Juni 2010
"Du möchtest das wirklich machen? Ich meine, ganz wirklich?"
Hedwig nickte entschlossen, doch ihre Schwester Frederike war nicht wirklich überzeugt.
"Hede, ich kenne dich jetzt schon seit 19 Jahren. Du hattest noch nie vor, deine Haare zu färben. Nur wegen so nem verkackten Typen..." Hedwig ließ ihre ältere Schwester jedoch nicht ausreden.
"Glaub mir, das ist genau das, was ich jetzt brauche. Ich will einmal eine Veränderung in meinem Leben. Und es sind nur meine Haare, das ist doch ..."
Jetzt war es Frederike, die ihre Schwester nicht ausreden ließ.
"Ich glaube, ich habe mich wohl verhört! Nur deine Haare? Ich bitte dich! Seit dem du reden kannst, muss ich mir alle fünf Minuten etwas über deine achso tollen roten Haare anhören. Da glaub ich dir jetzt nicht, dass du das ernst meinst."
Der Rotschopf atmete genervt aus. Was ihre Schwester erzählte, entsprach zwar der Wahrheit, jedoch wollte sie nicht mehr der kleine Karottenkopf sein. Sie war 19, hatte zum Glück ihr Abitur bestanden, und ihr erster Freund, mit dem sie gerade einmal ein Jahre zusammen gewesen war, hatte sie vor zwei Tagen verlassen. Wenn sie jetzt nichts an ihrem Leben änderte, wann denn dann? Gut, es waren - für die meisten zu mindest - nur Haare, doch bei Rothaarigen ist das nocheinmal etwas anderes. Man identifiziert sich sehr stark damit. Doch Hedwig war nun so weit. Sie wollte sich mit etwas neuem identifizieren, sie wollte eine Veränderung.
Und so stieg sie entschlossen aus dem Fiat Punto ihrer Schwester, und lief ohne Umschweife auf den Friseursalon zu.
~*~ Zwei Wochen später ~*~
Ein unangenehmes Piepen riss Hedwig aus ihrem Tiefschlaf. Sie wusste, dass heute Samstag war, weshalb also klingelte dann verdammt nochmal dieser verfluchte Wecker. Ein Blick auf die digitale Anzeige ihres Weckers klärte diese missliche Situation. Heute war der 09.07.2010, der 21. Geburtstag ihrer Schwester.
Das hieß wie bei jedem Geburtstag morgens früh aufstehen, um dem Geburtstagskind das Frühstück zu machen, und ihm ans Bett zu bringen. So machten es Hedwig, Frederike und ihre Mutter Irma schon seit dem sie denken konnte.
So stand Hedwig also auf, und schlurfte in ihren Plüschhausschuhen hinunter in die Küche.
"Morgen Schatz, gut geschlafen?", wurde Hedwig von ihrer Mutter begrüßt. Lediglich ein Nicken brachte sie zu Stande.
"Wenn du abends nicht immer noch so lange lesen würdest, wärst du morgens wesentlich fitter.", kommentierte Irma.
"Mama... ich bin 19, fast 20.", versuchte sich Hedwig zu rechtfertigen, und strich sich die schwarzgefärbten Haare, die ihr wie nach einem starken Sturm vom Kopf standen, hinters Ohr. Doch ihre Mutter schien nicht überzeugt. Mit in Falten gelegter Stirn blickte Irma ihre Tochter über ihre Brille hinweg an.
"Das Buch war einfach zu gut. Ich musste es fertig lesen."
"Du meinst doch nicht etwa das dicke Buch, mit dem du vorgestern erst angefangen?"
Das Schweigen war für Irma eindeutig.
"Naja, ist ja jetzt auch egal. Hilfst du mir jetzt mit dem Frühstück?", lenkte sie nun vom Thema ab.
Wie üblich gab es für Frederike zum Geburtstagsfrühstück Pfannkuchen. Etwas das Hedwig nun überhaupt nicht ausstehen konnte. Pfannkuchen mit Zucker und Zimt. Das hatte sie noch nie gemocht. Aber es war ja auch Fredi's Geburtstag.
Eine gute viertel Stunde später standen Irma und ihre Tochter dann endlich neben dem Bett des Geburtstagskindes. Der Anblick ihrer schlafenden Schwester bescherte Hedwig jedes mal sehr viel Freude. Wie konnte man nur so schlafen? Auf dem Bauch liegend, alle Viere von sich getsreckt, und ihre blonden, langen Haare, die sie jedes Mal vor dem Schlafengehen zu einem teletubbie-ähnlichen Dutt band, der während dem Schlaf locker wurde, so dass sie mit dem Gesicht darauf lag. Hedwig war kurz vor einem Lachanfall, als ihre Mutter endlich begann zu singen. Mit viel Selbstbeherrschung konnte sich Hedwig das Lachen verkneifen,und stimmte mit in das Lied ein.
Langsam begann Fredi sich unter ihrer Bettdecke vorzukämpfen, bis sie schließlich , vor Freude fast platzend, aufrecht und überhaupt nicht müde in ihrem Bett saß.
"Alles Gute zum Geburtstag, Fredi.", sagten Mutter und Tochter gleichzeitig.
"Danke, ihr zwei."
Hedwig stellte das Tablett, auf dem das Frühstück stand, auf Fredi's Nachttisch, damit sie sich mit auf das Bett setzen konnte. Ihre Mutter hatte die Geschenke nun ebenfall auf dem Bett ausgebreitet, und Frederike schien ziemlich erstaunt.
"Wow, ist das alles für mich?", hackte sie nach.
"Nein, das ist für's Nachbarkind.", antwortete Hedwig darauf, woraufhin sie von ihrer Schwester in die Schulter geboxt wurde.
Übertrieben rieb sich Hedwig die Schulter. Sie liebte es, so mit ihrer Schwester rumzublödeln. Ab und zu gab es natürlich auch mal einen Streit, jedoch konnte keine der anderen lange böse sein. Es freute sie, dass sie so ein enges und gutes Verhältnis zu ihrer Schwester und auch zu ihrer Mutter hatte, denn sie wusste, dass das nicht selbstverständlich war. Sie hatte genügend Freundinnen, bei denen es nicht so harmonisch zu ging. Doch darüber wollte sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.
"Los, jetzt pack schon deine Geschenke aus!", drängelte Hedwig ihrer Schwester. Hedwig wusste nur zu gut, wie das Auspacken jetzt ablaufen würde. Wie immer schloss Frederike ihre Augen, machte ein angestrengtes Gesicht, und ließ ihre rechte Hand über die Geschenke kreisen, als wollte sie einen Zauber heraufbeschwören.
Gefühlte drei Stunden dauerte es, bis Fredi das erste Geschenk auserwählt hatte. Aufmerksam begutachtete sie das kleine, rechteckige Päckchen.
"Ich kann es gar nicht glauben, dass sie wirklich 21 sein soll.", gestand Hedwig ihrer Mutter, die daraufhin nickte.
"Meine Fredi wird für mich immer mein kleines Mädchen bleiben.", antwortete sie, und kniff ihrer Ältesten dabei in die rechte Wange.
"Jetzt werdet hier mal nicht sentimental...", erwiderte Frederike nur, und begann dann endlich, das Geschenk auszupacken.
Hedwig wusste genau, was in diesem Päckchen drin war, und konnte es kaum erwarten Fredi's Gesichtsausdruck zu sehen.
Fredi's Gesichtszüge erstarrten, sie blinzelte nicht mehr, und starrte nur noch auf das Geschenk.
Es verstrichen einige Sekunden, ehe Fredi ihre Stimme wieder gefunden hatte.
"Das ist...wirklich das,...was ich denke...das es ist?", brachte sie kaum hörbar raus.
Sowohl Irma als auch Hedwig hatten ein breites Grinsen im Gesicht.
Auf einmal schien Frederike zu begreifen, was sie da in ihrer Hand hielt, und rastete aus.
"Das sind Karten für Sons Norðusins !", schrie sie.
"Oh mein Gott, wie? Die sind doch nie in Deutschland!"
Das wunderte Hedwig überhaupt nicht, immerhin war diese Band eine nicht gerade bekannte isländische Metalband.
Und Frederikes Lieblingsband seit sie elf Jahre alt war.
"Naja, doch. Zumindest in einer Stadt sind sie. In Hamburg, um genau zu sein.", erklärte Hedwig .
So erfreut Frederike zuvor noch war, schien sie jetzt wie vor den Kopf getsoßen.
"Ähm, Leute, das ist von uns einnmal quer durch Deutschland."
Da hatte sie Recht. Das Frauen-Trio lebte in einem ziemlich kleinen Dorf in Bayern, an der Grenze zu Österreich.
"Deshalb musst du dieses Geschenk hier auch mal öffnen.", erklärte ihre Mutter.
Schneller als zuvor hatte Fredi das Päckchen aufgerissen und staunte nun noch mehr.
"Okay, wartet ... wir fliegen nach Hamburg? Und bleiben dort übers Wochenende?", fragte Frederike, während sie mit den drei Flugtickets und der Hotelbuchungsbestätigung neben ihrem Gesicht herumwedelte.
"Das muss doch ein Vermögen gekostet haben. Mama, das können wir uns doch gar nicht leisten.", stellte sie ernüchternd fest.
"Lass das mal meine Sorge sein, Schätzchen. Und jetzt mach gefälligst die anderen Päckchen auf, bevor ich sie wirklich dem Nachbarskind gebe!", beruhigte Irma ihre Tochter.
Damit schien Frederike zufrieden zu sein, und so hatte sie in windeseile ihre anderen Geschenke ebenfalls ausgepackt.
Hedwig stand, in ein Handtuch gewickelt, seit geschlagenen 30 Minuten vor dem Spiegel und begutachtete sich. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich die Haare schwarz zu färben? Genervt von ihrer eigen Dummheit, zog sie ihre einst so achgeliebegten Haare in sämtliche Richtungen. Wieso hatte sich niemand auf sie geworfen, als sie in den Friseursalon ging? Es sah nämlich einfach nur schrecklich aus. Die Farbe stand ihr überhaupt nicht, und das hätte ihr diese Frisöse auch ruhig sagen können. Ihre Haut war viel zu blass, dazu die Sommersprossen, die sich vereinzelt über ihre Nase und Stirn zogen. Doch das schlimmste waren ihre Augenbrauen. Ihre roten Augenbrauen. Das sah einfach nur beschissen aus. Schwarze Haare und rote Augenbrauen. Sie hätte sie auch färben können, doch, da war sich Hewig sicher, dann würde es vermutlich so aussehen, als hätte sie einen Hamster im Gesicht.
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kam jetzt auch noch hinzu, dass ihre Haare total kaputt waren, da man ihre rote Mähne zuvor nämlich hatte bleichen müssen, weil sonst die Farbe nicht gehalten hätte. Jetzt konnte sie nur noch eins tun. Warten bis sich das Schwarz rausgewaschen hatte, und dann die Haare wieder rot färben.
"Hedwig, bist du dann mal fertig?", schrie ihre Mutter ihr von unten hoch.
Wie bei jedem Geburtstag ging es am Mittag immer noch zu ihrer Großmutter, die nur zwei Dörfer weiter wohnte.
"Ja, wartet ich komm gleich!", antwortete sie.
So entledigte sie sich ihres Handtuchs, und schlüpfte in ihre schwarze Spitzenunterwäsche.
Keine fünf Minuten später stand sie dann auch schon im Wohnzimmer, wo ihre Schwester und ihre Mutter bereits auf sie warteten. Als die beiden Hedwig jedoch sahen, konnten sie sich ein Lachen nicht verkneifen.
Damit hätte sie rechnen müssen, doch sie wollte einfach nicht mit ihrer neuen Haarfarbe draußen rumlaufen.
"Jetzt mal im Ernst, Hedwig, willst du zu nem Kiffer-Festival?", fragte Frederike.
Sie hatte sich nämlich einen Dutt gemacht, und die Schlabbermütze in den jamaicanischen Farben, die sie einmal von ner Freundin geschenkt bekommen hatte, darüber gestülpt, so dass man nicht einmal mehr ihren Haaransatz erkennen konnte.
"Lasst mich.", erwiderte sie genervt. "können wir dann gehen?"
Die zwei auf dem Sofa nickten, noch immer mit einem fetten Grinsen im Gesicht.
Während der Autofahrt konnte Hedwig die nachdenklichen Blicke, die ihre Mutter ihr über den Rückspiegel zuwarf, die ganze Zeit spüren. Wenn das mal nicht noch zu 'nem stundenlangen Vortrag kommt, dachte sie sich. Ihre Mutter wusste, wenn etwas nicht mit ihr stimmte, meistens noch bevor Hedwig selbst wusste, was mit ihr los war.
Irgendwann konnte Hedwig es jedoch nicht mehr aushalten.
"Mama, wärst du so nett und schaust auf die Straße. Du schaust mich an, als hätte ich gerade ne Krise hinter mir."
Sie schüttelte aber nur ihren Kopf, und seufzte leise. Zumindest schaute sie jetzt nur noch auf die Straße.
Nur ein paar Minuten später parkte Irma das Auto auf den Hof ihrer Oma. Hedwig liebte es hier. So viele schöne Erinnerungen verband sie mit diesem hübschen, kleinen Häuschen ihrer Oma. Früher hatte sie gedacht, dass das Haus aus einem Märchenland komme, da es einfach nur einzigartig und zauberhaft aussah.
Es war ein altes, etwas schiefes Fachwerkhaus. Die Fassade war in einem zarten blau gestrichen, die Holzbalken weiß. Doch der Eingang hatte ihr immer am besten gefallen. Die Veranda hatte ihrer Oma, auf Hedwigs Anraten hin - damals war sie gerade vier Jahre alt gewesen - rosa getrichen. Der rosafarbene Bogen, unter dem man durch musste, war über und über mit weißen Rosen bewachsen. Am Rest der Veranda wuchsen die verschiedensten Blumen hinauf. So hatte sie sich immer das Schloss von Dornröschen vorgestellt.
"Grias de Gott, ma Geburtsdogskindl.", begrüßte ihre Großmutter Frederike, in ihrem schönsten bayrischen Dialekt.
"Hi Oma," begrüßte Fredi sie, und wurde gleich in eine Umarmung gezogen.
"I wiansch dir olles Guade zum 21, ma gloane Frederike."
Die anderen zwei hatten Großmutter Johanna noch nicht einmal begrüßt, denn diese hatte Frederike sofort mit ins Haus gezogen.
"Jedes Mal das selbe.", sagte Irma zu ihrer Tochter.
Hedwig zuckte nur mit den Schultern, und folgte ihrer Mutter, mit samt der Erdbeertorte, in das kleine Märchenschloss.
Der Duft von getrockneten Kräutern begrüßte sie wie jedes Mal wenn sie das Haus betrat.
Neugierig schaute sich Hedwig um, denn ihre Großmutter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, alle paar Tage etwas neues zu basteln, umzugestalten, zu streichen oder zu nähen. Sofort fielen ihr die bunten, rechteckigen Kerzenhalter auf, die über dem Esstisch in der Küche hingen. Außerdem hatte sie den Esstisch einmal wieder neu gestrichen, wer hätte es gedacht - in blau. Hedwig musste schmunzeln.
"Träum nicht, Hedwig. Wir wollen den Kuchen anschneiden.", schrie ihre Schwester aus der Küche.
"Jaja.", antwortete sie nur.
"Spatzerl, los die anschaun," wurde sie nun von ihrer Oma begrüßt. "Schee bist's. Und jedes mol wirsts a wengerl scheener wenn i de seh.", sagte Johanne zu ihrer Enkelin, und strich ihr über ihre Schultern.
"Danke, Oma.", erwiderte sie, und drückte ihrer Oma einen Kuss auf die Wange.
Frederike saß bereits draußen unter dem ebenfalls von Rosen bewachsenen, weißen Holzpavillon, und trommelte wie wild auf dem Tisch rum. Manchmal fragte sich Hedwig, ob nicht doch sie selbst wohl eher die ältere war. Doch so war Fredi nun mal, und das liebte sie auch. Ihre Schwester nahm kein Blatt vor den Mund, war immer gut gelaunt und ziemlich stürmisch. Wenn sie etwas wollte, ließ sie nicht locker, und dabei machte sie bei niemandem eine Außnahme.
“Bleib ruhig, Frederike . Dein Kuchen kommt ja gleich.“, versuchte Hedwig ihre ältere Schwester zu beruhigen.
“Ich bin doch ganz ruhig.“, antwortete sie “ich hab nur mal wieder ne Melodie im Kopf die raus muss.“
Das war auch so typisch Fredi. Mittlerweile saß auch Hedwig unter dem wunderschönen Pavillon, und ließ ihren Blick durch den Märchengarten schweifen. Als Kinder hatten Frederike und sie hier immer tolle Abenteuer erlebt.
Die Erinnerungen an ihre wirklich schöne Kindheit ließ Hedwig schmunzeln.
“An was denkst du denn, dass du so verträumt schaust?“, hackte Fredi, neugierig wie sie war, nach.
Gerade als Hedwig antworten wollte, kamen ihre Mutter und Großmutter mit dem Kuchen, auf dem die 21 Kerzen bereits brannten, zu ihnen.
“So, dann puste mal Schätzchen.“, sagt Irma zu ihrer Tochter.
Es war bereits spät und die Dunkelheit hatte sich über das Land gelegt. Alle bis auf Hedwig hatten es sich schon im Haus gemütlich gemacht, nur sie saß noch unter dem nach Rosen duftenden Pavillon, und lauschte den Klängen, die die anbrechende Nacht mit sich brachte. Aufmerksam hörte sie den Grillen zu, die eifrig miteinander um die Wette zirpten, und es dauerte auch nicht lang, bis das erste Glühwürmchen an Hedwig vorbei flog. Sie liebte es um diese Jahreszeit noch so lange draußen zu sein, und konnte sich auch nichts vorstellen, das schöner war. Nur eine Sache vielleicht. Um diese Jahreszeit im Gras zu liegen, und das hatte sie auch vor. Langsam stand sie auf und legte sich auf eine weiche Stelle. Das Gras war noch ganz warm von der Mittagssonne, und fühlte sich zwischen ihren nackten Füßen wunderbar weich an. Tief atmete sie die nach gemähtem Gras duftende Luft ein. Automatisch musste sie an einen Abend vor zwölf Jahren denken.
Es war der neunte Geburtstag ihrer Schwester gewesen. Sie hatten damals, genau wie heute, ihre Oma besucht. Die ganze Verwandtschaft und Freunde von Fredi waren da gewesen. Alle Gäste hatten sich draußen unter dem Pavillon versammelt, und ihre Oma wollte gerade den Kuchen anschneiden, als Hedwig bemerkte, dass ihre große Schwester gar nicht da war. Unbemerkt hatte sie sich davonschleichen können, und begab sich auf die Suche. Naja, es war keine Suche im wirklichen Sinne gewesen, da Hedwig sofort gewusst hatte, wo ihre Schwester war - nämlich an dem geheimen Lieblingsort der zwei Schwestern. Durch Zufall hatten sie ihn entdeckt, als ihnen einmal beim Fußballspiel der Ball abhandengekommen war. Er war durch ein Loch im Zaun hinter der Hainbuchenhecke gerollt. Ohne groß nachzudenken waren die zwei ihm gefolgt, und hatten den wohl schönsten Ort der Welt entdeckt. An das Haus ihrer Großmutter grenzten ein Bach und ein kleiner Wald. Den Ball fanden sie neben einer riesigen, alten Buche, deren Wurzeln in einem Halbkreis sichtbar bis zum Bach verliefen. Die kleine Fläche, die von den Wurzeln und dem Bach eingegrenzt wurde, war bedeckt mit dem schönsten, grünen Gras, das die Zwei je gesehen hatten, und wirkte noch viel satter durch die Sonne, die direkt auf diese Stelle schien.
Seit der Entdeckung dieses wunderschönen Örtchens waren Hedwig und Frederike oft dort gewesen. So auch an dem neunten Geburtstag von Fredi.
“Was machst du denn hier?“, hatte Hedwig ihre Schwester damals gefragt, während sie sich zu ihr ins Gras nieder ließ. Auch an diesem Tag war es einmal wieder unbeschreiblich warm gewesen. Die Sonne schien wieder auf die Stelle zwischen Baum und Bach, doch das Gras war wie immer kühl. Fredi lag mit geschlossenen Augen auf dem Gras, und lauschte dem Plätschern des Wassers.
“Naja, es ist mein Geburtstag, und ich wollte hier sein.“, antwortete sie schlicht.
“Aber all deine Gäste sind doch dort, du kannst doch nicht einfach gehen.“, stelle Hedwig fest, während sie sich neben Fredi ins Gras legte.
“Aber ich wollte doch gar nicht, dass die alle kommen.“, flüsterte sie. “ich wollte alleine mit dir, Mama und Oma feiern.“
Das konnte Hedwig gut verstehen, da sie den Großteil ihrer Verwndtschaft einfach nicht leiden konnte.
"Dann bleiben wir jetzt einfach hier liegen.", erwiderte Hedwig.
Und das taten sie. Doch ihr Fehlen blieb leider nicht lange unbemerkt. Nach einiger Zeit konnten die zwei Schwestern hören, dass man nach ihnen rief, und kurz darauf beugte sich ihre Mutter in das Sichtfeld der zwei am Boden Liegenden.
Von ihrer Mutter hatten sie daraufhin ganz schön was zu hören bekommen. Aber da sie nie lange wütend sein konnte, hatten sie sich schnell wieder vertragen und widmeten sich dem Kuchen.
Am späten Abend dann, es war schon dunkel geworden und die Gäste hatten sich auch alle wieder nach Hause begeben, hatte ihnen ihre Großmutter zwei Decken in die Hand gedrückt und mit einem Zwinkern gesagt:
"So Mädls, jetzt kennt ihr goans in Ruhen oar Platzl gnießn."
Ohne zu zögern hatten sie sich die Decken geschnappt und waren durch das Loch im Zaun gekraxelt. Etwas mulmig war es Hedwig damals schon gewesen, alleine im Dunkeln im Wald zu sein, doch Frederike hatte sie an der Hand gepackt und ihr aufmunternd zugenickt.
"Keine Sorge, ich passe auf dich auf , Schwesterchen.", hatte sie mit ihrer hellen und freundlichen Stimme gesagt.
Und seit diesem Tag war es zur Tradition geworden, dass die beiden an Fredi's Geburtstag am Abend zu ihrem Platz gingen.
Tief in Gedanken versunken bemerkte Hedwig gar nicht, dass ihre Schwester sich ihr genähert hatte.
"Und - wollen wir?", holte Frederikes Stimme Hedwig aus ihren Erinnerungen.
"Aber sicher doch!", antwortete Hedwig ihrer Schwester. Diese half ihr auf die Beine, und zog sie dann hinterher. Mittlerweile war es doch schon schwieriger geworden durch das Loch zu klettern, doch das machte den beiden nichts aus.
Eine Deke legten sie auf den Boden, die andere nahmen sie zum zudecken.
Eine Weile lang lagen sie schweigend nebeneinander. Sie mussten nicht immer reden, um sich zu verstehen.
So lauschten sie eine ganze Weile dem Rauschen des Baches.
"Darf ich dir mal etwas sagen, Hede?", brach Frederike dann die Stille.
"Aber sicher doch."
"Naja, ich habe Angst...", flüsterte sie.
Verwirrt zog Hedwig die Augen zusammen. Noch nie hatte sie das aus dem Mund ihrer Schwester gehört.
"Ich habe Angst davor, dass bald nichts mehr so sein wird, wie es jetzt ist. Und ich bin mir sicher, dass irgendetwas Gewaltiges kommen wird."
Hedwig war etwas überrumpelt. Natürlich gingen ihr in letzter Zeit auch immer häufiger solche Gedanken durch den Kopf, doch es war eine Tatsache, dass nichts auf ewig Bestand hatte.
"Ich weiß, was du meinst," gestand Hedwig. "Aber denkst du nicht, dass Neues auch gut sein kann? Ich meine, ich liebe es so, wie es gerade ist, aber ich bin mir sicher, dass dies eben nicht auf ewig so bleibt."
Resigniert ließ sich ihre ältere Schwester auf den Rücken fallen.
"Das ist mir durchaus bewusst, aber ich fürchte mich trotzdem davor.", antwortete Fredi mit immer leiser werdender Stimme.
"Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen. So wie es kommt, so kommt's. Und du machst es nicht besser indem du dir jetzt Sorgen machst.", versuchte Hedwig sie zu trösten.
Ein sanftes Lächeln schlich sich auf Fredi's Mund.
"Du hast ja Recht, kleine Schwester. Wir sollten einfach die Zeit jetzt genießen. Und morgen schauen wir dann weiter."
"Genau so machen wir's."
"HEDWIIIIIG!", schrie Frederike von unten.
"Wegen dir verpassen wir unseren Flug noch!"
"Ich komme ja schon. Meine Güte, reiß dich zusammen, du kleine Diva!", schrie Hede zurück, während sie mit ihrem Gepäck die Treppen hinunter stolperte.
Im Eiltempo lotste Frederike ihre Mutter und ihre Schwester zu dem Auto ihrer Großmutter, die bereits seit einiger Zeit mit laufendem Motor vor dem Haus stand.
Wie ein wild gewordenes Tier schmiss Frederike das Gepäck in den Wagen, und stürzte sich dann ins Auto hinein. Ihre Mutter und ihre Schwester hatten das Szenario aufmerksam verfolgt, und standen etwas überrumpelt neben dem VW.
"Jetzt kommt schon. Steigt ein oder ich fliege mit Oma da hin!"
Um Frederike nicht noch wütender zu machen, stiegen die zwei ins Auto, und kaum saßen sie drin, befahl Fredi ihrer Großmutter loszufahren.
Die ganze Fahrt über war Frederike unausstehlich gewesen. Und wäre ihre Großmutter nicht dabei gewesen, hätte Hedwig ihre Schwester vermutlich aus dem Auto geworfen. Doch wenn sie dachten, dass die Fahrt die Hölle war, dann hatten sie sich getäuscht.
Kaum waren sie an Bord des Flugzeuges gewesen, hatte Frederike nicht mehr aufgehört von dieser tollen Band zu schwärmen. Für Irma und Hedwig war dies irgendwann unerträglich, so dass sie ihr kurzer Hand verboten hatten, auch nur ein Wörtchen über diese Band zu verlieren, bevor sie am nächsten Abend die Konzerthalle betreten würden, da sie sonst sofort wieder zurückfliegen würden. Erstaunlicher Weise nahm sie das wirklich ernst, und sie hielt tatsächlich ihre Klappe. Naja, zumindest was die Band betraf.
Da Hedwig das Geplappere ihrer Schwester wirklich nicht ertragen konnte, beschloss sie ein wenig Musik zu hören. So zog sie, gut sichtbar für ihre Schwester, ihrern MP3-Player aus ihrer Tasche, steckte sich die Ohrhörer in die Ohren und drehte sich dann zum Fenster. Und so musste den Flug über ihre Mutter unter Frederike's Quaseleien leiden.
~*~
"Wow, Mama... das Zimmer ist der absolute Oberhammer!", brüllte Fredi, die sich gerade das Bad anschaute.
Auch Hedwig gefiel das Zimmer sehr. Es gab zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit Küche und ein Bad mit Badewanne... der pure Luxus. Schon lange hatten sich die Drei keinen Urlaub außerhalb ihres Gartens mehr leisten können, was das ganze für Hedwig und die anderen zwei noch schöner machte.
"Ich hoffe euch gefällt es?", erkundigte sich ihre Mutter, die die Antwort natürlich kannte.
"Ob es mir gefällt? Ich will hier nie wieder weg! Auf dem Dach gibt es eine Bar, und 'nen Whirlpool! Ihr bekommt mich hier nie wieder raus!", quiekte Fredi fröhlich, während sie sich immer mehr in den Flyer des Hotels vertiefte.
"Gut, dann gehe ich morgen eben alleine zu dem Konzert.", erwiderte Hedwig darauf.
"Ach, sei nicht so doof Hede, du weißt was ich meine!"
"So Mädels, ich lasse mich jetzt unten im Spa-Bereich verwöhnen. Wenn ihr wollt könnt ihr ja mitkommen?"
Den zwei Schwestern blieb der Mund offen stehen. Sie hatten nicht gewusst, dass es hier auch einen Spa-Bereich gab!
Unfähig zu antworten nickten beide nur.
"Dann packt eure Koffer aus, und wenn ihr fertig seid, kommt ihr runter. Ich geh schon mal vor."
Auch ihrer Mutter schien es hier durchaus zu gefallen. Wenn das mal kein tolles Wochenende werden würde...
Den ganzen Freitag verbrachte Hedwig, zusammen mit Frederike und ihrer Mutter, im Spa-Bereich. Erst gegen Abend verließen sie ihn, da sie merkten, dass sie den ganzen Tag über noch nichts gegessen hatten.
Doch auch das ließ sich beheben.
So saßen sie am späten Abend zusammen draußen auf der Terasse und genossen ihr vier Sterne Menü.
"Also wisst ihr, so könnte von mir aus jeder Tag sein.", teilte Frederike den anderen mit.
"Ach was, tu doch nicht so erhaben. Das wäre dir irgendwann viel zu langweilig!", sagte Hedwig und nahm einen Schluck von ihrem Wein.
Daraufhin mussten die zwei Schwestern lachen und auch ihr Mutter konnte es sich irgendwann nicht merh verkneifen.
"Auf die erhabene Frederike.", sagt Irma und streckte ihr Glas in die Mitte, um mit ihren Töchtern anzustößen.
"Auf die erhabene Frederike.", trällerten Hede und Frederike im Chor, und ließen die Gläser aneinander klirren.
"Und du bist ganz sicher, dass du nicht mitkommen willst, Mama?", fagte Frederike nun zum tausendsten Mal nach. "Es gibt bestimmt noch Karten an der Abendkasse."
Ihre Mutter schüttelte jedoch zum wiederholten Male den Kopf.
"Wer will als 21-Jährige mit seiner Mutter auf ein Konzert gehen?", fragte Irma nur.
Gerade ald Frederike antworten wollte sprach Irma aber schon weiter.
"Du musst hier jetzt nicht rumschleimen. Geht auf dieses Konzert und habt Spaß. Ich werde mir jetzt einen gemütlichen Abend im Whirlpool machen."
Mit diesen Worten gab Irma ihren zwei Töchtern noch einen Kuss auf die Stirn, und verabschiedete sich dann mit einem 'Gute Nacht und habt viel Spaß' und ging dann ins Badezimmer.
Aufgeregt machten sich Hede und Fredi auf den Weg nach unten, wo bereits ein Taxi auf sie wartete, das sie zur Konzerthalle bringen würde.
"Weißt du, Hedwig, ich habe so ein Gefühl, dass heute Abend der beste Abend unseres Lebens werden wird.", sagte Fredi, als sie bereits im Taxi saßen.
"Was du nicht immer so für Gefühle hast...", antwortete Hedwig darauf.
Offensichtlich würde das eine etwas längere Fahrt werden, und Frederike nutze das, um ununterbrochen über ihre Lieblingsband zu reden. Gekonnt schaltete Hede ab, und nickte nur noch ab und zu, wenn sie das Gefühl hatte, dass Fredi auf eine Reaktion wartete.
Sie betrachtet ihre ältere Schwester genauer, und musste zugeben, dass sie ziemlich gut aussah mit ihrern auftupierten, langen , blonden Haaren, und ihren ewig langen Beinen, die in einer engen schwarzen Jeans steckten. Dazu trug sie das neue Band-Shirt, dass sie letzte Woche zum Geburtstag bekommen hatte, welches natürlich von ihrer aller liebsten Lieblingsband war. Alles in allem sah Frederike einfach scharf aus, sie wiederum eher weniger.
Sie war viel kleiner als Fredi, war nicht so schlank, und hatte keine so tollen Beine. Das einzigst gute waren ihre roten Haare... aber die hatte sie sich ja unbedingt schwarz färben müssen.
Zwar war die Farbe zum größten Teil schon wieder rausgewaschen, und das Rot hatte größten Teils wieder ihre Haare eingenommen, jedoch war es Hedwig nicht gelungen, das restliche Schwarz zu überdecken. Zweimal hatte sie die Woche über versucht mit Henna-Haarfarbe ihre Haare wieder zu ihrem gewohnten Rot zu färben, doch das Schwarz war einfach zu dominant. Und so sah es auf ihrem Kopf mehr danach aus, als hätten sich darauf Orks und Menschen bekämpft.
So in Gedanken versunken, bemerkte Hedwig gar nicht, dass der Fahrer angehalten hatte.
Erst als Fredi auf der anderen Seite des Taxis die Tür aufriss, und sie an ihrern Haaren rauszerrte.
"Au, Fredi, lass das! Du tust mir weh!", keifte sie daraufhin ihre Schwester an.
"Selbst Schuld.", antwortete diese aber nur. "Schreibst du Mama noch kurz, dass wir jetzt vor der Konzerthalle sind? Nicht dass sie noch durchdreht vor Panik um uns."
Hedwig nickt, und zückte ihr Handy aus ihrer Hosentasche. Schnell hatte sie die SMS getippt und geschickt, doch war ihr dabei das Fehlen ihrer Schwester entgangen.
"Frederike!", schrie Hedwig vor lauter Panik, da sie ihre Schwester nirgendwo sehen konnte. Daraufhin drehten sich sämtliche Köpfe in ihre Richtung, die sie nur dumm anschauten.
"Was glotzt ihr denn so blöd?", maulte sie daraufhin die Leute nur an, und ließ ihren Blick erneut durch die Menge schweifen, auf der Suche nach ihrer Schwester.
Doch ihr Blick blieb an jemandem hängen, der ganz und gar nicht ihre Schwester war.
Gerade als sie sich den Rest des Mannes, mit diesen bezaubernden blauen Augen genauer anschauen wollte, tauchte in ihrem Blickfeld ihre Schwester auf, und sofort waren die Augen vergessen.
"Wo zur Hölle warst du, du dumme Nuss?! Du kannst mich doch nicht einfach so hier stehen lassen!", maulte sie ihre ältere Schwester an.
"Tut mir Leid, ich dachte du hättest mir zugehört, als ich dir gerade sagte, dass ich nachschaue, wo man sich hier anstellen muss. Da musst du doch nicht gleich ganz Hamburg zusammenbrüllen!"
Leicht gereizt, stellten sich die beiden in der Schlange hinten an, und warteten darauf, dass es vorwärts ging. Tatsächlich ging das ziemlich schnell, und schon zehn Minuten später standen sie in der Halle.
"Oh man, ich kanns immer noch nicht glauben. Ich werde gleich... ", setzte Frederike zum wiederholten Male an, um ihre Unfassbarkeit über diesen Konzertbesuch auszudrücken, als sie plötzlich aufhörte zu reden.
Hedwig ließ das aufschauen, da das nicht natürlich für Fredi war. Diese starrte jedoch ohne zu zwinkern auf einen Punkt hinter ihr. Als sie sich umdrehte, wusste Hedwig sofort, was ihrer Schwester die Sprache verschlagen hatte.
Hinter ihr hatte ein blonder Riese die Halle betreten. Er war mindestens 1,90 m groß, und hatte hellblondes schulterlanges Haar, und trotz des eher dunklen Lichts, strahlten seine blauen Augen. Hinzu kam, dass er ziemlich durchtrainiert war, so machte es zumindest den Anschein unter seinem grünen Parka.
Frederike starrte den Typen immer noch an.
"Oh man, das kann ja ein heiterer Abend werden.", murmelte Hede vor sich hin.
"Frederike, ich geh uns mal was zu trinken holen. Wie wäre es, wenn du uns schon mal nen Platz ganz vorne besorgst?"
Als Fredi nach dem dritten Schulterrütteln endlich wieder zu Bewusstsein kam, starrte diese Hedwig nur verständnislos an.
"Ich gehe Trinken holen, du stellst dich vor.", schrie Hedwig, da es so langsam immer lauter wurde.
Frederike nickte und kämpfte sich durch die Massen durch.
'Wenn das so den ganzen Abend weitergeht, dreh ich ihr den Hals um' dachte sich Hedwig, die sich auf die Suche nach der Bar machte.
Diese zu finden war keine große Sache gewesen, doch wie sie nun etwas bestellen sollte, war ein Problem. Vor der Theke tummelten sich duzende Langhaarige, so dass Hedwig eigentlich nur erahnen konnte, wo sich die Theke befand. Klein wie sie war, versuchte sie sich zwischen den anderen durchzuquetschen. Jedoch gestaltete sich auch das schwieriger als gedacht. So konnte sie sich zwar unbemerkt in die Lücken vordrängeln, aber sie wurde auch einfach übersehen und umgerempelt.
Gerade als sie die Theke schon sehen konnte, wurde sie auf einmal von einem Riesen umgerannt, was bei Hedwig das Fass zum Überlaufen brachte.
“Sag mal, hast du keine Augen im Kopf, du Dünnbrettbohrer?“, schrie sie ihm nach. Dass er ihre Beleidigung hören würde, hätte sie jedoch nicht gedacht. Der Hüne blieb stehen und drehte sich um, und für einen Sekundenbruchteil schien es, als würde Hedwigs Herz aussetzen. Da waren sie wieder - diese bezaubernden blauen Augen. Die selben die sie draußen schon umgeworfen hatten.
Als der Hüne bemerkte, von wem er da angeschnauzt worden war, blitzte ein kurzes Lächeln in seinem Gesicht auf.
Hedwig war immer noch geplättet von diesen fesselnden Augen, dass sie gar nicht mitbekam, was der Fremde zu ihr sagte. Erst als er sich für einen kurzen Moment wegdrehte, und somit seine Augen Hedwig nicht länger in ihrem Bann gefangen hielten, wachte sie aus ihrem Trance ähnlichen Zustand auf.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas erlebt. Was bei allen guten Geistern war das gewesen? Dieser Kerl hatte nichts weiter machen müssen, als sie anzuschauen, und das reichte bei Hedwig aus, um das Gefühl zu haben, dass man ihr den Boden unter ihren Füßen wegreißen würde.
Bevor sie jedoch eine plausible Erklärung dafür hatte finden können, wurde ihr bereits ein Plastikbecher mit Bier vor ihr Gesicht gehalten.
'Oh bitte, lass es Fredi sein, die es vor mir an die Bar geschafft hat!', hoffte Hedwig inständig, doch noch bevor sie aufschaute, wusste sie, dass es ganz und gar nicht ihre Schwester war.
Dieses Mal blieb ihr Blick auf wunderschön geschwungenen, vollen Lippen liegen, die sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln formten.
“Ich hoffe, dass genügt als kleine Entschädigung?“, hörte Hedwig trotz des Lärms die tiefe, raue Stimme des Hünen, die ihr eine Gänsehaut bescherte.
Unfähig darauf zu antworten, nickte sie ihm mit einem Lächeln auf den Lippen zu, und musste dabei den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können, obwohl er gerade einmal eine Armlänge von ihr entfernt stand.
Erst jetzt bemerkte sie, dass er etwas längeres, rotes Haar hatte, das ab den Ohren in sanften Wellen auf seine breiten Schultern fiel.
Ein leises “Wow“ kam ihr über die Lippen, doch auch das hatte der Fremde hören können, da er kurz auflachte und sich dann kopfschüttelnd durch seine Haare fuhr.
Um sich weitere Peinlichkeiten zu ersparen, drehte sich Hede entschlossen um, und drängte sich durch die Massen. Jetzt musste sie nur noch ihre ältere Schwester finden.
'Wieso müssen eigentlich immer alle größer sein als ich?“, fragte sie sich, während sie versuchte, irgendwo vor der Bühne Frederike aufzuspüren, aber nirgends auch nur ein Lebenszeichen von ihr ausmachen konnte.
Ob es jetzt wohl hilfreich wäre, ihren Namen zu rufen? Noch während Hedwig darüber sinnierte, erspähte sie den blonden Schopf ihrer Schwester.
Es war etwas schwierig, sich durch die eng zusammengepferchte Masse zu drängeln, vor allem mit einem vollen Becher Bier in der Hand aus dem jedes Mal, wenn sie an jemanden stieß, etwas Bier herausschwappte.
Trotz allem gelang es Hedwig fast unversehrt bei ihrer Schwester anzukommen.
“Hey, da bist du ja.“, empfing sie Fredi, deren Blick gleich zu dem nur noch halbvollen Becher glitt.
“Hast wohl unterwegs Durst bekommen?“, erkundigte sich Frederike auf ihre gewohnt sarkastische Art .
Hedwig schüttelte nur lachend den Kopf, und gab ihrer Schwester den Rest des Bieres.
“Spielen jetzt eigentlich gleich deine Isländer?“, wollte Hede wissen.
Doch ihre Schwester schüttelte nur ihren Kopf.
“Es gibt noch drei Vorbands, die auch ganz gut sind. Aber es geht einfach nichts über...“,
“... Sons Norðusins.“
Hedwig wollte schon wieder abschalten, da sie sich nicht noch einen Vortrag ihrer Schwester anhören wollte. Jedoch war es nicht Frederike, die diesen Satz beendete, sondern eine extrem tiefe Stimme.
Gleichzeitig drehten die beiden Schwestern ihren Kopf nach links, in die Richtung aus der die unbekannte Stimme kam.
Als sie den Mann erblickten, zu dem diese Stimme gehörte, klappte beiden der Unterkiefer auf den Boden.
Der Typ, der zuvor kurz nach ihnen die Halle betreten hatte, stand neben Fredi, und grinste frech zu ihnen runter.
Auf einmal spürte sie Fingernägel, die sich in ihren Unterarm krallten.
Das machte Fredi immer, wenn sie aufgeregt war. Einmal hatte sie Hede so fest gekniffen, dass ihr das Blut am Arm hinunter lief. Noch heute hatte sie die Narbe davon an ihrem rechten Arm.
Hedwig begutachtete diesen Kerl erst einmal etwas genauer. Und sie musste gestehen, dass er ziemlich heiß aussah. Seine Haare waren von einem sanften Blondton, und gingen ihm fast bis zu seiner muskulösen Brust. Er hatte ein sehr markantes, männliches Gesicht, ausgeprägte Wangenknochen, gerade Nase, und ein Grübchen im Kinn. Hinzu kam, das er mindestens 1,90 Meter groß sein musste.
Ok, der Typ war nicht einfach nur heiß, er war rattenscharf, nein, gottgleich!
“Ich bin Wieland.“, stellte er sich vor. Hedwig beobachtete, wie er dabei Frederike etwas länger ansah als sie.
Unauffällig stuppste Hedwig ihre Schwester an, da sie nicht wollte, dass sie weiterhin nur mit offenem Mund in die Luft starrte. Erstaunlicherweise riss es Fredi aus ihrer Starre. Doch trotzdem vermochte sie es nicht, auch nur ein Wörtchen über ihre Lippen zu bringen.
“Ich bin Hedwig, und das ist meine ältere Schwester Frederike.“, übernahm Hede die Bekanntmachung.
“Freut mich.“, antwortete er, den Blick immer noch auf Frederike gerichtet, und nahm einen Schluck von seinem Bier.
Frederike starrte diesen Wieland immer noch fassungslos an, als wäre er ein Zirkusaffe, der in nem Tütü Walzer tanzt. Das konnte sie sich nicht länger antun. Also zerrte sie Fredi's Hand, die immer noch ihren Arm umklammerte, weg, und schubste sie ein wenig in die Richtung von Wieland.
Dieser tat so, als hätte er es nicht bemerkt, mit dem Blick starr auf die Bühne gerichtet, doch Hede war sich sicher, dass sie ein Lächeln bei ihm ausmachen konnte.
“Könntest du vielleicht ein Auge auf meine Schwester werfen, sie verirrt sich schnell einmal.“
“Was? Wieso denn?“, fragte nun Fredi ganz hektisch.
Doch Hedwig konnte darauf nicht antworten, da ihr Wieland zuvor kam.
“Geht klar.“, sagte er kurz und knapp, und zwinkerte Hedwig dann kurz zu.
Gerade als sie sich umdrehen wollte, hielt sie ihre Schwester am Arm fest, und schaute sie misstrauisch an.
“Was soll das? Wo gehst du hin?“
“Mir ist das hier vorne etwas zu voll. Ich stell mich an den Rand, und hol mir noch kurz ein Bier.“, antwortete Hede, woraufhin sie von Fredi nur ein verächtliches Schnauben zu hören bekam.
“Und jetzt bitte die Wahrheit. Immerhin bist du meine kleine Schwester, und ich kann dich hier ja nicht unbeaufsichtigt rumstreunen lassen.“
“Keine Panik, ich stelle mich nur etwas abseits. Ich will doch nicht wie das dritte Rad am Wagen neben dir und dem Gott da stehen. Und bevor du jetzt irgendetwas sagst ... ja, der steht auf dich. Ich hab da so ein Gefühl.“ Mit diesen Worten zwinkerte sie Frederike noch einmal zu, und drehte sich dann um, um sich erneut durch die Menschenmenge zu drücken.
Sie hoffte sehr, dass dieser Wieland ein anständiger Kerl war, der es ernst mit ihrer Schwester meinte, und nicht nur auf eine schnelle Nummer mit ihr aus war. Das hatte sie nach ihrer letzten gescheiterten Beziehung nicht auch noch verdient.
Hedwig hatte es bis heute nicht verstehen können, wie man so ekelhaft sein konnte, wie der Ex-Freund ihrer Schwester, welcher Frederike nach zwei Jahren in einer intakten Beziehung, mit mehreren Arbeitskolleginnen betrogen hatte. Es war wirklich furchtbar gewesen. Wieso taten manche Menschen so etwas?
Daraufhin hatte Fredi auch ihren Arbeitsplatz gewechselt, und war wieder zu Hedwig und ihrer Mutter gezogen, da sie eine Stelle als Hebamme in einem nahegelegenen Krankenhaus bekommen hatte. Immerhin konnten sie so wieder mehr Zeit miteinander verbringen.
Mittlerweile hatte es Hede wieder an die Bar geschafft. Doch gerade als sie ihre Bestellung aufgeben wollte, ertönte rechts neben ihr eine raue Stimme.
'Das darf doch nicht wahr sein', dachte sie, während sie sich langsam in Richtung der Stimme drehte.
Als sie den rothaarigen Hünen erblickte, machte ihr Herz wieder einen kleinen Aussetzer, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Mund auf einmal so trocken war wie eine Wüste.
Ganz ungeniert lächelte er sie an, und streckte ihr mal wieder ein Bier entgegen.
“Hattest wohl ganz schön durst, was?“, fragte er sie, mit diesem unverschämt süßen Lächeln, das seine Augen erreichte, und sie zum strahlen brachte.
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, da sie sich nicht sicher war, ob sie eher verärgert sein, oder sich geschmeichelt fühlen sollte. Also nahm sie das Bier mit einem leisen “Danke“ und einem kurzen Nicken an.
“Jetzt lauf aber nicht gleich wieder weg.“, hörte Hedwig den Rothaarigen schreien, da gerade die erste Band angefangen hatte zu spielen.
“Wieso?“, fragte sie ihn, und beobachtete, wie er seinen Kopf etwas zur Seite legte, und sein Lächeln breiter wurde.
“Weil ich dich süß finde.“ Als er das sagte, wäre Hedwig fast das Herz in die Hose gerutscht.
Weshalb sollte ein Mann wie er, eine wie sie süß finden? Der Typ war riesig, hatte ein wunderschönes Gesicht, tolle Augen, und das eng anliegende schwarze T-Shirt, über das er eine Lederjacke trug, versprach einen ziemlich muskulösen Oberkörper und trainierte Arme.
Weshalb um alles in der Welt sollte er Hedwig süß finden?
“Außerdem hast du rote Haare.“, fügte er noch hinzu. “Und das gefällt mir.“
“Ja, aber das sind ja nur Äußerlichkeiten. Du kannst gar nicht wissen, ob ich dir wirklich gefalle. Immerhin könnte ich auch eine Serienkillerin sein.“, brachte Hedwig mit einer erstaunliche sicheren Stimme über die Lippen.
Ihr Gesprächspartner lachte kurz auf, und redete dann weiter.
“Und du nimmst Getränke von einem fremden Mann an. Ich könnte dir da sonst etwas reingetan haben.“
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Hede den Typen an.
“Keine Panik. Da ist nichts drin. Aber offensichtlich erschien ich dir auf den ersten Blick so sympathisch und vertrauenswürdig, dass du die Getränke ohne nachzufragen angenommen hast.“
Immer noch starrte Hedwig den ihr eigentlich völlig fremden Mann mit großen Augen an, und war nicht in der Lage etwas zu sagen.
“Also, um es kurz zu machen. Hey, ich bin Arne.“, sagte der nun wenigstens nicht mehr namenlose Fremde zu ihr, und streckte ihr die Hand hin.
Hedwig zögerte kurz, doch nach einem kurzen Blick in seine blauen Augen, reichte sie ihm ihre Hand.
“Hedwig.“, antwortete sie knapp. Als Arne ihre Hand nahm, durchströmte sie auf einmal ein kribbeliges, warmes Gefühl. Überrascht ob der Reaktion ihres Körpers auf die eigentlich harmlose Berührung, schaute Hede auf, um nachzusehen, ob auch Arne dieses Kribbeln gespürt hatte. Doch dieser lächelte sie noch wie zuvor an, zeigte jedoch sonst keinerlei Regung. Dabei fühlte sich Hedwigs Hand in der seinen so gut.
“Und, weshalb bist du heute hier?“, erkundigte sich Arne, mit seiner umwerfenden Stimme.
“Wegen meiner Schwester. Das Konzert ist ihr Geburtstagsgeschenk. Sie fährt voll auf die Headliner-Band ab.“, antwortete Hedwig.
“Wo ist deine Schwester denn?“
“Ich hab sie vorne bei ihrem Prinz Charming gelassen.“
“Prinz Charming?“, fragte Arne lachend.
“Naja, der Traumprinz meiner Schwester eben.“, antwortete sie nun ebenfalls lachend.
“Und wie sieht dieser Traumprinz aus?“
Ungläubig zog Hedwig ihre Augenbrauen zusammen, und schaute Arne an.
“Das willst du wissen?“, fragte sie verwirrt.
“Ist es so verkehrt, wenn ich mit dir reden möchte?“, erwiderte er, und legte dabei seinen Kopf etwas schief.
“Nein, nein... ganz und gar nicht. Aber wieso willst du wissen, wie der Traumprinz meiner Schwester aussieht?“
Eine Weile lang sagt Arne nichts mehr. Sein Blick haftete an seinem Bier, das er auf den Tresen gestellt hatte, und es sah so aus, als ob er gerade intensiv über etwas nachdachte.
Irgendwie war das eine seltsame Situation, und Hedwig fühlte sich auf einmal etwas unwohl.
“Dann sag mir doch, wie dein Traumprinz aussieht.“, riss Arne Hedwig plötzlich aus ihren Gedanken.
Toll, was sollte sie denn darauf antworten. Sie konnte ihm ja wohl kaum sagen, dass er rein theoretisch, zu mindest von seinem Erscheinungsbild her, ihr wahrgewordener Traummann war.
'Reiß dich zusammen, Hedwig!', ermahnte sie sich selbst. Woher war dieser Gedanken denn auf einmal gekommen? Ehrlich gesagt, hatte sie keinen Typ Mann, den sie bevorzugte. Doch wenn sie sich Arne so ansah, musste sie sich eingestehen, dass er, zumindest einmal was das Äußere betraf, ihr mehr als gefiel.
Wieder einmal konnte Hedwig es sich nicht verkneifen, ihr Gegenüber genauer zu begutachten, und so wanderten ihre Augen von unten nach oben. Ihr fiel auf, dass er keine dünnen Beinchen hatte, sondern kräftige Waden und stramme Oberschenkel. Ihr Blick wanderte weiter hinauf, über seine schmale Hüfte, von welcher aus sein Oberkörper v-förmig nach oben verlief. Dann die muskulöse Brust, und diese Arme, die so aussahen, als könnten sie Autos stemmen. Als sie in seinem Gesicht ankam, bemerkte sie, dass Arne ein breites Grinsen im Gesicht hatte, und sofort war Hedwig wieder im Hier und Jetzt.
Was machte dieser Kerl nur mit ihr? Normalerweise starrte sie keine fremden Männer an, wie kleine vierzehnjährige Mädchen ihr Justin Biber Plakat. Doch Arne brachte sie völlig aus dem Konzept.
Verlegen senkte Hede ihren Blick, und starrte peinlich berührt auf ihre Schuhe.
“Na gut, Themenwechsel.“, unterbrach Arne die peinliche Situation.
Langsam hob Hedwig ihren Kopf hoch, und wartete, den Blick starr auf ihr Bier gerichtet, auf das nächste Thema.
“Woher kommst du?“, wollte Arne wissen.
“Hört man das nicht?“, antwortete Hedwig mit einer Gegenfrage. Immerhin war sie aus Bayern, dass konnte man doch nicht einfach so überhören.
“Ich würde auf Bayern tippen“, erwiderte er. “... aber woher genau?“
“Ein ziemlich kleines Örtchen in Bayern. Liegt schon fast an der Grenze zu Österreich. Und woher kommst du?“
“Geboren und aufgewachsen in Hamburg... naja, nicht direkt Hamburg, eher etwas außerhalb. Aber momentan bin ich wegen meines Studiums im Ausland.“ Zum Schluss hin wurde Arne etwas leiser, aber jetzt hatte er Hedwig's Neugier schon geweckt.
“Wirklich? Was studierst du denn?“, hakte sie nach.
“Kennst du dich mit Chemie aus?“, kam daraufhin von ihrem Gegenüber.
Diese Frage ließ jedoch Hede's Interesse wieder etwas sinken, denn wenn sie etwas abgrundtief hasste, dann Chemie.
“Ehrlich gesagt, haben die Chemie und ich uns darauf geeinigt, dass wir uns, so gut es geht, von einander fern halten.“, antwortete Hedwig, die an ihre zweite Chemiestunde in der achten Klasse zurück dachte, und das missglückte Experiment, bei dem fast das ganze Klassenzimmer in Flammen gestanden hätte.
Arne schaute sie daraufhin etwas verwirrt an.
“Missglücktes Experiment im Unterricht.“, fasste sich Hedwig kurz, woraufhin er zu lachen begann, das Hedwig selbst über die laute Musik hinweg eine Gänsehaut auf ihren Körper zauberte.
“Wie alt bist du eigentlich?“, forschte Hedwig noch neugieriger nach, und warf Arne dabei, ohne dass sie es selbst bemerkte, einen Blick zu, der ihn nicht unberührt ließ.
“Ich bin junge 24. Und ich weiß, das fragt man eine Frau nicht, aber wie alt bist du?“ Als er das sagte, wirkte er fast etwas schüchtern.
“16.“, antwortete Hedwig, die damit rechnete, er würde ihren Witz verstehen. Doch dem war offensichtlich nicht so, denn Arne's Augenbrauen waren mit Lichtgeschwindigkeit in die Höhe geschossen, und sein Unterkiefer hing nun auf dem Boden.
“Das... war ein Scherz. Ich bin 19, und werde in ein paar Monaten 20.“, versuchte sie die Situation wieder zu retten.
Schlagartig hatten sich Arne's Gesichtszüge wieder entspannt.
“Das hast du mir doch jetzt nicht ernsthaft geglaubt, oder?“
“Ähm,... nein, ich...naja...“, brabbelte der auf einmal etwas verlegen wirkende Riese.
Nie hätte Hedwig geglaubt, dass das funktionieren würde, was die ganze Sache für sie noch amüsanter machte, so dass sie sich ihr Lachen nicht verkneifen konnte.
Arne, der zuvor noch genant auf den den Boden gestarrt hatte, musste bei Hedwig's Lachen einfach aufschauen.
Schlagartig hörte Hedwig auf zu lachen, als Arne's Augen sie erreichten. Wie zuvor schon war Hedwig gefesselt von dem tiefen, satten Blau seiner Augen, doch dieses Mal sah sie etwas in ihnen. Sie konnte nicht genau sagen, was es war, doch sie spürte es einfach.
Wie lange sie so da standen - sich gegenseitig in die Augen starrend - konnte Hedwig nicht sagen, als sie auf einmal angerempelt wurde, und somit den Blickkontakt zu Arne verlor, doch es hatte sich für sie angefühlt, als seinen es Stunden gewesen.
'Wie kann allein ein Blick mich so dermaßen aus der Bahn werfen', grübelte sie, und nahm einen großen Schluck von ihrem Bier.
“He, ähm wie wäre es eigentlich, wenn wir uns auch mal ein wenig nach vorne stellen? Die Band klingt ziemlich gut, oder ?“, unterbrach Arne ihre Gedanken.
Hedwig grübelte kurz, ob das eine gute Idee war, sich so lange in seiner Nähe aufzuhalten, wenn schon ein einziger Blick von ihm genügte, um sie umzuhauen, ließ den Rest ihres Bieres ihre Kehle hinunter laufen, und nickte ihm dann fröhlich zu.
Kaum merklich erhellte sich Arne's Gesicht.
“Ok, geh du schon mal vor, ich komm dann gleich nach.“, sagte er nur kurz, und hatte sich dann schon durch die Menge gedrückt, bevor Hedwig irgendetwas hatte sagen können.
'Na gut, du wirst mich dann schon finden', dachte sie sich, und begann, sich wieder durch die Menschenmenge zu drücken. Da mittlerweile ja eine Band spielte, hatte der Großteil der anwesenden Menschen angefangen, die Haare im Rhythmus der Musik fliegen zu lassen, so dass sie nicht gerade selten Haare in's Gesicht gepeitscht bekam.
Nach gefühlten zehn Stunden, hatte Hedwig endlich ein angenehmeres Plätzchen an der Seite gefunden, an dem sie nicht gerade zerdrückt oder ausgepeitscht wurde.
“Hedi! He Hedi!“, hörte sie urplötzlich Frederike's Stimme.
Etwas irritiert schaute sie sich um, und entdeckte, nicht weit von ihr entfernt, ihre Schwester, die versuchte, sich einen Weg zu ihr zu Bahnen.
“Ist was passiert?“, fragte Hedwig ihre Schwester, die in dem Moment bei ihr angelangt war.
“Kommt ganz drauf an. Wenn du damit meinst, dass ich drauf und dran bin, mich in diesen Wieland zu verlieben, dann ja!“, quasselte Frederike ohne Pause. Doch Hedwig zeigte nicht dieselbe Freude wie ihre Schwester, was vermutlich daran lag, das Frederike sich immer viel zu schnell verliebte.
“Oh Frederike! Lernst du denn nie dazu? Lass es langsam angehen, und stürz dich nicht wieder Hals über Kopf in dein nächstes Drama!“.
Aber Frederike schüttelte nur verträumt den Kopf.
“Dieses mal ist es irgendwie anders. Wirklich! Ich spüre das!“, versuchte Frederike ihre Schwester zu überzeugen, doch Hedwig hatte das schon oft genug aus dem Mund ihrer Schwester gehört.
“Du kennst den Typen vielleicht gerade einmal 30 Minuten. Denkst du nicht, dass du dich zu schnell wieder in etwas reinsteigerst?“, fragte Hedwig wirklich besorgt.
“Wir werden ja noch sehen.“, erwiderte Frederike nun nicht mehr ganz so beschwingt. “Aber ich wollte eigentlich kurz nach dir schauen. Ist bei dir alles in Ordnung?“
“Was sollte bei mir nicht in Ordnung sein.“, antwortete Hedwig, und überlegte, ob sie ihrer Schwester etwas von Arne erzählen sollte.
“Weißt du, ich bin auch mit nem ganz netten Kerl ins Gespräch gekommen...“, gestand sie Fredi, und senkte dabei ihren Kopf, damit sie nicht sehen konnte, dass sie ganz rot wurde.
“Was? Wo ist er ?“, erkundigte sich Frederike, und schaute sich hektisch um.
“Er kommt gleich her, aber du brauchst keine Panik haben, bei mir ist alles klar.“, sagte Hedwig, und lächelte ihrer Schwester dabei aufmunternd zu.
Für einen kurzen Moment, schaute Frederike ihre kleine Schwester etwas skeptisch an, schüttelte dann jedoch ihren hübschen Kopf.
“Gut, wenn du das sagst. Ich bin dann mal wieder vorne.“ Fredi winkte ihrer Schwester noch kurz zu, und ging dann wieder in der Masse unter.
Nur einige Minuten später klopfte ihr jemand auf die linke Schulter, doch als Hedwig sich umdrehte, entdeckte sie niemanden. Als sie dann nach rechts schaute, blieb ihr fast das Herz stehe, da dort auf einmal Arne stand.
“Erschrocken?“, fragte er belustigt, und hielt ihr ein neues Bier hin.
“Für mich?“, erkundigte sich Hedwig verwirrt. Sie war es nicht gewöhnt, dass man ihr Getränke zahlte.
Arne schaute sie nur verwundert an.
“Natürlich für dich. Für wen denn sonst?“, antwortete er, und lächelte ihr dabei aufmunternd zu.
Dankend nahm Hedwig das Getränk von ihm an, und prostete ihm dann zu.
“Aber nicht dass du wegen mir nachher kein Geld mehr hast.“
Lächelnd schüttelten Arne seinen Kopf, so dass ihm seine roten Locken um den Kopf flogen, was Hede ziemlich süß fand.
'Hör auf, ständig solche Sachen zu denken!', schalt sie sich selbst.
Um nicht noch mehr von Arne's Präsenz überwältigt zu werden, versuchte Hedwig sich auf die Musik zu konzentrieren. Zwar hörte sie selbst nicht unbedingt Metal, doch manche Bands, die Frederike ihr schon gezeigt hatte, gefielen ihr recht gut. So auch diese Band, die für Metal-Verhältnisse ziemlich melodisch war, da sie unter anderem auch Geigen einsetzten. Tatsächlich gelang es Hede, sich so auf die Musik zu konzentrieren, dass sie beinahe den gottgleichen Mann neben ihr vergessen hatte.
Die Band kündigte ihr letztes Lied für den Abend an, was Hedwig fast bedauerte, da sie die letzten Songs klasse fand.
Auch dieses Lied fing wieder toll an. Sanfte Geigenklänge drangen an ihre Ohren, und ohne dass sie es merkte, schloss sie ihre Augen, um sich voll und ganz auf diese bezaubernden Klänge konzentrieren zu können.
Sie schaffte es tatsächlich, alles andere um sich herum auszublenden- als wäre sie in Trance. Doch eine kleine Berührung ließ sie aufschrecken wie ein Reh, dass einen Schuss gehört hatte.
Nur für einen kurzen Moment hatte Hedwig gedacht, dass sie etwas an ihrer rechten Hand gespürt hatte. Oder war es vielleicht nur Einbildung gewesen ?
Nein, Hedwig war sich sicher, dass es Arne's Hand gewesen war. Aber vermutlich hatte er sie nur aus Versehen berührt... weshalb auch sonst?
Gerade als sie sich etwas beruhigt hatte, spürte sie wieder Arne's Hand an der ihren, aber dieses mal etwas länger. Ganz langsam strich er mit seinem Finger Hedwig's Handrücken hinunter, sodass sich ungewollt Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete.
Hedwig war überfordert. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, da sie nicht gerade oft in solch einer Situation war. Nach kurzem Überlegen, beschloss sie, dass sie kurz an die frische Luft musste.
“Bin kurz draußen, komm aber gleich wieder.“, nuschelte sie Arne zu, und ohne darauf zu achten, dass er es auch verstanden hatte, drehte sie sich um, und versuchte einen Weg hinaus zu finden.
Da die meisten vor der Bühne standen, war der Raum vor dem Eingang ziemlich leer, sodass sie schnell am Ausgang war, sich noch kurz den Stempel auf die Hand drücken ließ, und dann hinaus an die frische Luft trat.
“Oh mein Gott.“, flüsterte Hedwig, und bemerkte dabei nicht, dass jemand neben sie getreten war.
“Na, alles in Ordnung?“, drang auf einmal eine tiefe Stimme an ihre Ohren.
Langsam drehte sie sich zu der Stimme, und war erstaunt, als sie diesen Wieland erblickte.
“Ja.... nein... ich weiß nicht....“, stammelte Hede vor sich hin.
Wissend nickte er, und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette.
“Hast du mir vielleicht auch eine?“, fragte sie etwas schüchtern.
Wortlos zog Wieland seine Zigarettenschachtel aus seiner Hosentasche, nahm eine Kippe raus, und reichte sie Hedwig.
“Danke.“, nuschelte Hedwig, die sich schon die Zigarette zwischen ihre Lippen gelegt hatte.
Gerade als sie nach einem Feuerzeug fragen wollte, zündete Wieland ihre Kippe mit einem Streichholz an.
Gebannt beobachtete sie ihn, wie er lässig das Streichholz ausschüttelte, und dann in den Mülleimer schmiss, der einige Meter weiter weg stand.
Wie Wieland zuvor, nahm sie einen tiefen Zug ihrer Zigarette. Sie genoss es, wie der schwere Rauch in ihre Lungen gezogen wurde, bevor sie ihn langsam wieder aus ihrem Mund heraus steigen ließ. Ein paar Mal wiederholte sie diesen Vorgang, bevor sie ihren Blick wieder auf Wieland richtete.
“Ich hoffe, du bist mir nicht sauer, weil ich dir deine Schwester quasi ausgespannt habe.“
Lächelnd schüttelte Hede ihren Kopf.
“Nein nein... das geht schon klar. Bin ja nicht ganz ohne Gesellschaft.“, antwortete sie ihm, bevor sie überhaupt darüber nachdachte, was sie ihm gerade gesagt hatte. Wieso erzählte sie einem Fremden überhaupt etwas?
Doch Wieland schien es nicht zu stören, da er nur lächelte, und wieder an seiner Zigarette zog.
“Ja, hab's schon gesehen. Der große Rothaarige, was?“
Jetzt war ihr die Situation doch peinlich.
Mit gesenktem Blick nickte sie, da sie befürchtete, dass sie wieder so rot wie eine Tomate war, und wollte nicht, dass ihr Gegenüber das bemerkte.
“Keine Panik. Ich sag auch deiner Schwester nichts.“
Ungewollt musste Hedwig lachen, und schaute dann doch wieder auf, wobei sie den Kopf auch bei ihm ziemlich weit zurücklegen musste, um ihm in die Augen sehen zu können.
“Ich geb dir nen gut gemeinten Rat, Hedwig,“ redete Wieland weiter. “... lass dich zu nichts drängen.“ Während er das gesagt hatte, hatte er seine aufgerauchte Kippe auf den Boden geschmissen, und mit seinem Schuh ausgedrückt. Ohne ein weiteres Wort hatte er sich umgedreht, und war wieder in die Halle gegangen.
Verwirrt blieb Hede alleine draußen zurück, und überlegte, weshalb Wieland das zu ihr gesagt hatte.
Erst als die heruntergebrannte Zigarette an ihren Fingern ganz heiß wurde, dachte sie wieder daran, ebenfalls wieder rein zu gehen.
Schnell schmiss sie den Zigarettenstummel auf den Boden, um ihn dann auszutreten, und ging dann hinter ein paar anderen Rauchern in die Halle hinein.
Hedwig hatte Arne schnell gesichtet, der noch immer am selben Platz stand, und starr auf die Bühne schaute.
Wie automatisch machte ihr Herz dabei einen kleinen Sprung, den sie sich, nachdem sie ihn einen kurzen Augenblick nochmal musterte, gut erklären konnte. Der Mann sah einfach zum anbeißen aus! Und offensichtlich schien Hedwig für ihn auch interessant, was sie sich jedoch nicht ganz erklären konnte.
Doch das störte sie im Moment nicht.
So lief sie mit neuem Mut, und einem strahlenden Lachen, das sie nicht von ihrem Mund bekam, schnurstracks auf Arne zu.
Als sie dann - ziemlich nah - neben ihm zum Stehen kam, musterte Arne sie mit einem skeptischen Blick. Dieser verschwand jedoch, als er Hede's freundliches Lachen sah.
“Na, alles klar?“, erkundigte er sich, seinen Blick nicht von Hedwig ablassend.
“Alles tip top.“, nickte Hedwig, und starrte ihm dabei weiterhin unverblümt in seine blauen Augen.
Ohne ein Wort zu wechseln starrten sich die Zwei eine Weile lang an, bis die nächste Band anfing.
Sie wusste nicht, was in sie gefahren war, dass sie auf einmal so direkt war, doch sie genoss es einfach in seiner Nähe zu sein.
Und so hörte Hedwig der zweiten Band zu, jedoch nur mit einem Ohr, da sie sich fast nur auf Arne konzentrieren konnte. Es gelang ihr eigentlich gar nicht, sich noch auf etwas anderes zu fokussieren, da schon die kleinste Berührung von ihm genügte, um ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen.
Gerade als Hede dachte, sie würde verbrennen, weil Arne von wilden Fans geschuckt, und er so aus versehen an sie gestoßen wurde, spürte sie wieder seinen kleinen Finger über ihren rechten Handrücken streichen. Sie musste sich schwer zusammenreißen, um nicht umzukippen, da Hedwig die Befürchtung hatte, dass ihre Beine unter ihr nachgeben könnten.
Da Hedwig nicht wusste, was sie tun sollte, blieb sie vorerst ruhig stehen, und wartete ab.
Arne wiederholte diese kleine Geste öfter, strich immer wieder zart über ihren Handrücken und ihre Finger, bis er irgendwann seine Finger langsam zwischen Hedwig's gleiten ließ.
Noch nie hatte sie eine solch kleine Berührung so aufgewühlt. Es fühlte sich an, als würde die Hand unter seinen Berührungen dahinschmelzen. Ohne auch nur den kleinsten Mucks von sich zu geben, blieb Hedwig regungslos stehen, und wagte es nicht sich zu bewegen, aus Furcht, dass das gerade nur ein Traum war.
Als Arne ihre Hand kurz drückte, wagte sie es doch, kurz aufzublicken.
Aufmunternd lächelte er ihr kurz zu, und führte Hedwig's Hand dann zu seinem Mund, nur um dann einen ganz sanften Kuss auf ihren Handrücken zu drücken, der tausend Blitze durch ihren Körper schießen ließ. Die ganze Zeit über hatte er sie dabei mit seinem Blick festgehalten.
Nicht im Stande auch nur ein einziges Wort über ihre Lippen laufen zu lassen, konnte Hedwig nur kichern - wie ein kleines Mädchen, dem man einen Lollipop geschenkt hatte.
“Du siehst süß aus, wenn du so lachst.“, flüsterte Arne in Hede's Ohr, der sich dazu ziemlich weit hinunter beugen musste. Er war Hedwig dabei so nahe, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spüren konnte, was sie nur noch mehr zittern ließ. Arne, der das bemerkt hatte, ließ das herzhaft lachen, drückte einen weiteren Kuss auf ihren Handrücken, und wandte sich dann wieder der Bühne zu.
So gut es ging versuchte Hedwig ihre Aufmerksamkeit wieder der Musik zu widmen, doch, da war sie sich sicher, das hätte keine Frau der Welt geschafft, wenn ein Mann wie Arne neben ihr stand.
Immer mal wieder spickelte sie aus dem Augenwinkel heraus zu ihm hinauf, da sein Gesicht sie einfach so faszinierte. Diese wunderschönen Haare, die blauen Augen, die von dichten Wimpern umrahmt waren, seine ausgeprägten Wangenknochen und diese schöne gerade Nase - wie hätte sie so jemand auch nicht faszinieren können?
Hand in Hand standen die zwei eine ganze Weile dort, ohne dass sie sich auch nur im Geringsten um die Musik kümmerten.
Als jedoch die vorletzte Band dann fertig war, wurden sie aus ihrem benebeltem Zustand gerissen, da auf einmal alle Menschen versuchten, nach vorne zu kommen.
Da Hedwig mal kurz nach ihrer Schwester schauen wollte, entschuldigte sie sich kurz bei Arne, und drückte sich mit den vielen anderen Menschen weiter nach vorn.
“Fredi!“, rief Hedwig ihr zu, als sie sie endlich sehen konnte.
Diese bemerkte Hedwig aber erst, als sie neben ihr stand.
“Oh, hi Hedi. Was'n los?“
“Wollte nur mal sehen, ob bei dir alles in Ordnung ist.“, antwortete sie völlig aus der Puste.
Fredi, die ebenfalls händchenhaltend neben Wieland stand, nickte freudestrahlend.
“Könnte nicht besser sein.“, flüsterte Frederike.
Wenn Frederike da mal nicht Recht hatte, mit ihrer Äußerung im Taxi.
“Hey Hedwig... ähm...“, stotterte Fredi auf einmal, und hatte dabei ihren Blick nach unten gerichtet, sodass sie Hedwig nicht in die Augen schauen musste
Hedwig kannte diesen Blick nur zu gut. Jedes mal, wenn ihre ältere Schwester etwas von ihr wollte, lief das im gleichen Schema ab. Zuerst stotterte sie, da sie nicht wusste, wie sie es erklären sollte. Dabei wich Fredi gekonnt immer Hede's Blick aus. Wenn sie dann ihren Wunsch geäußert hatte, und Hede dem nicht zustimmte, dann wurde sie immer furchtbar zickig.
“Sag einfach was los ist.“, forderte Hedwig sie auf.
Kurz schaute Frederike über ihre Schulter zu Wieland, bevor sie sich etwas von ihm entfernte, und Hedwig dabei mit sich zog.
“Naja, also ähm... Wieland hat mich gefragt, ob ich später noch mit zu ihm möchte...“ Weiter ließ Hede ihre Schwester nicht reden, und schüttelte fassungslos den Kopf.
“Sag mal, lernst du wirklich nicht dazu? Was willst du denn bei ihm machen? Er hat dich ja sicherlich nicht zu sich eingeladen, damit ihr gemeinsam stricken könnt, oder?“ redete sich Hedwig in Rage, und beobachtete dabei, wie sich Fredi's Blick immer mehr verfinsterte.
“Ich wollte keine Erlaubnis von dir, kleine Schwester!“, presste Frederike wütend über ihre Lippen.
Abwartend verschränkte Hede ihre Arme vor ihrer Brust.
Ein paar Sekunden lang starrten sich die Zwei nur wütend an, bis sich beide wieder etwas beruhigt hatten.
“Ich wollte dich eigentlich fragen, ob es für dich ok wäre, wenn du alleine mit dem Taxi zum Hotel zurückfahren würdest, und ich etwas später nachkomme.“, redete Fredi in einem ruhigeren Ton weiter.
“Und lass mich raten... ich soll Mama nichts sagen, und dich dann spät in der Nacht unbemerkt ins Zimmer reinlassen, da ich ja den Schlüssel habe...“
Erwartungsvoll blickte Fredi ihre jüngere Schwester an.
Diese hasste es, wenn Frederike das tat. Sie schaute Hede dann immer mit diesem bettelnden Hundeblick an, sodass es für sie ein Ding der Unmöglichkeit war, ihrer Schwester das auszuschlagen.
“Na schön, ich mach es.“, sagte Hedwig, und Fredi klatschte vor Freude in ihre Hände.
“Aber ich warne dich! Komm nachher nicht zu mir, wenn es dir wieder elend geht!“
Voller Freude umarmte Frederike ihre Schwester und antwortete:
“Das weißt du genau, dass ich es trotzdem machen werde!“
Hedwig nickte nur.
“Oh ähm, falls wir uns nachher nicht mehr sehen - pass auf dich auf, und melde dich kurz bei mir, wenn du im Hotel bist.“
“Mach ich. Und dir viel Spaß... bei was auch immer.“, erwiderte Hede, und ging dann wieder zurück zu ihrem Platz
Dort erwartete sie Arne bereits mit einem verschmitzten Lächeln.
“Und, was gibt's neues von der Schwesterfront?“
Hede musste kurz auflachen, ob seiner Wortwahl, und antwortete ihm dann.
“Sie hat mich gebeten, alleine zurück in's Hotel zu gehen, da sie noch mit zu ihrem Typen will.“ Augenverdrehend beendete sie ihren Satz.
Arne erwiderte darauf erstmal gar nichts, und starrte gedankenverloren in Richtung der Bühne.
Gerade als sie ihren Blick von ihm löste, räusperte er sich, und begann unverständlich vor sich hin zu brabbeln.
“Was sagtest du?“, hakte Hede nach.
“Naja ich hab mich gefragt, ob ich dich dann vielleicht zu deinem Hotel begleiten soll?“ Voller Erwartung richtete Arne seinen Blick nun wieder auf Hedwig, der fast die Luft weggeblieben wäre bei seinem Vorschlag.
In ihren Kopf überschlugen sich die Gedanken, und wusste nicht, was sie antworten sollte.
'Er möchte dich doch nur bis zum Hotel begleiten.', drang es aus der einen Seite ihres Kopfes.
'Und wenn er nun doch gewalttätig ist?', antwortete ein anderer Gedanke.
'Gib's zu, du magst ihn, und wärst froh, wenn du nicht alleine zum Hotel zurück müsstest.', meldete sich eine weitere Stimme.
Immer wieder gingen ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf, bis sie eine Entscheidung traf.
“Weißt du was, das wäre wirklich nett von dir.“
In dem Moment in dem Hede antwortete, begannen Sons Norðusins ihr erstes Lied zu spielen, und Hedwig hätte schwören können, dass sie das Freudengekreische ihrer Schwester hören konnte.
“Siehst du sie irgendwo?“, fragte Arne Hedwig, die versuchte, ihre Schwester in der herausströmenden Masse ausfindig zu machen. Vergebens.
“Nein. Ich schätze, die sind schon längst über alle Berge.“, antwortete Hedwig, und wandte sich dann wieder Arne zu.
Dieser strahlte sie nur an, was Hede's Herz zum Rasen brachte.
“Wollen wir dann?“, hörte Hede Arne's raue Stimme.
Nicht auf Hedwig's Antwort abwartend, hatte er bereits ihre Hand in die seine genommen, und sie mit an die frische Luft gezogen.
Auch wenn es Sommer war, und die Luft noch von der Mittagssonne erhitzt war, so fröstelte es Hedwig ein wenig. Aber das war ihr egal. Sie konnte sich nur auf den Mann zu ihrer Linken konzentrieren.
Etwas weiter entfernt von der Konzerthalle blieben sie stehen, und hielten nach einem Taxi ausschau, die hier, das musste Hedwig feststellen, auch noch zu so später Stunde, in Massen unterwegs waren.
Und so dauerte es nicht lange, bis auch tatsächlich ein Taxi vor ihnen hielt.
Zuvorkommend hielt Arne Hedwig die Tür auf, und ließ sie einsteigen. Kurz darauf stieg Arne auf der linken Seite des Taxis ein.
“Und, wo soll's hingehen?“, erkundigte sich der etwas betagte Fahrer.
Hedwig nannte ihm die Adresse des Hotels, lehnte sich dann in ihren Sitz zurück, und wandte sich dann wieder Arne zu.
“Was hältst du davon, wenn wir davor noch einen trinken gehen?“, hakte Arne nach, und nahm dabei wieder Hede's Hand in die seine auf.
Über den lauten Motor des Taxis hinweg, versuchte sie einen klaren Kopf zu fassen, was ihr, dank Arne's Berührung, nicht gerade gut gelang.
“Auf der Strecke zu deinem Hotel hat ein alter Kumpel von mir ne kleine Kneipe...“, redete Arne weiter, und streichelte dabei Hede's Hand.
Etwas mulmig wurde Hedwig schon, doch als sie wieder in seine Augen sah, war das vergessen.
Sie wollte nicht, dass sich ihre Wege jetzt schon trennten.
“Okay.“, antwortete Hedwig schlicht, da sie aufgeregt war wie noch nie zuvor, und ihr vor Freude fast die Luft wegblieb.
Nur am Rande bekam sie mit, wie Arne dem Fahrer die Änderung weitergab.
Die Fahrt über verbrachten sie schweigend, doch Hedwig war es keinesfalls unangenehm. Sich gegenseitig anlächelnd, saßen sie nebeneinander. Hedwig wäre sowieso nicht im Stande gewesen, etwas zu sagen.
Als das Taxi dann anhielt, und Hedwig sah, wo er sie absetzen wollte, blickte sie etwas verwirrt zu Arne.
Dieser nickte ihr nur aufmunternd zu, und so stieg sie aus, und betrachtete ihre Umgebung.
Noch nie hatte sie so etwas gesehen. Vor ihr floss, wie sie den vielen Schildern entnehmen konnte, die Elbe. Auf ihr spiegelten sich, wie kleine, glitzernde Sterne, die Lichter der Stadt. Es war traumhaft schön.
“Gefällt es dir?“, fragte Arne, der unbemerkt neben sie getreten war, und wieder ihre Hand ergriffen hatte.
“Es ist... traumhaft schön.“, hauchte sie kaum hörbar.
Arne antwortete nicht, sondern deutete ihr ihm zu folgen.
Entzückt lief Hede neben Arne am Ufer entlang. Sie konnte das alles gerade gar nicht in Worte fassen. Sie fühlte sich so ... unglaublich gut. Ein leichter Sommerwind streifte sie immer mal wieder, und wehte ihr den Duft des Wassers entgegen. All ihre Sinne wurden so beansprucht, dass sie gar nicht wusste, auf was sie sich konzentrieren sollte.
Die zwei liefen ein Stück an der Elbe entlang, bis Hedwig eine beleuchtete Hütte, nur einige Meter von ihnen entfernt, ausmachen konnte.
Verwirrt blieb Hede stehen, sodass Arne automatisch gezwungen war ebenfalls anzuhalten.
“Sagtest du nicht, ein Kumpel von dir hat ne Kneipe?“
Arne nickte, und deutete auf die Hütte.
“Er hat ne kleine Strandbar.“, antwortete er. “Zieh deine Schuhe aus.“
Jetzt war Hedwig noch verwirrter.
Weshalb um alles in der Welt sollte sie ihre Schuhe ausziehen?
Offensichtlich hatte Arne bemerkt, dass er der Grund für ihren verwirrten Gesichtsausdruck war, da er kurz lachte.
“Wir laufen auf Sand bis zur Strandbar. Ich finde es viel schöner, den weichen Sand zwischen den nackten Zehen zu spüren... du kannst deine Schuhe auch gern an lassen.“, erklärte er, während er sich bereits seine Schuhe auszog.
Hede fackelte nicht lange, und machte es Arne nach. Schon lange hatte sie das weiche Gefühl des Sandes nicht mehr gespürt.
“Komm.“, forderte Arne die überglückliche Hedwig auf, die schnell ihre Schuhe schnappte, und dann weiterging.
Je näher sie dieser Strandbar kamen, umso niedlicher fand Hede dieses Lokal.
Es war eine nicht zu große, in Weiß gestrichene Holzhütte, mit einer Veranda, die über das Wasser ragte. Überall hingen Lichterketten, die die Dunkelheit etwas wegdrängten, und eine sehr romantische Stimmung verbreiteten.
Ein weiteres Mal war Hedwig heute Nacht überwältigt.
Aufgeregt folgte sie ihm in die Strandbar. Auch hier drinnen sah es toll aus. Es war hell, und sehr maritim eingerichtet. Einige Strandkörbe dienten hier als Sitzmöglichkeit, an den Wänden hingen Muscheln und Fischernetze, und einige Surfbretter hatte man zu Tischplatten umfunktioniert.
“Oh mein Gott!“, riss ein Schrei sie aus ihren Gedanken.
“Arne? Bist du's wirklich?“
Hedwig hatte den Verursacher ihres Herzinfarktes gefunden. Ein Mann, Mitte zwanzig, stand hinter der Bar, und schaute Arne überrascht an.
“Jep , ich bin's. Starr mich nicht so an, Beppo. Und begrüß deinen besten Freund.“, erwiderte Arne.
Belustigt beobachtete Hede dieses Spektakel, wie sich die zwei Männer in die Arme fielen, und sich freundschaftlich auf den Rücken klopften.
Eine Weile redeten die Zwei, doch es dauerte nicht lange, bis Beppo's Aufmerksamkeit Hedwig galt.
“Und wer ist diese reizende, junge Dame?“, erkundigte sich Beppo, während er auf sie zulief.
“Beppo, das ist Hedwig. Hedwig, das ist mein bester Freund Beppo.“, antwortete Arne.
Lächelnd reichte Hedwig Beppo die Hand, die er daraufhin mit einem starken Händedruck umschloss.
“Freut mich sehr, Hedwig.“
“Mich auch, Beppo.“, gab sie zurück.
Arne trat neben Beppo, und Hedwig musste mit einem Schmunzeln feststellen, dass dieser Beppo im Vergleich zu Arne extrem klein war, vielleicht gerade einmal zehn Zentimeter größer als sie selbst.
“Also, wie kann ich dir behilflich sein, Compadre?“, fragte Beppo nun wieder an Arne gewandt.
“Wir wollten hier eigentlich noch was trinken. Aber wenn es hier so leer ist, möchtest du bestimmt gleich schließen?“
Beppo winkte nur ab, und antwortete dann:
“Für dich hab ich immer geöffnet. Also, was darf's sein?“, fragte er, während er wieder hinter die Theke lief.
Erwartungsvoll schaute Arne Hedwig an, die jedoch etwas überfordert war.
“Ähm... überrasch mich.“, war Hedwig's Antwort, die die beiden Männer zum Lachen brachte.
“Und mit was darf ich dir eine Freude machen?“, wollte der Barkeeper wissen, nachdem er sich ausgelacht hatte.
“Überrasch mich.“, erwiderte Arne, was wiederum Hede zum Lachen brachte.
“Alles klar, ihr zwei Witzbolde. Dann sucht euch mal nen Platz, ich bringe euch die Getränke dann.“
“Wollen wir uns draußen hinsetzen?“, erkundigte sich Arne.
Hedwig fand das eine schöne Idee, da es die perfekte Nacht war, um draußen zu sein.
“Oh, ich müsste nur noch schnell Mal auf die Toilette.“, warf Hede ein.
“Hier rein, dann die zweite Tür links.“, sagte Beppo und deutete auf die entsprechende Tür.
“Ich geh schon mal vor.“, sagte Arne.
Hede nickte nur, und ging dann den besagten Weg Richtung Toilette.
Dort angekommen wagte sie zu aller erst einen Blick in den Spiegel.
Ihre Haare hingen strubbelig wie immer über ihren Schultern. Mit ihren Fingern versuchte sie diese ganz sporadisch etwas zu entknoten, was das Desaster auf ihrem Kopf jedoch nicht linderte.
Nach einem weiteren Blick auf ihr Spiegelbild konnte sich Hedwig nur noch einmal die Frage nach dem Warum stellen.
Weshalb mochte Arne ausgerechnet sie?
Diese eine Frage warf jedoch nur noch mehr Fragen in den Raum.
Weshalb tat er das hier alles?
Und eine noch wichtigere Frage war:
Weshalb spielte SIE mit?
Was Männer betraf, war sie eine totale Niete. Sie kannte sich einfach nicht aus damit, wusste nicht, wie sie das Verhalten von Männern deuten sollte, und wusste auch nicht, wie sie selbst reagieren sollte.
Auf einmal kam ihr ein Gedanke.
Tat er das alles bloß, um mit ihr zu schlafen?
Hedwig wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, da sie sich noch nie in einer solchen Situation befunden hatte.
Mit fast 20 Jahren ging man normalerweise davon aus, dass man, was das betraf, schon ein paar Erfahrungen gesammelt hatte. Doch dem war nicht so.
Bisher hatte sich Hedwig einfach noch nicht bereit gefühlt, mit einem Mann zu schlafen, was das Ende ihrer ersten Beziehung bedeutet hatte.
Wenn sie jetzt daran dachte, über Arne's nackte, muskulöse Brust zu streifen, überkam sie ein wohliger Schauer. Dabei wusste sie noch nicht einmal, woher dieser Gedanke jetzt kam.
Egal was Arne beabsichtigte, sie würde sich dann Gedanken darüber machen, wenn es soweit war.
So ging Hede schnell auf die Toilette, wusch sich noch ihre Hände, und ging dann mit neuem Mut nach draußen.
Auf der Holzterasse, die zum Teil über die Elbe ging, entdeckte sie niemanden. Aufmerksam ließ sie ihren Blick über die nähere Umgebung schweifen, was jedoch ziemlich schwierig war, da es eine recht dunkle Nacht war, die nur ein klein wenig durch die vielen Lichterketten erhellt wurde.
Doch es dauerte nicht lange, bis Hede ihre Begleitung fand. Vom Mondlicht angestrahlt, stand er am Ufer der Elbe, die nackten Füße ins Wasser getaucht. Noch nie hatte sie einen so wunderschön Mann gesehen. Fasziniert von seiner Ausstrahlung, ging sie die Treppen zum Strand hinunter, und schlich sich unbemerkt an Arne heran. Er erschrak nicht, als er sie bemerkte, sondern drehte nur lächelnd seinen Kopf in Hedwig's Richtung.
Ohne ein Wort reichte er ihr das Getränk, das Beppo ihm wohl in der Zeit, in der sie auf der Toilette gewesen war, gebracht hatte.
“Auf was sollen wir anstoßen?“, fragte er sie, sein Getränk schon zum Anstoßen angehoben.
“Ich weiß nicht..“, gab Hede zurück, und zuckte dabei mit den Schultern.
“Na gut, dann stoßen wir eben... auf dich an.“
Geschmeichelt senkte Hede ihren Blick.
“Seinem Gegenüber muss man beim Anstoßen in die Augen schauen.“, neckte er Hedwig, die daraufhin wieder aufblickte.
“Also, auf die wunderbare Hedwig!“, schrie Arne in die Nacht hinaus, und ließ sein Glas sachte an Hedwig's Glas stoßen.
“Auf mich.“, brachte Hedwig nur gequält unter ihrem Lachen hervor.
Arne stimmte in das Lachen mit ein, und nahm dann, wie Hedwig, einen großen Schluck von seinem Getränk.
Woraufhin das Lachen kurz stoppte, und sie sich im selben Moment sowohl verwirrt, als auch leicht angeekelt anblickten. Beppo war die Überraschung durchaus gelungen.
“Was hat dieser Volltrottel dir gegeben?“, erkundigte sich Arne immer noch leicht angewidert.
Hedwig, der vor lauter Alkohol fast die Luft wegblieb, musste erst einmal kräftig husten, bevor sie antworten konnte.
“Ich glaube... Rum... oder... Whisky. Irgendetwas mit viel Alkohol.“
“Hast du's gut. Mir hat er irgendeinen Erdbeersekt gegeben. Der weiß genau, dass ich Sekt hasse!“, sagte Arne, musste dabei jedoch wieder lachen.
“Weshalb lachst du?“, wollte Hede von ihm wissen.
“Dein Gesichtsausdruck war göttlich, als du gerade deinen Whisky-Rum runtergezischt hast wie nichts.“
Gespielt verärgert, schlug sie ihm mit der Faust gegen seine Brust, stimmte dann aber wieder in das Lachen mit ein.
Auf einmal jedoch, kippte diese ausgelassene, fröhliche Stimmung, als sie Arne's Blick, der sich in ihre Augen zu brennen schien, bemerkte.
Langsam trat der Riese etwas näher an Hede heran, nahm ihr vorsichtig das Glas aus der Hand, und stellte es zusammen mit seinem in den Sand.
Als er ihr dann wieder in die Augen schaute, drohte ihr ihr Herz zu zerspringen.
Es schlug so schnell und so laut, dass sie sich sicher war, dass es auch Arne hören konnte.
Dieser war noch einen Schritt auf Hedwig zugegangen, so dass sie nun kaum mehr zehn Zentimeter auseinander standen.
Seine warme, große Hand hatte er an ihre rechte Wange gelegt. Sanft strich er mit seinem Daumen immer wieder über ihre weiche Haut. Ohne groß nachzudenken, schloss Hede ihre Augen, und schmiegte sich in seine Hand.
Nur diese einzige Berührung ließ ihren Körper glühen.
Als sie seinen warmen, nach Erdbeeren duftenden Atem an ihrem linken Ohr spürte, öffnete sie ihre Augen wieder.
“Du bist... wunderschön.“, flüsterte er ihr in's Ohr.
Es fiel Hedwig schwer, auf ihren weichen Beinen stehen zu bleiben. Das hatte Arne offenbar bemerkt, denn urplötzlich hatte er mit seinen großen Händen ihre Oberarme umfasst.
Hedwig traute sich kaum aufzuschauen, doch ihre Neugier war zu groß.
Langsam hob sie ihren Kopf an, glitt mit ihrem Blick dabei über Arne, und blieb dann wie automatisch an seinen Lippen hängen.
“Darf ich dich küssen?“ Arne's Worte waren kaum mehr als ein leiser Hauch.
Doch anstatt ihm zu antworten, schlang sie ihre Arme hinter seinem Nacken zusammen und legte ihre Lippen sanft auf die seinen.
Tausende Schmetterlinge schienen in diesem Moment in Hedwig herumzufliegen. Es fühlte sich an wie ein Feuerwerk, das ihren ganzen Körper, bis in die letzte Haarspitze, explodieren ließ.
Kurz löste sich Arne von Hedwig's Lippen, und sofort verließ sie die wohlige Wärme, die seine Lippen in ihr verursachten.
Langsam öffnete Hede ihre Augen, und blickte wieder in die zwei blauen Kristalle, die ihr das Gefühl der Geborgenheit übermittelten.
“Du schmeckst nach Schokolade. Wie machst du das?“, flüsterte Arne, während er eine von Hedwig's roten Strähnen sanft aus ihrem Gesicht strich.
Hedwig musste leise lachen, ob dieser wunderbaren und zugleich seltsamen Situation.
Kaum einen halben Tag kannte sie Arne, doch für sie fühlte es sich an, als hätte sie noch nie einen anderen Mann so gut gekannt wie ihn.
“Nach Schokolade, mh? Ich weiß auch nicht.“, antwortete Hedwig, kaum in der Lage, einen sinnvollen Satz über ihre Lippen, die sich nach noch einem Kuss sehnten, zu bringen.
“Vielleicht koste...“, erwiderte Arne, während er Hedwig erst auf die Stirn, und dann immer näher an ihre Lippen küsste.
“... ich nochmal.“, beendete er seinen Satz, bevor er Hedwig's Lippen mit den seinen versiegelte.
Doch dieser Kuss war nicht wie der erste. Er war intensiver, fordernder. Hede konnte an nichts anderes mehr denken, als an seine Lippen.
Sanft spürte sie Arne's Finger, die er an ihrer Hüfte hinunter gleiten ließ.
Auch sie konnte nicht genug von ihm bekommen. So drängte sie sich näher an seine muskulöse Brust, und schob ihre rechte Hand in sein weiches Haar. Immer wieder ließ sie die weichen Locken durch ihre Finger gleiten, bevor sie ganz automatisch weiter hinunter wanderte.
Mit ihren Fingerspitzen strich sie sanft über seinen starken Hals, während die andere Hand auf seiner muskulösen Brust lag. Hedwig konnte nicht genug davon bekommen. So musste es sich anfühlen, wenn man Drogen nahm.
Genüsslich sog sie seinen betörend männlichen Duft ein. Er roch, trotz des Gestanks zuvor in der Konzerthalle, nach Wald, frischer Luft, und auch einfach nach ihm.
Vor Freude zog sich ihr Bauch zusammen, als sie Arne's Zunge auf ihren Lippen spürte.
Nur zu gerne öffnete sie ihren Mund, um ihm noch ein wenig näher zu sein.
Ihre Zungen begannen einen Tanz, der Hedwig fast um den Verstand brachte.
So überwältigt von diesen Gefühlen, bemerkte sie nicht, dass sie wirklich Wachs in Arne's Händen geworden war.
Zu Hede's Missfallen unterbrach Arne ihren Kuss ein weiteres Mal.
Doch dieses Mal schien auch er überwältigt.
Außer Atem schaute er Hedwig in die Augen, und strich ihr sanft über ihre Wangen, die schon etwas rot von der Abendkälte waren.
“Komm mit.“, war auch bei ihm das einzige, was Arne vermochte zu sagen.
Mit einem festen Griff umschloss Arne die vor Aufregung leicht zitternde Hand von Hedwig.
Noch immer barfuß, folgte sie ihm, weiter am Ufer der Elbe.
Als Arne dann nach nur wenigen Metern stehen blieb, konnte sie ihren Augen kaum trauen.
Durch einen etwas größerem Stoffparavent vom Rest der Welt abgeschieden, stand dort ein großes, rundes Korbbett mit ausklappbarem Dach.
Entsetzt starrte sie vor sich auf dieses Ding.
Arne hatte es tatsächlich nur auf eine kleine Nummer mit ihr abgesehen.
Mit den Tränen kämpfend, entzog sie ihm ihre Hand, und wand sich von ihm ab.
Sie wollte nur noch weg. Einige Schritte schaffte Hedwig, bevor sich Arne's schwere Hand auf ihre linke Schulter legte.
Schnell wischte sie sich die Tränen weg, die ihr trotz aller Mühen über ihre Wangen liefen.
“He, was ist denn?“, hörte sie seine sanfte Stimme.
Dachte er wirklich, sie würde das nicht merken? Hielt er sie für so doof?
Wütend drehte sie sich zu Arne um.
“Hältst du mich für so bescheuert? Denkst du, ich bin nur so'n kleines, dummes Mädchen, dass man schnell mal so zwischendurch...“ Weiter kam Hede nicht, da sie anfing zu schluchzen.
Hedwig war eben nun mal kein billiges Flittchen, dass jede Nacht mit einem anderen Kerl in die Kiste stieg.
Sie wollte auf den richtigen Mann warten, mit dem sie das erste Mal schlief... es sollte etwas besonderes sein.
Hedwig war so in ihr Schluchzen vertieft, dass sie nicht gemerkt hatte, dass Arne sie mittlerweile tröstend in seinen Armen hielt.
Fertig mit den Nerven, und überwältigt von ihren Gefühlen, legte sie ihren Kopf an seine Brust, und fühlte sich in diesem einen Moment, sowohl so geborgen, als auch so verletzt wie noch nie zuvor.
“Es tut mir Leid, Hedwig. Wirklich.“, flüsterte er ihr leise zu.
“Ich meine, was dachtest du, wie das weitergeht?, fragte Arne, und legte vorsichtig sein Kinn auf ihrem Kopf ab.
“Ich bin nur noch drei Wochen hier in Deutschland, bevor ich wieder weg muss. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier, bis auf die Besuche bei meiner Familie, nicht mehr so oft sein werde.“, redete er langsam weiter.
Hedwig ließ das erstmal auf sich wirken. Sie hatte gewusst, dass er nicht hier wohnt, und auch wenn er hier in Deutschland leben würde, wäre es doch ein ganz schönes Stück von Hamburg bis nach Bayern.
Weshalb also war sie auf Arne's Avancen eingegangen, wenn es doch nur auf das eine hinauslief.
“Und besteht nicht die geringste Möglichkeit, dass du irgendwann doch wieder hierher ziehst?“, nuschelte Hedwig an seine Brust.
“Eher weniger...“, gab er zurück.
Langsam versuchte Hedwig etwas Abstand zwischen sie zu bringen, damit sie ihn wieder anschauen konnte, ließ ihn dabei jedoch nicht los.
Erneut war sie überwältigt von seinem schönen Gesicht, dass sie am liebsten einfach weiterküssen würde.
“Du bist so... perfekt.“ sagte sie voller Ehrfurcht.
Arne ließen diese Worte kurz lachen.
“Sag das nicht, Hedwig. Du kennst mich doch kaum. Glaub mir, an mir gibt es viel, das nicht perfekt ist.“, gab er zurück, und streichelte sanft eine Träne, die auf ihrer Wange saß, weg.
Immer noch konnte sie ihren Blick nicht von ihm abwenden, und eine Weile lang standen sie einfach nur da.
Irgendwann hielt Hedwig es jedoch nicht mehr aus, und drückte ihre Lippen wieder auf die seinen.
Es war, als hätten sie nie aufgehört damit.
Aber dieses Mal war es irgendwie anders.
Arne hatte einen Arm um ihre Hüfte geschlungen, und zog sie fest an sich.
Hedwig hatte ihre Hände wieder in seinen Haaren vergraben, und zog ihn näher zu sich.
Ihre Zungen tanzten erneut einen aufregenden Tanz.
“Weißt du, Arne...“, begann Hedwig, als sie kurz Luft holte.
“Ich bin kein so ein billiges Ding, das mit jedem in die Kiste hüpft.“
Arne beendete ihre Worte mit einem weiteren Kuss, und hauchte ihr nur ein “Mhm“ entgegen.
Hedwig kam wieder etwas zu Sinnen, und legte ihre Hände auf seine Brust, um ihn von sich wegzudrücken.
“Bitte, Arne. Ich bin so nicht. Ich mach das nicht einfach so!“
Traurigkeit blitzte in seinen Augen auf, bevor er etwas erwiderte.
“Ich respektiere das, Hedwig. Weißt du, das war so nicht geplant...“
Langsam ließ er sich in den Sand hinunter, doch Hedwig blieb verwirrt stehen.
“Was meinst du?“, wollte sie wissen.
“Naja, ich finde es gut, dass du nicht so bist, und mit jedem schläfst. So hatte ich auch in keiner Sekunde von dir gedacht. Aber... du hast mich einfach überwältigt. Ich konnte nicht anders.“
Starr auf den Fluss vor sich schauend, ließ Arne Sand durch die eine Hand gleiten, und fing ihn mit der anderen wieder auf.
Auch Hedwig hatte sich mittlerweile zu Arne in den Sand gesetzt, und schaute ebenfalls hinaus auf die Elbe.
Dieser Anblick könnte sie alles vergessen lassen. Wie die Lichter der Stadt sich auf der Wasseroberfläche spiegelten, wie tausende Sterne.
“Es tut mir wirklich Leid.“, sagte Arne erneut.
“Weißt du, ich hab gerade meine erste Beziehung hinter mir. Ich ... bin einfach nicht so geübt im Umgang...mit Männern.“, erwiderte Hedwig.
“Und es muss dir auch nicht Leid tun. Aber für mich ist das eine intime Sache.“, redete sie weiter, und holte tief Luft.
“Vor allem, wenn man noch nie ...“ Hedwig wurde mit jedem Wort leiser. Weshalb redete sie überhaupt mit ihm über so etwas?
“Daher weht der Wind also.“, vernahm sie Arne's Stimme.
Etwas peinlich berührt, legte sie ihr Gesicht in ihre Hände, um die Schamesröte, die ihr dieses Gespräch bescherte, vor Arne zu verbergen.
Als sie auf einmal Arne's Hand auf ihrem Oberarm spürte, zuckte sie kurz zusammen, und schaute wieder auf.
Nur eine kleine Berührung ließ sie alle Zweifel fast vergessen.
Ein weiteres Mal an diesem Abend konnte sie ihren Blick nicht von ihm abwenden.
Er sah einfach zu gut aus.
“Darf ich dich etwas fragen, Arne?“, flüsterte Hedwig.
“Sicher.“, antwortete er.
“Heute Abend hättest du dort bestimmt tausende Frauen haben können. Weshalb hast du dir ausgerechnet mich ausgesucht?“
Arne blickte Hede eine Weile an ohne zu antworten. Noch immer lag seine Hand auf ihrem Arm, und sanft streichelte er diesen, was Hedwig fast um ihren Verstand brachte.
“Ganz ehrlich... ich finde dich so unglaublich scharf, dass es mich fast zerreißt hier nur neben dir zu sitzen.“, beantwortete er dann mit fester Stimme ihre Frage.
Hedwig war platt. Noch kein Mann vor ihr hatte sie als scharf bezeichnet. Noch nicht einmal sie selbst empfand sich als scharf. Dafür hatte sie einen viel zu großen Hintern.
“Wirklich? Aber... ich meine... mein Hintern...“, brabbelte Hede sinnlos vor sich hin.
Arne ließen ihre Worte schmunzeln.
Langsam lehnte er sich zu Hedwig, bis er ihr so nahe war, dass sie seinen Atem in ihrem Nacken spüren konnte.
“Dein Hintern ist fantastisch.“, flüsterte er ihr in's Ohr.
Und das war der Moment, in dem sich in Hedwig's Kopf sämtliche Schalter umlegten, und sie all ihre Zweifel über Bord warf.
“Küss mich!“, war das einzige, was Hedwig sagen konnte.
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, drängten sich Arne's Lippen wieder auf die ihren, noch intensiver und fordernder als die Male zuvor.
Beide konnten nicht genug voneinander bekommen, und so zog Arne, seine Arme um Hede geschlungen, Hedwig auf seinen Schoss, während ihre Hände wieder in seine Haare wanderten.
Stoßweise kam ihr Atem, doch darauf konnte sie sich nicht konzentrieren. Viel zu sehr lenkte sie Arne's Mund ab. Sie spürte sanfte Küsse an ihrem Hals, was Hedwig nur noch mehr antrieb.
Gierig drängte sie sich an seine Brust, die Hedwig nun erkunden wollte.
So ließ sie ihre Hände langsam über Arne's Oberkörper hinunter zu seiner Hüfte gleiten, und deutete ihm an, sich hinzulegen.
Keine Sekunde ließ Arne die rothaarige Frau, die nun auf ihm saß, aus den Augen, während er sich hastig seine Lederjacke auszog, und sich dann langsam in den Sand hinunter ließ.
Ihr fiel es schwer, sich nicht sofort auf diesen perfekten Mann zu stürzen, doch die Vorfreude, die ihr dieses wunderschönen Kribbeln im Bauch verschaffte, zügelte sie.
Mittlerweile waren ihre Finger schon dabei, sein T-Shirt hochzuschieben, und jedes Mal, wenn sie Arne's nackte Haut berührte, schossen tausende Blitze durch ihren Körper.
Auch Arne konnte sich kaum noch beherrschen. Es glich einer Qual, was Hedwig mit ihm anstellte, die es ihm unmöglich erlaubte, ruhig liegen zu bleiben. Ein tiefes Knurren drang aus seiner Kehle, welches Hedwig für einen kurzen Moment in ihrer Bewegung innehalten ließ.
“Bitte, nicht aufhören!“, zischte Arne, dessen Lippen nur noch ein schmaler Strich waren.
Hedwig tat wie ihr befohlen, und widmete sich nur zu gerne wieder seinem Oberkörper. Und so hatte sie ihm im Nu sein Shirt ausgezogen.
Überwältigt ließ Hedwig ihre Augen über diesen fast nackten Männerkörper gleiten, und ließ dabei keinen einzigen Muskel aus. Und es gab viele ausgeprägte Muskeln...
Diese stählerne Brust, gefolgt von seinen harten Bauchmuskeln... davon könnte Hedwig nie genug bekommen.
Doch etwas ganz anderes lenkte auf einmal ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Schräg unterhalb seiner linken Brust zierte ein kleines, herzförmiges Muttermal seinen Körper.
Ohne groß darüber nachzudenken, senkte sie ihren Körper, und legte ihre Lippen auf diesen süßen Fleck.
Sie wollte einfach jeden Winkel dieses Körpers erkunden.
Und so ließ sie nach einiger Zeit von dem Muttermal ab, und strich mit ihren Lippen hinauf zu seiner linken Brust.
Zart küsste und leckte sie diese, womit sie Arne ein weiteres Knurren entlockte.
Gierig küsste sie jedes Stückchen seines nackten Oberkörpers. Alleine diese sanften Berührungen brachten Hedwig um den Verstand.
Als sie dann plötzlich seine Finger an ihrem Bauch spürte, zuckte Hede kurz zusammen. Es war ein berauschendes Gefühl, seine Finger auf ihrer Haut zu spüren.
Doch auf einmal wurde sie herumgedreht, so dass nun Arne auf ihr saß.
Erschrocken hielt Hedwig den Atem an bei dem Anblick, der sich ihr bot.
Arne aus dieser Position zu betrachten ließ ihn nur noch muskulöser aussehen.
Wild hingen ihm seine roten Locken ins Gesicht. Trotz dessen konnte sie seinen verlangenden Blick erkennen.
Langsam ließ sie ihre Hände über seine nackte Haut gleiten, und kratzte dabei leicht mit ihren Nägeln über seinen Oberkörper.
"Gott, Hedwig, du bringst mich um meinen Verstand!", brachte Arne zwischen zusammengepressten Lippen hervor.
Hedwig war selbst nicht in der Lage, auch nur einen Ton aus ihrem Mund klingen zu lassen. Zu sehr war sie von Arne's Anblick abgelenkt.
Doch jetzt war es Arne, der Hedwig um den Verstand brachte.
In Zeitlupe schob er ihr das T-Shirt hoch, und ließ dabei seine Finger sanft an ihrer Seite hinaufgleiten.
Ein wohliger Schauer überkam sie daraufhin, der ihren ganzen Körper erzittern ließ.
"Weißt du eigentlich, wie wunderschön du bist?", flüsterte Arne, während er sich langsam hinunterbeugte.
Sein heißer Atem streifte über ihren nackten Bauch, und ließ Hedwig stöhnen.
Ein kehliges Lachen drang daraufhin an ihre Ohren.
Weshalb lachte er? Lachte er etwa sie aus?
Beschämt drehte sie sich etwas von Arne weg und zog ihr Shirt wieder hinunter.
"Was ist los, Hedwig? Habe ich etwas falsch gemacht?", erkundigte er sich jetzt verwirrt.
"Du... du lachst über mich.", antwortete sie peinlich berührt, und wich seinem Blick aus.
Das gelang ihr jedoch nicht, da er sanft seine Hand an ihre Wange legte, und ihr Gesicht zu sich drehte.
"Ich würde dich niemals auslachen. Ich habe gerade aus purer Vorfreude gelachg. Verstehst du?"
Vorsichtig schaute sie ihm in die Augen. Er sagte sicherlich die Wahrheit.
Bei allen Göttern! Sie war so dumm...
"Du bist nicht dumm!", hörte Hedwig Arne sagen.
Oh je, hatte sie das letzte etwa laut gesagt?
Am liebsten würde sie jetzt vor lauter Scham im Boden versinken, doch dazu ließ Arne es nicht kommen.
Bevor Hedwig noch mehr von sich geben konnte, lagen seine Lippen wieder auf ihren. Seine Zunge strich über ihre Lippen, und Hedwig gewährte ihm nur zu gern den Einlass.
Doch dieses Mal war Arne etwas fordernder.
Schnell hatte er Hede das Shirt ausgezogen, dem kurz darauf ihr BH folgte.
Das war das erste Mal, dass ein Mann sie nackt sah. Doch entgegen ihrer Erwartungen war es Hedwig bei Arne auf keinen Fall unangenehm.
Und so ließ sie sich voller Vertrauen von ihm leiten, und gab sich ihm nur zu gerne hin.
Der kurze Schmerz, als er in sie eindrang, war schnell vergessen. Zu schön war das Gefühl, ihn endlich tief in ihr zu spüren. Völlig benebelt von all den wunderbaren Empfindungen, gab sie sich ihm einfach hin, und wurde nicht enttäuscht. Er spielte mit ihr, stoß erst schnell und hart in sie, und bevor sie sich ihrem Orgasmus hingeben konnte, wurde er wieder langsamer. Immer wieder zögerte Arne so ihrer beiden Orgasmen hinaus, bis jedoch auch er es nicht mehr aushalten konnte, und sich völlig überwältigt in ihr ergoß.
~~**~~**~~
Erschöpft rollte sich Arne neben Hedwig, die noch immer überwältigt war.
Nie hätte sie gedacht, dass es so wundervoll werden würde. Arne war einfach perfekt gewesen.
Verträumt drehte sie sich zu ihm, und blickte in sein strahlendes Gesicht.
Vorsichtig rutschte sie etwas näher an Arne, der sofort einen Arm um sie legte, ihren Rücken streichelte, und ihr einen sanften Kuss gab.
"Das war unglaublich...", flüsterte Arne. "DU... warst unglaublich.", schmeichelte er Hedwig, die ihn daraufhin wieder küsste.
Eine Weile lang schauten sie sich einfach nur in die Augen, und streichelten sich gegenseitig.
In diesem Moment fühlte sich Hedwig so glücklich und geborgen, dass sie sich wünschte, dieser Augenblick würde nie vergehen.
"Was denkst du gerade?" erkundigte sich Arne, der sich vorsichtig eine ihrer schwarz-roten Strähnen um einen Finger wickelte.
"Ich fühle mich gerade so glücklich wie noch nie. Ich kann es kaum beschreiben... es zerreißt mich fast vor Freude.", quasselete Hede los.
Arne konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen.
"Mir geht es genau so... ist schon komisch, nicht? Ich meine, wir kennen uns kaum, doch fühlen wir uns zu dem anderen so hingezogen, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen."
Gerade als Hedwig etwas erwidern wollte, erklang das Klingeln ihres Handys, das sie wieder in die Realität riss.
Die romantische Stimmung, welche die zwei zuvor umgeben hatte, war mit einem Schlag weg.
Wie von der Tarantel gestochen, suchte sie nach ihrem Mobiltelefon, das sich in einer ihrer Hosentaschen befinden musste.
Ohne zuvor auf das Display zu schauen, tippte Hedwig auf die Hörertaste ihres Smartphones, und meldete sich mit einem kurzen 'Ja'.
"Hedwig, wo zur Hölle bist du?!", erklang Rike's Gekeife aus ihrem Handy.
"Ich... ähm...ich bin noch unterwegs...", stotterte Hede nur.
"Was heißt 'du bist noch unterwegs'? Wo steckst du?"
"Keine Panik, ich bin schon auf dem Weg ins Hotel. Warte einfach unten in der Lobby. Bis gleich."
Panisch legte Hedwig auf, ohne auf eine Antwort ihrer Schwester zu warten.
Mit einem Grinsen im Gesicht blickte Arne Hedwig an.
Etwas unbeholfen stand sie nun dort, und wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf saß.
"Was grinst du so?", fragte Hede nun doch etwas ruppig.
Ein fast noch breiteres Grinsen zierte nun das Gesicht dieses schönen Mannes, der sie mit einem gierigen Blick von oben bis unten musterte, als ihr auf einmal klar wurde, dass sie noch immer splitterfasernackt war!
"Oh Gott!", gab sie mit zitternder Stimme von sich, und versuchte hektisch, all ihre Klamotten wieder zu finden.
Gerade als Hedwig ihren BH aufheben wollte, legte sich eine große, warme Hand auf ihre Schulter.
Nur diese eine Berührung ließ ihr Herz schneller schlagen, sorgte für tausende Schmetterlinge in ihrem Bauch und schaffte es, dass sich ihr Verstand in Wohlgefallen auflöste.
Sie spürte seinen Körper an ihrem, seinen warmen Atem an ihrem Hals, und sog diesen unwiderstehlichen, männlichen Geruch, den er verströmte, ein.
"Du bist wunderschön, Hedwig.", flüsterte Arne so leise, dass sie es selbst kaum verstand.
"Du bringts mich noch um meinen Verstand, Arne.", gab Hedwig kaum hörbar von sich.
Überglücklich lehnte Hedwig ihren Kopf an seine nackte Brust, und lauschte seinem schnellen Herzschlag.
Ob sie wohl die Ursache dafür war?
Tatsächlich hatten es Hedwig und Arne geschafft, die Finger voneinander zu lassen und sich wieder anzuziehen. Und so saßen sie nun schweigend auf der Rückbank des Taxis, das Hede wieder zu ihrem Hotel brachte.
Was sollte sie denn jetzt tun? Sie wollte auf keinen Fall, dass die Sache mit Arne ein Ende hatte, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
Immer mal wieder warf sie unauffällig einen kurzen Blick zu ihm hinüber, wurde jedoch nicht schlau aus ihm.
Doch so wollte und konnte Hedwig das ganze nicht enden lassen.
"Also ... mhm ... was machen wir jetzt?", begann sie mit neuem Mut.
Ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen antwortete er auf einmal völlig gefühlslos:
"Was sollten wir machen?"
Diese Wörter brachten ihr Herz zum Stillstand.
Was hatte sie denn um Himmelswillen auch erwartet?
Dass Arne sie auf der Stelle heiraten würde, nur weil sie einmal miteinander geschlafen hatten?
Erst jetzt drang das ganze an ihr Bewusstsein. Hede hatte mit Arne geschlafen!
Wie hatte er das nur geschafft, sie so um den Finger zu wickeln?
Für manche Frauen mochte es nichts aufregendes sein, mit wildfremden Männern zu schlafen, doch für Hedwig schon.
Sie hatte immer gedacht, dass sie ihr erstes Mal mit einem Mann haben würde, der sie liebte, und dem sie nur zu gern ihr Herz in seine Obhut geben würde.
Doch da hatte sie sich wohl getäuscht!
Sie - Hedwig, die nie einen Fehler machte, die immer alles plante und unter Kontrolle hatte, und die nichts aus der Bahn werfen konnte.
"Hey, ähm ... so war das nicht gemeint.", brabbelte Arne, und legte seine linke Hand sanft auf ihre Schulter.
Da ihr aber jede Berührung nur noch deutlicher machte, dass sie einen Fehler begangen hatte, schuckte sie mit einer kleinen Bewegung seine Hand weg, und drehte sich dann um, damit er ihre aufsteigenden Tränen nicht sehen konnte.
"Hedwig, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich nicht ausnutzen wollte! Du hast mich überrumpelt ... aber versteh doch - wir kennen uns kaum. Ich studiere im Ausland, das... das geht einfach nicht."
Hedwig war wütend. Jedoch nicht auf Arne, zumindest nicht nur...
Sie hasste sich selbst dafür, dass sie naiv genug war um zu glauben, dass sich ein Mann tatsächlich für ihre Persönlichkeit und ihren Charakter interessierte.
"Weißt du was?", begann sie, und war erstaunt, wie selbstsicher sie auf einmal sprach.
"... du hast Recht! Ich bin einfach nur extrem dumm. Natürlich konnte das nichts werden ... ich hätte es wissen müssen! Wir kennen uns nicht, und ich könnte niemals von jemandem erwarten, dass er sich wegen mir seine Zukunft versaut!"
Hedwig wusste selbst nicht mehr, ob sie das, was sie da sagte, jetzt ernst meinte, oder nur so vor Sarkasmus triefte.
"Aber hey ... ist es nicht so, dass sich kein Pärchen zu Beginn der Beziehung wirklich kennt? Vermutlich hab ich das bisher ... "
Weiter kam Hedwig nicht, da Arne aus heiterem Himmel seine Lippen auf die ihren drückte.
Ihr Hirn verabschiedete sich für diese Nacht ein weiteres Mal, doch das war ihr jetzt egal. Was sollte denn noch schlimmes passieren? Immerhim hatte sie ihre Unschuld jetzt schon an ihn verloren, da war ein wenig rumknutschen ja nichts dagegen.
Sanft leckte er mit seiner Zunge über ihre Lippen, die sie nur zu gern öffnete. Immer wieder berührten sich ihre Zungen, sie tanzten einen wilden Tanz.
Gierig zog Arne sie zu sich hinüber, presste sie an sich, und Hedwig ließ es geschehen.
Wie wild fuhr sie ihm durch seine schönen Haare, und drückte ihn an sich.
Wie konnte sich etwas so banales wie ein Kuss, so wundervoll und erfüllend anfühlen?
Tausende Schmetterlinge schwirrten in Hedwig's Bauch umher, und ließen sie auf Wolke 7 schweben.
Ewig hätten die zwei so weitermachen können, hätte sie der Taxifahrer nicht aus ihrer Trance gerissen.
Nur widerwillig gab Arne Hedwig wieder frei, ohne sie dabei jedoch aus den Augen zu lassen.
Wie erstarrt saß Hedwig neben Arne.
Was war gerade geschehen? Wie hatte er es geschafft, ihr wieder den Boden unter den Füßen wegzuziehen?
Hedwig musste schleunigst weg von ihm. Weg von dem Mann, der sie mit einem einzigen Kuss in den Abgrund riss.
Und so stieg sie ohne zu zahlen aus dem Taxi aus, und rannte auf den Eingang des Hotels zu.
Die letzten Tränen waren noch nicht getrocknet, als ihr die nächsten schon wieder über ihre glühenden Wangen rinnen.
Voller Wut wischte Hedwig sie von ihrem Gesicht, und hastete auf die Eingangstür des Hotels zu.
Gerade als sie die riesige Holztür aufziehen wollte, wurde sie an beiden Händen gepackt und herumgedreht.
"Du gehst ohne dich von mir zu verabschieden? ", drang die leise tiefe Stimme an ihre Ohren.
Hedwig hatte die Augen geschlossen. Sie wollte ihn nicht sehen. Und sie wollte ihm nicht antworten.
Arne lockerte seinen Griff um ihre - in seinen Händen so winzig wirkenden - Hände.
"Weshalb schaust du mich nicht an, Hedwig?". Mit jedem Wort wurde seine Stimme tiefer, was Hedwig eine Gänsehaut bescherte.
Als Hedwig nach einer Weile immer noch nichts von sich gab, ließ Arne ihre Hände los.
Langsam und zögerlich öffnete sie ihre Augen.
Bei seinem Anblick drohte ihr Herz zu zerspringen.
Was hatte er ihr nur angetan?
"Arne, es tut mir Leid. Ich weiß, ich bin nur ein naives 19 jähriges Mädchen, das zu viel erwartet.", sprach sie kaum hörbar.
"Aber du hast Recht!"
Ein Seufzer verließ ihren Mund, und ließ Arne aufschauen.
"Wir waren einfach zur falschen Zeit - am falschen Ort."
Das letzte Wort brachte Hedwig nur mit Mühe über ihre Lippen.
Ein letztes Mal gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf seine weichen Lippen, bevor sie sich umdrehte, und ohne einen Blick zurück im Hotel verschwand.
Keine Sekunde zu früh fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, als Hedwig sich schluchzend die Hände vor ihr Gesicht hielt.
Sie würde ihn nie wieder sehen.
"Hedwig?!"
Hatte da etwa jemand ihren Namen gerufen?
"Was ist mit dir ? Sag schon!", befahl ihr ihre Schwester, die jetzt direkt vor ihr stand.
So gut es ging, versuchte Hedwig ihre Tränen hinunterzudrücken, und die restlichen von ihrem Gesicht zu wischen.
Jetzt konnte sie nur hoffen, dass ihr Gesicht nicht rot angelaufen war.
Doch als Frederike ihre Arme auf einmal um Hedwig schlang, konnte sie es nicht länger aufhalten.
Schluchzer um Schluchzer ließ ihren Körper erschüttern, und Tränen verschleierten ihre Sicht.
Nur am Rande bekam sie mit, wie Fredi sie auf eine Couch im Wartebereich zog, und sie dort hindrapierte.
Ohne auch nur ein Wort von sich zu geben, saßen die zwei Schwestern dort.
Immer wieder fuhr Frederike ihrer Schwester beruhigend über den Kopf.
Noch nie hatte sie Hedwig so aufgelöst gesehen.
Nach einer weiteren viertel Stunde schien es so, als würden aus Hedwig keine Tränen mehr fließen, und so beschloss Frederike noch einmal etwas bei Hede nachzuhacken.
"Also, möchtest du mir nicht erzählen, wer dir das angetan hat?"
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Normalerweise erzählten sie sich immer alles, doch das hier, war doch anders.
Hedwig liebte ihre Schwester und vertraute ihr, doch sie wollte sich nicht ausmalen wie Fredi reagieren würde, wenn sie ihr von ihrem One-Night-Stand erzählen würde.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hob Hedwig ihren Kopf blickte in das besorgte Gesicht ihrer großen Schwester.
Ohne dass sie weiter darüber nachdenken konnte, übernahm ihr Mund die Führung.
"Ich möcht das erst einmal sacken lassen ... und schauen, wie es mir morgen geht.", brachte sie erstaunlicherweise sehr sicher über die Lippen.
Immer wieder nickte Frederike , und ließ Hedwig dabei nicht aus den Augen.
"Na gut, Süße. Du musst das wissen. Aber du weißt, dass du mir jederzeit alles anvertrauen kannst, was dir auf dem Herzen liegt?"
"Das weiß ich.", antwortete Hede leise, wobei ihr ein sanftes Lächeln auf den Lippen lag.
"Oh man, Fredi, wie lief es eigentlich bei dir?", erkundigte sich Hede völlig aufgelöst, da sie ganz vergessen hatte, dass ihre Schwester mit Wieland mitgegangen war.
An ihrem dicken Lächeln konnte sie erkennen, dass es wohl besser als bei ihr selbst verlaufen sein musste.
"Wieland ist ... ich kann es gar nicht beschreiben."
Als Fredi seinen Namen nannte, wiesen ihre Augen ein verräterisches Funkeln auf.
Sie strahlte über beide Ohren, und ihre Stimme klang glockenhell.
"Er ist unbeschreiblich. Nicht nur, dass wir wirklich genau dieselbe Musik mögen, wir haben auch denselben Filmgeschmack, den gleichen Humor..."
Da Hedwig sich sicher war, dass ihre Schwester noch stundenlang Gemeinsamkeiten hätte aufzählen können, musste sie sie stoppen, solange das noch möglich war.
"Ist er nett zu dir?", fragte sie deshalb ihre Schwester.
Eine Weile schaute Fredi nur auf ihre Hände und sagte nichts.
Doch Hedwig ließ ihr die Zeit.
"Du weißt, dass ich mich schon öfter auf schlimme Typen eingelassen habe, und dass ich dir gesagt habe, dass ich sie 'toll' und 'voll cool' oder auch 'erwachsen und verantwortungsbewusst' fand. Aber bei Wieland ist das anders. Ich schätze, ich habe mich schon jetzt bis über beide Ohren in ihn verliebt."
Die letzten Worte hörte Hede kaum, da ihre Schwester immer leiser wurde. Doch sie hatte es verstanden.
Noch nie hatte Fredi so empfunden, wenn sie einen Kerl kennengelernt hatte.
"Ich glaube dir, dass du verliebt bist."
Frederike atmete einmal tief durch, und antwortete dann etwas skeptisch.
"Ich empfinde wirklich so, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Liebe auf den ersten Blick, so etwas gibt's nicht. Ich habe Angst, dass ich mich da wieder in etwas verrenne.", gestand ihre Schwester.
Doch Hedwig fühlte selbst, dass es dieses Mal etwas besonderes war.
"Weißt du, Fredi. Genau weil du das sagst, bin ich mir sicher, dass er dieses Mal der Richtige ist. Du hast dich sonst auf komische Typen, mit denen du nichts gemein hattest, eingelassen, und von vornherein zu viel reingesteckt. Aber jetzt wirkst du so schüchtern und zurückhaltend, so als ob du nichts überstürzen wolltest, damit du es nicht gleich vermasselst."
Aufmunternd lächte Hede ihrer Schwester zu, wenn sie sich auch nur schwer ein Lachen abringen konnte.
"Wir bleiben auf jeden Fall mal in Kontakt, wir haben unsere Nummern ausgetauscht, und er meinte auch, er würde
mich gerne mal besuchen kommen."
Das versetzte Hedwig unerwartet einen kleinen Stich ins Herz.
Wieso konnte bei ihr denn nicht einfach mal etwas gut ausgehen?
*~♡~**~♥~**~♡~*
*~ Zwei Monate später~*
Sanft fielen ihr die warmen Strahlen der Herbststonne auf den Rücken. Hedwig genoss es, um diese Jahreszeit draußen zu sein. Es war nicht zu warm, aber auch nicht zu kalt. Und überall sah es einfach so wunderschön herbstlich aus. Jedes Jahr aufs neue begann ihr Herz zu strahlen, wenn sie sah, dass sich das Grün der Blätter in facettenreiche Rottöne färbte.
Auch an diesem Samstag konnte Hedwig das Schauspiel der Natur betrachten.
Wie die letzten Samstage der vergangenen Wochen, saßen Hedwig, ihre Schwester und ihre Mutter zum Kuchen Essen bei ihrer Großmutter im Garten.
In den letzten Wochen hatte Hedwig viel Zeit bei ihrer Großmutter verbracht, da sie ja keine Schule mehr hatte, und die Uni erst in ein paar Wochen begann.
Ihre Oma hatte ihr in diesen Wochen viele Aufgaben gegeben, die sie zu erledigen gehabt hatte.
So musste sie zum Beispiel fast wöchentlich den Rasen mähen, helfen das Kräuterbeet zu erweitern, dann hatte die Pergula gerinigt werden müssen, und zu guter letzt hatte Hedwig mit ihrer Großmutter zusammen sogar einen kleinen Teich angelegt.
Meist war das so anstrengend, dass sie abends meist totmüde ins Bett fiel und sich morgens kaum bewegen konnte, bis ihre Mutter sie weckte um ihr mitzuteilen, dass ihre Oma Hedwig's Hilfe benötigte.
Und trotz der zahlreichen Arbeit, war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an Arne gedacht hatte.
Er war abends ihr letzter, und morgens ihr erster Gedanke, er ließ sie einfach nicht los.
Vermutlich lag das unter anderem auch an der Tatsache, dass ihre Schwester Frederike seit wenigen Wochen in einer festen Beziehung mit Wieland war.
Doch sie freute sich unheimlich für Fredi. Sie war in den letzten beiden Monaten so glücklich gewesen wie lange nicht mehr.
Nachdem sie aus Hamburg zurück waren, hatten sie die erste Zeit immer nur telefoniert. Aber als Wieland vor drei
Wochen dann überraschend vor der Haustür stand, und Fredi mit einem wirklich filmreifen Kuss begrüßt hatte, naja, seitdem waren die beiden kaum mehr zu ertragen.
Offensichtlich wollte Wieland sein Geld nur noch für den Sprit ausgeben, den er von Hamburg bis nach Bayern -und das wohl nur zu gerne - verfuhr.
Ihre Mutter war natürlich begeistert von ihrem potenziellen Schwiegersohn, sie konnte die beiden schon am Altar stehen sehen.
Als Fredi ihrer Mutter am Morgen nach dem Konzert von Wieland berichtet hatte, war sie zunächst eher skeptisch gewesen, doch nachdem sie sah, dass er Frederike wirklich gut tat, konnte sie ihn nur noch gern haben.
Hedwig hingegen hatte die Existenz ihrers One-Night-Stands lieber verschwiegen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter oder Frederike schlecht von ihr dachten, und ehrlich gesagt, wollte sie selbst einfach nur noch vergessen, dass es diesen Abend gegeben hatte.
Wie gesagt...sie wollte es.
"Wieso so still heute, Hede?", fragte sie der Freund ihrer Schwester, der ihr gegenüber saß, und sie besorgt musterte.
Ja, auch an diesem Wochenende hatte der liebe Wieland, oder "Wiele", wie Frederike ihn so gern nannte, nicht ohne Fredi sein wollen.
"Ach, nichts.", tat Hedwig ab, und schaufelte sich ein weiteres Stück der leckeren Kokostorte ihrer Oma in den Mund.
Eigentlich wäre für Hedwig die Sache damit abgeschlossen, doch mittlerweile kannte sie Wieland gut genug um zu wissen, dass er nicht locker ließ.
"Sag schon, was bedrückt dich? Ich seh es doch.", fragte er Hede ruhig, und so, dass nur sie es hören konnte.
Da Hedwig nicht mit dem Freund ihrer Schwester über ihre Gefühle reden wollte, tat sie das mit einem kurzen Schulterzucken ab.
"Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lang, aber du kannst gern dein Herz bei mir ausschütten, wenn es dir dadurch besser ginge.", redete er weiter, doch mittlerweile störte es Hedwig schon etwas mehr.
"Nein danke.", antwortete sie deshalb etwas gereizter, und hoffte auf seinen gesunden Menschenverstand, dass er nicht so lebensmüde sein würde noch weiter nachzufragen.
Aber auch da hatte sich Hedwig getäuscht.
"Weißt du, es hilft oft, wenn man.."
Weiter kam Wieland nicht.
Hedwig's Geduldfaden war gerissen, und sie konnte sich nicht mehr zurücknehmen.
Überreizt schmiss Hedwig ihre Kuchengabel auf ihren Teller, bevor sie Wieland anfuhr.
"Halt endlich die Klappe , Wieland!", fuhr sie ihn, etwas erstaunt über sich selbst, an.
"Hör endlich auf mich auszuquetschen!", schrie Hedwig, und blickte in sein verwundertes Gesicht.
"Was ist dein Problem, verdammt nochmal?", mischte sich jetzt auf einmal Fredi ein.
Jetzt war Hedwig doch etwas verwirrt, doch ihre Schwester ließ sie nicht zu Wort kommen.
"Seit Wochen verhälst du dich so komisch, bist so zurückgezogen und distanziert. Kann es sein, dass du einfach nur neidisch bist?", redete Frederike drauf los.
Aber Hedwig verstand nichts mehr.
Sie, eifersüchtig?
Gerade als Hedwig etwas erwidern wollte, musste sie jedoch aufstoßen, und konnte es gerade noch so verhindern auf den Tisch zu brechen.
Doch der nächste Würgereiz ließ nicht lang auf sich warten, und bevor sie nachdenken konnte, rannte sie auch schon in Haus - Richtung Toilette.
Zügig riss sie die Tür auf, und konnte sich gerade noch rechtzeitig über die Kloschüssel beugen.
Während sie kotzend über dem Klo hing, ließ sie die vorangegangene Situation noch einmal Revue passieren.
Hatte ihre Schwester ihr tatsächlich unterstellt eifersüchtig auf sie zu sein?
Sie war doch nur gereizt gewesen, weil Wieland sie regelrecht ausgequetscht hatte, auch wenn er nur nett zu Hede sein wollte, so war sie doch nicht scharf darauf, mit ihm zu reden.
Aber wenn sie es sich recht überlegte, musste sie sich wirklich eingestehen, dass sie sich in letzter Zeit wirklich sehr zurückgezogen hatte, wenn sie nicht gerade ihrer Großmutter half.
Was war nur los mit ihr?
Ein letztes Mal übergab sich Hede ins Klo, bevor sie weinend in sich zusammensackte. Ein Schluchzer jagte den nächsten, und Tränen rannen ihr in Strömen über ihr Gesicht.
Gerade als sie dachte, ihr würde es wieder besser gehen, überkam sie erneut eine Welle der Übelkeit.
Und so ging das ganze Spektakel noch einmal von vorne los.
Nur am Rande nahm sie wahr, dass sich ihre Großmutter zu ihr gesellt hatte, und ihr jetzt half, die Haare zurückzuhalten.
Sanft strich ihre Großmutter über ihren Rücken um Hedwig etwas zu beruhigen.
Lange hatte sich Hedwig nicht mehr so elend gefühlt, wie in dem Moment, in dem sie so würdelos über der Kloschüssel hing.
Aber trotz allem half ihr doch die Anwesenheit ihrer Oma - wenn auch nur ein wenig.
Nach gefühlten zehn Stunden gelang es Hedwig tatsächlich sich von ihrer Toilette zu trennen.
Was noch lange nicht hieß, dass es ihr deshalb besser ging.
Hatte sie sich irgendwo einen Grippevirus eingefangen? Anders konnte sie sich das nicht erklären.
"Na kommst mol her zu mir, ma Mauselspatzl.", flüsterte Johanna ihrer Enkelin zu.
Trotz Hedwig's Bedenken, sie könnte höchstwahrscheinlich etwas nach Erbrochenem stinken, nahm Johnna ihre kleine Hedwig in den Arm.
Sie wusste nur zu gut, weshalb sich Hedwig so verhielt, doch dass Hedwig selbst es wusste, bezweifelte sie.
"Wie wäre es, wenn ich dir jetzt ne schöne Wärmeflasche mache, und du es dir auf meinem Sofa gemütlich machst?", schlug Hedwig's Großmutter vor.
Zu erschöpft um zu reden nickte Hedwig es einfach ab.
Gemeinsam schleppten sie sich ins Wohnzimmer, in dem sich das gemütliche Sofa befand.
Wie ein Sack ließ Hede sich darauf plumpsen und fiel kurz darauf in einen tiefen Schlaf.
Verwirrt öffnete Hedwig ihre Augen.
Aus unbegreiflichen Gründen schmerzten ihr sämtliche Gelenke -es fühlte sich an, als sei sie einen Marathon gelaufen.
Und so gelang es ihr nicht sich aufzusetzen.
Dank des unverkennbaren Kräuterduftes konnte sie jedoch sofort ausmachen, wo sie sich befand.
Irgendwo hörte sie ihre Großmutter fröhlich vor sich hinsingen, ob der Rest jedoch noch da war, wusste sie nicht.
Da Hede sich nicht bewegen konnte, blieb sie zunächst einfach liegen, und starrte sinnlos die weiß gestrichene Holzdecke an.
Noch immer konnte Hede nicht sagen, weshalb es ihr vorhin so urplötzlich schlecht gegangen war, und auch die Bemerkung ihrer großen Schwester ließ sie nicht unberührt - denn Fredi hatte Recht.
Aber lag es wirklich daran, dass sie eifersüchtig auf ihre Schwester war?
Natürlich freute sie sich für Frederike und Wieland, doch sie musste zugeben, dass sie gerne auch jemanden finden würde, mit dem sie so glücklich sein konnte.
Ob sie mit Arne wohl so glücklich hätte werden können?
Sie würde es wohl nie erfahren.
Ohne Vorwarnung überkam es Hedwig, und sie brach erneut in Tränen aus.
Seit wann war sie so nah am Wasser gebaut, dass sie selbst eine Kleinigkeit so aus der Bahn werfen konnte?
Na gut, eine Kleinigkeit war es ja nicht wirklich, immerhin hätte Hedwig es sich gut vorstellen können, dass sie mit Arne zusammen kam, doch wenn das Schicksal es so nicht wollte, sollte es so wohl auch nicht sein.
Nichtsdestotrotz konnte Hede nicht aufhören zu weinen, und so legte sie sich zusammengekauert zurück auf's Sofa, und schluchzte in ihr Kissen.
Sie schaute nicht einmal auf, als sich jemand noch auf das Sofa dazusetzte, denn sie wusste, dass es Johanna war.
"Oma, was ist nur los mit mir?!", brachte Hedwig gequält hervor.
Eine Weile lang sagte Johanna nichts, und fuhr ihrer Enkelin nur beruhigend über den Arm.
Gerade als Hedwig dachte, dass Johanna ihr nicht mehr antworten würde, sagte sie ihr etwas, was sie offensichtlich falsch verstanden haben musste.
"Schatzl, du bist schwanger."
Augenblicklich hörte Hedwig auf zu weinen, und starrte ihre Großmutter ungläubig an.
"Was hast du gesagt?", fragte Hedwig, obwohl sie ihre Oma nur zu gut verstanden hatte.
"Du bist schwanger.", sagte Johanna mit einer ziemlich gelassenen Stimme.
Urplötzlich wurde Hedwig eiskalt und sie erstarrte.
Sämtliches Leben schien aus ihr gewichen zu sein, sie fühlte sich wie eine leere Hülle.
Schwanger?
Das konnte doch nicht sein!
Sie konnte nicht schwanger sein! Nicht mit 19!
Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Sie hatte seit zwei Monaten ihre Periode nicht mehr gehabt.
Und als sie mit Arne geschlafen hatte, hatten sie nicht verhütet!
"Oh mein Gott.", flüsterte Hedwig.
Sie konnte es nicht fassen.
"Was mach ich denn jetzt Oma?! Ich bin doch erst 19. Was soll ich denn Mama sagen? Und Fredi? Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott!"
Hedwig schrie immer lauter, sprang auf und lief panisch im Wohnzimmer ihrer Großmutter auf und ab.
"Naja, Kindchen, was mocht ma wohl, wenn man schwanger ist?", fragte Johanna Hedwig, und klopfte neben sich auf das Sofa.
Hedwig hatte sich neben ihre Großmutter gesetzt, und hoffte, dass das alles nur ein Alptraum war.
Ohne etwas anzuschauen, starrte sie vor sich auf den Boden, und nahm nichts mehr wahr, bis ihre Großmutter Hedwig's Hand in die ihre nahm.
"Mein kleiner Schatz...jetzt sag doch mal was. Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen?", wollte Johanna wissen.
Sollte Hedwig ihrer Oma von Arne erzählen?
Was würde das schon bringen?
Sie würde ihn nie wieder sehen, und sie war sich sicher, dass Arne nicht scharf darauf war, mit ihr ein Kind großzuziehen.
Hinzu kam, dass Hedwig auch nicht wusste, wo sie Arne finden konnte.
Eigentlich wusste sie gar nichts von ihm.
Was zur Hölle hatte sie dazu veranlasst, mit einem völlig Fremden zu schlafen?!
"Oh Gott, ich halte das nicht aus Oma!", brüllte Hedwig.
"Ich hab mit einem wildfremden Mann geschlafen, der nicht mal in Deutschland wohnt, und den ich nie wieder sehen werde!", fuhr sie fort.
"Du solltest dich erst einmal beruhigen, Schatz. Das tut dir und dem kleinen Wurm in dir drin nicht gut.", erwiderte Johanna immer noch völlig gelassen.
'Der kleine Wurm in dir'. Immer wieder sagte Hedwig diese Worte in ihren Gedanken vor sich hin.
"Ich brauch nen Schwangerschaftstest, Oma. Könntest...könntest du mir vielleicht einen besorgen?"
Hedwig musste es sicher wissen.
"Aber sicher doch. Ich fahr kurz zur Drogerie, und bin gleich wieder da."
Bevor Hede antworten konnte, war ihre Oma schon aufgesprungen, und startete ihr Auto.
Vielleicht war sie ja doch nicht schwanger?
Aber wäre es denn so schlimm, wenn sie tatsächlich schwanger wäre?
Hedwig hatte vor, Kinder zu bekommen, und nicht nur eines.
Nur hatte sie immer gedacht, dass sie dann mindestens 25 und verheiratet sein würde.
Tja, nun war sie weder 25, noch glücklich verheiratet.
Wie in Trance stand Hedwig auf, und lief in's Bad, in dem sich ein großer Spiegel befand.
Vorsichtig ließ sie ihre Hände über ihren Bauch gleiten, und drehte sich dann zur Seite, um zu schauen, ob man etwas sehen konnte.
Hedwig war sich nicht sicher, aber sie glaubte, schon eine leichte Wölbung ausmachen zu können.
Unbewusst zauberte ihr das ein Lächeln ins Gesicht, das gar nicht mehr verschwinden wollte.
Dass sie dort tatsächlich einige Minuten stand, ohne es auch nur ansatzweise mitzubekommem, fiel Hedwig erst auf, als Johanna plötzlich hinter ihr stand, und sie anlächelte.
Wortlos wandte sie sich ihrer Oma zu, und wusste nicht, was sie jetzt tun sollte.
"Ich schätze, du weißt, wie ein Schwangerschaftstest funktioniert? ", unterbrach Johanna die Stille.
Hedwig war zu nervös, und so nickte sie nur.
Außerdem war sie durchaus in der Lage die Anleitung zu lesen.
Und so schnappte sie sich den Test, den ihre Großmutter ihr hin hielt, und verschwand auf die Toilette.
Sie warf einen letzten Blick auf ihr ziemlich verzweifelt aussehendes Spiegelbild, bevor sie den Test aus dem kleinen, rechteckigen Päckchen zog, und sich dann auf die Toilette setzte.
Es dauerte nicht lange, und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, wusch sie schnell ihre Hände und stellte dann den Timer auf ihrem Handy auf drei Minuten.
Drei Minuten, nach denen sich Hedwig's komplettes Leben verändern könnte.
Hedwig war zu aufgeregt, und so ging sie wieder nach draußen, wo auch schon ihre Oma auf sie wartete, und mit einem skeptischen Blick empfing.
"Noch drei Minuten.", sagte Hedwig ohne jegliches Gefühl in ihrer Stimme.
Noch nie waren ihr drei Minuten so lange und endlos vorgekommen, wie in diesem Augenblick.
Mit jeder Sekunde die verstrich, wurde sie aufgeregter und hibbeliger.
Hedwig wusste nicht, wie sie sich im Moment fühlen sollte, viel zu viele Gedanken schwirrten im Moment in ihrem
Kopf umher. Und so war sie dankbar, als Johanna einen Arm um sie legte, und sie fest umarmte.
Es gab ihr das Gefühl, dass sie nicht alleine war. Sie würde nie alleine sein.
Ein schrilles Piepen riss Hedwig aus ihren Gedanken, und auf einmal fühlte es sich so an, als hätte sie tausende Ziegelsteine im Bauch.
Ihre Hände zitterten, als sie nach dem Schwangerschaftstest griff.
"Ein Strich bedeutet negativ, zwei positiv.", erklärte ihre Großmutter.
Nachdem sie ein letztes Mal tief eingeatmet hatte, öffnete sie ihre Augen wieder, und blickte auf den Test.
"Es sind zwei Striche.", war das letzte was Hedwig sagte, bevor ihr die Tränen ein weiteres Mal in Strömen über ihr Gesicht liefen.
~○~♥~○~●~○~♥~○~
Zwei Stunden nachdem Hedwig das Ergebnis des Tests gesehen hatte, hatte sie ihre Großmutter nach Hause begleitet.
Zuvor hatte sie sich noch reichlich ausgeweint, und als nach Ewigkeiten keine Tränen mehr fließen wollten, hatte Johanna Hedwig in ruhigem Ton erklärt, dass es nicht schlimm war.
Sie musste es jetzt ihrer Muttet beibringen, und Johanna hatte ihr versichert, dass ihre Mutter ihr nicht böse sein würde.
Und so stand Hedwig jetzt vor ihrer Mutter und ihrer Oma - Rike war mit Wieland unterwegs - ihr Herz klopfte, vermutlich so laut, dass es andere auch hören konnten, und sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
Ihre Mutter schaute sie etwas hilflos an, da sie wirklich nicht wusste, was mit ihrer Tochter sein könnte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, hielt es Hedwig's Mutter jedoch nicht mehr aus.
"Hedwig, sag mir jetzt bitte, was mit dir los ist!"
Und so raffte Hede ihren ganzen Mut zusammen, und antwortete ihrer Mutter.
"Also...ich bin schwanger.", sagte Hedwig mit gesenktem Blick.
Das letzte Wort hatte sie nur geflüstert, doch war sie sich sicher, dass es ihre Mutter durchaus vernommen hatte.
Als Irma nach einigen Sekunden noch immer nichts auf Hedwig's Aussage erwidert hatte, musste Hedwig einfach aufblicken.
Sie schaute ihre Mutter an, konnte jedoch nicht schlau aus ihrem Gesichtsausdruck werden.
"Sag doch was Mama...", flüsterte Hedwig, und schaute sie nun fast flehend an.
Schon wieder war sie den Tränen ziemlich nahe, und hätte ihre Mutter nicht doch noch einen Laut von sich gegeben, wäre sie vermutlich wieder schluchzend auf dem Boden gelegen.
Aber Irma regte sich, atmete laut aus, und schaute ihre Tochter mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Ich weiß ehrlich nicht, was ich davon halten soll...", murmelte Irma vor sich hin, ließ ihre Tochter dabei aber nicht aus den Augen.
Hedwig brachte nur zaghaft ein kurzes Lächeln zu Stande, sie hoffte, das würde ihre Mutter etwas sachter stimmen.
"Von wem ist das Kind?", fragte Irma jetzt in einem härteren Ton.
"Du...du ken...kennst ihn nicht...", stotterte Hedwig.
Sie hatte Angst. Ganz furchtbare Angst.
Noch nie hatte ihre Mutter so mit ihr gesprochen, noch nie war sie so kühl zu ihr gewesen.
Verstand sie denn nicht, dass es ihr ganz schrecklich ging, und ihre Mama brauchte?
"Mama, ich...ich wollte das ...nicht, ich...brauch dich!", und schon rannen die salzigen Tropfen an ihren Wangen hinunter.
In so kurzer Zeit, hatte sich auf einmal alles in ihrem Leben geändert.
Wie sollte sie damit umgehen?
Weshalb traf es ausgerechnet sie?
Auf einmal spürte sie, wie jemand sie an sich zog. Ihre Mutter.
"Keine Sorge, Hedwig. Du schaffst das...WIR schaffen das.", flüsterte Irma ihrer Tochter ins Ohr, die daraufhin nur noch mehr weinen musste.
Was würde sie nur ohne ihre Mutter machen?
Eine geschlagene halbe Stunde waren Hedwig und ihre Mutter so im Wohnzimmer gestanden.
Auch wenn Hedwig immer noch total überfordert mit der ganzen Sache war, so fiel ihr ein Stein vom Herzen, da sie wusste, dass sie sich auf ihre Familie verlassen konnte.
"Können wir jetzt reden?", erkundigte sich Irma, die ihrer Tochter die letzte Träne von der Wange strich.
Hedwig nickte nur, hatte sie doch auf einmal einen Kloß im Hals, der sie nicht reden ließ.
Wie sollte sie das ihrer Mutter erklären?
"Also, dann schieß mal los.", sagte Irma, während sie sich wieder auf das Sofa setzte, und ihre Tochter erwartungsvoll anblickte.
Hedwig setzte sich neben sie, dan Blick gesenkt, da es ihr ziemlich unangenehm war, mit ihrer Mutter darüber zu reden.
"Es war, mmh...auf dem Konzert vor zwei Wochen...", krächzte sie.
Irma schaute ihre Tochter verwirrt an.
Hedwig wusste sofort weshalb.
Ihre Mutter wusste nicht, wann es passiert sein sollte, da sie ja eigentlich die ganze Zeit zusammen waren, und auf dem Konzert immer bei ihrer Schwester war - das glaubte zumindest Irma.
"Rike ist vor mir wieder zurück ins Hotel gefahren...", gestand sie also.
"Ich hab gedacht, ihr wärt die ganze Zeit über beieinander gewesen."
Den Kopf schüttelnd schaute Hedwig ihre Mutter an.
"Sie hat auf dem Konzert doch Wieland kennengelernt...und ich habe auch jemanden getroffen..."
Mittlerweile war Hedwig's Stimme zurückgekehrt. Und sie sprach, selbst darüber erstaunt, mit fester Stimme weiter.
"Ich will meine Schwester jetzt nicht verpfeifen, aber sie wollte noch mit Wieland mit...der Mann, den ich kennengelernt habe, hat mich dann gefragt, ob er mich noch ins Hotel bringen soll, ich habe zugestimmt. Wir wollten dann noch kurz was trinken gehen, ein Kumpel von ihm hat eine Bar am Elbestrand...naja...und...was dann passiert ist, kannst du dir ja denken..."
Völlig außer Atem, beendete Hedwig ihre Geschichte, und wartete dann wieder auf die Reaktion ihrer Mutter.
"Also...", begann Irma. "...dass du dich dazu entschlossen hast, einfach , mit einem dir fremden Mann zu schlafen, schockiert mich ehrlich gesagt, Hedwig...ich hätte nicht gedacht, dass du so etwas..."
Überfordert fasste sich Irma an die Stirn. Sie wusste um ehrlich zu sein auch nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollte.
Aber sie konnte nichts an der Situation mehr ändern.
"Egal was ich von deinem ...was auch immer das war...halte, du bist meine Tochter, und ich steh dir zur Seite. Du wirst das Kind bekommen, auch wenn es den Vater nicht kennt. Aber du weißt, dass sich damit jetzt alles ändert?"
Den letzten Satz hatte Irma mit etwas mehr Mitgefühl gesagt.
"Mama, darf ich ehrlich sein?", fragte Hedwig, die sich mittlerweile wieder etwas beruhigt hatte.
Irma nickte, und wartete, gespannt, was ihr ihre Tochter als nächstes sagen würde.
"Ehrlich gesagt, freue ich mich."
"Was meinst du?", erkundigte sich Irma, die nicht wusste, was Hedwig damit meinte.
"Ich freue mich auf MEIN Baby."
Die verwirrte Mutter sah das Strahlen in den Augen ihrer Tochter, als sie von ihrem Baby sprach.
Und sie glaubte es ihrer Tochter auch. Was sie nicht zuletzt auch mit stolz erfüllte.
Hedwig hingegen wusste nicht, ob es ihr zustand, dass sie sich freute, und nicht schämte.
Aber sie fühlte sich nicht schlecht. Sie freute sich auf ihr Kind, auf das was kommen würde, und weshalb sollte sie das auch nicht tun dürfen?
"Ich bin stolz auf dich.", flüsterte Irma ihrer Tochter zu, die noch in ihren Gedanken versunken war.
Zwei Wochen waren seit der Erkenntnis, dass Hedwig schwanger war, vergangen.
An diesem Tag war ihr erster Termin bei der Frauenärztin, und Hedwig hatte Angst.
Sie hatte Angst, dass sie sich doch getäuscht hatte, und sie doch nicht schwanger war, oder dass es dem Baby nicht gut ging.
Die schlimmsten Horrorszenarien spielten sich des Nachts in ihrem überforderten Kopf ab, was wiederum dazu führte, dass sie kaum noch schlafen konnte.
Allmorgentlich rissen sie dann, wenn sie gerade ein wenig Schlaf gefunden hatte, ihre Kotzattacken aus dem Bett, und so begann ihr Morgen nicht gerade entspannt.
Natürlich hatte Hedwig auch ihrer Schwester erzählt, was mit ihr los war, jedoch erst nachdem Wieland wieder weg war.
Fredi war zunächst sprachlos gewesen, was vermutlich auch an der Standpauke ihrer Mutter gelegen hatte, in der Irma ihre Tochter für die Tatsache rügte, dass sie Hedwig in Hamburg einfach sich selbst überlassen hatte.
Nachdem sich die Aufregung jedoch wieder gelegt hatte, konnte sich selbst Frederike, wenn auch nicht so überschwänglich, für ihre Schwester freuen.
"Weist du, Hedwig, ich hätte nie gedacht, dass du mal vor mir ein Kind bekommst...und dann noch so jung.", hatte Fredi ihrer Schwester gestanden.
"Ich kann es jetzt schon nicht mehr ändern. Und ich werde das Kind auch nicht abtreiben lassen...also kann ich nur das beste daraus machen, und ich hoffe, du freust dich irgendwann auch ehrlich über mein Kind. Es braucht ja schließlich seine Tante Frederike."
Bei dem Wort Tante, hatte Frederike Hedwig erstaunt angesehen, und sie dann in den Arm genommen.
"Ich freue mich wirklich, kleine Hedwig. Und du weißt, du hast die beste Hebamme der Welt an deiner Seite.", hatte Frederike gesagt.
Doch das mit der Hebamme, war noch nicht geklärt.
Und so saß Hedwig jetzt, zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrer Oma im Wartezimmer der Frauenärztin.
Besorgt ließ Hedwig ihren Blick über die anderen Leute im Wartezimmer schweifen.
Zum Großteil saßen hier die Frauen mit ihren Männern, die ihnen liebevoll über den Bauch streichelten.
Gott, da kam ihr ja fast ihr Frühstück wieder hoch.
Als hätte ihre Mutter ihre Gedanken gelesen, drückte sie leicht ihre Hand, und schaute sie aufmunternd an.
"Du packst das - auch ohne so 'nen schmierigen Typ...schau dir mal die da hinten in der Ecke an.", flüsterte Irma, und ließ ihren Blick kurz in die besagte Ecke schweifen.
Hedwig tat wie ihr befohlen, und musste sich kurz ein Lachen verkneifen.
Das Paar, das dort saß, sah nicht wirklich glücklich aus.
Er streichelte ihr sanft über den Bauch, sie schlug seine Hand genervt weg, und motzte ihn an, er solle sie nicht anfassen. Er ließ es jedoch nicht, woraufhin die Frau sein Handgelenk packte, und ihm einen Blick zuwarf, der Feuer gefrieren ließ.
Hedwig wandte sich wieder an ihre Mutter, und flüsterte ihr ein kurzes "Danke" zu, als auf einmal die Tür zum Wartezimmer aufging, und eine etwas ältere, kleine grauhaarige Frau in der Tür stehen blieb.
"So, Hedwig wäre dann die nächste", vernahm sie die freundliche Stimme der älteren Dame, und in null Komma nichts war ihr das Blut in den Adern gefroren.
"Das bin ich", hauchte sie, doch die alte Dame hatte sie gehört und lächelte ihr nun zu.
"Na dann komm mal mit, Hedwig."
Ihre Mutter war in der Zwischenzeit schon aufgstanden, und versuchte ihre Nervöse Tochter vom Stuhl zu bekommen.
"Komm schon Hede, ich begleitete dich auch. "
Schützend hatte ihre Mutter einen Arm um sie gelegt, und zog sie in den Behandlungsraum.
Hedwig war es auf einmal furchtbar kalt, und sie wollte nur noch weg von hier.
Das war einfach zu viel für sie, mit noch nicht einmal 20 Jahren.
Ihr Kopf drohte zu platzen, da sie nicht mehr wusste, wohin sie mit ihren ganzen Gedanken gehen sollte, und ihr Herz schien ihr gleich aus dem Brustkorb zu springen.
Was um sie herum geschah, bekam sie nicht wirklich mit. Umso erleichterter war Hedwig, dass ihre Mutter das Reden übernahm.
Als sich auf einmal etwas um ihren Oberarm legte, zuckte sie zusammen vor Schreck.
“Keine Sorge Hedwig, ich messe nur deinen Blutdruck.“, beruhigte sie eine unbekannte Frauenstimme.
Hedwig's Blick war starr auf ihre Mutter gerichtet, die ihr in diesem Moment noch mehr als sonst wie ihr Fels in der Brandung erschien.
Unangenehm fest begann das Blutdruckmessgerät sich um ihren Oberarm zu schlingen. Dieses Gefühl machte sie nur noch unruhiger, weshalb Hedwig sich sicher war, dass sich ihr Blutdruck jetzt in weit entfernten Sphären befinden musste.
Glücklicherweise ließ der unangenehme Druck an ihrem Arm bald wieder nach, und kurz darauf war ein schrilles Piepen zu hören.
Am Rande vernahm Hedwig, wie die fremde Frau, bei der es sich wohl um ihre Ärztin handeln musste, die Luft scharf zwischen ihren Zähnen einzog.
Jetzt war Hedwig's Aufmerksamkeit auf einmal ziemlich groß.
“Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung mit mir?“, fragte Hedwig panisch.
“Nein, ich denke nicht. Deine Werte deuten auf eine Grad zwei Hypertonie an. Das bedeutet, dass dein Blutdruck ziemlich hoch ist. Aber du musst dir keine Gedanken machen, das ist momentan vor allem die Aufregung, die deinen Blutdruck ansteigen lässt. Ich denke, das beste wäre, wenn wir ihn nachher noch einmal messen, und uns jetzt erst einmal ein wenig unterhalten.“
Mit einer beruhigenden Stimme hatte es die Frauenärztin tatsächlich geschafft, Hedwig ein wenig die Panik zu nehmen.
Und so setzte sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter an den Schreibtisch, so dass sie jetzt der Ärztin gegenüber saßen.
“Also, Hedwig, ich darf dich doch duzen?“, erkundigte sich Frau Doktor Brunner, so entnahm Hedwig es dem Namensschild auf ihrem Schreibtisch.
“Natürlich dürfen sie das.“, antwortete Hedwig mit einer noch leicht zitternden Stimme.
“Gut, also dann. Für gewöhnlich notiere ich mir einige Sachen, betreffend deiner familiären Umstände, eventuelle vererbbare Krankheiten und zu deiner momentanen Verfassung.“, begann Doktor Brunner.
“Gibt es in deiner Familie irgendwelche besonderen Krankheiten?“
Unsicher schaute Hedwig zu ihrer Mutter, die ihren hilfesuchenden Blick sofort verstand.
“Weder von meiner, noch von der Seite von Hedwig's Vater gibt es Erbrkrankheiten, und auch sonst gibt es keine außergewöhnlichen Krankheitsvorfälle.“, sagte Hedwig's Mutter.
Doktor Brunner nickte aufmerksam mit dem Kopf, und machte sich währenddessen Notizen.
“Mh, und wie sieht es aus mit dem Vater deines Kindes aus?“
Na toll. Jetzt hatte die Ärztin einen wunden Punkt getroffen.
Sie kannte den Vater ihres Kindes ja selbst nicht!
Was sollte sie denn dann Doktor Brunner erzählen?
“Ich..ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben, da ich ihn selbst nicht wirklich kenne, und auch keinen Kontakt zu ihm habe...“, ratterte Hede schnell vor sich hin.
Peinlich berührt starrte sie auf ihre Hände, die nervös mit einem Faden, der sich von ihrer Bluse löste, spielten.
Aus dem Augenwinkel heraus konnte Hede sehen, wie sich die Ärztin auch das notierte.
“ Wie sind deine momentanen Lebensverhältnisse?“, fragte die blonde Ärztin, die Hedwig aus ihren blauen Augen heraus, da war Hedwig sich sicher, mit etwas Mitleid anschaute.
“Naja, also ich habe erst vor kurzem mein Abitur gemacht, wohne zusammen mit meiner älteren Schwester bei meiner Mutter, was sich jetzt vermutlich auch nicht so schnell ändern wird...“ Entschuldigend blickte Hedwig ihre Mutter an, die ihr jedoch nur aufmunternd zu lächelte.
“In Ordnung. Ich möchte mich nur versichern, ob du in den nächsten Monaten auch ein sicheres Zuhause hast, und jemanden, der sich um dich und dein Baby kümmert.“, erwiderte die Ärztin.
“Das hat Hedwig auf jeden Fall!“, sagte Hedwig's Mutter, die ihrer Tochter dabei ermutigend anschaute.
“Gut, dann nur noch eine Frage. Wie geht es dir momentan mit der Situation, Hedwig?“
Darüber musste sie erst einmal nachdenken. So genau konnte sie es gar nicht sagen.
“Also, ich...ich weiß nicht recht. Rein körperlich bin ich morgens immer total kaputt, weil ich die Nacht durch nicht schlafen kann. Ich habe die schlimmsten Vorstellungen, was mir und dem Kind alles passieren könnte. Wenn ich dann wach bin, muss ich sofort brechen...und dass dann öfter hintereinander. Aber ich freue mich so unglaublich über das Baby, und ich kann es eigentlich kaum erwarten.“, erklärte sie Frau Doktor Brunner.
Mit einem Lächeln im Gesicht, legte Frau Brunner ihren Stift nieder, und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück.
“Ich würde gleich im Anschluss noch eine Ultraschalluntersuchung machen. Dann sehen wir, ob es dem Kind soweit gut geht.“
Ein warmes Gefühl machte sich in Hedwig breit. Sie freute sich darauf, endlich einmal ihr Baby zu sehen.
“In Ordnung, dann leg dich doch gleich mal da drüben auf die Liege, dann können wir gleich mit dem Ultraschall beginnen.“
Frau Brunner war bereits aufgestanden, und hatte das computerähnliche Gerät neben besagter Liege angeschaltet.
So stand Hede schließlich auch auf, und machte es sich auf der überraschend bequemen Liege gemütlich.
“Deine Bluse müsstest du etwas aufknöpfen und über den Bauch schieben.“
Hedwig tat wie ihr befohlen, und hatte kurz darauf die Bluse geöffnet.
“Das könnte jetzt etwas kalt werden...“, erklärte Doktor Brunner, und quetschte aus einer Tube etwas Gel auf ihren Bauch.
Tatsächlich war das Gel kalt, und so musste Hedwig kurz zusammenzucken.
Die Ärztin brabbelte irgendetwas vor sich hin, während sie, nachdem sie das Gel auf Hedwig's Bauch verteilt hatte, das kleine Ultraschallgerät auf ihrem
Bauch hin und her schob.
Nervös krallten sich Hedwig's Finger in die Polsterung der Liege, da sie jeden Moment mit einer schlimmen Nachricht rechnete.
“Wie mir scheint, ist mit deinem Baby bis jetzt alles in bester Ordnung...“ Hatte Hedwig das richtig gehört?
Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie ihre Ärztin an, und wartete auf nähere Angaben.
“Wir sehen hier den Fötus von der Seite...“, erklärte Doktor Brunner, und fuhr mit ihrem Zeigefinger auf dem Bildschirm entlang, über ein kleines etwas, das mehr aussah wie eine Kidneybohne.
“Du siehst, der Kopf ist nur halb so groß wie der Rest des Körpers, doch das ist für dieses Stadium üblich, und es entwickelt sich ja schließlich auch noch.
Auch typisch ist diese überdimensional große und gewölbte Stirn, aber wie gesagt, das ändert sich noch.“
Doktor Brunner redete weiter, doch Hedwig hörte nicht mehr zu.
Das erste Mal hatte sie gerade ihr Kind gesehen, und es war überwältigend.
Noch nie hatte sie sich so glücklich gefühlt.
Das kleine Bohnending in ihr war real, es lebte, und es war ihr Kind.
Hedwig konnte es nicht fassen, und so konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten.
Salzige Tränen rannen an ihren vor Aufregung erhitzten Wangen hinab.
Doch es waren keine Tränen der Trauer, oder gar der Verzweiflung.
Nein, keines Falls. Es waren Freudentränen.
~~*~~**~**~~*~~
Eine Stunde später verließen die vier Frauen aufgeregt das Gebäude.
Hedwig hatte doch tatsächlich ihren ersten Termin der Schwangerschaftsvorsorge überlebt.
Gut, man hatte ihr noch Blut abnehmen müssen, doch auch das hatte sie überstanden, und sie war einfach nur glücklich, dass es ihrem kleinen Wurm gut ging.
Auch der Rest schien Gefallen daran zu finden, dass Hedwig schwanger war.
Verliebt schauten ihre Oma und Fredi auf das Foto vom Ultraschall, auf dem man ihr ungeborenes Baby sehen konnte.
Sie selbst umklammerte ihren Mutterschaftspass, als würde ihr Leben daran hängen
Noch nie war sie so glücklich gewesen.
Und das hatte sie alles ihrem Baby zu verdanken.
Die Autofahrt nach Hause bekam Hedwig fast nicht mit.
Die ganze Zeit über stellte sie sich vor, wie ihr Leben wohl in sieben Monaten aussehen würde. Und dabei kamen ihr auch einige Fragen auf.
Wie sollte sie ihr Kind nennen? Wird es ein Junge oder ein Mädchen?
Was wäre ihr lieber- Mädchen oder Junge? Musste sie jetzt so einen komischen Schwangerschaftsvorbereitungskurs besuchen, wie man es immer in den Filmen sah? Wo der Mann der Frau gut zu redet? Mit wem würde sie dort hingehen?
Denn Hedwig hatte keinen Mann.
Ihr Kind würde keinen Vater haben.
Und auf einmal war Hedwig's gute Laune wie weggeblasen.
Ihr Lächeln verschwand von ihrem Gesicht, und an dessen Stelle trat ein trauriger Gesichtsausdruck.
Ohne es zu wollen , musste sie weinen. Ein Klos hatte sich in ihrem Hals gebildet, der Hedwig kaum noch atmen ließ.
Vor lauter Weinen lief ihr auch noch die Nase...
Ein Schluchzer stahl sich ihren Hals hinauf, so dass jetzt alle im Auto mitbekommen hatten, dass Hedwig einen Nervenzusammenbruch hatte.
“Was hast du denn, Hede?“, fragte ihre Schwester besorgt, während sie ihr über die Schulter strich.
Doch Hedwig konnte nicht antworten.
Jeder Versuch einen Satz zu formulieren wurde von unkontrollierbaren Schluchzern unterbrochen.
Das wiederum machte Hedwig nur noch trauriger, was noch mehr Tränen zur Folge hatte.
Und so stammelte sie wie eine Wilde vor sich hin, und hoffte, dass Fredi sie verstehen würde.
Der laute Knall, den die Autotüren beim Schließen verursachten, ließ Hedwig aufhorchen.
Um etwas sehen zu können musste sie sich erst einmal die Tränen wegwischen, und dann musste sie dringend ihre Nase putzen.
Als hätte Frederike es gewusst, reichte diese ihrer kleinen Schwester ein.Taschentuch.
“Geht's wieder?“, erkundigte sich Fredi, die Hedwig voller Mitgefühl betrachtete.
Hedwig nickte jedoch nur, und schaute sich auf der Suche nach ihrer Mutter und ihrer Großmutter um.
Verwundert bemerkte sie, dass sie auf dem Parkplatz eines Supermarktes standen.
“Mama war doch gestern erst einkaufen...“, stellte Hedwig fest.
Ihre Schwester zuckte nur mit den Schultern.
“Was hat dich gerade zum Weinen gebracht?“
Ehrlich gesagt, wollte Hedwig ihrer Schwester nichts von ihren abstrusen Gedankengängen erzählen, doch wie immer schaffte Fredi es mit ihrem Dackelblick, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
“Mir gehen so viele Fragen durch den Kopf...Ich weiß nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Ich weiß nicht wie ich es nennen soll. Ich hab mich in so 'nem Schwangerschaftsvorbereitungskurs sitzen sehen...aber allein. Und dann ist mir eingefallen, dass das Kleine nie seinen oder ihren Vater kennenlernen wird. Mich wird er auch nicht unterstützen...“
Mit jedem Wort wurde Hedwig leiser.
"Aber du brauchst ihn auch nicht. Jetzt hör mir mal zu, Fräulein!"
Hede musste aufschauen, denn diesen Ton hatte sie von ihrer noch nie gehört.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich all jenen Mädchen und Frauen, die wissen, dass ihr Traummann dort draußen nur auf sie wartet...wenn es auch manchmal anders kommt als gehofft.
Mögliche Ähnlichkeiten meiner Figuren mit realen Personen sind nicht beabsichtigt, da ich , auch wenn diese Geschichte zum Teil auf wahren Begebenheiten basiert, die Charaktere sehr stark verändert habe.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle der wunderbaren Angel of Love aussprechen, die ich zwar erst seit kurzem kenne, mich hier jedoch tatkräftig unterstützt hat ;)
Zudem nochmal vielen vielen lieben Dank an Twisted Taylor für das tolle Cover ;)