1. Kapitel
"Dir werd ich es zeigen, du dreckiges Weibsbild!", schrie der wohlgenährte Mann auf das junge Mädchen ein. "Du wirst schon sehen, was ich mit Diebinnen wie dir mache", rief er wutentbrannt und nahm die Peitsche aus seinem Gürtelbund. "KLATSCH", machte es, als die Hiebe das zusammengekauerte Mädchen trafen. Sie schrie leidend auf. "KLATSCH". Jeder Hieb schlitzte ihren Rücken weiter blutig auf. Das Mädchen weinte und schrie. Die Tränen liefen, auch wenn sie selbst es nicht wollte. Der Mann grinste hämisch. "Sei froh, du Drecksbalg, dass ich dir nicht die Hand abschlagen lass, wie man es mit jedem Dieb macht. Wachen! bringt sie vor die Stadt!" Der Gesichtsausdruck des Mädchens wurde schlagartig panisch. Vor die Stadt
bedeutete in die Wüste. Die Wüste bedeutete den sicheren Tod. "Nein!", rief sie mit zittriger Stimme, doch niemand hörte ihr zu. Wer hört schon auf Sklaven, wie sie? Man hielt sie fest und verband ihr die Augen. Während sich einer der Wachen auf ein Kamel setzte, band der andere das Mädchen irgendwo dort fest. Sie war gezwungen zu folgen. Erst als Die Stadt nicht mehr zu sehen war stieg der Wächter ab, löste das Mädchen vom Kamel und band ihre Hände hinter ihrem Rücken wieder zusammen. "tut mir leid!", hörte sie den Wächter leise und betrübt flüstern. Er stieß sie sacht zu Boden und stieg wieder auf das Tier. "Hilf mir!", wimmerte sie den Mann hoffnungsvoll an. nach kurzem schweigen sagte er: "Ich kann nicht...Leb wohl! Heya!", schrie er und Kamel samt Reiter rasten davon. Sie versuchte herauszuhören, wohin der Mann ritt, doch plötzlich kam Wind auf, heftiger Wind. Sand klatschte ihr ins Gesicht, umschlang ihre Haare, ihren Körper. "Oh nein!" Wenn sie doch nur ihre Augenbinde abnehmen könnte! Doch auch so war ihr klar, dass sich ein Sandsturm anbahnte. Das war das Schlimmste, was ihr hätte passieren können. Gefesselt in der Wüste, während eines Sandsturmes! Sie musste es irgendwie schaffen, die Augenbinde vor Mund und Nase zu bekommen. Sie setzte sich auf den heißen Sandboden und beugte ihren Oberkörper und herunter zu ihren Füßen, was nicht ganz einfach war, obwohl sie nicht ungelenkig war. während sie versuchte, sich die Augenbinde mit ihren bloßen Füßen herunterzuziehen, brauste der Sturm auf und peitschte um ihre Ohren. Irgendwann hatte sie es geschafft. Wenn auch nicht nass, war das Tuch doch wenigstens ein kleiner Schutz gegen den gefährlichen Staub. doch sie musste es weiterhin mit den Knien am Kopf halten, da sie den Knoten ja nicht enger machen konnte. Oh Asch, Herr von Libyen und Gott der westlichen Wüste, Hilf mir, lass Seth mich nicht holen!
, dachte sie und hielt ihre Augen fest verschlossen. Sie hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt um so wenig wie möglich Sand und Staub abzubekommen. Da die Mittagsstunde bereits längst geschlagen hatte, war die Hitze des Sturmes kaum zu ertragen. Alles tat ihr weh. Der Sand gelangte überall hin, durch das bisschen Kleidung, das sie trug und gelangte in die offenen wunden der Peitschenhiebe. Schon jetzt waren die Schmerzen unerträglich. Alles drehte sich. alles war durcheinander. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wo sie war. Nach langer Zeit der Qual verlor sie schließlich das Bewusstsein und landete fast dankbar in der Bewusstlosigkeit.
2. Kapitel
Ashtad stand an Deck einer gigantischen Feluke, die sich in rasendem Tempo durch die Wüste bewegte. Ja, es raste in der tat durch die Wüste! Auf dem Schiffsrumpf Stand der Name Fata Morgana
. Und so sah es ja auch aus: Ein Schiff, das über die Wellen des Wüstensandes schipperte, leicht, wie ein Blatt, welches vom Wind getragen wird. Ashtad stand vorn am Buk und genoss den seichten Wind, der durch seine kurzen dunkelbraunen Haare fuhr. "Kapitän?", rief er quer übers Schiff und wandte sich ihm zu, "Wie lange noch?" Der Kapitän manövrierte das Schiff geschickt durch eine kleine Sandschlucht und antwortete dabei gelassen: "Wenn die Sonne den Horizont berührt, erreichen wir Theben, mein Fürst!" Die heitere Mine Ashtads verdüsterte sich leicht. "So lang noch?" "Ay, bis die Nacht beginnt, Fürst!" Ashtad drehte sich wieder um und sah in Fahrtrichtung. Plötzlich sah er in einiger Entfernung auf der linken Seite des Schiffes etwas Schwarzes. Es flatterte durch den Wind und schien aber tief im Sand seinen Ursprung zu finden. "Kapitän! Hart Backbord, SOFORT!!!", schrie Ashtad und sah angestrengt in die Ferne, um zu sehen, was dort hinten war. "Ay!" Der Kapitän lenkte sein Schiff um und ließ die Segel einholen, sodass sie verlangsamten und schließlich so zu sagen vor Anker gehen konnten, als sie dem Ziel nah waren. Nur brauchte dieses Schiff weder Anker noch Segel, denn es konnte auch ohne Wind über die Dünenwände gleiten. Ashtad warf eine Strickleiter herunter und kletterte eilig herab, bis er den heißen Sand erreichte. Er ging auf das schwarze Büschel zu. Als er feststellte, dass es sich um im Wind wehende Haare handelte, wurden seine Schritte schneller und hastiger. In einer hektischen Bewegung warf er sich auf die Knie und begann zu graben. Es dauerte nicht lange, da hatte er das Gesicht eines hübschen Mädchens freigelegt. "Wasser!!! Schnell!", brüllte er. "Sie lebt noch!", fügte er hinzu, nachdem er seine Hand vor ihr Gesicht hielt, um zu sehen, ob sie noch atmet. "Wer?", fragte der Kapitän verwirrt, der erst jetzt zur Reling schritt. Einer der Matrosen war da wesentlich schneller, war er doch bereits mit einem Wasserschlauch zu Ashtad und dem Mädchen unterwegs. "Danke", sagte Ashtad, der sich bis zu den Schultern des Mädchens durchgearbeitet hat. Eilig nahm er jedoch nun den Schlauch und öffnete ihre Lippen sachte mit seinen Fingern, um sie langsam mit Wasser zu versorgen. "Trink!", flüsterte er. "Nun schluck endlich!", bat er. Dann entdeckte er ein schwarzes Tuch, das um ihren Hals hing. Armes ding!
, dachte er. Sie muss wohl in einen Sandsturm geraten sein.
Schließlich und zu Ashtads Erleichterung begann sie zu trinken. Prompt verschluckte sie sich erstmal. "Nicht so hastig!", sagte er leicht besorgt, aber irgendwie auch etwas belustigt und grub weiter. "Wie ist dein Name, Mädchen?" "Neferi", krächzte und hustete sie. "So, so...", sagte er und zog sie nun ganz aus dem Sand heraus, und sah, dass sie gefesselt war. “Und warum ist die Schönheit
, die ich vor mir habe so übel zugerichtet?", fragte er. Ihre Wunden am Rücken, die die Peitsche ihr zugefügt hatte, hatte er zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gesehen. Das lag aber nicht an seiner Wahrnehmung, sondern an Neferis unglaublich langem Haar. Neferi antwortete nicht darauf. Stattdessen musste sie wieder husten. "Bei Osiris, das hört sich gar nicht gut an!", sagte er ernst. "Sag, du bist in einen Sandsturm geraten?" Er stand auf und reichte ihr die Hand, um ihr auf zu helfen. Neferi sah jedoch tunnelartig in eine Richtung und atmete schwer. Ashtads Augenbrauen zogen sich kritisch zusammen und er sah das Mädchen prüfend an. "Alles in Ordnung? Kannst du aufstehen?" Neferi schüttelte den Kopf. Ashtad nahm den Schlauch und ging erneut in die Hocke. "Trink noch einen Schluck, dann geht es dir bald besser!", bat er sie und setzte den Schlauch an ihren Mund. Neferi trank, jedoch schien es danach auch nicht gerade besser zu werden. Ratlos neigte Ashtad den Kopf zur Seite und hob mit seiner Hand ihr Kinn, um ihr Gesicht in seine Richtung zu drehen. Nun konnte er es richtig sehen. Als Neferi ihn ansah, musste er feststellen, dass ihre Augen entzündlich rot waren. Überall hatte sich Sand angesammelt und Tränen verklebten ihren Blick. Sein Blick verzog sich mitleidig. "Au!", sagte er und strich ihr sanft über das Gesicht, wobei er plötzlich erschrocken innehielt. Er stellte fest, dass ihr Kopf, ihre Stirn glühte. "Du hast...Fieber!", sagte er bestürzt. Neferi hustete wieder, dieses Mal heftiger. "Sachmet, Hilf!" flüsterte er emotionslos. Er nahm Neferi behutsam auf seine Arme und trug sie in Richtung Schiff, wo man sie unten vorsichtig auf ein Laken legte, welches mit ihr schließlich nach oben gezogen wurde. Ashtad und der Kapitän kontrollierten den Vorgang genauestens. Oben angekommen übernahm Ashtad wieder und trug sie in eine Kabine unter Deck und legte sie vorsichtig aufs Bett. Als er Neferi zudeckte, war auch schon der Kapitän da, der den Schiffsarzt mitbrachte. "Ah, gut! Danke, Kapitän! Doktor sie..." "Wie geht es ihr?", fragte der Arzt unterbrechend. "Sie hat Fieber und hustet sehr stark. Ihre Augen sind voller Sandkörner und dementsprechend auch entzündet." Der Arzt nickte, als er gerade ihre Augen betrachtete. "Darf ich Euch bitten, zu gehen, Fürst? Nur, so lange ich sie untersuche, natürlich!" "Selbstverständlich!", antwortete er, verabschiedete sich und verließ den Raum.
3. Kapitel
Ein wenig unruhig ging Ashtad vor der Kabine auf und ab. Endlich, nach einer Viertelstunde verließ der Arzt das Zimmer. "Und?", fragte Ashtad. Der Arzt nahm mit besorgter Mine seine Brille von der Nase. "Das Mädchen....", begann er, "...hat mehr Schaden erlitten, als es auf den ersten Blick scheint. Sie..." Er überlegte kurz, wie er es sagen sollte. "Sie hat außer ihrem Husten wohl ziemliche... Schmerzen." Ashtad wirkte ernst und leicht verwirrt. "Was denn für Schmerzen? Ihre Augen? Lunge?" Der Arzt kratzte sich am Kopf. "Nun ja... Ihre Augen sind entzündet. Und ja: Das Mädchen hat leider, Sachmet steh ihr bei, eine schwere Lungenentzündung, aber..." Ashtads Augen weiteten sich. "Aber? Ist denn eine Lungenentzündung nicht gravierend genug?" "Fürst, sie lässt sich nicht weiter untersuchen! Sie hat Blessuren an Armen, Händen und Beinen, aber so krank sie auch ist, sie weigert sich energisch, dass ich sie weiter auf Verletzungen und andere Schäden untersuche." Ashtads Mine blieb steinern. "Hm... Das ist in der Tat beunruhigend. Wie geht es ihr? kann ich zu ihr?" Der Arzt nickte schnell. "Ja. Sie braucht zwar unglaublich viel Ruhe, aber ich bitte drum, dass immer jemand bei ihr ist, der ihren Zustand im Auge behält. Im Moment kann ich nicht sagen, ob sie es übersteht." Der Arzt senkte betroffen den Kopf. "Jemand muss bei ihr sein und auf sie Acht geben, um mich verständigen zu können, falls sich ihr Zustand verschlechtert." Nun nickte Ashtad. "Ich werde mich persönlich um sie kümmern, Doktor!" Mit diesen Worten ging er an dem Arzt vorbei und betrat die Kabine.
"Neferi? Bist du wach?" Neferi öffnete angestrengt ihre blutunterlaufenen Augen und drehte den Kopf zu ihm. Ashtad biss bei ihrem Anblick die Zähne zusammen. Neferi hustete heftig. "Du Arme! Wie es dir geht brauch ich wohl nicht zu fragen?", sagte er und setzte sich vorsichtig auf den Rand ihres Bettes und legte seine Hand auf ihre Stirn. "Wer...bist...du?", fiepte sie. "Mein Name ist Ashtad", antwortete er tonlos. "Du hast unglaublich hohes Fieber", stellte er fest. "Aber sag.......Wie kommt ein Mädchen wie du
so allein in die Mitte vom Nirgendwo?" Neferi erstarrte. Sie drehte ihren Kopf zur Seite. Auf diesem Schiff wusste nur sie allein, dass sie eine ausgestoßene, zum Tode verurteilte Sklavin war. Wer immer Ashtad wirklich war, er hatte sie gerettet und würde sie sicher wieder in der Wüste aussetzen, wenn er erfuhr, WAS sie war. "Hm...." machte Ashtad. "Ich merk schon, du willst nicht reden." Er nahm ihre Hand, was Neferi überraschte und sie drehte augenblicklich ihren Kopf verwundert zurück in seine Richtung. "Neferi, keiner hier will dir was böses. Glaub mir! Wir hätten dich sonst wohl in der Wüste sterben lassen und..." "Danke!", unterbrach sie ihn. "...Dafür, dass du mich gerettet hast." Nach erster Überraschtheit legte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. "Gern geschehen. Aber ich war ja nicht der Einzige, der..." "Mein Fürst?" Neferi und Ashtad wandten sich ruckartig zur Tür. Der Kapitän war hereingekommen. "Ich habe Wasser gebracht. Einmal mit diesem Tuch hier für ihre Stirn, einmal für sie zum Trinken." "Vielen Dank, Kapitän!" Der Kapitän deutete eine leichte Verbeugung an. "Nichts zu danken, Fürst!" Mit diesen Worten ging er. Neferis Gesicht war vor Entsetzen ganz bleich geworden. Immer noch starrte sie verängstigt zur Tür. Ashtad wandte sich mit den Worten "So, wo waren w...." wieder an sie, hielt dann jedoch schlagartig inne. “Neferi? alles in Ordnung?" Neferi schwieg. "Neferi? Hallo? Geht es dir schlechter?" Kaum hörbar stotterte sie: "F...F...Fürst? Ihr seid...Ein Fürst, Herr?" Sein Gesicht schien besorgt. "Ja, aber was macht das schon?", wollte er wissen. "Deswegen brauchst du jetzt nicht gleich so förmlich zu werden!" Er konnte ja nicht ahnen, dass Neferi zuletzt einem Fürsten als Sklavin gedient hatte...oder dienen musste. Sie als Sklavin hatte es gewagt Ashtad, einen Fürsten mit Du
anzureden! "Bei Osiris, Du bist ganz bleich! Möchtest du etwas trinken? Warte ich helfe dir auf!" Mit ernster Mine griff er ihr vorsichtig unter die Arme und umfasste ihren Rücken, um ihr aufzuhelfen. Neferi schrie vor Schmerz auf. "Nicht! Lasst mich los, Herr!" Ashtad sah sie eindringlich an. Neferi standen Tränen in den Augen. "Bist du verletzt? Warum wolltest du nicht, dass der Arzt dich untersucht?" Vorsichtig wollte er Neferi umdrehen, um herauszufinden, was ihr Schmerzen bereitet. "Nein!" schrie sie und schlug seine Hand weg. "Was ist denn los? Ich will dir doch nur helfen!", Ashtad wirkte leicht verärgert, wollte er doch nur, dass es ihr besser geht. "Ruf mich, wenn du es dir anders überlegt hast!", sagte er kontrolliert und verließ das Zimmer. Neferi schämte sich. Er hatte es nicht nötig, für eine wie sie da zu sein. Und trotzdem war er so freundlich und hilfsbereit gewesen. Und was macht sie? Sie schreit wie ein Kind rum und weist ihn aufs Übelste ab. So etwas kann man sich als Sklavin nicht erlauben. Wenn er wüsste....er würde mich verfluchen
, dachte sie und begann in ihre Hustenanfälle zu weinen. Ich muss was trinken,
stellte sie fest. Erschöpft rappelte sie sich etwas auf und sah sich nach dem Wasser um, das der Kapitän vorhin gebracht hatte. Leider musste sie feststellen, dass der Krug unmittelbar neben der Tür stand. Aber jetzt nach Ashtad rufen, wo er doch eben erst verärgert das Zimmer verlassen hatte? Nein, die Blöße wollte sie sich nicht geben. So zog sie sich mit Müh aus dem Bett, was sie viel von ihrer wenigen Kraft kostete und versuchte, aufzustehen. Röchelnd und keuchend hielt sie sich am Nachttisch fest, wo sie wie zu erwarten erstmal abrutschte und somit alles herunterzog, was darauf stand. Polternd gingen Neferi sowie sämtliche Gegenstände zu Boden.
Oben an Deck stand Ashtad währenddessen neben dem Kapitän und unterhielt sich über das Mädchen und ihr seltsames Verhalten. Er hatte sich wieder beruhigt, schob er doch alles auf ihren Zustand. "Aber sie ist krank, sehr krank. Da kann man schon mal seltsam sein. Vielleicht sollte ich zurück und mich bei ihr entschuldigen?" In dem Moment hörte er das Gepolter von unten und verdrehte Kopfschüttelnd die Augen. "Da habt Ihr Eure Antwort, Fürst!" Ashtad schmunzelte. "Frauen! Versteh die einer!" Er Verabschiedete sich vom Kapitän und machte sich auf zur großen Kabine.
Neferi versuchte inzwischen, sich wieder aufzurichten, doch ihre Arme waren einfach zu schwach. Alles drehte sich um sie herum und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nun lag sie da, mit dem Gesicht am Boden, das begehrte Wasser außer Reichweite. Ihr war so übel, sie hatte keine Kraft mehr und ihr war so unendlich kalt, doch der Schweiß tropfte von ihrer glühenden Stirn. "Neferi!", schrie Ashtad entsetzt auf, als er den Raum betrat. "Bei Osiris, was machst du denn?" Blitzschnell kniete er sich neben sie und wollte ihr aufhelfen, als... "Was...? Warum ist deine Kleidung am Rücken so zerrissen?" Langsam streifte er die Fetzen und den Sand, der an ihr klebte beiseite und sah die Striemen und entzündeten Wunden, all die Schlitze, die Ihren Rücken durchzogen, und ihm wurde klar, was das bedeutete. "Neferi, du bist...." "Sprecht...sprecht es nicht aus...Herr! Ich ...flehe Euch an!", keuchte sie mit letzter Kraft, mit der sie auch erneut versuchte, sich vom Boden hoch zu drücken. Doch sie knickte ein und viel...in Ashtads Arme, der schlagartig reagiert hatte. "...eine Sklavin", beendete er kühl, als die bewusstlose Neferi in seinen Armen lag.
4. Kapitel
Ashtad trug Neferi wieder ins Bett, wobei sie kurz die Augen aufschlug. Ashtad nutzte diese Gelegenheit, um ihr Wasser zu geben. "Fürst...", begann sie "Nenn mich nicht so!", sagte er trocken. “Trink weiter, du bist ja fast ausgetrocknet." "Aber..." Ashtad strich ihr seufzend eine Haarsträne aus dem Gesicht. "Ich werde den Arzt holen, ob du willst oder nicht. Dein hohes Fieber kann auch von deinem..." Er wusste nicht, wie er es sagen sollte. "...deinem wunden Rücken kommen." "Verzeiht mir, Herr!", fiepte sie. Ashtads Augen blitzten auf. "Nenn mich nicht Herr
!" Er betonte jedes Wort energisch. "Ich bin nicht dein Herr und du nicht meine..." Er stockte. Warum war er so laut geworden? Konnte sie doch nichts dafür, was sie war. Ich tu ihr mit meinen Worten weh
, bemerkte er, als er Ihr trauriges gesenktes Haupt sah. "Schlaf jetzt!", sagte er mit ungewohnter Milde in seinen Worten. "Du musst dich dringend ausruhen, so krank, wie du bist. Und keine Angst, dieses Mal bleibe ich hier." flüsterte er zuletzt. Mit einem Grinsen fügte er hinzu: "Dann musst du nicht mehr Radau machen, wenn du Wasser brauchst.
Die darauf folgenden 48 Stunden wurden begleitet von Fieberwahn und Schmerzensschreien. Der Arzt war erneut gekommen und untersuchte Neferis Rücken, jedoch mit Ashtads Bitte, Stillschweigen über ihren Gesellschaftsstatus zu bewahren. Er machte dem Arzt klar, dass niemand außer ihnen beiden wissen dürfe, was sie sei. Natürlich hatte der Doktor die Pflicht zu Schweigen, auch bei Menschen niedrigsten Standes.
Nach diesen zwei Tagen war das Fieber so sehr gestiegen, dass das Schlimmste befürchtet werden musste. Dadurch, dass sie einige Zeit vor Anker gegangen waren verzögerte sich ihre Anreise um eben diese Zeit. Dann erreichten sie Theben, die Hauptstadt des großen ägyptischen Reiches.
"Wir sollten sie sofort zu Sehf bringen“, meinte Ashtad zum Kapitän. „Lebt der noch?“, fragte der Kapitän verblüfft. „Soweit ich weiß ja“, antwortete Ashtad. Mit einem Schmunzeln fügte er hinzu: „Den bringt auch so schnell nichts um!“ Sehf war ein alter Heiler, der am Rande von Theben lebte. Er war sehr weise, beherrschte die Magie der Götter und war bereits 98 Jahre alt, was ja schon fast als lebendes Fossil galt. „Erstaunlich!“, meinte der Kapitän beeindruckt. „Dann ist es wohl wirklich besser, wenn Ihr sie zu ihm geleiten würdet, Fürst. Verzeiht, dass ich Euch dabei nicht helfen kann, aber mein Zeitplan ist schon mehr als genug in Verzögerung geraten.“ Ashtad nickte. „Ja, das ist wahr. Und es tut mir wirklich Leid, Kapitän, doch immerhin bekommen wir dadurch die Möglichkeit ausnahmsweise ein Leben zu retten!“ Eine beschämende Stille trat ein. Ashtad war es, der diese durchbrach. „Nun gut, ich sollte mich beeilen. Neferi geht es immer schlechter.“ Ashtad klang sehr besorgt. „Erstaunlich, was Ihr für dieses Mädchen auf Euch nehmt…“, sagte der Kapitän fast beiläufig. Ashtad blickte auf und hob eine Augenbraue. „Höre ich da einen gewissen Unterton, Kapitän?“, sagte er wie geölt. „Ich? Unterton? Aber Fürst, so was stünde mir ja gar nicht zu“. Der Kapitän konnte sich sein Grinsen über seine eigenen Worte kaum verkneifen. „Ja, ja, mein lieber Kapitän!“, sagte er gespielt ernst. „Ihr nehmt Euch recht viel heraus!“ Dann wurde seine Stimme jedoch wirklich ernst, fast aber auch ein Stück weit nostalgisch: „Nein, Ich weiß, dass man manchmal Hilfe braucht, jemanden, der einen rettet. Dieses Mädchen hat wohl niemanden auf der Welt. Wer, wenn nicht wir, könnte ihr helfen? Sie ist ein Außenseiter, sonst hätten wir sie nicht allein und gefesselt gefunden, erinnert Ihr Euch? Und ich bin sicher, dass sie sie nicht hätte helfen lassen, wenn sie nicht so krank gewesen wäre. Sie ist einfach ein Einzelkämpfer.“
„Wie Ihr auch, mein Fürst“ Ashtad blickte den Kapitän verdutzt an. „Nicht so wie sie. Aber ja, irgendwie habt Ihr Recht, Kapitän!“
Die letzten paar Minuten, die sie nach Theben in die Stadt brauchten, schipperten sie den Nil entlang, denn die Fata Morgana far sowohl Land- als auch Seetüchtig. Nach zehn Minuten Legten sie am Hafen an und klappten einen Holzsteg herunter, der das Schiff mit dem Ufer verband. So konnte Ashtad Neferi bequem von Bord tragen. Zu Sehf war es dennoch ein Stückchen weiter, denn er lebte ja bekanntlich am Rande der Stadt. Und wurde die Stadt größer an der Zahl der Gebäude und Einwohner, so zog er um, wieder an das Ende der Stadt. „Macht es gut Fürst! Ich kann Euch leider nicht begleiten.“, sagte der Kapitän zum Abschied. Ashtad nickte kurz und eilte dann am Hafen vorbei in die Stadt. Er fragte viele Leute nach dem Weg. Theben hatte sich seit seinem letzten Besuch sehr verändert. Doch niemand konnte ihm sagen, wo sich Sehf aufhält. Schweiß rann von Neferis Stirn. Vor Schmerz stöhnend lag sie in Ashtads Armen. „Schhht!“, machte Ashtad. „Wir sind bald da.“ „Mir... ist so… kalt“, hauchte Neferi. Ashtad begann sich große Sorgen um das Mädchen zu machen. „Neferi, dir geht es bald besser, glaub mir!“ Ihr Fieber war weiter gestiegen. Ashtad hielt sie fester im Arm als zuvor und rannte Richtung Marktplatz. Er fragte dort die Leute: „Entschuldigt, wisst Ihr wo ich Sehf finden kann?“ Schulterzucken. „Verzeihung, ich suche Sehf…“ Wieder nichts. Plötzlich sagte einer der Marktschreier: „Sehf? Den habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Aber er soll im Norden zu finden sein. Am Rande der Stadt!“ ashtad drehte sich kurz zu ihm um. „Danke! Vielen Dank!“, schrie er und rannte los. Er rannte vorbei an all den Ständen voll mit Ware, an den Wasserbrunnen und Ställen. Moment… Ashtad stoppte und rannte zum Stallmeister, warf ihm einige Goldstücke zu uns schwang sich mitsamt Neferi auf eines der Pferde. Verdutzt starrte der Stallmeister die Goldstücke an, während Ashtad das Pferd vorantrieb. „Heya!“, schrie er. Neferi keuchte. „Ist ja gut, wir sind gleich da. Halte durch!“ Endlich erreichten sie ein kleines abgelegenes Häuschen, was kurz hinter den Grenzen Thebens lag. Vorsichtig hievte Ashtad Neferi und sich selbst vom Pferd und trug sie zum Eingang der Hütte. „Sehf? Sehf! Ich brauche Hilfe. Wo bist du? Sehf“ Er öffnete die Eingangstür, wo bereits der alte, grauhaarige Mann stand. „Immer Ruhig, Junge, in meinem Alter bin ich nicht mehr so schnell!“, krächzte er. „Sehf, Ich brauche deine Hilfe!“, sagte er und sah zu Neferi. „Ja, das sagtest du bereits, mein Junge, meine Ohren sind im Gegensatz zu meinen Beinen noch in Ordnung!“, antwortete er während er sich Neferi besah. „Oh, das sieht gar nicht gut aus!“, sagte er gebrochen. Kommt rein! Leg sie dort hin!“ Ashtad tat wie ihm geheißen und bettete Neferi auf einer großen weichen Liege. „Setz dich, Junge!“, bat Sehf, der sich eben über sein Regal hermachte, um Kräuter und Heilpflanzen zusammen zu suchen.
Während Ashtad sich setzte und sich umsah, braute Sehf eine Mixtur zusammen, Die Neferi heilen sollte. Als er fertig war, humpelte er in Ihre Richtung. „Das hier… muss sie trinken!“, sagte er. Ashtad war zu dem Zeitpunkt schon bei ihm gewesen, hatte ihm die Schale aus den Händen und huschte damit zu Neferi rüber. „Hier, trink!“ sagte er, doch sie reagierte nicht. „Neferi! Los, trink schon!“ Sehf legte eine Hand auf Ashtads Schulter. „Ihre Seele schwindet….“ „Nein!“, entgegnete Ashtad und rüttelte sachte an Neferi, die daraufhin die Augen aufschlug. „Neferi, ein Glück! Du musst das hier trinken!“ Neferi keuchte. Sie hatte große Mühe, ihre Augen offen zu halten.
5. Kapitel
„Sie ist zu schwach!“, sagte Sehf. „Sie kann nicht!“ „Oh doch, sie wird!“, sagte Ashtad entschlossen und setzte die Schüssel an seinen Mund, um ihn mit dem Heilmittel zu füllen. Dann setzte er seine Lippen an Ihre und flößte ihr das Mittel ein, welches sie dann endlich schluckte. „Es funktioniert!“ sagte er ernst und wiederholte den Vorgang, bis die Schale leer war. „Wie lange dauert es, bis es wirkt?“ Sehf setzte sich langsam. „Ist das Fieber ihr einziges Problem?“, fragte er, ohne dass er sich um eine Antwort bemühte. Ashtad schüttelte den Kopf, ohne Neferi dabei aus den Augen zu lassen. „Sie… Schau dir am Besen ihren Rücken an!“ Mit diesen Worten nahm er Neferi behutsam hoch und zeigte Sehf ihre Wunden. „Ah, ich sehe schon!“, hauchte er leise. „Du versuchst, den Kreis zu schließen!“ Er sagte es, als sei es belanglos, kramte nebenbei sogar wieder in seinen Schränkchen nach der richtigen Salbe für Neferis Verletzungen. Ashtad zog eine Augenbraue hoch. „Sie ist nicht ich, wenn du mir das damit sagen wolltest?“ „Und doch erinnert dich ihre Geschichte an die deine!“, stellte Sehf fest. Neferi stöhnte auf. „I….Isis….!“ Ashtad riss die Augen weit auf, fast zu geschockt, um etwas sagen zu können. „Isis? Was….was redest du da? Neferi?“ Sehf kam mit dem Balsam für Neferis Wunden zurück. „Sie sieht die Mutter der Welt“, sagte er betrübt. Behutsam kremte er Neferis Rücken ein und schmierte ihre Stirn mit einer weiteren, kühlenden Kreme ein. Dann holte er noch etwas aus seinem Schränkchen. Es war so etwas wie eine Mischung aus Öl und Salbe. Ashtad besah sich das Fläschchen. Als er begriff, was es war, funkelte Zorn in seinen Augen auf. „Untersteh dich, Sehf!“, sagte er bedrohlich leise. „Noch ist sie am Leben!“ Sehf beachtete Ashtads Aufforderung nicht, sondern begann, Neferi zu ölen. „Lass es sein, sage ich!“ Betrübt schüttelte der Heiler den Kopf. „Ashtad, mein Junge, spürst du es nicht?“ Ashtad atmete tief ein. „Was soll ich denn spüren?“, fragte er erzürnt, doch kontrolliert. „Ashtad, die Seele des Mädchens verlässt die Materie! Hast du nicht gehört? Unsere Mutter Isis steht ihr bei!“ „Nein!“, schrie Ashtad, „Sie wird nicht sterben!“ Er nahm Sehf wutentbrannt die Flasche aus der hand und warf sie in eine Ecke des Hauses. Dann nahm er Neferi auf den Arm und trug sie aus dem Haus. Vorsichtig hievte er sie wieder aufs Pferd und stieg selbst auf. Er machte sich hastig auf den Weg zurück zur Stadt. „Pfff!“, machte er verbittert „Heiler
! So was nennt sich Heiler
! Heya!“ Er trieb das Pferd voran und eilte nach Theben. Es war inzwischen schon tiefste Nacht geworden. Vielleicht war der Morgen ja auch schon näher als gedacht? Nach einer Viertelstunde etwa gelangte er jedenfalls zu einem gigantischen Bauwerk, vor dem er anhielt. Es war ein Tempel des Amun-Re. Ein großer Tempel mit einer scheinbar unendlichen Treppe zum Aufgang und gigantische Göttersäulen. Doch nun, in der Nacht war er wohl so gut wie leer. Ashtad durchquerte den Tempel in striktem Tempo, Neferi wieder in seinen Armen, bis er zum Sanktuar kam: Dem allerheiligsten Ort eines jeden Tempels. „Hey,…HEY!“, schrie ihn ein Mann an. „Was macht ihr da? Bleibt stehen, Ihr seid kein Priester!“ Doch Ashtad hörte nicht auf ihn sondern schritt zielstrebig weiter Richtung Naos, dem Götterschrein. Dort legte er Neferi ab, vor den steinernen Naos, in dem sich das Kultbild des Amun-Re befand und kniete sich neben sie, sein Haupt gesenkt. „Seid ihr verrückt geworden? Die Götter werden Euch strafen!“, der Mann hatte ihn verfolgt. Er war Priester, genau wie die anderen, die wiederum ihm folgen, um zu sehen, was geschehen war. Ashtad beachtete sie nicht. Neferi stöhnte auf. „Amun-Re, großer Gott Thebens, Haupgott der Ogdoade von Hermopolis, Ich bitte demütigst um deine Hilfe! Rette Neferi, die hier vor dir daliegt im Sterben!“, bat er mit lauter und fester Stimme und verneigte sich soweit, dass seine Stirn den kalten Steinboden berührte und verharrte in dieser Haltung. Der Priester glühte vor Wut. „Was fällt Euch Frevler ein, das Allerheiligste des Amun-Re zu schänden und…“ Der Priester brach ab, denn die wenige Luft in diesem erdrückenden Raum begann auf einmal zu beben. Eine Welle der Vibrationen ging durch die Luft. Doch dann erstarb sie. „Seht Ihr? Amun-Re ist erzürnt.“ „Noch immer schenkte Ashtad den Priestern kein gehör. Er richtete sich auf und sah zu Neferi, die gerade die Augen öffnete. „Ne…Neferi? Geht es dir besser?“ Neferi zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und reckte ihm schwächlich ihre Hand entgegen. Es schien sie viel Kraft zu kosten, denn sie sah angestrengt aus und es bildeten sich noch mehr Schweißperlen auf ihrer Stirn. Ashtad nahm ihr die Mühe ab und nahm ihre hand in die seinen. „V…vie….“, stammelte sie leise. „Vielen…D…Dank….für alles!“, hauchte sie und eine Träne rann ihr über die Wange. „Scht!“, murmelte Ashtad „N….nein, ich….meine…es erst... Danke!“ Mit diesen Worten wurde ihre hand plötzlich sehr schwer und ihre Augenlieder fielen herunter. Ihr Brustkorb hob und senkte sich stark und…erstarrte. „Neferi?“ Nichts. „Neferi!!! Er rüttelte sachte an ihr, doch ihr Körper blieb schlaff! Die Priester im Hintergrund schienen ebenso erstarrt, fast schon mitleidig betrübt, denn sie verfielen allesamt in andächtiges Schweigen. Einer von ihnen trat aus der Menge hervor und legte Ashtad eine Hand auf die Schulter, der währenddessen Neferi an sich gezogen hatte und sie fest umklammerte. Er hielt sie so fest, als wenn er befürchte, dass nicht nur ihre Seele, sondern auch ihr Körper verschwände. „Warum?“ Er war Fassungslos über das, was soeben passiert war.
„Amun-Re! Was hast du getan? Gib sie zurück“ Ein donnern ging durch den Raum, der die Luft erneut in Schwingungen versetzte. Doch diesmal ertönte eine unendlich tiefe, raue stimme: „Ich habe sie dir nicht genommen!“ Ashtad starrte mit schmerzerfüllten Augen zum Naos hinauf, der auf einer Empore stand. Die Priester rissen die Augen wein auf und fielen auf die knie und beugten sich mit der Stirn zu Boden. „Ach nein? Und wer soll es dann gewesen sein?“, rief Ashtad sarkastisch. Eine bedrückende Stille trat ein. Dann schließlich bekam Ashtad Antwort: „Sie ist freiwillig gegangen!“ Sie war was? Das konnte Ashtad nicht glauben. Warum sollte ein Mensch die Welt aus freien Stücken verlassen wollen? „Dann Bringe Ihre Seele zurück, großer Amun-Re! Ich bitte dich!“ „Warum?“, fragte die Stimme in milderem Ton. „Warum kommt Ihr zu mir,…Fürst Ashtad?“ Die Priester erstarrten. „Hast du gehört?“, flüsterten sie. „Er hat Fürst Ashtad gesagt.“ „Weil Du der Herr von Theben bist!“, sagte ashtad, der Neferi immer noch fest umklammerte. Ein göttlicher Seufzer ging durch den Raum. „Ich kann Euch aber nicht helfen.“ „Warum nicht?“ wollte Ashtad wissen. „Ihr müsst zu einem meiner Enkel…. Einem Enkel des Re.“ „Zu Wem?“, fragte Ashtad und stand mit der leblosen Neferi in seinen Armen auf. „Sucht den Tempel des Geb auf. Dort werdet ihr Eure Antwort finden!“ „Und was geschieht in der zeit mit Neferis Seele?“ Nach einer kleinen Pause kam eine sanfte, und leise Antwort: „Spürt Ihr sie nicht an Eurer Seite?“ Ashtad war so verblüfft, dass er sich nur noch umdrehte und zum Ausgang rannte, natürlich nicht ohne Neferis Körper. Als er nach draußen gelangte, blendete ihn bereits Re mit seiner großen hellen Scheibe, die ihm Zeigte, dass der Morgen begann.
6. Kapitel
Es gab in der Tat einen kleinen Tempel, der dem Geb geweiht war. Dorthin war Ashtad nun mit dem leblosen Körper unterwegs. Geb war ein Gott, Re sein Vorfahre. In jedem ägyptischen Tempel waren um den Sanktuar, dem Allerheiligsten andere kleinere Kapellen für Neben- beziehungsweise Untergötter desjenigen, dem dieser bestimmte Tempel geweiht ist. Wenn Geb ihm also nicht helfen konnte, so doch zumindest seine Kinder Osiris oder Isis. Warum war Ashtad denn nicht schon früher darauf gekommen? Osiris war der Herr, der Unterwelt. Er allein kontrollierte das reich der schwindenden Seelen. Und Isis hütete dem Anschein nach wohl Neferis Kat, also den Teil ihrer Seele, der Ihren Körper verlassen hatte. Es dauerte lange, doch nach und nach fragte er sich durch und fand den Tempel des Geb. Auch hier schienen die Priester empört darüber, dass er einfach in den Sanktuar reinplatzte. Doch diesmal schrie Ashtad den Priestern gleich entgegen, bevor sie etwas sagen konnten: „Amun-Re hat mich geschickt!“ Wer denkt, dass die Priester daraufhin sagten: „Ach so, na dann!“, der hat sich mächtig geirrt. Eher hielten sie ihn für einen verrückt gewordenen Irren. Doch ehe sie ihm in den Sanktuar folgen konnten, schwang die riesige, steinerne Tür, die eigentlich eher zur Zierde diente als ihrem Nutzen zu folgen, direkt vor ihrer Nase zu. Ashtad hätte es niemals getan haben können, das wussten sie. Dazu war er zu weit weg gewesen und die Tür zu massiv. Sie blieben erstarrt vor der geschlossenen Tür stehen.
„Mein Großvater kündigte mir Euren Besuch an, Fürst!“, tönte es im Innern der Halle. Die Stimme Gebs war weicher und melodischer als die Amun-Res. Auch hier legte Ashtad Neferi vor den Naos. „Bitte, ich brauche Hilfe. Ich flehe um ihre Seele, Geb!“, sagte Ashtad bestimmt und fügte hinzu: „Und es ist dringend, ich weiß nicht, wie lange ihre Seele noch zurückkehren kann.“ „Was würdet Ihr für ihr Leben hergeben?“ Ashtad verstummte mit aufgerissenen Augen. Dann wurde seine Mine ernster und er sah Neferi eine gefühlte Ewigkeit lang an. Was für ein armes Mädchen sie doch war. Sie teilte sein Schicksal. Ashtad hatte den Sprung in eine neue, bessere Zukunft geschafft. Auch sie sollte die Chance haben, ein Leben zu leben, in dem sie glücklich sein kann. Bisher hatte sie wohl nur Leid erlebt. Ashtad hingegen hatte sich ein Neues Leben erbaut, hatte schon Glück erfahren dürfen. Ashtad lächelte. Im Grunde war er mit sich und seinem Leben zufrieden gewesen. „Ich…würde meine Seele im Gegenzug anbieten!“, sprach er mit kräftiger, überzeugter Stimme aus. „Das ist gut. Ihr werdet nämlich zu meinem Sohn gehen müssen. Und dafür müsst auch Ihr sterben! Osiris ist Herrscher der Unterwelt, kann und wird diesen Ort nicht für Euch verlassen!“ Plötzlich erschien ein goldener Kelch auf den Stufen zum Naos. Er war mit zahlreichen Edelsteinen verziert und randgefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit. Ashtad wusste, was es bedeutete. Er nahm den Kelch in beide Hände und starrte einen Moment lang in sein Inneres. Er atmete noch einmal tief durch und setzte seine Lippen an den Rand des Behälters. Dann trank er seinen Inhalt in einem Zug aus. Es wirkte sofort. Die Priester hatten es mit vereinten Kräften gerade rechtzeitig geschafft, die steinerne Tür so weit aufzuschieben, dass sie alle nacheinander eintreten konnten, um das Schauspiel mit Entsetzen beobachten zu können. Sie sahen, wie Ashtad trank, sahen, wie er sich auf allen Vieren zu halten versuchte. In Ashtad verkrampfte sich alles. Es brannte überall, und zerrte zugleich scheinbar seine Eingeweide auseinander. Er röchelte und knurrte mit zusammengebissenen Zähnen. Eines mussten die Priester ihm lassen: so dreist er mit seinem Eindringen in das Sanktuar auch war, er war hart im nehmen und ein stolzer Mann. Zu stolz, um seinen Schmerz zu zeigen. Schweiß tropfte von Ashtads Stirn auf den kalten Boden. Sein Atem ging schneller, wurde schwerer. Es schien ihm, als wenn die Luft aus Blei bestünde. Wie eine Schlinge, die um seinen Hals gewunden war, schnitt es ihm die Luft ab. Er wand sich auf dem Rücken liegend, zuckte. Dann, plötzlich, ein Ruck ― und alles war vorbei. Ashtads Körper lag leblos neben dem Neferis.
Während die Priester eilends versuchten, ihn durch Dämpfe, Öle und Gebets-Singsang wieder ins Leben zu holen, Schlug Ashtads Seele die Augen in einer ganz anderen Dimension auf: Der Unterwelt. Er richtete sich noch ein wenig schwächlich auf und sah sich um. Seine Umgebung, in der er sich nun befand war nicht viel anders als in der Welt der Lebenden. Ashtad stand auf einer hohen Klippe und sah in ein Tal, das umringt war von Bergen, durchzogen von Flüssen, und gefüllt mit dem schönsten Grün, das er jemals gesehen hatte. Hohe Mauern, Hecken, Felsen und andere natürliche Hindernisse, sowie Türen und Tore jedoch zeigten ihm, dass er ein gigantisches Labyrinth vor sich hatte, durch das er nun hindurch schreiten musste. Gerade als er es geschafft hatte den steilen Hang hinunter zu klettern, und direkt vor dem Eingang des Labyrinths stand, hörte er plötzlich leises gehässiges kichern und grausige Freudenschreie hinter sich aus der Ferne rufen. Er sah nach oben. Schwarze Schatten lugten oben am Rand der Klippe hervor und glitten, wie zähflüssiger Schleim am Rand entlang hinab, auf Ashtad zu. Ashtad wusste sofort, was diese formlosen Gestalten waren: Dämonen der Unterwelt. Ashtad musste mit entsetzen feststellen, dass er ja mitten im Tempel, starb und nicht in einem Sarkophag bestattet war. Ihm fehlten also sämtliche Karten der Unterwelt, Bannzauber für Dämonen, und die Namensliste sämtlicher Dämonen und Türen aber auch deren Wächter. Wenn er deren Namen nicht kannte, würden die Monster ihn verschlingen und er konnte nicht die Türen im Labyrinth öffnen, um zu Osiris zu gelangen. Zum ersten Mal in seinem Leben, welches ja im Prinzip auch schon vorbei war, bekam es Ashtad ein wenig mit der Angst zu tun. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? So schnell er konnte wirbelte er herum und stürmte in das Labyrinth. Links, rechts, geradeaus, bis er in seiner Panik vergessen hatte, wo genau er war. Er gelangte zu einem Fluss, einem Breiten, reißenden Fluss. Hindurch zu schwimmen wäre unmöglich gewesen. Hinter ihm wurden die Stimmen der Dämonen lauter. War das nun sein Ende? Sie kamen näher, die Schreie drangen bereits schmerzhaft in seinen Kopf ein und zwangen ihn auf die Knie. Gleich hatten sie ihn. Gleich verschlangen sie ihn. Er wäre verloren, für immer, Neferi mit ihm. Aber er musste sie doch retten können! Auf einmal trat Totenstille ein. Der Schmerz war verschwunden. Dafür sagte eine unglaublich tiefe, fast flüsternde Stimme langsam zu ihm: „Gut, dass ich dich gefunden habe.“ Ashtad öffnete die Augen und sah auf. Eine menschliche Gestalt stand vor ihm, die den Kopf eines Schakals trug. Ashtad bemerkte den vielen Schmuck der Gestalt. Dann sah er das Was-Zepter in der einen, und das Anch in der Anderen Hand des Fremden. „Anubis!“, flüsterte Ashtad nahezu ehrfürchtig. „Ich bin hier, um dich zum Totengericht zu bringen!“, sagte die Gottheit. Ashtad wirkte verwirrt. „Muss ich es denn nicht selbst schaffen, die Barrieren dorthin zu überwinden?“ Anubis schien irgendwie belustigt, als er fragte: „Und wie, bitte, möchtest du das ohne Karten und Losungen alleine in die Tat umsetzen?“ Ashtad senkte nur den Kopf. „Die kleine Sklavin habe ich übrigens auch gefunden. Osiris kennt euren….Fall. Es geschieht alles in seinem Geheiß!“ Mit diesen Worten reichte Anubis Ashtad das Zepter, das er ergreifen sollte. Kaum hielt Ashtad den Stab fest in der Hand, stieß der Gott sich vom Boden ab und zog Ashtad mit sich in die Lüfte. Das Labyrinth unter ihnen wurde kleiner. Sie flogen einfach darüber hinweg. Ashtad geriet ins Staunen, was Anubis scheinbar bemerkt hatte, denn er sagte gespielt ernst: „Präg es dir ein, aus dieser Perspektive wirst du es bei deinem nächsten Tod nicht sehen… Vorausgesetzt natürlich, du stirbst tatsächlich noch mal.“ Dann tauchte in der Ferne das Ende des Irrgartens auf. Hinter dem Ausgang befand sich ein scheinbar ewig langer Steinweg mitten im Nichts. Rundherum war alles Schwarz. Dann sah er es: Das Totengericht. Anubis setzte ihn noch sehr weit davon entfernt ab. „Den Rest musst du alleine gehen! Ich muss jetzt zur Waage. Sie prüfen jetzt ihr Herz.“ „Was? Nein! Nicht!“, entgegnete Ashtad leise, doch Anubis war bereits verschwunden, denn seine Aufgabe als Gott bestand darin, das Lot der Waage zu prüfen, mit der Neferis Herz aufgewogen wurde. Wäre dies schwerer als die Feder der Göttin Maat, würde Neferi den ewigen Tod sterben. Das wollte Ashtad aber um jeden Preis verhindern. Er rannte und rannte. Es kam ihm wie Minuten vor, bis er dann endlich doch beim Totengericht ankam. Dort sah er sie: Neferi stand aufrecht vor Osiris Thron. Sie schwieg und als Ashtad keuchend den Platz der toten erreichte, blickten sämtliche göttliche Augen ruhig auf ihn. „Ich weiß, warum Ihr hier seid, Fürst!“, sagte Osiris langsam und düster. „Dann wisst Ihr auch, großer Osiris, dass ich sie um jeden Preis zurückholen werde!“ Osiris beugte sich forschend nach vorne. „Was veranlasst einen Fürsten wie dich dazu, eine einfache, wertlose Sklavin zu retten?“, er sah kurz Neferi an, die den Kopf gesenkt hatte. Sie stand immer noch mit dem Rücken zu Ashtad. „Sie ist nicht…wertlos! Wenn ich in meinem Leben eines gelernt habe so ist es die Tatsache, dass jedes Leben kostbar ist!“ „Lügner!“, entgegnete Osiris. „Ihr habt Euch nie für andere so interessiert, wie für Euch selbst!“ Ashtad war innerlich empört. Wie konnte Osiris das einfach behaupten? Er war der Gott der Unterwelt. Wie konnte er denn wissen...? Doch genau das war der Punkt: Er konnte es nicht wissen! Er wollte Ashtad verunsichern und ein Geständnis seiner Sünden hören. „Großer Osiris Neferi hat den Tod nicht verdient!“, sagte er mit fester Stimme. „Aber Ihr, Fürst?“ Darauf wollte er also hinaus! „Wenn ihr Sie gehen lasst, gebe ich Euch meine Seele, mein Herz!“ Ashtad breitete beide Arme aus zum Zeichen, dass er sich gegen nichts und niemanden wehren würde. „Seid Ihr Sicher, Ashtad?“, fragte der Gott. „Seht her!“, er zeigte auf Neferi, die sich nun langsam umdrehte. Blut haftete auf ihrer Brust. „Ihr Herz wurde bereits gewogen. Und wisst ihr, wie ihr Ergebnis aussah? Ich werde es Euch sagen. Niemals habe ich solch ein leichtes Herz gesehen, wie das ihre. Ihre Seele ist rein und sie kann in ihr ewiges Leben übergehen. Doch was werden wir sehen, wenn wir Euer Herz auf die Waagschale legen?“ Ashtad senkte den Kopf. Er wusste selbst, dass sein Herz nie so rein sein würde, um diese Prüfung zu bestehen. Sein Herz voller Lügen und Betrug wäre weitaus schwerer als die Feder der Maat, schwerer als die Wahrheit. Die Waagschale würde sich augenblicklich senken und sein Herz würde von der Verschlingerin geschluckt werden. Er würde sterben, zum zweiten Mal, es wäre endgültig.
Texte: All Rights Reserved
Tag der Veröffentlichung: 06.07.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wem die Geschichte von Ashtad und der Sklavin gewidmet ist, weiß diese person beim Lesen selbst. Ich möchte mich aber für die Idee bedanken, auch wenn ich es anders schrieb, als ich ursprünglich vorhatte.
Hannon le, mellon!