Der alte Mann auf dem Flohmarkt hatte ihr das seltsame Gebilde als echte indianische Handarbeit verkauft. Traumfänger nannte er es, mit der Macht böse Träume einzufangen. Seltsam berührt hing sie es über ihrem Bett an die Decke. Ob ihre Albträume nun ein Ende hatten?
Als sie sich in ihre Kissen kuschelte beobachtete sie noch eine Weile die spinnennetzartigen Schatten, die der Traumfänger an ihre Wände warf. Der Mond war in dieser Nacht zu einer kreisrunden Scheibe angewachsen und erleuchtete das Zimmer mit seinem fahlen Silberlicht. Langsam spürte sie, wie ihre Lider schwer wurden und sie hinabtauchte in das Dunkel ihrer Träume.
Als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug, stellte sie verwundert fest, dass sie sich an keinen einzigen Albtraum erinnern konnte, sie hatte überhaupt nichts geträumt. Ihr Blick streifte kurz den Traumfänger, der über ihrem Kopf baumelte, als sie schlaftrunken aus dem Bett stieg. In der Mitte funkelte eine große schwarze Perle, wie ein düsterer Tautropfen.
Ungelenk begann sie sich umzuziehen, schnappte sich im Vorübergehen ihre Jacke und stolperte nach draußen auf die Straße. Das Licht der Sonne schien an diesem Morgen seltsam blass, als hätte man eine Glasglocke über sie gestülpt. Beunruhigt spitzte sie die Ohren, doch sie konnte weder das Zwitschern der Vögel hören, noch das Rauschen der Blätter. Als wäre die Welt in eine Totenstarre gefallen, lagen die Straßen menschenleer vor ihr. Ein lautes Krächzen lies sie herumfahren. Kleine schwarze Augen musterten sie voller Hohn.
"Kra, kra ..!", schrie ihr das Federvieh entgegen und flatterte aufgebracht mit den Flügeln. Doch anstatt wegzufliegen legte es den Kopf schräg und reckte ihr die blau schimmernde Brust stolz entgegen.
"Krack ... gefangen ist sie ... krack!", tönte es aus dem grauen Schnabel.
Voller Panik ging sie einen Schritt zurück, doch der Vogel wiederholte sein Singsang immer wieder. Sie versuchte sich zu beruhigen. Konnten Krähen sprechen? Von Raben wusste sie es. Zischend sog sie die Luft ein und wandte sich von dem Tier ab, dann rannte sie so schnell sie konnte die Straße hinunter. Die Wege dehnten sich vor ihr wie Gummi und hinter den Fenstern der Häuser tanzten formlose Schatten. Wieder hörte sie das laute Krächzen hinter sich, kurz darauf schwebte eine schwarze Feder vor ihren Füssen zu Boden.
"Krack, krack ... sie holen dich ... krack, krack ...!", plärrte die Stimme des Gefiederten und jagte ihren Puls in die Höhe. Wieder stolperte sie zurück, verlor den Halt und landete unsanft auf ihrem Hinterteil. Wie ein Todesengel klammerte sich die Krähe an den dünnen Ästchen des Baumes fest, in dem sie nun thronte, die kräftigen Schwingen zur vollen Größe ausgebreitet und starrte mit gierigem Blick auf sie hinunter. Einem hämischen Grinsen gleich, verzog sich ihr Schnabel langsam hin zu einer entstellten Fratze. Die Schwarzen Augen weiteten sich, bis sie wie zwei glühende Kohlen aus den eingefallen Augenhöhlen lugten.
Ein schriller Schrei drang aus ihrer Kehle, als die Feder zu ihren Füssen sich langsam zu verflüssigen begann. Wie ein dunkler Klecks breitet es sich unaufhaltsam aus, direkt auf sie zu.
Wimmernd rappelte sie sich auf die Beine und rannte zurück, die Straßen entlang, die einen Schritt hinter ihr bereits im Dunkeln verschwanden. Keuchend erreichte sie die Haustür, trommelte panisch dagegen, bevor der Schlüssel endlich passen wollte und stürmte die Treppen hinauf in ihr Zimmer.
Drohend schwang der Traumfänger über ihrem Bett auf und ab, die schwarze Perle in seiner Mitte schimmerte in unwirklichen Farben. Mit traumwandlerischer Sicherheit ging sie auf das Funkeln zu, bis ihre Nasenspitze die feinen Fäden berührte.
Einen Augenblick später, verzog sich das Farbengewirr und gab den Blick frei
auf ...
"Das bin ja ich!?", flüsterte sie kaum hörbar und sah ihr Ebenbild, dass wie ein ruckelnder Film in der schwarzen Perle auftauchte. Ruhig schlafend lag sie auf dem Bett, mit dem Traumfänger darüber, dessen Perle hell aufleuchtete. Und neben ihrem Bett stand der alte Mann vom Flohmarkt. Er hob den Blick von ihrem schlafenden Ich und sah ihr direkt entgegen, die Augen so schwarz wie die, der Krähe. Sie musste zwinkern, als Federn aus seinen Fingern sprossen, seine Gestalt sich verschob, bis dort nur noch eine schwarze Krähe saß.
"Es fängt Albträume und jene die sie träumen!", hörte sie plötzlich die Stimme des Alten hinter sich, wagte es jedoch nicht sich umzudrehen. Die Bilder in der Perle verschwanden, sie sah nur noch das Glühen der Augen hinter sich und die Dunkelheit, die langsam ihre Beine umschlang, an ihr zerrte und rüttelte. Sie öffnete den Mund, wollte schreien, laut um Hilfe rufen, doch sie blieb stumm, die Arme Hilfe suchend dem Traumfänger entgegen gestreckt.
"Wach auf, wach auf ...!", hämmerte es in ihrem Schädel, doch Alice sollte nicht erwachen ...
von Nadine Müller, 2. Juli 2010
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2010
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