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Prolog

Da standen wir nun. Rücken an Rücken gelehnt und so still, dass auch nur das leiseste Klirren einer gefallenen Stecknadel ein Ohren betäubender Lärm gewesen wäre. Wir saßen definitiv in der Falle. Umzingelt von unzähligen schaurigen Gestalten, den Lakaien der finsteren Herrscherin. Ich hatte Angst. Fürchterliche Angst. Meinen zwei Begleitern erging es nicht anders. Doch keiner von uns wäre so schwachköpfig, und würde seine Schwäche zeigen. Nein! Den Gefallen täten wir ihr nicht. Schließlich verstanden wir uns sehr gut darin, unseren Geist zu verschließen, sodass sämtliche Gefühle vor unseren Feinden verborgen blieben. Dann nach einer geschlagenen halben Stunde trat sie aus dem Schwarm ihrer abstoßenden Ungeheuer und sah mit triumphierenden Blicken auf uns herab. „Na, wen haben wir denn da?“, begann sie außergewöhnlich leise und herablassend zu sprechen. „Der erhabenen Prinzessin behagt es, sich unters Fußvolk zu mischen? Welch’ eine Ehre !“ Das waren ihre einzigen Worte. „Du wirst niemals gewinnen, alte Hexe!“, rief ich, um meine Abneigung preiszugeben. Doch leider klangen diese Worte weitaus beunruhigter, als sie es sein sollten. Die Gesichtszüge der dunklen Gräfin verrieten, dass meine Aussage sie belustigte. Sie hob beide Hände in die Höhe und rief die Göttin von Tod und Zerstörung an, um ihre Kräfte zu erhalten. Dann richteten sich ihre Handflächen auf mich. Zischende blaue Blitze schossen aus ihren Fingern und preschten auf mich zu. Die unglaubliche Kraft verhieß nur eines: Tod. Im letzten Moment warf sich einer meiner Gefährten, Kashar, vor mich und hielt sein magisches Schwert den tödlichen Blitzen entgegen. Sobald die beiden Magien aufeinander trafen, gab es eine fürchterliche Explosion, bei der die Zeit im nahezu gesamten mystischen Reich zum Stillstand gebracht wurde. Das bedeutete, dass es für alle Lebewesen in einem bestimmten Umkreis nur noch Tag und keine Nacht mehr gab. Es gab nun zwei verschiedene Zeiten in unserer Welt.

Dies ist die Geschichte meiner Reinkarnation, meiner Wiedergeburt, denn an jenem dunklen Tag bin ich gestorben. Kashar und Arthim, meine Begleiter und Freunde blieben zurück und erholten sich zum Glück sehr schnell von den Verletzungen, die sie sich damals zuzogen. Meine Seele wird ca. sechshundert Jahre nach meinem Tod wiedergeboren werden und es ist die Aufgabe dieses Mädchens, dass sich die Ereignisse wiederholen. Doch eines muss sie dabei beachten: Es wäre der Untergang beider Welten, wenn sie den folgenschweren Fehler wiederholt, den ich vor sechshundert Jahren begangen habe. Ich werde es auf mich nehmen, die Ereignisse, die sich seit Beginn der Schreckensherrschaft der schwarzen Kaiserin zugetragen haben, aufzuschreiben und dieses Wissen an jene weiterzureichen, die an Magie und Fabelwesen noch glauben können.


1. Kapitel
Al Kashar



Wie unterscheidet man gute Menschen von bösen Menschen? Eine berechtigte Frage. Fast jeder hat sich diese Frage schon einmal gestellt. Doch eine stellt sich diese Frage täglich: Josie. Na ja, eigentlich heißt sie ja Josefine, aber Josie gefällt ihr besser. Josie hat mit ihren 17 Jahren gemerkt, dass Misstrauen anderen gegenüber sicherer ist, als ihnen zu vertrauen. Josie arbeitet in einer kleinen Cocktailbar, welche zugleich eine Art Restaurant war. Dort muss man immer aufpassen, wer da ein und aus spaziert. Aber wer sich schlecht benimmt, fliegt raus! Obwohl die Bar schon früh am Morgen geöffnet wird, kommen die ersten Gäste nicht vor 11.30 Uhr. Nicht so heute ... … ... „Eine Piña Colada bitte!” Ein junger Mann, so um die 20 saß schon am Vormittag am Tresen. Josie ist die Einzige, die von morgens bis mittags alleine arbeitet. Die anderen kommen gegen halb zwölf. „Einen Moment bitte!“ Josie fand es schon seltsam, dass jemand um diese Uhrzeit einen Cocktail bestellt. Aber sie ließ sich nichts anmerken. „Hier bitteschön. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ „Nein danke! Obwohl …“ Auf eine merkwürdige Art und Weise erhob er sich und ging hinter den Tresen. „Lassen Sie das! Sie dürfen hier nicht her. Dieser Bereich ist nur für Mitarbeiter.“ Entschlossen stellte sich Josie ihm gegenüber. Sie hatte nicht vor, sich zu wiederholen: Dieser Mann – wer immer er auch war – hatte hier nichts verloren. „Du bist nicht zufälligerweise Josefine Taylor?“, fragte der Fremde. Seine Augen glühten gefährlich. „Was? Wer will das wissen?“ „Wer das wissen will? Ich natürlich.“ „Wenn das ein Scherz sein sollte, er war nicht witzig.“ „So?“ Stille trat ein. Keiner der beiden sagte mehr ein Wort. Josie trocknete nebenbei einige Gläser ab. Den Fremden beachtete sie jedoch nicht. Ein mysteriöser Mann, der ihren Namen kennt? Wie gesagt, man sollte nicht jedem vertrauen – und dem schon gar nicht –, meinte Josie. Wie auch immer. Der Mann jedenfalls hatte sich wieder gesetzt. Er stützte seinen Kopf mit dem Arm (und der Hand) ab und wandte dabei seinen Blick keineswegs von Josie ab. Er lächelte. Aber es war kein bedrohliches Lächeln. Es kam irgendwie von Herzen, wenn er überhaupt eins besaß. Zumindest wirkte er nun friedlich, was Josie nur noch misstrauischer werden ließ. Er ließ nicht locker: “Bist du Josefine Taylor?“, fragte er wieder. „Wer will das wissen?“, gab Josie erneut zurück. Endlich richtete der Mann sich auf und antwortete. „Ein neugieriger Reisender, der etwas suchte und auf dich traf.“ — Diese Antwort war nun nicht gerade hilfreich— dachte Josie — ihr wäre es lieber gewesen, wenn er seinen Namen gesagt hätte. Wie durch Zauberhand antwortete er: “Wieso sollte ich dir meinen Namen verraten? Du hast ihn mir schließlich auch verschwiegen.“ Was war das? Konnte dieser Mann Gedanken lesen, oder war das Ganze nur Zufall? Doch wo er Recht hatte, da hatte er Recht. Das dachte auch Josie. Jedoch … „Und wieso sollte ich meinen Namen einem Fremden offenbaren?“ „Du bist mutig. … Oder einfach nur dreist, dass du dich einem Mann so arg widersetzt.“ „Verzeiht mir meine Forschheit, Herr, aber wer hier arbeitet, darf sich von seinen Gästen nun mal nicht unterkriegen lassen.“ Auch wenn dies Worte der Höflichkeit waren, hörte man in ihrer Stimme pure Wut. Josie mühte sich absichtlich nicht, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Solange sie alleine waren, könnte sie so ziemlich machen, was sie wollte, ohne dass es Ärger geben würde. Der Fremde lachte. „Das ist wahr. Und deswegen muss ich mich nun entschuldigen. Aber sag’ mir trotzdem eins: bist du Josefine?“ so langsam wurde ihr das Spielchen zu langweilig. „Zum letzten Mal: Wer will das wissen?“ Wieder fing er an zu lachen. „Dieses Spiel könnten wir ewig weiter treiben. Aber ich merke schon. Ich würde so nie zu meiner gewünschten Antwort kommen. Also gut: Mein Name ist Al-Kashar. Aber Kashar reicht vollkommen. Ich komme aus Bagdad.“ „Bagdad? Dafür scheinen Sie unsere Sprache aber gut zu beherrschen.“ „Allerdings. So. Da ich mich nun vorgestellt habe, würde ich sagen, dass du nun auch endlich mit der Wahrheit rausrückst. Bist du Josie?“ „Ich verbiete es Ihnen, diesen Namen auszusprechen! Für Sie bin ich immer noch Josefine.“ „Das heißt also ja.“ Diese Art! Josie konnte es absolut nicht ausstehen, dass er ihre Kommentare scheinbar nicht beachtete. „Ich habe wohl vernommen, was du mir gesagt hast. Und ich versichere dir, dass ich deinem Wunsch Beachtung schenken werde.“ Da! Da war es schon wieder. Nein, das konnte kein Zufall mehr sein. Dieser Mann konnte tatsächlich die Gedanken anderer Menschen lesen. Das muss ein Magier sein, dachte Josie. Er beherrscht dunkle Magie. Zum ersten Mal in ihrem Leben, bekam es Josie mit der Angst zu tun. Noch nie lief ihr so ein Schauer über den Rücken. Sie stockte. Was sollte sie tun? Was um Himmels Willen sollte sie tun? Wegrennen konnte sie nicht. Ihre Beine waren wie angewurzelt. Sie hatte gerade noch Kontrolle über sie. Sonst wäre sie vermutlich zu Boden gesunken. Aber selbst wenn Josie hätte weglaufen können, hätte ihr dieser Kashar doch sicher einen Fluch hinterher geworfen. Die Lage schien wirklich aussichtslos. Kashar erschrak ein wenig. „Was soll die Angst in deinen Augen? Es gibt keinen Grund sich zu fürchten.“ Josie war kurz davor, zusammen zu brechen. Mit einem Mal sprang Kashar auf und ging zu Josie hinüber. „Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.“ Er fasste sie an den Schultern um ihre schlotternden Beine zu unterstützen. „Verzeih, wenn ich dir solche Angst einjagte. Das war alles andere als absichtlich.“ Er ließ sie mit seiner linken Hand los und schnippte mit den Fingern. Sofort fiel Josie bewusstlos um. Kashar fing sie rechzeitig auf, nahm sie und trug sie durch die Hintertür der Bar nach draußen, am Strand entlang und in ein benachbartes Gebäude.

2. Kapitel
Freund oder Feind?



Das Haus, in das Kashar Josie trug, stand vollkommen leer. Es sah ziemlich heruntergekommen aus und wirkte leicht düster. Kashar stieß mit dem Fuß leise und vorsichtig eine Tür im ersten Stockwerk auf und betrat einen runden, Licht durchflutenden, ansonsten aber menschenleeren Raum. Das Zimmer war – im Gegensatz zum übrigen Haus – recht luxuriös. Rubinrote Vorhänge hingen an beiden Seiten der Fenster herab. Ein Sofa, zwei Sessel und einige Schränke füllten den Raum. Ein warm und bequem aussehendes Bett stand am anderen Ende des Zimmers und ein mittelgroßes Feuer prasselte im Kamin. Vorsichtig und behutsam legte er Josie in das Bett und deckte sie zu. Er selbst holte sich einen Stuhl vom Esstisch, der ebenfalls im Raum stand, und setzte sich neben das Bett. Dann holte er etwas aus seinem langen perlweißen Umhang. Es war eine vermutlich aus Bambus hergestellte Pan-Flöte. Er begann zu spielen. Man konnte schlecht sagen, ob es ein fröhliches oder ein trauriges Lied war. Mal so, mal so. Aber es war bezaubernd. Nach über einer Stunde hielt Kashar plötzlich inne. Josie hatte die Augen geöffnet. „Wo bin ich?“ Josies Stimme klang noch ganz traumatisiert. „Bist du endlich wach?“ „Kashar!“ Josie erschrak so sehr, dass sie mit dem Hinterkopf gegen eine Holzstange vom Himmelbett gestoßen war. „Aua!“ Kashar lachte. „Hoppla! Sei froh, dass es Holz gewesen ist, und nicht Gestein. Zeig her!“ Josefine wich augenblicklich zurück. „Fass mich nicht an, du…“ „Huch?“, wunderte sich Kashar, „Du duzt mich? Schön. Aber lass mich bitte nachsehen, ob du dich ernsthaft verletzt hast.“ „Nein!“, widersetzte sich Josie, „Du kennst mich eben nicht. Man kann, wenn ich mir etwas antue darauf vertrauen, dass es nichts Ernstes ist.“ Daraufhin meinte Kashar belustigt: „Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist bekanntlich besser. Also zeig her!“ Erbost schrie sie: „Ich lass mich von dir nicht anfassen.“ „Das wirst du wohl müssen. Freiwillig, oder unfreiwillig.“ Mit einer einfachen Handbewegung ließ er Josies Körper erstarren. „Lass mich gehen du Monster!“ „Ich will dir doch nur helfen. Moment!“ Behutsam sah er sich Josies Verletzung an. „Oh, oh! Das sieht mir aber gar nicht nach nichts aus! Es blutet ein wenig. Aber das kriegen wir wieder hin.“ Vorsichtig legte er seine Hände auf ihren Hinterkopf. Josie sah, dass Kashar irgendetwas vor sich hin murmelte. Zwischen seinen Händen und Josies Kopf begann es langsam zu leuchten. Es war, als hätte Kashar die Sonnenstrahlen vom Himmel geholt. Es fühlte sich warm an. Sie merkte, wie ihr Kopf langsam aufhörte weh zu tun. Plötzlich verschwanden die Schmerzen ganz. „So, besser?“ Josie bekam es wieder ein wenig mit der Angst zu tun. „Ja“, sagte sie trotzdem. Und da sie gelernt hatte höflich zu sein, fügte sie auch noch ein grimmiges aber trotzdem misstrauisches „Danke!“ hinzu. Kashars Blick wurde ernster. „Ich habe dir doch gesagt, du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin keine Gefahr für dich, glaub mir.“ Das beruhigte Josie keineswegs. Sie sah ihn nicht an. Überhaupt hat sie ihn noch nie richtig angesehen. „Josefine. Sieh’ mir bitte in die Augen, wenn ich mit dir rede!“ Doch Josie rührte sich nicht. Schon wieder begann Kashar zu lachen. „Natürlich! Wie konnte ich nur? Das ist selbstverständlich ein natürlicher Reflex von dir, nicht? Hast Angst vor dem bösen Blick?“ „Ich habe vor nichts und niemandem Angst!“ Plötzlich fand Josie ihren Mut wieder. Sie kochte fast vor Wut. Wie konnte sie sich nur so in die Irre führen lassen? Wie konnte es jemand wagen zu versuchen, ihr solche Furcht einzuflößen? Und überhaupt: Warum um alles in der Welt hat er sie hierher gebracht? Das grenzt an Entführung. Das war eine Entführung. „Ich habe dich nicht entführt“, gab Kashar von sich. Schon wieder schien er ihre Gedanken zu lesen. Wie unheimlich das war. „Was soll das, böser Blick? Was ist das überhaupt?“ „Du weißt es nicht? Du weißt es nicht und hast trotzdem Angst davor?“ „Wovor?“ Kashar überlegte kurz und sagte dann: „Seltsam. Äußerst seltsam. Obwohl … wenn man bedenkt …“ „Wenn man was bedenkt?“, wollte Josie wissen. „Ach nichts. Kümmere dich nicht darum.“ Was meinte er damit? Josie wollte weg. Wieder zurück. Die anderen warteten bestimmt schon. Sicher suchten sie sie. Ich muss zurück, dachte sie – ich muss. „Du kannst ja zurück, aber …“ Kashar kam nicht dazu, diesen Satz zu beenden. Jemand klopfte an der Tür. „Herein.“ „Meister Kashar?“ „Gina? Was machst du denn hier? „Das Tor, Meister.“ „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht mit Meister anreden sollst?“ „Verzeiht.“ „Gina! Rede einfach ganz normal mit mir! Du hast dich doch früher auch nicht so angestellt.“ „Da wart Ihr aber auch noch …“ „Du bist mir gegenüber immer noch gleichwertig. Merk dir das!“ „Ja, Mei … Kashar“ „Gut. Komm rein! Josefine, das ist Gina. Sie ist die Schwester von einem Freund von mir. Gina, das ist Josefine.“ „ … Josefine?“ Gina wurde sichtlich nervöser. Nach zwei Minuten der Stille begann Gina erneut: „Das Tor schließt bald, Kashar. Du musst dich beeilen, wenn du heute noch kommen willst.“ Gina ließ Josie keine Minute aus den Augen. „Ich werde nicht gehen. Nicht heute. Ich habe hier noch einiges zu erledigen.“ „Was? Aber Kashar!“ „Nix aber !“ „Heute ist doch das Fest! Das kannst du doch nicht machen!“ Kashar erinnerte sich. „Ach ja, das Fest!“ „Du hast es doch nicht etwa vergessen?“ Sie sah Kashar hoffnungsvoll in die Augen. „Nein, habe ich nicht. Es ist nur, dass ich keine Zeit für so etwas habe. Es tut mir Leid. Ich habe dieses Mädchen hier hergebracht, ohne dass sie etwas davon merkte. Ich muss sie wieder nach Hause bringen. Das ist meine Pflicht.“ „Ach so. Darum geht es dir. Das Mädchen ist Schuld. Gib es zu, Kashar! Du bist in sie verliebt. Hab’ ich Recht?“ „Wie kannst du es wagen, so eine Behauptung aufzustellen? Verschwinde! Lass dich hier nie wieder sehen!“ Kashar war wie verändert. Gina liefen Tränen über die Wangen. So langsam wurde Josie wütend. Wie konnte Kashar Gina nur so anbrüllen? Das schrie nach einer Strafpredigt. „Kashar! Was fällt dir eigentlich ein? Wie kannst du nur so rücksichtslos sein? So etwas Widerliches! Du bist ein riesengroßer Mistkerl.“, sagte Josie. Mit diesen Worten stand Josie auf, rannte zu Gina hinüber und nahm sie in die Arme. „Ist ja schon gut. Hör’ einfach nicht auf ihn.“ Josie versuchte mit allen Mitteln sie zu beruhigen, schaffte es aber nicht. „Wie kann ich dir nur helfen?“ Gina hörte auf zu schluchzen und begann: „Kashar muss zu diesem Fest gehen. Er hat es mir fest versprochen.“ „Versprochen? Kashar, du Idiot. Ein Versprechen muss man doch halten. Das weiß jedes Kind!“ „Kashar muss mitkommen! Nur wegen dir will er es nicht. Josie, könntest du nicht auch mitkommen? Wenn du mitkommst, kommt er auch. Da bin ich mir ganz sicher.“ Kashars Augen funkelten zornig. „Gina! Halt dich gefälligst zurück! Sie kommt nicht mit und damit basta!“ „Wer sagt das, Herr Oberschlau? Gina hat mich um einen Gefallen gebeten und den werde ich ihr auch tun. Ob du willst oder nicht.“ „Gina, du kleines Miststück!“ „Wie kannst du es wagen sie Miststück zu nennen?“ „Nein. Die Frage ist: Wie kannst du es wagen, einem Mann gegenüber so respektlos zu sein?“ Er ging auf Josie zu und stieß sie beiseite. Dann packte er Gina und zerrte sie nach draußen. Wenige Sekunden später kam er wieder. Doch Gina war nicht bei ihm. „Wo ist sie geblieben? Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Josie. „Sie ist zu Hause und ich habe nichts mit ihr gemacht.“ „Wieso zu Hause? Du bist abscheulich.“ Jetzt verlor Kashar endgültig seine Geduld. Er ging auf Josie zu und verpasste ihr eine Ohrfeige. „Halt den Mund!“ Josie war geschockt und zornig zugleich. Noch nie hat ein Mann sie geschlagen. Er packte sie am Handgelenk und zog sie aus dem Haus ins Freie. Auf dem Weg zurück zur Bar, nutzte sie die Gelegenheit und biss Kashar in den Unterarm. Kashar ließ sie schlagartig los und rannte ihr hinterher. Doch er überlegte es sich anders. Er blieb stehen, streckte seine rechte Hand aus und feuerte eine Art Luftstoß ab, der Josie schwer am Rücken traf. Sie fiel in den weißen, von der Sonne aufgewärmten Sand der Insel. Josie wollte gerade wieder aufstehen, da sah sie Kashar über sich, der seine Hand drohend auf ihr Gesicht gerichtet hatte. „Die großen Schmerzen wollte ich dir eigentlich ersparen, aber ich kann auch anders.“ Wieder nahm er ihr schon schmerzendes Handgelenk und zerrte sie vor den Hintereingang der Cocktailbar. Mit einem weiteren Luftstoß beförderte er sie nach drinnen und verschwand mit einem Fingerschnippen. Es war jetzt 09.15 Uhr, und Josie lag alleine in der Bar neben dem Tresen. Sie kam zu sich, stand auf und ging geradewegs auf ein Regal zu, um einen Stift und einen Zettel rauszuholen. Sie schrieb: « Nehme mir heute frei. Gez.: Josie. » Sie legte den Zettel auf die Theke und ging in ein Nebenzimmer. Dieses Zimmer gehörte ihr. Christina, die Besitzerin der Bar, hat es ihr überlassen, weil Josie sonst kein Dach über dem Kopf gehabt hätte. Josie ließ sich auf ihr Bett fallen und verschränkte die Arme über ihren Augen. Sie wollte das alles so schnell wie möglich vergessen. Noch eine ganze Weile lag sie so da, bis sie schließlich aufstand und zum Fenster ging. Sie schaute heraus und sah den wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Sie beschloss einen Spaziergang am Strand zu machen. Also rannte sie so schnell sie ihre Beine trugen an die frische Luft. Am Strand angekommen blieb sie plötzlich stehen und starrte aufs Meer. Bestimmt eine halbe Stunde lang stand sie einfach nur da und beobachtete Möwen, die gerade über dem glitzernden Wasser ’gen Horizont schwebten. Am Liebsten wäre Josie jetzt eine von ihnen, um auch weg zu fliegen. Dann endlich wand sie ihren Blick ab und ging weiter. Erst nach über drei Stunden machte sie sich auf den Heimweg. Wieder zurück wurde sie sofort von Christina ausgefragt, was mit ihr los sei, doch ohne zu antworten ging Josie in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Sie nahm sich ein Buch aus dem Regal, legte sich ins Bett und las. Irgendwann schlief sie einfach dabei ein. Sie versank in einen tiefen und festen Schlaf.


3. Kapitel
Trosius Dolgus



Draußen funkelten die Sterne auf dem dunkelblauen Himmelszelt. Alles war ruhig und friedlich. Keiner war um diese Uhrzeit zu sehen. Noch nicht einmal die Sonne zeigte die bunten Strahlen, die sie jeden Morgen auf die kleine Insel im Süden schickte. Kein einziger Vogel war vor der Morgendämmerung zu hören. Alles schien zu schlafen. Nur Josie lag wach im Bett und dachte über den vergangenen Tag nach. Sie fragte sich, ob das alles wirklich geschehen war, oder ob sie geträumt hatte. Doch sie blieb dabei, dass alles echt war. Sie stand auf, zog sich an und schlenderte durch das Haus zum Hintereingang, um von dort aus zur anderen Seite der Insel zu gelangen. In der Ferne sah sie etwas. Es war jenes Gebäude, in das Kashar sie gestern trug nachdem sie bewusstlos geworden war. „Kashar, wer bist du? Was bist du? Eine Kreatur des Bösen?“ Josie fasste einen Entschluss: Sie musste alles über Kashar herausfinden. Koste es was es wolle. „Der beste Ort um etwas über ihn heraus zu bekommen ist dieses alte, heruntergekommene Haus. Also los!“

Josie musste sehr vorsichtig sein, um keine quietschenden, knarrenden oder knackenden Geräusche zu machen, während sie die Treppe hochging. Oben angekommen schlich sie zur Tür, die in den runden Raum führte. Doch vor der Tür blieb sie erst einmal stehen um zu lauschen. Wie sie es sich gedacht hatte, hörte sie Stimmen. Die eine war zweifellos Kashars Stimme. Aber sie hörte noch eine zweite Männerstimme. Sie lauschte: „ … wieder hier.“ „Was? Das glaub ich nicht. Ehrlich?“ „Ja. Stell dir das vor. Sie ist tatsächlich wieder aufgetaucht. Ich hab sie sofort erkannt, als ich sie sah.“ „Aber ich dachte, Josie wäre für immer versiegelt worden.“ Josie schrak auf. Der Fremde, der sich mit Kashar unterhalten hatte hielt anscheinend inne. Josie war sich sicher, das er sie bemerkt hatte. „Hast du das gehört, Kashar?“ „Nein, was denn?“ „Es klang, als hätte sich jemand erschreckt.“ „Was?“ „Wetten Gina lauscht schon wieder?“ „Wette verloren. Ich bin mir sicher, dass jemand anderes dahinter steckt.“ „Sicher?“ „So sicher, wie das Amen in der Kirche.“ Oh, oh! Josie ging einige Schritte rückwärts, doch es war zu spät. Die Tür ging auf und Kashar stand in der Tür. „Na wen haben wir denn da?“ Er half der vor Schreck auf die Knie gesunkenen Josie ein wenig unsanft auf die Beine und führte sie ins Zimmer. „Sieh sie dir genau an, Arthim! Sieh sie dir an!“ „Josie! Keine Zweifel, sie ist wieder da.“ „Reiß dich zusammen!“, sagte Kashar. „Entschuldige, bitte. Du hast Recht.“ „Ich habe immer Recht, Arthim.“ „Glaubst du, du Schönling.“ „Ich bin immer noch eleganter, als du es bist, Blondschopf“, entgegnete Kashar. „Ich muss doch sehr bitten, Kashar. Meine Frisur ist exquisit.“ „Oh! Deine Wortwahl ist brillant, mein Lieber. Hast’ wohl einige Seiten eines Wörterbuchs auswendig gelernt?“ Dieses Wortgefecht der beiden ging Josie zu weit. Was stritten sie so dämlich? Sie bemerkten Josies Lauschen an der Tür, Kashar hält sie am Kragen fest und die beiden Streithähne scheinen sich um den Titel des wortgewandtesten Kerls zu streiten. Da musste Josie auch noch ein Wörtchen mitreden: „Was seit ihr doch für schmierige Typen? Lass mich endlich los und biete mir gefälligst einen Stuhl an, Kashar. Oder gehört das heutzutage nicht mehr zum guten Benehmen?“ Kashar ließ sie verdutzt los und zeigte mit einer charmanten Geste auf einen Sessel am Kamin. „Danke!“, sagte Josie und setzte sich. Arthim lachte. „Sie ist wirklich Josie. Das war mal wieder typisch von ihr.“ Kashar blickte beleidigt drein. „Du musst es ja wissen!“ Nun meldete sich Josie erneut: „Würdest du mich bitte aufklären, Kashar, wer dieser Mann ist, was er hier macht und worüber ihr euch unterhalten habt? Übrigens, woher kennt er mich eigentlich?“ „Noch nicht. Du darfst im Moment nur einiges erfahren. Aber wenn du möchtest, nehmen wir dich mit durch das Tor von dem Gina gestern gesprochen hatte.“ „Von mir aus“, sagte Josie gelangweilt, obwohl sie das brennend interessierte. „Ich komme mit.“ Kashar und Arthim führten sie durch den Raum zu einer großen, alten, mit Gold versehenden Tür, in der die Worte «Trosius Dolgus» eingraviert waren. Kashar richtete seine rechte Hand auf die Tür und sprach: „Fenföus ĉhidus, Trosius Dolgus!“ Die Tür sprang augenblicklich auf. Josie wusste nicht warum, aber sie verstand einiges von diesen merkwürdigen Worten. Trosius bedeutete Tor und Dolgus war das Wort für Gold. Übersetzt hieß Trosius Dolgus also «goldenes Tor» oder «Tor des Goldes» Doch bevor sie sich noch weiter in ihre Träumereien vertiefen konnte, riss Josie eine Stimme aus ihren Gedanken: „Ladies first!“ Kashar bat sie, durch das Tor zu gehen, was sie sich nicht zweimal sagen ließ. „Josefine, du bist nun in Igeamus Telvis“, erklärte Arthim. Josie war sichtlich verwirrt. Sie fragte nach: „Und was soll der ganze Kauderwelsch bedeuten?“ Arthim sah sie verdutzt an. „Du scheinst mehr vergessen zu haben, als ich dachte. Das, …“ „Was soll das heißen: Ich hab was vergessen? Nichts habe ich vergessen. Ich bin Josefine, bin 17 Jahre alt und ein ganz normales Mädchen.“, empörte sich Josie. „Eben nicht!“, entgegnete jedoch Arthim. „Das was du soeben gehört hast, war Magical, die Sprache, die hier überwiegend gesprochen wird. Du bist hier geboren, Josefine. Vor über sechshundert Jahren.“ Plötzlich ging Kashar dazwischen: „Hör’ auf Arthim! Nicht so schnell! Eine Information nach der anderen!“ Die Worte von Kashar und Arthim führten letzten Endes dazu, dass Josie in schallendes Gelächter fiel: „Was faselt ihr da? Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich euch so eine schwachsinnige Geschichte abkaufe. Überlegt doch mal richtig! Wenn eure Geschichte stimmen würde, müsste ich ja schon älter als nur 17 sein.“ „Nicht unbedingt“, fuhr Kashar fort. Arthim ergänzte nun: „Du bist dem Telziklizus zum Opfer gefallen, wie wir alle!“ Wieder verstand Josefine kein Wort von dem, was die beiden Männer ihr sagen wollten. Kashars Miene zu urteilen hielt er Arthim für saublöd, was er ihm sogleich klarmachte: „Arthim, Arthim! Merkst du denn nicht, das Josefine kein Wort Magical versteht? Josie, ich meine Josefine, ich werde dir später alles genauestens erklären. Aber zunächst würde ich dir gerne die Gegend zeigen, damit du dich nachher ein Wenig auskennst. Doch ich muss dir eines sagen: Wunder dich nicht über die Wesen, die hier umherstolzieren!“ „Was für Wesen?“, fragte Josie beunruhigt. Kashars Antwort kam ein bisschen zögerlich: „Magische Wesen. Einige werden dir sicher gefallen. Andere hingegen solltest du meiden. Bei den Feen sind Menschen jederzeit willkommen. Vorsichtig aber bei den Elfen. Sie sind sehr nett, aber schreckhaft. Man sollte genau aufpassen, was man sagt. Elfen sind sehr leicht in ihrem Stolz verletzt. Das können sie dir übel nehmen. Den Einhörnern solltest du aus dem Weg gehen. Sie greifen dich an, wenn sie Angst bekommen. Aber keine Sorge, Einhörner zeigen sich nicht oft. Ich selbst habe erst dreimal eins gesehen, bin aber jedes Mal schnell weggerannt. Vorsicht vor dem Zentaur! Er ist meistens schlecht gelaunt. Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen.“ Jetzt musste Josie ihn einfach unterbrechen: „Kirschen? Nein danke! Hatte ich nicht vor! Lieber Erdbeeren. Kirschen mag ich nicht besonders.“ Kashar und Arthim lachten leise. „Oh doch! Du magst Kirschen sogar sehr gerne.“, sagte Arthim. Kashar vollendete: „Aber du bist allergisch gegen sie!“ Erstaunt sah Josie die beiden nacheinander immer wieder an. Dann endlich fragte sie: „Woher wisst ihr das?“ „Na hör’ mal!“, rief Arthim. „Ich werd’ doch wohl wissen, gegen was mein kleines Schwesterchen allergisch ist, oder?“ „Was? Schwester? Ich?“ Kashar sah Arthim wütend an. Arthim begriff. „Ups! Ich Plappermaul! Aber: Ja, es stimmt. Du bist meine Schwester, Josie.“ „Aber wie… und wieso…? Und wieso wusste es Kashar denn auch?“ Kashar und Arthim schauten sich fragend, schon fast Hilfe suchend an. „Nun ja, …“, begann Kashar. Mehr sagte er nicht. Sein Gesicht hatte den Ausdruck von Unbehaglichkeit angenommen. Deswegen sprach Arthim für ihn weiter: „Das … Es ist so … .“ Doch auch Arthim schaffte es nicht, den Satz vollständig zu beenden. „Arthim redet zu viel. Dieser Volltrottel hat dir schon mehr erzählt, als du verkraften kannst“, sagte Kashar schließlich. „Bitte versteh’ uns doch; versteh’ mich! Es gibt Dinge, die deine Gefühlswelt total aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Es war ein großer Fehler von Arthim, auszuplaudern, dass du seine Schwester bist, obwohl das eigentlich auch nicht ganz richtig ist. So etwas bringt dich durcheinander. Hab ich Recht?“ „Ja, du hast Recht. Ich verstehe das Ganze nicht!“ Auch Josie wurde immer unwohler in ihrer Haut. „Solche Informationen können auch gefährlich werden“, gab Kashar zu verstehen. „Also frage nicht weiter, bitte!“, fügte er hinzu als er sah, dass Josie den Mund aufmachte und einige Fragen kurz davor waren, herauszusprudeln. Sie hielt jedoch inne, drehte sich auf dem Absatz um, und rannte davon. „Josie, warte!“, rief ihr Kashar nach. Doch Arthim riet ihm davon ab ihr nachzulaufen. „Kashar, lass sie in Ruhe! Josie muss mit allem erst einmal fertig werden. Es ist zurzeit nicht gerade leicht für sie, das alles zu verstehen. Außerdem ist sie ohnehin schon über alle Berge. Die holst du garantiert nicht mehr ein. Josie ist in Richtung Elfental gerannt. Dort ist sie auf jeden Fall gut aufgehoben.“


4. Kapitel
Das Tal der Elfen




Josie rannte in der Zwischenzeit immer weiter, bis sie völlig außer Atem war und stehen blieb. Sie war so in Gedanken vertieft gewesen, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte, wohin sie gelaufen war. Denn plötzlich fand sie sich mitten im Wald, von unzähligen Bäumen umgeben, wieder. Sie blickte sich um und sah in der Ferne kleine bunte Lichter aufleuchten, die zwischen dem dunklen Gehölz und dem, Schatten des Waldes fröhlich vor sich hin funkelten. Auf einmal bemerkte sie, dass sich eines der Lichter rasend schnell auf sie zu bewegte. Sekunden später flog das kleine Licht direkt in ihr Gesicht und traf sie an ihrer Wange. „Autsch!“, rief Josie empört. „Verzeihung! Es tut mir wirklich Leid, aber ...“, entschuldigte sich das Geschöpf. Doch weiter kam es nicht, denn es wurde unterbrochen. Ein weiterer Lichtpunkt näherte sich. „Ennita! Wo bist du?“ Das Wesen, das mit Josie zusammengestoßen war, sagte leise zu ihr: „Versteck mich! Er darf mich nicht finden!“ Josie nickte mit einem Lächeln auf den Lippen und sagte, sie solle sich in der Innentasche ihrer Weste verstecken. Und das keine Sekunde zu früh, denn kurz darauf traf der zweite Lichtpunkt ein, der sich als ein männliches, libellenartiges Wesen herausstellte. „Nanu? Wer bist du denn? Du bist doch ein Mensch, richtig?“, fragte er geringschätzig. Josie antwortete mit: „Ja. Mein Name ist Josefine.“ „Angenehm. Ich bin Rinobias. Du hast nicht zufällig eine kleine Elfe hier vorbeiflattern sehen?“ „Eine Elfe?“, fragte Josie überrascht. „Ja, sie heißt Ennita und ist eine Elfe. Genauso wie ich.“, antwortete er genervt. „Ihr seid wirklich Elfen? Ich habe noch nie in meinem Leben echte Elfen gesehen“, sagte Josefine begeistert. „Na toll! Da kannst du dir was drauf einbilden! Du hast sie also nicht gesehen?“, fragte Rinobias. „Nein, wieso? Hat sie etwas angestellt?“ Rinobias schaute Josefine fast schon wütend an. „Nein“, antwortete er, „wir spielen Verstecken! Das Dumme ist, das sie meistens gewinnt. Sie soll auch mal verlieren.“ „Das verstehe ich, Rinobias.“ Im nächsten Moment ertönte eine leise Stimme aus Josies Westentasche: „Also gut. Ich gebe auf!“, flüsterte Ennita mit sanftem Lächeln und flog aus der Tasche heraus. Rinobias versah Josie mit einem Wie-war-das-doch-gleich?–Blick. „So. Du hast also noch nie Elfen gesehen, oder sogar eine vorbeifliegen sehen, geschweige denn eine von ihnen in deiner Westentasche verschwinden lassen?“ „Na ja, zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass sie eine Elfe ist, oder?“, spottete Josie. Rinobias hingegen lästerte: „Versteh’ doch einer die Weiber! Ich glaube ich brauch’nen Dolmetscher!“ „Nun halt aber mal die Luft an, ja? Was fällt dir ein, so über mich zu reden?“, schimpfte Ennita. „Ich habe von Weibern allgemein gesprochen und keine Namen erwähnt, Ennita!“ „Aber mich hast du damit auch einbezogeee-heeen!“ Ennita brach in Tränen aus. Rinobias wurde unruhig. „Ennita? Ennita, entschuldige bitte!“ Ennita drehte sich um, doch Rinobias flog vor sie und nahm sie in die Arme. Dann schlug Ennita die Augen auf, sah Josie an, zwinkerte kurz, streckte die Zunge raus, schloss ihre Augen wieder und heulte weiter. Kurz danach ließ Rinobias sie wieder los und sagte: „Warte hier! Ich komme gleich zurück.“ Mit diesen Worten flog er davon. Ennita wandte sich an Josie und lachte. „Hi, hi! Geht doch! Man muss sie nur um den Finger wickeln! Das klappt wunderbar, weißt du? Den Trick solltest du dir merken, für den Fall, dass jemand wütend auf dich ist. Sobald du dann anfängst zu weinen und das Unschuldslamm spielst, kriegen sie Mitleid und fressen dir aus der Hand! Ist echt praktisch, muss ich schon sagen!“ Im darauf folgenden Augenblick kam Rinobias zurück, der einen kleinen Blumenkelch in seinen Händen trug. „Hier Ennita, Blütennektar vom Feinsten. Der wird dich trösten!“ „Dankeschön!“, sagte Ennita mit einem freundlich-niedlichen Blick, bei dem Rinobias leicht errötete. „Keine Ursache!“, erwiderte er mit breitem Grinsen und flog wieder davon. „Wie ich schon sagte:“, begann Ennita ohne Josie anzusehen, „Man muss sie um den Finger wickeln!“ Dann verschwand auch sie. Josefine lachte eine Weile, als: „Komm doch mit!“ „Ahh!!!“, schrie Josefine. Sie sah, dass Ennita direkt vor ihren Augen flog. „Musst du mich so erschrecken?“ „Entschuldige, aber ich wollte fragen, ob du nicht mitkommen und unser Tal kennen lernen willst. Hast du Lust?“ Josie wusste genau, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie hatte sich schließlich verirrt! Die Elfe kam Josie gerade recht. Ihr zu folgen wäre sicherlich interessanter, als hier herumzustehen und sich eventuell noch weiter zu verlaufen. Außerdem war sie schon sehr gespannt darauf, wie die Elfen so lebten. Also stimmte sie zu und ließ sich von Ennita führen.

Währenddessen war unten im Dorf Unheil im Anflug. Kashar und Arthim saßen gerade in der Schänke und sahen dem Gaukler zu, wie er jeden damit zum Lachen brachte, dass er alle zehn Sekunden seine Jonglierbälle verlor. Arthim lachte amüsiert. „Ha, ha! Der sollte mal lernen, mit seinen Bällen richtig umzugehen, findest du nicht?“ „Auch, wenn es Absicht sein sollte, stellt er sich wirklich nicht äußerst geschickt an. Aber wie heißt es so schön: Schadenfreude ist die beste Freude, oder?“, sagte Kashar. „Ja!“, antwortete Arthim lachend. Einige Minuten vergingen und Kashar fragte sich, ob der Gaukler auch etwas Anderes beherrschte, als die Kunst, Dinge herunterfallen zu lassen. Plötzlich änderte sich die Stimmung im Saal schlagartig: Die Tür der Schänke wurde aufgestoßen und eine Kreatur in einem tintenblauen Samtumhang kam herein gestürmt und rief: „Wut und Unruhe machen sich im Innern des Zentaur breit. Seine Zerstörungslust vernichtete das Dorf der Kobolde, jenseits der Berge im Osten. Er muss aufgehalten werden, noch bevor er weitere Gebiete dem Erdboden gleichmacht! Kashar, nur du kannst ihn aufhalten! Der Zentaur ist auf dem Weg zum Nistplatz der Drachen.“ „Was?“ Kashar erschrak. „Aber wenn er bei den Kobolden war und jetzt zu den Drachen geht, wird er früher oder später das Tal der Elfen erreichen! Arthim, Josie ist in dieselbe Richtung gelaufen!“, schrie Kashar entsetzt. Arthim hielt die Luft an. „Los, Kashar, wir müssen uns beeilen!“ Das Wesen mit dem blauen Umhang ging auf Kashar und Arthim zu und sagte: „Draußen stehen zwei Pferde für euch. Behaltet sie! Ich brauche die beiden nicht mehr. Der schwarze Hengst heißt Lightning. Er ist der schnellere von beiden. Sunbeam ist der Name des weißen Hengstes. Viel Glück! Mögen euch die Götter des Waldes zur Seite stehen!“ „Chandra segne Euch, Nachtwandlerin.“ Kashar und Arthim stürmten nach draußen, schwangen sich auf ihre Pferde und galoppierten davon.

Im Tal der Elfen hingegen war es friedlich. Josie war überglücklich und fand es bei den Elfen wunderschön. Das Tal war für sie wie ein Paradies. Doch bald wird sie feststellen müssen, dass es auch dort gefährlich werden kann. Aber dazu kommen wir später. Im Moment ging sie nämlich gerade an riesigen Blüten vorbei, die – wie ihr Ennita erklärte – Wohnungen waren. Um Josie und Ennita herum türmte sich auf einmal ein Urwald voller exotischer Pflanzen auf, welche sich sogar über ihren Köpfen zusammen flochten. Ennita erklärte Josie, dass diese Pflanzen eine Art Begrüßung wären, die extra für den „menschlichen Besuch“ gelten solle. Da kamen auch schon die Elfen aus den so genannten Gebäuden heraus, um dem Besucher ein „Herzlich Willkommen“ zuzurufen. In dieser Sekunde fing die Erde plötzlich an zu beben. Zuerst nur relativ leicht, doch dann auf einmal so stark, dass sich Josie nicht mehr auf den Beinen halten konnte, hinfiel, und mit dem Kopf auf einen dermaßen harten Gegenstand fiel, dass sie sofort das Bewusstsein verlor. Die Pflanzen, Elfen und alles Andere was lebte zogen sich zurück. Nur Ennita, Rinobias und noch drei weitere Elfen blieben um zu versuchen, Josie wieder wachzurütteln. Doch es gelang keinem von ihnen. Der Platz, auf dem sich die sechs befanden, bestand nur noch aus einer grünen, bebenden Wiese. Plötzlich tauchte der Zentaur aus dem Wald auf und galoppierte direkt auf Josefine und die Elfenkinder zu. Die Kleinen hatten solche Angst, dass sie, ohne darüber nachzudenken, davonflogen und Josie alleine ließen. Josie wiederum wachte im selben Moment auf und wusste, in welcher Gefahr sie sich befand. Doch es war keine Zeit mehr, einfach aufzustehen und wegzurennen. Abgesehen davon wäre der Zentaur sowieso schneller als sie gewesen. Kurz gesagt: Josie war kurz davor, ihr Testament zu schreiben. Jetzt sah sie einen Schatten über sich. Sie kniff die Augen zu, als sie plötzlich gepackt und zur Seite gerissen wurde. Es war Kashar, der sich einfach dazwischen geworfen hatte. Als Josie es dann wagte, ihre Augen zu öffnen, sah sie wie Kashar versuchte, mit seinem Schwert gegen diese Bestie anzukämpfen. Doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Dann mischte sich Arthim ein, der ebenfalls verzweifelt versuchte, den Zentaur zu Fall zu bringen. Er holte einen Beutel aus seiner Tasche, während der Zentaur Kashar eine Kopfwunde zufügte, holte eine große Prise eines goldenen Pulvers heraus und schmiss es der Kreatur ins Gesicht. Der Zentaur fing an zu brüllen, verletzte Arthim und trat noch einmal den bewusstlosen und schwerstverletzten Kashar, bevor er selbst zur Seite wegkippte. Josie rief entsetzt: „Kashar!!!“ Sie rannte zu ihm hinüber und versuchte ihn wachzurütteln. „Kashar, ... Kashar, wach auf!“ Arthim zerrte Josie beiseite. „Mach Platz! Wir können nichts mehr für ihn tun!“ Josefine erschrak. „WAS?“ „War ’n Witz! Jetzt steh’ da nicht tatenlos herum, sondern hilf mir, ihn aufs Pferd zu hieven! Dazu bräuchte ich nämlich zwei Hände, aber da ich meinen rechten Arm aufgrund dieser blöden Verletzung zwangsläufiger Weise nicht bewegen kann, hätte ich ohne deine Hilfe ein ziemlich großes Problem!“ „Ist ja gut! Beruhige dich gefälligst! Natürlich helfe ich dir!“ Nachdem sie Kashar aufs Pferd gehievt hatten, ritten sie langsam wieder zurück zur Schänke. Dort angekommen mussten Arthim und Josefine erst einmal allen Schaulustigen die Frage beantworten, was denn nun geschehen sei. Alle lauschten gespannt Arthims und Josies Worten und waren sich einig, dass Zauberei im Spiel gewesen sein muss. Josefine verdrehte bei diesen Vorstellungen nur die Augen. Zauberei! So etwas Absurdes hatte Josie noch nie gehört. Selbst wenn dies wirklich stimmen sollte, weigerte sich Josie strikt dagegen es zu glauben. Auf einmal schien sich Kashar zu regen, und tatsächlich schlug er wenige Sekunden später die Augen auf. Josie, Arthim, sowie alle anderen Herumstehenden waren sichtlich erleichtert. Darum ärgerte sich Josefine umso mehr, als Kashar nichts Besseres einfiel, als zu sagen: „Hi! Mann, war das ein Kampf! Fast hätt’ ich das Zeitliche gesegnet!“ Und hinterher auch noch so dreist zu sein und in schallendes Gelächter auszubrechen! Das ging nun endgültig zu weit. Alle machen sich Sorgen um ihn, und ihm fällt nichts Weiseres ein als zu lachen! Josefine hielt Kashar nun ein für allemal für einen hoffnungslosen Fall. Josie stampfte wutentbrannt die Treppen hoch zu dem Zimmer, welches ihr zugeteilt wurde. „Dieser dämliche, törichte, schwachköpfige Kashar! Er ist irreführend und so ... unerreichbar. Nichts bekommt man aus ihm heraus. Außerdem wechselt er seiner Persönlichkeit, wie andere Leute ihre Socken. Das gibt es doch nicht! Ich hab’ echt die Schnauze voll von ihm. Ich gehe zurück nach Hause!“ Mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg zum «Trosius Dolgus», dem «Tor des Goldes». Unten in der Schänke saßen währenddessen Kashar und Arthim mit je einem Becher Wein in der Hand und ließen sich von vorn bis hinten bedienen. Als sie Josie hereingestürmt kommen sahen, versuchte Kashar sie davon abzuhalten, nach draußen zu rennen. „Hey, Josie!“ „Für dich bin ich immer noch Josefine, kapiert?“, unterbrach ihn Josie. „Von mir aus auch das. Wo willst du hin?“ Josefine antwortete nicht. Kashar begann erneut: „Ich hab’ dich etwas gefragt! Jo!“ Josefine drehte sich augenblicklich um, richtete drohend ihren Finger auf Kashar und sagte leise und ermahnend: „Wehe, du nennst mich noch einmal so! Dann kannst du aber was erleben!“ Dann hastete sie aus der Schänke zurück zum Tor. Doch was sie dort sah, versetzte sie erst in Verwirrung, dann in Panik. Dort, wo einmal das Trosius Dolgus gewesen war, war nichts. — Nichts außer einer Wiese, Wald und Landschaft, jedenfalls. Josie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wie kann so ein großes, prächtiges Tor einfach so verschwinden? Wie sollte sie nach Hause kommen, wenn diese verflixte Tür nicht da ist? Josefine rannte zu allen Seiten, um irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wo sie sein könnte. Schließlich können Türen ja nicht einfach aufstehen und wegrennen. Sie suchte jedoch vergebens. Josie brach in Tränen aus. In diesem Moment kamen Kashar und Arthim mit besorgten Mienen herangeeilt, und Arthim schloss Josie in die Arme, in denen sie sich erst einmal ausweinte.


5. Kapitel
Kurayami & Hikari




Kashar schlenderte wortlos einige Meter von Josie entfernt an einem wunderschönen See, in dem sich das helle Licht der frühen Morgensonne spiegelte. Alles schien einsam und harmonisch zu sein. Nur die Anspannung des vergangenen Tages lag zwischen ihnen. Nachdem Josie vergebens umhergelaufen war, um das Tor zu ihrer Welt zu finden, hatte Arthim versucht Josie zu beruhigen, was ihm nicht vollständig gelang. Er hatte sie zurück zur Schänke und auf ihr Zimmer gebracht, ließ sie dann aber mit ihren Ängsten allein. Doch ein neuer Morgen zeigte sein Gesicht und die überwältigenden Farben des Sonnenlichtes spendeten Josie Kraft und gaben ihr den Mut, den sie brauchte, um nicht vor ihrer Furcht zu kapitulieren. Josie sah Kashar nicht an, und auch sein Blick führte in eine unendliche Tiefe. Trotzdem hätte sie schwören können, dass er sich dazu zwang, etwas vor ihr zu verbergen. Aber obwohl sie so gut wie gar nichts über ihn wusste, kannte sie ihn dennoch gut genug, dass ihr klar war, er würde es nie zugeben. „Josie?“, fragte Kashar schließlich. „Josie, was...“ „Sag’ mal, Kashar...“, unterbrach sie ihn, „Woher kennst du mich eigentlich? Warum kennst du meinen Namen?“ Beide blieben stehen. Josefine drehte sich um und versuchte in seinen Augen eine Antwort zu finden. Doch Kashar wandte seinen Blick, welchen er gerade noch fest auf Josies smaragdgrüne Augen gerichtet hatte, von ihr ab setzte sich ins Gras und schaute einmal von rechts nach links über den rötlich schimmernden See, bis er sich schließlich an Josie richtete. „Es war nicht ihre Schuld“, fing er an. Josie verstand nicht, was Kashar damit meinte. „Was war wessen Schuld, Kashar?“, fragte sie nach. Kashar zögerte eine Weile. „Es war nicht die Schuld der Prinzessin, dass das komplette Reich in Chaos ausgebrochen ist.“ „Prinz...welche Prinzessin?“, stotterte Josie verwirrt. „Das ist unwichtig“, erwiderte Kashar. „Wichtig ist nur, dass sie unschuldig ist. Sie meinte, es sei alles ihre Schuld. Aber ich weiß es besser! Ich war es. Ich allein bin für die Zerstörung verantwortlich gewesen. Das habe ich ihr auch erklären wollen, aber sie hat mir nicht zugehört. Und jetzt ist es zu spät, denn sie ist tot. Durch mein Vergehen. Eine letzte Prophezeiung hauchte sie in unsere Ohren, bevor ihre Seele den Raum verließ: «Ich werde meine Seele weiterreichen, an das Mädchen das meiner würdig ist. Das Mädchen wird in ferner Zukunft geboren und ihr Name Josefine Taylor sein. Die großen Göttinnen gaben mir ihr Versprechen, diese Prophezeiung zu ermöglichen. Mögen die Gottheiten euch beistehen!». Dann ist sie verschwunden.“ Kashar fasste sich an die Stirn, so dass es den Anschein hatte als habe er starke Kopfschmerzen. Josie ging zu Kashar und setzte sich neben ihn. „Verstehe“, sagte sie mitfühlend. „Nichts verstehst du, gar nichts!“, schrie Kashar sie an. „Du ahnst nicht im Geringsten was es für ein Gefühl ist, für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich zu sein. Es ist als hätte ich sie höchstpersönlich und mit Genugtuung kaltblütig ermordet. So etwas könntest du nie verstehen.“ Josefine starrte Kashar verängstigt an. Sie wollte etwas sagen, irgendetwas, doch sie brachte nicht den kleinsten Laut hervor. „Das tut mir Leid“, sagte sie zu guter Letzt. Daraufhin war Kashar eindeutig perplex. Das spürte sie. „Was tut dir denn bitte Leid? Du hast mit der Sache doch nichts zu tun. ... Na ja, außer der Tatsache, dass du die Wiedergeburt der Prinzessin bist, vielleicht.“ „Es tut mir Leid, dass ich dich überhaupt erst danach gefragt habe. Ich wusste ja nicht wie grausam die Antwort ist, Kashar.“ „Ja, Josefine, ich weiß. Die Wahrheit kann in der Tat manchmal ziemlich grausam sein. Aber das damals ist nun einmal Schicksal gewesen. Zwar kein schönes, das gebe ich zu, aber ein Schicksal, dem wir nicht mehr entfliehen konnten. Deswegen ist es dein gutes Recht gewesen, danach zu fragen. Es muss dir wirklich nicht Leid tun.“ „Aber...“ „Es gibt kein Aber. Geschehen ist geschehen, da kannst auch du nichts daran ändern.“ Stille trat ein. Eine kurze Zeit lang saßen sie noch so da und schauten sich an. Dann ging Josie eine Frage durch den Kopf. Es hätte sie sehr interessiert zu erfahren, was damals eigentlich vorgefallen ist. Wie diese Prinzessin wohl war? Was war sie für ein Mensch? Josefine sah ein, dass sie nur eine Antwort darauf fände, wenn sie Kashar fragte. Jedoch kam sie erst gar nicht dazu, da Kashar zu reden begann. „Schon damals, als wir noch klein waren, waren Arthim und ich unzertrennlich gewesen. Meistens hielten wir uns im Schloss seiner Eltern auf, liefen dort durch die Gänge und spielten Ritter. Wir hatten so kleine Holzschwerter und Schilde. Manchmal haben wir ein wenig geschummelt und haben einen Schild mittels Magie errichtet. Aber nur wenn wir unseren Holzschild verloren. Die Prinzessin selbst habe ich nicht immer gesehen. Nur wenn ihr langweilig war, kam die Kleine zu mir und hat mich gefragt, ob wir nicht zusammen mit ihren Puppen spielen könnten. Sie bekam von mir immer dieselbe Antwort: <Nein, Jungs spielen nicht mit Puppen!!! > Arthim und ich waren gerade in dem Alter, in dem auch Jungs manchmal ganz große Zicken sein können. Jedenfalls hat sie daraufhin immer ihre Zunge rausgestreckt. Im Laufe der Jahre wurde sie dann immer freundlicher und dann wieder immer frecher, als sie etwa 15 Jahre alt war. Arthim und ich waren 1 ½ Jahre älter als sie. Ich habe mich von dort an immer gut mit ihr verstanden. Nein, Josefine, ich war nicht in sie verliebt. Das war’s doch, was dir auf dem Herzen lag, nicht?“ „Doch, schon. Aber woher ...? Kannst du Gedanken lesen?“ „Wenn du es so nennen willst! Aber wenn man es genau nimmt, durchdringe ich keine Gedanken, sondern das Herz eines jeden Wesens. So erkenne ich die sehnlichsten Wünsche aller.“ „Aber du reagierst immer auf meine Gedanken!“ „Wirklich? Das tut mir Leid. Dennoch kann ich an und für sich keine Gedanken lesen. Es muss einfach daran liegen, dass du das denkst, was dich tief in deinem Herzen beschäftigt. Anders kann ich es mir nicht erklären. Gut, dann wäre diese Frage auch schon mal geklärt. Doch wenn ich mich nicht irre, hattest du noch welche. Also: Wie die Prinzessin war, kann ich nicht so genau sagen, dafür kannte ich sie nicht gut genug. Sie hatte etwas von dir: Wenn sie etwas wollte, bekam sie es meist auch. ... Was damals vorgefallen ist, ist schwierig zu erklären. Es passierten Dinge, von denen du nur die Hälfte verstehen würdest. Es war nur Magie im Spiel, sonst gar nichts. Es wird eine Weile dauern, bis du alles verstanden hast, also pass auf!“

Kashar fing an zu erzählen, dass sie sich im Palast einer finsteren Herrscherin befunden haben, eingekesselt von unzähligen Ungeheuern. Von dem fatalen Fehler erzählte er nichts. Das machte er ihr auch klar, als er mit der Geschichte endete: „Das ist alles, was du zur Zeit wissen musst. Gerade genug, damit du im Bilde bist, und trotzdem besitzt du kein Wissen, dass dir vielleicht einmal gefährlich werden könnte.“ „Danke, Kashar! Danke, dass du es mir erzählt hast. Kashar, du hast gesagt, sie sei durch dein Vergehen gestorben. Meintest du damit diese Sache mit dem Schwert?“ Kashar legte seine rechte Hand an ihre Wange und schaute sie bekümmert an. „Ich wünschte es wäre nur das!“ Mit diesen Worten wandte er sich schnell von Josie ab und ging. War es Einbildung, oder kannte Josie den Grund für Kashars plötzliches Verschwinden? Hatte sie tatsächlich Tränen in seinen Augen gesehen?


Kurayami war allein im Thronsaal. Sie trug eine lange schwarze Robe aus Seide mit blutrotem und saphirblauem Muster und goldenen Arabesken. Ihre Kopfbedeckung, die ein ähnliches Aussehen besaß wie die schmale Krone eines Pharaos, bestand aus demselben Gewebe. Ihr war anzusehen, dass sie nachzudenken versuchte. Plötzlich fuhr sie hoch, stand mit einem Ruck auf und eilte die dreizehn Stufen, die zu ihrem goldenen Thronsitz führten, herab und ging zu einem gigantisch großen Portrait eines jungen Mannes. Dort angekommen bleibt sie stehen und sah sich um. Niemand zu sehen. Der Rahmen des Bildes bestand aus purem Gold. Er war verziert mit vielen Verschnörkelungen, welche Ranken darstellen sollten. Überall an dieser Kletterpflanze hingen majestätische goldene Rosen. Nur an der linken unteren Ecke des Bilderrahmens sah man eine noch geschlossene Knospe. Diese drückte Kurayami (oder die schwarze Königin, wie sie oft genannt wurde) ein und trat zur Seite. Das Bild schwang zur Seite und gab den Weg zu einem riesigen, finster aussehenden Raum frei. Er glich einer normalen Bibliothek. Bis auf die Tatsache, dass sich in der Mitte des Raumes unzählige Reagenzgläser und Zauberkessel befanden. Kurayami ging geradewegs auf ein Regal zu und nahm eine gläserne Kugel heraus. Sie stellte sie auf einen freien Tisch in der dunkelsten Ecke des Zimmers. Dann setzte sie sich hin und ließ ihre beiden Hände immer wieder über die Kristallkugel kreisen. Die Kugel fing an, gelb zu leuchten. Es war kein dunkles Gelb. Nein, es war eher das Gelb das eine Zitrone besitzt, wenn sie noch nicht ganz reif ist. In der Mitte des blendenden Balls schwirrten tausende von eisblauen und feuerroten Lichtern, bis der Kristall mit einem Male pechschwarz wurde. Durch die rätselhaften fremden Zauberformeln der dunklen Herrscherin bekam der schwarze Feuerball einen dämonischen, violetten Glanz und die Augen der Kaiserin vertieften sich immer mehr in dessen Aura. „Wo ist sie? Zeig mir, wo sie ist!“, beschwor sie die Kugel. „Wo hat sich Hikari versteckt?“ Das schwarze Geflimmer verschwamm, und machte den Weg für ein fiktionsartiges Bild frei. Es war nicht genau zu erkennen, was es darstellte. Eine Person, recht groß, gut gebräunte Haut, breite Schultern, perlweißes Gewand mit langem, gleichfarbigen Umhang. Das Bild wurde schärfer. Nun war auch noch sein markanter und harter Gesichtsumriss zu erkennen, seine treuen, weichen, ultramarinblauen Augen. „Kashar! Oh, wenn ich dich erwische, kannst du dich auf etwas gefasst machen. Wenn die Prinzessin wirklich bei dir ist, dann,... dann,.........Na warte!“ Mit diesen Worten sprang sie blitzartig auf, stürmte aus dem Zimmer und verschloss es wieder, damit niemand hinter ihr Geheimnis kommen konnte. Dann rief sie ihre Kammerzofen und andere Dienerinnen, die ihr Reisekleidung, Schwert und Rüstung sowie Proviant brachten, den sie für die zehn Tage Reisezeit selbstverständlich benötigte. Die Stallburschen sattelten ihr Pferd, und drei erfahrene Krieger boten ihr Begleitschutz an. Aaron war mit seinen 29 Jahren der Älteste. Volto, der mittlere der drei Leibwächter, zählte immerhin 25 Jahre. Der Jüngste war trotz seines Alters (er war gerade 19) ein sehr starker und strategisch denkender junger Mann und ebenfalls erfahrener als die meisten Landsleute im gesamten dunklen Reich. Sein Name war Surion, benannt nach dem alten Gott Sorion, der Vater der Vernichtungsgöttin. So machten die Vier sich also auf den Weg.


Inzwischen hat auch Josie sich auf den Rückweg zur Schänke gemacht. Dort angekommen beschloss sie erst einmal zu frühstücken, denn als Kashar und Josie an dem Morgen den Gasthof verließen, war der Wirt noch nicht wach gewesen. Also bekam sie nun etwas zu Essen. Es gab Bauernfrühstück, dazu zwei Scheiben leckeren Schinken, eine Scheibe Brot und ... Moment mal! Wein am frühen Morgen? „Ähm, nein danke. Ich trinke morgens kein Alkohol!“, meldete sie sich. „Sach mal“, sagte der Wirt zu Kashar gewand, „Wo haste bitte diesen Backfisch aufgegabelt? Die is’scha noch ganz grün hinter de Ohr’n.“ Kashar musste grinsen. „Reg’ dich ab, Pottwal! Tu einfach, was sie sagt. Nimm den Wein wieder mit und gib ihr dafür einen O-Saft. Ist das Recht so, Josefine?“ „Ja! Danke Kashar.“ Der Gastwirt nahm den Krug wieder an sich und faselte: „Na wenn da man nix am Laufen is’!“ Das hatte Kashar mitbekommen. „Pottwal!“, sagte er eindringlich aber mit dem Anflug eines Lächelns, „Wir sprechen uns später!“ Der Wirt fing an zu lachen und sagte im Vorbeigehen: „Is’ gut min Jung.“ Jetzt lachte Kashar ebenfalls und das aus vollem Herzen. Josefine hatte ihn noch nie richtig lachen hören. Er wirkte so befreit. Kashar musste den Wirt schon lange kennen. „Ja, Josefine. Ich kenne ihn schon sehr lange. Fast mein ganzes Leben lang.“ Kashar nahm gegenüber von Josefine Platz. „Weißt du, meine Eltern sind damals spurlos verschwunden. Er hat mich großgezogen. Bevor er mich fand und mich zu sich nahm, war er Fischer. Er lebte in deiner Welt. Irgendwo im Norden von ... ähm ... irgendeinem Land am Meer. Ich glaube, er mag dich. Sonst hätte er dich nicht ‚Backfisch’ genannt. Das bekommen nur seine Lieblinge zu hören.“ „Du auch?“, fragte Josie neugierig. „Ha, ha, ha! Ja, ich auch.“ „Aber wie ist er denn in diese Welt gekommen?“, wollte Josefine nun wissen. Dafür kannte Kashar eine ganz einfache Antwort: „Na, wie du: Durch die Tür!“ „Sehr witzig!“ „Ich weiß, ich sollte Komiker werden.“ Kashar versuchte eindeutig, Josefine aus der Reserve zu locken. Doch da kam sie lässig gegen an und meinte nur: „Na dann viel Spaß! Das arme Publikum!“ Kashar fing an zu applaudieren. „Gut gekontert.“ Der Wirt kam wieder zurück. „Hier! Dein O-Saft, Backfisch.“ „Äh, ja, danke.“ „Lass es dir schmecken, >Backfisch<“, scherzte Kashar. „Fang’ du nicht auch noch damit an, Kashar!“, gab Josie wider. „Ha, ha, ha!“ Nanu? Kashar konnte ja fast nicht mehr aufhören zu lachen. Der Wirt setzte sich neben Kashar auf die Bank, welche unter seinem Gewicht zu brechen drohte. Er neigte sich zu Kashar hinüber und flüsterte: „Also wenn ich du wäre, Kashar, ...“ „Bist du aber nicht!“, unterbrach dieser ihn. „...würde ich mir diesen jungen Backfisch angeln.“, fuhr der Wirt fort, ohne Kashars Nebenkommentar zu beachten. „Du vergisst, dass ich kein Fischer bin, mein lieber Pottwal. Aber ich muss schon sagen, dass dieses Mädchen anders ist, als alle anderen. Das meine ich selbstverständlich im positiven Sinne.“ Josie hörte schon lange nicht mehr zu. Ihr war diese Unterhaltung zu primitiv. Typisch Männer! Da musste sich Josie nun wirklich nicht einmischen. „Watt meinst’e damit— »ANDERS«?“, wisperte der Gastwirt. „ Ich weiß nicht ...“, überlegte Kashar, „... Sie ist verletzbar, so ... verträumt. Und trotzdem verbirgt sie sich hinter einem harten Kern. Sie hat Angst durchschaut zu werden. Die Arme muss echt viel durchgemacht haben, im Leben. Ich habe Mitleid mit ihr. Sie meint, sie brauche keine Hilfe, aber ich werde ihr helfen, — sie beschützen.


„Sie kommt.“ „Wer kommt, Ehrwürdige?“ „Kurayami, die dunkle Herrscherin.“ „Was? Ich dachte immer, sie wurde vernichtet.“ „Das dachten wir alle. Selbst mich konnte sie täuschen.“ „Selbst Euch?“, ergründete der kleine Mann neben ihr, von der Erkenntnis seiner Meisterin höchst beunruhigt. „Selbst mich, ja.“ Die Meisterin senkte ihren Kopf, während sie zu ihm sprach und auch der kleine Mann wandte sich ab, um einfach zu gehen. Dann drehte er sich um, um noch eine einzige letzte Frage zu stellen: „ Aber, ...“, begann er, „... müsste das nicht heißen, dass die dunkle Herrscherin mächtiger geworden ist?“ Stille trat ein. Hoffnungsvoll sah er die Magierin, seine Lehrmeisterin, an und wartete bekümmert auf eine Antwort. Doch das minutenlange Schweigen sagte längst alles. Doch gerade als sie antworten wollte, wurde das Erstarren wie vom Blitz getroffen durch den Knall einer aufgerissen Tür unterbrochen. „Oh verzeiht mir bitte; ich wusste nicht, dass ihr einem Gast Eure Aufmerksamkeit erweist.“ „Ich bin Euch deswegen nicht böse, heiliger Erzengel Uriel, Euch doch nicht! Seid willkommen, treuer Freund! Wie lange ist es jetzt her, seitdem wir uns das letzte Mal sahen?“ „Das wollt Ihr nicht wissen!“ „Wie lange?“ „Genau drei Jahrhunderte ist es jetzt her.“ Die Meisterin war erstaunt. „Dreihundert Jahre? Das ist viel mehr, als ich erwartet hätte.“ Der Engel lachte. „Ich sagte Euch ja, dass ihr es nicht wirklich wissen wollt.“, sagte er amüsiert. Plötzlich wurde seine Miene ernster. Er trat näher an die Lehrmeisterin heran. Der kleine Mann entschuldigte sich und meinte, er habe noch allerhand zu erledigen und er müsse Vorbereitungen treffen. Die Frau dankte ihm für sein Erscheinen und ersuchte ihn zu einem anderen, geeigneteren Augenblick zurückzukommen. „Kommt näher!“, bat sie den jungen Mann, nachdem der Andere gegangen war. Langsam, aber mit zielstrebigen, sicheren Schritten schweifte er ins Licht, damit die Zauberin ihn genauer sehen konnte. „Ich habe nicht sehr viel Zeit, Herrin.“ „Ich weiß, Uriel.“


In der Schänke wurde Josie mittlerweile unruhig. „Was redet ihr da die ganze Zeit über mich?“ Kashar wandte seinen Kopf schlagartig vom Wirt ab und blickte Josie für einen Moment an. „Deine Augen sind so blau wie die Nacht und ich glaube, darin die Sterne zu entdecken.“ Kashars Gesicht war nun sehr nahe an Josie ihrem. Zu nah, nach Josies Geschmack. Fast, aber auch nur fast berührten sich ihre Nasenspitzen. Während Kashar weiterhin forschend in ihre Augen sah, spürte Josie, wie sie langsam aber sicher rot anlief. Mit einem Satz sprang Josie auf und schrie Kashar an. „D... Das war k...keine Antwort auf meine ..., meine ..., Frage.“, stotterte sie. „Ach wirklich?“, sagte Kashar übertrieben gespielt und stützte seinen Kopf mit der Hand ab. „Entschuldige bitte. Wie war denn die richtige Frage?“ Josie hielt inne. Da hatte sie doch tatsächlich vergessen, was sie vor wenigen Sekunden von ihm wollte. Wie peinlich! Josies Gesicht bekam wieder ein wenig mehr Farbe. „Ich … ich … Entschuldigt mich, ich gehe nach oben und nehme ein Bad, falls es euch nichts ausmacht?!“ „Uns doch nicht!“, antwortete Kashar mit seinem perfekt charmanten Lächeln. Rasch drehte sie sich um und eilte geschwind auf die Treppe zu. Auf einmal wurde ihr schwindelig und die Umrisse des Raumes und der Menschen, die sich in ihm befanden verschwammen vor ihren Augen. Die Beine gaben schwach unter ihrem Körpergewicht nach und sie verlor das Gleichgewicht. Sie versuchte noch, so schnell wie in ihrem Zustand möglich, sich am rettenden Treppengeländer festzuhalten. Doch sie stolperte sogar über ihre eigenen Füße, bevor sie endgültig den Orientierungssinn verlor, ihr schwarz vor Augen wurde und Sie einen stechenden Schmerz am Hinterkopf spürte, der vermutlich auf der scharfen Kante einer Stufe aufschlug. Das Letzte was sie vernahm war, wie eine große Menge einer Flüssigkeit langsam ihren Nacken herunter lief und das Letzte was sie hörte, war ein lauter erschütternder Schrei. „JOSIE!!!“


..... (fortsetzung folgt)

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
an all meine "Engel der Muse"

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