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Zwiebelsuppe

 

Wer kennt sie nicht, die lecker duftende Suppe mit den vielen Zwiebeln, die eigentlich ziemlich klar aussieht, pardon, aussehen sollte...
Am Sonntag gab es bei uns eine etwas andere Variation der Zwiebelsuppe: nicht mehr klar, und vor allem: nicht mehr so ganz flüssig, und das kam so:

"Du, Mama, soll ich heute mal für uns kochen?", fragte Leon, als er hinter meinem Schreibtisch im Wohnzimmer stand. Abrupt löste ich mich von meinem Computerbildschirm und sah ihm ins Gesicht. Den bittenden blauen Augen mit dem unübersehbaren Drang, etwas Neues auszuprobieren, konnte ich als Mutter nichts entgegen setzen.

"Meinetwegen!", antwortete ich gedehnt, weil es mir nicht recht war, hinterher eine unaufgeräumte Küche vorzufinden, doch mein Stolz auf seinen Drang, sich als Zwölfjähriger so etwas zuzutrauen, war größer. Nachdem ich den Schreibtisch verließ, ging ich mit ihm zur angrenzenden, offenen Küche.

"Dann lass uns mal im Kochbuch nachschauen, was es zu Essen geben soll."

Wir standen vor der Anrichte in der kleinen Küche und blätterten Seite um Seite des bebilderten Kochbuches durch.

"Die Tomatensuppe sieht ganz lecker aus!", meinte Leon.

"Das stimmt, aber ich habe keine Tomaten eingekauft. Basilikum habe ich auch nicht hier."

Seufzend blätterte Leon weiter und ich schaute über seiner Schulter zu.

"Was hältst du von der Zwiebelsuppe?", fragte ich ihn, "Zwiebeln und Brühwürfel habe ich hier."

Leon drehte sich zu mir um. Die Augen unter seinen blonden Ponyfransen strahlten Optimismus aus.

"Okay, Mama, dann mache ich für uns die Zwiebelsuppe und du kannst wieder am PC arbeiten. Ich komme schon klar."

Ich verkniff mir weitere Fragen und setzte mich an den PC zurück, aber statt zum Bildschirm des Computers zu blicken, schaute ich mehr über die Schulter zur Küche.

Mein Sohn stand in der Küche seinen Mann: er holte das kleine Schälmesser aus der Lade, schnappte sich den Beutel mit Zwiebeln und begann - mutig wie ein Ritter - eine Zwiebel zu häuten. Im nächsten Moment, in dem ich zum PC geschaut hatte, hörte ich, wie er in der Küche die Besteckschublade öffnete. Ich runzelte die Stirn, drehte mich zu ihm um und riss verwundert die Augen auf, als ich quer zwischen seinen Lippen etwas Befremdliches entdeckte.

"Wieso hast du den Löffel quer im Mund?"

"Hack nal geleden, dach nang gavon nichk so reinen grauch!", antwortete er etwas undeutlich, ehe weitere Zwiebeln von der Schale befreite.

Ich ließ ihn machen, bis er die restlichen Zwiebeln ins offene Regal zurückgelegt hatte und kam zu ihm in die Küche, um zu sehen, ob er mit der Küchenmaschine klar kam. Noch immer hatte er den Löffel zwischen seinen Zähnen, aber weder eine Träne im Gesicht oder gerötete, brennende Augen.

Leon entfernte den Löffel zwischen den Zähnen, holte anschließend die Flasche mit dem Sonnenblumenöl aus dem Schrank, goss die im Kochbuch angegebene Menge in die Küchenmaschine und legte die Zwiebeln hinein.

Nach einem lauten Pieps war meine gute Küchenmaschine einsatzbereit und zerkleinerte die Zwiebeln mit lautem Getöse in Stückchen. Anschließend stellte Leon die Küchenmaschine, wie im Rezept beschrieben, auf Dünsten .

"Mama, du kannst ruhig wieder gehen!", sagte er.

Wortlos ließ ich ihn in der Küche zurück und widmete mich meiner Schreibarbeit.

Inzwischen drang der Duft von in Brühe köchelnden Zwiebeln zu mir herüber und ich hörte, dass Leon ganz gut klar kam.

Pieppiep, drang es aus der Küche herüber.

Warum hat er die Wiegefunktion eingeschaltet, fragte ich mich und schaute über die Schulter. Leons Oberkörper war hinter der geöffneten Oberschranktür verschwunden, aber ich sah, dass er eine gelbweiße Packung in der Hand hielt und langsam etwas in die köchelnde Flüssigkeit einrieseln ließ.
"Du Mama, wir haben kein Weichweizengrieß, aber ich habe mir gedacht, Hartweizengrieß müsste ja auch gehen.", rief er mir aus der Küche zu.

Grieß? In Zwiebelsuppe?

"Stopp!", rief ich ihm zu, erhob mich so schnell vom Stuhl, als hätte ich eine Heftzwecke im Popo gespürt und hastete zur Küche.

Leon stand wie angeklebt in der Küche, hielt die Grießpackung in der Hand und sah mich mit großen Augen an, ehe ich mich übers aufgeschlagene Kochbuch beugte und von oben bis unten und von rechts nach links nach der Zutat Weichweizengrieß suchte. Schließlich blieb mein Finger unter einem Wort haften.

"Oh man, da hast du dich in der Eile aber verlesen: das steht nicht Weichweizengrieß, sondern Weißwein."

Ratlos starrten ich zur herzhaft duftenden Brühe, in der sich der Grieß langsam aber sicher festigte, und Leon, der zunächst etwas gekränkt war, löffelte später tapfer mit mir die Suppe, pardon, den Zwiebelgrieß aus...

 

 

 

Abwarten

 

 

„Wie konnte das nur passieren?“, fragte ich mich zum wiederholten Male und fand keine Antwort darauf. Tränen wollten mir einfach nicht kommen, als ich in der beginnenden Dämmerung auf dem großen, gepflasterten Platz stand, während der feine Nieselregen mir die Sicht verschleierte. Die Bäume rings herum wiegten sich im Wind und vereinzelnd fuhren Autos auf der nahe gelegenen Straße an mir vorbei. Ihre Motorengeräusche klangen wie eine traurige Melodie, wie die Untermalung eines Melodrams, in dem ich die Hauptrolle spielte, da ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte.

„Was ist denn mit dir los?“, hörte ich und schaute auf. Vor mir stand ein schwarzer Muskelprotz, der mich frech angrinste, als ob er sich über meine Situation lustig machen würde.

„Das wirst du nicht verstehen“, antwortete ich ihm, doch er beharrte mit seinem frechen Grinsen auf Antwort.

„Ausgemustert hat er mich!“, schniefte ich vor Selbstmitleid. Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, weil sein freches Grinsen einfach nicht aus seinem Gesicht wich.

„Hat er dich gegen eine jüngere eingetauscht?“, fragte er mit einer Spur Mitleid in der Stimme.

„Wenn es das wäre!“, entgegnete ich dem Protz, „Eine Ältere hat er sich genommen!“, antwortete ich leise, aber das spöttische Lachen darauf war unüberhörbar und erfüllte den Platz.

„Dabei waren wir fünf Jahre lang ein Superteam! Ich habe immer alles gegeben! Er konnte mit mir machen, was er wollte und ich war mir nie zu fein dazu. Vielleicht hätte ich etwas ändern können, wenn ich mich ab und an geweigert hätte bis ans Ende meiner Kräfte zu gehen…“

Seufzend blicke ich mein Gegenüber an.

„Meinst du?“, fragte er ruhig.

Nachdenklich starre ich zu meinen schwarzen Schuhen hinunter und seufzte leise.

„Vielleicht lag es ja an meinem Aussehen, dass er sich die Ältere genommen hat.“

„Das glaube ich nicht. Wer weiß, welche Vorzüge die Ältere hat.“, meint er.

„Sie hat eine größere Klappe, aber ist das ein Argument, um mit ihr wegzufahren und mich wie Alteisen auszurangieren?“

„Du darfst das Ganze nicht zu schwarz sehen! Kopf hoch, Mädchen, du bist noch jung und siehst richtig gut aus! Irgendwann wird sich bestimmt wieder jemand für dich interessieren! Du musst nur abwarten.“

„Meinst du?“, frage ich vorsichtig und hebe meinen Blick.

„Sicher! Schaue dich doch hier um! Wir alle stehen hier und warten auf einen neuen Besitzer, und meines Erachtens bist du mit deinem roten Lack zwischen all den schwarzen und silberfarbenen Autos der auffälligste Kleinwagen hier auf dem Hof des Autohauses.

 

Die Entscheidung für Silke

 

„Heute Abend wird es später“, sagte Silke fast nebenbei am Frühstückstisch, „Frau Meierbernd hat eine Teambesprechung anberaumt…“

Silke setzte die Kaffeetasse an die Lippen.

„Hast du gestern schon gesagt…“, bemerkte Jürgen trocken.

„Ich habe mit Flo gesprochen!“, erwiderte Silke im scharfen Ton ihrem Mann, der sich vorsorglich hinter dem Lokalteil der Zeitung verschanzte.

„Eiszeit?“, fragte Flo peripher, sah abwechselnd seine Mutter und Jürgens großen Hände an, ehe er den letzten Bissen seines Schokobrotes in den Mund schob.

„Nein!“, beschwichtigte sie schnell und schaffte es sogar, ein einigermaßen taugliches Lächeln aufzusetzen.

„Ich habe momentan viel um die Ohren…“ Silke stand vom Tisch auf und räumte ihre Tasse in die Spülmaschine.

„Vergiss nicht, dir ein Brot für die Schule zu machen…“

„Ja, Mama, ich bin fast fünfzehn und kenne deine Litanei schon auswendig: Brot mitnehmen, was zu Trinken einpacken, pünktlich aus dem Haus gehen, Schlüssel nicht vergessen…“

Silke lächelte ihrem Sohn zu und Jürgen ließ die Zeitung in der Hoffnung auf einen Abschiedskuss von Silke sinken.

„Komm bitte pünktlich nach Haus, damit Florian nicht so lang allein bleiben muss…“

„Du weißt doch, dass ich mich immer beeile!“

Bei seinen Worten fielen Silkes Mundwinkel zum Kinn hinunter.

„Ach, das soll ich dir glauben!?“, fauchte sie.

Jürgen biss sich auf die Lippen; die Bemerkung hatte den wunden Punkt getroffen, und er sah Silke tief in die Augen.

„Silke, ich liebe dich!“

Es klang wie die verzweifelte Bitte eines Durstigen um Wasser.

„Wo sind die Beweise?“ Silke stemmte dabei ihre Hände in die Hüften. Das war nie gut – wusste er aus Erfahrung – und zog es vor, den Artikel über den demografischen Wandel zu studieren.

„Erkundige dich bei deinen Kollegen nach dem Stand der Dinge in der besagten Sache…“

„Mm“, brummte Jürgen nur, und widmete sich abermals dem Lokalteil, während

Silke mit einem letzten Tschüß – wie jeden Morgen um kurz nach 7 Uhr – die gemütliche kleine Küche der Wohnung verließ, um die lange Strecke zur Arbeitsstelle nach Südsindzingen zurückzulegen.

„Du sag mal, Jürgen…“

Jürgen klappte die obere Zeitungsecke um und sah den Jugendlichen an, der betont langsam sein Schulbrot schmierte.

„Was meinte Silke mit der besagten Sache?“

„Ach, nichts Wichtiges…“ Jürgen verbarg sein Gesicht abermals hinter der Lektüre.

„Doch!“, konterte Florian, „Es muss wichtig sein, weil Ma sich momentan doch nur für wichtige Dinge interessiert!“

Jürgen seufzte und ließ die Zeitung sinken.

„Okay, für deine Ma und für mich ist es wichtig…“

„Dann ist es auch für mich wichtig!“, beharrte Florian und heftete seine Augen voller Interesse auf Jürgens Gesicht.

Jürgen ließ die Arme auf die Zeitung sinken und wich Florians Blick aus.

„Nix da!“, erklärte er, „Für dich ist es nicht wichtig!“, dann blickte er zur Armbanduhr.

„Wichtiger wäre jetzt, dass du dich beeilst, um zur Schule zu kommen!“

Florian zog einen Flunsch und legte sein fertiges Schulbrot in die Brotdose.

„Aber ihr sagt es mir noch?“

„Vielleicht Morgen…“

Florian grinste, nahm seine Brotdose und verschwand aus der Küche.

„Tschüß Jürgen“, sagte er noch, ehe er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss zog, doch Jürgen saß fast regungslos am Küchentisch und starrte zum Fenster hinaus, als ob er wieder den Specht am Stamm der wuchtigen Tanne beim Pochen beobachten würde, wie zwei Wochen zuvor…

Der Specht in der Tanne… Die Aktentasche mitnehmen und das Haus verlassen… Zum Kombi an der Straße gehen… Den Kieselstein auf dem Autodach entdecken… Wütend auf Florian werden… Näher heran kommen und sehen, dass der Kiesel als Beschwerung für ein weißes Blatt dient, das ganz sacht im Wind flattert… Den Kiesel anheben… Das Blatt in die Hand nehmen und den Text auf der Unterseite lesen, der aus ausgeschnittenen, und aufgeklebten Zeitungsüberschriften bestand:

„Anstatt Silke zu fragen, von wem sie geliebt wird, solltest du dich fragen, welchen Sinn diese Botschaft hat. Aber ich kenne dich… Du mich auch?“

 

Jürgen saß schon den ganzen Vormittag am Schreibtisch in der Polizeidienststelle der Kreisstadt und starrte grübelnd Löcher in die Luft, anstatt sich der Aktenberge zu erbarmen.

„Was ist los mit dir, Jürgen?“

Jürgen zuckte zusammen und sah auf. Sein Kollege Thorsten stand mit kraus gezogener Stirn neben ihm am Schreibtisch.

„Ach, Thorsten…“, seufzte er, „Meine Frau beteuert immer noch, sie wisse nicht, von wem die Nachricht stammt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihr glauben kann…“

Jürgen strich nachdenklich mit seinen Händen über den gestutzten Bart.

„Sie müsste doch wissen, ob, und von wem sie geliebt wird!“

Thorsten lehnte sich an den Schreibtisch an. „Du hast doch Sebastian gebeten, das Papier und den Stein kriminaltechnisch zu untersuchen…“

„Der hat sich noch nicht gemeldet… Und Silkes Überstunden…“

Jürgen blickte zur Schreibtischplatte.

„Der Sinn der Botschaft… ich tappe im Dunkeln, und der Typ kennt mich, aber mir fällt nicht ein, wer das sein könnte…“

„Ach“, wiegelte Thorsten ab, „warte einfach ab, was Sebastian herausfinden kann…

Sieh mal, er kommt gerade mit einer Akte an…“

 

Jürgen nahm seine Aktentasche, klemmte sich die Akte unter den Arm und verließ das Dienstgebäude. Kurz darauf saß er schon in seinem Kombi. Nachdem er die Akte auf dem Beifahrersitz gelegt hatte und die Aktentasche im Fußraum davor stand, holte er sein Handy aus der Gürteltasche hervor und wählte Evas Rufnummer.

„Ja?“

„Hallo Eva…“ Jürgen starrte zum Armaturenbrett, ohne es zu betrachten.

„Ach, hallo Jürgen!“ Evas Stimme klang verführerisch, und Jürgen gönnte sich beim Gedanken an ihren wunderbar schönen Anblick ein Grinsen.

„Hast du Zeit für mich?“

„Hat Sebastian was wegen der mysteriösen Botschaft herausgefunden?“

„Ja, das hat er, aber deswegen rufe ich nicht an… Sei in einer halben Stunde auf dem Autobahnparkplatz!“

„Oh, der wehrte Herr möchte sein Vergnügen…“

„Ja, was dachtest du denn? Ich will dich spüren! Du mich doch auch!“

„Doch, gerne… Ich habe nur ein Problem: ich kann mich nicht davon machen…“

„Jetzt stelle dich nicht so an! Das hast du doch sonst auch regeln können!“ Jürgen war lauter geworden, als üblich und er biss sich auf die Zähne.

„Heute ist es leider nicht möglich… Schwiegermutter hat Geburtstag, und wenn ich nicht erscheine…“

„Na dann… Wann können wir uns denn wieder treffen? Morgen?“

„Ich weiß es noch nicht; ich rufe dich morgen an, okay?“

„Meinetwegen… Okay, bis dann.“

Eva beendete das Gespräch und Jürgen zog einen Flunsch, weil der erste Teil seines Abends nicht nach Plan verlaufen würde…

 

„Hallo Schatz!“

Silkes fröhlicher Gesichtsausdruck schwand, als sie Jürgen mit verschränkten Armen am Küchentisch sitzen sah. Die fahle Beleuchtung überm Tisch betonte die Grübelfalten auf seiner Stirn; diese, und die graue Akte auf dem Tisch verhießen nichts Gutes! Silke schluckte und kam langsam näher.

„Deine Kollegen haben was herausgefunden?“

Jürgen starrte Silke ganz ernst an, ehe er betont langsam redete.

„Ja, Sebastian hat viel heraus gefunden…“

Silke setzte sich an den Tisch und sah Jürgen in die Augen. Ein wenig Angst schwang in ihrem Blick, und sie versuchte, die geschlossene Akte auf dem Tisch – so gut es ging – zu ignorieren.

„Der Kiesel…“ Jürgen zog die Worte - für Silke qualvoll - in die Länge.

„…kann von überall her sein… Die Fingerabdrücke…“

„Sag es schon!“, drängte sie ihn, und setzte sich weiter vorne auf die Stuhlkante.

„Die Fingerabdrücke sind polizeilich nicht erfasst.“

„Also ist nichts bewiesen!“ Silke atmete erleichtert auf und lächelte.

„Ich wäre mir an deiner Stelle nicht so sicher!“

Silkes Schultern sackten hinunter und ihr Lächeln löste sich wie eine Fata Morgana im Nichts auf.

„Sebastian hat herausgefunden, dass die aufgeklebten Buchstabenschnipsel aus der Sindzinger Zeitung stammen …“

Jürgen beobachtete Silkes Gesicht. Weit aufgerissene Augen starrten ihn an, und ihr Mund stand staunend offen. Doch sie fasste sich wieder.

„Die Zeitung hat eine Auflage von 500.000 Exemplaren!“

„Ja, und einer der Leser ist der, der dich liebt…“

Jürgens Blick war starr auf Silke gerichtet. Sie rang nach Luft und kämpfte mit den aufsteigenden Tränen in ihren Augen.

„Ich weiß nichts davon! Und außer den drei Kollegen kenne ich niemanden aus Sindzingen!“

„Garantiert doch!“

„Nein!“ Silke schrie es fast heraus, und eine erste Träne kroch über ihre Wange.

„Doch! Deine Kolleginnen!“

Silke merkte, wie ihre Kinnlade hinunter fiel, und sie vergaß beinahe das Atmen.

„Die Botschaft wurde von einer Frau verfasst; die DNA- Spuren können nicht lügen! Wer ist es? Frau Meierbernd?“

„Du… du denkst, ich bin…“

„Beweise…“, begann Jürgen, doch Silke unterbrach seinen Satz, indem sie ruckartig ihren Stuhl nach hinten schob.

„Du spinnst!“, entgegnete sie scharf. Sie flüchtete vom Tisch, und Jürgen zog es vor, den Rest seines unvollendeten Satzes `Beweise mir das Gegenteil´ für sich zu behalten, als die Küchentür mit lautem Knallen ins Schloss fiel.

Der zweite Teil des Abends war für Jürgen ebenfalls nicht nach Plan verlaufen.

Er saß stumm am Tisch, sah zum grauen Aktendeckel, unter dem das unzufrieden stellende Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung lag; die Schreiberin: eine Frau…

Aber ich kenne dich… Du mich auch?

Jürgen grübelte, ob er Frau Meierbernd schon mal begegnet war. Kannte er überhaupt eine von Silkes Arbeitskolleginnen?

 

Jürgen saß zur Mittagszeit ganz allein in der Kantine der Dienststelle an einem der Tische. Vor ihm stand der Teller mit Bratwurst und Kartoffelsalat, doch er hatte Appetit auf etwas anderes. Leider war der gesamte Vormittag verstrichen, ohne dass sein Handy vibriert hatte…

Er legte das Essbesteck neben dem Teller, griff zu seinem Handy und wählte.

„Ja“

„Hallo Eva…“

„Hallo Jürgen…“, säuselte sie ihm durch die Ohrmuschel zu.

„Treffen wir uns heute?“

„Du kannst es wohl nicht abwarten, wie?“

Jürgen schluckte. Manche Bemerkungen von Eva trafen auf Anhieb ins Schwarze.

„Nein, kann ich nicht… Und unser letztes Treffen liegt über zwei Wochen zurück! Also: was ist? Ich kann auch zu dir nach Sindzingen fahren, wenn…“

Jürgen stockte für einen Moment. Sindzingen… Die Zeitung… Absurde Gedanken!

„…wenn du möchtest.“

„Du meinst wohl: weil du möchtest! Läuft nichts mehr mit deiner Frau?“

„Nein. Seitdem ich sie gefragt hatte, wer sie lieben würde, ist es ganz vorbei…“

„Du Ärmster…“, beteuerte Eva, und Jürgen war sich sicher, von ihrem Mitgefühl gestreichelt zu werden.

„Mir war klar, dass du sie fragen würdest, statt über den Sinn der Botschaft zu grübeln…“

„Die Botschaft hat keinen Sinn! Ich kenne keine von Silkes Kolleginnen!“

Er merkte, dass er seine Stimme senken sollte. „Darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Sag mir lieber, wann wir uns treffen!“, drängte er.

„Gar nicht mehr.“

Mit dem Entgleiten seiner Gesichtszüge wäre beinahe auch das Handy aus seiner Hand gerutscht.

„Wie? Was? Gar nicht mehr? Warum das denn?“ Er starrte fassungslos zum Teller und wartete auf Evas Antwort.

„Warum? Das kann ich dir sagen: nachdem wir uns vor knapp drei Wochen getroffen hatten, hattest du dich entschieden, Silke treu zu bleiben, aber keine zwei Tage später…“

„Mein Gott, es ist eben passiert!“, konterte er nach der kleinen Pause.

„Ja, und es würde immer wieder passieren, weil du dich nur selbst liebst!“

Jürgen schnappte nach Luft, ehe Evas Stimme erneut an sein Ohr drang:

„Jedes weitere Treffen von dir und mir wäre ein Faustschlag gegen Silke. Ich habe mich entschieden, Silke nicht mehr zu schlagen. Und wenn du sie lieben würdest, würdest du genauso denken. Aber ich kenne dich… Du mich auch?“

 

 

Aufschlussreiche Abende

 

Lisa stand an diesem Dezemberabend gutgelaunt in der warmen, nach frischen Plätzchen duftenden Küche und wusch die erkalteten Backbleche ab. Auf das vierte Blech musste sie noch warten; die letzte Lage Spritzgebäck buk im Backofen.

„Mm, riecht gut hier!“

Lisa drehte sich zu ihrem Sohn um, der gerade zur Küche herein kam. Sie ahnte, dass Sven nicht gekommen war, um beim Abwasch zu helfen.

„Finger weg!“, ermahnte sie ihn. Es klang gut gelaunt, aber sie versuchte, ein strenges Gesicht aufzusetzen.

„Mama, das ist echt zum Schießen! Mit der Mehlspur im Gesicht kann ich dich nicht ernst nehmen!“, und er griff grinsend zu den frischen Plätzchen.

„Jetzt reicht es aber!“, meinte sie und wischte sich mit der Hand das Mehl aus dem Gesicht. „Wenn du noch Hunger hast, kannst du dir ein Brot schmieren.“

„Nee…“ antwortete er.

Piep – piep – piep.

„Die letzten Plätzchen sind fertig.“, bemerkte Lisa, griff zu den Topflappen und holte das Blech aus dem Backkasten. Kurz darauf lagen die Plätzchen zum Auskühlen auf dem Rost und Sven trottete mit einer Hand voll Plätzchen Richtung Wohnzimmer.

Plätzchendose holen…, sagte Lisa zu sich selbst und ging zum Abstellraum, der hinten am Flur lag. Nachdem sie mit der grünen Blechdose zur Küche zurück lief, schallte das Klingeln des Telefons mit lautem Tüdelüüt durch den Flur.

„Ich geh schon!“, rief sie Sven durch die offene Wohnzimmertür zu und nahm den Telefonhörer ab.

„Schaller?“, meldete sie sich beinahe fragend, weil sie die auf dem Telefondisplay angezeigte Brockbergener Rufnummer keiner bestimmten Person zuordnen konnte. War es die Rufnummer der Klinik? Lisa wartete und hörte nur ihren eigenen Herzschlag, bis eine Stimme ihr Ohr erreichte.

„Ich wollte Ihnen nur mitteilen…“ Lisas Herz schlug bei den ernsten Worten der Frauenstimme schneller. Oh je, meinem Rüdiger ist was passiert, schoss ihr durch den Kopf.

„…dass ihr Lebensgefährte eine Affäre hat…“

Lisa atmete auf. „Ja, danke!“, antwortete sie erleichtert, und dann hatte die Unbekannte am anderen Ende aufgelegt. Lisa stand bewegungsunfähig mit dem Hörer in der Hand vorm Telefontisch, denn erst jetzt begriff sie den Inhalt des Gesprächs: Rüdiger hat eine Affäre??? War das wahr??

„Wer war dran, Mama?“, fragte Sven. Lisa löste sich langsam aus der Starre.

„Papier…Stift…“, sagt sie mehr zu sich selbst, angelte nach dem griffbereiten Kugelschreiber, sowie dem obersten Zettel aus der Zettelbox und notierte sich die angezeigte Rufnummer.

„Ich muss Rüdiger anrufen…“

Lisa drückte die Telefongabel hinunter und wählte mit zitternden Fingern Rüdigers Handynummer.

„Was gibt ´s?“, fragte er, nachdem er seine Festnetznummer auf dem Display erkannt hatte.

„Ich muss dringend mit dir reden!“, erklärte sie, und sie versuchte, ruhig zu bleiben, „Hier hat soeben eine Frau angerufen und gesagt, du hättest eine Affäre!“ Lisa schwieg und starrte zur Wand. Sie hörte, dass Rüdiger laut atmete; wie immer, wenn er sich aufregte.

„Und du glaubst das?“, schrie er fast durch den Hörer, „Ich, eine Affäre… Das ist… das ist… lächerlich! Wer hat das gesagt?“

Lisa konzentrierte sich nach seinen lauten Worten auf ihren Herzschlag und zählte leise bis drei, um ihre eigenen Emotionen zu bändigen.

„Die Frau hat ihren Namen nicht genannt, aber hier im Display stand die Telefonnummer: 02599 223 366 11.“

„Also eine Rufnummer aus Brockbergen. Wie war die Nummer?“

„Was hast du vor?“, fragte sie vorsichtig.

„Ich will wissen, wer so einen Blödsinn verbreitet!“

„Es hörte sich aber total überzeugend an…“ Lisa biss sich auf die Lippe.

„Höre auf damit! Das, was die Frau dir erzählt hat, ist gelogen, und jetzt gib mir die Rufnummer durch!“

„Das war 02599 22 33 66 11…“
“Habe ich mir notiert… Ich werde sehen, ob ich etwas heraus bekommen kann, sofern es hier auf der Chirurgischen ruhig bleibt. Aber wir reden, wenn ich zu Haus bin, okay?“

„Okay“, wiederholte Lisa lakonisch, und Rüdiger beendete das Gespräch.

Lisa legte auf. Erst als sie sich Richtung Küche aufmachen wollte, sah sie, dass Sven die ganze Zeit über hinter ihr gestanden hatte, und sie schlich mit gebeugtem Kopf und der Plätzchendose in der Hand zur Küche. Dort setzte sich an den Tisch und Sven tat ihr gleich.

„Was ist denn passiert, Mama? Du siehst total traurig aus…“
“So fühle ich mich auch…“, antwortete sie gedehnt und griff zu einem Plätzchen. Während sie Sven über alles informierte, wanderten mehr Plätzchen in ihren Mund als in die Plätzchendose.

„Endlich mal jemand anderer, der dir die Wahrheit über Rüdiger gesagt hat!“, erklärte Sven und bediente sich ebenfalls an den Plätzchen.

„Rüdiger behauptet, es wäre eine Lüge…“

„Rüdiger!“, schnaubte Sven, „Habe ich dir nicht gesagt, dass mit dem Typen was faul ist? Da war die Frau, die sich verwählt hatte, da waren die Tage, an denen er stundenlang SMS schrieb, da waren die Tage, an denen er bald drei Stunden früher zum Dienst fuhr… und die Krönung: der Baumarktbesuch… Ich weiß nicht, wo er da war, aber ich weiß, wo er nicht war: im Baumarkt! Und du hast nur gemeint, ich wolle ihn schlecht machen… Pubertäre Machtkämpfe, hast du gesagt, wie vor einem Jahr…“

Lisa schob sich ein weiteres Plätzchen in den Mund. „Erinnere mich nicht daran…“

„Das muss ich aber tun; da hatte ich Recht!“

Lisa seufzte. „Aber wenn Rüdiger jetzt doch Recht hat...“

„Mama!“, mahnte Sven, „Rüdiger meint, er kann machen, was er will, wenn du zur Arbeit fährst, aber besten Dank, dass du mir immer noch nicht glaubst!“

Er erhob sich vom Stuhl. „Ich gehe zu Bett, bevor Rüdiger kommt. Und lass die Plätzchen in Ruhe, sonst schimpfst du morgen wieder die Waage aus… Gute Nacht!“

Lisa blieb grübelnd am Tisch sitzen und legte die Plätzchen in die Dose. Sie hörte, dass Sven das Bad aufsuchte, bekam mit, wie er ins Kinderzimmer ging, und es dauerte noch, bis sie das Öffnen der Wohnungstür hören konnte.

„Nabend Schatz“, sagte Rüdiger; es klang angespannt, und er verzichtete auf den üblichen Begrüßungskuss. Er roch, wie immer, nach Desinfektionsmitteln, obwohl er sich nach seinem Dienst als Krankenpfleger generell an der Klinik duschte.

„Setz´ dich!“, forderte Lisa ihn einsilbig auf, und er zog sich den Stuhl heran, auf dem Sven gesessen hatte. Sie blickte ihn stumm an, wartete auf seine Worte.

„Ich habe nichts heraus bekommen…“, begann Rüdiger in ruhigem Ton und starrte zu den letzten Plätzchenkrümeln auf der Tischplatte. „Du glaubst mir doch, oder?“

Lisa knetete ihre Hände. „Das hattest du vor einem Jahr auch gefragt, und dann…“

„Das mit Stefanie…“, unterbrach er sie, „das war mir im Nachhinein peinlich! Es war ein Ausrutscher!“ Rüdiger schwieg eine Weile. „Durch so etwas setzt man nur die Ehe aufs Spiel; solche Fehler begeht man kein zweites Mal!“

„Sven hat mir etwas anderes erzählt…“, warf sie ein.

„Sven!“, Rüdiger beschloss, seine Stimme wieder zu senken. „Sven hat mich doch schon als notorischen Fremdgänger abgestempelt! Vielleicht hat er ja diese Frau fürs Telefonat angeheuert, damit du dich von mir trennst!“

Lisa schnappte nach Luft. „So denkst du über ihn? Dann hat es mit uns keinen Zweck mehr!“ Sie starrte schweigend an ihn vorbei.

„Siehst du? Ein Anruf von einer Unbekannten, die dir eine Lüge erzählt, und du willst unsere Beziehung beenden…“

Lisa knetete erneut ihre Hände. „Sven hat mir mal erzählt, du wärest zum Baumarkt gefahren, aber fünf Minuten später hätte dein Wagen wieder auf der Einfahrt gestanden…“

Jetzt schnappte Rüdiger deutlich nach Luft. „Wirklich klasse: dein feiner Sohn spioniert mir hinterher; dichtet mir was an, wo ich nur meine Geldbörse im Keller vergessen hatte! Du und dein Sohn… ihr könnt mich mal!“

„Du mich auch!“, spie Lisa aus und verzog sich heulend ins Schlafzimmer. Nachdem ihre ersten Tränen versiegt waren, lauschte sie, doch sie hörte nichts, außer ihrer eigenen Gedanken: Hat Sven diese Unbekannte um den Anruf gebeten? Oder gab es doch eine neue Affäre, und diese Frau wollte durch den Anruf meine Trennung von Rüdiger einleiten? Oder wärmte eine Unbekannte nur die Vergangenheit auf?

 

Als Lisa am nächsten Morgen ins Bad ging, mied sie die Waage, aber ihr Spiegelbild sprach eine deutliche Sprache: die schwarzen Augenringe unter den geschwollenen Tränensäcken waren Trauerschmuck und zugleich die deutlichen Anzeichen einer durchwachten Nacht. Die Morgentoilette zog sich dadurch enorm in die Länge, denn es dauerte, bis sie sich selbst für einigermaßen tageslichttauglich hielt.

Als sie die Küche betrat, saß Rüdiger schon am gedeckten Tisch und goss ihr frischen Kaffee in die Tasse.

„Guten Morgen, Schatz!“ Rüdiger lächelte sie an.

„Guten Morgen“, gab Lisa trocken und knapp zurück, ehe sie zum Tisch kam.

„Ich muss mich für gestern entschuldigen…“, meinte Rüdiger. „Die ganze Sache geht eben nicht spurlos an mir vorbei… und ich nehme alles zurück, was ich über Sven gesagt habe…“

„Meinetwegen…“, antwortete sie und atmete tief durch. „Hast du die ganze Nacht im Wohnzimmer verbracht?“

Rüdiger lächelte wieder. „Ja, und ich kann dir sagen, dass das Sofa nicht gerade bequem ist… Ich konnte kaum schlafen…“

Jetzt lächelte auch Lisa. „Ich war die ganze Nacht über wach. Ich habe nachgedacht, und weiß jetzt, was ich tun muss.“

Rüdigers Gesicht wurde aschfahl. „Du willst aus der Wohnung ausziehen?“

„Nein, ich werde zur Polizei gehen…“

 

Zögernd betrat Lisa am letzten Mittwoch im Januar das Flachdachgebäude in der Einsenstraße, über dessen Eingang nur das Wort `Kulturkiste´ auf einem weißen Schild prangte. Nachdem sie die Tür zum Veranstaltungsraum geöffnet hatte und ihre Freundin Rita an einem der Tische sitzen sah, löste sich ihre Anspannung.

„Schön, dass du dich entschieden hast, noch zu dieser Lesung zu kommen!“, meinte Rita, als Lisa sich auf den freien Platz neben ihr setzte.

„Ich brauchte Tapetenwechsel.“, entgegnete Lisa ihr.

„Dein Damoklesschwert… hat es sich nicht in Rauch aufgelöst?“

„Nicht wirklich… Gestern bekam ich Post von der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen haben ergeben, dass es die Rufnummer zu einer öffentlichen Telefonzelle ist. Klasse, nicht wahr? Die Anzeige hat mir nichts gebracht, weil kein Anrufer ermittelt werden konnte!“

Laute Klatschgeräusche unterbrachen das Gespräch, als eine Blondine, die sich wegen einem eingegipsten Bein auf zwei Krücken abstützte, die Bühne am Kopfende des Raumes betrat und sich in den großen, roten Ohrensessel setzte. Stille herrschte, bis sie ihr Manuskript zur Hand nahm und ihre Kurzgeschichte zum Thema Schnee vorlas. Nachdem sie schon fast die halbe Geschichte vorgetragen hatte, drehte Lisa sich zu Rita um und flüsterte: „Wegen dem Gipsbein könnte ihre Geschichte wahr sein…“

Rita nickte nur, und Lisa ließ die vorgetragene Geschichte weiter auf sich einwirken.

„Die Stimme kenne ich!“, rutschte es ihr laut heraus. Sie legte ihre Hand auf den Mund, doch es war zu spät: Die Blondine hielt inne, und als Lisa die Blicke aller Anwesenden auf sich spüren konnte, lief sie rot an.

 

„Doch schon vom Spätdienst zurück?“, fragte Lisa, als sie das Wohnzimmer betrat. Rüdiger überhörte geflissentlich die spitze Bemerkung.

„Ja. Ich bin seit einer halben Stunde hier. Und wie war dein Abend?“, fragte er vom Sessel aus.

„Richtig amüsant! Die vorgetragenen Kurzgeschichten waren alle klasse, aber eine war wirklich sehr aufschlussreich…“, antwortete sie ihm und kam näher.

„Aufschlussreich? In wiefern?“ Rüdiger richtete seien Oberkörper auf.

„Du hast gelogen!“, warf sie ihm vor. Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und rang nach Luft, ehe sein Hals von roten Hektikflecken übersät wurde. Lisa genoss den Anblick des um Fassung Ringenden, während sie fast beiläufig fragte: „Kennst du eine Anette König?“

„Anette König? Tut mir Leid, der Name sagt mir nichts…“, erklärte Rüdiger.

„Du hast schon wieder gelogen!“, schmetterte Lisa ganz genüsslich hinterher.

„Wie? Was? Woher willst du das wissen?“, schnaubte er.

„Ich habe mich heute Abend mit ihr unterhalten, nachdem ich sie an der Stimme erkannt hatte.“

Rüdiger versank im Sessel und blickte nur noch stumpf zu seinen Füßen. „Was hat sie dir erzählt? Lügengeschichten? Alte Kamellen?“

„Ihr ward zusammen, bis sie dich beim Fremdgehen auf frischer Tat erwischt hatte.“

„Das ist Jahre her…“ Rüdiger zog es vor, zu schweigen.

„Das sagte sie auch, und sie erzählte, dass sie dich im Krankenhaus wieder erkannt hatte, nachdem sie in den Herbstferien wegen dem Beinbruch auf der Chirurgischen lag. Ab und zu habt ihr euch in der Cafeteria getroffen, euch unterhalten, und du hättest ihr des Öfteren unmoralische Angebote unterbreitet…“
“Das hat sie total falsch verstanden!“, brauste er auf, „Da sieht man wieder mal: Frauen können eben nicht zuhören!“

„So?“, konterte Lisa spitz, „Dafür können Frauen gut sehen!“

„Wie soll ich das jetzt verstehen?“ Rüdigers Gesicht glich einem Fragezeichen.

„Als sie sich am Tag ihrer Entlassung von dir verabschieden wollte, erwischte sie dich in Flagranti mit einer Schwesternschülerin. Anette wollte mir mit ihrem Anruf nur die Augen öffnen. Nur zur Information: Sie hat dich abgeschrieben…“

Rüdigers Gesicht verlor alle Farbe und er fragte vorsichtig: „Du mich auch?“

 

 

Foulspiel

                                                                                                                                                                                     

Das Deutschlandspiel läuft, aber Jörg sitzt nur mit dem Handy in der auf dem Sofa… Komisch… Er simst wieder einmal…

„Mist!“, sagt er plötzlich.

„Wegen dem Tor?“

Jörg blickt jetzt auf und sieht mich an.

„Die Serben haben soeben ein Tor geschossen…“,

„Das ist Mist!“

Ich sehe wieder zum Bildschirm.

Jörg hat gar nicht aufgepasst… dabei interessiert er sich doch für die Fußballweltmeisterschaft…

Inzwischen ertönt der Jingle zur Halbzeitpause und das Programm wird für die Werbung unterbrochen.

„Hagen, geh´ mal eben mit dem Hund!“

„Ach man…“, maule ich.

„Kein meckern! Du gehst jetzt mit Fips Gassi!“

Langsam trotte ich Richtung Wohnzimmertür.

„Fips komm!“

Der Zwergspitz folgt mir mit wedelndem Schwanz, und ich trage ihn die Stufen bis zum Erdgeschoss hinunter.

Als die Haustür offen ist, stürmt Fips schon am Gehweg in diesem gemischten Industriegebiet entlang.

Jörgs Auto steht dort, aber Mama ist mit ihrem Auto noch nicht von der Arbeit zurück

Langsam trotte ich Fips hinterher.

Du arbeitest zu viel, hatte ich heute Morgen noch beim Frühstück zu Mama gesagt, aber sie hatte keine Zeit mehr, auf meine Erklärung zu warten… Jörg simst nur; sogar noch mehr als ich! Ich bin ja nicht doof, auch wenn Mama meint, ich könne mit meinen vierzehn Jahren nicht alles wissen…

Fips ist am Waldrand angekommen und macht inzwischen sein Geschäft.

Und was macht Jörg jetzt? Bestimmt wieder simsen! Ich sollte mich beeilen, vielleicht kann ich ja ein Blick auf sein Handydisplay werfen, wenn Fips zu ihm aufs Sofa springt…

„Fips komm!“

Der Hund, der mir zuerst nur zögernd gefolgt ist, beeilt sich jetzt, die Stufen bis zur Wohnung hoch zu laufen.

Mist! Jetzt muss ich mich auch beeilen, sonst ist Fips schon wieder vom Sofa runter, ehe ich oben bin!

Eilig erreiche ich das Wohnzimmer, in dem Fips schon auf dem Sofa liegt und sich in der Kuscheldecke eingräbt, aber von Jörg sehe ich nichts!

Grübelnd suche ich meinen alten Sitzplatz im Sessel auf und nehme die Fernbedienung in die Hand. Nachdem ich den Ton etwas leiser gestellt habe, höre ich etwas, was wie das Geräusch eines Schlüssels klingt und drehe meinen Kopf Richtung Wohnzimmertür.

Jörg steht inzwischen im Flur und schließt die Wohnungstür hinter sich.

„Wo warst du?“

„Du bist vielleicht neugierig…“

Jörg sieht mich kurz an, ehe er ins Wohnzimmer zum Sofa geht. „Ich habe im Keller was gesucht.“

„Das hattest du vorhin doch auch schon…“

„Ich hatte vorhin nichts gefunden.“

„Ah so…“, antworte ich ihm und erhebe mich vom Sessel.

„Willst du noch weg?“

„Wo denkst du hin, Jörg! Ich hole mir ein Glas Limo und schaue mir das Fußballspiel weiter an. Warum fragst du?“

„Sei nicht so neugierig!“

Typisch Jörg!

In der Küche öffne ich die Kühlschranktür, greife zur Limoflasche und schiebe die Tür wieder zu.

Da fehlte doch was, denke ich und überlege, was es gewesen sein könnte, während ich mir ein Glas aus dem Oberschrank hole, um die Limo darin eingießen zu können. Immer noch grübelnd stelle ich die Flasche zurück in den Kühlschrank.

Die angefangene Milchpackung ist verschwunden! Heute Morgen habe ich sie erst angefangen… Oder vertue ich mich?

Gemächlich schiebe ich die Kühlschranktür zu.

Zisch

hörte sich an, als wäre ein Wassertropfen auf einer heißen Platte verdunstet…

Ist der Herd etwa an?

Ich nähere mich dem Herd und halte meine Hand zunächst mit Sicherheitsabstand über die Kochplatten, doch da nicht einmal ein Hauch von Hitze zu fühlen ist, fasse ich auf die Kochfelder.

Nein, die Kochstellen sind kalt, und aus der Dunstabzugshaube tropft bestimmt kein Wasser! Aber hier ist es warm…

Zisch

Bei dem zweiten Zischen klappt mir die Kinnlade herunter und ich weiß, wo ich das Geräusch einordnen kann.

Die Kaffeemaschine… Die Warmhalteplatte ist noch warm… Komisch, die Glaskanne ist leer…

Mit dem Limoglas trotte ich zum Wohnzimmer, in dem Jörg ziemlich vorn auf der Sofakante sitzt, aber jetzt mal nicht simst.

Nachdem ich das Glas auf dem Tisch abgestellt habe, lasse ich mich in den Sessel plumpsen und schaue zum Bildschirm, auf dem die Deutsche Mannschaft gerade wieder den Rasen betretet.

„Du, Hagen, ich muss noch eben zum Getränkemarkt! Brauche noch ein Geschenk für morgen, für die Geburtstagsfeier von Sven.“

„Meinetwegen…“, antworte ich knapp, und obwohl ich den Bildschirm betrachte, sehe ich Jörg vom Sofa aufstehen.

„Bis nachher“, sagt er, ehe er die Wohnung verlässt. Seine Schritte hallen hörbar durchs Treppenhaus ins Erdgeschoss hinunter.

Jetzt zum A und B Getränkemarkt, wo das Fußballspiel läuft…

Durch das geöffnete Dachfenster dringt soeben das typische Motorengeräusch eines Mercedes hinauf. Weil ich wissen will, ob ich Recht habe, eile ich zum Fenster, um hinauszublicken und schaue zur schwarzen Limousine, die gerade unsere Einfahrt verlässt.

Jörg fährt gerade mit dem Auto? Der Getränkemarkt liegt hier gegenüber… Warum fährt er daran vorbei? Warum fährt er überhaupt los?

Na ja, vielleicht hat er ja eine andere Geschenkidee, würde Mama jetzt sagen.

Mama…

Langsam schlendere ich zurück zum Sessel, um das Fußballspiel zu verfolgen.

Es läuft nicht gut für unsere Mannschaft…

Abermals höre ich die Autogeräusche eines Mercedes, bei dem der Motor abgestellt wird. Jetzt höre ich das Geräusch von Autotüren, die zuschlagen.

Autotüren??

Noch einmal eile ich zum Fenster.

Jörgs Mercedes steht wieder an seinem Platz, nur diesmal mit dem Kofferraum am Blumenkübel… War ja nicht lange weg…

Halbwegs erleichtert setze ich mich in den Sessel zurück und starre zum Bildschirm.

Oh, Mist! Wieder ein Foulspiel von den Serben…

Warum ist Jörg noch nicht oben? Vielleicht simst er wieder …

Tüdelüdelüt…

Als das Telefon klingelt, laufe ich schnell zum Flur, um das Gespräch anzunehmen.

Ob Mama dran ist?

„Hagen Schmitz“, spreche ich in den Hörer.

„Hallo Hagen, ich bin ´s, Jörg …“

„Ja, was gibt ´s?“

„Du, ich bin hier noch im A und B Markt, muss noch was gucken… dauert noch, bis ich zurück bin.“

„Ja, okay…“

„Ach, und wenn du noch weg willst: du kannst das Fahrrad nehmen. Aber du setzt den Helm auf, verstanden?“

„Bin ja nicht taub… Ich sehe mir aber noch das Fußballspiel an.“

„In Ordnung. Aber ruf mich an, wenn du noch wegfährst, okay?“

„Ja, mache ich.“

„Dann ist gut; bis später…“

Nachdenklich lege ich den Hörer auf die Gabel zurück.

Fußballspiel? Nee, ich muss nachdenken… Jörg erlaubt mir, mit dem Fahrrad zu fahren, wo es hier in der Gegend so gefährlich ist? Da ist was faul; mehr als faul!

Seine Stimme… der Hall… da waren keine anderen Stimmen zu hören, auch nicht das Scheppern von Glas in Flaschenkästen! Jörg hat nicht in der großen Getränkemarkthalle gestanden, um hier anzurufen! Jede Wette!

Aber von wo aus hat er angerufen? Und warum soll ich anrufen, wenn ich weg will?
Mama würde ja sagen, Jörg macht sich Sorgen um mich…

Nee Mama, da ist was faul! Hundertpro! Ich weiß nur noch nicht, was…

Mein Herz klopft bis am Hals und ich versuche, nachzudenken.

Die verschwundene Milchpackung… der Wassertropfen auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine… Jörg trinkt seinen Kaffee immer mit Milch und Zucker…

Ist der Zuckertopf auch verschwunden?

Mutig eile ich in die Küche, um nachzusehen. Mein erster Blick geht zum Tisch, wo normalerweise der Zuckertopf stehen würde, aber der Tisch ist aufgeräumt.

Dann im Oberschrank neben dem Herd, sage ich mir, öffne schnell die Tür und finde ihn nicht.

Spurlos verschwunden! Kaffee trinken… Jörg will Kaffee trinken… nur nicht in der Wohnung, wenn ich dabei bin… Wohin würde ich gehen? Nach draußen… nee, dafür ist es heute zu windig; das wäre ungemütlich…

Ich hab es!

Das Herz pocht überlaut, als ich im Wohnzimmer einen letzten Blick auf Fips werfe, der inzwischen in seinem Körbchen liegt und mir vorsichtshalber die Schuhe ausziehe, ehe ich lautlos die Wohnungstür öffne.

als würde ich etwas Verbotenes tun…

Vorsichtig jedes Geräusch vermeidend steige ich langsam die Treppenstufen hinab, habe das Erdgeschoss erreicht und schleiche weiter zum Keller. Die Kälte der Marmorstufen dringt durch meine Socken. Leise atmend lausche ich, aber höre nichts. Inzwischen habe ich die Kelleretage erreicht und biege Schritt für Schritt in den schmalen Gang ab. Wie eine Katze schleiche ich weiter Richtung Sauna, die sich am Ende des Ganges befindet, und plötzlich meine ich, neben dem Pochen und den Geräuschen meines Atems ganz leise eine Stimme zu hören.

Ganz leise sein. Weiter Richtung Außenzugang, treibe ich mich an. Meine Füße fühlen sich an wie Eisklötze, als ich fast vor der Saunatür stehe und mein Ohr an die Tür presse.

Nein, da ist nichts…

Wie aus weiter Entfernung dringen Töne an mein rechtes Ohr.

Mein Lieblingslied!

"Ja, das hätte ich gerne!", höre ich jetzt leise, und es klingt wie Jörgs Stimme.

Muss von nebenan, aus unserem Kellerraum kommen…

Jörg bastelt was, hört Musik, und trinkt dabei Kaffee…

Im Keller seht aber kein CD-Player…

„Huh, da bin ich kitzelig…“

Ruckartig reiße ich meine Hand hoch und halte sie vorm Mund, um keinen Laut herauszulassen, als die Frauenstimme an mein Ohr dringt.

 

 

Speeddating

 

Ausgerechnet Speed- Dating! Auf so einen beknackten Einfall konnte nur Kerstin kommen! „Du nimmst daran teil“ ,bestimmte meine ältere Schwester, „bevor du als Ühm endest, oder…“

Mein Gott, ich bin erst knapp dreißig, und weit davon entfernt, ein Ühm zu werden!

Normalerweise würde ich an so einem Samstagabend wie heute mit einigen Jungs in „Hansis Pinte“ Billard spielen - falls deren Frauen nichts dagegen haben.

Früher waren wir Jungs oft auf Landjugendfeten, aber ab einem gewissen Alter schmeckt Bier aus Plastikbechern wie kalter Kamillentee mit Seife.

Jetzt sitze ich seit einer halben Stunde im dezent beleuchteten, kleinen Saal vom Ahauser Ratshotel am Tisch mit der Nummer 7 auf so einem roten Plüschsessel und höre mir den Redeschwall einer zweiten Frau an.

Gezwungenermaßen freiwillig, denn Kerstin hatte eine ganz gemeine Drohung auf Lager: „…sonst melde ich dich bei ` Bauer sucht Frau´ an!“

Ja, bin ich denn Landwirt? Ich habe nicht einmal einen Bauernhof! Auch dafür hatte Kerstin schon längst einen

Einfall in petto: „Solange das RTL- Team dreht, bewirtschaftest du unseren elterlichen Hof, während ich mit

meiner Familie in deinem Bungalow hinten im Garten ziehe.“

Kerstin spinnt! Und alles nur, damit ich vor meinem nächsten Geburtstag eine Frau finde! Ja, hat mir irgendwer:

` Verwendbar bis Juni 2012 ´ auf meiner Stirn tätowiert?

Soeben ertönt ein zweiter, dunkler Gongschlag für den Platzwechsel und beim Anschwellen der Geräuschkulisse

verlässt auch meine Tischbekanntschaft ihren Sitzplatz.

Zum Glück! Sie sah mit ihren langen, rot lackierten Krallen nicht danach aus, als ob sie freiwillig Kartoffeln schälen würde!

Den Kugelschreiber in die Hand nehmen, um auf dem Personenbogen ein `O´ für Dame Nummer zwei einzutragen.

Oh, die nächste potentielle Partnerin kommt näher zum Tisch. Schlanke Gestalt in sportlicher Bluse und Jeans, blonde, leicht gewellte lange Haare, eine Stupsnase im schmal geschnittenen Gesicht.

Schell aufstehen; wegen der Höflichkeit.

Das Kerzenlicht flackert, als sie mir über dem Tisch ihre Hand herüber reicht.

Eine schlanke, weiche Hand ohne waffenscheinpflichtige, spatengroße Fingernägel!

Mutig schaue ich der Frau ins Gesicht.

Nur dezent geschminkt. Sie hat braune Augen. Gar nicht mal so übel! Wahrscheinlich hat sie irgendeinen Makel, sonst würde sie ja nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen!

Vielleicht klingt ihre Stimme wie ein quakender Frosch… Dann wäre das Speed- Dating mit ihr für mich auf der Stelle vorbei. Sozusagen Überschall- Speed- Dating.

„Hallo, ich bin Wolfgang“, sage ich.

„Ich heiße Anne“, entgegnet sie mit samtweicher Stimme und setzt sich mit einem mitgebrachten Glas Wasser und ihrem an einem Klemmbrett befestigten Personenbogen an den Tisch.

Erneut nehme ich meinen Platz ein und trinke einen Schluck Kaffee aus meiner Tasse.

Kerstin hatte gemeint: „Trinke bloß kein Bier!“

Ja, gut. Oh man, wenn Anne nichts sagt, muss ich wohl beginnen. Was sage ich nur zuerst?

Mühsam zwinge ich meine Mundwinkel zu einem Lächeln.

„Also: ich suche eine Frau, die zu mir passt…“, bringe ich über die Lippen.

Anne lächelt; oder ist es ein spöttisches Grinsen? Jetzt lacht sie! Zwischen ihren vollen, ungeschminkten Lippen blitzen ihre weißen Zähne hervor.

„Ich dachte, du würdest hier auf den Bus warten.“

Mit einem gequälten Lächeln starre ich zum Kerzenlicht.

Scheiße! Blöder konnte mein Spruch nicht ausfallen! Wieso bringt sie mich so aus dem Konzept? Ich wollte doch meinen Fragenkatalog durchgehen: Alter, Beruf, Hobbys und Interessen…

Einen Seufzer unterdrückend hebe ich den Kopf an.

„Bist du berufstätig, Anne?“

Anne stellt das Wasserglas, an dem sie nur genippt hatte, beiseite und öffnet lächelnd ihren Mund.

„Ja, ich arbeite als Krankenschwester hier in der Stadt. Und welchen Beruf übst du aus?“

„Ich bin Schreiner.“

„Ah, ein Handwerker“, fügt sie hinzu.

„Ich bin gebürtig aus Heek. Wer aus einer ländlichen Gegend stammt, ergreift eher einen handwerklichen Beruf, als jemand, der in einer Stadt aufwächst.“

„Stimmt!“, pflichtet Anne mir bei, neigt ihren Kopf leicht zur Seite und lächelt mich an.

Anne… Ein leichter, roter Schimmer liegt auf ihren Wangen, und sie lächelt sogar mit ihren Augen! Hat sie sich in mich verguckt?

Abermals sehe ich mein Gegenüber an.

Ich habe Anne schon einmal lächeln gesehen! Da bin ich mir ganz sicher! Aber wo? Und wann?

Während ich am lauwarmen Kaffee nippe, drängen sich in Sekundenbruchteilen Szenen in meinem Kopf an die Oberfläche.

Eine Jugendfete… mindestens zehn Jahre her… kalt war die Nacht… eine Winternacht. Da war dieses Lächeln in ihrem Gesicht! Ich war ziemlich breit… zum Knutschen nach draußen… meine Hand unter ihrem Pullover aufgewärmt… zusammen nach Hause gehen… zumindest eine ganze Weile… Eine Wessumer Rufnummer, die mit Kugelschreiber in meiner rechten Handfläche notiert war…

Am nächsten Tag… Mein Freund Tom kommt. „Sag mal, leidest du unter Geschmacksverirrung? Die Pummelige, mit der du gestern herumgemacht hast, war ein Fehlgriff, oder?“

Die Zahlenfolge mit Seife wegschrubben, ohne mich bei Anne zu melden…

Unruhig rutsche ich auf meinem Sitzplatz herum und starre Anne mit großen Augen an.

„Ich bin in Wessum aufgewachsen, und dort wimmelt es auch nur so von Handwerkern.“, erwähnt sie.

Kraftlos sinkt mein Kopf zur Brust.

Meine Güte! Anne von der Jugendfete sitzt tatsächlich vor mir! Habe ich ihr damals meinen Namen gesagt? Erinnert sie sich vielleicht noch an mich? Oh mein Gott, wie peinlich! Wann ertönt endlich der erlösende Gong??

Resigniert schlucke ich.

„Was unternimmst du in deiner Freizeit?“, will sie wissen.

„Ich… Ich spiele… Billard- Herrenmannschaft… nein, alte Fußballmannschaft… und Billard…“

Gott, ich stammle wie ein spastisch gelähmtes Kaninchen! Liegt bestimmt nicht daran, dass bald Osten ist!

Verlegen greife ich zu meiner Tasse und lasse den letzten kalten Kaffeerest in meinen Mund laufen.

Reiß´ dich zusammen! Anne ist wirklich sehr nett! Außerdem bist du nicht mehr der schlanke, bartlose Jüngling von einst, sondern ein Mann, der in zehn Jahren problemlos den Weihnachtsmann vertreten könnte!

Tief durchatmen und Anne ein Lächeln schenken, mache ich mir Mut.

„Machst du in deiner Freizeit ebenfalls Sport?“

„Ja“, erklärt sie, „Ich jogge regelmäßig. Aber ich habe auch weniger gesunde Hobbys.“

Anne schaut für einen Moment zur Tischdekoration.

„Welche?“, frage ich und rutsche auf dem Plüschsessel weiter nach vorn, während Anne ihren Kugelschreiber vom Klemmbrett abzieht und ihn zwischen den Fingerspitzen rollt.

„Ich probiere gerne italienische Koch- und Backrezepte aus.“

„Die mediterrane Küche soll doch so gesund sein!“, rutscht mir heraus und sehe sie im Geiste schon in meiner Küche neben mir stehen, bei der Zubereitung einer Pizza mit Krabbenbelag.

Anne hebt ihren Kopf.

„Vorgestern hatte ich mir diese italienische Nachspeise Panna cotta gekocht und nicht mitbekommen, dass mir mein Ring in die erstarrende Sahnemasse gefallen war. Als ich gestern eine Portion aß, brach mir ein Zahn ab, weil ich auf den Ring biss…“

„Das ist witzig!“, sage ich und kann mein Lachen kaum verbergen.

„Oh, Entschuldigung, Anne, das war taktlos von mir!“, füge ich schnell hinzu und will mein Lachen bändigen, doch Anne lächelt jetzt ebenfalls, und ihre Augen strahlen dabei so hell wie die Kerzenflamme zwischen uns.

Boing

„Der erste Gongschlag!“, bemerkt sie mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht und beugt sich etwas weiter zu mir über die Tischplatte.

„Ich weiß nicht, wie du es siehst, aber ich würde dich gerne wieder treffen.“

Anne blickt mit ihren Augen zu ihren Händen, mit denen sie jetzt den Kugelschreiber knetet.

„Ich dich auch…“, erwidere ich, „wenn ich ehrlich bin: ich habe keine Lust, zwei Tage zu warten, ehe der Veranstalter die Personenbögen ausgewertet hat…“

Anne lächelt jetzt, und ihre Augen gleichen polierten Chromteilen in der Sonne.

„Ich auch nicht, aber ich habe eine gute Idee! Ich könnte dir meine Handynummer in die Hand schreiben!“

„Sehr guter Einfall von dir, Anne!“, rutscht mir mit einem breiten, zufriedenen Lächeln heraus und ich reiche ihr meine Hand herüber. Anne hält meine Hand, während sie mit dem Kugelschreiber so die ersten Zahlen in meiner Handfläche notiert, dass es kitzelt. Nachdem Anne schon die Vorwahl und zwei Ziffern notiert hat, unterbricht sie das Schreiben, und ich schaue ihr fragend ins Gesicht.

Sie lächelt aufmunternd, ehe sie meint: „Soll ich die Nummer nicht lieber mit einem dicken, schwarzen Edding aufschreiben, damit du sie auch morgen noch in deiner Hand findest?“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bisher erschienen:

Ich war ein Träumer

http://www.amazon.de/Ich-war-ein-Träumer-Robrecht-

ebook/dp/B00I5BSF8K/ref=pd_ecc_rvi_2



Schaut einfach mal rein. Es ist die Story eines jungen Mannes, der eine Frau für sich gewinnen will ehe sie stirbt und feststellt, dass er an ein Leben nach dem Tod glauben muss, um sie nicht zu verlieren.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

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