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Kapitel 1

 Gawen 

 

"Wir haben uns heute hier versammelt, um zwei geliebte Menschen zu verabschieden. Tristan und Anna McKinley waren ganz besondere Menschen. Sie waren stets für andere Menschen da, immer hilfsbereit und haben gut für ihren Sohn gesorgt....."

Gawen beobachtete, wie die Särge in die Gruben hinuntergelassen wurden. Er hoffte immernoch inständig, dass das alles ein schlimmer Alptraum war, und sein Bruder Tristan ihn in die Schulter boxen würde, um ihn aufzuwecken. Jedoch war Tristan tot, für immer fort, ebenso wie seine Frau Anna. Als man Gawen vor fünf Tagen aus dem Krankenhaus in Dallas angerufen und ihm mitgeteilt hatte, dass sein Bruder und seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen seien, wurde ihm schwarz vor Augen und der Boden unter seinen Füßen weggerissen.

Und jetzt, fünf Tage später, schnürte es ihm noch heftiger die Kehle zu. Er war sofort von Los Angeles nach Dallas geflogen, um sich um seinen sieben Jahre alten Neffen Erik zu kümmern. Er hatte Erik bei einem Freund abgeholt, und hatte versucht mit ihm zu reden, ihn aufzuheitern, aber es funktionierte nichts.

Erik hatte seit dem Unfall seiner Eltern nicht mehr gerdet, nichts mehr gegessen und meidete den Kontakt zu anderen Menschen. Gawen war erstaunt gewesen, dass er überhaupt mit zur Beerdigung kam, er hätte es verstanden, wenn er nicht hätte mitgehen wollen. Jetzt stand der kleine Junge vor ihm, ohne irgendeinen Ausdruck im Gesicht, keine einzige Träne lief ihm aus den Augen. Er fuhr ihm durch seine blonden Haare, und tätschelte ihm die Schulter.

Nach der Beerdigung sprachen alle Freunde von Tristan und Anna ihr herzliches Beileid aus und boten ihnen Hilfe an. Da Gawen McKinley einer der berühmtesten Action-Filmstars in Hollywood war, boten besonders die Single-Freundinnen von Anna ihr Hilfe an. Gawen hätte bei so viel 'Feingefühl' kotzen können. Wie dreist musste man sein, dass man sogar auf der Beerdigung von Freunden noch so geldgeil und weiß der Teufel was sein konnte??!! Während der Heimfahrt schwieg Erik noch immer, und Gawen wusste nicht mehr weiter. Er selbst war bereits 33 und war weder verheiratet noch hatte er Kinder.

"Erik, du musst mir sagen, wie ich dir helfen kann!" Schweigen.

"Möchtest du noch etwas essen?"

Erik nickte mit dem Kopf und Gawen war erleichtert, dass er wenigstens noch Essen zu sich nehmen wollte.

"Pizza oder Burger?"

Diesesmal kam nur ein Zucken mit den Schultern von Erik.

"Dann müssen wir aber noch schnell einkaufen gehen. Du darfst dir auch was aussuchen. Eis oder Chips? Oder vielleicht doch lieber ein Bier?"

Jetzt drehte sich Eriks Kopf blitzschnell zu Gawen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

"Kein Bier? Lieber Whisky?"

Gawen meinte, ein Lächeln über Eriks Mund huschen zu sehen, und auch er musste schmunzeln. Das schnelle Einkaufen gestaltete sich schwieriger als gedacht, da Gawen so gut wie von jedem erkannt wurde. Er fand es zwar toll, dass er so viele treue Fans hatte, jedoch nervte es ihn auch, dass er keinen Atemzug machen konnte, ohne dabei begutachtet und beurteilt zu werden.

Erik beobachtete das alles sehr misstrauisch und wirkte durch die vielen Menschen, die sich um sie tummelten, verunsichert. Normalerweise würde Gawen niemals kein Foto mit einem Fan machen oder kein Autogramm geben, aber er war immernoch niedergeschlagen und wollte Erik solchen Situationen eigentlich nicht aussetzen. Nach guten einandhalb Stunden hatten sie es wieder ins Auto geschafft und Erik war sichtlich erleichtert. Er hatte sich eine XXL-Packung Zitrone-Schoko-Eis, eine Literflasche Schokoladensoße und Schokostreußel ausgesucht und Gawen war ziemlich sicher, dass Erik die Gunst de Stunde ausgenutzt hatte, da er bei seinen Eltern niemals so viel Junkfood hätte essen dürfen.

Als sie auf die Auffahrt zu dem alten Holzhaus fuhren, überkam Gawen wieder die Traurigkeit. Als kleine Kinder kamen Tristan und Gawen immer hierher. Das Haus war verlassen und total heruntergekommen, also war es der perfekte Platz für Kinder gwesen, um Abenteuer zu erleben. Als Tristan und Anna dann vor zehn Jahren geheiratet hatten, hatte Tristan dieses Haus gekauft und zusammen mit Gawen wieder aufgebaut.

Erik verkroch sich gleich in seinem Zimmer, während Gawen die Pizza machte. Er selbst hatte sich in dem kleinen Gästezimmer eingerichtet und schlief seitdem auf einem viel zu kleinen Klappbett. Nagut, mit seinen 2,11 m war Gawen wohl eher zu groß für das normalgroße Klappbett. Eigentlich hatte er sich ja vorgenommen in Tristans und Annas Zimmer zu schlafen, aber Erik hatte ihm mit einem tödlichen Blick zu verstehen gegeben, dass er das Zimmer nicht betreten durfte, und je mehr er darüber nachdachte, desto mehr schien ihm sein Vorhaben selbst zu missfallen.

Nach dem Essen verschwand Erik samt Eispackung, Schokosoße- und streußel wieder in seinem Zimmer. Gawen wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Irgendwann sollte er auch wieder seiner Arbeit nachgehen. Klar, er hatte genügend Geld, jedoch machte ihm die Schauspielerei Spaß und er wollte darauf nicht verzichten. Er könnte gemeinsam mit Erik wieder nach L.A. ziehen, sein Haus war groß genug. Vermutlich sollte er aber noch eine Weile warten, bis sich die Lage beruhigt hatte, da es wahrscheinlich nich gut war, Erik aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen.

 

Kapitel 2

 Ingrid

 

 

"Also Kinder, dann dürft ihr jetzt gehen, und vergesst die Hausaufgaben nicht!,"sagte Ingrid Fraser zu ihrer Grundschulklasse, packte ihre Tasche und begab sich dann auf den Weg zum Büro der Direktorin.

"Herrein;" sagte Ms. Campbell, als Ingrid anklopfte.

"Hallo Ms Campbell. Sie wollten mich sprechen?"

"Ms Fraser. Ja, bitte setzen Sie sich." Ingrid setzte sich auf den Stuhl vor Ms Campbells Schreibtisch.

"Wie Sie wissen, hat vor kurzem einer Ihrer Zweitklässler seine Eltern bei einem Autounfall verloren."

"Sie meinen Erik McKinley? Ja das weiß ich."

"Gut, also er fehlt nun schon seit zwei Wochen, und....."

"Das kann man dem kleinen Jungen nicht verübeln, immerhin sind seine Eltern gestorben! Ich sorge auch dafür, dass er sämtlichen Unterrichtsstoff......"Ingrid konnte den Satz nicht beenden.

"Ms Fraser!" Die blonde Direktorn warf ihr einen ernsten Blick zu.

"Ich dachte mir, da Sie ja eigentlich Psychologin sind, könnten Sie sich vielleicht ein wenig um den Jungen kümmern, zu ihm nach Hause fahren, mit ihm reden."

Ingrid warf ihr einen skeptischen Blich zu. Sie kannte die Direktorin jetzt schon lange genug, um zu wissen, dass dahinter mehr stecken musste, als nur einem kleinen Jungen zu helfen. Von Anfang an war ihr die Direktorin unsympathisch gewesen. Sie passte einfach nicht zu ihrem Beruf. Nicht nur ihr Verhalten war fehl am Platz, auch ihr Aussehen passte nicht hierher.

Sie war mindestens 1,80 m groß, hatte blonde lange Haare und hatte die perfekte Figur. Neben ihr sah Ingrid aus wie eine kleine runde Tomate.

"Wie Sie sicher wissen, kümmert sich derzeit Erik's Onkel - Gawen McKinley - um den Jungen, und er hat uns um Hilfe gebeten."

Ahhhhh, natürlich. Der berühmte Schauspieler Gawen McKinley, das war es also.

"Und jetzt wollen Sie, dass ich mich , im Namen von Ihnen und der Schule, um ihn kümmere?"

"Das wäre wirklich außerordentlich nett von Ihnen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie gleich noch heute Nachmittag vorbeifahren."

Ingrid überlegte kurz.

"Sie haben doch bestimmt schon zugesagt, nicht wahr?"

So wie Ms Campbell schaute, wäre Ingrid ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen. "Ja, und um 15:00 Uhr müssen Sie in der Glen Key Street sein. Es ist das letzte Haus auf der rechten Seite." Voller Wut stand Ingrid auf, sagte aber nichts weiter dazu.

"Einen schönen Tag noch, Ms Fraser, " wünschte die Direktorin ihr, mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Natürlich hatte Ingrid um 15:00 Uhr Zeit, sie hatte ja schließlich kein Privatleben. Leider stimmte das, aber das musste ihre Vorgesetzte ja nicht wissen.

Eilig verließ sie das Schulgebäude und ging in Richtung des Lehrerparkplatzes. Die letzten Kinder eilten an ihr vorbei, immerhin war heute Freitag, da wollte man nicht länger als nötig in der Schule sein.

"Hey Ingrid!", schrie es hinter ihr. Oh nein, nicht auch noch der, dachte Ingrid, und drehte sich nur ungern der Männerstimme zu, die nach ihr gerufen hatte.

"Hey Liam." Liam Stiller war ebenfalls Lehrer an dieser Schule, jedoch war er extrem...wie sollte sie das nett beschreiben...aufdringlich!

"Hast du heut schon was vor?" Erwartungsvoll schaute er sie an.

"Ja, mir ist gerade noch etwas dazwischen gekommen, tut mir Leid. Muss mich um einen Schüler kümmern."

Gott sei Dank stimmte das wirklich! Letztes Mal hatte er ihr aufgelauert und sie dann zur Rede gestellt...daran wollte sie gar nicht denken, schon allein der Gedanken jagte ihr einen Schauer über den Rücken! Betröppelt blickte er jetzt zu Boden, und Ingrid hätte fast Mitleid mit ihm bekommen. Aber eben auch nur fast.

"Ok, dann eben ein ander Mal, ja?" Sie nickte ihm lediglich zu und stieg dann hastig in ihren Jeep ein. Dieser Kerl war ihr von Anfang an nicht ganz gehäuer gewesen. Nicht dass er irendwie gruselig aussah, aber es war einfach seine Art, sein Charakter und alles drum und dran, das Ingrid irgendwie gruselte.

Jetzt musste sie sich aber erstmal um etwas anderes kümmern. Sie hatte noch eine Stunde bis sie bei Erik McKinley sein musste, also hatte sie nicht mehr genügend Zeit noch nach Hause zu fahren, etwas zu essen und nach ihrem Hund Spike zu schauen, aber der würde es auch noch eine Stunde länger ohne sie aushalten. Aber das mit dem Essen missfiel ihr. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und hatte sich eigentlich schon auf eine leckere Pizza vor dem Fernseher gefreut, aber dann würde sie wohl bis nach ihrem Termin warten müssen. Während sie fuhr, dachte sie ein wenig über den kleinen Jungen nach. Erik McKinley war vor dem Tod seiner Eltern der beste in der Klasse gewesen. Er war immer freundich und hilfsbereit zu seinen Mitschülern und den Lehrern gegenüber sehr respektvoll gewesen. Wie er sich nun auf Grund des tragischen Vorfalls verhielt, wusste sie noch nicht, aber sie konnte sich gut vorstellen, wie er sich momentan fühlte, wenn man auf einmal allein da stand, und fand es, aus rein psychologischer Sicht, nicht schlimm, dass er zur Zeit nicht in die Schule kam. Ingrid hatte keine Bedenken, dass er den Stoff nicht aufholen konnte, jedoch wollte sie nun auch sicher sein, dass er in geregelten Umständen lebte, und das machte ihr ein wenig Sorgen.

Dass sich nun sein berühmter Onkel um ihn kümmerte war ja schön und gut, sie zweifelte aber daran, dass er etwas vom Umgang mit Kindern verstand, noch dazu von einem Kind, dass gerade seine Eltern verloren hatte. Ingrid parkte den Wagen am Ende der Glen Key Street. Vor sich sah sie ein süßes altes Holzhaus, das mit viel Liebe zum Detail geschmückt und dekoriert war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch eine gute halbe Stunde warten musste, und da sie nichts zu tun hatte, zückte sie ihr Handy und googlte Gawen McKinley. Auf ihrem Smartphone erschienen einige Bilder, und was sie sah, war gar nicht mal so übel. Er schien groß, muskulös und auch ein wenig angsteinflößend, jedoch verliehen ihm seine schulterlangen, blonden Haare einen "Bubbi-Touch", der ihn wieder sanft und ruhig wirken ließ. Ehrlich gesagt, hatte Ingrid noch nie einen Film von ihm gesehen, und hatte es auch in Zukunft nicht vor, da sie einfach kein Action-Film Fan war. Je mehr sie jedoch über Gawen fand, desto mulmiger wurde ihr.

Sie hatte Bedenken, dass er sie überhaupt ins Haus lassen würde, so wie sie aussah. Ingrid drehte den Rückspiegel so zu sich herum, dass sie sich begutachten konnte. Sie hatte eine viel zu helle Haut, ihre Lippen waren zu schmal, ihre Wangen waren immer rot, so dass sie dauerhaft aussah wie eine Marathonläuferin. Ihre Sommersprossen gingen vom Kopf über den Hals bis zu ihren Armen, die weder blonden noch roten Haare hatten an den Enden Spliß und überhaupt waren ihre Haare immer zersaust, als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen.

Mit ihren 1,69 m war sie nicht besonders groß, und Kleidergröße 42 tat auch nichts für sie. Meistens trug sie schwarz, was sie aber eher weniger störte, da man mit schwarz nie etwas falsch machen konnte. Auch das was sie heute trug, gefiel ihr gut. Sie hatte ein knöchellanges schwarzes Sommerkleid und eine dunkelgrüne luftige Bluse darüber an.

Wieder schaute sie auf die Uhr, und mittlerweile war es schon 14:50 Uhr. Sie schmierte sich noch schnell etwas Lippenstift auf die Lippen und stieg dann aus. Als sie das Haus von näherem betrachtete, fand sie es noch viel niedlicher.

Sie stieg die Treppen zur Haustür hoch und klingelte. Klingelte nochmal. Und nochmal. Niemand machte auf und die Tür war verschlossen. Also lief Ingrid ums Haus herum und versuchte ihr Glück an der Hintertür.

"Ha, offen!", sagte sie, als sich der Türknauf umdrehen ließ.

"Hallo!? Ist jemand zu Hause?" Ingrid wartete einen Moment auf eine Antwort. Vergeblich. Zögerlich trat sie ein und stand dann in einer wunderschönen Landhausküche, die noch viel schöner gewesen wäre, wenn der ganze Müll und das dreckige Geschirr nicht überall verteilt gewesen wären.

Kaum traute sie sich, noch weiter ins Haus zu laufen, da sie befürchtete, noch schlimmeres zu finden. Und mit ihrer Befürchtung lag sie gar nicht so falsch. Auf einem Sofa im Wohnzimmer lag Gawen McKinley, halb nackt, nur in Boxershorts gekleidet, und Erik saß ihm gegenüber in einem Sessel. Wenigstens er hatte Klamotten an. Im Fernseher lief eine Folge von Full House, und offensichtlich konnte Gawen sämtliche Dialoge auswendig. Erik lacht leise, sagte jedoch nichts.

Unsicher ging sie noch einen Schritt hinein, die zwei bemerkten sie jedoch nicht, also räusperte sie sich. Gawen drehte sich zu ihr herum, erschrack und fiel vom Sofa, und wieder musste Erik lachen. Schnell rappelte sich Gawen auf und kam auf Ingrid zu und erst als er direkt vor ihr stand, erkannte sie, wie groß er wirklich war. Sie reichte ihm nicht einmal bis zu den Schultern. Zu ihm aufschauend reichte sie ihm die Hand und stellte sich vor.

"Hallo. Ich bin Ingrid Fraser, die Lehrerin von Erik. Man hat mich auf Ihren Wunsch zu Ihnen geschickt." Sie war sich nicht ganz sicher, ob er sie überhaupt verstanden hatte, da sie vor lauter 'Gawen McKinley' kaum noch an etwas anderes denken konnte.

Er lief an ihr vorbei in die Küche und holte sich ein Glas aus dem Schrank, in das er Wasser füllte.

"Ich hab nicht darum gebeten, dass man mir eine Möchtegern-Psychologin schickt, die nur hier ist, um sich an den reichen Onkel des Jungen ranzumachen!" Ingrid wusste, dass er das nicht ernst meinet. Er war noch nicht über den Verlust seines Bruders hinweg gekommen, und wie das typisch in solch einer Situation war, machte er sämtliche Menschen in seiner Umgebung dafür verantwortlich.

Gawen war wütend, und wie er so dicht vor ihr stand, mit nacktem Oberkörper, groß und muskulös, machte er ihr fast Angst.

"Hören Sie, ich weiß, wie Sie sich fühlen und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie Ihren Frust an mir auslassen, jedoch sollten Sie wissen, dass ich wegen Erik, und nicht wegen Ihnen hier bin."

Sein Blick verriet ihr, dass er ihr nicht glaubte.

"Wenn Sie mir erlauben würden, nur für ein paar Minuten mit Erik zu reden?" Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen, und nicht auf seine Bauchmuskeln, die ihr fast auf Augenhöhe waren. Er lächelte und ging wieder zurück ins Wohnzimmer. Sie folgte ihm und beobachtete wie Gawen auf seinen Neffen zuging.

"Hey Kleiner. Da ist jemand, der mit dir reden möchte." Gawen kniete sich vor Erik.

"Möchtest du ihr den Gefallen tun, und mit ihr reden?" Erik schaute zu ihr auf, und schüttelte den Kopf.

"Sicher?" Jetzt nickte Erik. Gawen wandte sich wieder Ingrid zu.

"Er möchte nicht. Wollen Sie ihn zwingen?" Erbost zog sie die Augenbrauen zusammen und warf Gawen einen vorwurfsvollen Blick zu.

"Er rerdet nicht? Wie lange ist das schon so?", hackte Ingrid nach. Gawen stand wieder auf, und zog sie mit. Er zog sie hinter sich in einen Flur, dessen Holzwände weiß und der Boden taubenblau gestrichen waren.

"Er braucht Zeit, und wie Sie bemerkt haben, kann er so ganz sicher nicht in die Schule. Er redet mit niemandem, und ich möchte nicht, dass zusätzlich dann noch seine Schulkameraden auf ihm herumhacken!"

Was Gawen sagte, rührte Ingrid, sie fand es schön, dass er sich so um ihn sorgte, jedoch wusste sie nur zu gut, wie so eine Isolation enden konnte.

"Sie sollten nicht so verschlossen sein, und sich wenigstens anhören, wie ich Ihnen und Ihrem Neffen helfen könnte. Es ist weder für Sie noch für Erik von Vorteil, wenn Sie sich so verschanzen. Ich weiß, dass es eine schwere Zeit für sie beide ist, aber glauben Sie mir, ich weiß, wie man aus diesem Loch wieder herauskommt!"

Ingrid fuhr sich mit der Hand durch ihre Haare und wartete auf eine Antwort. Gawen jedoch blickte hinter sie und seine Augen verengten sich. Ingrid drehte sich um und sah Erik hinter sich stehen. Mitfühlend schaute sie ihm in seine eisblauen Augen, und hoffte, dass er nicht so verschlossen wie sein Onkel war. "Erik, möchtest du wirklich nicht, dass ich dir helfe und mich ein wenig um dich kümmere. Du musst vorübergehend auch nicht in die Schule, wenn du willst, kann ich ein- zweimal pro Woche vorbeikommen, und dir den Schulstoff erklären. Wir reden ein wenig, und dann geh ich wieder." Erwartungsvoll blickte sie ihn an, konnte jedoch nicht schlau aus seiner Mimik werden. Unerwarteter Weise nickte der kleine Junge jedoch, schaute ihr dabei aber nicht in die Augen.

Ha! Als Psychologin war sie unschlagbar.

"Gut, dann werde ich dich und deinen Onkel," sie warf Gawen einen genervten Blick zu "...erst mal in Ruhe lassen." Hinter sich hörte sie, wie Gawen, wohl erleichtert, ausatmete, und wäre ihm dafür am liebsten an die Gurgel gesprungen!

"Ich würde dann morgen einfach nochmal vorbei schauen." Wieder nickte der kleine Junge, ging dann aber wieder zurück ins Wohnzimmer und ließ Ingrid mit Gawen allein.

"So, und jetzt zu Ihnen, Mister!" Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und er verschränkte die Arme vor seiner Brust.

"Wenn ich morgen wieder komme, haben Sie Klamotten an!" Währen Ingrid das sagte, ging sie näher auf ihn zu, um ihm zu zeigen, dass sie es ernst meinte, und stupfte mit ihrem Zeigefinger gegen seine Brust.

"Sie haben sich davor gewaschen, Sie stinken nämlich wie die Sau, und Sie haben die Küche aufgeräumt! Sie dürfen sich nicht so hängen lassen, das ist nicht gut für Sie und auch nicht für Erik. Er benötigt eine Bezugsperson, der er sich anvertrauen kann, und die für ihn während dieser Trauerphase da ist. Haben Sie mich verstanden?"

Gawens Lächeln war verschwunden, als sie angefangen hatte, von Bezugspersonen zu reden, seitdem war sein Blick ind Leere gerichtet und natürlich antwortete er nicht.

"Dann wäre das ja geklärt." Sie kramte noch in ihrer Handtasche herum, bis sie noch eine ihrer Visitenkarten gefunden hatte, und drückte diese Gawen in die Hand.

"Falls etwas ist, können Sie mich jederzeit anrufen. Nun gut, ich bin dann so gegen 11 Uhr da, und vergessen Sie Ihre Hose nicht!"

Als sie auf die Veranda trat, verschwand ihr gutes Gefühl welches sie hatte, weil sie es geschafft hatte auf Erik einzuwirken. An dessen Stelle trat Mitleid und auch ein wenig Trauer. Auch wenn es sich weder Erik noch Gawen wirklich anmerken ließen, so fraß sie der Schmerz und der Verlust von innen heraus auf. Das wusste sie nur zu gut.

 

Kapitel 3

Gawen

 

 

 

Gawen beobachtete, wie Eriks Lehrerin in ihrem Jeep davon fuhr. Er hätte eigentlich kotzen wollen. Dass sich jemand so dreist einmischte, noch schlimmer war es, weil Gawen nicht wirklich um Hilfe an Eriks Schule gebeten hatte. Sicher war das nur ein Wichtiggetue, aber es konnte ja nicht schaden, wenn diese Ingrid versuchen würde, Erik zum reden zu bringen. Überhaupt war er erstaunt, dass der Kleine sich darauf eingelassen hatte, was bedeuten musste, dass er seine Lehrerin mochte.

Er musste zugeben, dass er es ganz witzig gefunden hatte, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. Offensichtlich kam sie nicht oft in den Genuss eines solchen Anblicks. Sie war ganz rot geworden, als er vor ihr gestanden hatte. Bei dem Gedanken daran musste er wieder lachen, was, wie ihm auffiel, das erste Mal seit Tagen passierte. Vielleicht war es wirklich nicht schlimm, wenn wider ein wenig Abwechslung in ihren Alltag kam. Er wollte zur Zeit aber einfach nicht raus, wollte nicht, dass ihn jemand so sah, so verletzlich und fertig. Gawen ging auch nicht ans Telefon und schaute auch nicht nach seinen E-Mails und des gleichen, und er wollte auch nicht in den Schlagzeilen stehen und auseinandergerissen werden, so wie es bei einigen seiner Kollegen schon des öfteren passiert war.

Auch war für ihn die Vorstellung, dass hier auf einmal die Presse auflief und das Haus und Erik belagerte eine weitere Horrorvorstellung. Gawen war noch nicht wieder bereit sich der Welt zu öffnen, da sie ihm in letzter Zeit nur schlechtes brachte.

 

                                                                         ***

 

Der nächste Morgen begann für Gawen McKinley mal wieder um 3 Uhr morgens. Einmal wieder war er abends auf der Couch eingeschlafen, und er war froh, dass er wenigstens mal ein paar Stunden Schlaf bekam. Während er schlief, quälten ihn Alpträume, weshalb er es meist nicht lang aushielt, die Augen zu zulassen. Gawen setzte sich, immer noch nur in Unterhose gekleiedt, aufrecht hin, und fuhr sich mit seinen Händen übers Gesicht und durch seine Haare. Nachdenklich ließ er seinen Blick durch das Zimmer gleiten und bemerkte erst jetzt, wie dreckig es war. Bisher war ihm das nicht aufgefallen, und eigentlich interessierte es ihn auch nicht wirklich. Was hätte es denn für einen Sinn, wenn er jetzt aufräumen würde? Dadurch konnten Anna und Tristan auch nicht wieder leben.

Zu schnell stand Gawen auf, denn ein stechender Schmerz durchzog seinen Kopf und zog hinab bis in die Schulter. Jetzt brauchte er erstmal eine Schmerztablette. Doch auch in der Küche fiel ihm jetzt auf, wie dreckig diese war, und wie viel schmutziges Geschirr herumstand. Aus einem Regal über der Spüle zog er eine Schachtel Schmerztabletten raus und behielt einen Blister gleich mal draußen, da das heute bestimmt nicht seine letzte Tablette war. Zu spät bemerkte er, dass es weder Glas, noch Tasse, noch Becher gab, um dort Wasser einzufüllen, mit dem er seine Tablette runterspülen musste. Dann würde er sie halt ohne Wasser runterschlucken. Erschreckender Weise stellte er fest, dass das Badezimmer nicht wirklich besser aussah als die anderen Räume, und als er dann noch sein Spiegelbild gesehen hatte, wäre er fast umgefallen. Nicht, dass Gawen McKinley ein Penibelchen gewesen wäre, der sich je nach Tageszeit die passende Lotion auftrug, geschweige denn, dass er sich jeden Tag rasierte. aber als er sich selbs sah, hätte er sich kaum wieder erkannt. Er war total bleich, seine Augen wirkten verquollen, sein Bart war inzwischen um einige Zentimeter gewachsen. Im Großen und Ganzen wirkte er nicht wirklich lebendig. Wie erschrekend musst er nur auf andere wirken, wenn er sich selbst schon an seinem Spiegelbild erschreckte? Eine Dusche würde vielleicht doch gut tun.

Seit einigen Tagen hatte er sich nicht mehr geduscht. Genau genommen seit fünf Tagen nicht. Am Montag war ihm ein Fotobuch aus einem Schrank gefallen, als er dagegen gestoßen war, und eigentlich hatte er es gar nicht anschauen wollen, aber Gawen konnte einfach nicht anders. Als er dann die Fotos betrachtete, die ihn und Tristan vor 20 Jahren zeigten, hatte er- wie sollte er es Ausdrücken,ohne als Weichei dazustehen- eine Art Nervenzusammenbruch erlitten. Erik hatte das nicht weiter gestört, hatte ihm lediglich ein Glas Wasser hingestellt, und als Gawen auf dem Boden eingeschlafen war, ihn zu gedeckt. Im Gegensatz zu Erik störte das Gawen enorm. Immerhin war er ein erwachsener Mann, und als erwachsener Mann verhielt man sich nicht so.

Das warme Wasser, dass aus dem Duschkopf auf ihn hinab strömte, entspannte seinen Körper und er vergaß für einen kurzen Augenblick seine Sorgen. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, als er aus der Dusche stieg, und es kam ihm so vor, als hätte er mit dem Wasser, auch einige seiner Sorgen den Abfluss hinunter gespült. Erneut stand er vor dem Spiegel, und er musste zugeben, so eine heiße Dusche bewirkte wirklich wahre Wunder. Jetzt hatte er wenigstens wieder ein wenig Farbe im Gesicht. Er strich sich seine langen Haare nach hinten und betrachtete seinen Bart, und beschloss, ihn fürs erste einmal nicht abzurasieren, da er fand, dass er ihm gut stand.

 

Ganze fünf Stunden später hatte Gawen sämtliche Zimmer, bis auf Erik's und das ehemalige Schlafzimmer von Tristan und Anna, aufgeräumt, nass ausgewischt und alles abgestaubt. Erstaunlicherweise fühlte er sich danach irgendwie ... besser.

 

 

 

Ingrid

 

 

 

Ingrid erwartete nicht wirklich eine Verbesserung zum Vortag. Ehrlich gesagt, würde es sie nicht überraschen, wenn Gawen ihr im Adam's Gewand die Tür öffnen würde.

Um so mehr verschlug es ihr die Sprache, als Gawen McKinley in richtiger Kleidung vor ihr stand. Ihr Blick glitt von unten über seine dunkle Jeans, hoch zu seinem schwarz-weiß-karrierten Hemd, welches seine Bauchmuskeln betonte, und blieb an seinen blauen Augen hängen.

"Ähmm.....", sie räusperte sich verlegen, weil ihr entfallen war, was sie sagen wollte.

".....guten Morgen, Mr McKinley.", brachte sie dann stotternd gerade noch so heraus.

Was war nur mit ihr los?

"Guten Morgen. Alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen so blass aus." Sein süffisantes Grinsen verriet ihr, dass er sehr wohl wusste, was mit ihr war.

"Nein, mir geht's bestens. Dürfte ich reinkommen?" Ingrid hatte sich wieder beruhigt. Na gut, Gawen sah zwar zum niederknien aus, aber im Haus würde er bestimmt nichts gemacht haben.

Falsch gedacht! Ingrid trat in den Flur, und dort wo am Tag zuvor noch Wäscheberge und anderer Krempel alles belagert hatten, sah sie nun schöne schlichte weiße Schränke, und den kompletten Fußboden. Gawen hatte ihren Rat zu Herzen genommen, was sie sehr freute.

"Ist Erik denn schon wach?" Ihre Stimme hatte wieder die gewohnte Kraft, und Ingrid konzentrierte sich nun auf das, weshalb sie hier war. "Erik sitzt in seinem Zimmer. Gehen Sie einfach die Treppe hoch und dann das erste Zimmer links."

Wie beschrieben ging Ingrid die Treppen hinauf , und bemerkte, dass auch hier oben alles liebevoll und mit Geschmack eingerichtet war. Der Holzfußboden hier oben war in einem hellen rosa Ton und die Wände wieder weiß gestrichen. Eindeutig musste das die Mutter von Erik eingerichtet haben.

Leicht klopfte sie an die Zimmertür und wartete auf eine Antwort und klopfte ein weiteres Mal.

"Hallo Erik, ich bin's Ingrid Fraser. Ich komm rein." Unbeeindruckt lag Erik auf seinem Bett und las.Er schaute nicht einmal auf. Sie schob sich den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, zu seinem Bett und setzte sich.

Eine Weile lang sagte sie nichts, schaute ihm einfach nur zu und las in seinem Buch mit. Aber als Ingrid ihren Block und einen Stift aus ihrer Tasche zückte und anfing zu zeichnen, wurde er neugierig.

Erik starrte nicht mehr nur auf sein Buch, sondern schaute ganz vorsichtig immer mal wieder zu ihr herüber. Einige Minuten zeichnete sie, naja versuchte es zumindest, und als sie fertig war, verstaute sie ihre Utensilien wieder in ihrer Tasche. Sie merkte, dass er wissen wollte, was sie gezeichnet hatte, denn er konzentrierte sich nicht mehr auf das Buch vor ihm.

"Möchtest du es sehen?" Unsicher nickte er, woraufhin Ingrid ihm ihr Meisterwerk zeigte. Sie hatte versucht einen Drachen zu zeichnen, der in Erik's Buch beschrieben wurde.

"Gefällt es dir?" Anscheinend schon, denn seine Augen waren groß und er sah ziemlich beeindruckt aus. Entweder das, oder er fand es extrem grässlich. Leider sagte er immer noch nichts, aber er stand auf und ging zu einem Schrank auf der anderen Seite seines Zimmers. Eine Weile lang räumte er alles mögliche raus, durchsuchte alles, bis er das Gesuchte endlich fand.

Mit einer großen Mappe kam er zu Ingrid zurück und reichte ihr diese. In der Mappe befanden sich ebenfalls Zeichnungen von Drachen, aber auch von Dinosauriern. Aufmerksam schaute sie sich die Bilder an und war ziemlich erstaunt. Erik konnte richtig gut zeichnen.

"Die sind alle von dir?", erkundigte sich Ingrid neugierig. Heftig nickte er mit seinem Kopf.

"Wo hast du denn gelernt, so zu zeichnen? Die sehen nämlich alle wirklich toll aus." Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf Eriks Gesicht, er zuckte dann aber nur mit den Schultern. Er überließ sie wieder sich selbst und widmete sich wieder seinem Buch. Immer noch beeindruckt von Eriks Fähigkeiten, beschloss Ingrid ihn erstmal noch kurz in Ruhe zu lassen.

Sorgfältig verstaute sie seine Mappe und begab sich dann nach unten. Unbedingt musste sie jetzt erstmal einen Kaffee trinken, denn sie hatte heute noch keinen zu sich genommen. Jedoch zweifelte sie daran, dass Gawen ihr einen machen würde. Sie schaute im Wohnzimmer nach, dort war er aber nicht, und ging dann weiter in die Küche. Den Kopf mit den Händen stützend saß er dort an der Kücheninsel und starrte auf die Arbeitsplatte. Er schien so sehr in Gedanken versunken zu sein, dass er sie nicht bemerket, was ihr die Gelegenheit gab, ihn ein wenig zu begutachten. Was sie sah, das musste sie sich eingestehen, gefiel ihr. Seine sanften blauen Augen, sein strohblondes Haar, das ihm auf seine muskulösen Schultern fiel. Er löste in ihr ein Verlangen aus, das sie bisher bei  keinem Mann verspürt hatte. Eigentlich hatte sie ihn ja nie wirklich als schön empfunden, wenn sie ihn im Fernseher oder in Zeitschriften sah, aber wie er jetzt so vor ihr saß, war das eine ganz andere Sache.

Er wirkte viel echter, nicht so gestellt und irgendwie auch ... menschlich. Ingrid war so sehr versunken in ihre Gedanken , dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass Gawen mittlerweile sie musterte. Frech grinste er sie an, freute sich darüber, dass er sie beim Gaffen erwischt hatte.

"Mhmh... hallo.", brachte Ingrid mit krätziger Stimme hervor.

"Und, redet er wieder?" Sein Lächeln wurde wieder süffisant.

"Nein, das wird wohl noch eine Weile dauern, aber er ist auf einem guten Weg. Erik ist nicht zu sehr verschlossen, und deshalb wird es ihm, wenn die Zeit gekommen ist, nicht schwerfallen wieder zu sprechen."

Beide schwiegen vor sich in, und aus dem Augenwinkel heraus sah Ingrid, dass Gawen sie noch ansah.

"Setzen Sie sich doch. Ich beiß auch nicht." Sein verführerisches Grinsen ließ sie nicht lange zögern und so setzte sie sich neben ihn.

"Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe gerade welchen gemacht." Er stand auf und lief um die Kücheninsel herum zur Kaffeemaschine. Eine 'alte' Kaffemaschine mit Filter! Das hätte sie nicht gedacht. Gawen gefiel ihr immer besser. "Oh ja, bitte. Das wäre toll.", antwortete sie.

"Ich kann Ihnen aber keinen Latte Machiatto anbieten." Sie musste lachen, wusste aber selbst nicht wirklich warum.

"Das brauchich auch nicht."

"Milch oder Zucker?"

Sie schüttelte den Kopf. Ingrid benötigte einfach ihre 2000 Liter schwarzen Kaffee am Tag, ohne den ging es nicht. Gawen reichte ihr eine Tasse, die eher schon die Ausmaße einer Schüssel hatte, darüber wollte sie sich aber nicht beschweren.

"Danke," sagte sie mit einer gewissen Sehnsucht nach ihrem Kaffe. Er setzte sich wieder, ebenfalls mit einer Schüssel voll Kaffee. Mann, schmeckt der Kaffee gut, dachte Ingrid, und schon nach dem ersten Schluck ging es ihr viel besser. Sie schaute von ihrer Tasse  auf und bemerkte, dass Gawen sie erwartungsvoll anblickte.

"Der Kaffee ist echt richtig gut. Ich denke, Sie haben ihren Beruf verfehlt." Er musste lachen, und ihr gefiel es, wie dabei seine Augen begannen zu leuchten.

"Sie finden also, ich hätte Barista werden sollen?"

"Nein, Sekräterin." Gerade hatte er einen Schluck Kaffee genommen und sich daran verschluckt, weil er lachen musste.

"Bringen Sie mich bitte nicht zum lachen, wenn ich trinke, das endet meistens böse.", keuchte er lachend. Unbeeindruckt zuckte Ingrid mit den Schultern und setzte die Tasse an ihren Mund. Dann jedoch , herrschte eine fast peinliche Stille, und solche Situationen hasste Ingrid, da sie dann meist begann über extrem blöde Themen wie zum beispiel das Wetter zu reden.

"Das Haus ist wirklich schön. Mir gefällt vor allem die Einrichtung und die bunten Böden. Hat das Erik's Mutter so eingerichtet?" Gawen's Lächeln verflog sofort, und Ingrid hätte sich deshalb auf die Zunge beißen können. Sie hatte auch nicht mit einer Antwort gerechnet.

"Mir gefällt es auch sehr, aber Anna hat das nicht eingerichtet. Mein Bruder hat es damals gekauft, wir haben es zusammen renoviert, aber die Inneneinrichtung, die ist größtenteils von mir."

Jetzt vermied er den Blickkontakt, stattdessen starrte Gawen in seinen Kaffee.

"Wirklich? Sie haben das gemacht?" Er wandte seine Blick wieder Ingrid zu, wirkte jetzt aber leicht genervt.

"Ja. Gibt's daran etwas aszusetzen?"

"Nein, gar nicht. Ich mein ja nur, das sieht hier alles so schön aus, so perfekt aufeinander abgestimmt, und das...ach vergessen Sie es." Sie trank den letzten Schluck ihres Kaffees und stand wieder auf.

"Danke für den Kaffee." Ingrid wollte wieder hochgehen und sich Erik widmen, jedoch hielt Gawen sie an ihrem Handgelenk fest. Genervt verdrehte sie die Augen und wandte sich ihm zu.

"Könnten Sie mich bitte loslassen?" Ihre Stimme klang gereizter, als sie hätte sein sollen, aber das war ihr jetzt auch egal. Sollte er doch wissen, dass er sie nervte.

"Es tut mir Leid, wenn ich Sie gerade beleidigt habe, das war nicht meine Absicht."

"Mir macht das nichts aus," log sie "...Sie sind nur auf Grund ihrer emotionalen Labilität so feindselig anderen Menschen gegenüber."

Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, doch er ließ sie immer noch nicht los. So langsam ging er ihr wirklich auf die Nerven. Doch urplötzlich breitete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, und seine Augen begannen wieder zu leuchten. Gawen ließ sie los, aber er ließ sie nicht aus den Augen.

"Wissen Sie, dass sie wirklich niedlich aussehen, wenn sie wütend sind?" Es schien, als könne er gar nicht mehr aufhören zu grinsen.

"Ich hoffe doch , dass ich nicht nur niedlich aussehe, wenn ich wütend bin. Aber ich bin mir sicher, dass Sie schon seit langem nicht mehr richtig geschlafen haben, sie sehen nämlich extrem übermüdet aus."

"Ich war schon immer der Meinung, dass man nach seinem Tod genügend Zeit zum schlafen hat." Ganz sicher wusste sie, dass das nur dummes Gerede war, und Gawen seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen hatte. Das sah man ihm schon von 1oo Meilen aus an. Natürlich sah er gepflegt aus, er war sauber, hatte frische Klamotten an, aber seine ganze Haltung zeigte ihr, dass er überlastet war.

"Wie wär's, wenn Sie sich ein paar Stunden auf's Ohr hauen und ich mich so lange um Erik kümmere?"

"Ich soll ins Bett gehen?" Verwirrt schaute er Ingrid an. Sein Gesichtsausdruck änderte sich jedoch schlagartig, als sie nickte. Wieder lächelte er von einem Ohr bis zum anderen.

"Aber nur, wenn Sie mir Gesellschaft leisten."

"Oh, da passe ich. Wie schon gesagt, ich bin wegen Erik hier. Jetzt tun Sie mir bitte den Gefallen, und gehen Sie schlafen. Ich passe auf Erik auf. Ehrenwort." Ermunternd lächelte sie Gawen zu, und war überrascht, dass er zustimmte.

"Aber nur, weil Sie's sind, Ingrid." Gawen mochte zwar müde sein, das hieß aber lange noch nicht, dass sein Charm dadurch an Wirkung verlor. Im Gegenteil. Der Blick, den Gawen Ingrid zuwarf, löste ungewohnte Gefühle in ihr aus, und sie musste sich zusammen reißen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Erik.

"Dann widme ich mich jetzt wieder Erik, und Sie gehen ins Bett!" Müde wie er war, stand er auf und torkelte aus der Küche. Kurz darauf ging sie ihm hinterher, und sah noch, wie er in einem Zimmer verschwand.

Erik saß nicht mehr an seinem Buch. Auf den Boden war eine große Leinwand gelegt worden, und daneben standen Aquarellfarben. Gerade als Erik mit seinem Bleistift ansetzte, trat Ingrid ins Zimmer. Ungeniert setzte sie sich zu ihm auf den Boden und sah ihm dabei zu. Schon nach kurzer Zeit erkannte sie auch schon, was er da malte. Einen Drachen. Das Bild sah schon nach kurzer Zeit wirklich gut aus. Sie war beindruckt von den Einzelheiten, auf die Erik geachtet hatte, und es freute sie, dass er dabei Spaß zu haben schien. Konzentriert arbeitete er an seinem Meisterwerk und ließ sich nicht von Ingrid ablenken. Eine knappe Stunde malte er jetzt schon daran, und Ingrid beobachtete, wie es immer mehr an Gestalt annahm, und auch mit der Zeit fast lebendig wirkte. Als das Bild fertig war, betrachtete Erik es noch eine Weile, bis er sich dann ans Aufräumen machte. Er selbst war sehr bunt im Gesicht, und auch seine Kleidung hatte so einiges abbekommen. "Erik?" Erschrocken schaute er sie an, als hätte er sie die ganze Zeit über gar nicht bemerkt. "Das sieht wirklich toll aus. Sollen wir es vielleicht aufhängen?" Ohne auch nur die kleinste Bewegung zu machen, schaute er sie einen Moment lang an, bis er dann langsam nickte. Das freute Ingrid. Erik ließ sich auf Vorschläge von anderen ein. "Wo hättest du es denn gern?" Das Zimmer war zwar nicht besonders groß, aber es gab trotzdem noch genügend Platz an den Wänden. Mit überlegter Miene schaute er sich im Zimmer um bis er auf die Wand zeigte, vor der sein Bett stand. "Möchtest du es wirklich dort aufhängen? Meinst du nicht, dass so ein großer Drache über deinem Bett ein wenig gruselig ist?" Mit geschwellter Brust schüttelte er den Kopf, woraufhin Ingrid lachen musste. "Na schön, wie du meinst. Aber ich brauche noch Nägel und nen Hammer. Kannst du mir das bringen?" Stolz nickte er und rannte aus seinem Zimmer. Derweilen hob Ingrid das Bild hoch und ging damit rüber zur auserwählten Wand. Nur einige Minuten später kam Erik mit Hammer wieder. "Keine Nägel da?", erkundigte sich Ingrid. Erik schüttelte traurig den Kopf. Also stieg sie wieder runter vom Bett, und legte das Bild wieder auf den Boden. "Na gut, was hälst du davon, wenn wir kurz losfahren und uns Nägel kaufen. Und auf dem Rückweg holen wir uns dann noch ein Eis." Die Augen von Erik begannen zu leuchten, und sie hatte Angst, dass ihm der Kopf noch abfiel, wenn er weiter so heftig nickte. "Also, dann zieh dir mal Schuhe an, und warte unten am Eingang auf mich. Ich schreib nur noch schnell deinem Onkel eine Nachricht." Wie der Blitz sauste Erik runter und Ingrid suchte auf Erik's Schreibtisch nach Papier und Stift. Sie fand, was sie brauchte, und schrieb darauf, dass sie zusammen mit Erik kurz wegfuhr, um Nägel zu kaufen. Den Zettel nahm sie mit hinunter, und legte ihn gut sichtbar in die Küche. Schnell schnappte sie noch ihre Tasche und lief neben Erik zu ihrem Auto.

 

 

Gawen

 

 

Als Gawen die Augen öffnete, dämmerte es draußen bereits. Offensichtlich hatte er mehr als nur ein paar Minuten geschlafen. Noch benommen vom Schlaf, rieb er sich sein Gesicht und stand dann auf. Seit Tagen hatte er nicht mehr so gut geschlafen, und eigentlich sollte er auch gar nicht mehr müde sein. Er war es trotzdem. Es überraschte ihn überhaupt, dass er so lange geschlafen hatte, obwohl er wieder etwas schlimmes geträumt hatte. Was konnte man dagegen nur tun? Ihn zeriss es innerlich, konnte es sich aber tagsüber wegen Erik nicht anmerken lassen, und des Nachts quälte es ihn dann in seinen Träumen. Er konnte und durfte sich vor Erik nicht so hängen und gehen lassen. Irgendwie musste er ihm ja ein starkes Vorbild sein. Lautes Hämmern riss ihn aus seinen Gedanken. Er folgte dem Geräusch, und stand schließlich in Erik's Zimmer. Dort stand Ingrid mit einem rießeigen Drachenbild auf Eriks Bett, und versuchte es aufzuhängen. Den ersten Nagel hatte sie bereits in die Wand gehauen, und während sie mit der linken Hand den Nagel an die Wand setzte, und in der rechten Hand en Hammer gielt, versuchte sie das Bild oben zu halten, indem sie es mit ihrem Oberkörper an die Wand presste. Gawen musste gestehen, dass ihn dieser Anblick amüsierte. Noch eine Weile stand er dran, und beobachtete das Trauerspiel. Aber er war ja kein Unmensch, weshalb er beschloss, Ingrid zu helfen. "Lassen Sie das, Ingrid. Sie brechen sich noch das Genick." Gawen ging auf Ingrid zu, welche vor Schreck Hammer und Nagel fallen ließ. Mit einem finsteren Blick drehte sie sich zu ihm um. "Na wenn Sie jetzt wieder fit sind, könnern Sie es ja machen." Sie schaute ihn ernst an. "Na los, kommen Sie." Gawen hob Hammer und Nagel auf, und verscheuchte sie vom Bett. Mit wenigen Handgriffen hatte er den Nagel in die Wand gehauen, und das Bild hing perfekt. "Ich glaube ja immer noch, dass Sie Ihren Beruf verfehlt haben.",sagte Ingrid mit einem sarkastischen Unterton. Diese Frau schien ihm so fröhlich, und wenn er sie so lachen sah, musste er automatisch auch lachen. Jetzt wandte er sich Erik zu, und wuschelte ihm durch seine Haare. "Na Kleiner, alles ok bei dir?" Lächelnd nickte er, und Gawen flüsterte Ingrid ein >Dankeschön< zu. "Möchtest du noch etwas essen? Ich koch dir schnell was.", fragte Gawen seinen Neffen. "Wir haben schon gegessen.", warf Ingrid ein. "Ich war so frei und habe etwas gekocht. Für Sie ist auch noch etwas da.Wenn Sie wollen mach ich es Ihnen warm." "Das ist nicht nötig. Sie sind ja schließlich nicht unser Hausmädchen." Komischerweise verschwand Ingrid's Lächeln auf einmal."Ok, dannn geh ich jetzt mal. Es ist schon spät. Gute Nacht." Dann verschwand sie auch schon auf dem Flur. "Wartest du kurz hier Erik?" Der Kleine nickte, und Gawen lief Ingrid hinterher. "Warten Sie doch kurz." Ganz leich hielt er sie an ihrer Schulter fest. Mit ihren großen blauen Augen schaute sie ihn an. "Ähm,...es ist so...nachts ist es bei Erik am schlimmsten." Reglos schaute sie ihn an, als würde sie auf etwas bestimmtes warten. "Könnten Sie vielleicht noch da bleiben, bis er eingeschlafen ist? Mir helfen, ihn ins Bett zu bringen und ihn zu beruhigen?" Leicht konnte er ihr von ihrem Gesichtsausdruck ablesen, dass sie zwiegespalten darüber dachte. Doch gegen seine Erwartungen, kam eine ihn erfreuende Antwort. "Ich denke, dass lässt sich einrichten. Wann geht er denn gewöhnlich ins Bett?" Das wusste Gawen auch nicht so recht. Seit er hier war, hatte er ihn halt immer so gegen 9 Uhr ins Bett gebracht, wann er dann aber widerum einschlief, war eine andere Sache. "So gegen neun. Aber er schläft nicht gleich ein. Er wird quängelig, und wenn er dann schläft, fängt er an zu schreien. Vermutlich hat er schlimme Alpträume." Da war Erik aber nicht der einzige, dachte Gawen. "Da es in einer halben Stunde schon neun Uhr ist, würde ich sagen, dass Sie einfach ihrem gewohnten Ablauf nachgehen." Jetzt war Gawen wie vor den Kopf gestoßen. Gab es denn einen bestimmten Ablauf? "In Ordnung," war das einzige was er sagen konnte. Ingrid folgte ihm zum Glück nicht, als er zurück in Erik's Zimmer ging. "Erik, es ist Zeit fürs Bett. Du musst noch duschen." Wider erwarten ging sein Neffe an ihm vorbei runter ins Badezimer, ohne dass er auch nur einmal sein Gesicht verzog. Das musste jetzt extrem verzweifelt für Ingrid aussehen, immerhin hatte er ihr gerade das komplette Gegenteil beschrieben. "Ja ich seh schon. Der Junge macht es Ihnen echt schwer." Es war nicht zu übersehen, dass Ingrid sich daran erfreute, und als wäre er fünf Jahre alt, streckte er ihr spitzbübisch die Zunge raus. "Sehr erwachsen," kommentierte Ingrid, immer noch lachend, sein Verhalten. "Danke!" Schweigend warteten sie beide einige Minuten vor Erik's Zimmer, bis dieser mit duschen fertig war. In ein Handtuch gewickelt, kam er noch nass, die Treppe hoch gelaufen, und machte hinter sich die Zimmertür zu, bevor Gawen noch etwas sagen konnte. "Sehen Sie, jetzt fängts an." Entsetzt schaute Ingrid Gawen an. "Ja, Sie haben Recht! Ein richtiges Terrorkind!" Lange hielt sie den ernsten Gesichtsausdruck nicht bei, und musste wieder lachen. Irgendwie fand Gawen diese Frau nicht normal, das meinte er aber nicht im negativen Sinne. "Was sind Sie eigentlich für eine Psychologin? Sind Sie überhaupt zugelassen?" Das hätte er nicht sagen sollen, denn so plötzlich wie ihr Lächeln kam, verschwand es auch wieder. "Eine, die versucht, nicht immer die negativen Sachen zu sehen, und auch versucht, aus allem das beste zu machen! Tut mir Leid, wenn Ihnen das nicht passt!" Er merkte deutlich an ihrer lauten Stimme, dass sie wütend war. "Nein, mir tut es Leid. So hab ich das doch gar nicht gemeint." Er hätte ihr gerne in die Augen gesehen, um ihr zu zeigen, dass er nicht lügte, aber sie mied absichtlich seinen Blick. Wie schaffte er es nur immer wieder, Menschen so vor den Kopf zu stoßen, wenn er es doch eigentlich gar nicht böse meinte? "Wie haben Sie es denn dann gemeint?", fragte sie nach einer Weile, jetzt nicht mehr ganz so wütend. "Das sollte nicht beleidigend sein. Ich meinte das mehr im positiven Sinne," versucht er ihr zu erklären. "Indem man jemandes Fähigkeiten in Frage stellt?" "Nein, das.....ach vergessen Sie's einfach." Wütend klopfte er an Erik's Zimmer und trat dann ein. So lange konnte ja niemand brauchen, um sich einen Pyjama anzuziehen. "Hey Kleiner, bist du fertig?" In seinen Pyjama gekleidet, saß er an seinem Schreibtisch. "Was ist los?" Gawen ging rüber zu ihm, und sah, dass er ein Bild von sich und seinen Eltern in den Händen hielt, und schon spürte er, wie die Traurigkeit in ihm aufstieg. Tröstend legte er seine Hand auf seine Schulter, und ging neben ihm in die Hocke. Er wusste ja selbst nicht, wie er mit seinen Trauergefühlen umgehen sollte, woher sollte er dann wissen, wie er Erik helfen sollte? Tränen liefen über Erik's Wangen, doch er gab keinen Ton von sich. Hilfe suchend blickte er zurück zu Ingrid, in der Hoffnung sie könnte Erik beistehen. Gleich darauf stand sie auch schon neben Erik. "Kann ich dir irgendetwas bringen, Erik?", erkundigte sich Ingrid. Gawen wusste mittlerweile, dass das alles doch gar nichts brachte, verfolgte aber trotzdem aufmerksam Ingrid's Versuch. "Erik, ich weiß wie du dich fühlst. Weißt du, ich habe das selbe erlebt wie du, und ich sage dir jetzt vermutlich nichts neues, aber es ist einfach nur furchtbar. Man fühlt sich leer und allein gelassen, und naja, ich war damals wirklich allein." Erik zeigte Interesse an Ingrid's Erzählung, denn er wandte sich ihr zu, und hörte auch auf zu weinen. "Soll ich dir meine Geschichte weitererzählen?" Er nickte. "Ok, aber nur wenn du ins Bett gehst." Gawen musste sich eingestehen, dass er ein richtiger Arsch war, denn Ingrid wusste nur zu gut, was sie da tat. Dass sie selbst so etwas hatte durchmachen müssen, hatte er nicht wissen können, aber natürlich tat ihm das Leid. Mittlerweile hatte sich der Kleine in sein Bett gelegt, und Ingrid saß neben ihm. Gawen blieb wo er war, denn er wollte diese zwei, die das selbe Schicksaal teilten, jetzt nicht stören. So hörte er einfach nur zu. Er genoss es, ihre Stimme zu hören, denn sie war so sanft und doch auch rau, und sehr feminin. "Also, ich war damals sieben, genau wie du, und hatte mit meiner Klasse ein Theaterstück eingeübt. An dem Abend der Aufführung wollte ich unbedingt noch mit zu meiner Freundin, damit wir uns gemeinsam auf das Theaterstück vorbereiten konnten. Meine Eltern sollten dann, pünktlich zu Beginn der Aufführung, um 7:00 Uhr zu der Halle kommen, in der die Aufführung stattfand. Wir begannen um Punkt 7 Uhr, meine Eltern aber waren noch nicht da. Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei, und war mir sicher, dass sie gleich da sein würden. Doch mitten im Stück holte mich meine Lehrerin von der Bühne, und ich habe bis heute noch ihren traurigen Gesichtsausdruck vor Augen." Ingrid stoppte kurz, vermutlich fiel es ihr nach all den Jahren immer noch schwer darüber zu sprechen, was Gawen vollkommen verstand. "Meine Lehrerin ging mit mir vor die Halle, wo auch schon ein Krankenwagen stand. Ein Mann erzählte mir und meiner Lehrerin, dass meine Eltern wegen eines Autounfalls ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Mein Vater starb damals noch bevor er in den OP-Saal kam, und meine Mutter...." Deutlich konnte Gawen hören, dass Ingrid den Tränen nahe war, wie er selbst auch, und er beobachtete , wie sich Erik's kleine Hand auf die ihre legte. Jetzt umspielte ein sanftes Lächeln Ingrid's Mundwinkel, offensichtlich rührte sie diese kleine Geste. Einmal atmete sie tief ein und aus, bevor sie weitererzählte. "Man hatte mich sofort mit dem Krankenwagen mit ins Krankenhaus genommen, und dann ging alles irgendwie ganz schnell. Ich weiß nicht mehr, wie ich zu meiner Mutter kam, aber was ich noch weiß, sind ihre letzten Worte >Es tut mir Leid, Innie, wir haben es nicht zu deiner Vorführung geschafft<. Ich hatte mit ansehen müssen, wie sie gestorben ist, und ich finde, dass sollte kein Kind miterleben müssen. Jahrelang habe ich mir Vorwürfe gemacht, dachte, dass ich Schuld daran war, dass sie gestorben sind. Aber Erik, du musst wissen: Rede dir bloß nicht ein, dass du Schuld an dem Tod deiner Eltern bist!" Immernoch hielt Erik Ingrid's Hand fest, und für einen Moment meinte Gawen, Erik lächeln zu sehen. Nur ungern wollte er das harmonische Beisammensein der zwei Trauernden unterbrechen, aber er wollte nicht, dass Ingrid so lange hier war. Nicht weil er sie unangenehm fand, im Gegenteil, aber sie hatte sich heute lange genug um Erik gekümmert, und er wollte nicht, dass sie sich wie die Babysitterin vorkam. "Ich denke, das war genügend Aufregung für heute", verkündete Gawen. Mit Tränen in den Augen schaute Ingrid zu ihm hoch und nickte. "Gute Nachte Erik, schlaf gut." Gawen gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn, und ging hinter Ingrid aus dem ZImmer. "Ich geh dann mal", sagte Ingrid. Zum ersten Mal in Gawen's Leben fehlten ihm die Worte. Es war komisch, er kannte diese Frau ja gar nicht, aber dennoch.....er wollte nicht, dass sie ging. "Warten sie!" Überrascht drehte sie sich um, und sah gespannt aus, auf das, was als nächstes kommen würde. "Möchten Sie noch 'nen Kaffee? Ich mache angeblich recht guten." Erbärmlich, dachte Gawen, aber Ingrid lachte. "Ist glaub schon etwas zu spät für Kaffee." "Dann vielleicht lieber einen Tee?" Er würde nicht locker lassen. "Das nächste Mal vielleicht. Ich bin ziemlich fertig und müde." Das konnte gut sein, denn immerhin hatte sie sich den ganzen Tag um Erik gekümmert. Ingrid stand schon unten an der Tür, und wollte gerade gehen, doch Gawen startete noch einen letzten Versuch. "Würden Sie dann noch bleiben, um mir zuzuhören, wie ich mir den Kummer von der Seele rede?" "Seufzend drehte sie sich zu ihm um. "Gute Nacht, Mr Hollywood." Noch nie in seinem Leben hatte man Gawen McKinley einfach so stehen gelassen! Sie sagte offensichtlich die Wahrheit, was ihre Arbeit betraf. Denn ihr Interesse galt einzig und allein Erik. Gerade als er sich vor den Fernseher gesetzt hatte, klingelte sein Handy. Instinktiv wusste er, dass es sein Agent Robert Duncan war, aber Gawen hatte keine Lust, jetzt mit ihm zu reden. Momentan kam ihm seine Arbeit sowieso belanglos vor, so unwichtig und unnütz. Was brachte es ihm, wenn er jetzt noch weiter Filme drehen würde? Er hatte schon so viel Geld, wobei er das meiste davon eh in seine Stiftung für Kinder mit Down-Syndrom spendete. Seine Filme ödeten ihn mittlerweile selbst an, es war immer die selbe Leier. Aber für was lebte er dann überhaupt noch? Er spielte doch gar keine wichtige Rolle, sein Leben hatte keinen Sinn. Doch weshalb waren dann sein Bruder und Anna gestorben, die sehrwohl einen Sinn zu erfüllen gehabt hatten? Nämlich sich um ihren Sohn zu kümmern, ihn groß zu ziehen, und nicht er? Am liebsten hätte er gebrüllt und alles in kleine Stücke gehackt, aber er wollte nicht, dass Erik aufwachte. Es war furchtbar, mit seinen Gedanken allein zu sein.

Kapitel 4

 Ingrid

 

 

Als Ingrid die Haustür öffnete, kam ihr gleich Spike entgegengerannt. Spike war ihr drei Jahre alter Old English Bulldog. "Hi Spiki!" Während sie ihn streichelt, versuchte er ihr Gesicht abzulecken, doch das konnte Ingrid gerade noch verhindern. Der Hund folgt ihr auf Schritt und Tritt, seit sie ihn vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt hatte. Wie üblich war die erste Handlung von Ingrid, wenn sie Heim kam, den Anrufbeantworter abzuhöre. Aber außer einem Anruf von Liam Stiller war keine Nachricht darauf. Irgendwie hatte dieser Tag sie geschafft, was kein Wunder war, da sie heute auch viel mit Erik gemacht hatte. Fast den ganzen Tag waren sie unterwegs gewesen. Zuerst hatten sie sich auf die Suche nach Nägeln gemacht, allerdings hatten sie sich dabei etwas verloren. Es hatte ihr großen Spaß gemacht mit Erik einkaufen zu gehen, und ihm offensichtlich auch. In einer Mall hatten sie eine Fantasyabteilung gefunden, und wenn Ingrid es richtig beobachtet hatte, dann gefilen Erik offensichtlich nicht nur Drachen sondern auch Elfen, Zauberer und solche Dinge. Ein Fantasy Buch hatte sie Erik gekauft und Zeichen Ideen zum malen von Drachen. Danach waren sie Eis essen gewesen, und zum krönenden Abschluss hatten sie sich noch einen Film im Kino angeschaut. Immer wieder hatte sie mit ihm über seine Situation gesprochen, naja viel mehr hatte sie gesprochen, doch Erik hatte immer aufmerksam zugehört. Er hatte zwar selbst nie etwas dazu gesagt, aber sie war sich gewiss, dass er das, was sie ihm gesagt hatte, verinnerlicht hatte. Es war klar, dass er noch ganz am Anfang der Trauerbewältigung war, und dass er es so schnell nicht überstanden hatte, aber bei Kindern lief das auch anders ab als bei Erwachsenen. So spontan wie sich Kinder ihrer Trauer hingeben, können sie im nächsten Moment auch wieder fröhlich sein, was sie vorhin bei Erik nur zu gut hatte beobachten können. Erwachsenen dagegen durchliefen für gewöhnlich vie Phasen der Trauer, die Phase des 'Nichtwahrhabenwollens', die Phase der 'aufbrechenden Gefühle', die Phase der 'langsamen Neuordnung', und zuletzt die Phase des 'neuen Gleichgewichts'. Für Erwachsenen scheinen die Kinder deshalb oftmals so , als seien sie nicht betroffen, obwohl sie einfach auf eine andere Art und Weise ihren Schmerz und Kummer verarbeiten. Ingrid schlüpfte schnell in ihren Pyjama, und machte es sich noch ein wenig auf der Couch gemütlich, doch gerade als sie sich hingesetzt hatte, klingelte das Telefon. Spike schaute sie an, als würde er ihr sagen wollen, dass sie ans Telefon gehen sollte. "Ist ja gut, ich geh ja schon." Schnell stand sie auf und nahm ab. "Fraser hier." Einen Moment hörte sie gar nichts, doch dann meldete sich eine männliche Stimme. "Hallo Ms Fraser! Gawen McKinley hier." Was wollte der denn? "Hallo." Ihr fiel nichts besseres ein, Gawen anscheinend aber auch nicht, denn es war eine ganze Weile lang still. "Störe ich gerade", erkundigte sich seine sanfte, rauhe Stimme. "Ähm,..." Sie hatte ihre Stimme verloren und räusperte sich. "Nein, das geht schon in Ordnung.....ähm mmh....was gibt's denn?" "Ich weiß. das hört sich jetzt wahrscheinlich kindisch an, aber ... ich kann nicht schlafen." "Naja, ich meine, Sie haben den ganzen Tag über geschlafen, da ist es nicht verwunderlich, wenn sie jetzt nicht müde sind." "Ich habe auch nicht von Müdigkeit gesprochen. Es ist nur so, sobald ich meine Augen schließe, habe ich furchtbare Bilder vor Augen, und wenn ich schlafe, dann habe ich ständig Alpträume." Sie wusste nicht, ob sie das ernst nehmen sollte, und überlegte erstmal. "Ich sagte ja, dass es sich kindisch anhört, aber es wäre wirklich toll, wenn sie mir irgendwie helfen könnten." Gawen klang wirklich verzweifelt, aber mal so kurz am Telefon, ließ sich das nicht klären. "Ich würde Ihnen jetzt ja gerne helfen, aber das kann man am Telefon nur schlecht." "Wirklich nicht?" "Nein natürlich nicht." Einmal tief durchatmen, Ingrid, sagte sie zu sich selbst. "Also gut. Morgen früh gehen Sie erteinmal eine große Runde joggen. Es ist nämlich weder für den Körper noch für den Geist von Vorteil, wenn Sie sich so gehen lassen. Hilfreich sind auch die Vitamine B, C und E, und trinken Sie Tee, der hat eine beruhigende Wirkung auf den Körper. Ach und, versuchen Sie in einen geregelten Tagesablauf zu finden, ein wenig Struktur in Ihren Alltag zu bringen. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht helfen." Am anderen Ende hörte sie, dass Gawen schwer atmete. "Alles in Ordnung mit Ihnen?" "Leider hab ich keine Vitamine", antwortete Gawen, und sie war sich sicher, dass er sich irgendwie fröhlicher anhörte, vermutlich täuschte sie sich aber nur. "Es wird besser werden, Gawen. Glauben Sie mir, auch wenn Sie denken, dass es nie wieder besser wird, es braucht einfach seine Zeit." Ein sarkastisches Lachen kam von der anderen Seite der Leitung. "Ich hoffe, Sie haben Recht, Ms Fraser. Schlafen Sie gut." Dann hatte er auch schon aufgelegt. Verwirrt legte Ingrid das Telefon zurück auf die Station. Komischer Weise hatte es sie gefreut, Gawen's Stimme zu hören. Irgendetwas sagte ihr, dass Gawen nicht nur aus Verzweiflung angerufen hatte, sie war sich sicher, dass mehr dahinter steckte. >Bild dir doch nichts ein, Ingrid. Jemand wie Gawen steht nicht auf mollige Mädchen vom Land<,dachte Ingrid. Aber sie musste sich eingestehen, dass er ihr, gegen Ingrid's Erwartungen,recht gut gefiel.Natürlich sah er gut aus, und bisher hatte er sich ihr gegenüber gar nicht so schlimm verhalten. Spike kam, und drängte sich an Ingrid's Beine. "Ist ja schon gut Großer. Ich komm ja schon." Sie wollte jetzt nicht mehr an Gawen denken, sondern noch ein wenig vor dem Fernseher abschalten. Die Nacht war für Ingrid schnell vorbei, denn schon um kurz nach sechs weckte Spike sie auf, weil er raus musste. "Weißt du Spike, manchmal glaub ich, dass du mich nicht wirklich magst." Der Hund saß vor ihr, während sie sich noch ihre Schuhe anzog. "Was meinst du? Laufen wir heut eine große Runde?" Als würde er sie verstehen, drehte er sich im Kreis und wedelte wild mit dem Schwanz. Auf dem Rückweg könnten sie bei Gawen und Erik vorbei , damit sie Gawen noch ein paar Vitamine bringen konnte. Schnell ging sie noch mal zurück in die Küche, und packte ein paar Päckchen ein. Draußen war es noch etwas frisch, aber das sorgte wenigstens dafür, dass Ingrid nicht gleich wieder einschlief. Nach guten 45 Minuten kamen sie am Haus der McKinley's an, Ingrid traute sich jedoch nicht anzuklopfen. Zuerst wollte sie die Vitamine noch in den Briefkasten werfen, und so stand sie eine Weile lang planlos vor der Haustür der McKinleys, ohne sich zu regen. "Guten Morgen," erklang Gawen's Stimme hinter ihr. "Was machen Sie denn hier?" Erschrocken drehte sie sich zu ihm herum. Sie fühlte sich irgendwie, wie auf frischer Tat ertappt. Sie blickte in sein verwundertes aber lächelndes Gesicht. "Ähm,...ich...ich wollte Ihnen ein paar Vitamine vorbeibringen. Dachte, das würde Ihnen vielleicht helfen." Immer noch überrascht lief sie die Verandastufen zu ihm hinunter, und streckte ihm die Vitamine hin. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er sie an, bis er ihr schließlich die Vitamine abnahm. "Dann geh ich jetzt mal wieder." Gerade als sie loslaufen wollte, brach er sein Schweigen. "Möchten Sie jetzt einen Kaffee?" Uhhh...das Angebot war verlockend, da sie heute morgen noch keinen getrunken hatte, und sie unbeding einen brauchte. "Eigentlich nicht. Ich muss noch die Runde zu Ende laufen," sagte Ingrid und zeigte auf Spike, der nur seinen Kopf verdrehte, als er seinen Namen hörte. "Können Sie die nicht nachher noch fertig laufen? Ihr Hund hat bestimmt nichts dagegen." "Na gut, einen Kaffee nehm ich," hörte Ingrid sich sagen, obwohl ihr Verstand eigentlich dagegen war. "Schön." Er lief voran und sie folgte ihm mit Spike. Irgendwie kam es ihr komisch vor, hier zu sein, wenn sie nicht mit Erik arbeiten musste, und so stand sie planlos im Flur. "Wo bleiben Sie denn," schrie es aus der Küche. Unsicher ging sie zu Gawen in die Küche, und zog Spike hinter sich her. Als Ingrid die Küche betrat, lehnte Gawen am Kühlschrank, und so imposant wie er aussah, fragte sie sich, ob er mit Absicht so da stand. Er trug eine schwarze Jogginghose und ein enges weißes T-Shirt, welches seine Muskeln ausgesprochen gut zur Geltung brachte. Als sie ihren Blick hob, sah sie, dass er sie ebnefalls gemustert hatte. Vermutlich aber aus einem anderen Grund. Im Gegensatz zu Gawen, sah Ingrid nicht so toll aus. Außerdem war ihre Kleidung auch nicht gerade berauschend, da weder die schwarze Caprihose noch ihr zu großes Slayer T-Shirt vorteilhaft für ihre Figur waren. "Wie heißt ihr Hund denn," erkundigte sich Gawen und beugte sich runter zu Spike. "Das würde ich lassen. Für gewöhnlich ist Spike fremden Menschen und vor allem Männern gegenüber leicht...aggressiv." Gawen hielt in seiner Bewegung an, und warf ihr einen misstrauischen Blick zu. "Na hallo Spike." Überrascht stellte sie fest, dass Spike sich von Gawen streicheln ließ. "...dein Frauchen weiß einfach nicht, was gut für dich ist." Spike ließ sich nur zu gerne streicheln, gab sich Gawen hin, und nach kurzer Zeit lag er auch schon aufdem Rücken, alle Viere zur Seite gestreckt. "Ja,...ich seh schon. 'Nen sehr aggressiven Hund haben Sie da." Er richtete sich wieder auf, und hatte ein sarkastisches Lächeln aufgesetzt. "Anscheinend mag er Sie. Sonst hätte er Ihnen schon längst das Gesicht abgebissen." Jetzt war sie es, die lachte. "Sonst ist er kaum jemandem so zutraulich." Vorwurfsvoll schaute sie ihren Hunde an. Sie sagte nichts mehr, und das war Ingrid fast noch unangenehmer. "Schläft Erik noch?" "Ich denke schon. Als ich vorhin gegangen bin zumindest schon." Ihr fiel auf einmal wieder der Anruf von der Nacht zuvor ein, und sie fragte sich, was Gawen über sein Verhalten dachte. Vermutlich hatte das für ihn sowieso keine Bedeutung gehabt, und hatte es sofort nach beenden des Telefonats vergessen. Ein Mann wie er hielt sich doch nicht mit solchen Belanglosigkeiten auf, oder? Der Kaffee den Gawen ihr gab, roch verführerisch, und genauso schmeckte er auch. "Sie dürfen sich gerne hinsetzen." Gentleman wie er war, zog er ihr einen Stuhl zurück, und deutete ihr sich zu setzen. "Danke." Gawen setzte sich ihr gegenüber, und ließ sie nicht aus den Augen. "Der Anruf gestern Abend tut mir Leid," sagte Gawen, und in dem Blick, den er ihr zuwarf, schwang Traurigkeit mit. "Ich glaube, das lag ein wenig am Alkohol..." Ingrid wollte dazu etwas sagen, doch ihr Gegenüber kam ihr zuvor. "Das war das erste und letzte Mal, dass ich versucht habe, meine Trauer in Alkohol zu ertränken, das müssen Sie mir nicht sagen." Das freute Ingrid, und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen."Aber ich habe mir Ihre Tipps zu Herzen genommen, und gleich heute Morgen war ich ein paar Kilometer joggen." "Und wie fühlen Sie sich jetzt?" Er dachte kurz nach, bevor er antwortete. "Ich glaub ganz gut," sagte er, und trank einen Schluck Kaffee. Wieder herrschte Schweigen, und jetzt erst dachte sie darüber nach, was Gawen gesagt hatte. Er hatte nämlich nicht ihretwegen angerufen, sondern weil er betrunken war. >Weshalb sollte er auch bei dir anrufen. Er wollte ja auch nur Ratschläge, und nichts weiter!< dachte Ingrid, und so schnell wie ihre gute Laune gekommen war, verschwand sie wieder. Gawen hatte ihren Stimmungswandel offensichtlich bemerkt, denn als sie aufsah, hatte er seinen Blick fest auf sie gerichtet. Es schien, als versuchte er, aus ihrer Miene schlau zu werden, was sie jedoch nicht so gern hatte. Manchmal kam es ihr nämlich so vor, als sei sie für andere ein offenes Buch, und jeder konnte sie durchschauen. Inständig hoffte sie aber, dass dem nicht so war. "Ist alles ok mit Ihnen?" Gawen's Frage riss sie aus ihren Gedanken. "Ja natürlich, und bei Ihnen?" Offensichtlich hätte sie ihn das nicht fragen sollen, denn seine 'Fröhlichkeit' war sofort verschwunden. Er zuckte mit den Schultern, und starrte in seine Tasse. "Ich weiß auch nicht. Irgendwie überfordert mich diese Situation momentan einfach." "Was genau überfordert Sie denn?", hackte sie nach. "Ach....wissen Sie...Sie müssen sich das nicht anhören." "Sie können sich mir gerne anvertrauen. Wenn es Ihnen unangenehm ist, müssen Sie natürlich nicht." Lange sagte er nichts, und als Ingrid gerade ihren Kaffee leer getrunken hatte und aufstehen wollte, überlegte er es sich anders. "Alles! Alles überfordert mich. Ich fühle mich beschissen, meinen Bruder werde ich nie wieder sehen!" Urplötzlich begann Gawen zu lachen, aber Ingrid wusste, dass diese Stimmungsschwankungen normal waren. "Und dann auch noch Erik! Noch nie in meinem Leben musste ich mich um ein Kind kümmern, und dann habe ich vom einen auf den anderen Tag einen kleinen Jungen am Hals! Verstehen Sie mich nicht falsch, Erik ist klasse, und ich liebe ihn, aber ich weiß doch gar nicht, ob ich das überhaupt hinbekomme." Seine Tasse umklammerte er so fest, dass es schien, als würde sie jeden Moment zerspringen. "Ich denke, Eltern wissen das am Anfang selbst nie, ob sie es schaffen werden, aber wissen Sie, irgendwie schafft man es immer." "Können Sie mir das garantieren? Meine letzten drei Goldfische haben nicht einmal vier Monate überlebt!" Erwartungsvoll schaute er sie an. Ingrid konnte so gut mit ihm fühlen, und am liebsten hätte sie seine Hand in ihre genommen um ihn zu ermutigen, aber sie zwang sich, das zu unterlassen. "Es ist alles eine Frage der Zeit. Irgendwann finden Sie sich ein, der Schmerz wird immer da bleiben, doch man kann lernen, damit umzugehen. Mit der Traurigkeit geht auch immer Hoffnung einher. Ihnen bleibt nichts anderes übrig als lernen, mit dieser Situation umzugehen, und zu hoffen, dass Sie es schaffen, und es eines Tages besser wird." Als Gawen plötzlich Ingrid's Hand nahm, zuckte sie zusammen. Ihr Herz begann zu rasen, und als sie in seine blauen Augen aufschaute, wurde ihr ganz flau im Magen. >Hoffentlich merkt er das nicht! Bitte lass es ihn nicht merken<, dachte Ingrid. "Ich vertraue Ihnen, in dieser Situation, Ingrid," sagte Gawen mit leiser und rauer Stimme, und Ingrid war sich sicher, dass sie gleich dahin schmelzen würde. Gerade als Gawen noch etwas sagen wollte, fiepte Spike neben Ingrid, und zog an der Leine. "Gut, ich geh dann mal. Ich melde mich morgen nochmal, dann können wir ausmachen, wann ich wegen Erik komme." Spike hatte bemerkt, dass Ingird aufgestanden war, und zog sie ruckartig mit, so dass sie fast über das Tischbein gestolpert wäre. Doch bevor sie stürzen konnte, hatte Gawen sie auch schon am Arm festgehalten und sie dabei an seine Brust hochgerissen. Deutlich konnte sie seinen Herzschlag spüren, und seine Muskeln ebenfalls. Sie traute sich nicht, aufzuschauen, weil sie nicht wirklich wissen wollte, wie Gawen sie in dem Moment ansah. Als er sie aber nach einer Weile immer noch nicht losgelassen hatte, wagte sie es doch. Sein Gesicht war ihrem so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Stirn spüren konnte, welcher ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Seine Augen waren geschlossen. Ihr Verstand sagte ihr, sich sofort von ihm loszureißen, und zu gehen, aber ihr Gefühl hielt dagegen. Ingrid fand es irgendwie ganz angenehm, so angeschmiegt an die muskulöse Brust eines Hollywood-Filmstars. "Ich...ich geh dann mal." Ingrid's Stimme war auf einmal weg, es war mehr ein Dahingehauche. Aus Gawen's Kehle drang nur ein tiefes 'mmh'. Spikes Gezerre an der Leine riss Ingrid aus ihrer Trance, und verlegen trat sie von Gawen weg, und starrte auf ihren Hund. "Danke für den Kaffee. Ich melde mich dann." Viel zu hektisch eilte sie aus dem Haus, weg von Gawen, weg von diesen komischen Gefühlen, die er in ihr ausgelöst hatte.

 

 

Gawen 

 

 

 

Gawen wusste nich, wie lange er noch neben dem Küchentisch stand, nachdem Ingrid abgehauen war. Als er zuvor vom Joggen daheim angekommen war und gesehen hatte, wie sie sich immer wieder zögernd der Tür zuwandte um zu klopfen, oder auch nicht, hatte er sich dabei erwischt, wie er unbewusst gehofft hatte, dass sie seinetwegen, und nicht wegen Erik gekommen war. Als sie ihm dann mit den Vitaminen kam, hatte sein Herz einen Sprung gemacht, so dass er nicht gewusst hatte, wie er reagieren sollte. Ebenso stand er immernoch in der Küche, und kindlich naiv wie er war, hoffte er, dass Ingrid wieder kommen würde, was natürlich absoluter Schwachsinn war. >Lass den Quatsch, du hast wichtigeres zu tun<, dachte Gawen. Er hatte sich wieder einigermaßen gefasst, und begann das Frühstück für Erik und sich hinzurichten. Gerade als Gawen den angebratenen Speck aus der Pfanne rausnahm, erschien Erik in der Küche. "Guten Morgen. Und, hast' gut geschlafen Kleiner?" Mit seiner kleinen Faust rieb sich Erik über die Augen, und nickte. "Hast du auch Hunger?" Jetzt lachte er, und nickte heftig. "Schade, dann ess ich den Speck und das Ei eben alleine!", veräppelte Gawen Erik. Der ließ sich das aber nicht gefallen, und boxte ihm mit seiner kleinen Faust in den Magen. "Das war doch nur ein Witz!" Ungläubig riss Erik die Augenbrauen hoch, und setzte sich an den gedeckten Tisch. "Hau rein!" Das tat Erik auch. Er aß mehr als Gawen, und Gawen fand, dass das ein gutes Zeichen war. Als die zwei fertig waren, und Erik Gawen half, den Tisch abzuräumen, kam ihm in den Sinn, was Ingrid ihm am Abend zuvor gesagt hatte. "Wie wär's, wenn wir heute einmal ein wenig raus gehen?" Gawen drehte sich zu Erik um, der ihn jetzt erwartungsvoll anschaute. "Weißt du, wir müssen ja nicht großartig weggehen, sondern einfach nur ein wenig raus und spazieren gehen. " Von Erik kam nur ein Schulterzucken. "Komm schon! Immerhin warst du gestern auch mit Ingrid unterwegs!" Es kam keine Reaktion. "Und wie wär's, wenn wir zu Ms. Fraser gehen?" Gawen hatte, bevor er das gesagt hatte, nicht nachgedacht. Natürlich war Erik beeindruckt von der Idee, Gawen hingegen eher weniger. Während er überlegt hatte, was Erik gefallen könnte, waren seine Gedanken zu Ingrid gewandert, und sein Vorschlag kam ganz von selbst aus seinem Mund. Doch natürlich konnten sie das nicht machen. Wie würde das denn aussehen, wenn die zwei Verzweifelten auch noch an einem Sonntag bei ihr antanzen würden? Immerhin war sie nicht das Kindermädchen, und sie hatte bestimmt keine Zeit für Erik und ihn. Auch würde das ganz schön bemitleidenswert rüberkommen. "Das wär 'ne doofe Idee, vergiss es gleich wieder. Wir können nicht zu Ms Fraser." Erik's Kinnlade klappte runter, und es sah aus, als sei er den Tränen nahe. "Na gut. Wir können ja mal vorbeischauen."

 

Einige Stunden und ein paar Kuchen-Back-Versuche später standen die zwei vor Ingird's Haustür, und dieses Mal war Gawen derjenige, der sich nicht traute zu klopfen. Erik stand mittlerweile schon genervt, mit dem Kuchen in den Händen, neben ihm, und schaute ihn vorwurfsvoll an. "Vielleicht ist sie ja gar nicht da! Ich finde wir sollten wieder gehen," sagte Gawen. Unerschrocken stellte Erik sich Gawen in den Weg, und blickte von ihm zur Tür und wieder zu Gawen. "Kleiner Erpresser!" Der Kleine lachte und klopfte freudig an die Tür. "Moment," drang Ingrid's Stimme aus dem Haus. Es dauerte kurz bis sie die Tür öffnete, und offensichtlich hatte sie mit Erik und Gawen am wenigsten gerechnet. Erst sagte sie gar nichts, dann räusperte sich. "Hallo!" Ihre Stimme war leicht kratzig, das gefiel Gawen. "Möchtet ihr reinkommen?" Erik nickte und ging sofort an Ingrid vorbei ins Haus. "Gerne", antwortete Gawen. Sie trat beiseite und ließ ihn rein. "Ich hab nicht mit Besuch gerechnet, deshalb sieht's hier etwas unordentlich aus." Während sie das sagte, konnte er aus dem Augenwinkel sehen, dass sie einen ihrer BHs von einer Kommode nahm, und ihn hinter ihrem Rücken versteckte, was Gawen zum schmunzeln brachte. "Das macht doch nichts. Ich finde, dass ist nur gerecht. Immerhin haben Sie unser Haus das erste Mal auch nicht gerade in gutem Zustand gesehen." Zögernd lief er Ingrid hinterher, die jedoch plötzlich stehen blieb, weil Erik vor ihr stand. Stolz streckte er ihr den selbstgemachten Kuchen entgegen. "Ist der für mich?" Erik nickte kurz und dann verschwand er auch schon um die Ecke. "Sie hätten mir doch keinen Kuchen backen müssen." sagte Ingrid während sie sich zu Gawen umdrehte. "Naja, wir dachten als kleines Dankeschön......" "Das ist das erste Mal, dass mir jemand einen Kuchen gebacken hat, um sich bei mir zu bedanken.....", erklärte Ingrid, deren Stimme jetzt leicht weinerlich klang. "Ist alles in Ordnung mit Ihnen?", erkundigte sich Gawen. Er beobachtete, wie sie sich schnell die Tränen von ihren Wangen wegwischte, was er recht niedlich fand. " "Entschuldigen Sie, das passiert mir sonst nie." "Dass Sie weinen?" "Mhm......, dass man mir einfach so ein Geschenk macht." Eilig drehte sie sich wieder um, vermutlich suchte sie irgendwo Erik, doch der war nirgends zu sehen. Wieder folgte Gawen Ingrid, die ins Wohnzimmer ging, wo sie sowohl Erik als auch den Kuchen fanden. Den Kuchen hatte Erik auf den Couchtisch gestellt, und Erik selbst war zusammen mit Spike hinter der Couch. "Der tut dem doch nichts?", fragte Gawen. "Ach was, so wie ich ihn bisher erlebt habe, ist Erik doch ein ganz lieber. Der tut Spike schon nichts." Gawen sah, dass sie wieder lächelte, und als wäre es ansteckend, lachte er auch. "Nein, Spike ist ein Lieber. Sehen sie doch selbst." Der Hund und Erik lagen nebeneinander auf dem Boden, es war zu drollig. Erik streichelte die Bulldogge, die widerrum ihre Pfote ganz entspannt auf Erik's Schulter gelegt hatte. "Wissen Sie, Hunde spüren es, wenn es Menschen schlecht geht, und sie können tolle Tröster sein." Eine Weile lang betrachteten die beiden Erik und seinen neuen Freund, und Gawen fand es beeindruckend, wie entspannt sein Neffe wirkte. "Möchten Sie den Kuchen nicht probieren?", erkundigte sich Gawen. "Doch, natürlich." Ingrid war kaum mit dem Kuchen in der Küche verschwunden, da kam sie auch schon mit drei Kuchenbeladenen Tellern wieder zurück. "Setzen Sie sich doch." "Erik, möchtest du auch Kuchen?", fragte er über die Couch gebäugt. "Ach lassen Sie mal, hier...." Ingrid reichte den Teller hinter den Sofa, und kurz darauf hörte man auch schon ein Schmazen. Gawen fand es ganz süß, dass Ingrid Erik dort essen ließ, und musste schmunzeln. "Was ist?" Neugierig wie sie war, hatte Ingrid sein Schmunzeln bemerkt. "Ich habe glaub noch niemanden kennen gelernt, der seinen Hund zusammen mit einem Kind hinter dem Sofa Kuchen essen lässt. Das ist irgendwie....niedlich." "Wie meinen Sie das?" Nachdenklich hatte sie ihre Kuchengabel zur Seite gelegt, und schaute Gawen nun erwartungsvoll an. "Na so wie ich es sage. Es ist schön zu sehen, dass eine enge Verbindung zwischen einem Menschen und einem Hund enstehen kann. Und Ich kenne sonst auch niemanden, der es seinen Kindern gestattet, auf dem Boden hinter der Couch zu essen. Wie gesagt, niedlich." Ohne Ingrid anzusehen wusste Gawen, dass sie ein fast unscheinbares Lächeln auf ihren Lippen hatte. Bis beide den Kuchen aufgegessen hatte, sagte keiner etwas. Lediglich Erik hatte ein zweites Stück verlangt. Gawen hatte ihn gefragt, ob er Spike auch etwas gegeben hatte, er schüttelte aber nur seinen Kopf. Erik bekam schließlich sein zweites Stück, obwohl Gawen gesehen hatte, dass Spikes Lefzen übersäht waren mit Kuchenkrumen. "Also ich muss sagen, der Kuchen war, entgegen all meiner Erwartungen wirklich lecker.", sagte Ingrid. "möchten Sie noch ein Stück?" "Nein, danke. Ich will Ihnen ja Ihren leckeren Kuchen nicht wegessen." "Das ist aber sehr rücksichtsvoll." Gawen hörte genau, dass das ironisch gemeint war, sagte aber nichts weiter dazu, sondern nahm die zwei Teller und trug sie hinaus in die Küche. "Das müssen Sie doch nicht machen.", wollte Ingrid ihn aufhalten, was ihr aber nicht gelang. "Das mach ich doch gern. Immerhin haben sie sich gestern auch so toll um Erik gekümmert, und dafür möchte ich mich revangieren." Die zwei Teller hatte er in die Spüle gestellt, und drehte sich zu Ingrid um, die ihm gefolgt war. "Was meinen Sie mit revangieren? Möchten Sie mir jetzt jeden Tag einen Kuchen backen?" Eine von Gawen's größten Schwächen war es, dass er nie nachdachte, bevor er etwas sagte. "Ich hatte mehr daran gedacht, Sie mal zum Essen einzuladen." Sehr gut hatte er sehen können, wie Ingrid ganz bleich wurde, und hätte sich selbst am liebsten für seinen bescheuerten Vorschlag geohrfeigt! "Ich denke, dass ist nicht nötig. Wenn ich Ihnen und Erik helfen kann, ist mir das Belohnung genug." Sie wollte ihn aus dem Weg drängen, um ihr Geschirr abzuspülen, doch Gawen ließ sie nicht. "Dann lassen Sie mich wenigstens das machen. Bitte." Eine Weile lang schaute sie ihn eindringlich an, gab jedoch schließlich nach und verschwand wieder im Wohnzimmer. Weshalb hatte er sie so urplötzlich gefragt, ob sie mit ihm essen gehen wolle? Er hatte selbst keine Ahnung, es war einfach so aus ihm raus gesprudelt! Sonst war er nie so. Wieso hatte er sich jetzt nicht unter Kontrolle? Während er die zwei Teller und das restliche Geschirr, das in der Spüle lag, wusch, fielen ihm einige Bilder auf, die direkt über der Spüle hingen. Auf allen war ein kleines, rothaariges Mädchen zu sehen. Die Landschaft sah irisch aus, grüne Wiesen, Felder und Hügel, und Klippen am Meer. Es sah traumhaft aus. Bereits im Eingang und im Wohnzimmer hatte er ähnliche Bilder gesehen. Sie musste wohl viel auf Reisen sein. Es dauerte nicht lang bis das Geschirr sauber war, und gesellte sich dann gleich wieder zu Ingrid aufs Sofa. "Das ging aber schnell.", stellte Ingrid fest, als sie sah, dass er aus der Küche kam. "Wenn Sie wollen, könnten Sie gleich im Bad weiter machen." Natürlich wusste er, dass das Sarkasmus war, doch wenn er ihr wenigstens so helfen konnte, wieso eigentlich nicht? "Von mir aus gerne. Wenn Sie mir sagen, wo sich Ihr Bad befindet." Das verblüffte Ingrid, und riss die Augen weit auf. Gawen fand Ingrid's Augen wunderschön. Sie waren von einem kalten eisigen Blau, was er zuvor noch bei keiner Frau gesehen hatte, und es sah noch viel schöner aus im Kontrast zu ihrem roten Haar. "Also, wo ist das Bad?" "Ach Quatsch, das war doch nur ein Scherz. Wie wär's, wenn ich Ihnen jetzt mal nen Kaffee mach?" Froh darüber, dass er das Bad nicht putzen musste, lachte er und nickte Ingrid zu. Während sie sich um den Kaffee kümmerte, schaute er nach seinem Neffen. Hinter dem Sofa waren sie nicht mehr. "Wo sind denn Erik und Spike?", schrie Gawen in die Küche. "Vor dem Haus. Ich hab Erik gesagt, wenn er Lust hat, könnte er ja mit Spike ein wenig raus gehen und mit ihm ein wenig toben." "Er spielt?" "Ich denk schon." Davon wollte Gawen sich selbst überzeugen, also stand er auf und ging nach draußen. Tatsächlich spielte Erik voller Freude im Vorgarten mit Spike. Der Anblick erfüllte ihn mit tiefster Freude, denn er hätte nicht gedacht, dass sich Erik in der kurzen Zeit von dem schlimmen Ereignis einmal ablenken lassen würde, und tatsächlich Spaß haben könnte. Glücklich über Erik's Fortschritt bemerkte er gar nicht, dass Ingrid neben ihm mit einer Tasse Kaffee auftauchte. Doch sie störte ihn nicht, ließ ihn einfach in seinen Gadanken, und wartete bis er es selbst bemerkte. "Danke." Ingrid schmunzelte. Immernoch sagte sie nichts, vermutlich wollte sie ihn mit seinen Gedanken allein lassen. Gerade als sie sich wegdrehen wollte, brach Gawen das Schweigen. "Sie reisen gerne?" Abrupt blieb sie stehen und schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. "Nein. Also ich würde gern, aber ich tus nicht. Wie kommen Sie darauf?" "Ich dachte, wegen den vielen Bildern die in Ihrem Haus hängen, dass Sie vielleicht gerne nach Irlandreisen." Nachdenklich schaute Sie in ihre Tasse, bevor sie weiter redete. "Ich komme aus Irland, und habe dort bis ich 19 war gelebt." Jetzt konnte er sich auch ihr Aussehen erklären. "Wow, Irland! Dort ist es doch traumhaft schön. Wieso sind Sie dann hierher gezogen?" "Naja, nach dem Tod meiner Eltern kam ich erst einmal bei meinen Großeltern mütterlicher Seits für einige Jahre unter. Als jedoch nach sechs Jahren auch diese verstarben, kam ich in eine Pflegefamilie, die, sagen wir, nicht wirklich nett mit mir umging." Sie stoppte. Atmete ein, und wieder aus. "An meinem 16 ten Geburtstag bin ich dann von dort abgehauen, und habe mich seither selbst durchgehauen. Ich hatte mehr Jobs, als ich zählen konnte, machte nebenher meinen Schulabschluss, und als ich genügend Geld zusammenhatte wollte ich endlich weg von dort. Weg von den schlechten Erinnerungen, so weit weg wie es nur ging. Deshalb Amerika." Ingrid lächelte, als wären ihre Erinnerungen an diese Zeit gar nicht so schlimm, doch vermutlich war das eher ein verzweifelter Versuch, das Geschehene von einer positiven Seite zu betrachten. Doch anscheinend war das zu viel für sie, denn Gawen bemerkte die Tränen die über ihre Wangen liefen. "Hey, nicht weinen.", tröstete er sie, während er sie in den Arm nahm.

 

 

Ingrid

 

 

 

Gawen's Umarmung tat ihr gut. Eigentlich wollte sie gar nicht weinen, doch Erik's Situation brachte ihre Gefühle von damals wieder an die Oberfläche. Sie fülte sich auf einmal wieder so hilflos und verletzlich, und da tat es gut, von einem starken Mann festgehalten zu werden. Die positive Energie die von ihm ausging wärmte sie, und als er ihr ganz zart mit seiner Hand über den Rücken fuhr, durchfuhr sie ein wohliger Schauer. Sie kannte diesen Mann doch gar nicht, doch sie fühlte sich bei ihm so geborgen, wie sie es noch nie war. Nach einigen Augenblicken hatte sich Ingrid wieder gefasst und strich sich die letzten Tränen weg. "Enschuldigen Sie. Irgendwie bin ich in letzter Zeit viel zu empfindlich. Normalerweise heul ich nicht so viel." "Dafür müssen Sie sich doch nicht entschuldigen." Ingrid nickte das mit einem Lächeln ab, und trank einen Schluck Kaffee. Sie wollte an so einem schönen Tag nicht traurig sein. Die Sonne lachte fröhlich vom Himmel, der Himmel war von einem strahlenden Blau.... Weshalb also Trübsal blasen? Eigentlich hatte sie die Erlebnisse von damals verarbeitet, dachte sie zumindest. Doch über all die Jahre und trotz all der schlimmen Dinge, die ihr im Leben schon widerfahren sind, hatte Ingrid sich stets ihr Lächeln und ihr sonniges Gemüt bewahrt. Der Schönling neben ihr riss sie aus ihren Gedanken. "Ist mit Ihnen wieder alles in Ordnung?" Erstaunlicher Weise sah er wirklich besorgt aus. "Ähm, ja...ja natürlich. Bei Ihnen auch alles ok?" Schon während sie ihm diese Frage stellte, wusste sie, dass sie das nicht hätte tun sollen, doch entgegen ihrer Erwartungen lächelte Gawen. "Ich kann mich momentan nicht beschweren."Sie hatte mit allem gerechnet, jedoch nicht mit solch einer lockeren Reaktion! Dass sie an seiner Antwort zweifelte, bemerkte er anscheinend, denn er versuchte, sie davon zu überzeugen. "Nein wirklich!" Sie musste lachen, denn seine Stimme schnellte um drei Oktaven nach oben, als er sich rechtfertigte. "Was ist so komisch?" "Passiert Ihnen das öfter, dass Sie die Weiblichkeit in Ihnen nicht länger unterdrücken können?" Kumpelmäßig boxte er ihr an die Schulter und lachte. "Das passiert mir doch nicht!" "Sicher!" Beide mussten lachen, und so schnell ihr Kummer gekommen war, hatte Gawen es geschafft, dass sie ihre Sorgen wieder vergas.

 

 

Kapitel 5

 Ingrid

 

 

Für Ingrid war dieser Sonntag der schönste seit langem gewesen. Die zwei Jungs brachten Leben ins Haus, was Ingrid sehr gefallen hatte. Der kleine Erik hatte die ganze Zeit mit Spike gespielt und herum gealbert, und dabei hatte er sehr glücklich gewirkt, auch wenn er sich immer noch weigerte zu sprechen. In Zukunft würde sie Spike mitnehmen, wenn sie mit Erik ihre 'Therapiestunde' halten würde. Doch nicht nur Erik war gut drauf gewesen, auch sein Onkel wirkte so, als hätte er seinen Verlust wenigstens für den Moment vergessen. Es hatte ihn dieses mal einfach nichts aus dem Gleichgewicht bringen können. Was die Ursache für diesen plötzlichen Simmungswandel gewesen sein konnte, das wusste sie nicht. Natürlich hoffte sie, dass es, wenn auch nur im entferntesten, etwas mit ihr zu tun hatte. Weshalb auch sonst hätten Gawen und Erik bei ihr vorbeigeschaut? Aber vermutlich bildete sich Ingrid mal wieder nur etwas ein, als würde sie einem Filmhelden wie Gawen McKinley auch nur ansatzweise gefallen! Doch sie konnte nicht gerade sagen, dass er sich ihr gegenüber abweisend verhielt, im Gegenteil. Gawen war immer sehr zuvorkommend gewesen, und hatte ihr geholfen wo er nur konnte. Wenn sie etwas hatte holen wollen, war er schon längst wieder damit zurück, bevor sie überhaupt aufgestanden war. Am späten Nachmittag wollte Erik dann unbedingt eine große Runde mit Spike laufen, also gingen sie zu viert los. Anfangs hatte Ingrid ja Bedenken gehabt, ob dass mit Gawen vielleicht nicht doch zu auffällig werden würde, doch Gawen hatte alles unter Kontrolle, und während des Spaziergangs schien es, als hätter er nur Augen für Ingrid gehabt. Einmal hatte er unerwarteter Weise seinen Arm um ihre Schultern gelegt, als er sah dass zwei junge Frauen auf ihn zugesteuert kamen. Vermutlich abgeschreckt und verwirrt hatten sie sich wieder abgewandt, doch auch als sie wieder wegwaren, lag Gawen's Arm immer noch auf ihren Schulern. Aber anstatt etwas zu sagen, genoss Ingrid einfach diesen Moment. Aber was Ingrid wunderte, war die Tatsache, dass sie bisher noch keinen einzigen Paparazzi in Gawen's Umfeld gesehen hatte. Nada, nichts, niemand! Das konnte doch irgendwie nicht sein. Nach ihrem fast dreistündigen Spaziergang wollte Ingrid Gawen noch etwas Gutes tun, und für ihn kochen, doch Gawen hatte sie nicht mal in die Nähe ihrer Küche gelassen, und so hatte sie die Zeit damit verbracht mit Erik Karten zu spielen. Gawens 'Abendmahl' bestand aus drei Gängen. Er hatte sich richtig viel Mühe gegeben. Er hatte einen fantastischen Salat gemacht, eine unglaublich gute Pizza und dann hatte er auch noch Schokobrownies gebacken! Ingrid war fast nicht mehr aus dem Staunen rausgekommen, und war, sie musste es gestehen, traurig, als alles komplett aufgegessen war. "Wo hast du gelernt so zu kochen?", hatte Ingrid ihn gefragt, als er das Essen serviert hatte. "Ich hab mir das selbst beigebracht." Ingrid war so glücklich gewesen, denn schon seit einer Ewigkeit hatte niemand mehr für sie gekocht, und dann auch noch so gut! Sie hatte sich zusammenreißen müssen, nicht gleich wieder loszuheulen, was ihr zum Glück auch gelang. Aber leider war es Sonntag, und eigentlich hatte Ingrid noch einiges für die Schule zu tun, musste noch einige Klassentests korrigieren, eine noch vorbereiten und und und.....Um kurz vor acht abends wollten Gawen und Erik aufbrechen, naja Erik wollte es nicht wirklich. Er krallte sich an Spike fest, der wie angewurzelt sitzen blieb. Während Erik sich dann jedoch so ganz langsam von Spike verabschiedete, zog Ingrid Gawen noch kurz zur Seite, um mit ihm über Erik zu sprechen. "Also ich denke, es wird Zeit, dass er sich wieder unter Leute begibt. Ich denke, dass er morgen wieder in die Schule kommen sollte. Meiner Ansicht nach hat er übers Wochenende einen großen Fortschritt gemacht." Gawen schwieg, überlegte, und Ingrid kam sich mit der Zeit doof vor. "Wenn du dir dessen sicher bist, dann habe ich nichts dagegen." Ein strahlendes Lächeln zeigte sich auf Gawen's perfektem Gesicht, bei dem Ingrid fast dahingeschmolzen wäre. "Bist du fertig Erik?" Der kleine blonde Junge kam angerannt, und blieb, ebenfalls lachend, vor ihnen stehen. "Was hältst du davon, wenn du morgen mal wieder in die Schule gehen würdest?", erkundigte sich Gawen. "Ich werde ja auf jeden Fall da sein.", fügte Ingrid noch hinzu. Sie blickten in ein ausdrucksloses Gesicht, und Ingrid hoffte, dass sie sich in ihrer Annahme nicht geirrt hatte. Erik's Blick verriet, dass er gründlichst darüber nachdachte und dann auch Gott sei Dank zustimmte. Gawen war total froh, und nahm seinen kleinen Neffen ersteinmal fest in den Arm und formte mit seinen Lippen ein 'Dankeschön' für Ingrid.

An einem Montagmorgen aufzustehen, war für Ingrid mit eines der schlimmsten Dinge auf Erden, vor allem wenn man nur vier Stunden Schlaf bekommen hatte. Doch an diesem Morgen war sie ungewöhnlich gut drauf. Sie trank ganz in Ruhe ihren Kaffee, ging ne Runde mit ihrem Hund raus, und richtete sich anschließend. Nicht einmal die Tatsache, dass sie heute wieder ihrer wunderbaren Chefin begegnen würde, schreckte sie davor ab das Haus zu verlassen. "Guten Morgen, Ingrid." Erschrocken fuhr Ingrid herum. Sie hasste es, wenn sie erschreckt wurde. "Liam, bitte erschreck mich nicht!" Er hielt ihr die Eingangstür auf, und lächelte sie fröhlich an. Also ihre Laune war jetzt wieder im Keller. "Hattest du ein schönes Wochenende? Viel zu tun, was?" Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. Irgendwie fand Ingrid diesen Mann schon seit dem sie sich kannten merkwürdig, irgendetwas hatte er an sich, das ihr sehr missfiel. "Danke, ja es war ganz angenehm." Genervt blieb sie stehen. "Weist du, Liam, ich bin ein ganz schöner Morgenmuffel, ich bin morgens noch nicht so aufnahmefähig." Er blieb vor ihr stehen und schaute sie an. "Du kannst ja einfach mich reden lassen." >Erschießt mich bitte jemand<, dachte sich Ingrid. "Und ich muss dir sagen, dass du heute Morgen wieder richtig gut aussiehst." "Ja, danke.", sagte sie ausdruckslos. Gerade wollte sie loslaufen, als einige Schüler an ihr vorbei rannten, und ihr dabei ihre Mappe aus der Hand fiel, und auch das ganze Blätterwirrwarr. "Tolle Scheiße!",fluchte Ingrid. Liam bückte sich schon runter um ihr zu helfen, doch das wollte sie nicht, und wollte ihm das auch gerade sagen. Aber ein anderer kam ihr zu vor. "Lass das mal, das übernehme ich." Gawen's Hand legte sich auf Liam's Schulter, und im Gegensatz zu Liam, war sie froh Gawen zu sehen, doch als er erkannte, wen er vor sich stehen hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. "Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden," sagte Gawen und deutete Liam eine Fliege zu machen, der ohne ein weiteres Wort ging. "Ich danke dir Gawen." "Wieso?" "Na weil ich den Typen total gruselig finde, und gerade nicht wusste, wie ich ihn loswerden sollte." Gawen schmunzelte, und half ihr dabei, ihre Blätter wieder einzusammeln. "Wo ist Erik eigentlich?", wollte Ingrid wissen. "Der sitzt schon in seinem Klassenzimmer." "Wie geht's ihm? Ist er aufgeregt, oder hast du ihn vielleicht doch zwingen müssen hierher zu kommen.?" "Nein ganz im Gegenteil. Ich glaube sogar, dass er sich irgendwie gefreut hat." Das hörte Ingrid gern. Die Blätter hatten sie schnell wieder zusammen. Gerade als Ingrid etwas sagen wollte, hatte Gawen schon angefangen zu sprechen. "Also, ich fand es gestern Abend wirklich schön...." Ingrid nickte. "Und ich dachte mir, dass wir das vielleicht irgendwann in naher Zukunft wiederholen könnten?" "Liebend gern. Du kannst mit Erik immer gern bei mir vorbeischauen." Gawen verzog sein Gesicht, als würde es ihm schwerfallen zu sprechen. "Naja, weist du, ich dachte mehr daran, dass nur wir beide ausgehen könnten." Ingrid blieb die Sprache weg. Hatte sie das gerade richtig verstanden? Der Super-Hollywood-Star Gawen McKinley wollte zusammen mit ihr ausgehen? "Ähm, ja klar, gerne.", sagte Ingrid gelassen. Naja, sie persönlich nahm es als gelassen wahr. Auf einmal war eine enorme Spannung zwischen den beiden da, und Ingrid wusste das erste Mal in ihrem Leben nicht, was sie sagen sollte, also nahm sie das naheliegendste. "Ich ...ich muss dann mal zum Unterricht." "Geht klar, man sieht sich,"sagte Gawen noch, und Ingrid ging tapfer weiter ins Lehrerzimmer.

 

 

Gawen

 

 

 

Geht klar, man sieht sich, war das dümmste, was Gawen nur hätte sagen können, und er hatte es gesagt. Als er Ingrid gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, hatte er sich so verletzlich und klein wie noch nie in seinem Leben gefühlt. Er wusste nicht, was er sagen sollte, er war viel zu angespannt gewesen. Dabei hatte er sich den Morgen über schon die ganze Zeit Gedanken darüber gemacht, was er Ingrid hätte sagen können, aber er hatte es nicht geschafft. Heute morgen waren er und Erik schon extra früh zur Schule gefahre, da Gawen Ingrid noch erwischen wollte. Doch irgendwie schaffte Ingrid es, ihn alles vergessen zu lassen, nicht nur das, was er sagen wollte, sondern auch seine Trauer. Sie war so voller Freude, dass sie ihn damit schon ansteckte, wenn er nur an sie dachte......Fast wäre er tod umgefallen, als er in sein Wohnzimmer lief und sein Agent auf der Couch saß. "Hast du sie noch alle? Ich hätt gerade fast nen Herzinfarkt bekommen!" Robert stand auf und begrüßte ihn mit einer Umarmung. "Ach, jetzt hab dich nicht so, du Mädchen.", scherzte Robert. "Wie geht es dir?" Gawen hatte keine Ahnung, wie er darauf antworten sollte. Einerseits fühlte er immer noch einen tiefen Schmerz, der ihn des nachts Alpträume brachte, doch auf der anderen Seite, nun ja, da war Ingrid. Ingrid die es geschafft hatte, ihn schon nach kurzer Zeit wieder zum lächeln zu bringen, die ihm die Trauer zwar nicht nehmen konnte , es jedoch schaffte, dass er es aushalten konnte. Und doch hatte er ständig ein schlechtes Gewissen, denn er wollte sich nicht gut fühlen, nicht nach all dem was geschehen war. "Den Umständen entsprechend.", antwortete er deshalb nur. "Wirklich? Sicher dass es dir nicht richtig, richtig gut geht?" Gawen warf seinem Agenten einen skeptischen Blick zu. "Dann werd ich dir mal auf die Sprünge helfen." Robert zog etwas aus seiner Tasche, eine Zeitschrift, wie es aussah. "Aha.", war das einzige, was Gawen dazu einfiel. Doch als er das Titelbild sah, wusste er, worauf Robert hinauswollte. Das Bild zeigte Ingrid, Erik, Spike und ihn beim Spaziergang im Park, als er gerade seinen Arm um Ingrid's Schulter gelegt hatte. Zusätzlich befand sich in der unteren rechten Ecke noch ein Foto von ihm und Ingrid, die in einem Slayer Shirt zusammen mit Spike am gestrigen Morgen vor seiner Tür gestanden hatte. "Wie möchtest du mir das erklären?" Gawen musste sich zusammenreißen. Wenn er etwas wie die Pest hasste, dann waren es Paparazzi. Außerdem wollte er sich nicht schon wieder vor Robert rechtfertigen müssen, er war ja keine 20 Jahre mehr, seine wilden Zeiten waren vorbei. "Gar nicht.", antwortete Gawen, und konnte sehen, dass Robert sich furchtbar aufregte. "Hör mal, Gawen, ich......", begann Robert, jedoch fiel ihm Gawen ins Wort. "Nein, jetzt hörst du mir mal zu, Robert! Ich bin schon lange keine 20 mehr, ich feiere nicht mehr, bis der Notarzt kommt. Ich bin dir dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber das ist meine Sache." Es war ihm anzusehen, dass er genervt war, aber das interessierte Gawen nicht. "Bist du im Ernst den weiten Weg von LA hierher gekommen, nur um mich das zu fragen?" Er kannte Robert zu gut, um zu wissen, dass er bestimmt ein neues Filmangebot hatte. "Um ehrlich zu sein, nein. Ich habe eine neue Rolle für dich, natürlich als Protagonist. Das Drehbuch ist toll, ich hab's mitgebracht. Les es dir in Ruhe durch, und....." "Nein." Robert hatte ihm gerade das Drehbuch gereicht, und schaute ihn jetzt verwundert an. "Du hast es ja noch nicht mal gelesen." "Das muss ich nicht, um zu wissen, dass ich es nicht tun werde. Lass mich raten, es ist wieder ein Actionfilm, vielleicht wenn's hoch kommt ein Thriller, bei dem ich wieder stupide irgendeiner abgemagerten, unfähigen Kuh das Leben retten werde. Ist es nicht so?" Robert sagte nichts, saß einfach nur da, und wusste nicht, wie er auf Gawen reagieren sollte. "Na also, sag ich doch. Weist du, meine momentane Situation hat mich nachdenklich gemacht. Ich hab jetzt die Verantwortung für einen kleinen Jungen, Robert." "Aber, es gibt doch Nannys. Das kann nicht deine Sorge sein." "Ganz bestimmt werde ich Erik nicht einer fremden Frau anvertrauen." Jetzt musste er kurz überlegen, immerhin hatte sich Ingrid auch schon um Erik gekümmert, aber das war was anderes gewesen. "Außerdem ist es nicht nur das. Meine Arbeit hat mir in den letzten paar Jahren meine Zeit geraubt. Zeit , die ich mit meiner Familie hätte verbringen sollen. Jetzt kann ich das nicht mehr, und ich kann es auch nicht ungeschehen machen." Anscheinend hatte sich Robert wieder etwas beruhigt, denn er klang jetzt schon etwas verständnisvoller. "Was willst du damit sagen?" "Ich denke, ich werde mich für die nächste Zeit ein wenig aus dem Filmgeschäft zurückziehen, und mich auf das wesentlich konzentrieren." Nachdem Gawen das gesagt hatte, fühlte er sich gleich viel besser. "Weist du, Rob, ich bin mir gerade einfach nicht mehr so ganz im klaren darüber, was mir wichtig ist. Ich dachte immer, dass ich es wüsste, doch damit lag ich falsch." Robert schien seine Zweifel zu verstehen, immerhin versuchte er nicht, es ihm auszureden, womit er eigentlich gerechnet hatte. "Für den Moment möchte ich einfach eine kleine Pause einlegen, und ich möchte nicht, dass mein Privatleben weiterhin so in der Öffentlichkeit breitgetreten wird!" Schweigend nickte Robert, und jetzt tat es ihm fast schon wieder Leid, dass er das Angebot abgelehnt hatte. "Das musst du selbst entscheiden," sagte Robert. "aber ich denke, dass du dir vielleicht wirklich mal eine Auszeit gönnen solltest. In der letzten Zeit ist mir aufgefallen, dass du nicht mehr wirklich in deinen Rollen drin warst. Natürlich warst du gut, aber du hast dich nicht, wie die Jahre zuvor, mit deiner Rolle identifiziert, warst abwesend, weshalb auch immer. Für was auch immer du dich entscheidest, ich werde dich nicht davon abbringen." Genau deshalb hatte Gawen ihn damals angagiert. Von Anfang an hatte Robert nichts falsches an sich gehabt, was in einer Stadt wie LA nicht alltäglich war, er wahr ehrlich gewesen, mehr ein guter Freund als Agent. Ab und zu hatten sie Meinungs- verschiedenheiten gehabt, doch die waren nicht so tragisch gewesen, dass man zwei Stunden und ein paar Bier später nicht schon wieder freundschaftlich darüber hatte lachen können. "Danke Rob." "Und ich werde mich natürlich um die Presse kümmern, ihnen nicht mehr als nötig erzählen." "Nun da das geklärt ist, wie wär's mit 'nem Kaffee?" Robert lachte. "Da würde ich nicht nein sagen."Es war schön, mit Robert zu reden. Irgendwie hatte es ihm die letzten paar Wochen sehr gefehlt. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass Gawen ganz vergaß, dass er Erik ja versprochen hatte ihn nach der Schule abzuholen. In Eile zog er sich schnell Schuhe an und schrie noch ins Wohnzimmer: "Bin gleich wieder da." Aber er war noch nicht mal zur Tür raus, da rannte Erik schon wie von der Tarantel gestochen an ihm vorbei hinauf in sein Zimmer. Noch immer etwas verwirrt blickte er in die Richtung, aus der Erik gekommen war, und sah Ingrid dort stehen, woraufhin sich seine Mundwinkel automatisch nach oben zogen.  "Willst du reinkommen?", fragte er sie gut gelaunt. Ingrid hingegen wirkte nun etwas unsicher.

"Wie lief es?", erkundigte er sich.

Kapitel 6

Ingrid 

 

Den ganzen Tag hatte sie an nichts anderes als an  Gawens Worte denken können. Hatte er es wirklich ernst gemeint? Zweifel kamen in Ingrid hoch. Kein Mann, und noch dazu ein so gutaussehender, war jemals wirklich an ihr, der kleinen pummeligen Langweilerin ,interessiert gewesen. Weshalb auch? Sie fand sich ja selbst nicht toll. Nicht, dass sie Minderwertigkeitskomplexe hatte, nein, aber sie war noch nie besonders attraktiv gewesen, hatte sich aber niemals beschwert. Doch kaum kam ein Hollywoodstar hier angedackelt, stand ihre ganze Welt auf einmal  auf dem Kopf. Wahrscheinlich interpretierte sie in Gawens Worte  sowieso zuviel hinein, und die ganzen Gedanken, die sie sich machte, waren völlig umsonst. Den ganzen Tag über plagten sie diese Gedanken, so dass Ingrid sich kaum auf den Unterricht hatte konzentrieren können. Zum Glück hatte sie jedoch  montags nur fünf Stunden Unterricht. Gerade als Ingrid aus dem Schulgebäude trat, bemerkte sie den kleinen Erik, der auf der Steinmauer vor der Schule saß und wartete. Erik saß einfach nur da, und starrte vor sich ins Leere, beachtete nicht, was um ihn herum geschah. Das kam ihr so furchtbar bekannt vor...

Langsam steuerte Ingrid auf den Kleinen zu, und setzte sich dann ohne ein Wort neben ihn. Noch immer saß er, ohne die kleinste Regung zu zeigen, auf der Mauer. Ingrid hatte jedoch nichts gegen die Stille. “Wollte Gawen dich abholen?“, fragte sie dann nach einigen Minuten des Schweigens, woraufhin er sie mit traurigen Augen ansah, und dann nickte. Bevor sie weiter redete, holte sie einmal tief Luft. “Wie wäre es, wenn ich dich nach Hause fahre?“ Kaum hatte sie die letzten Worte ausgesprochen, war Erik schon aufgesprungen und hüpfte nun begeistert vor ihr auf und ab. Auch wenn Ingrid bei dem Gedanken, Gawen jetzt gleich zu sehen, flau im Magen wurde, so machte es sie doch glücklich, wenn sie Erik damit eine Freude machen konnte. “Na dann, komm schnell mit,“ forderte sie den kleinen auf.

Während der ganzen Fahrt über machte sie sich Gedanken, was sie denn nun eigentlich zu Gawen sagen wollte. Und auch als Erik und sie ausstiegen und auf das Haus zuliefen, hatte sie noch keinen Entschluss gefasst. Gerade als der Kleine die Treppen zur Haustür hinaufstürmte, wurde diese von Gawen geöffnet. 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich freue mich sehr, dass mittlerweile immer mehr Menschen diese Buch lesen. Ihr motiviert mich, dieses Buch hier weiterzuschreiben und hoffentlich auch bald fertigzustellen.

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