Michael Weisser
Interview mit
Marikke Heinz-Hoek
Kunst mit neuen Medien
über
Kunst und Sehnsucht
Landschaft und Heimat
Weitsicht, Übersicht, Einsicht
*
Always the beautiful answer /
who asks the more beautiful question?
(Edward Estlin Cummings)
Scan mit QR-App i-nigma
„Marikke“
Hommage zur Ausstellung "Linkepoot"
im Zentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg Bremen 2017.
© Michael Weisser 2017
Marikke Heinz-Hoek drückt sich künstlerisch in den Medien Video, Foto und Zeichnung aus. Sie schafft Unikate und Multiples.
Ihre zentralen Themen sind die Landschaft und das Portrait, die sie in Werkserien über Strategien zur Legendenbildung, über intergalaktische Phänomene und über moderne Ikonen verdichtet.
Immer wieder begegnet man in der Vielfalt ihrer Arbeit Momenten der Erinnerung, in denen eine Sehnsucht nach ihrer Heimat Ostfriesland an der Nordseeküste klingt.
Hallo – liebe Marikke –
gern lade ich Dich hiermit zu einem Interview ein. Es geht um Dich, um Dein künstlerisches Wirken, um Deine Motivation und um die Themen, die Dich bewegen.
Wir kennen uns seit ich 1975 von Bonn gekommen bin um im Rahmen eines Lehrauftrages an der Universität Bremen ein Ausstellungs-Projekt über die Geschichte „Von Kunst am Bau zu Kunst im öffentlichen Raum“ aufzuarbeiten und dann von der Erstpräsentation in der Unteren Halle des Alten Rathauses als Wanderausstellung auf den Weg zu bringen. Das war vor 42 Jahren. Das war vor einem halben Leben. Die Welt hat sich seitdem sehr verändert. Und wir?
Wenn ich heute wissen will, wie Du als Künstlerin zur Kunst stehst, was Dir „Kunst“ bedeutet, wie Du Kunst in Dein Leben integriert hast bzw. wie Du Dein Leben um Deine Kunst herum gewirkt und mit ihr versponnen hast, dann greife ich automatisch auf meine Erinnerungen zurück und setze diese zu einem Bild zusammen. Aber stimmt dieses Bild? Wird Dir dieses Bild aus alten Urteilen zu Deinem Gesamtwerk und dessen Hintergrund hier und heute noch gerecht?
Welchen anderen Weg als den über die riskante Rekapitulation von Erinnerungen gibt es, sich ein Bild, ein möglichst frisches Bild von Deinem Werk zu malen?
Eine Möglichkeit bietet der Positionswechsel: Wie würde ich mich verhalten, wenn ich Dich nicht (!) kenne, wenn ich mich, wie ein Fremder, von außen annähern müsste? Wie würde ich diese Annäherung organisieren?
Im analogen Zeitalter bot sich im Fall einer jeden Erforschung von Unbekanntem der erste Weg ins Archiv an: Stadtarchiv, Landesarchiv, Staatsarchiv, Bundesarchiv, Spezialarchiv. In Deinem Fall würde ich zuerst im Katalog des Staatsarchivs Bremen und in dem der Universität Bremen suchen. Dann wäre ich bei den Spezialarchiven der Kunsthalle, der Städtischen Galerie und der Bremer Tageszeitungen. Was würde ich dort finden? Zumindest Kataloge und Informationen zu Deinen Kunstprojekten sowie Presseberichte über Ausstellungen. Würde das reichen, um einen angemessenen Eindruck zu gewinnen? Und: Was ist wem „angemessen“?
Aus welcher Substanz besteht ein Bild? Ist es allein seine Anmutung der Oberfläche um die es geht? Oder ist es die Überzeugung, dass der „Spirit“ erst hinter dem sichtbaren Vordergrund wartet? Welche Informationen müsste also der Hintergrund erfüllen um seinen Vordergrund zu erhellen? Ich muss mich entscheiden, ob mir Dein Werk in der Art genügt, dass es als Bildwelt ganz allein für sich spricht?
Aber mein Interesse gilt nicht allein dem, was ich sehe und das ich in meinem Sinn (eigentlich beliebig) interpretieren kann. Ich sehe die Teile eines Werkes auch nicht als Dekoration, mit der ich meine Wohnung ausgestalten möchte. Und schon gar nicht sehe ich ein künstlerisches Werk unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Spekulation. Was mich an einem Kunstwerk interessiert ist das Verhältnis von erlebtem Leben und dessen Niederschlag in Farbe, Form, Komposition, Material und Gestalt.
Ein künstlerisches Werk ist für mich im idealen Fall das Kondensat von Lebensthemen – in Deinem Fall von seiner Macherin. Was wurde auf welche Weise thematisiert, wie wurde es in welcher Technik dargestellt und wie wurde es an welchen Orten präsentiert um Kontakt zu anderen aufzunehmen, um Reaktionen zu erhalten. Worum geht es den Machern von Kunst wenn nicht letztlich um sich selbst?
Deshalb sind die Quellen für mich von besonderem Interesse, die authentischen Aussagen zum Prozess der Erstellung der Artefakte, die unter dem Anspruch Kunst zu sein hergestellt und ausgestellt werden. Aussagen von Dir zu Deinem Werk habe ich nicht gefunden. Du hälst Dich zurück ;-))) In den analogen Dokumenten, die mir zugänglich waren konnte ich nichts finden.
Heute ist unsere Welt digital geprägt. Heute befragt man zuerst (für viele gilt das mittlerweile ausschließlich) das Internet. Man „googelt“ oder bedient sich einer der anderen Suchmaschinen. Was finde ich dort unter den ersten sechs Einträgen über Dich? Gelistet wird: Deine Website, Dein Wikipedia-Artikel, Bilderangebote, Dein Video „sub“, ein Hinweis vom Landkreis Leer über Bilder aus dem Rheiderland sowie Informationen vom Filmbüro Bremen und vom Künstlerinnenverband GEDOK in Bremen...
Was bietet die erste Position? Deine Web-Site hat den Namen „marikke.de“ 1). Sie nennt Deine Arbeitsbereiche: Video, Fotoarbeiten, Multiples, Zeichnungen. Ein Bild zeigt eine exemplarische Ansicht, ein Untertext verweist auf das Thema z.B.: „Intergalaktische Phänomene“, „Heimatbilder“, „Strategien zur Legendenbildung“, „Casting – Die unentdeckten Stars“ und dazwischen immer wieder „Installationen an verschiedenen Orten“.
Die Vita ist (wie zögerlich gesetzt) die kürzeste, die ich bislang auf einer Personenwebsite gelesen habe:
1944 geboren in Homberg/Niederrhein
1944-1963 Kindheit, Schulzeit in Ostfriesland
1963-1967 Studium an der Staatlichen Kunstschule in Bremen
1967 Examen
lebt und arbeitet als bildende Künstlerin in Bremen und Jemgum/Ostfriesland.
Das sind nur 5 Zeilen, wohl von Dir überlegt! Akribisch und lang dagegen ist das Listing der Gruppenausstellungen, der Einzelausstellungen, der Auftragsarbeiten, Preise, Lehraufträge, der kuratorischen Projekte, der Einzelkataloge, der Bibliografie und die Nennung der öffentlichen und privaten Sammlungen, in denen Werke von Dir vertreten sind.
Ist diese drastische Reduktion des Persönlichen eine Attitüde des Understatements oder beurteilst Du Deinen Werdegang für nicht entscheidend? Bist Du schüchtern oder bist Du vorsichtig? Was für Schlüsse lassen sich aus diesen veröffentlichten Informationen über die Person ziehen? Was für Fragen ergeben sich? Was sagen andere püber Dich? 2) Welche Räume sollte man öffnen und betreten und welche möchtest Du geschlossen halten?
Fast 20 Jahre hast Du in Ostfriesland gelebt, dann bist Du nach Bremen gekommen und bist hier bis heute geblieben – das sind 53 Jahre. Der Hinweis, dass Du als Künstlerin in Bremen und (!) Jemgum lebst und arbeitest (!) korrespondiert mit Deinem Thema „Heimat“. Jemgum liegt an der Ems, die bei Ditzum in den Dollart mündet, der in die Nordsee übergeht. Deine Erlebniswelt war der heutige Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Finden sich diese Atmosphären und Strukturen in Deinem Werk wieder? Es ist Zeit zu fragen:
MW: Marikke - fühlst Du Dich noch heute als Kind der norddeutschen See, das seine prägenden Erlebnisse in einem kleinen Ort mit Klinkersteinbauten, mitten in der Natur von Wind, Sonne, Regen, Nebel, Rauhreif, Eis und Schnee, an der Ems und wenige Kilometer nur von der See entfernt hatte?
Bewegen Dich noch heute der Wechsel von Ebbe und Flut, der Duft von Salz und Tang in der Luft, der Geruch vom Watt und seinen Tieren, vor dem wiegenden Reed am Ufer... ?
MHH: Ja, den Geruch vom Watt habe ich nach wie vor in der Nase! Bei Deiner Fragestellung merkt man gleich, dass auch Du von der Küste, wenn auch von anderer Stelle, stammst.
Die ersten 18 Jahre meines Lebens bin ich in dieser nordwestlichsten Gegend Deutschlands aufgewachsen. Obwohl ich dann unbedingt zum Studium nach Bremen wollte, in die Großstadt und seit über 50 Jahren hier lebe, habe ich die Landschaft meiner Jugend sehr verinnerlicht. Zur Ems, in der ich das Schwimmen lernte, damals noch an der altmodischen Angel des Bademeisters, habe ich ein fast intimes Verhältnis, sie ist mein Fluss, in der ich mich, die ich eigentlich immer ein Angsthase war, sprichwörtlich wie ein Fisch
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: @ bei den Autoren - 2017
Bildmaterialien: @ bei Michael Weisser - MikeWeisser@yahoo.de - 2017
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2017
ISBN: 978-3-7438-0042-7
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