Cover

Intro

 

OffShore – Die neue Welt der Energie

 

 

„Off-Shore dokumentiert die Arbeit einer drilling-crew auf einer Bohrinsel im nördlichen Eismeer. Off-Shore schildert einen Job an der Grenze des Erträglichen, an der Grenze zwischen Leben und Tod. Off-Shore ist eine Reportage über den tödlichen Kampf des Mannes nicht nur gegen extreme Naturgewalten, sondern vor allem gegen sich selbst... ein Bericht über die Suche nach dem Leben und nach dem Tod in einem.“

(Wolfgang Jeschke, Heyne Verlag)

 

© Michael Weisser 1984, 1984, 2017

Lektorat Heinrich Wimmer und Wolfgang Jeschke.

 

Erste deutsche Ausgabe als Hardcover im Corian Verlag Meitingen 1984, als Taschenbuch bei Heyne München 1984.

 

Neuauflage 2017 bei WPC.

 

Der Roman wurde gegenüber der Erstveröffentlichung geringfügig überarbeitet und die E-Book Version wurde ergänzt um einen autobiografischen Essay des Autors zum Thema „Wort“ und ein Interview der ARD-Journalistin Antje Hinz.

 

 

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„DieSee“ - 5:40

Rezitation: Tirzah Haase

Poesie/Produktion: Michael Weisser 2014

Prolog


– BLICKE treffen sich. Der Spiegel wirft ihm die Sicht seiner selbst zurück, zeigt ihm den Feind. Er weiß, was er will. Sein Ziel ist gesetzt, ist definiert, und er wird es erreichen, um jeden Preis. Jede Faser seines Körpers ist auf den einen, den einzigen Punkt konzentriert. Er spannt den Bogen bis zum Letzten, schöpft das Mögliche aus. Maximale Energie. Dann gibt er den Pfeil frei und schießt …



DIE ANKUNFT


Sie standen eng zusammen.

Dicht gedrängt warteten sie im Eiswind aus Nord-Nordost, der sich frontal und erbarmungslos in den freigebliebenen Teil ihrer Gesichter schnitt.

Erst vor wenigen Minuten hatten sie sich auf dem offenen Deck versammelt, waren aus der Wärme der unten gelegenen Räume in die scharfen Böen emporgestiegen, um die brennende Erwartung in ihren Körpern und Gedanken endlich zu befriedigen.

Keiner von ihnen wollte den Moment versäumen. Keiner wollte sich diesen Augenblick entgehen lassen, in dem die endlose, aufgekratzte See jenen dunklen Punkt aus ihren eintönig wühlenden Bewegungen und ihrer gleichmäßig verteilten blau-grau-weißen Musterung freigeben würde.

Die eisige Wand aus Nord-Nordost presste die Männer gegeneinander.

55 Augenpaare starrten in die gleiche Richtung. Die Blicke waren ein einziger Blick und die Erwartungen waren eine einzige Erwartung. Keiner sprach mit dem anderen, denn die Übereinkunft, die sie mit dem Antritt dieser langen Fahrt getroffen hatten, bedurfte keiner Worte.

Ihre flauschigen, fasergefüllten Sturmjacken trotzten den Schneiden der Windböen. Stoff rieb an Stoff und der kondensierte Atem wurde von der trockenen Luft aus den Kehlen gerissen.

Von der Höhe des Steuerhauses aus war der Übergang zwischen den blaugrau vermummten Männern und dem umliegenden Meer fließend; es wirkte, als wären sie von diesem Meer aufgenommen worden, als hätten sie sich eingefügt in das Spiel der Kräfte, als wären sie aufgegangen in der Unberechenbarkeit kleinster Strudel und Gischtkämme, deren Chaos sich zunehmend verdichtete, schließlich nahtlos überging in die Krümmung des fernen Horizonts und auslief zu einem einzigen unbeweglichen Muster, geschaffen von einer einzigen, gewaltigen Kraft.

Jeder der Männer wusste, dass die anderen dasselbe wollten. Diese Gemeinsamkeit ihres Ziels und ihres Handelns schmolz sie zusammen. Ihre Gedanken schlingerten mit dem Gang der Wellen, drehten sich mit den Strudeln des Wassers, drehten sich mit dem, was sie wollten, um den gleichen Punkt:

Sie wollten die Sieger sein.

Sie hatten zwei Ansprüche, die unlösbar miteinander verschmolzen waren:

Sie wollten Ruhm und Geld!

Sie wollten Geld und Ruhm!

Die Gruppe von 55 gierigen Männern war auf dem Weg zu ihrem Ziel und 3020 miles entfernt von dem zerklüfteten und öden Küstenstreifen des Westblocks und rund 2283 miles entfernt von den ölverpesteten Stränden des Ostblocks.

Sie waren inmitten der See, die nach Norden übergeht in die Endlosigkeit der Wassermassen, die schließlich den Pol mit einer Eiskappe überziehen.

Sie kamen mit einer Reisegeschwindigkeit von etwa 11 Knoten. Es war ein Rudel Wölfe, das sich auf dem Vorderdeck zusammengerottet hatte, und jedes Augenpaar war von jenem matten, grauen Glanz erfüllt, in dem sich die Hoffnung auf Beute spiegelte. Sie ahnten, was sie erwarten würde, doch wissen konnte es keiner.

Gemeinsam war diesen Männern das Ziel, das sie verfolgten, der Zeitpunkt, zu dem sie zusammengekommen waren, und der Ort, an dem sie sich getroffen hatten.

Gemeinsam würden sie unter extremen Bedingungen in einer extremen Situation leben müssen, in der sie gezwungen waren zusammenzuhalten, um bei den unmenschlichen Bedingungen überleben zu können. Nur gemeinsam und unter den unbarmherzigen Befehlen eines kompromisslosen Anführers würden sie auf dem Turm der rig, auf den drei Arbeitsplattformen und im eiskalten, aufgewühlten Wasser der See ihren job erfüllen können und fähig sein, ihr Ziel zu erreichen.

Sie waren vollzählig.

Dicht gedrängt standen die Männer der operational-crew auf der PH-5-beschichteten Kunststofffläche des Vordecks, blickten gebannt über das Ankergeschirr und ertrugen regungslos die glühenden Spritzer der Bugwellen, die über die Back des OFF-SHORE-V-Schiffes schlugen.

Keiner von ihnen wich vor den Luftklingen und den salzig brennenden Schweißtropfen zurück, die in die Haut der Gesichter eindrangen, denn keiner wollte den Moment versäumen, in dem der undefinierbar dunkle Fleck dem Scheitelpunkt des Horizonts entstieg, sich den Blicken stellte, unter ihnen zur Form wurde und schließlich seine Funktion und seine Bedeutung offenlegte. Das Rudel auf der stählernen Plattform des V-Schiffes tanzte bewegungslos den Tanz der Wellen.

Plötzlich war sie da.

Es hatte nicht den erwarteten Übergang gegeben von winzig zu klein und von klein zu größer werdend. Plötzlich war sie da, nicht im Scheitelpunkt des Horizonts wie erwartet, sondern luvseits im Winkel von etwa 45 Grad zur Bugspitze. Sie war da und vereinigte alle Blicke auf sich.

Die rig.

Sie ragte heraus wie die Spitze des Pfeils, wie die Spitze, die gespiegelt wurde von einer totalen Reflexion. Sie ragte heraus wie ein Stachel mit zwei Dornen, der die Oberfläche durchdrang und sich zugleich tief in den Boden bohrte wie ein Stachel, der fest im Fleisch des Meeres saß.

Die rig wurde gehalten von den statischen Prinzipien ihrer Konstruktion. Sie war eingebettet in das Salzwasser des Ozeans, bohrte ihre unermüdliche Nadel in den rund 400 yards tief unter ihr liegenden Grund, um nach weiteren 3000, 5000 oder 7000 yards den drilling-bit hineinzustoßen in das schwarze Ziel.

Erst dieser Moment würde die Gier erfüllen. Nach diesem Augenblick, in dem ein Donner durch die string rollte, hungerten die 55 Männer der 3-Schichten-crew, die auf dem Weg waren, um ihren mörderischen job auf dem Bohrturm zu erfüllen. Das Öl war die Beute und sie waren die Jäger!

Endlich gewann das filigrane Gerüst der rig an Kontur. Vereinzelte Dunstschlieren klebten noch in den Winkeln der LEG-Stahl-Profile, hielten sich fest mit der Zähigkeit eines Extremklebers, verklammerten sich, indem sie ihre Umrisse spreizten, pressten sich gegen die scharfen Kanten und Grate, verbissen sich im Metall und trotzten dem gleichbleibend hartnäckigen Druck des Windes. 250 feet hoch ragte das Gerüst auf der Plattform empor und unten rollte die salzige See, warf sich gegen die feinverzweigten Verstrebungen der air-gap, leckte über die dick aufgespritzte Schutzschicht, mit der die Metallkonstruktion überzogen war, und rann über den bernsteinfarbenen Kathodenschutz wieder hinab in den Schoß, dem sie entstiegen war.

Die 45000 tons schwere Insel aus legierten Metallen und Hochleistungsplastik verfügte über genügend Energie, Ersatzteile und Nahrungsreserven, um mit vollständiger Besatzung über Monate hinweg von jeglicher Kontinentalversorgung unabhängig zu sein. Der künstliche Koloss trotzte den Wassermassen ebenso wie den Orkanböen der polaren Stürme. Dieser Koloss war geschaffen für die extreme Belastung, die eine extreme Aufgabe von ihm forderte … von ihm und von der crew.

Die 55 Männer auf der Bugplattform des OFF-SHORE-V-Schiffes hatten sich der Reling genähert, ohne die geballte Formation ihrer Gruppe aufzulösen. Das Rudel blieb geschlossen und weder Wind noch Wasser noch die Bewegung der Wellen waren imstande, diesen Block aus Männern zu irritieren.

Sie kamen aus allen Ländern und vereinigten die unterschiedlichsten Rassen und Kulturen. Sie waren im Alter zwischen 25 und 45 Jahren. Man hatte sie angeworben aus den entferntesten Winkeln der Welt, wo sie in speziellen Bohrjobs beschäftigt waren. Sie hatten alle die Sendung der OFF-SHORE-exploration-company gesehen. Viermal verteilt über 24 Stunden wurde die Suchmeldung über den Hauptkanal ausgestrahlt. Die 55 Sekunden OFF-OC-Ansprache hatte alle Abenteurer miteinander verbunden. Die spitzen Ohren der Wölfe stellten sich hoch und lauschten. Sie hatten Witterung aufgenommen und das Blut der Beute gerochen, die man ihnen vorwarf. Sie waren über den Globus verteilt, die Männer im Bohrjob. Sie hörten und sahen den TV-Spot, wo immer sie waren: ob im Packeis der Arktis, in den Dünen der Wüsten, auf den brennenden Flächen der Salzseen oder den einsamen Gas- und Ölförderinseln, die wie Stecknadeln aus den Ozeanen ragten. Alle wussten, worum es ging, doch nur wenige kamen für diesen speziellen job in Frage.

Das V-Schiff hatte sich zögernd an die Stahlinsel herangeschoben, war dem aufragenden Gerüst des Bohrturms näher gekommen und langsam verschoben sich die Proportionen. Der winzige Fleck in der See, der zu schlingern schien im Rhythmus der Wogen, der ein Wellenkamm hätte sein können oder Treibgut oder das ausgebrannte Wrack eines Kümos, je nach der Nähe des Betrachters, dieser dunkle Punkt auf der graublauen Oberfläche der See gab mit jedem yard der Annäherung mehr seine wirkliche Identität und Größe preis.

Man hatte sie ausgewählt aus der Vielzahl der Bewerber. Jeden einzelnen hatte man ausgewählt und in seinen Kenntnissen und Fähigkeiten eingepasst in das Team der Schichten A, B oder C. Ihre Personenakten waren die Grundlage der Entscheidung. Jeder Erfolg und jeder Misserfolg war verzeichnet. Die OFF-OC suchte die besten Männer für ihre beste crew.

Die rig wuchs zum Giganten und der vierbeinige Stahlmast mit den beiden Plattformen und den Turmrollen in seiner Spitze war plötzlich nicht mehr das einzige, bestimmende Teil der künstlichen Insel. Erst jetzt, in ihrer unmittelbaren Nähe, gab die rig dem Betrachter ihr wirkliches Aussehen preis, das sie schamhaft in den Falten der Wellen verborgen gehalten hatte wie eine Frau ihre Weiblichkeit.

Die Männer standen noch immer bewegungslos im Block ihrer Truppe. Fasziniert starrten sie hinüber auf das Raster von Hohlsäulen, auf den kompakten Quader der drei Decks und den Turmaufbau, dessen Spitze hoch in die Luft stach. Endlich lag sie vor ihnen: offen, einseitig, ohne den Mantel der Wellen und den Schutz der Entfernung. Jeder konnte die nackte Schönheit bewundern, sie schien willig zu sein und die Erregung der Männer zu genießen. Sie schien sich wohlig unter den suchenden Blicken zu räkeln, die sie betasteten, über ihre Rundungen streiften und mehr wollten.

Die 3-Schichten-crew spürte die zunehmende Vibration unter den Füßen. Die Deckplatten bebten. Das V-Schiff drehte gegen den Wind, aber die Blicke blieben haften an der Insel. Ohne Ausnahme verharrten die Fantasien der Männer in der geheimnisvoll anmutenden Konstruktion des Unterbaus. Würde die elastische Verspannung dem gewaltigen Druck der Wassermassen trotzen?

Das Leben der crew hing von den Vorarbeiten der Konstrukteure ab und das Leben der Konstrukteure hing wiederum von der Arbeit derer ab, die für Werkzeuge und Bauteile verantwortlich waren. In diesem job hing jeder von jedem ab!

Nur der Wind machte den Eindruck, unabhängig zu sein, die letzte Freiheit zu bewahren und lediglich seinen eigenen, unberechenbaren Stimmungen zu folgen. Der Wind, dem es gelingt, das Chaos seiner einzelnen Strudel zusammenzufassen, sie zu einer einzigen Kraft zu bündeln, ihnen eine einzige Richtung zu geben, konzentrierte sich auf sein einziges Ziel: Er peitscht die See!

Das Leben der crew, ihr Erfolg und der Erfolg der Nation im bevorstehenden Wettlauf um Zeit, Kraft und Können waren unlösbar verbunden mit der Präzision der Technik und jener unkalkulierbaren Spur von Glück, auf das jeder irgendwie hoffte, ohne es jemals zu benennen.

Das Rudel gieriger Wölfe war angekommen. Ohne sich der Geste bewusst zu sein, kniffen einige von ihnen die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, lächelten still vor sich hin und ihr Lächeln glich dem Fletschen von Reißzähnen. Das Revier lag vor ihnen, in greifbarer Nähe, und in wenigen Stunden würde die Jagd freigegeben sein.

Das OFF-SHORE-V-Schiff schob seinen Bug in die anrollenden Wellen und der Steuermann fixierte diese Lage über das Selbststeuerungssystem. Die Umdrehungszahl und die Stellung der beiden Schiffsschrauben wurden von diesem Augenblick an automatisch geregelt. Die kybernetische Elektronik, die in die mechanischen Regelwerke eingriff, erhielt ihre Signale von dem Satelliten der international-drill-corporation, der Hunderte von Anlegern, von Bohrtürmen und schwimmenden Inseln mit seinem Richtstrahl auf den eingestellten Standort fixierte. Es gab keine Stelle auf dem Globus, die nicht aus dem Orbit heraus angepeilt werden konnte. Die SPS-Steuerung hielt das Versorgungsschiff trotz des Windes und der Bewegung der Wellen in seiner Lage, etwa zwanzig Meter entfernt vom südlichen Pfeiler Nr. 6.

Der Hauptkran schwenkte aus und schob seinen stählernen Arm über die Kante der Plattform. Langsam senkte sich der Haken, bis er das Achterdeck des Versorgungsschiffes fast berührte. Die Ladeluken wurden mit einer Serie von kurzen, grellen Schlägen entriegelt, als würden Stahlbolzen mit voller Wucht gegen die Deckplatte geschossen. Dann glitt das ganze Horizontalschott unter dem Druck der Hydraulik auseinander und gab den Weg frei in den dunklen Schlund des Frachtraumes.

Während die Männer geduldig auf der Bugplattform stehen blieben und warteten, hievte der Kran unermüdlich Container um Container aus dem Schiffsbauch in die Höhe, holte die massigen Quader über den Rand der Plattform ein und entzog sie den aufmerksamen Blicken. Nahezu zwanzig Minuten dauerte das Löschen des OFF-SHORE-V-Schiffes. Es waren Bauelemente, Ersatzteile, Werkzeuge, Wasser, Nahrung, Wasserstoffflaschen und Sauerstofftanks; alles war verstaut in genormten Leichtstoffbehältern, die auf dem Depot-Deck horizontal gelagert wurden.

Eine Pause trat ein.

Die Männer senkten ihre Blicke vom scharfgratigen Rand des Oberdecks. Die Aufmerksamkeit schwand. Die Konzentration verlor sich. Einige sahen in die aufsteigenden Wellen, in die dichte Verrohrung der air-gap oder in die graue Eintönigkeit des aufgespannten Himmels. Einige suchten die Linie zwischen Wasser und Luft, starrten nach unten, betrachteten regungslos die Plattform, auf der sie standen, suchten die mächtigen Aufbauten nach Erinnerungen ab oder folgten dem weißeloxierten Band der Reling. Alle wussten, dass der Augenblick sie jeden Moment erreichen würde.

Bewegung kam in die crew. Die strenge Formation franste an den Rändern aus, das Rudel war im Begriff, sich zu zerstreuen, und für die Dauer eines Moments wurde der einzelne wenigstens optisch freigegeben aus der festen Klammer des selbstgewählten Gruppenblocks.

Einige Männer schlenderten an der Reling entlang, zögerten, als hätten sie im Grunde kein rechtes Ziel, gingen dann weiter, passierten den Aufzug zur Brücke, passierten den rot gefassten Eingang zu den Mannschaftskojen und das Luk zum Maschinenraum, gingen weiter über den schmalen Backbordgang zwischen den Aufbauten und dem weißen Geländer, bis sie in der Passage zum Achterdeck standen. Andere waren ihnen gefolgt, erst stockend, dann zügig. Sie wussten, was sie erwartete. Sie kannten diesen Moment des bevorstehenden Transfers, der jedes Zurück unmöglich machte, der die letzte Unterschrift setzte unter den riskanten Vertrag, der ihren Verbleib endgültig, unwiderruflich besiegelte.

Ihre Blicke zupften an dem dünnen schwarzen Strich, der aufrecht vor ihnen stand, dessen unteres Ende von der Dunkelheit des Laderaums verschluckt wurde. Diese kaum sichtbare Linie fesselte die Aufmerksamkeit. Dann hörten sie den scharfen Klang der Winde. Das Seil aus gedrillten Fasern spannte sich, ruckte an, zitterte. Die Gruppe war wieder vollständig. Das Rudel war erfasst vom Fieber der Erwartung. Die graublauen Sturmjacken drängten sich aneinander. Von der Spitze des main-derrick, die über die Plattform hinausragte, sahen sie aus wie eine einzige lautlos verharrende Woge, die ihre Masse und ihre Kraft weder durch den Kamm verrät, der sie krönt, noch durch die Schnelligkeit anzeigt, mit der sie dahin rollt.

Ihre Blicke waren um das Zugseil geknotet, das die Spitze des main-derrick mit dem Laderaum des V-Schiffes bedeutungsvoll verband.

Dann tauchte aus dem schwarzen Rechteck der Luke die spitz zulaufende Rohrkonstruktion auf: der Käfig.

Als der Käfig in seiner vollen Höhe von 7 feet an Deck war, schwang er zur Seite und setzte hart auf den Planken auf. Ein Raunen ging durch die crew, dann brüllte der Außenlautsprecher auf.

»Alles fertigmachen für den trip nach SUCCESS 13 … alles fertigmachen … cage öffnen …«

Ein Mann aus der vordersten Reihe trat vor, schob eine Lasche am Transportbehälter zur Seite und ließ die Tür aufspringen. Der Käfig war bereit. Er bot der Meute genügend Platz und die Männer nahmen das Angebot der offenstehenden Tür an.

Ohne Hast, aber auch ohne Zögern betrat einer nach dem anderen den Förderkorb, dessen senkrechte Rohre und horizontal umgelegte Bänder eine maximal mögliche Stabilität garantierten. Der luftige Container füllte sich. Zwischen den Stangen suchten Augenpaare nach einer Aussicht und drängten einen letzten Blick hindurch über das Heck des V-Schiffes. Sie würden es für Wochen, vielleicht sogar für Monate nicht Wiedersehen. Dann jaulte die Winde auf und eine kompromisslose Kraft riss den Käfig entschlossen empor.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die 55 Männer im cage schwebten über die Reling, über die offene See und wurden unermüdlich emporgezogen auf die stählerne rig, die in der nächsten Zeit, bis auf weiteres, der einzige sichere Platz sein würde im eisigen, bewegten Wasser dieser nördlichen Region.

Die Faszination der 55 Männer im aufsteigenden Käfig galt der rig, ihrem neuen Zuhause, dem Ort aller Hoffnungen auf Erfolg, dem Ort aller Ängste zu versagen.

Die Stirnkante des Käfigs schob sich in unaufhaltsamer Neugierde über die horizontale Markierung der Wasserstandsmesser am südlichen Eckpfeiler der rig. 55 Blicke glitten weit hinein in die dichten Verstrebungen der air-gap, wogten mit den Wellen über die statischen Elemente der Konstruktion, umspülten den silbern schimmernden riser, der einsam in der Gischt verschwand.

Die Blicke trafen auf ausladende Sensoren, die immer bereit waren, die schwankenden Verhältnisse von Konstruktion, Wind, Wasser und Temperatur zu messen, das Spiel der unterschiedlichen Kräfte zu beobachten und die Daten als Informationsketten abzuleiten in die Kabelstränge, deren Enden im Zentralcomputer des Kontrollzentrums zusammenliefen. Von der Funktionstüchtigkeit dieser empfindlichen Fühler hing Leben ab, denn sie registrierten jede kleinste Veränderung des komplizierten Stahlgebildes, das im Mantel eines aufgespritzten Kathodenschutzharzes den aggressiven, physikalischen, chemischen und elektrischen Kräften der Erosion ausgesetzt war.

Der Käfig hatte die Markierung des C-Decks erreicht und glitt unermüdlich weiter empor an der matten Außenwand der Bohrinsel. Die Winde verlangsamte ihr Tempo und der Drehkran holte den luftigen Transportbehälter ein.

Sie hatten das B-Deck erreicht.

Die Winde stoppte, der Korb schwang nach außen, obwohl sich keiner der Männer rührte, dann schwang er zurück, glitt nach innen, verharrte für Sekunden wenige inches über der Plattform. Die Winde ließ nach.

Unsanft schlug der Bodenrahmen des Käfigs auf das B-Deck auf.

Sie waren angekommen.

Vor ihnen lag eine Ebene, die vollständig vom rutschfesten Noppenbelag bedeckt war. Um die 36 mal 36 feet große Fläche zog sich als Begrenzung zum steil abfallenden Rand der rig ein schwarzes, etwa brusthohes Rhombengitter, das im Abstand von 6 feet durch bodenverschweißte Pfosten stabilisiert wurde.

Die Meute verließ ihren Käfig. Einer nach dem anderen schob sich durch den engen Stahlrohrrahmen und setzte den ersten Schritt auf den rostroten Boden dieser künstlichen Welt.

Sie blieben dicht beieinander. Ihre Blicke sprangen vom Boden hoch über die beiden aufstrebenden Wände und wieder hinunter, über die Reling hinaus in die See und wieder zurück auf den gleichmäßig genoppten Boden, auf den rechten Winkel der beiden 10 feet hohen Wände des Aufbaus … Die Blicke blieben haften am schwarzen Grat, den die Plattform gegen den Himmel zog.

Es war die Außenkante des A-Decks, die 155 feet hoch über dem unschlüssig vor sich hinschlingernden Wasser lag, die sich hineinschnitt in den hellgrauen Himmel.

»Sammeln! Aufstellung nehmen! Formation in Dreierreihe: Management, Bohrschichten, Technische Dienste!«

Die Anordnung kam unvermittelt vom Rand der Aufbauten; doch neugierige Augen suchten die 10 feet hohe Fläche vergeblich nach einer menschlichen Person ab. Verborgene Lautsprecher hinter Sicht- und Schutzblenden leiteten die knappen Befehle einer mechanischen Stimme vom Kommandostand der rig aus zum Sammeldeck.

»Käfig schließen!«

Die Stimme bellte aus dem rechten Winkel der Aufbauten hinunter. Der Inhalt der Worte blieb haften. Einer der Männer reagierte sofort und warf das Gitter in den Rahmen zurück. Mit einem hellen Ton verriegelte sich das Schloss. Im gleichen Moment zog das Seil an und hievte den käfigartigen Transportbehälter empor, der Arm des main-derrick schwenkte zur Seite, die Winde kreischte auf, der Container senkte sich zurück und glitt auf das V-Schiff hinunter.

Die Männer hatten sich aufgestellt wie befohlen. Die erste Reihe wurde gebildet vom dreiköpfigen Management und dem Doktor, die zweite Reihe erfasste 33 Männer der Bohrschichten A bis C, und die dritte Reihe erfasste 12 Männer der Technischen Dienste und 6 Taucher.

Die Bohrspezialisten waren vollständig anwesend. Einer sah aus wie der andere.

Sie unterschieden sich weder durch ihre Bekleidung noch durch die Gesichter, von denen lediglich ein kleiner Ausschnitt zu sehen war. Sie standen unbeweglich, bis sie ein neuer Befehl erreichte.

»Rechts kehrt! Im Gleichschritt geht! Reihe 1 … Reihe 2 … Reihe 3 …!«

Der erste Mann hatte seine Anweisungen vorab erhalten. Er kannte den Weg. Die Stufenroste dröhnten unter den schweren Schritten der Stiefel. Die Leiter führte an der Südwestseite des Aussichtsdecks nach oben. 10 feet Höhenunterschied mussten auf einer Strecke von nur 6 feet überwunden werden. Die Stahlroste folgten dicht aufeinander. Das Geländer zitterte unter dem Druck der Hände. Links lag das Meer. Geradeaus waren die klobigen Schnürstiefel des Vordermannes. Es ging hoch. Schritt um Schritt. Mann um Mann.

Sie sahen über den Rand des Arbeitsdecks. Auch hier waren Kunststoffplatten verklebt, die die Ebene nachträglich rutschfest machten, und auch hier war der Boden von einem rostroten Farbton überzogen. Vereinzelte Pfützen hatten sich trotz des Neigungswinkels der Plattform zwischen den Noppen halten können. Es musste vor kurzem geregnet haben.

Etwa 15 feet neben der abfallenden Wand zur Aussichtsplattform erhob sich der main-derrick, dessen Schwenkbereich die südliche und östliche Ecke abdeckte und bis zur Arbeitsplattform des Bohrturms reichte.

Der Turm lag am Nordostrand der Bohrinsel. Seine zart anmutenden Verstrebungen bildeten ein aufragendes Ornament, das 250 feet in die Höhe stand, sich nach oben hin verjüngte und schließlich überging in die regungslose spitze Nadel des Blitzableiters, der im Fleisch des Himmels steckte.

Der Bohrturm war das Herz der Insel.

Von hier aus würde man in der Frühe des kommenden Tages auf das Startsignal hin die Bohrung abteufen. Man würde den Meißel mit dem Bohrgestänge durch den riser bis auf den Grund des Meeres fahren und dann eintauchen in die Erdoberfläche, um geradewegs vorzudringen in die mittleren Schichten des Paläozoikums, in das Altertum der Erde, in Formationen aus einer Hundertmillionenjahre-Vergangenheit, Silur, Devon, Karbon, Perm …

Um den Bohrturm lag eine Aura. Mit dem rotary-table drehte sich das Glücksrad und das Loch in diesem Bohrtisch war die Öffnung zu Himmel und Hölle in einem.

Die Männer schritten über die Ebene des obersten Decks. In der nördlichen Ecke der Insel glitzerten die feuchten Rundungen der Bohrstangen. Rund 700 solcher 29 feet langen strings waren exakt am Nordwestrand aufeinandergeschichtet. Das Lager bedeckte die gesamte Randfläche bis hin zum Helikopter-Deck, dessen kreisrunder Landeplatz weit über die Westecke vorragte.

Aus der Mitte des Rohrlagers erhob sich der string-derrick, mit dem die einzelnen Rohre aufgenommen, in den Bohrturm eingeführt und dort zwischen Mitnehmerstange und Spülkopf eingesetzt werden.

Auf dem chopper-deck stand eine schwere Helikopter-Maschine. Die Rotoren hingen entspannt herunter. Der runde Landeplatz wurde halb verdeckt von einem kastenförmigen Aufbau, der in der Mitte des Südwestrandes lag und von einem Parabolspiegel gekrönt wurde.

Die Männer schritten geradewegs auf den Kontrollraum zu. Bevor sie durch die äußere Schwingtür in die Schleuse traten und endgültig im Inneren der Stahlinsel verschwanden, neigten einige von ihnen den Kopf leeseits und warfen einen letzten, flüchtigen Blick über die Reling auf das OFF-SHORE-V-Schiff, das bereits auf dem Weg zur Basis war.

Dann schlug ihnen der Geruch von angewärmtem Gummi, heißem Maschinenschmierstoff, Desinfektionsmitteln und Folienessen entgegen. Sie standen im Warteraum und hatten nicht einmal die Zeit, sich zu fragen, wie es jetzt weitergehen würde, als die Lautsprecherstimme sie wiederum erreichte.

»Dreireihenformation annehmen! Die OFF-SHORE-manager vortreten! Achtung …!«

Augenblicklich stellten sich die Männer gemäß ihrer job-Einteilung auf.

Ruhe trat ein. Sie warteten.

»Windjacken ablegen!«

Sie lösten die schweren Kapuzen, zogen die Verschlüsse in der verdeckten Leiste herunter und streiften die Windjacken ab. Am Revers hielten sie den Stoff in der rechten Hand. Ihre Overalls trugen unterschiedliche Farben, auf den Brusttaschen waren ihre Identitätskarten aufgedruckt, an den Oberarmen rechts trugen kleine Stoffstreifen die Bezeichnung ihres jobs.

»Achtung!«

Von irgendeiner Stelle aus dem Raum schrillte die Stimme herab und verschaffte sich Gehör.

»Position einnehmen!«

Die Männer schlugen die Hacken zusammen, streckten die Oberkörper durch. Die Hände lagen an den Oberschenkeln, rechts hielten sie ihre Windjacken, die Blicke waren auf die Doppeltür an der Breitseite gerichtet. Sie warteten. Dann schwangen die Flügel auseinander.

In Zweierreihe kamen sie herein. Sechs Mann Basispersonal und drei Helikopterpiloten. Sie nahmen Aufstellung an der freien Seite und bildeten mit der eingetroffenen crew zusammen ein Spalier.

Einer fehlte.

64 Männer warteten.

Eine Reihe stand zur linken und drei Reihen standen zur rechten Seite. Vorne waren die drei badge-of-rank-manager, der doc, die diver-frogs, dahinter die drilling-crew, dahinter die engineer Ing-crew. Zur linken Seite standen die base-men und die chopper-pilots.

Jede Position war exakt definiert.

Jede Kompetenz war genauestens beschrieben.

Einer fehlte!

»Achtung! Haltung einnehmen! Konzentration!«

Die Stimme schrillte von der Decke des Versammlungsraumes hinab. Dann klappte die Tür.

Bevor sie den Mann bemerkten, sahen sie die Uniform. Das Licht war geschickt platziert. Die installation-troops hatten die Strahler so eingestellt, dass ihre weichfokussierte Helligkeit die goldbedampfte Fläche in einen gleißenden Schein tauchte.

Der rig-superintendent.

Der boss-In-Charge.

Der I/C

Er war der Wolf der Wölfe, der Anführer des Rudels, der Stärkste unter den Starken.

Er war der Beauftragte, der national-bureau-of-watching-oil-explorations, die einzige Autorität auf dieser Bohrinsel im OFF-SHORE-Gebiet zwischen den Kontinentalblöcken.

Er war die letzte Instanz in allen Fragen.

Er vertrat das Recht, das in seinen bisherigen Erfolgen begründet lag.

Er war das Recht auf der rig.

Der boss-In-Charge zögerte nicht, er wartete absichtlich, denn er kannte die Wirkung, die er in seinem goldbedampften Overall auf die Männer ausübte.

Sie waren fasziniert, gebannt, wie versteinert.

Sie rochen, schmeckten, fühlten, hörten und sahen den Mythos vom I/C der OFF-SHORE-exploration-company.

Jetzt war er ihr boss.

Jeder einzelne von ihnen hatte von den Leistungen und Erfolgen dieses Mannes gehört.

Seine Erfahrung galt als Eintrittskarte für den Erfolg. Er garantierte den Erfolg, doch er hatte den Ruf, der Härteste zu sein, der Zäheste, der Unerbittlichste.

Sie ahnten, dass er sie peitschen würde.

Sie fühlten, dass ihr Blut fließen würde.

Sie wussten, dass sie jetzt keine Wahl mehr hatten.

Sie hofften auf den Rausch des Sieges.

In der Flut des hochschießenden Öls würden sie die Wunden kühlen, die Demütigungen abwaschen, den Hass ertränken. Das war er – ihr boss.

Der I/C ging auf die Männer zu.

Vor dem Gang, der zwischen den Reihen der Ankömmlinge und der rig-Besatzung gebildet wurde, blieb er stehen, drehte sich um, sah in das Spalier.

Dann schritt er die Reihen ab.

Zuerst das management in der Abfolge der Rangzeichen. Der control-manager, dann der installation-manager, dann der data-manager. Ihre silbernen Overalls fielen gegen sein gleißendes Metallgelb stumpf aus. Der doc schloss sich an. Sein weißer Kittel schien, wie eine neutrale Instanz zwischen Gold und Silber zu vermitteln. Der I/C blieb stehen, drehte sich, schwenkte in die zweite lange Reihe ein, vorbei am Blau der Taucher, vorbei am zwölfmal hellen Rot der Männer vom Technischen Dienst. Er blieb wieder stehen, schwenkte um, bog in die hinterste Reihe und musterte jeden einzelnen der 33 Bohrspezialisten.

Jeder Mann blickte in das matte Grau seiner Augen und erstarrte. Jeder spürte den eisigen Luftzug, von der Haarwurzel bis zu den Zehen, obwohl eine drückende Wärme im Raum lastete.

Der I/C verzog keine Miene.

Nur hin und wieder zuckte der gelbe Strahlenkranz, der wie eine Korona um seine Pupillen lag, doch nur einer bemerkte dieses unwichtig erscheinende Detail. Er ging von einem zum anderen, machte keinen erkennbaren Unterschied in der Mimik, behielt den bedächtigen festen Schritt bei, gab keinen Laut von sich. Er kehrte zurück in den Mittelgang und wandte sich dem Basispersonal zu.

Die grünen Overalls standen nebeneinander wie eine Reihe von sechs Lebensbäumen. Dann wechselte die Farbe auf das Schwarz der drei Helikopterpiloten. Zu jeder Schicht gehörte ein Pilot. Sie waren mit dem Helikopter von der Basis gekommen, um diese Zeremonie der Begrüßung mitzumachen. In Kürze würden sie starten, die rig verlassen und dann die einzige Verbindungsmöglichkeit zwischen der Bohrinsel im Sturmmeer und den Versorgungsdepots auf dem Festlandblock sein.

Der I/C hatte seine wortlose Begrüßung abgeschlossen. Er wandte sich um, wollte zum Ausgang, drehte sich dann aber doch noch einmal in einer einzigen, kurzen, wirkungsvollen Bewegung um seine Achse und bohrte seinen abschließenden Blick in die Augen der crew. Jeder einzelne der 64 Männer war sicher, dass nur ihm diese besondere, direkte Aufmerksamkeit galt.

Als sie hinsahen auf die Stelle, wo der I/C eben noch gestanden hatte, sahen sie nichts als das Ende des Spaliers, das sie selbst mit der Formation ihrer Körper bildeten.

Die Stelle war leer. Er war verschwunden. Wortlos. Und doch war in diesem ersten Augenblick der Begegnung alles Notwendige gesagt.

»Achtung!«

Die klirrende Stimme von der Decke zog die Aufmerksamkeit an sich.

»Einer nach dem anderen in Reihe stellen! Schichteinteilung erfolgt über Karten A, B, C! Jeder zieht eine Karte! Aufstellung der Schichten in den Gängen A, B, C! Achtung!«

Sie stellten sich auf.

Die Blauen zuerst. Dann die Gelben. Dann die Roten.

Es folgten die drei Silbernen, die sechs Grünen und der Weiße, sie gingen in den neutralen Gang, denn für sie bestand keine Zuordnung zu einer der drei Schichten.

Die Schwarzen blieben stehen.

Sie wandten sich um, passierten die Schleuse, kämpften sich durch die Windböen, die über das A-Deck jagten und erklommen die Stufen zum chopper-deck.

Während die operational-crew die Schichtkarten zog, um dann endgültig im Bauch der stählernen Insel zu verschwinden, heulte auf der Westkante der rig die schwerste Maschine des Lastenhelikopters auf. Die Rotorblätter zogen an, schlugen ihren Kreis in den Wind, die Rollen hoben von der Zielscheibe des Landeplatzes ab und der dröhnende Lärm verlor sich mit dem Abflug der Maschine.

Die crew bereitete sich vor.

Jeder einzelne der Männer erhielt einen detaillierten Faltplan mit den Grundrissen der Ebenen, mit den Funktionen der Systeme, mit den Gängen, den Nottüren, den Rettungsbooten und den Sicherheitsbestimmungen der rig.

Etwa fünf Stunden würden sie Zeit haben, um ihre Kojen einzurichten, sich auf die erste Nacht vorzubereiten, die Pläne durchzuarbeiten und sich die zahlreichen Details ihres neuen Zuhauses einzuprägen.

Nur die Besonderheiten, die wie Bruchstücke eines großen Puzzles beschrieben waren, mussten sie einpassen in das Gesamtbild. Sie kannten das Prinzip der rig. Sie hatten irgendwann schon einmal auf einem solchen Koloss gearbeitet.

Am nächsten Morgen würde jeder von ihnen das komplizierte Netz der Wege, Verbindungstunnels, Plattformen und Ebenen, die verschiedenen Funktionen, die Maschinenstandorte im Gedächtnis gespeichert haben. Die vollkommene blinde Orientierung war die Grundlage ihrer Arbeit, war das mindeste, um hier überleben zu können.

Sie lagen in den Mulden ihrer Kojen.

Lichtpunkte waren auf Papiere gerichtet.

Viele hatten die Augen geschlossen, ihre Lippen bewegten sich im Singsang der Wiederholung. Sie prägten sich Informationen ein. Sie prüften, ob sie behalten hatten, was auf den Papieren stand. Sie lernten, jeder auf seine eigene Weise.

Sie passten die neuen Daten ein in die Fülle der Daten, die bereits in ihren Hirnen gespeichert war.

Nach und nach verloschen die Lichter.

Dunkelheit erfüllte die Mannschaftsräume.

Jeder war in dieser ersten Nacht mit seinen Gedanken alleine und doch waren es gemeinsame Fragen, die sich ihnen entgegendrängten, die auf sie zuschossen, sie stachen und quälten. Es waren die Schmerzen des ersten Tages, die nicht abnahmen, sondern nur zunehmen konnten in dieser Zeit, die jetzt vor ihnen lag.

Was würde sie erwarten in dieser See, auf dieser vibrierenden Insel, inmitten eines nervösen Rudels, unter einem perfekt arbeitenden boss?

Der roustabout Flèche Lenoir biss sich unvermittelt auf die Unterlippe. Er spürte weder den Schmerz noch bemerkte er das Blut, das ihm über sein Kinn rann und im Stoff der Decke versickerte. Er war aufgewacht aus seinem tiefen Traum, aus seinen Ängsten, die ihn umklammerten und nicht mehr loslassen würden.

Ganz entfernt hatte er vage Gefühle für ein Grauen, das sich unaufhaltsam heranschob.



OFF-SHORE / Anlage Info 1


Akte: Bas. Info. 1

boss I/C an crew


Ich bin der boss dieser rig!

Ich begrüße die crew auf SUCCESS 13.

Ich bin der I/C und ich erwarte, dass sich jeder Einzelne auf das konzentriert, was ich sage.

Ich fordere die Konzentration aller Kräfte.

Ihr steht im Blickfeld der Öffentlichkeit!

Mit der Unterzeichnung der Lohnliste für diese rig seid Ihr der Anonymität enthoben. Ihr seid ganz oben!

Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind auf dem Kontinent werden Euch kennenlernen, wenn die Wertelisten einer jeden rig in diesem großen Explorationsfeld millionenfach über die Bildschirme der TVs gehen.

Ihr werdet beobachtet!

Eure Erfolge und Niederlagen werden registriert und offengelegt.

An jedem Tag, bis zum entscheidenden Moment unseres gemeinsamen Erfolges.

Und ich sage Euch: Wir werden die Sieger sein!

Wir müssen mit den anderen crews in diesem OFF-SHORE-Gebiet bohren. Wir stehen in Konkurrenz. Deshalb müssen wir in das schwarze Gold eintauchen, das auf uns wartet.

Ich sage Euch: Wir werden den kick landen!

Aber es ist kein Spiel, das wir spielen. Selbst wenn die Zuschauer mit ihren Einsätzen auf euren Erfolg hoffen, selbst wenn der ganze Kontinent wettet und spielt … für Euch ist dieser job blutiger Ernst.

Vergesst nicht: Ihr werdet beobachtet, von den gläsernen Augen der Kameras, die auf der rig installiert sind, und von mir.

Ich bin der I/C dieser rig!

Die Menschen zu Hause warten auf unseren Erfolg. Sie erwarten den Sieg von uns. Wir müssen die Besten sein in diesem Kampf um das Öl!

Ich erwarte das Letzte von Euch.

Ich bin den Sieg gewohnt und Ihr werdet ihn für mich erfüllen.

Wir werden die Sieger in diesem Rennen sein, wenn Ihr eines nie vergesst:

Ich bin der boss!



VERGEBLICHE ORIENTIERUNG


Weit hinter den Grenzen jeder Hoffnung, wieder zur Besinnung zu kommen … weit hinter den Möglichkeiten, sich jemals wieder erinnern zu können … lauert der dumpfe Druck einer Ahnung … Während alle Gefühle betäubt sind, bleibt die quälende Last eines unbeschreiblichen Grauens, das sich ereignet hat, das anhält


LEERE


.

kein Sehen

kein Hören

kein Riechen

kein Schmecken

kein Fühlen

.

wenn

.

im weißen Duft

zu Kristallen erstarrte Gerüche liegen

zu Nadeln gewachsene Aromen ragen

in transparente Ahnungen

stöbern in feinster Verteilung

sinken nieder

und steigen hoch auf

gibt

sich

nicht

zu

erkennen

als später

.

auf der Zunge

wälzt sich träge

pelzige Taubheit

hält den Atem an

liegt geschwollen und schwer

ohne Gewicht

wartet ab

.

bis dann

.

aus dem weißen Raum heraus

ein Rauschen dringt

und verklingt

frisst die Stille verharrt

lufterfüllt und zart

unzählige schweigende Stimmen

drehen sich im Chor

verdrillen

als weißes Rauschen im Ohr

.

ein weißes Licht

ohne Herkunft und Richtung

Ursprung und Dauer

kostet vom Nebel

in der Krümmung des Raumes

in Schlieren des gläsernen Schnees

will es treiben

und versinken

.

noch

gibt es

nichts

.

kein Gefühl

das sich fühlen kann

hoch im freien Flug

tief in wolkiger Schwebe

kneift und sticht und bohrt

seine Nadel unter die Haut

in das Glück

zwischen Himmel und Hölle

kein Gefühl

.

schiebt sich tiefer

bin, bist, ist

im Körper …

oder

verteilt im Raum

überhaupt wahrzunehmen

zu riechen, schmecken, fühlen, hören, sehen

ist nichts

außer ein wenig von jener

Unbestimmtheit

die aus den gebrochenen Schollen einer Erinnerung

sickert und ergriffen wird

von dem Hauch einer Luft die

sich selbst trägt

von den drei Federn getragen jagt

der Schmerz//pfeil//schnell heran///bri

cht sein Auge in

einer Spur von Bestimmtheit

die eine Spitze von Süße zu riechen scheint

die einen Stich von Bitternis zu schmecken scheint

die einen Punkt von Schmerz zu fühlen scheint

die das Sirren einer Sehne zu hören scheint

und den Flug des Todes zu sehen scheint

durch sich selbst scheint

die Luft im Atem zu ersticken

die Bewegung zu halten

still werdend

starr

.

bis

ein Zirpen

eine Bewegung macht

sich voranschiebt wie der Wind

ein Knäuel aus blutigen Federn über die Fläche jagt//schießt

Sti//che//ja/gen//mit//je//dem//A//tem//

mit//ten//drin//bri

cht//ein//Stru//del//ras//

selt//schlägt AUF

trifft und dringt EIN

zerreißt den feinen Faden

in///fei///ne///Strei///fen

Bi1///der///blei///chen///

aus



ERSTER TAG. 1


»Achtung! Fertigmachen! In dreißig Minuten ist die crew vollständig in der Messe auf Deck-A!«

Die präzise artikulierende Metallstimme hallte über alle Ebenen, dröhnte in allen Gängen, erfüllte die Mannschaftsräume und riss die Männer aus dem Schlaf.

Die zahlreich verteilten Digitalsichtfelder zeigten die Zeit: Es war 4 Uhr und 30 Minuten. Der Moment des Starts nahte.

Das Deckenlicht wurde zur grellen Sonne und zerriss die künstliche Dunkelheit der abgeschlossenen Räume.

Die Männer der 3-Schichten-crew waren im Südwestbereich des B-Decks untergebracht. Durch die Mitte des Decks zog sich ein breiter Gang, der die einzelnen Mannschaftsräume voneinander trennte. Nach Südwesten lagen die drei Schlafsäle der Männer vom drilling-job. Gegenüber, im Nordostbereich, lagen die Räume für Physiotraining, die Toiletten, die Waschbereiche mit den Spinden und den Duschen. An diesen Nasszellenkomplex schlossen sich drei schmale Räume für die Männer vom engineering-job an, bei denen jeweils zwei Taucher untergebracht waren. Das B-Deck der Stahlinsel versammelte die geschlossenen Kräfte der operational-crew.

An diesem ersten Tag auf der Bohrinsel SUCCESS 13 wurden alle zum gleichen Zeitpunkt geweckt. Der Startschuss für das internationale Wettrennen um das mächtige Ölfeld unter dem Boden der See sollte im Verlauf dieses Morgens fallen. Von diesem Moment an würde es für die Männer der beteiligten 13 drilling-crews nur noch den Wechsel zwischen Arbeit und Entspannung geben. Und dieser Wechsel würde bis auf die Minute genau abgestimmt sein, wäre ebenso dem strengen Reglement unterworfen wie das Verhalten.

Ordnung und Ausdauer lautete die Devise.

Dreißig Minuten hatten sie nach dem Wecksignal Zeit, um ihre Kojen zu verlassen, die Betten herzurichten, die Sanitärräume aufzusuchen, sich fertigzumachen und den Gang entlang, die Treppe emporzugehen, um sich schließlich, wie bei ihrer Ankunft, in einem Warteraum zu versammeln. An diesem ersten Morgen auf der rig würden sie ihre Befehle bekommen, der Wettkampf würde nach dem zermürbenden count-down endlich beginnen.

Die Männer wälzten sich aus ihren Schalen, die so schmal waren, dass es Mühe kostete, den Körper umzudrehen, ohne gegen den Wulst des Außenrandes zu stoßen. Die Betten bestanden aus tiefgezogenen Kunststoffmulden, in die poröse Matratzen eingeschäumt waren. An den Seiten der Wannen, am Kopf- und Fußende, waren überstehende Streben geschweißt, die man in einen Systembaurahmen einklinkte. Vier solcher Schlafwannen, zwei unten und zwei oben, ergaben einen stabilen Block.

Die Nummerierung dieser Liegeplätze wurde über einen Buchstaben-Ziffern-Code vorgenommen. Jeder Mann der operational-crew war über seinen Schlafplatz definiert.

A, B, C – steht für Schichtzugehörigkeit.

1., 2., 3., 4. – steht für den Block.

t, d – steht für top oder down.

1, r – steht für left oder right.

Der roustabout Flèche Lenoir zum Beispiel, Hilfsarbeiter in der B-Schicht, lag im vierten Viererblock oben links. Er trug den Code B 4-tl eingraviert in seiner Metallplakette, die er, wie jeder Arbeiter der OFF-OC, auf der rechten Brusttasche deutlich sichtbar trug.

Die Männer kamen aus ihren Schlafschalen. Einige waren noch benommen, bemühten sich, die letzte Müdigkeit abzuschütteln. Die weite Anreise durch mehrere Zeitzonen hatte ihren Organismus geschwächt, ihre Psyche irritiert. Sie würden noch die kommende Nacht brauchen, um sich auf den ungewohnten Rhythmus einzustellen, den diese neue Situation ihnen abforderte.

Einige steckten noch in der langen Unterwäsche. Sie sahen verschwitzt aus, die Haare hingen in fettigen Strähnen, die Bartstoppeln stachen weit hervor; niemand hatte daran gedacht, sich in den Tagen der Anreise zu rasieren.

Die Zeit war knapp und die Toiletten waren ständig besetzt. Die Sanitärräume waren auf diesen Andrang der vollständigen 51-Mann-crew nicht eingestellt. Die Duschen zischten. Es roch nach nackten, gestressten Körpern, doch dieser säuerliche Geruch wich der Geschmeidigkeit von Seifen und dem Schaum der Shampoos.

Noch waren sie sich fremd, begegneten sich zurückhaltend in schweigender Freundlichkeit.

Jeder konzentrierte sich auf seinen Körper, denn fünfundzwanzig Minuten war eine kurze Zeit.

In den Toiletten war der Geruch der Desinfektionsmittel bereits nach dem ersten Ansturm überlagert von einem herben Dunst, in dem Unsicherheit und Erwartung lagen.

Die Duschen prasselten ununterbrochen und die heiße Feuchtigkeit schlug sich an den kühlen Wänden nieder. Tropfen reiften heran, wuchsen wie Pilze an den glatten Flächen, perlten ab, sammelten sich zu Sturzbächen und schossen an der Vertikalen herunter. Schwitzwasserlachen bildeten sich auf dem rauen Boden und nackte Füße tappten hin und her.

Spinde wurden aufgezerrt, Plastikbügel schlugen gegen Blechverkleidungen und Metallrahmen. Die Stimmung war hektisch, aber nicht gereizt.

Während die Ersten bereits durch den Mittelgang zur Treppe schlenderten, frottierten sich die Letzten noch im Duschraum, föhnten ihre frischgewaschenen Haare, tupften die strapazierte Gesichtshaut mit antiseptischem Rasierwasser.

Die unterschiedlichsten Düfte mischten sich mit der Hitze aus den Duschen, der Schärfe aus den Toiletten und den letzten Überresten von Desinfektions- und Reinigungsmitteln der Putzkolonnen zu einem unauflösbaren, unentwirrbaren, unteilbaren Geruch, der jeder rig zu eigen war.

Die quadratischen Gitterroste der Treppe klapperten. Einige Schrauben müssten vom Wartungsdienst nachgezogen werden. Die Geländer bebten unter dem Ansturm der Männer, die sich auf den Weg zum A-Deck machten. Sie erreichten den Vorraum zum Speisesaal, traten auf den Bodenkontakt und augenblicklich schoben sich die beiden Türplatten in die Wand, gaben den Weg frei. Die Ersten traten ein.

Der Raum war langgestreckt. Seine Wände waren kahl. Sie schimmerten stumpf, nur die Schweißbahnen zwischen den einzelnen Pressstoffplatten zogen ihre stummen Linien über die große Fläche und bildeten ein unregelmäßiges Muster. Die Bestuhlung war ausgeräumt. Der Saal erschien bedrückend leer und die wenigen Männer, die sich im Mittelfeld zusammenfanden, fühlten sich isoliert.

Rechts neben der Eingangsöffnung überzog ein schmales Rechteck die Wand. Die Durchreiche der Küche war durch einen Rollladen geschlossen. Links, direkt an der Außenwand des Decks, zog sich ein dünnes Band von Tischen entlang; ein kaltes Buffet lockte die Neugierigen und die Hungrigen.

Die Männer gingen noch einige Schritte weiter in den Raum hinein, bis sie eine rote Markierungslinie auf dem Boden erreichten. Dann blieben sie stehen und sahen sich um. Die Messe wirkte wie eine Sporthalle. Die Stirnseite gegenüber dem Eingang leuchtete plötzlich auf. Über das gesamte Format der 40 mal 10 feet großen Fläche streckte sich ein sonnengelb strahlender TV-Breitband-Schirm, auf dem in Versalbuchstaben ein Text erschien:


»DIE OFF-SHORE-EXPLORATION-COMPANY

BEGRÜSST DIE CREW VON

SUCCESS 13.«


Die eingetretenen Männer fühlten sich angesprochen. Sie waren gemeint. Andere kamen von hinten hinzu und lasen das gleiche. Erst als die letzten Mitglieder der crew aus dem B-Deck emporgekommen waren, entwickelte sich zunehmend jene wortlose Solidarität einer Gruppe, in der sich jeder einzelne als Gleicher unter Gleichen fühlt.

Die operational-crew von SUCCESS 13 war vollständig und der TV-Schirm zeigte unten rechts die eingeblendete Zeit … 4:58 Uhr. Sie waren tatsächlich pünktlich.

Die Schiebetür neben der Küchendurchreiche öffnete sich, zwei base-men, offensichtlich die Stewards, rollten ein weißes Pult über den Boden und platzierten es in der linken Ecke unter der TV-Wand. Die restlichen vier base-men kamen herein, gefolgt von den drei OFF-SHORE-managern und dem doc. Wiederum, wie bei der Empfangszeremonie, trat eine Pause ein.


»Achtung!«


Die Lautsprecher mahnten zur Konzentration.

»Aufstellung! Formation der Schicht. Je zwei Achterreihen ab Markierungslinie! Die toolpusher rechts raus. Sicht auf TV-Schirm!«

Stiefel scharrten über den Boden. Jeder wusste, wo er zu stehen hatte, es war bei jedem job das gleiche Ritual. Binnen weniger Sekunden wurden die Reihen gebildet. Die drei Bohrmeister scherten um etwa 5 feet rechts aus.

Alles wäre eindeutig gewesen, hätte es nicht einige Abergläubische in der Mannschaft gegeben, die der Serienbezeichnung dieser Bohrinsel mit der Nummer 13 eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben hätten. Es waren nur wenige, die untergingen in der Menge der Optimisten; doch jener Hauch von Zweifel ließ sich nicht vertreiben. Er hatte sich unmerklich festgefressen.

Um 5:00 Uhr war die Aufstellung der operational-crew abgeschlossen. Der Rest der Mannschaft wartete auf Anweisungen.


»Achtung!«


Die Lautsprecher spuckten die Befehle aus.

»Aufstellung manager und doc

Pause.

»Zweite Reihe base-men!«

Auch die Stewards reihten sich ein. 61 Männer warteten.


»Achtung!«


Pause.

»Blick rechts!«

61 Köpfe ruckten nach rechts. Es war immer die gleiche Prozedur und es würde immer die gleiche Prozedur bleiben. Nichts geschah ohne Absicht. Kein Befehl war willkürlich. Keine Phase der Zeremonie auf dieser, den anderen oder den kommenden rigs würde rein zufällig, spontan, ohne Ziel sein.

Sekunden vergingen.

Dann betrat der I/C den Raum und augenblicklich riss seine Aura alles in ihren Bann. Wortlos ging er auf das Rednerpult unter der großen TV-Breitwand zu. Er stellte sich neben das weiße Pult, wohl bedacht, seinen gleißenden Overall nicht zu verdecken. Das Richtmikrofon übertrug seine Stimme in den Raum, sodass ihn jeder der Anwesenden verstehen konnte.

»Männer der crew auf SUCCESS 13.«

Er sprach ruhig. Der Klang seiner Stimme war hart. Die Worte wurden einzeln artikuliert. Die Männer spürten die Sicherheit, die vom boss I/C ausging. Es war ein breiter Strom, der sich ohne Hast mit zäher Konsequenz durch den Raum schob, der alle erfasste und alle fesselte.

»Männer der crew auf SUCCESS 13 …«

In der Wiederholung der Anrede lag etwas Beschwörendes, etwas Suggestives, dem alle Anwesenden erlagen.

»… in wenigen Augenblicken gehen wir auf Konferenzschaltung. Die Welt nimmt teil am 37sten Wettbewerb um eines der wenigen großen Ölfelder, die es in dieser OFF-SHORE-Provinz noch gibt. Ich erwarte eiserne Entschlossenheit auf euren Gesichtern. Ich erwarte eine wortlose Demonstration unseres Willens. Jeder Zuschauer muss spüren, dass nur wir als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen werden … jeder muss es spüren! Auch unsere Gegner! Die anderen zwölf Bohrtrupps auf den Inseln um uns herum …«


»Achtung!«


Der I/C wurde von der Automatenstimme informiert.

»… die Konferenzschaltung erfolgt … 5 … 4 … 3 … 2 … 1 … 0 …«

»Hallo – meine Damen und Herren! Hier ist Bearer McBrian von der united-TV-broadcast-corporation. Es ist wieder einmal soweit. Eine neue Sensation kündigt sich an, ein neuer Wettbewerb steht bevor. Die world-vision läuft und ich sage … abfahren …!«

Ein Trommelwirbel raste aus dem hinteren Bereich des Studios heran, gelbe Punkte füllten die Bildschirme und aus dem Wirrwarr der Punkte formierte sich der Schriftzug:

WORLD-VISION.


»Meine Damen und Herren! Hier ist Bearer McBrian von der united-TV-broadcast-corporation. Ich kann ohne Übertreibung sagen, ich spreche zur Welt, und ich sage: Es ist wieder einmal soweit …«

Das Portrait des Sprechers erschien mit solarisierten Umrissen hinter dem Schriftzug. Während er sprach, verebbte der Trommelwirbel, wurde dann abgelöst von Fanfaren, die aus Millionen von Lautsprechern drangen und keinen Zweifel mehr an der Bedeutung der Sendung ließen.

Dieser mehrstimmige, gewaltige Chor, dessen Volumen durch einen kräftigen Hall verstärkt wurde, bildete die Kennmelodie der OFF-SHORE-Exploration-Sendung. Jeder kannte diese Melodie. Jeder war berührt vom Pathos, der unverhohlen entgegenschallte. Die Nationalisten erhoben sich aus ihren Sitzen, nahmen Haltung an und salutierten in patriotischer Geste. In jedem Land waren diese Gesten anders, die Sprechchöre verschieden; doch die Mimik der Männer und Frauen glich sich, als wären alle die Mitglieder einer einzigen Nation.


»Meine Damen und Herren!«

Die Stimme des Kommentators klang gewichtig, hatte einen tragenden Unterton, der die Bedeutung der Situation angemessen unterstützen sollte. Er tat es. Überzeugend und routiniert, denn Bearer McBrian hatte die letzten fünf OFF-SHORE-Wettbewerbe moderiert. Er war bekannt und die Umfragen hatten ergeben, dass seine Beliebtheitsmarke um 12 % über der aller anderen Moderatoren lag. Bearer McBrian würde nach der anstehenden Sendung eine große Zukunft vor sich haben.

Sein Portrait verschwand, auf den Bildschirmen tauchte das world-vision-emblem auf. Der abgeplattete Kreis mit Äquatorlinie symbolisierte die Erde, die umgeben war von 23 Punkten, den TV-Satelliten. Die weltweite elektronische Kommunikation verband die Menschen, deshalb war die Erde mit den Satelliten in einen Kreis eingebettet, an dessen Südpol eine stilisierte Taube für Frieden und an dessen Nordpol ein stilisierter Bohrturm für Leben stand. In Frieden leben! Das war der Wunsch der Menschen, der seinen Ausdruck im Signet der WV gefunden hatte.

Die Fanfaren klangen in einem harmonischen Schlussakkord aus, das rote Emblem auf blauem Grund wurde dunkler und verschwand schließlich. Schnitt.

»Meine Damen und Herren! Ich präsentiere heute einen weiteren Wettbewerb im OFF-SHORE-Bereich. Sie kennen die Regeln, deshalb springe ich zusammen mit Ihnen mitten ins Thema hinein. Neben mir steht der Präsident der international-drill-corporation. Mr. Wontorra, bitte berichten Sie unseren Zuschauern, worum es heute und in den kommenden Wochen geht!«

Auf dem großen TV-Bildschirm im Esssaal der Bohrinsel SUCCESS 13 erschien eine massige Gestalt. Der Präsident des Dachverbandes aller Explorations-, Bohr- und Förderunternehmen begrüßte die Zuschauer mit einer jovialen Geste.

»Ich begrüße das Publikum! Ich begrüße die 13 Mannschaften, die zu diesem Wettbewerb bereits auf ihren rigs eingetroffen sind. Nun ist es wieder soweit. In den kommenden Wochen und Monaten werden die crews für ihre Gesellschaften kämpfen. Unter der technischen Leitung der Bohrgesellschaften wird ein harter Kampf entbrennen. Dem Sieger gehört der Hauptanteil dieses größten Ölfeldes im nördlichen OFF-SHORE-Bereich. Das Feld, auf dem die 13 Plattformen errichtet wurden, übersteigt nach den Prognosen der Geophysiker alle bislang dagewesenen Dimensionen. Wir können mit der größten zusammenhängenden Lagerstätte dieser Region rechnen. Deshalb wurde das Feld auf den Namen ›Erfolg‹ getauft …«

Aus dem Hintergrund des Studios drang Beifall. Mr. Wontorra wandte sich um, ging einige Schritte in den Raum hinein und blieb vor einer Wandtafel stehen.

»Hier haben wir die Situation! Das Feld SUCCESS liegt etwa 740 miles über dem alten schon lange ausgebeuteten Magnus-Feld, das die nördlichste Spitze aller bisherigen Explorationen im OFF-SHORE-Sektor-N-SEA darstellt. Die extremen Witterungsverhältnisse im Bereich des Magnus-Feldes, knapp unterhalb des 62. Breitengrades, werden vom Projekt SUCCESS um ein hohes Maß überschritten. Der Erfolg, auf den wir hoffen, fordert die maximalen Kräfte von Mensch und Technik …«

Der Kommentator hatte sich neben die breitschultrige Gestalt von Mr. Wontorra geschoben und fiel ihm freundlich ins Wort …

»Ja – meine Damen und Herren, es geht wieder einmal um den höchsten Einsatz. Gefordert werden die letzten Kräfte der beteiligten Mannschaften. Zu meiner Rechten steht Mr. Pearl, der Vorsitzende der control-commission dieses Wettkampfes. Mr. Pearl, welche Gesellschaften haben sich zu diesem Wettkampf angemeldet?«

Der Kommentator wandte sich zur Seite, die Kamera zog das Bild vom Detail in die Totale. Ein kleiner, drahtiger Mann mit weißem Kinnbart und blitzenden Augen hob energisch das Kinn.

»Nun, Mr. McBrian, die enormen Vorkommen, die wir im Feld von SUCCESS vermuten, haben natürlich alle wichtigen Gesellschaften gereizt. Hier liegt auch der Grund, weshalb die höchste Beteiligungsquote aller bisherigen OFF-SHORE-Projekte vorliegt …«

»Wie viele Gesellschaften sind es?«

»Dreizehn! Jede Bohrinsel wird von einer Gesellschaft geführt. Ja, wir können sagen, dass wir in diesem Fall die höchste Beteiligung verzeichnen können. Die besten Gesellschaften haben ihre besten crews geschickt …«

»Es geht um viel in diesem Wettbewerb?«

»Ja – durchaus. Und weil es um viel geht, wird die Wettkampfleitung über die rig-Kameras das Geschehen genauestens verfolgen. Jegliche Möglichkeit eines Betruges von Seiten einer crew ist unterbunden. Die Gesellschaften haben ihre Männer auf Herz und Nieren geprüft. Die Loyalität ist gegeben. Mit Sabotageakten ist nicht zu rechnen.«

»Nun, ich danke Ihnen, Mr. Pearl. Jetzt habe ich noch eine Frage an den Direktor der international-drill-corporation. Mr. Wontorra, wie hoch schätzen Sie das Volumen des SUCCESS-Feldes ein?«

»Nun …«

Ein Grinsen zog sich über das breite Gesicht. Schweißperlen standen auf der Stirn. Die Hitze der Studiolampen machte dem beleibten Mann sichtlich zu schaffen.

»… Die Experten rechnen mit etwa 2,8 Milliarden Tonnen …«

Der Kommentator fuhr erschrocken zusammen.

»Das … das ist ja nahezu so viel wie die gesamten ausgebeuteten Ölquellen dieses OFF-SHORE-Bereiches enthalten haben …«

»Ja, nicht umsonst hat unsere Dachorganisation der erdölfördernden Gesellschaften diesem gewaltigen Feld den Namen SUCCESS gegeben.«

»Wie verlässlich ist diese Mengenangabe?«

»Nun ja, ich würde sagen … bei den ausgefeilten Analysetechniken, die angesetzt wurden … mag das Ergebnis um einen Betrag von etwa einhundert Millionen Tonnen plus/minus schwanken.«

»Warum wurde dieses Feld erst so spät entdeckt?«

Der Kommentator drängte mit seiner Anschlussfrage in die entstandene Pause.

»Das hat einen einfachen Grund. Wir liegen in der Nähe des nördlichen Polarkreises, die Temperaturen, die Stürme, die Bewegung der freien Wassermassen und die Gefahr andriftender Eisberge erschweren die Arbeit unglaublich. Völlig neue Technologien waren notwendig, um in diesen Gebieten bohren und fördern zu können. Die klimatischen Bedingungen haben sich im letzten Jahrhundert derart verschlechtert, dass wir dieses Gebiet nur noch innerhalb kurzer Fristen mit Schiffen versorgen können. Wir sind nach dem Aufbau der Plattformen gezwungen, die gesamte Versorgung über die Helikopter abzuwickeln. Und auch diese können, trotz ihrer verbesserten Flugeigenschaften, nicht bei jedem Wetter landen. Kurzum, diese vielfältigen Schwierigkeiten, die mit der nördlichen Position des Feldes zusammenhängen, waren für die vorhergehenden Generationen noch nicht zu lösen. Deshalb haben die Nationen und später der oil-foundation-trust auf der Basis der Charta der Nationen erst die leicht erreichbaren Felder abgebaut.«

Der Kommentator wandte sich ab, während Mr. Wontorra sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte.

»Meine Damen und Herren, der count-down läuft, die crews warten. Sie wissen, worum es geht. Ich gebe jetzt ab an meinen Kollegen Walther Hartung … Hallo – ich rufe Walther Hartung auf rig SUCCESS 1 …«

Die Situation auf der großen TV-Fläche wurde umgeschaltet. Die Zeilen waren unscharf, die Helligkeit flackerte, dann lag wieder ein präzises Bild auf der Wand. Die Einstellung zeigte den Bohrturm auf der rig 1 im Ölfeld SUCCESS. Eine Gestalt im schwarzen Overall der Helikopterpiloten trat auf die genoppte Plattform hinaus, bis sie voll im Bild zu sehen war. Der Mann trug das runde Abzeichen mit dem Emblem seiner Gesellschaft auf der Brust.

»Hallo, meine Zuschauer, hier ist Walther Hartung auf SUCCESS 1. Diese Stahlinsel ist aufgebaut und bestückt wie jede der insgesamt 13 rigs, die an diesem Wettbewerb beteiligt sind. Der count-down läuft, alles ist vorbereitet, uns bleiben nur noch wenige Minuten bis zum Start. Neben mir steht der I/C-boss dieser rigs, es ist Dan Falkes, super-manager beim royal-petrol-syndicate, also bei jener Gesellschaft, die für diese Insel verantwortlich zeichnet. Dan, eine Frage an Sie, wer wird dieses Wettrennen gewinnen?«

Ein braungebranntes Gesicht erschien auf der Bildfläche. Die Lippen waren schmal, wie zwei Striche, die Haare kurz geschoren.

»Wenn Sie mich als boss dieser Insel fragen, dann sage ich: wir! Wenn Sie mich als super-manager einer der größten Gesellschaften fragen, dann sage ich: der Beste! Es wird ein fairer Kampf, nicht Mann gegen Mann, sondern Mensch gegen Technik und Natur. Es wird ein harter Kampf, der die letzten Reserven fordert, weil es um die letzten Reserven geht.«

»Sie werden vielleicht wochenlang abgeschnitten sein von Ihrer Basis …«

»Das ist möglich, aber wir sind voll ausgerüstet und können uns selbst versorgen …«

Der Kommentator auf der Plattform der Bohrinsel Nummer 1 lachte auf, blickte um sich und sprach den I/C an:

»Nun, Mr. Falkes, wenn ich dieses prächtige Wetter sehe, dann mag ich gar nicht an aufziehende Stürme denken …«

Das Gesicht des I/C blieb unbewegt, als er die Antwort gab: »Das kann sich schnell ändern!«

Doch der Kommentator ignorierte diese kühle Einschätzung, wandte sich wieder der Kamera zu und behielt sein Lächeln.

»Meine Damen und Herren, Sie sehen, hier ist alles bereit, ich schalte zurück ins Studio und rufe dort meinen Kollegen McBrian …«

Das Bild verschwand.

»Ja, hallo … hier ist wieder McBrian. Ich gebe jetzt der Regie die Anweisung, den Bildschirm zu teilen, sodass die stationären Kameras auf den 13 rigs um das Zentralbild gruppiert werden. Achtung, Regie … abfahren …«

Das Gesicht des Kommentators, das eben noch die gesamte Bildfläche eingenommen hatte, schrumpfte auf der großen TV-Wand zusammen. Augenblicklich flackerten 16 Monitorrechtecke um das Zentralbild auf. 13 Monitore zeigten die Standbilder der rigs im SUCCESS-Feld und 3 Monitorfelder blieben als Reservekanäle dunkel.

Die crew der SUCCESS 13 erblickte ihr Abbild auf dem 13. Monitor. In der gleichen Formation waren auch die anderen Mannschaften aufgestellt. Ein Bild glich dem anderen und auf die Distanz glich ein Mann dem anderen. Im Mittelbild blieb das Lächeln des Kommentators, der sein Publikum ansprach:

»Meine Damen und Herren, gleich ist es soweit … ja, auf Monitor 14 läuft jetzt der counter, er zeigt die verbleibende Zeit bis zum Start …«

Eine grell-gelbe Digitalanzeige blinkte auf, dann wurden auch die Monitore 15 und 16 mit den Wertepunktfeldern zugeschaltet. Auf 15 erschien eine Übersicht der rig-Besetzungen. Jedes einzelne Mitglied war mit vollem Namen und seiner Code-Nummer aufgelistet, die Stellen unter PRO- und CON-points waren leer.

Hier würden in der nächsten Zeit die Plus- und Minus-Punkte erscheinen, die jedem Mann täglich von seinem boss zugewiesen wurden. Diese Liste war zwar für das Gesamtergebnis unwichtig, doch die Zuschauer forderten die Veröffentlichung der Einzelbewertungen, um sich ein weites Feld für ihre Wettleidenschaft zu erhalten. Jeder hatte seinen Liebling, seinen persönlichen Favoriten, und dieser persönliche menschliche Aspekt steigerte das Engagement am täglichen Geschehen auf den Bohrinseln.

Der Monitor 16 blieb einer neutralen Beurteilung der rig 1 bis 13 Vorbehalten. Die Wertepunkte, die hier erschienen, wurden per Computer als Produkt aus täglich erbohrter Tiefe und Materialverschleiß ermittelt. Zu jeder Zeit konnten sich die Zuschauer von diesem Augenblick an über die Leistung der einzelnen Mannschaften informieren. Die offiziellen Wettbüros nahmen die Prognosen für die Tages-, Wochen- und Monatswerte entgegen.


»Meine Damen und Herren …«

Die Stimme des Kommentators McBrian schallte den Zuhörern entgegen.

»… bevor wir nun alle rigs in Reihe schalten und das Startsignal zur OFF-SHORE-Exploration geben, will ich Ihnen noch meine Kolleginnen und Kollegen vorstellen, die dieses Spiel begleiten, die Sie, meine Zuschauer, während der non-stop-Übertragung unterhalten und informieren. Da haben wir Lena van Laack, die Sie sicherlich aus der Unterwassershow kennen … Applaus für Lena …«

Aus dem Hintergrund des Studios drang ein anschwellender Applaus.

Die Kamera schwenkte hinüber und zeigte das Publikum. Arme wurden hochgerissen, Hände winkten, Tücher wurden gewedelt. Man wollte den Freunden und Bekannten zu Hause deutlich machen, dass man es diesmal geschafft hatte, bei der Eröffnung des Wettbewerbs eingeladen worden zu sein.

»… dann möchte ich Ihnen Hartmut Westen vorstellen, der sich speziell um die tägliche Kommentierung des Wertepunktfeldes bemüht, der seine Erfahrung einsetzt, um Ihnen zu Hause Interpretationen zu geben, weshalb diese oder jene Punkte vergeben worden sind … Applaus für Hartmut Westen!«

Das Publikum im Studio klatschte artig die Hände und vermittelte denen zu Hause den Eindruck einer Live-Atmosphäre.

»Erstmals ist es uns gelungen, den beliebten und an sich völlig ausgebuchten talk-master Henry Y. Cornet zu engagieren, der extra für unsere Show alle Verpflichtungen abgesagt oder verschoben hat … hallo, Henry, wie gehts?«

Ohne die Antwort abzuwarten, hob der Kommentator die Arme und signalisierte dem Publikum, dem Star die Reverenz zu erweisen. Das Ergebnis war ein ohrenbetäubender Lärm. Die Fans stampften mit den Füßen auf den Boden, pfiffen, schrien wild durcheinander und übertrafen sich in der Bezeugung ihrer Zuneigung für den kleinen, unscheinbar wirkenden Mann auf der Bühne. Henry Y. Cornet verneigte sich stumm.

»Nun, meine Damen und Herren, an dem tosenden Beifall unseres Publikums, der die Leistungsfähigkeit unserer empfindlichen Mikrofone strapaziert, können Sie die Spannung ablesen, die sich hier im Studio aufstaut, und Sie können natürlich auch die Beliebtheit unseres Stars ablesen, den wir für die Show verpflichten konnten. Ich danke an dieser Stelle allen, die es freiwillig auf sich genommen haben, auf Henry während der kommenden Wochen zu verzichten. Danke! Und nun möchte ich die reizvolle Ilona ansagen, deren rauchige Stimme Sie ebenso kennen wie ihren verführerischen Körper. Ilona und ihr Partner Bob werden zu später Stunde alle aus den Träumen reißen, die sich aus unserer spannenden Show fortstehlen wollten oder die einnickten. Nein! Wenn Ilona ihren Körper im Rhythmus der Musik wiegt, dann werden die letzten Schläfer wie elektrisiert aus den Sesseln fahren … Sie werden gefesselt sein von dem heißblütigen Programm, das Ilona und Bob für Sie zusammengestellt haben … Ich verspreche Ihnen nicht zu viel, meine Damen und Herren. Applaus für die beiden Künstler!«

Eine langmähnige, schwarzhaarige Frau im silbernen Paillettenkleid verneigte sich langsam und gewährte den Zuschauern einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt. Neben ihr stand ein schmächtiger, braungebrannter, junger Mann, über dessen Gesicht ein naives Lächeln glitt.

»Nun, meine Damen und Herren, das war unser Team, das waren die Frauen und Männer, die Sie in den nächsten Wochen Tag und Nacht begleiten werden, und ich bin sicher, dass Sie von diesen sympathischen Kollegen bestens betreut werden. Nun sehe ich auf dem Kontrollmonitor, dass die Reihenschaltung geklappt hat. Auch die Punktetabellen sind eingeblendet. Alles ist fertig. Wir warten auf das Signal zum Start!«


Stille im TV-Kanal.

Stille auf allen rigs.

Unbewegliche Gesichter der crews.


Die vollautomatischen Kameras auf den rigs waren auf online geschaltet. Von diesem Moment an wurde die vollständige Kontrolle über das Geschehen auf den 13 Bohrinseln garantiert. Von jeder rig liefen fünf Bilder in die Überwachungszentrale:

Kamera 1, Standort Nord/Westkante, auf dem Kontrollraum

Kamera 2, Standort Süd/Ostkante, auf dem Kontrollraum

Kamera 3, Nordecke im Esssaal

Kamera 4, Nord/Westecke des Flures auf Deck-B

Kamera 5, Süd/Ostecke des Flures auf Deck-C.

Die ferngesteuerten Zoom-Objektive ließen sich vom 28er Weitwinkel bis hin zum 1000er Telebereich stufenlos verstellen. Durch die Horizontal- und Vertikal-Bewegung der Kameras konnte jeder wichtige Ort bei Bedarf unter Beobachtung genommen werden. Das Überwachungssystem der Bohrinseln war bis zur Perfektion ausgeklügelt. Nachgeschaltete Restlichtverstärker würden für den Fall aktiviert, in dem die künstliche Beleuchtung in den Gängen der Decks A, B, C oder auf der obersten Plattform während der Nacht ausfallen sollte. Jeder Handgriff der Schichtarbeiter wurde beobachtet, während die anderen schliefen oder Freizeit hatten.

Die Helligkeitswerte der Overalls, die Gesichts- und Körperhaltungsmerkmale waren in den Rechnern gespeichert und wurden nahezu mit Lichtgeschwindigkeit mit den einlaufenden Daten verglichen. Keiner der Männer konnte sich zu keinem Zeitpunkt unerlaubterweise an einem Ort aufhalten, ohne dass die Mannschaft Minuspunkte erhielt und der I/C verständigt wurde.

Niemand würde eine Chance haben, die Stellung der Kameras zu verändern oder sie außer Betrieb zu setzen. Nicht einmal die genaue Position der Aufnahmeeinstellung war bekannt oder konnte abgelesen werden. Sichtblenden verdeckten die Zoom-Objektive.

Die Überwachung war perfekt und Sabotage wurde wie bei jedem dieser entscheidenden Wettbewerbe zwischen den Nationen ausgeschlossen. Die UNO-Sicherheitsorgane hatten eine 200-Meilen-Zone um das Feld SUCCESS zum Sperrgebiet erklärt. Kein U-Boot und auch keine Spezialtaucher konnten das engmaschige Netz von Sensoren durchbrechen, ohne entdeckt und von den UNO-Militäreinheiten beschossen zu werden.

Nichts und niemand würde und könnte in die Einsamkeit der crews vordringen, außer den sorgsam kontrollierten Helikoptern mit ihren Piloten und die wöchentlich eingeflogenen Huren für die Mannschaften … bis zu jenem Moment, in dem die Sturmböen, die Schnee- und Hagelfälle auch diesen Kontakt mit ihrer eisigen Kraft zerreißen würden.


Der Counter lief.

Die Ziffern flackerten über den Bildschirm.

Der Kommentator hielt den Atem an.


Die crews standen wie versteinert

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: QR-Codes © Michael Weisser 2017 - MikeWeisser@yahoo.de
Lektorat: Heinrich Wimmer, Wolfgang Jeschke
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9227-2

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