Super! Da ziehe ich extra in eine neue Stadt, um den Mann meines Lebens kennenzulernen und den Kerl, der mein Leben versaut hat, zu vergessen und dann so was ...
Aber erst mal von vorne.
Mein Name ist Jessy. Jessy Laurin.
Ok, ich weiß das klingt jetzt ein bisschen wie ein Mädchenname, aber ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ich ein Mann bin. Was sich meine Eltern dabei gedacht haben, mir so einen Namen zu geben, ist mir ein Rätsel. Vielleicht weil es für sie so schwer war, ein Kind zu bekommen und dann waren es direkt zwei. Denn ich, Jessy der jüngere, heiße ‚von Gott gegeben‘.
Männlich, ja das bin ich definitiv, auch wenn es da die Sache mit meinem Namen gibt.
Ihr wollt wissen, wie ich aussehe? Nun ja. Durchschnittlich würde ich sagen.
1,80 m finde ich ganz stattlich und mein Gewicht pendelt so zwischen 74 und 76 kg. Wer meint, das sei nicht gerade viel, den muss ich enttäuschen. Mein Gewicht halte ich, in dem ich ab und zu ins Fitnessstudio gehe. Mein ganzer Stolz sind meine langen Haare. Sie sind pechschwarz und fallen mir bis auf meinen knackigen Hintern. Meistens habe ich sie zu einem Zopf geflochten, damit sie mir bei meiner Arbeit als Innenarchitekt, nicht störend ins Gesicht fallen. Ihr müsst jetzt nicht denken, ich hätte dunkle Augen, weil das eben so ein Klischee ist, nein ihr liegt hier völlig daneben.
Ich habe so hellgraue Augen, die je nachdem was ich fühle, mal heller und mal dunkler werden. Hm, ich würde sagen, dass sie wie Perlmutt aussehen.
Meine Augen sind der Spiegel meiner Seele. Mag sich kitschig anhören. Aber das ist die Aussage meiner Mutter. Und Mütter haben ja bekanntlich immer recht. Seit meiner frühsten Jugend weiß ich, dass ich mit Frauen nichts anfangen kann. Sie sind meine besten Freundinnen. Mit ihnen kann ich lachen und meine Sorgen teilen, aber sexuell interessieren sie mich einfach nicht. Nein, ich liebe Männer. Je dominanter umso besser. Ich brauche einen Mann, der mir sagt, wo es lang geht, der die Zügel in die Hand nimmt. Auch wenn ich ein Wildfang bin, so sehne ich mich doch nach einem Kerl, der mir hilft, das Leben zu meistern.
Das aber ist nicht alles, aufgepasst es wird noch besser. Mich gibt es doppelt.
Na ja, fast, doppelt, meine ich jetzt. Daniel heißt er. Mutter meinte, wenn schon zwei unerwartete Jungs dann auch ein paar außergewöhnliche Namen, denn Daniel heißt ‚Gott ist mächtig‘. Nun ja mächtig ist mein Bruder. Er verteidigt mich, wo es nur geht und ich liebe ihn abgöttisch dafür. Denn ohne Daniel gibt es keinen Jessy und ohne Jessy keinen Daniel. So einfach ist das.
Wir sind Zwillingsbrüder. Nein, keine Eineiigen. Er ist der ältere. Ich muss das hier erwähnen. Er besteht darauf, also auf dem Älter. Jedoch nur, wenn er mir sagen will, wo es lang geht.
Älter – wenn ich das schon höre. Nur damit mich hier niemand falsch versteht, wir reden von genau drei Minuten. Wenn es um Kerle geht, dann lässt er das Älter schon mal sehr gerne unter den Tisch fallen, auch wenn es sich nur um drei Minuten handelt.
Ja, ihr habt richtig gelesen. Er ist genau wie ich schwul. Irgendwie ist das schon komisch, oder? Zwei Jungs teilen sich einen Bauch und beide lieben Männer. Hm, irgendwie ist bei unserer Zeugung wohl was verkehrt gelaufen. Nun ja, wir nehmen es einfach mal so hin. Bleibt uns ja eh nichts anderes übrig.
Daniel ist das genaue Gegenteil von mir. Da, wo ich mich gerne unterordne, ist er der dominantere von uns, eben mächtiger. Wie sein Name schon ausdrückt. Das war in meiner Kindheit so und ist auch heute noch so geblieben.
Er ist ein Top. Wir sind ein schwules Zwillingspärchen. Bottom und Top. Tag und Nacht. Ihr seht schon, Zwillinge hin, Zwillinge her, wir haben jeder unsere eigenen Neigungen, die wir versuchen auszuleben. Eigentlich sind wir doch recht unterschiedlich in verschiedenen Dingen. Ich liebe es zu tanzen, mich dabei zu verausgaben und er schaut lieber zu. Das Singen hat er auch nicht erfunden, wobei meine Stimme sich hören lassen kann. Kochen können wir beide. Nur bei ihm muss man aufpassen, ob er dich nicht vergiften will. Meine Sachen kann man wenigstens essen, ohne daran zu sterben.
Im zarten Alter von fünfzehn Jahren, haben wir uns beide ein Herz gefasst und uns geoutet.
Unsere Mutter war anfangs nicht so begeistert von unserer sexuellen Neigung. Weniger wegen dem Schwulsein, als vielmehr von dem, nicht Oma zu werden. Am liebsten wäre es ihr wohl gewesen, wenn wir sie zuerst mit einem Haufen Enkeln versorgt hätten und dann schwul geworden wären. So über Nacht halt. Ich habe dann vorgeschlagen, dass nach altem Recht, die Fortpflanzung dem Älteren zusteht.
Es hat eben nicht nur Nachteile, der Jüngere zu sein.
Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, was mein Bruder davon hält. Da unsere Mutter uns liebt, hat sie verzichtet und umsorgt jetzt die Kinder und Enkelkinder der Nachbarn.
Nur der Vollständigkeit halber, und weil er mir gerade über die Schulter schaut, mich unsanft in die Rippen kneift. Hier kommt er.
Also sein Name lautet: Daniel, Zwillingsbruder von Jessy.
»Au ..., man Daniel, hör auf mit dem Quatsch.« Boah, kneift der mich doch tatsächlich gerade wieder, voll in die Rippen.
»Ja, ist ja gut. Ich schreibe es richtig hin, damit jeder weiß, was du für ein toller Kerl bist. Ein toller älterer Kerl.«
Von vorne, also.
Sein Name ist Daniel, Daniel Laurin, und ist ganze drei Minuten älter als ich, nebenbei bemerkt, bin ich der Hübschere von uns beiden.
Da Daniel nach unserem Vater kommt, ist er ein klein bisschen größer als ich. Na ja, es sind fast zehn Zentimeter und er hat im Gegensatz zu mir, dunkelblonde Haare, die ihm bis auf die Schulter fallen. Er wiegt auch mehr als ich. Damit auch hier Klarheit herrscht, die zehn Zentimeter Größenunterschied und die neun Kilo mehr Masse, sind nicht auf die ausschlaggebenden Körperteile eines Mannes zurückzuführen. Da sind wir gleich. Ich schwöre.
Ups, seine Augen hätte ich fast vergessen. Sie sind von so einem dunkelblau, wo man fasziniert hineinschaut und alles um sich herum vergisst. Wenn das geschieht, dann hast du verloren und machst all das, was er von dir verlangt. Er nutzt das bei mir immer weidlich aus. Aber irgendwann werde ich ihm widerstehen und dann ist er geliefert. Darauf freue ich mich jetzt schon sehr.
Beide haben wir ein schmales, elegantes Gesicht und dichte lange Wimpern. Und bevor ich es vergesse, ich bin 27 Jahre und Daniel, 27 Jahre und drei Minuten.
In der Jugendzeit war ich ein richtiger Wildfang und habe mir bei einem Fahrradunfall eine dicke fette Platzwunde an meinem harten Schädel zugezogen. Drei Stiche waren nötig, wobei ich so tapfer war, dass meine Mutter mir ein dickes Eis spendiert hatte. Die kleine Narbe sieht man kaum.
Daniel ist der ruhigere Teil von uns. Immer besonnen, immer fair, niemals wird er mir gegenüber laut. Er liebt mich halt mit all seiner Kraft. Ab und an brauche ich seine Stärke, muss mich dann an ihn anlehnen.
Bei ihm kann ich mich fallen lassen. Ausgerechnet wegen mir, hat er sich bei einer Prügelei in unserer Schulzeit, eine feine Narbe an der Augenbraue zugezogen. Sie fällt kaum auf, aber er erzählt es jedem, der ihn daraufhin anspricht. Und das alles nur, weil sein Beschützerinstinkt mir gegenüber unwahrscheinlich groß ist. Hat er sich doch mit zwei Kerlen gleichzeitig angelegt, weil sie mir zu nahe gekommen sind, mich hin und her schubsten und mir an die Wäsche gingen. Ja Daniel beschützt mich, das macht er auch heute immer noch, was mich manches Mal auf die Palme bringt.
Ups, jetzt bin ich etwas abgelenkt gewesen, also weiter im Text. Beide sind wir schlank, haben lange Beine, ein schmales Gesicht. Da hätte ich doch beinahe den besten und wichtigsten Körperteil vergessen. Ich sage nur ein Wort: Knackarsch!
Meine beste Freundin meinte mal im Scherz, darauf, dass es ein Scherz war, bestehe ich: »Ihr zwei solltet bestimmt Frauen werden, mit euren sinnlichen Lippen und dem Knackarsch!«
Wofür bitteschön, braucht eine Frau einen Knackarsch? Bei Männern, ja vor allem bei schwulen Männern, ist das ein enormer Vorteil, da jeder Kerl dir zuerst auf den Arsch schaut und dann was du vorne zu bieten hast.
Nun ist aber Schluss.
*~*~*~*
Ich musste von Hamburg weg und habe auch allen Grund dazu. Will mein Leben ändern, will neu anfangen also habe ich mir in Berlin eine Wohnung gesucht und tatsächlich was gefunden. Sie ist groß genug und ich freu mich darauf, hier ein neues Leben zu beginnen.
Als mein Bruder es erfuhr, hat er mich so lange bearbeitet, bis ich eingewilligt habe, ihn mitzunehmen. Eigentlich hatte ich von Anfang an gar keine Chance, mich gegen ihn durchzusetzen. Er ist der Dominantere von uns beiden. War es immer schon. Er setzt sich ohne Skrupel durch und ich bin derjenige, der meistens nachgibt. Bei einem Punkt bin ich jedoch standhaft geblieben und hab durchgesetzt: Er darf nur dann mit mir ziehen, wenn er einen Job in der Stadt findet. Zwei Männer, die kein Geld verdienen, das geht nicht. Ich habe zwar noch ein paar Vorstellungsgespräche, zwecks meiner Arbeitssuche, aber das Geld reicht nicht, um uns zwei zu ernähren. Das Ersparte ist nämlich für den Umzug und neue Möbel draufgegangen.
Was macht der Arsch von einem Bruder??? Na!!!
Ruft er doch tatsächlich einen alten Freund an, der hier in Berlin lebt, und findet ruckzuck einen Job. Und was für einen. Seinen Traumjob und dabei auch noch supergut bezahlt. Nur seine Arbeitszeiten sind etwas ungewöhnlich. Für mich, nicht für ihn. Sie sind zwischen 18 Uhr und früh morgens. Nun ja, er arbeitet als Manager in einem Nachtclub. Ich finde das toll, da kann er mich nämlich nicht mehr so überwachen, was ihn sehr stört. Mich irgendwie nicht.
Sein neuer Chef heißt Dante Alvarez.
Dante. Schon der Name. Mittelalterlich. Dante. Hm, bisher hat er nie von ihm gesprochen. Sie haben sich bestimmt in der Zeit kennengelernt, in der Daniel für zwei Jahre in Wien studiert hat.
Die Zeit, in der ich alleine war, wo ich Jacob über den Weg gelaufen bin und dies bis heute bereue.
JACOB – alleine die Erinnerung an ihn, verursacht mir Schmerzen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Ich bin Jacob begegnet, in der Zeit, in der ich so einsam und verloren ohne Daniel in Hamburg war. Nie war ich mehr als ein paar Tage von meinem Bruder getrennt gewesen und dann waren es volle zwei Jahre. Vielleicht ist die Einsamkeit der Grund gewesen, dass ich mit ihm was anfing. Oder, dass mir Daniel so gefehlt hatte.
Tja, heute ist Jacob mein Ex und ein Problem. Wir waren fast zwei Jahre zusammen, als er mich in einem Anfall von Eifersucht beinahe umbrachte. Nach langem Hin und Her habe ich mich endlich getraut und ihm gestanden, dass ich beim Sex gerne etwas härter angefasst werden möchte. Dass ich nicht zerbreche, wenn er mich mal etwas ruppiger anpacken würde.
Nichts gegen Vanilla Sex, aber er erfüllt mich nicht. Lässt mich leer und unbefriedigt zurück. Schon seit meiner Jugend habe ich dieses Verlangen in mir, es erfolgreich unterdrückt und dann in einem unbeobachteten Moment, schlug es zu. Ließ mich zittrig und voller Sehnsucht auf etwas, was ich nicht beschreiben kann, zurück. Nein, es ist die Neigung mich unterzuordnen, mich dominieren zu lassen, dieser leichte Schmerz, der dabei zurückbleibt. Ich wollte ihn spüren, es mit Jacob erleben.
Schonend versuchte ich es ihm beizubringen. Nichts. Dann probierte ich es mit einer anderen Methode. Machte ihn eifersüchtig mit Männern, denen man ansah, dass sie Dominant veranlagt sind.
Immer wieder hatte ich diesen Traum, in denen mich ein Mann ohne Worte nimmt. Ich liebe es in meine Fantasie abzutauchen, mir vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, wenn dieser Mann mir den Arsch versohlt, über mich bestimmt, mir sagt was ich zu Tun und zu Lassen habe.
Bei Daniel ist es mir leicht gefallen, mich unterzuordnen, wenn er mir etwas befahl. Warum sollte es bei Jacob nicht auch funktionieren?
Ich habe es versucht, wirklich versucht, es Jacob zu sagen. Es ihm vorsichtig mitzuteilen, ob wir unser Sexleben nicht was aufpeppen könnten, es interessanter zu machen. Habe ihm angedeutet, dass es mir gefallen würde, wenn er mir den Hintern versohlt. Er hatte mich angeschaut und den Kopf geschüttelt. Seine Antwort: »Wie, ich soll dich beim Sex schlagen, den Hintern versohlen? Du machst wohl Scherze, glaubst du ich bin pervers?«, blieb in meinem Gedächtnis haften und ich sprach nie wieder davon.
Wozu auch? Ist es pervers dieses Verlangen zu spüren, es ausleben zu wollen?
Doch eines Abends, wir waren in einem Club tanzen, da traf ich einen Top. Ich kannte ihn schon etwas länger und unsere Unterhaltung wurde etwas intensiver. Als der Kerl seine Hand auf mein Bein legte, mir über meine Schenkel strich und kurz über meinem Schritt verharrte, da tickte Jacob völlig aus. Er packte mich, zog mich aus dem Club und ohne ein Wort fuhren wir nach Hause. Dort zerrte er mich in unsere Wohnung, und bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, drückte er mich mit seinem Körper brutal an die Wand. Wütend raunte er in mein Ohr, ob es das ist, was ich brauche, um mit ihm glücklich sein zu können und ich Idiot nickte. Dann passierte es, er prügelte auf mich ein. Es war das erste Mal, dass er mich so grob anfasste, mir direkt ins Gesicht schlug. Ich war so erschrocken, dass ich mich nicht wehren konnte. Nein, das war nicht das, was ich von ihm brauchte, das war einfach nur blinde Wut, die Jacob beherrschte.
»Du bist nicht ganz normal. Aber wenn du auf Schläge stehst, die kannst du haben«, schrie er mich an. Ohne darauf zu achten wo seine Faust landete, mich verletzte, hieb er auf mich ein. Er schmiss mich brutal aufs Bett, zerrte mir meine Hose vom Unterleib und nahm mich brutal ohne jegliche Vorbereitung von hinten. Das Gefühl, als ob er mich von innen zerreißen würde, diese Schmerzen haben sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt.
Er vergewaltigte mich auf unserem Bett. Ein Ort, an dem wir uns unzählige Male geliebt hatten.
Als er fertig war, drehte er mich auf den Rücken, schaute in mein tränennasses Gesicht und fragte mich, ob es das ist, wonach ich so ein Verlangen hätte. Entsetzen darüber, dass er zu so einer Tat fähig war, ließ mich vor ihm zurückzucken. Ich sah, wie er seine Hand hob und bevor ich ausweichen konnte, schlug er mir noch mal ins Gesicht. Blutend, voller Schmerzen und mit einer tierischen Angst vor ihm, lag ich auf diesem Bett und versuchte vor ihm abzuhauen.
Als ich die Haustüre erreichte und in den Hausflur lief, da erhielt ich einen Stoß in den Rücken, der mich die ganzen Treppen hinunter beförderte. Von da an weiß ich nichts mehr. Das Aufwachen im Krankenhaus war schmerzhaft, und als ich wieder klar denken konnte, saß Daniel neben mir am Bett. Vor ihm stand ein Polizist und redete auf ihn ein. Mir wurde klar, dass der Mann, mit dem ich zwei Jahre meines Lebens verbrachte, den ich glaubte zu lieben, mich missbraucht und fast getötet hatte.
Jacob – mein Ex wurde zu 18 Monaten wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, weil er im Affekt handelte. Ich hätte ihn mit meinem Flirtversuch herausgefordert. Extra Eifersüchtig gemacht, dazu gebracht wütend zu werden, weil dieser Mann mich berührt hatte und ich nicht ausgewichen bin. Dass seine Eifersucht ihn nicht klar denken ließ, wurde zu seinen Gunsten ausgelegt und ich war der Schuldige. Statt dass er hart bestraft wurde, bestrafte man mich. Auch wenn er es war, der mich die Treppe hinunterstieß, so hatte ich das Gefühl, dass der Anwalt von Jacob, es so auslegte, das ich in meiner Eile von ihm wegzukommen, gestolpert bin.
Nein, ich hatte seine Hände in meinem Rücken gespürt, die mich mit voller Wucht trafen. Mich stolpern ließen und ich die Treppe hinunterfiel. Die Vergewaltigung hatte ich verschwiegen. Geschämt hatte ich mich, wollte es nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten. Dass meine Krankenakte auf dem Richtertisch lag, wusste ich nicht. Ich hatte keine Anzeige deswegen erstattet und daher wurde Jacob nur wegen der Körperverletzung verurteilt. Zwei Schwule Männer, da kann es ja nur zu so was kommen. Ich hatte Daniel das Versprechen abgenommen, es niemanden zu verraten.
Monatelang hatte ich Albträume, schlief schlecht, wanderte nachts immer in der Wohnung umher, brachte Daniel damit zur Verzweiflung. Er suchte mich und fand mich dann immer auf unserem Balkon. Eingewickelt in einer Decke lag ich auf der Liege und schlief dort. Ab und an bekomme ich auch heute noch einen Anruf auf mein Handy, dessen Nummer ich nicht kenne. In meiner Angst erzählte ich Daniel davon und er versprach mir, dass er auf mich aufpassen würde. Ich weiß, dass ich mich immer auf ihn verlassen kann. Jedes Mal, wenn ich mich nach meinem Ex erkundige, um zu wissen, ob er wieder auf freiem Fuß ist, sagt Daniel, dass er sich darum kümmern wird. Jacob hatte damals bei der Gerichtsverhandlung laut in den Raum geschrien, dass ich ihm gehöre und er sich sein Eigentum wieder zurückholt.
EIGENTUM? Pff, was denkt er sich denn? Dass ich wieder zu ihm zurückkomme?
Obwohl Jacob im Gefängnis saß, hatte ich eine scheiß Angst, dass er mich wieder in die Hände bekommen könnte. Noch heute schrecke ich nachts manches Mal laut schreiend auf und Daniel muss mich dann beruhigen. Mit der Zeit wurde es besser. Ich zog mich in meinen Körper zurück, hatte mir dort meine eigene kleine heile Welt aufgebaut. Kein Jacob, kein Schmerz nichts und niemand der mich dort angreifen konnte.
Mein Bruder redete dann stundenlang auf mich ein, nahm mich in seine Arme, versuchte mir beizubringen, dass mein Verlangen nach Dominanz nichts Schlechtes sei. Doch wenn schon mein Ex-Freund dabei so ausrastete, wie sollte dann mein Körper damit klarkommen, dass es nichts Schlimmes ist, dass es Männer gibt, die meine devote Seite lieben würden.
Aber wo war dieser eine Mann? Wo kann ich ihn finden? Wo soll ich suchen?
Mit Jacob hatte ich das Vertrauen in mich verloren. Ich wollte unbedingt zu jemandem gehören. So, als ob ich alleine keinen Wert hätte. Von meinem Verlangen getrieben auf der Suche nach Mr. Right, merkte ich mit der Zeit, dass das gar nicht so leicht war. Wollte ein Kerl mich, wollte ich nicht. Es gab immer etwas, dass mich störte. Wollte ich einen Kerl, eilte mir meistens schon ein gewisser Ruf voraus, sodass der Mann einen Rückzieher machte. Suchte ich anfangs noch in den besseren Clubs der Stadt, weitete ich schon bald mein Einzugsgebiet auf die verruchteren Etablissements aus.
Am Ende lief es dann auf Sex hinaus. Schmutziger Sex. Da war keine Zärtlichkeit, kein Kennenlernen. Im Grunde war es eine Anhäufung von One-Night-Stands.
Je schlechter es mir dabei ging, desto schlechter ging es auch Daniel. Irgendwann reichte es ihm. Er machte allen klar, sollte irgendjemand mir zu nahe kommen, ob mit oder ohne mein Einverständnis, er bekäme es mit ihm zu tun.
Daniel hat einen großen Einfluss in der Szene unserer Heimatstadt. Sein Wort, ist in den meisten Clubs rund um Hamburg, Gesetz. Von da an packte mich niemand mehr an. In dieser Situation lernte ich auch Angelo kennen. Angelo, mein Freund in der Not.
Er war zu einem Geschäftstreffen in Hamburg. Angelo schaute mich mit seinen schokobraune Augen voller Wärme an.
Ich saß traurig und alleine an der Bar eines Hotels, wohin ich mich geflüchtet hatte. Die Clubbesitzer wollten keinen Stress mit Daniel und schmissen mich kurzerhand raus, wenn ich bei ihnen auftauchte. Um mich abzureagieren, tanzte ich auf der Tanzfläche in meiner eigenen kleinen Welt.
Wir kamen ins Gespräch und er half mir über die Nacht hinweg. Wir tanzten, unterhielten uns. Ich erzählte ihm ein klein wenig von mir, von Daniel. Wie scheiße es mir geht. Er hörte einfach nur zu.
Zuerst hatte ich ihn tatsächlich angebaggert. Angelo aber sah einen Freund in mir und kein Bückstück.
Er ermutigte mich den Sprung zu wagen, nach Berlin zu ziehen, Hamburg hinter mir zu lassen. Ihm verdanke ich, dass ich mich getraut habe, ein neues Leben anzufangen. Sein Spruch, »Dass man alles im Leben erreichen kann, wenn man nur will«, hat mich dazu veranlasst. Aber auch, dass ich meinen Freund Andy dieses Versprechen geben musste. Ihn habe ich in Hamburg verloren. Ich hasse diese Stadt seitdem.
Heute, ja heute kann ich mein Verlangen bis zu einem gewissen Punkt beherrschen. Sollte dieser Punkt überschritten werden, was ich in letzter Zeit immer wieder erneut fühle, dann werde ich mich eine Zeit lang von Daniel zurückziehen, mich austoben. Ich weiß jetzt schon, dass er mich voller Verzweiflung in jedem Club der Stadt suchen wird. Ich hasse das. Ich will ihm nicht wehtun. Aber manchmal habe ich Glück, finde jemanden, der neu in der Stadt ist, der Daniel und sein Verbot noch nicht kennt. Mein Verlangen zählt in solchen Momenten mehr, als die Liebe zu meinem Bruder.
Ich liebe ihn und ich hasse mich dafür, dass ich mein Verlangen nach Dominanz, nach körperlichem Begehren, über die Liebe meines Bruders stelle.
Auch das ist einer der Gründe für unseren Umzug. Weg von der Heimat. Weg von den schlechten Erinnerungen. Neu anfangen. Daniel und ich. Ich will mein Leben und meinen Bruder wieder zurückhaben, ohne dass er sich permanent Sorgen um mich machen muss. Ich weiß, dass ich es kann. Und so fängt es nun heute endlich an. Unser neues Leben.
»Adieu Hamburg. Ab nach Berlin.«
*~*~*~*
Dante. Argh ... Dante hier, Dante da, Dante macht das, Dante tut dies. Seit Tagen höre ich nichts anderes mehr. Jedes Mal, wenn Daniel von der Arbeit nach Hause kommt, gibt es etwas Neues, was dieser Wunderknabe gemacht, getan oder gesagt hat. Alleine schon dieser Name. Wer rennt schon freiwillig mit so einem Namen rum, der bedeutet, dass man ‚ausdauernd‘ ist? Nun ja, wo drin wird er wohl schon ausdauernd sein?
Dante. Manche sind echt schon gestraft genug.
Dante gehört die Bar, in der mein Bruder als Manager angestellt ist. Der Gay-Club BLACK! Ja, er liebt es, andere herumzukommandieren. Besser er macht das auf seiner Arbeit, als bei mir. Seit er dort arbeitet, sehen wir uns seltener. Wie es sich für einen Club gehört, ist er von abends bis früh morgens in Betrieb und daher kommt Daniel auch erst in der frühe nach Hause. Meistens treffen wir uns am Frühstückstisch, wenn ich kurz davor bin, zur Arbeit aufzubrechen und er das Bett aufsucht, wenn er nicht gerade im Club übernachtet. Er hat dort ein privates Zimmer, und wenn er einen Kerl aufgerissen hat, dann kann es schon mal vorkommen, dass er dort schläft.
Auch ich habe Glück gehabt, eine Arbeitsstelle hier in Berlin zu finden. Das war gar nicht so einfach, da ich keine Arbeitspapiere und kein Arbeitszeugnis nachweisen konnte. Nichts in der Hand hatte, um einem Arbeitgeber klar zu machen, was ich leisten kann.
Mein neuer Chef aber ging das Risiko mit mir ein und gab mir einen Arbeitsvertrag. Er ist cool und zu meinem Glück genau so schwul, wie ich es bin. Er hat ein Architekturbüro in Berlin und suchte einen Innenarchitekten. Er meint, dass ihm der persönliche Eindruck eines Menschen, viel wichtiger ist als ein paar Arbeitszeugnisse.
Marc Hoffmann heißt er. 30 Jahre alt und fast so groß wie ich. Na ja, ein bisschen ist er schon größer. Nicht viel, aber es reicht, das ich zu ihm hochschauen muss. Nur eins regt mich furchtbar an ihn auf, kann ich einfach nicht an ihm leiden. Er ist Dominat bis in die Zehenspitzen und versucht es auch bei mir. Sieht man mir denn an, dass ich devot veranlagt bin? Aber genau wie Angelo, ist er nur ein Freund und sonst nichts. Also warum sollte ich mich bei meinen Freunden unterwürfig zeigen? Nein, das werde ich nur bei dem Mann machen, dem ich gehöre und sonst bei keinem.
Heute geht mir mein Bruder allerdings auf die Nerven.
Er will unbedingt, dass ich seinen Club kennenlerne. Warum nur? Bis jetzt weiß ich nur aus Daniels Erzählungen, wie es dort zugeht. Etwas wundert es mich schon, dass er so darauf besteht, mich seinen Kollegen vorzustellen. Ihr erinnert euch? Diese Sache mit meinem Verlangen und den Clubs?
Irgendwie habe ich es geschafft, mich von der Berliner Szene fernzuhalten. Ich weiß nicht warum, aber zurzeit fällt es mir leicht, dem schwulen Nachtleben zu entsagen. Ich genieße den Frieden, der mich umgibt. Kein Getratsche, kein ich weiß was, was du nicht weißt. Nur wir beide und Angelo. Ihn besuche ich regelmäßig. Er ist mein bester Freund geworden.
Er ist ein Tanzfreak genau wie ich und deswegen haben wir angefangen Kurse zu besuchen, uns weiter zu bilden. Angelo hat früher bereits professionell getanzt. Seit fast einem Jahr treten wir zusammen auf, haben eine Show daraus gemacht und werden von den verschiedensten Etablissements rund um Berlin gebucht. Niemals will ich in der Nähe von Daniels Arbeitsplatz auftreten, viel zu gefährlich. Das ist mein einziges No Go an Angelo, wenn er die Termine zusagt, ansonsten kann er machen, was er will.
Nach manchen Auftritten bekomme ich von den Männern im Club, immer Unmengen Angebote zugesteckt. Viele fragen, ob ich zu Angelo gehöre und ich bejahe das immer. Es fällt mir so leichter, die Finger von den Tops zu lassen. Und sie von mir. Nicht mehr Ausschau zu halten nach dem Mann, der mir gehören könnte. Irgendwie ist das schon frustrierend für mich.
Doch nun zu Daniel, meinem Bruder.
Warum er jetzt will, dass ich ihn in den Club begleite, begreife ich nicht. Laut Daniel, ist der Club eine Tummelstelle für Twinks und devote Männer. Oder anders ausgedrückt, ein Angelbecken für Tops und Doms.
Und in diesen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: (c) MAIN Verlag, 2014
Bildmaterialien: (c) MAIN Verlag, 2014
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5769-8
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Das Buch ist bereits erschienen und in allen Shops erhältlich.
Neschka Angel bei Amazon:
http://www.amazon.de/Neschka-Angel/e/B00OYS7HMI