Eiskalte Küsse oder Der Wunsch
Es gab sie schon immer! Und obwohl sie unmenschlich schön sind, können sie in der Menge verschwinden, wie ein Schatten: Vampire!
Wieder einer, der sie nicht beachtete, durch die hindurch gesehen und sich ihrem Gegenteil zugewandt hatte. Dem zierlichen, fast schon zu dünnen Mädchen mit den kurzen verstrubbelten Haaren. Wieder hatte sie verloren. Konnte sie nicht wenigstens einmal in ihrem Leben die Glückliche sein?
"Ich würde alles dafür geben!", murmelte sie, während sie die Party verließ und hinaus ins Freie trat. Die Bäume auf der anderen Straßenseite ragten düster in den wolkenverhangenen Himmel. Und schon erreichten die ersten Regentropfen prasselnd die Erde. Schnell lief sie über die Straße zwischen den Bäumen ins Dunkle. Wenigstens wurde sie hier nicht nass.
"Für was würdest du alles geben?" Die Stimme lies sie herumschrecken, das Herz klopfte ihr mit einem Mal bis zum Hals.
"Was?", piepte sie und musterte ihr Gegenüber misstrauisch. Seidig glänzende schwarze Haare und die grünsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Als er sie auch noch anlächelte, spürte sie ihre Beine weich werden und lehnte sich unauffällig an den Baum hinter sich.
"Du meintest vorhin, du würdest alles dafür geben!" Unbemerkt war er ihr näher gekommen und beugte sich nun an ihr Ohr.
"Ich will wissen, für was du alles geben würdest?" Sein Atem kitzelte sie!
"Für einen Wunsch!", hörte sie sich selbst sagen, ohne, dass sie genau wusste, woher ihre Stimme so plötzlich kam.
"Einen Wunsch, hmm?" Er musterte sie neugierig. "Was für einen Wunsch?"
Sie musste laut schlucken. Ja, was für ein Wunsch war es gleich nochmal? Ihr Kopf war plötzlich wie leer gefegt, dort wo vor kurzem noch alles durcheinanderflog, existierten jetzt nur noch diese grünen Augen, die sie unverhohlen anstarrten.
"Einen Wunsch ...", wiederholte sie, wie um Zeit zu schinden. "Ich wünsche mir ...!" Auf einmal musste sie lächeln und fuhr mit fester Stimme fort. "... einfach nur glücklich zu sein!"
Er runzelte die Stirn und ging einen Schritt zurück, während er sie immer noch betrachtete.
"Und was bekomme ich, wenn ich dir deinen Wunsch erfülle?"
"Mich!", flüsterte sie halb fragend.
"Einverstanden!", hörte sie ihn sagen, ohne, dass sich seine Lippen bewegten. Vorsichtig strich er ihr eine rote Locke aus dem Gesicht, dann küsste er sie, mit Lippen so kalt wie Eis. Sie schloss die Augen und spürte wie die Kälte langsam auch von ihr Besitz ergriff, dann wurde es plötzlich wieder wärmer und sie war allein.
Zuerst hatte sie ihn nur für eine Halluzination gehalten, doch kaum war am darauf folgenden Tag die Sonne untergegangen stand er vor ihrem Fenster. Er musste sie nicht laut rufen, keine Kieselsteinchen ans Fenster werfen. Sie hatte ihn bereits gehört, in ihrem Gedanken rief er nach ihr und jede Faser ihres Körpers flüsterte es ihr zu. Einen Atemzug später stand sie vor ihm, ohne sich erinnern zu können, eine Tür benutzt zu haben. Er lächelte sie an und hob ihr die geschlossene Hand unter die Nase. Als er sie öffnete, funkelte es darin, wie die Sterne am Himmel über ihnen. Diamanten, Rubine, ein Saphir. Sie konnte sie nicht alle benennen.
"Machen sie dich glücklich?", wisperte seine Stimme kaum hörbar. Doch sie schüttelte den Kopf. Also schloss er seine Hand und als er sie wieder öffnete, glitzerte nur noch Staub darin, den er lächelnd in den Nachthimmel blies. Danach liefen sie stumm miteinander spazieren. Und so erschien er immer öfter, sobald die Sonne am Horizont versank. Mal brachte er kostbares Geschmeide, ein andermal hob er sie in seine Arme und im nächsten Moment blickte sie auf das Meer oder lauschte den Klängen eines Klavierkonzerts. Und immer fragte er sie, ob es sie glücklich mache, doch sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. Bald kam er jede Nacht und manchmal einfach nur, um bei ihr zu sitzen, bis die Sonne gemächlich ihre ersten Strahlen über den Himmel schickte. Dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen und verschwand mit der Nacht! Ein andermal erzählte er ihr Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, von Düften und Farben, die seine Stimme wieder lebendig werden lies, bis sie mit dem ersten Sonnenlicht wieder verblassten. Manchmal berührten sie sich wie zufällig, bewunderten einfach nur den Mond oder setzten sich irgendwo an einen Teich und schwiegen sich an. So vergingen die Monate, bis sich die Blätter schließlich langsam golden färbten.
Eines Nachts jedoch stand er vor ihrem Fenster und nichts rührte sich. Er schlich wie Nebel durch die Ritzen der Türen und suchte sie im ganzen Haus, doch er fand sie nicht. Gerade als er gehen wollte, entdeckte er einen kleinen Zettel am Spiegel, auf dem in wackeliger Handschrift geschrieben stand: "Bin im Krankenhaus!"
Er wusste, wo er sie finden würde, als er vor dem riesigen Gebäude mit dem leuchtend roten Schriftzug stand. Er konnte sie spüren, jetzt da er ihr so nahe war.
Das Licht in ihrem Krankenzimmer brannte noch. Sie hatte die Augen geschlossen und als sie sie öffnete stand er da, direkt neben ihr und weinte.
"Es tut mir leid!" Ihre Stimme klang wie ein fernes Flüstern. "Mein Herz. Ich dachte nicht, dass es so bald passieren würde!" Sie versuchte zu lächeln, zu vergessen, dass ein Monitor anzeigte, wie viel Leben von ihr noch übrig war. Behutsam strich er mit seinen Fingern über ihre Wangen, die jetzt fast ebenso blass waren, wie die Seinen.
"Ich liebe dich doch!" Sein Kuss schmeckte nach Tränen!
Zittrig steckte sie die Hand nach ihm aus und fuhr damit seine Gesichtszüge nach, als wolle sie jedes Detail davon für immer in ihr Gedächtnis einmeißeln.
"Das macht mich glücklich!", wisperte sie. "Ich liebe di...!" Langsam sank ihre Hand herab und das Gerät mit ihrer Lebenslinie begann zu flackern.
"Herzstillstand!", brüllte ein Arzt, als er die Tür aufriss und blieb abrupt stehen. Das Zimmer war leer und das Fenster stand weit offen. Eilig rannte er darauf zu, doch alles, was er sah, war das Dunkel der Nacht und das Leuchten der Sterne.
Als sie ihre Augenlider mühsam zwang sich wieder zu öffnen, lag sie auf einem weichen Bett. Eingehüllt in feinstes Geschmeide, um den Hals kostbaren Schmuck und vor dem offenen Fenster rauschte das Meer.
"Bist du jetzt glücklich?", hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Seine grünen Augen strahlten sie an und seine schwarzen Haare waren zerzaust.
"Ja, denn ich gehöre jetzt dir!", raunte sie leise und küsste ihn .... mit Lippen so kalt wie Eis!
Ende
Copyright 2009 by:
Nadine Müller
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2010
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