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Wir erwachen, gehen unserem Tagwerk nach, legen uns wieder schlafen.
Wir werden geboren, leben und sterben eines Tages.
In der Zeit in der wir leben treffen wir Menschen, die wir mögen, die wir hassen und manche lieben wir sogar. Eigentlich sollte unser Leben immer mit der Liebe beginnen, und zwar wenn ein liebender Vater, die Geburt seines Kindes verfolgt, oder die liebende Mutter, die ihr Neugeborenes das erste Mal in die Hände nimmt. Sie strahlt über alles. Das Kind sieht ihr lächeln noch nicht, aber spürt die Wärme und die Zuneigung seiner Mutter in sich. Leider ist dem nicht immer so, und wenn es doch so liebevoll beginnen mag, werden die meisten Menschen von ihrem Alltag und den Menschen mit denen sie sich Umgeben verdorben. Sie machen es nicht absichtlich. Sie tun es, weil es ihnen nicht besser widerfahren ist. Ich nehme immer gerne das Gleichnis der Rose, die Rose kann rein sein, wenn sie weiß ist, sie kann Liebe symbolisieren, wenn sie rot ist und Freundschaft, wenn sie gelb ist. So sehe ich in Menschen häufig Blumen, die in den großen Stahlbauten der Stadt leben.

Ich laufe durch ihren Lebensraum, schaue sie an und sehe ihre Wunden. Viele lassen ihre Köpfe hängen, als wenn ihnen das Wasser zum Leben fehlt und anderen kann man nicht einmal mehr ansehen, welche Farben ihre Blüten einst hatten. Sie werfen nur noch einen dünnen langen Schatten, der schwach ihren dünnen knorrigen Körper auf den Asphaltboden abbildet. Er ist nicht besonders scharf, da ihre Körper mit Dornen überseht sind und ihr Stiel sich wie ein Dornengestrüpp geformt hat. Sie wollen es nicht, aber sie verletzen mich. Sie kratzen mit ihren Dornen an meiner Blüte und bringen mich dazu den Kopf zu senken wie sie. Wenn ich durch die Massen hindurchgehe weichen sie mir aus, aber ihre Gedanken und Blicke sind ihre wahren Dornen, die mich durchdringen. Sie tun es, weil sie es so gelernt haben, weil es ihnen genauso angetan wurde. Ich spüre, wenn ich eines meiner Blütenblätter verliere. Es sind die Tage, an denen ich einfach weine ohne Grund. Momente in denen ich wichtige Menschen meines Lebens verloren habe und Wochen der Einsamkeit, die mich in die Verzweiflung trieben. Niemand kann uns die Blätter unserer Blüte wiederbringen. Doch hinter all diesem Schmerz und dieser Trauer finden wir einen Lichtblick.

Der Weg vor mir erhellt sich. Ich schiebe mich weiter durch die Massen hindurch und finde sie. Eine weiße Rose, wunderschön, mit allen Blüten und so aufrecht stehend das Sie alle überragt. Ich bin fasziniert von ihr, freue mich, spüre ein leichtes kribbeln in meinem Bauch und gehe einen Schritt auf sie zu. Sie hat mich bemerkt und schaut mich an. Sie zeigt mir mit ihrer Haltung, dass ich näher kommen soll! Ich soll sie ansprechen! Sie will mit mir sprechen!
Ich bleibe stehen!
Um ihr hat sich ein Kreis gebildet und die Dornen weichen vor ihr zurück. Ich stehe alleine im inneren Kreis mit ihr und blicke in ihren erwartungsvollen Blick. Sie war einfach wunderschön und unberührt, als wenn sie gerade erst geboren wurde und ihre Mutter und Vater sie gerade erst liebevoll geküsst haben, bevor sie sie in die Welt entlassen haben. Die Luft schien leise zu knistern. Ihr Blütenstiel erinnerte mich nicht an den einer Rose, er besaß keine Dornen und war einfach perfekt.

Ich drehte mich um, wandte mich ab und schritt davon. Ich spürte die Angst in mir, die Angst davor etwas so Perfektes zu zerstören, oder zu verletzen. Ich selbst war zwar noch nicht ohne Blüte, aber ihr, war ich einfach nicht würdig. So pochte schmerzhaft mein Herz in meiner Brust und mit ihm mein Schritt. Ich entfernte mich durch die Dornen und das Gestrüpp. Eine kleine Träne machte sich auf meiner Wange bemerkbar, gefolgt von weiteren ihrer Brüder und Schwestern. Ein "Hey du" verfolgte mich noch und verstummte bald wieder. Ich blieb stehen und schaute zurück. Sie leuchtete immer noch weiß aus der Ferne zu mir, doch ihr Blick war leer und nicht mehr fixiert. Sofort kam Verdacht in mir auf. Ich sah zur Seite von mir. Dort lag es verkümmert und klein auf dem Boden.
Mein letztes Blütenblatt.

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Tag der Veröffentlichung: 06.05.2011

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