Fridolin gähnte. Er gähnte so genüsslich breit, dass sein Mausemund mit den kleinen, spitzen, weißen Zähnen fast bis zu seinen Fransenohren reichte und das bedeutet bei Fledermäusen: ziemlich breit! Er hörte den Hahn rufen. „Wie schön!“, dachte er, „Jetzt weiß ich, dass es Zeit wird, loszufliegen!“ Er flog nämlich immer dann los, wenn er den Hahn das erste Mal rufen hörte. Jetzt mag es dem einen oder anderen merkwürdig vorkommen, dass eine Fledermaus aufsteht, wenn der Hahn ruft. Fridolin schon. Bei Fridolin handelte es sich um eine ganz besondere Fledermaus, aber bei dem Hahn handelte es sich auch um einen ganz besonderen Hahn. Er hieß nämlich Konrad und war gar kein Hahn. Er war ein Mensch mit dem Nachnamen „Hahn“, Nachtwächter im Stadtpark und Fridolins allerbester Freund. Also, wie gesagt, Fridolin gähnte genüsslich, als der Hahn rief. Der Hahn rief: „Friidoliin! Friiidoliiin, hier kommt dein Frühstück!“. Wie eine Rakete schoss der Fledermäuserich aus seiner Schlaflampe und in die Richtung, aus der das Rufen kam. Wie der Blitz war er bei einer kleinen Parkbank angekommen, auf der ein älterer Herr mit Rucksack, Lampe und Spazierstock saß. Daneben stand ein Fingerhut. Ein Fingerhut voll Milch! Fridolin freute sich, sein kleiner Bauch begann zu gluckern und er dachte: „Wie schön, wie wunderbar, wie toll, ein Milchtopf und bis oben v..... oh, oh....!“ Vor lauter Vorfreude hatte er vergessen, mit den Flügeln zu schlagen. Mit einem ziemlich kläglichen Quiks landete er unsanft auf Herrn Hahns Salamibrot und kullerte jetzt zwischen Wurst, Butter und Brot auf dessen Jacke herum. Unter einer Salamischeibe hervor, die ihm quer über dem Ohr hing, lächelte er seinen großen Freund schuldbewusst an und seufzte: „Und die Moral von der Geschicht: Den Flügelschlag vergisst man nicht!“ „Ja, ja“, grummelte Konrad, leicht angesäuert. „Den Flügelschlag vergisst man nicht und zermatschte Brote isst man nicht!“ Dann sah er sich die kleine Fledermaus da vor seinen Augen genauer an. Irgendwie niedlich, ein wenig kläglich, leicht tollpatschig und im Augenblick: zum Brüllen komisch!! Mit Butter über und über beschmiert, Wurst auf dem Kopf, mitten auf einer Schwarzbrotscheibe stehend! Konrad Hahn fing an zu kichern. Dann wurde aus dem Kichern ein leises Lachen und dann hielt sich Herr Hahn vor Lachen den Bauch und bog sich und prustete und konnte sich gar nicht wieder einkriegen. Friedolin sah ihn an, setzte eine strenge Mine auf, verschränkte die Flügel und knickte schwer gekränkt ein Ohr.
Erst nach mindestens zwei Minuten lachen bemerkte es Herr Nachtwächter Hahn. „Oh, entschuldige mein kleiner, aber, du verstehst, es sah einfach zu urig aus, du da mit der Butter und....“ „Nein, ich verstehe gar nichts. Nicht ein winziges Bisschen! Ich breche mir hier fast sämtliche Flügel und dann sowas! Phh!“ Allerdings konnte auch Fridolin nun nicht mehr ernst bleiben. Die nächsten zehn Minuten lachten die beiden im Duett. Dann versuchten sie, sich langsam wieder zu beruhigen um wenigstens wieder Luft zu bekommen. Fridolin schlürfte den Fingerhut leer und Herr Hahn setzte sich gemütlich und still auf die Bank und sah verträumt in den Himmel. Plötzlich schoss Fridolin wie vom Blitz getroffen in die Luft, flatterte aufgeregt herum und kreischte: „Meine Lampe! Meine Lampe! Ich kann es ganz genau hören!“ Dann zischte er entschlossen davon und schrie empört: „Wenn jemand mich ärgern will, dann mach ich Radau!“. Herr Hahn war zunächst so irritiert, dass er gar nicht wusste, was er tun sollte. Aber dann nahm er kopfschüttelnd seinen Rucksack auf den Rücken, seinen Stock in die eine Hand, angelte mit der anderen nach der Lampe und steckte den Fingerhut in die Jackentasche. Bis hin zu Fridolins Schlaflampe musste er nicht lange laufen. Schon von weitem hörte er das ärgerliche Schimpfen zweier Männer. „He, du blödes Vieh!“ - „Mach, dass du wegkommst!“ - „Das gibt`s doch gar nicht!“- Als Konrad Hahn um die letzte Ecke bog, bot sich ihm ein seltsames Bild: Zwei Männer versuchten, in Fridolins Lampe eine neue Birne einzuschrauben und die kaputte Glasplatte zu erneuern! Der Fledermäuserich schlief schon eine ganze Weile in der alten, kaputten Parklaterne, die auf drei Seiten schmutzige, blinde Scheiben hatte und auf der vierten Seite keine mehr – dafür aber auch keine funktionierende Beleuchtung mehr. Sie stand in einem Winkel des Parks, in den ohnehin kaum je irgendwer kam. Lange dachten Fridolin und Konrad, dass die Laterne vergessen war und sie glaubten nicht daran, dass irgendwer jemals auf die Idee kommen würde die Lampe zu reparieren. Ausgerechnet heute aber wollten diese beiden Herren hier offenbar noch eben vor Feierabend genau dies tun. Damit wäre der geliebte Schlafplatz des Fledermäuserichs hinüber. Deshalb flatterte auch besagte, stinkwütende Fledermaus energisch und in enormem Tempo immer um die Köpfe der beiden Männer herum. Plötzlich begann einer der beiden sogar damit, mit seinem Werkzeug nach Fridolin zu schlagen. Erschrocken quietschend flatterte dieser ein Stück davon, bemerkte seinen Freund, nahm Kurs auf dessen linke Jackentasche und verschwand zitternd darin. „Meine Herren, dürfte ich als Nachtwächter vielleicht erfahren, was sie hier zu solch später Stunde noch zu arbeiten haben?“, fragte Herr Hahn. Seine linke Jackentasche bewegte sich. „Das sehen sie doch! Wir reparieren die Lampe! Dieses Vieh wurde schon lästig! Gut, dass sie gekommen sind, sie scheinen es vertrieben zu haben!“ Ein kleiner, dunkler Schatten fegte aus Konrad Hahns linker Tasche davon... Der Nachtwächter sah die beiden Herren von der Stadt tadelnd an. „Haben sie noch nie etwas von Tierschutz gehört? Was fällt ihnen ein, nach dem Tier zu schlagen? Wollen sie eine Anzeige wegen Tierquälerei? Und überhaupt, wissen sie nicht, dass diese Lampe... aus... artenschutzrechtlichen Gründen... in ihrem... augenblicklichen Zustand zu belassen ist??“ Die Arbeiter sahen sich verdattert an. „Wer sagt das?“, fragte der eine, ein langer, dünner mit kurzen, braunen Haaren. „Ich!“, antwortete Hahn. Ein dunkler Schatten flog auf den langen, dünnen zu. „Igittigitt! So eine gemeine Sauerei!“ Der Schatten flog davon. „Was haben sie?“, wollte Hahn wissen, aber bevor der Mann antworten konnte schoss wieder ein kleiner, dunkler Schatten heran und der zweite Arbeiter zuckte nun zusammen und verzog mürrisch das Gesicht.
„Komm, Hermann das ist mir hier entschieden zu blöde! Soll die dumme Lampe doch kaputt bleiben, mir reicht es!“, entschied der Lange und die beiden dampften missmutig ab. Fridolin aber landete völlig erschöpft auf der linken Nachtwächterschulter. „Fridolin! Was hast du jetzt schon wieder gemacht?“ „Ich? Ähm... ach, nichts Schlimmes. Aber danke für den Fingerhut!“ „Häh? Aber der war doch leer!“ Herr Hahn verstand nicht so recht. „Ja, zuerst war er leer, aber dann nicht mehr!“, schmunzelte Fridolin. „Der Stadtteich ist übrigens ziiiiemlich kalt, wusstest du das?“ Ach so! Jetzt ging dem alten Nachtwächter ein Licht auf! Er musste nun auch schmunzeln. Dieser kleine Frechdachs hatte den beiden armen Männern mit dem Fingerhut eiskaltes Teichwasser auf den Kopf geschüttet! „So, jetzt bin ich aber geschafft. Ich brauche jetzt ganz dringend eine Pause!“ Mit diesen Worten machte Fridolin es sich zufrieden auf Hahns Schulter breit, schlug die Flügel unter den Kopf und träumte in die Sterne, die inzwischen am Himmel zu sehen waren. Mit dem Fledermäuserich auf der Schulter begann Herr Hahn seine abendliche Runde, wobei er leise in sich hineinlachte, jedes Mal wenn er an die blöden Gesichter der beiden Männer zurückdachte. Am nächsten Abend brachte er sicherheitshalber aber doch ein Schild für Fridolins Lampe mit auf dem stand: „Lampe 8, hier wohnt Fridolin Flattermann. Bitte nicht wecken, Reparaturen bei Strafe verboten !!!“
S.L.H(Svante-Lucia Hauschildt)
Texte: Svante-Lucia Hauschildt
Bildmaterialien: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2016
Alle Rechte vorbehalten