatte er auch nicht vor.
„Schnell, hier entlang.“


Flüsterte er kaum hörbar.

Eilig stahl er sich in die entgegengesetzte Richtung davon und seine Gefährten folgten ihm so nah, das sie noch durch den Dunst seines Atems schnitten. War es anfangs nur die Flamme im Wald gewesen, wurde die Gefahr schon sehr bald konkreter. Knackende Äste, Stimmen, sogar Gelächter, das ihnen auf Schritt und Tritt zu folgen schien.
Sera und ihr Vater ließen nun von jeder Suche nach Gefahren ab. Ihre gesamte Konzentration brachten sie dafür auf, sich selbst ruhig zu halten und auf ihre Schritte zu achten. Der Untergrund war glitschig. Egal ob die Bäume eng oder offen, die Sicht gut oder schlecht war, es forderte ihnen enorme Kräfte ab, sich lautlos zu bewegen.
Zugleich rechneten sie jeden Augenblick mit einem Angreifer von der Seite oder direkt hinter ihnen. Zwar schien sie niemand absichtlich zu verfolgen, aber dennoch waren die anderen Menschen ganz in der Nähe. Immer wieder hörten sie ihre Stimmen, Gelächter und Lieder, bis alles mit einem Mal verschwand. Dann waren sie für Minuten allein in der Stille des Waldes und hörten nur den Regen. Doch auch die Stille ließ keine Entspannung zu.
In dieser Zeit war der Jäger besonders aufmerksam. Nicht zu wissen, wo ihre Gegner waren, war für die kleine Gruppe noch bedrohlicher, als sie in einigem Abstand hinter sich zu wissen. Sie verringerten nie ihr Tempo oder ihre Aufmerksamkeit, denn zu keinem Zeitpunkt, da war sich Brandy sicher, sollten sie ihren Ohren und Augen trauen.

Und er sollte recht behalten. Die Abwechslung hielt nie für lang. Auch wenn sie Meile um Meile durch tiefen Wald hinter sich brachten, kehrten die Geräusche immer und immer wieder zurück.
Manchmal schienen sie ihnen so nah zu sein, das sie das Knistern der Flammen hören konnten.
Dann kauerte sich Brand’Orok lautlos unter eine Tanne oder in ein Gebüsch und forderte Vater und Tochter auf, es ihm gleich zu tun.
Sera kam es so vor, als ob jedes Mal eine Stunde verstrich, in der sie mit geschlossenen Augen den Arm ihres Vaters hielt. Jeden Moment erwartete sie, einen auftretenden Fuß direkt neben sich zu hören, die Augen aus Furcht weit aufzureißen und in die Fratze irgendeines Rumtreibers zu starren.
Schon jetzt liefen ihr vor Angst immer wieder die Tränen die Wangen hinunter.

Doch immer wieder war es Brandys tiefes Flüstern, das sie zusammenfahren ließ. Sein Kommando aufzustehen und weiter zu gehen. Oftmals hatte sich das Mädchen dann bereits soweit in seine Gedanken verzogen, dass sie das Verschwinden jeglicher Geräusche gar nicht bemerkt hatte. Doch egal wie ruhig es war, mit jedem Mal weigerte sie sich etwas mehr, das vermeintlich sichere Versteck zu verlassen.

Einmal kam es gar nicht so weit.

Die kleine Gruppe versteckte sich in einem Dickicht kleiner Tannen, sehr ähnlich ihrem Nachtlager. Lediglich der Nadelvorhang war dünner, sodass sie an vielen Stellen durch ihn hindurch auf eine kleine Lichtung sehen konnten, die sie gerade passiert hatten. Sie mussten ausharren, bis die Gefahr vorüber war. Doch die Geräusche waren nun ganz nah und die lodernden Fackeln tanzten hinter dem Nebel, auch wenn ihre Halter noch immer nicht zu erkennen waren.
Die Reisenden konnten nun mehrere Stimmen unterscheiden und beinahe jeden Schritt zählen, den die Verfolger machten. Sie waren unachtsam und kümmerten sich nicht um Geräusche oder Spuren. Sie hatten keine Ahnung wie nah sie der ungewöhnlichen Gruppe kamen.

Aus dem Nebel hoben sich schließlich drei Männer ab. Sie waren merkwürduig gekleidet und hatten dünne Mäntel über ihre Schultern gelegt und Kapuzen bedeckten ihre Köpfe, um sich vor dem anhaltenden Regen zu schützen.
Zu Tode erschreckt kniff Sera ihre Augen fest zusammen. Mit einer Hand umklammerte sie den Arm ihres Vater, die andere presste sie sich auf den Mund, um ja keinen Laut von sich zu geben.
Cedric war wie starr vor Angst, seine Augen waren auf die Gruppe gerichtet, aber er schien wie durch sie hindurch zu sehen.
Nur Brand’Orok war ruhiger und hatte die Möglichkeit sie genauer zu untersuchen. Sein erster Blick wanderte an die Hüften der Männer, dort hingen breite Schwerter, Waffen die sowohl Kraft als auch Erfahrung erforderten. Auch die Kleidung der Fremden fiel ihm ungewöhnlich auf, da sie seltsam zusammengestückelt war. Sie hatten zerschlissene Teile, die definitiv viele Nächte auf dreckigen Böden verbracht hatten, aber auch glänzende Lederklamotten und wenige glitzernde Ketten und Anhänger. Einer trug einen goldenen Ring am Finger, während ein zweiter eine mit einem Wappen verzierte Tunika trug und breite Gürtel um den Oberkörper gelegt hatte.
Die Rüstung eines Bogenschützen, wahrscheinlich aus einer Stadt oder von einer Patrouille und definitiv nicht seine eigene. Sie war ihm eine gute Handbreite zu groß. Der passende Bogen hing jedoch locker über seinem Rücken.
Brandy war sich sicher, dass dies ein Spähtrupp der Banditen war, die hier ihr Unwesen trieben und die Tatsache, dass sie ihnen ohne jegliche Absicht folgten, brachte ihn schwer ins Grübeln.

Zwar unterhielten sich die drei Männer laut und erzählten sich Witze, aber dennoch behielt immer mindestens einer von ihnen ihre Umgebung im Auge. Sie begutachteten die Rinden der Bäume und die Pfade auf denen sie liefen. Sie wussten wonach sie suchen mussten um Opfer oder Gefahren zu finden und der feuchte Untergrund behielt die Spuren jedes Lebewesens für sehr lange Zeit.
Der Mann mit dem Ring, offensichtlich ihr Anführer, erspähte sogar die Spuren der Reisenden.


„Halt.“


Rief er mit tiefer Stimme.
„Hahaha, ja.. oder..“
„Ruhe!“


Einer der anderen beiden hatte noch über einen Witz gelacht, verstummte jedoch auf der Stelle.
„Seht euch das an. Ein Fußabdruck.“


Während er sich mit dem Bogenschützen zu Boden kniete, behielt der Dritte die Umgebung im Auge. Sein Blick glitt auch über das von Brandy ausgesuchte Versteck, jedoch ohne Reaktion.
„Ein ziemlich schmaler Abdruck, aber definitiv ein Stiefel. Wahrscheinlich eine Frau.“
„Eine Frau? Hier?“
„Vielleicht auch einer der Elfen, von denen du erzählt hast, Laas.“


Feixte der Mann, der noch immer seine Augen über die Umgebung wandern ließ.
„Mach keine Witze, wer auch immer hier war… kann noch nicht weit sein. Bewegt euch nicht, ich such‘ weiter.“


Die beiden anderen Männer taten wie geheißen und beäugten den Wald. Sie erwarteten jeden Moment eine Gestalt fortlaufen oder angreifen zu sehen, während der Anführer wachsam die Lichtung durchschritt und Brandy dabei immer näher kam.
Auch Sera hatte die Stimmen der Räuber gehört und biss sich mittlerweile auf die nasse Faust. Als der Mann minutenlang nicht zu hören war, öffnete sie die Augen. Dicke Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, noch bevor sie irgendetwas erkennen konnte.
„Hier.“


Sofort schloss das Mädchen wieder kräftig die Augen. Was auch immer in ihrem Kopf vorging, beruhigte sie scheinbar mehr, als zu sehen, was vor ihr tatsächlich geschah.
„Ein anderer Abdruck, aber genauso frisch.“



Noch während er seinen Fund untersuchte schlossen seine Gefährten zu ihm auf.
„Also eine Gruppe. In welche Richtung?“ „Die Spuren führen nach Süden, aber das macht keinen Sinn.“


Er zerbrach sich einige Sekunden den Kopf, in denen Brandy nur hoffen konnte, er würde sie von diesem Ort wegführen. Er hatte solche Spuren jedes Mal gelegt, wenn sie sich versteckt hatten. Mit etwas Glück konnte er sie tatsächlich austricksen.
„Laas, du kommst mit. Jack, du gehst weiter.“


Beschloss der Anführer.
„Was? Ihr werdet mich brauchen, wenn ihr sie angreift.“
„Wir suchen sie nur. Wenn wir sie gefunden haben, holen wir dich.
Es ist gerade Mittag, wir haben den ganzen Tag um sie einzuholen.“
„Ach verdammt!“
„Warte am See auf uns. Wenn du jemanden findest, hältst du dich zurück.“
„Jaja. Es sei denn es ist ne Frau, das versprech ich euch.“


Die beiden anderen winkten nur ab und machten sich auf den Weg. Ihr Gefährte sah ihnen nach, bis sie hinter dem Nebel und in den Bäumen verschwunden waren, dann zog er eine metallene Flasche hervor und nahm einen Schluck. Mit einem breiten Grinsen und langen Schritten ging er Richtung Osten davon.

Brand’Orok wartete, bis tatsächlich niemand mehr zu hören war und sah dann zu Cedric herüber.
„Los!“


Flüsterte er.
Mit einem Ruck, kroch er unter den Tannen hervor und stand auf der Lichtung. Abschätzend blickte er abwechselnd in beide Richtungen, während Cedric seine Probleme damit hatte, Sera zu beruhigen und hervor zu locken.
„Ich will nicht“


Brachte sie kaum hörbar, zwischen Flüstern und Tränen hervor.
„Sie sind weg, lasst uns bleiben.“


Flehte sie.
Cedric redete noch immer beruhigend auf sie ein und hielt ihre Hand, wurde jedoch von dem Zwerg unterbrochen.
„Dieser Kerl war nicht dumm, er wird umdrehen, wenn er merkt das er keine Spuren mehr findet. Er wird dieses Versteck finden und uns verfolgen.
Los jetzt.“


Sein Begleiter war überhaupt nicht begeistert von der Idee, seine Tochter zu zwingen, aber es ging nicht anders. Fest umklammerte er ihren Arm und zog sie mit.
„Komm schon Sera. Verstehst du nicht?“


Doch auch das Mädchen wurde sich ihrer Lage langsam bewusst. Noch immer schluchzend riss sie sich von ihrem Vater los und ging allein. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, das aber sofort von neuen durchnässt wurde. Ohne ein Wort zu sagen, folgte sie dem Zwerg.

Brandy hatte nicht viel Zeit zum Überlegen und setzte daher den Weg gen Südosten fort, genau zwischen den beiden Teilgruppen, die nach ihnen suchten. Nach einigen Metern ließ er seine Begleiter an sich vorbeiziehen und ging in einigem Abstand hinter ihnen.
„Was tut ihr?“
„Ruhe, weiterlaufen.“


Er bemühte sich schnell die meisten der Fußabdrücke verschwinden zu lassen, das Unterholz wieder durcheinander zu bringen und dabei nicht zu weit zurück zu fallen. Schnell waren Vater und Tochter außer Sicht und waren sehr erfolgreich dabei, keine Geräusche zu verursachen. Dennoch drangen Worte an Brand’Oroks Ohr. Nicht jedoch aus dem Osten, sondern aus der Richtung, aus der sie kamen. Ein entferntes aber verständliches:
„Verdammt, umkehren!“


Es mussten die beiden Banditen sein, die erkannt haben, das sie getäuscht wurden. Zu lange haben sie keine frischen Spuren gefunden und waren ihnen nun auf den Fersen, da war sich Brandy sicher. Mit etwas Glück, würden sie ihre Spuren nicht entdecken und müssten ohne Anhaltspunkt durch den Wald stapfen… nur etwas Pech und die Rast würde diese Nacht ausfallen müssen.
Sofort ließ der Zwerg die Spuren die er fand in Ruhe und spurtete so leise wie eben möglich seinen Gefährten hinterher. Sie waren nicht besonders schnell, aber vorsichtig und kaum zu hören, das musste der Jäger gestehen. Plötzlich stand er hinter ihnen und atmete durch.
„Sie sind umgekehrt und weit genug weg, lauft lieber schneller, als leise.“


Die Augen des Mädchens spiegelten blanke Verzweiflung wider, der einzige Grund, warum sie nicht weinte, war wohl die pure Erschöpfung in dieser Hinsicht. Stur lief sie über den schlammigen Boden ohne eine Reaktion oder eine Ahnung wann sie damit aufhören dürfte.
„Was wenn sie uns folgen?“


Fragte Cedric nach.
„Dann dürft ihr SIE mit Fragen nerven. Glaubt ihr ich arbeite nicht daran?“
Weiter.“


Wie Sera befürchtet hatte, nahm das Laufen scheinbar kein Ende. Sie stolperte mit ihren Gefährten an Bäumen und Felsen vorbei ohne dabei mehr wahrzunehmen, als für ihr schnelles Vorankommen nötig war. Für sie vergingen Stunde um Stunde, zäh wie Honig, und noch dazu immer gleich. In ihrem Kopf liefen alle Bilder durcheinander und da niemand ein Wort sprach, hörte sie nur ihren Herzschlag und das ständige und rhythmische Knacken der Zweige, über die sie hinweg lief.
Sie konnten nicht mehr tun, als so schnell wie möglich so viele Meilen wie möglich zwischen sich und ihre Verfolger zu bringen, doch auch das würde ihnen nicht helfen, da war sich Brand’Orok sicher. Wäre er allein gewesen, hätte er so einiges Anstellen können um sich zu verstecken, aber mit einer Gruppe unerfahrener Leute war es eine Sache der Unmöglichkeit. Zu allem Überfluss stellte sich ihnen der Wald entgegen. Die Bäume standen immer dichter und Büsche wuchsen dort, wo sie sie am wenigsten gebrauchen konnten und erwartet hatten. Immer wieder traten sie in versteckte Löcher oder rissen sich Haut oder Klamotten an widerspenstigen Zweigen auf. Der Zwerg hatte sich weitestgehend im Griff, die Konzentration der jungen Frau ließ jedoch rasch nach. Immer wieder stöhnte und schrie sie kurz, um ihrem Unmut Luft zu machen. Brandy kam nicht dazu sie zu ermahnen. Es dauerte nicht lange, bis seine Befürchtungen bestätigt wurde.
„Hast du das gehört?“
„Na klar hab ich!“


Hallte es nur einen Steinwurf hinter ihnen.
Auch Cedric und Sera hatten die Banditen rufen hören und sammelten noch einmal all ihre Kräfte. Ohne Rücksicht auf den Untergrund hetzten sie jetzt durch den Wald und mussten immer wieder feststellen, dass sie einander fast aus den Augen verloren. Zwar war sich Brandy bewusst, dass sie dieses Tempo nicht lang durchhalten konnten, aber dennoch keimte Hoffnung in ihm auf.
Doch schneller als er dachte, fiel er auf den Boden der Tatsachen zurück. Ein dunkelgrünes Dickicht von Zweigen ragte plötzlich vor ihnen auf. Es wuchs zwischen einigen Bäumen wie eine Mauer zwischen den Pfeilern.
Sera war wie angewurzelt stehen geblieben und auch Cedric sah sich panisch nach einem anderen Weg um. Der Zwerg jedoch wusste, dass es keine Zeit zum Überlegen gab. Mit voller Wucht stieß er erst Sera und dann ihren Vater durch das Dickicht.
Die beiden schrien, als Zweige und Dornen nach ihnen schnappten und ihre Kleidung zerrissen. Der harte Aufprall auf der anderen Seite ließ sie jedoch verstummen.

Brandy, noch immer auf der anderen Seite, drehte sich schlagartig um und riss die Armbrust von seinem Beutel. Ein routinierter Griff und eine Sekunde später, hatte er die Waffe geladen und in den Wald gerichtet. Zwei Pfade zwischen mehreren Bäumen hindurch lagen vor ihm. Er hörte die Schritte und das Keuchen seiner Verfolger, wartete jedoch nicht, bis er einen von ihnen zu Gesicht bekam. Sofort gab er einen Schuss ab und lud nach.
Der Bolzen schnellte an mehreren Bäumen vorbei und traf erst in einigen Metern einen dicken Baum.
„Verdammt.“



Flüsterte jemand erfolglos.
Die Schritte der Verfolger wurden ruhiger, doch sofort folgte ein weiterer Bolzen, dieses Mal den anderen Pfad entlang.
Schritte und Stimmen verstummten, was jedoch bei weitem nicht hieß, das die Verfolger stehen blieben.

Brand’Orok hätte dieses Spiel mit dem Dickicht im Rücken noch einige Stunden durchhalten können, wenn er nicht genau gewusst hätte, das einer der Verfolger der Bogenschütze war. Das Risiko, eine Bewegung im Wald zu übersehen und somit dem Gegner ein Schussfeld zu liefern, wo er selbst keines hatte, war selbst einem Zwerg zu groß. Er ließ einen dritten Bolzen ziellos durch den Wald sausen, um die Banditen Vorsicht zu lehren, und raffte dann seine Sachen eng zusammen. Nichts durfte verloren gehen.
Mit einem beherzten Sprung folgte er seinen Gefährten durch das Dickicht. Auch an ihm zerrten Dornen und Schlingen, doch das war nichts im Vergleich zu dem Aufprall der darauf folgte. Der Untergrund hinter der Wand war gut drei Fuß niedriger als auf der anderen Seite und der harte Schlag trieb ihm die Luft aus den Lungen und die Tränen in die Augen.

Sofort begann er zu husten und blickte benommen auf. Verschwommen sah er seine Gefährten. Sera saß weinend an einen Baum gelehnt, während Cedric neben ihr hockte und sie zu trösten schien. Im Augenwinkel erkannte der Zwerg jedoch eine dritte Gestalt. Augenblicklich wirbelte er herum und sah wie ein junger Mann einen Bogen bis zum Anschlag gespannt hielt und auf ihn richtete. Erschöpft ließ er den Kopf hängen und atmete tief durch.

Er hörte das Sirren der Sehne, das Pfeifen des Pfeils und das Splittern von Zweigen. Doch er fühlte nichts, kein Schmerz, keine Wunde. Stattdessen hörte er immer wieder das Schießen und Auflegen von Pfeilen.
„Du hast sie tatsächlich geführt, alle Achtung.“


Sprach der Außenstehende, als er seinen Bogen nachlud und grinste über beide Ohren. Erst nach einigen Sekunden erkannte Brandy, das ihm die Stimme nicht fremd war, selbst dieser gehässige Unterton schien ihm irgendwie vertraut. Noch bevor er wieder ganz zu Kräften gekommen war, sah er auf. Ein junger Mann mit markantem Gesicht und langen zum Zopf gebundenen braunen Haaren stand in einiger Entfernung von ihm auf einem Hügel. Es war der Jäger, der sich bereits im Prunkkrug in das Gespräch zwischen Cedric und Brandy eingemischt hatte.

„Corbin?“
„Ganz recht. Dazu ist später Zeit, steh auf, wenn die beiden hier Recht haben, sollten wir schleunigst verschwinden.“


Er war bereits zu dem Zwerg geeilt, um ihm aufzuhelfen, doch Brandy ignorierte seine Hand, hievte sich hoch und sah abschätzend zu seinen Gefährten.
„Bei Euch alles in Ordnung?“


Cedric nickte sacht, während sich Sera die Verzweiflungstränen aus dem Gesicht wischte.
„Gut, dann..“


Neben ihm schlug mit einem lauten Knall und splitterndem Holz ein Pfeil in den Baum.
Sofort sprang Sera schreiend auf und versteckte sich, auch Cedric zögerte nicht lang, um es ihr gleich zu tun. Corbin hatte schnellstmöglich wieder seinen Bogen gezogen und ließ einen Pfeil nach dem anderen durch das Dickicht fliegen.
„Los, nach Osten!“


schrie Brandy seinen beiden Gefährten entgegen und deutete auf eine Lichtung, die sich vor ihnen eröffnete. Corbin widersprach ihm jedoch.
„Vergiss es, dort kommt der Fluss. Den können wir nur an dem See überqueren, den er füllt. Der liegt im Norden!“
„Wir können nicht zum See, dort wartet der Dritte dieser Halunken.“


Corbin gab einen weiteren Schuss ab und duckte sich dann. Es folgten keine weiteren Pfeile von der Gegenseite.
Leise sprach er weiter.
„Ich hab eine Idee, folgt mir.“


Der Jäger ließ einen letzten Pfeil fliegen und sprintete dann nach Süden. Brandy verschwendete keine Zeit damit, über sein Ziel nachzudenken und nickte seinen völlig verängstigten Begleitern zu. Cedric ergriff sofort den Arm seiner Tochter und zerrte sie mit sich, Corbin hinter her.
Als Brand’Orok als letzter der Gruppe folgte, hörte er leise die Stimmen der Banditen auf der anderen Seite, verstand jedoch kein Wort.

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Tag der Veröffentlichung: 12.04.2010

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