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Kommst Du


„Kommst Du? Ich warte.“ Sie war wirklich da, nach all der Zeit. Sie strich eine Strähne ihres blonden Haares zurück hinters Ohr, lächelte mich abermals geduldig an, ihre rechte Hand ruhte auf dem Schaltknüppel. „Na komm schon!“ Immer noch unsicher, mit steifen Schritten, ging ich um das Auto herum, stieg neben ihr ein. Dies passiert nicht wirklich, dachte ich wie in einer Endlosschleife. Solange hatte ich darauf gewartet, auf diesen Moment, dass er selbst in meiner Phantasie endgültig unwirklich geworden war, ein Phantasma, ein Überrest der Krankheit. Aber: Alles würde einen Sinn machen, alle Begegnungen, alle Erfahrungen, die erlittenen Schmerzen, die schlaflosen Nächte. Es war nur die Vorbereitung, die Probe, die unaufhörliche Prüfung gewesen. Und ich hatte bestanden, alles war erfolgreich zu Ende gebracht. Dies versprach ihr warmer Blick, der voller Liebe und Verständnis war. Ich atmete auf und tief durch, als hätte ich seit Jahren die Luft angehalten - um durchzuhalten, um mir nichts anmerken zu lassen, um irgendwie zurecht zu kommen in dieser unübersichtlichen Welt mit all ihrer verwirrenden Gleichzeitigkeit. Instinktiv spürte ich, dass ich endlich all meine Masken fallen lassen konnte, endlich ich sein konnte, denn wegen mir war sie ja da. Und wegen ihr war ich da. Mein Partner war gekommen, um mich, um uns zu erlösen. Lange blickten wir uns einfach nur an, voll Wiedersehensfreude. Mit jeder Sekunde spürte ich stärker, wie sehr sie mir eigentlich gefehlt hatte, wie sehr ich erst durch sie zu einem Ganzen wurde. Immer hatte ich diesen Schmerz unterdrückt, in der hintersten Ecke meines Herzens hatte ich ihn versteckt und vergraben, sicher selbst vor meinen eigenen Blicken. Nie hätte ich sonst die ganze Zeit überstanden, es war auch so immer wieder schwer genug gewesen. Ahnungen haben mich überfallen, von Zeit zu Zeit, wenn das Sehnen stärker wurde, so stark, dass ich es nicht mehr überhören konnte. Meistens bin ich dann rausgefahren, irgendwo aufs Land, hab mich auf die Motorhaube gesetzt und in den Nachthimmel gestarrt. Die eine oder andere Zigarette geraucht. Und mich gefragt, ob ich sie in diesem Leben je treffen würde, ob sie dieses Mal überhaupt mit gekommen ist. Gespürt hab ich sie dann immer, sicher – in der Luft, die mich umgab, in den Geräuschen der Nacht, nicht zuletzt in den Sternen. Das ganze Universum schien mir zuzurufen: Du wirst geliebt, gefallener Stern. Wir schützen dich. Wir sind immer bei dir. – Aber die Stimme war so schwach, so weit weg, dass es mich noch jedes Mal fröstelte vor dem Bewußtsein der Entfernung, die zwischen uns lag. Ich hier unten auf diesem seltsamen Planeten, sie als ätherisches Wesen überall und nirgends. Ich war und blieb allein, das spürte ich mit jeder Faser, wenn ich stumm meine Einsamkeit in die Schwärze der Nacht hinausschrie. Ein Freak unter Wesen, die ihr Dasein fraglos hinzunehmen schienen, ausgesetzt mit unbekanntem Auftrag, mit unklarem Ziel, die Sternenflotte war ohne mich weitergeflogen. War es ein Irrtum, bin ich einfach vergessen worden? Was soll ich hier nur anfangen? Du fehlst mir, verdammt, du fehlst mir so!


Ich komme


Und jetzt war sie einfach da. Saß neben mir in ihrem Auto und lächelte mich ganz selbstverständlich an. Als wenn sie nur kurz mal weg gewesen wäre, Besorgungen machen. Ich konnte mein Glück nicht fassen. „Ich hab schon alles gepackt, was Du mitnehmen möchtest. Und alles, was wir sonst noch brauchen.“ Sie startete den Wagen, ich lehnte mich zurück. Schon nach kurzer Zeit waren wir auf der Autobahn. Die Stadt, mein altes Leben, alles fiel hinter uns zurück, fiel von mir ab wie eine überflüssig gewordene Last. Ich wußte, nun würde mein wirkliches Leben beginnen. Endlich!





Nüchtern



Ich seufzte, schaute noch einen weiteren Moment dem Bild hinterher, griff meine Einkaufstüten fester und ging die Treppe zu meiner Wohnung hoch.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.10.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für F.N.

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