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Erinnerung

‚Es war sehr schmutzig. Alles war etwas verschwommen. Es stank nach Abfall und verbranntem Leder. Es war dunkel, obwohl es noch mitten am Tag war. Der Himmel war so wolkenverhangen, dass man kein Fitzelchen Himmel oder Sonnenlicht sah. Die ungesunde, verpestete Luft hing wie eine Dunstglocke über der kleinen Stadt mit den vielen Gassen. Ein kleiner Junge mit noch blauen Babyaugen und dünnem schwarzem Flaum auf den Kopf rannte barfuß über das schmutzige, nasse Pflaster. Man hörte eine Frau rufen. Ein großer, muskulöser Mann rannte dem Kind hinterher. Er schlang seine Arme um es und hob es hoch. Das Baby quietschte vergnügt. Der Mann trug es zurück zu seiner Mutter. Sie sah müde und erschöpft aus. Doch die dunklen Augenränder unter ihren braun-schwarzen Augen fielen fast nicht auf, als sie lächelte. Sie sah glücklich aus als sie das Baby auf den Arm nahm und das winzig kleine Haus hinter ihr betrat.

 

Alles verschwamm und es bildete sich eine neue Szene. Es war die gleiche Stadt, nur am Rand. An den Stadttoren. Man konnte im Hintergrund unnatürlich grüne Wiesen sehen und Wälder und ganz im Westen ein Gebirge. Der Mann redete mit dem Fahrer eines Karrens, auf dem allerlei Dinge lagen. Auf der Spitze dieses Berges thronte das Kind. Es hatte inzwischen genauso dunkle Augen wie seine Mutter, die neben dem Kutscher saß. Der Vater ging jetzt zu dem Kind und hob es herunter. Es lachte.

 

Wieder verschwamm alles. Man befand sich nun auf einer Wiese neben riesigen Getreidefeldern. Eine große Mühle ragte in den Himmel empor. Der Junge war jetzt etwa 6 Jahre alt und lief laut lachend und ein Holzschwert schwingend über die Wiese. Sein Vater rannte ihm hinterher. Die Mutter stand am Eingang der Mühle. Sie sah um einiges ausgeruhter aus. Spielerisch lieferten sich der Vater und sein Sohn ein Schwertduell. Der Junge wollte umbedingt gewinnen und der Vater spielte mit. Plötzlich hörte man ein Heulen aus dem kleinen Wäldchen hinter der Mühle und ein Wolf kam herausgeschossen. Nein, das stimmte nicht. Das war irgendwie später.‘ Alles verschwamm wieder und man fand sich in der Wirklichkeit wieder. Ein schwarzhaariger, großer Junge lag auf seinem Bett in einem düsteren Zimmer. Es war Nacht und der Mond schien herein. Der Junge war ca. 18 Jahre alt und starrte an die Decke.

‚Eine Vollmondnacht ist die beste Zeit um das Leben an sich vorbeiziehen zu lassen‘, dachte er. Er stand auf und streckte sich. Seine Gelenke taten von dem langen Ausharren weh. Er ging zum Spiegel. Er hatte dunkelbraune Augen, fast so schwarz wie sein Haar und trug abgetragene Klamotten. Seine Familie war nie sehr reich gewesen und der größte Teil ihres Geldes war bei dem Kauf der Mühle draufgegangen. Sie waren vor ungefähr 15 Jahren aus Walde weggezogen. Die verpestete Luft der Arbeiterstadt war der Gesundheit seiner Mutter schlecht bekommen. Deshalb hatten sie ihren Traum, eine eigene Mühle in der Natur zu besitzen, wahr werden lassen und waren in ein anderes Fürstentum direkt neben die Hauptstadt Morganth gezogen.

≫Farim≪?, hörte er die Stimme seiner Mutter von unten hochschallen. ‚Was wollte sie zu so später Stunde noch von ihm?‘ Sie hatten schon zu Abend gegessen und er war früh zu Bett gegangen, damit er morgen munter ist. Farim gähnte und verließ sein Zimmer. Als er nach unten kam, saßen sein Vater und seine Mutter noch bei Kerzenschein am Tisch. Seine Mutter hatte geweint, das zeigen ihre roten, verquollenen Augen. Sie war traurig, weil Farim morgen die Familie verlassen würde. Die letzten Tage hatten seine Eltern ihre Trauer kaum gezeigt, aber nun als der Abschied drohte, wurde ihnen allen das Herz schwer. Das Esszimmer war nicht sehr groß und trotzdem das größte Zimmer des kleinen Wohnhauses, das Teil ihrer Mühle war. Den meisten Platz nahm der große Eichentisch in der Mitte des Raumes ein. Drei Stühle standen am Tisch. Auf Zweien saßen seine Eltern und auf dem dritten nahm Farim nun platz.

≫Was ist los?≪, fragte er.

Seine Mutter sah aus, als wollte sie etwas sagen, doch sie brachte nur ein Schluchzen heraus. Also übernahm der Vater das Reden: ≫Bevor du morgen gehst, wollen wir dir noch etwas geben. Es wird schwer sein, ohne dich hier in der Mühle zurecht zu kommen, aber wir wissen wie wichtig dir das ist.≪

≫Ich weiß wir können uns das eigentlich nicht leisten, aber...≪

≫Peter, sag doch nicht immer so etwas, so kurz bevor unser Junge weg ist.≪, unterbrach ihn seine Mutter, ≫Farim, wir schaffen das schon. Bald ist die Ernte fertig und es kommen wieder bessere Zeiten.≪

≫Ich weiß, ich weiß, Elise.≪, sagte Farims Vater.

Seine Mutter vergrub ihr Gesicht wieder in den Händen und schluchzte leise vor sich hin.

≫Verdammt, jetzt reiß dich mal zusammen, Elise!≪, sagte Peter scharf. Er konnte manchmal ziemlich grob sein,≫ Wir sollten Farim nicht seinen letzten Tag hier zuhause verderben, indem wir trauern!≪

Elise sah auf:≫ Ich weiß, du hast ja recht, Peter.≪ Sie wischte sich kurz über die Augen, schniefte und atmete einmal tief durch.

≫Also, Farim, weshalb wir dich eigentlich heruntergerufen haben...≪ Sein Vater stand auf und ging zu der Kommode. Er holte eine kleine Schatulle heraus, setzte sich und stellte sie vor sich auf den Tisch. Es war ein schönes Kästchen aus schwarzem Ebenholz. Sie sah sehr wertvoll aus und war mit vielen, kleinen Schnitzereien verziert. Da waren Menschen, Jäger die Bären und Wölfe jagten und Frauen mit Babys, oder die an einem Webstuhl saßen. Am Himmel flog ein großer Vogel, der besonders hervorgehoben wurde. Es war ein Falke, glaubte Farim.

Sein Vater öffnete die Schatulle und holte ein Amulett hervor. Es sah wunderschön aus und schien aus purem Gold zu sein. Farim hatte es noch nie zuvor gesehen.

≫Was ist das?≪, fragte er seine Eltern.

≫Es ist ein altes Familienerbstück von deinem Urururururgroßvater.≪, antwortete seine Mutter mit geheimnisvoller Stimme, ≫es heißt, ein Zauber liegt auf dem Rubin in der Mitte. Jedem Winterreach, der dieses Amulett trägt, gelingt alles, was er sich vornimmt.≪

≫Und morgen kannst du alle Hilfe gebrauchen, die du bekommen kannst, bei dem, was du dir vorgenommen hast≪, fügte sein Vater hinzu.

≫Ich werde das schon schaffen≪,sagte Farim, ≫dazu brauche ich kein mystisches Amulett. Und du hast es damals schließlich auch geschafft.≪, fügte er an seinen Vater gewandt zu.

≫Ja, aber ich hatte auch schon Kontakte.≪sagte Peter, ≫ich glaube du unterschätzt das alles.≪

≫Na ja, wie auch immer...Danke. Ich gehe jetzt schlafen.≪ Farim stand auf, nahm das Amulett und wandte sich zum gehen.

Also er in seinem Zimmer im zweiten Stock angekommen war, setzte er sich auf das Bett. Das Medaillon legte er neben sich. Er wusste, dass er eigentlich schlafen sollte und er war auch müde, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er blickte sich in seinem Zimmer um. Es war wirklich nicht sehr spektakulär. Er wohnte direkt unter dem Dach und das Bett, auf dem er saß, stand unter der Dachschräge. Daneben stand noch der kleine, von ihm selbstgezimmerte Nachttisch. Außerdem gab es noch eine Kommode mit seinen Klamotten und all den Dingen, die er hütete, wie seinen Augapfel. Sein Tagebuch, sein Taschenmesser, die alten Holzfiguren, die sein Vater für ihn geschnitzt hatte und mit denen er früher immer gespielt hatte. Außerdem noch einen alten Ring mit dem Familienwappen darauf (eine Mühle dessen Flügel die Form einer riesigen Schneeflocke hatte), den er von seinem Großvater geerbt hatte. Über der Kommode hing der alte, halbblinde Spiegel mit einem verzierten Rahmen. Es würde schwer sein alles hier zulassen, aber er konnte nur die wichtigsten Sachen mitnehmen. Sein Blick fiel auf das Amulett, das neben ihm lag. Irgendetwas an ihm, zog ihn magisch an. Wie ein Sog, der ihn dazu zwang es sich noch einmal genauer anzusehen.

Es war rund, schwer und massiv und etwa so groß wie sein Handteller. Es hing an einer goldenen Kette, damit man es sich um den Hals hängen kann. In der Mitte des Medaillons war ein achtzackiger Stern eingelassen und in dessen Mitte ein funkelnder Rubin.

‚Ob es mir nun Glück bringt, ist nebensächlich. Wertvoll ist es in jedem Fall.‘, dachte er sich und legte es auf seinen Nachtisch.

Langsam wurde er müde und er legte sich auf sein Bett. Der Vollmond schien durch das Fenster und er verlor sich wieder in seinen Erinnerungen.

 

Der Traum

 Farim stand in einem Wald. Es war der Abendwald, das erkannte er an dem dunklen Licht und den Bäumen, die vorwiegend Nadeln statt Blätter trugen. Die Sonne stand im Zenit, doch hier unten war es schattig. Farim wusste, dass er sich am Trainingspunkt befand. Er und sein Vater waren einmal hierher gereist. Aber irgendetwas war falsch. Die Lichtung war menschenleer. Sein Vater war nicht da, ebensowenig wie die Prüfer oder andere Schüler. Er war allein.

Sich im Kreis drehend blickte er sich um, aber er konnte nichts besonderes entdecken. Ein paar Vögel zwitscherten in den Bäumen, ein Eichhörnchen kletterte eine große Fichte hinauf und am Himmel flog ein Falke vorbei. Farim wusste nicht, was er tun sollte, also entschloss er sich etwas spazieren zu gehen.

Er war erst wenige Schritte gegangen, da hörte er plötzlich einen gellenden Schrei durch den Wald schallen. Das Echo war noch nicht ausgeklungen, da war er schon losgerannt. Etwa in die Richtung aus der er vermutete, dass der Schrei gekommen war. 

Er rannte weiter und weiter bis er schon dachte, dass er in die falsche Richtung gelaufen war und blieb schließlich völlig außer Atem stehen. Als er sich umsah, kam ihm nichts mehr bekannt vor. Er hatte sich tatsächlich verirrt. 

Auf einmal kam ihm der Wald auch viel weniger freundlich vor. Er hatte beim Rennen nicht bemerkt, dass es viel dunkler geworden war und die Bäume enger zusammenstanden, sodass sie kaum noch Licht hindurchließen. Er sah oder hörte auch keine Tiere mehr. Er hörte überhaupt nichts. Es war, als ob seine Ohren mit etwas bedeckt waren, dass keinen Laut hindurchließ. Währenddessen wurde die Angst un deinem Herzen immer größer, während er sich verzweifelt nach einem Lichtblick umsah. 

Ungefähr zehn Meter vor ihm war eine kleine Lücke zwischen dem Bäumen. Kaum eine Handbreit Licht leuchtete durch die schwarzen Nadeln. Er wollte umbedingt zu dem Licht, da die Dunkelheit und seine Angst immer größer wurden, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Seine Füße waren wie am Boden festgeklebt und ließen sich kein Stück bewegen. 

Er wollte gerade aufgeben, da hörte er einen weiteren Schrei, ganz nah und direkt vor ihm. Das gab ihm neue Kraft. Er zog mit aller Kraft einen Fuß vom Boden weg. Doch sobald er ihn wieder aufsetzte klebte er erneut fest. Es fühle sich für ihn wie Stunden an. Schrecklich lange Stunden, die er brauchte um die kleine Lücke in der Dunkelheit zu erreichen. 

Er dachte schon, er würde es überhaupt nicht mehr schaffen. Doch da streckte er dir Finger nach dem Licht aus, ging noch einen letzten anstrengenden Schritt und spürte, wie die wärmende Sonne auf seinen Fingerspitzen tanzte. In diesem Moment, war alle Anstrengung von ihm gewichen – wie weggewischt. Er trat nach draußen und fand sich auf einem großen Steinplateau wieder. 

Ungefähr 50 Meter von ihm entfernt sah er, was er gesucht hatte. Die Person, die geschrien hatte.

Es war ein Mädchen. Ungefähr ein Jahr jünger, als er selbst. Sie war wunderschön, war relativ groß, schlank und hatte hüftlanges dunkelrotes Haar, das sanft im Wind wehte. In der Sonne leuchtete es wie Feuer. Ihre Augen hatten diese unidentifizierbare faszinierende Farbe, bei der man sich jedes Mal, wenn man sie sieht fragt, welche Farbe es genau ist. Im Moment waren sie Grau-Grün, doch mit jeder Bewegung wechselte sie sich. Mal blau oder mal Haselnussbraun.

Farim war so entzückt von dem Anblick, dass er gar nicht merkte in welchen Schwierigkeiten das Mädchen steckte. Sie kämpfte nämlich gerade gegen zwei riesige Wölfe. Neben dem Kampfschauplatz lag bereits die Leiche eines Wolfes, den sie schon erledigt hatte. Aber gegen die beiden anderen zu kämpfen, bereitete ihr große Schwierigkeiten und sie schien langsam müde zu werden. Als er das realisierte, was einige Zeit dauerte, da er sich nicht wirklich von ihrem Anblick losreißen konnte, rannte er sofort los, um ihr zur Hilfe zu kommen.

Er wollte eine Waffe ziehen, doch da bemerkte er, dass er gar keine bei sich trug. Als er hektisch seinen ganzen Körper nach etwas waffenähnlichem absuchte, achtete er einen kurzen Moment nicht auf seine Füße. Es war nur eine kleine Stufe im Stein, aber er stolperte. Und fiel. Als er auf dem Boden aufschlug, wurde alles schwarz.

 

Er wachte in seinem Bett auf. Er war völlig außer Atem und schwitzte. Er schloss die Augen und achtete nur darauf, ruhig zu atmen.

‚Was ist eben passiert?‘, fragte er sich. Langsam beruhigte sein Atem sich wieder, aber in seinem Gehirn fuhren seine Gedanken immer noch Achterbahn. 

Als er aus dem Fenster blickte, sah er, dass es offenbar noch mitten in der Nacht war. Draußen war alles pechschwarz und man konnte keinen Laut hören. 

Er hustete einmal leise vor sich hin, nur um sich zu vergewissern, dass er nicht taub war.

Da er sowieso nicht mehr einschlafen könnte, stand er auf und ging etwas im Zimmer herum. Er versuchte sich an alle Einzelheiten in seinem Traum zu erinnern. 

Erst war er ganz allein am Trainingspunkt gewesen. Dann kam der erste Schrei. Er war losgerannt und war plötzlich in diesem dunklen Waldstück gewesen. Er hatte sich nicht bewegen können, seine Beine fühlten sich noch immer merkwürdig an, so als ob er gerade einen Marathon gelaufen wäre. Farim seufzte, setzte sich auf sein Bett und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Als er auf das Felsplateau gekommen war, hatte er sie gesehen. Er konnte sich noch genau an ihr Aussehen erinnern. Ihr Gesicht – so engelsgleich. Und er hatte versagt. Zwei Mal. Erstmal war er gestolpert, was so ziemlich das bescheuerteste war, was hätte passieren können und dann, selbst wenn er angekommen wäre, hätte er keine Waffe dabei gehabt, um dem Mädchen zu helfen.

Der Traum hatte sich so real angefühlt. Wenn ihm morgen bei der Prüfung so etwas passieren würde, könnte er sich das nie verzeihen. Vielleicht war der Traum so eine Art Vision oder Prophezeiung gewesen – dass er morgen versagen wird. 

Er wusste, seine Eltern hatten viel Geld bezahlt, damit er an der Prüfung teilnehmen durfte und wenn er nicht an der Akademie angenommen werden würde, wäre das ganze Geld umsonst verschenkt worden.

Es ging nämlich um einen Studienplatz an der berühmtesten Akademie von ganz Illsweyer – die große Akademie von Nebelstedt. Man musste erst die Aufnahmeprüfung bestehen, um aufgenommen zu werden. Niemand wusste genau, was man tun musste, um die Prüfung zu bestehen. Man kam am Prüfungstag – morgen – zum Treffpunkt im Abendwald. Am morgen wurde man von einigen Prüfern und Schülern abgeholt und zum Wald gebracht. Man musste dann den Tag in dem dort verbringen und überleben. Dabei kamen viele Gefahren auf einen zu. Mitnehmen dürfte man nur ein Messer. Mehr war nicht erlaubt. Die Prüfer beobachten einen, während man den ganzen Tag versucht, zu beweisen, warum man den Platz verdient hat. Zu jeder Prüfung kamen jedes Mal durchschnittlich zwanzig Bewerber aus allen Teilen von Illsweyer. Aufgenommen wurden nur vier Schüler. Im ganzen Land gab es noch vier andere Prüfungspunkte , von denen aus jeweils zwanzig Teilnehmer starten und jeweils wieder nur vier angenommen werden. Man konnte wählen, wo man die Prüfung absolvieren wollte. Im Wald, in der Steppe, am Flussufer oder in der Ruinenstadt Fordown. Farim hatte den Wald gewählt, weil er sich da am sichersten fühlte. 

Sein Vater selbst war auf die Akademie gegangen und hatte mit Auszeichnung bestanden. Farim fühlte sich dadurch extrem unter Druck gesetzt, aber seine Eltern wollten davon nichts hören. 

Morgen war also die Prüfung. Die ganzen letzten Wochen hatten seine Eltern sich benommen, als wäre es schon sicher, dass er auf die Akademie gehen würde, aber er wusste noch nicht genau, wie er das schaffen sollte. Und dann noch kurz vor seinem Aufbruch ein so entmutigender Traum.

‚Was soll ich tun, wenn ich es nicht schaffe?‘

 

Die Reise

 Offenbar war er doch noch einmal eingeschlafen, denn das Nächste, an das er sich erinnerte, war seine Mutter, die ihn weckte.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der leichte grüne Schleier am Horizont, kündigte bereits den Morgen an.

Farim war müde, aber mittlerweile kam ihm der Traum eben nur wie ein dämlicher Traum vor. Er wusste nicht, warum er sich in der Nacht solche Sorgen gemacht hatte und fühlte sich mutiger. Er würde das schon schaffen.

Er zog sich an, legte das Amulett um und nahm seinen Rucksack, den er am Nachmittag zuvor gepackt hatte. 

Jetzt war er bereit zu gehen.

Als er nach unten kam saß seinen Mutter am Tisch und wickelte ein halben Brotleib und ein Stück Fleisch in ein Tuch ein – sein Reiseproviant. Sein Vater war nirgends zu sehen.

≫Wo ist Dad?≪, fragte Farim seine Mutter.

Erst antwortete sie nicht und blickte nur auf den Boden. Dann aber sah sie auf und blickte ihm direkt in die Augen.

≫Es tut mir so Leid, Farim, aber Peter musste schon sehr früh los. Er wurde per Eilbotschaft zum Grafen gerufen. Er ist schon seit 2 Stunden weg und ich fürchte, er wird nicht rechtzeitig wiederkommen.≪ Als sie das sagte, traten ihr Tränen in die Augen. ≫Es tut mir so leid≪, flüsterte sie.

Farim stand wie vom Donner gerührt da. Sein Vater war einfach so an dem wichtigsten Tag des Lebens seines Sohnes weggegangen und hatte sich nicht einmal verabschiedet. Farim wusste, dass sein Vater mit Sicherheit einen guten Grund dafür gehabt hatte, aber sauer war er trotzdem. Sein Vater hätte ihn doch wecken können!

≫Ist alles in Ordnung, Farim?≪

≫Ja, klar, Mum. Alles bestens. Sag Dad bitte, dass ich ziemlich enttäuscht von ihm bin.≪

≫Oh, Farim. Ich kann mir vorstellen, dass dein Vater sich mindestens genau so ärgert wie du und weiß, wie traurig und enttäuscht du bist.≪

≫Wie auch immer.≪, sagte Farim, ≫Wann kommt die Kutsche?≪

≫Sie müsste jeden Moment eintreffen.≪, antwortete seine Mutter, ≫Willst du noch etwas frühstücken?≪

≫Nein, ich glaube nicht, dass ich jetzt noch etwas herunterbekomme.≪

Seine Mutter seufzte und gab ihm das kleine Päckchen mit seinem Proviant. Farim verstaute es in seinem Rucksack und drehte sich zur Tür.

≫Farim≪, flüsterte seine Mutter, ≫ich werde dich so sehr vermissen.≪ Als Farim sich umdrehte, lief ihr eine Träne über die Wange. 

≫Ich wünschte so sehr, du würdest nicht gehen, mein Sohn. Du warst zeitweilig der einzige Lichtblick für mich in dieser dunklen Welt. Versprich mir, dass zu auf dich aufpasst.≪

Mit wenigen Schritten ging Farim zu ihr und schloss sie in seine Arme.

≫Ich verspreche es dir, Mum≪, sagte Farim und während er seine Mutter in seine Schulter schluchzen hörte, spürte er selbst in seinen Augen Tränen brennen.

Er schniefte, räusperte sich und ließ seine Mutter los. Ihr Gesicht war Tränennass.

≫Ich hab dich so lieb, Mum. Ich verspreche dir, ich komme wieder.≪

≫Oh, mein Sohn. Du bist so erwachsen geworden.≪

Auf einmal klopfte es an die Tür.

≫Das sind wohl die Prüfer.≪ sagte seine Mutter leise, ≫Du musst jetzt stark sein. Sei so stark wie immer, aber blick nicht zurück, Farim.≪

Farim nahm einen tiefen Atemzug und ging zur Tür. Als er nach draußen in den kalten Morgen ging, fühlte er sich befreit. Er war bereit, seinen Traum zu leben und das Leben zu führen, das er sich immer gewünscht hatte.

Ungefähr zehn Meter von ihm entfernt, stand eine große schwarze Kutsche. Auf dem Kutschbock saß ein unfreundlich aussehender Mann in einem schwarzen Gewand. Die Vorhänge hinter den Fenstern waren zugezogen. Zusammen mit den vier pechschwarzen Pferden, die vor der Kutsche eingespannt waren, sah die ganze Szenerie nicht sehr einladend aus. Farim atmete tief durch und ging mit langsamen Schritten auf die Kutsche zu. Die Worte seine Mutter klangen ihm noch in den Ohren. ‚Nicht zurückblicken.‘ Mit aller Macht zwang er sich einfach nur zur Kutsche zu gehen. 

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Der Mann auf dem Kutschbock hatte sein Gesicht fast komplett vermummt. Durch einen kleinen Spalt, sah man leere schwarze Augen, die ihm drohend folgten.

Als er an der Tür zur Kutsche angekommen war, blickte er doch noch ein letztes Mal zum Haus. Seine Mutter stand mit verschränkten Armen am Eingang. Sie sah unglaublich traurig aus. So als ob die Freude für immer aus ihren Gefühlen verbannt worden war und sie nie wieder glücklich sein würde. 

Farim riss sich los und blickte auf den Mann auf dem Kutschbock. Er hatte sich fast ganz zu ihm umgedreht und seine dunklen Augen musterten ihn scharf.

≫Es ist Zeit≪, sagte er mit eine drohenden, schnarrenden Stimme, bei dessen Klang Farim das Blut in den Adern gefror.

Farim wandte sich zur Tür und griff nach der Türklinke. Er zuckte kurz zurück, denn sie war eiskalt, obwohl es hier draußen nicht sehr kalt war.

In der Glasscheibe der Tür sah er kurz sein Spiegelbild, bis er kurzentschlossen die Tür aufriss. 

Es war stockdunkel im inneren der Kutsche. So sehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte nichts erkennen. 

Er hob einen Fuß und stellte ihn auf die erste Stufe. Langsam erkomm er die Stufen bis zum Gehäuse und stieg dann endgültig in die unheimliche Kutsche.

Doch als er die Tür schloss, flammten plötzlich Lichter auf und er sah sich weiteren Gestalten gegenüber. Sie grinsten ihm über beide Ohren hinweg entgegen.

Es waren zwei ältere Männer, außerdem noch drei Jungen und ein Mädchen, die alle etwa in seinem Alter waren.

≫Farim Winterreach?≪, fragte einer der beiden älteren Männer. Er trug eine winzig kleine Nickelbrille auf der Nase und in der Hand hatte er einen Liste.

≫Ähm, ja, der bin ich.≪, antwortete Farim, der immer noch unschlüssig, was er tun sollte, in der Tür stand. Von innen war die Kutsche viel größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte.

≫Sehr gut, sehr gut.≪, sagte der Mann, kritzelte mit einer Feder auf dem Papier herum und wies dann mit der einen Hand auf einen noch leeren Sitzplatz.

Farim setzte sich und sah sich genauer um. Außer die Wand, in der die Tür eingelassen war, waren die Wände mit schönen, gepolsterten Sitzbänken bedeckt. Die Wände waren aus einem hellen Holz und teilweise waren edle Schnitzereinen hineingeritzt. Farim staunte auch nicht schlecht, als er den riesigen kristallienen Lüster entdeckte, der von der hohen Decke hing und die ganze Szenerie in ein goldenes Licht tauchte.

Farim besah sich die weiteren Insassen der Kutsche genauer. Rechts neben dem Mann mit der Nickelbrille saß ein bulliger mittelalter Mann, dessen Haut mit Narben und Tattoos überseht war. Er sah so aus, als wäre mit ihm nicht gut Kirschen essen. Fünf andere Prüfungsteilnehmer saßen auf den Bänken an der Stirnseite und auf der, auf der Farim selbst saß. Sie sahen alle relativ unscheinbar aus. Alle hatten sie Bauernklamotten an und darüber einen schwarzen Umhang. 

Holprig fuhr die Kutsche an. Der Bulle kramte in einer Tasche, die neben ihm lag, zog einen weiten schwarzen Umhang heraus und reichte ihn Farim.

Als er ihn angezogen hatte, blickte er erneut auf. Der Mann mit der Nickelbrille hatte seine Liste, die Feder und das Tintenfässchen gerade in seine Tasche gesteckt und musterte ihn jetzt genau.

≫Na, so schweigsam, Junge?≪, fragte er, ≫erzähl uns doch ein bisschen was über dich, Farim.≪

≫Es gibt nicht viel zu erzählen...≪, antwortete Farim leise. Alles war so überwältigend für ihn, dass er etwas eingeschüchtert auf seinem Platz saß. ≫Als Kind habe ich die ersten drei Jahre meines Lebens in Walde gelebt. Ich erinnere mich nicht wirklich an die Zeit.≪

≫Walde, die alte Industriestadt≪, sagte plötzlich der Bulle. Er hatte eine tiefe, durchdringende Stimme, die einem irgendwie Angst machte, ≫ich erinnere mich noch genau an ihre beste Zeit. Es war bevor du und ihr alle geboren wart. Es waren Zeiten, in denen es schön war dort zu leben, bevor die Dunkelheit kam.≪

≫Die Dunkelheit?≪, fragte der Junge neben ihm.

≫Bevor die Luft zu verpestet war, sie zu atmen und die ganze Stadt verkümmerte.≪, sagte der Bulle leise.

≫Was hat sich geändert?≪, fagte Farim. Er wusste nicht, dass Walde auch mal schön gewesen war und konnte es sich auch nicht vorstellen. Was hatte sie zu der Stadt gemacht, die sie jetzt war? 

≫Tja, Junge. Noch nie was vom Falken gehört?≪, der Bulle sah ihm jetzt direkt in seine Augen. Sie waren kalt und grau und in ihnen konnte Farim viel Erfahrung, aber auch viel Leid erkennen.

≫Falke?≪, fragte Farim verdattert. Was sollte ein Vogel denn schon ausrichten?

≫Ja, aber nicht das Tier. Du hast also noch nie von ihm gehört? Mein Gott, ließt du denn keine Bücher?≪

≫Na ja. Schon, aber ein Falke ist mir noch nie begegnet...≪

≫Dann hast du Glück gehabt, dass du nicht in Angst leben musstest.≪, Der Bulle seufzte, ≫Der Falke ist der mit Abstand mächtigste Mann unserer Zeit. Und nicht nur unserer Zeit. Er existiert schon seit vielen hundert Jahren und niemand weiß, wer er wirklich ist.≪

≫Ist er so etwas, wie ein König?≪

≫Ein König? Vielleicht der Verbrecherkönig. Er erpresst und mordet, wo immer er kann. Ist wohl auch ziemlich reich. Außerdem hat er seine Gefolgsleute. Es wird vermutet, dass er der Kopf einer riesigen Organisation ist. Die Organisation heißt ‚Die schwarzen Ringe‘. Von denen hast du doch aber schon mal gehört, oder?≪

≫Ja, hab ich.≪

≫Aber nicht vom Falken? Er existiert schon seit so langer Zeit und noch immer weiß niemand, wer er ist. Für einige ist es eine Frage des Glaubens, denn viele denken, dass er nicht einmal existiert und nur ein Mythos ist, den sich die Legion ausgedacht hat und die ganzen Verbrechen zu erklären. Aber das glaube ich nicht.≪

≫Aber was hat der Falke mit Walde zu tun?≪, fragte das Mädchen.

≫Er hat in der Stadt gewütet. Es gab unzählige Einbrüche und Morde.≪, sagte der Bulle dem Mädchen zugewandt, ≫Die Leute hatten Angst. Die ganzen reichen Menschen, die es sich leisten konnten, sind weggezogen und die armen Bauern sind geblieben. Seitdem erstickt die Stadt im Dreck und keine Ratte will dort mehr leben. Der Falke ist wieder untergetaucht und erscheint jetzt mal hier und mal dort wieder in verschiedensten Teilen dieser Welt. Man ist nirgendwo sicher vor ihm...≪ , die letzten Worte sagte er mit bedrohlicher Stimme.

Auf einmal hielt die Kutsche an.

≫Hier ist Endstation, meine Herrschaften.≪,sagte der Mann mit der Nickelbrille.

 

Die Prüfung

 Als Farim aus der Kutsche ausstieg, sah er, dass die Sonne gerade aufging. Das orange-rote Licht beleuchtete eine Wiese vor einem großen Nadelwald.

Er ging ein paar Schritte nach vorn und drehte sich dann zu den anderen um. Sie stiegen nach und nach aus und sahen sich um. Als letztes stiegen der Bulle und der Nickelbrillenmann aus.

Die Kutsche sah nun im Licht gar nicht mehr so beängstigend aus. Sie war dunkelblau und mit den eingeschnitzten Rosen an den Türen, sah sie äußerst imposant aus.

Die Anderen gingen jetzt zu ihm, während sich die Prüfer vor ihnen aufstellten.

≫Also, ich denke es ist jetzt an der Zeit, dass wir uns vorstellen≪, sagte der Mann mit der Brille, ≫ich heiße Hajota Sorum und bin der stellvertretende Direktor unserer Universität und außerdem einer eurer Prüfer. Das≪, und er deutete auf den Bullen, ≫ist mein Kollege Hady Newman. Er ist selber ein Absolvent der Universität und ein weiterer Prüfer.≪

≫Ich und Hajota werden Ihnen jetzt den Ablauf der Prüfung erklären. Euch werden im Laufe des Tages verschienen Situationen gezeigt und Ihr müsst diese meistern.≪, begann Hady zu erzählen, ≫Sobald Ihr den Wald betretet, beginnt die Prüfung. Von den anderen vier Himmelsrichtungen starten weitere Prüflinge und am Ende werden von den zwanzig Schülern vier auf die Universität aufgenommen.≪

≫Während dieses Tages werden wir – wir sind insgesamt acht Prüfer – euch dabei beobachten wie Ihr Gefahren und Herausforderungen meistern könnt. Heute nach Sonnenunergang werden wir uns alle am Trainingspunkt wiedertreffen. Wenn einige von euch den Weg nicht wissen: Wir haben für jeden Teilnehmer an der Prüfung eine Karte von diesem Gebiet angefertigt. Sie bekommen sie gleich ausgehändigt, zusammen mit einem kleinen Messer, einem Seil und etwas Schnur. Das und ihr Rucksack sind die einzigen Gegenstände, die Sie mitnehmen dürfen. Kurz vor eurem Aufbruch werden wir persönlich euer Gepack kontrollieren.≪

≫Worin genau bestehen diese Prüfungen denn?≪, fragte das Mädchen.

≫Es gibt verschiedenste Arten, bei denen euer Scharfsinn und eure Intuition, eure Überlebensfähigkeiten und natürlich eure Reaktionsgeschwindigkeit und euer Umgang mit gefährlichen Situationen, zum Beispiel Angriffen, getestet wird.≪, erklärte Hady ,≫Da ihr nichts zu essen mit euch führen dürft, wenn ihr den Wald betretet, müsst ihr es euch selbst beschaffen. Ihr könnt euch im Wald selber Waffen wie Pfeil und Bogen bauen. Dadurch zeigt ihr euer Geschick. Ihr könnt jagen und Feuer machen. Was immer ihr wollt... Aber Obacht! Es gibt auch Feinde in dem Wald. Euch ist sicherlich bekannt, dass das Angreifen von anderen Prüfungsteilnehmern streng verboten ist und hart bestraft wird, aber es gibt Tiere, wie Wölfe und verschiedenes Wild und außerdem einige menschliche Gegner. Nun sie sind keine richtigen Menschen, sondern nur Schöpfungen, aber...≪

≫Was meinen Sie mit Schöpfungen?≪, Farim sah Hady verwirrt an.

≫Du weißt doch sicherlich, dass an unserer Akademie außer Kampf für einige besondere Schüler auch Magie gelehrt wird, oder?≪

≫Ja, schon. Und diese Schöpfungen sind beschwörene Lebewesen?≪

≫In der Tat. Wir haben einen Zauberkünstler, der uns speziell für die Prüfungen einige seiner Schöpfungen zur Verfügung stellt.≪, Hady lächelte geheimnisvoll, ≫Ich weiß allerdings nicht, wie gefählich sie sind. Ihr solltet euch auf einen Kampf vorbereiten. Allerdings haben sie gute Waffen und einige andere Dinge dabei, die euch sehr nützlich sein können.≪

Hajota unterbrach ihn ungeduldig: ≫Genug geplaudert jetzt! Die Sonne ist fast aufgegangen. Also, nach Sonnenuntergang sehen wir uns alle wieder – hoffe ich. Jetzt werden Hady und ich eure Rucksäcke inspizieren. Also bitte, tretet nacheinander vor.≪

Farim ging zu Hady und gab ihm seinen Rucksack. 

≫So, was haben wir denn da...≪ Hady nahm den Rucksack und holte Farims Sachen heraus.

Er legte sie alle auf einen Haufen auf eine Bank in der Kutsche. Aus seiner eigenen Tasche nahm er jetzt ein kleines, handliches Taschenmesser, ein zusammengerolltes Seil, eine Rolle dünne Schnur und eine Karte von diesem Gebiet heraus. Er gab Farim alle Dinge zusammen mit seinem Rucksack und wandte sich dem nächsten Prüfling zu.

Farim packte alle Sachen in den Rucksack und setzte ihn sich auf. Dann sah er sich nach den anderen um. Sie waren alle dabei Ihr Gepäck kontrollieren zu lassen.

Nach ein paar Minuten waren sie alle aufbruchsbereit.

Hajota begann wieder zu reden: ≫Also, sobald ihr den Wald betretet, beginnt die Prüfung offiziell.≪

≫Ihr solltet jetzt losgehen. Ich warne euch. Es wird gefährlich werden...≪, Hadys Stimme hatte jetzt wieder den bedrohlichen Unterton, ≫Allerdings: Sobald ihr ernsthaft in Lebensgefahr seid, werden wir euch zu Hilfe kommen. Nehmt es aber nicht auf die leichte Schulter, denn das könnte bedeuten, dass ihr dann aus der Prüfung ausgeschlossen seid.≪

Farim atmete einmal tief durch. Jetzt wurde es also ernst. Zusammen mit den anderen näherte er sich dem Waldrand. In diesem Halbdunkel wirkte der Wald dunkel und bedrohlich, also ob er sie alle verschlingen und nie wieder freigeben wurde. Sie betraten den Wald und sahen sich ersteinmal um. Hady und Hajota waren am Waldrand stehengeblieben und sahen ihnen nur nach.

Als Farim seinen Blick gen Himmel hob, sah er von der Sonne angestrahlte Wolken. Er hörte Vogelgezwitscher. Sonst war jetzt alles ruhig. Als er sich an die anderen wenden wollte, um zu erfahren, was sie jetzt vorhatten, sah er, dass er schon ganz allein war.

Er atmete tief durch und machte sich einfach in irgendeine Richtung auf den Weg.

Zuhause hatte Farim sich schon einen Plan zurechtgelegt, was er alles tun wollte.

Als erstes baute er sich einen Bogen. Relativ schnell fand er einen dazu geeignetes Stock und mithife seines Messers konnte er ihn zurechtschnitzen. Auch ein paar wenige Pfeile schnitzte er sich. Mithilfe von etwas Schnur konnte er einige Steinspitzen an den Pfeilen befestigen.

Seine Waffen waren nicht sehr fortgeschritten, (um genau zu sein, im Kampf wahrscheinlich eher unbrauchbar) aber das Beste, was er momentan hatte.

Die Sonne stand schon fast im Zenit und langsam bekam er Hunger. Eigentlich erwartete er so langsam mal einen Gegner, aber es war alles ruhig. Er musste trotzdem immer wachsam sein.

Im Bogenschießen war er schon immer gut gewesen, weshalb er schon beim zweiten Versuch einen Vogel erlegte. Mithilfe der Sonne entfachte er ein kleines Feuer auf einer Lichtung und briet den Vogel.

Nachdem er gegessen hatte, wunderte er sich so langsam, warum keine Gegner kamen, als plötzlich ein Waldschwein auf ihn zutrottete. Waldschweine waren eine evolutionär fortgeschrittenere Form der Wildschweine, die nur hier im Abendwald lebten. Sie waren größer und sehr gefährlich. Es hatte zwei kleine schwarze Augenpaare direkt übereinander und schwarzes borstiges Fell, dass allerdings so stachelig war, dass man es kaum noch Fell nennen konnte. An den Seiten seines Mauls ragten vier riesige Stoßzähne heraus, wobei das vordere Paar fast doppelt so groß war wie das hintere. Statt Hufe hatte es klauenbewährte Pranken. In seinem Nacken bis ungefähr zur Mitte seines Rückens liefen die Nackenstacheln. Lange schwarze Stacheln, die es bei Gefahr aufstellen konnte.

So wie jetzt. Das Tier sah verdammt gefährlich aus.

Farim stand ganz langsam auf und ging ein paar Schritte zurück. ‚Ganz langsam‘, dachte er nur, ‚Ich darf es nicht reizen.‘

Aber das war es schon. Drohend kam es immer näher. Also Farim noch ein Schritt zurückwich, stieß er mit dem Rücken gegen einen Baum.

Er tastete in seiner Hosentasche panisch nach seinem Messer, doch da sah er es plötzlich außerhalb seiner Reichweite hinter dem Waldschwein auf dem Boden liegen. Neben seinen anderen Waffen, dort wo er eben noch gesessen hatte.

Das Waldschwein war jetzt nur noch ungefähr zwei Meter von ihm entfernt. Farims Herz klopfte ihm bis zum Hals. Verdammt, was sollte er tun? Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. Wie gut standen seine Chancen? Er hatte keine Waffe und kämpfte gegen ein ausgewachsenes Waldschwein. Seine Überlebenschancen standen nicht sehr gut. Er könnte natürlich auch um Hilfe rufen. Aber dann als Trottel dastehen? Nein, das konnte er nicht tun. Was hätte sein Vater wohl getan? Seine einzige Chance bestand darin, irgendwie an seine Waffen zu kommen und das Tier zu töten, bevor es dazu kam, ihn zu töten. ‚Aber wie...‘ Ja, jetzt hatte er einen Plan, so ging es vielleicht. Während er wie gebannt darauf wartete seinen Plan auszuführen, machte das Waldschwein plötzlich eines Satz nach vorn und kam auf ihn zugeprescht. Bevor er die Chance hatte zu reagieren, war das Waldschwein mit seinem mächtigen Schädel gegen seine Brust geprallt und presste ihn gegen den Baumstamm. Farim stöhnte vor Schmerzen. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Es fühlte sich an, als hätte er sich einige Rippen gebrochen.

Das Waldschwein ging einen Schritt zurück und Farim konnte sich jetzt kaum noch auch seinen Beinen halten. Er zitterte und klammerte sich an dem Baum fest. Das Tier nahm jetzt seinen riesigen Kopf zur Seite und wollte seine Stoßzähne in seinem Körper vergraben.

‚Jetzt!‘, dachte Farim und obwohl sein Körper sind mit extremen Schmerzen schreiend dagegen werte, warf er sich schräg nach vorne auf den Boden, vorbei am Waldschwein, das dadurch mit dem Kopf gegen den Baum krachte, dass der Boden bebte. 

Für einen Moment waren sie beide benommen. Doch Farim sah, dass der Weg zu seinem Messer jetzt frei war und rappelte sich unter Schmerzen auf. Als er es erreichte schien das Waldschwein gemerkt zu haben, was passiert war, doch bevor es sich umdrehen konnte, war Farim mit einem Satz bei ihm und versenkte das Messer in seiner Kehle. Blut floss über seine Hände und nach einem langen Zittern und Beben brach das Waldschwein vor ihm tot zusammen.

Jetzt kippte auch Farim um, den seine Schmerzen jetzt, wo das Adrenalin wich, wie ein Peitschenschlag trafen.

Eine Weile blieb er wie betäubt neben dem Waldschwein liegen, bis er schließlich tief durchatmete und voller Angst seinen Körper nach starken Verletzungen absuchte.

≫Beeindruckend! Einige Prellungen, aber keine Brüche, würde ich sagen.≪ hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich.

Er setzte sich auf und drehte sich um. Ein Junge stand da. Etwas älter als er selbst, schätzte Farim.

Er hatte lockeres braunes Haar und kastanienbraune Augen.

≫Ähh, was?≪, fragte Farim sichtlich überfordert.

≫Naja, ein ausgewachsene Waldschwein. Sehr schöner Kampf. Hab alles mitangesehen.≪

≫Wer bist du?≪

≫Ich heiße Stiff. Ich nehme an der Prüfung teil, genau wie du, Farim.≪

≫Woher kennst du meinen Namen?≪

≫Oh, ich hab mir alle Akten von allen Teilnehmern angeguckt. Wollte nur wissen, wie meine Konkurrenz so ist... Also, soweit ich mich erinnere bist du der Sohn eines...Müllers? Ich dachte ja, so jemand hat nichts drauf, aber das hier...≪ Er deutete auf das tote Waldschwein. ≫Und früher hast du in Walde gelebt? Naja, daran erinnerst du dich nicht. Mit drei Jahren bist du ja dann dort weggezogen.≪

≫Ja, ich weiß selbst, was in meiner Akte steht!≪, unterbrach Farim ihn grob. Er mochte Stiff nicht besonders. Er schien überheblich und von sich selbst sehr überzeugt zu sein.

≫Was machst du eigentlich hier? Spionierst du uns jetzt auch noch nach um ‚noch mehr Informationen über uns zu bekommen‘?≪

≫Ich war gerade dabei genau dieses Waldschwein zu jagen. Doch dann kamst ja du. Als ich gesehen habe, wie gut du damit zurechtgekommen bist, habe ich es vorgezogen, versteckt zu warten...≪ Er grinste Farim unverschämt an. Farim rappelte sich langsam auf. Er konnte zwar stehen, war aber trotzdem etwas wackelig auf den Beinen.

≫Und du hast alles gesehen...?≪

≫Ja, das hab ich doch eben gesagt.≪

≫Und mir trotzdem nicht geholfen? Warum?≪

≫Naja, ich hab gesehen, wie gut du zurechtgekommen bist...≪

≫Wie gut ich zurechtgekommen bin? Wie denn? Das Waldschwein hätte mich fast umgebracht!≪

≫Naja, wie auch immer. Du lebst doch noch, oder?≪

≫Ja, gerade so, habe ich das Gefühl. Und bitte verschwinde jetzt!≪

≫Jaja, mach ich ja schon. Ich nehm nur noch die Stoßzähne, wenn du nichts dagegen hast.≪

≫Hey! Ich hab es getötet also gehört es mir! Verschwinde!≪

Stiff sagte nicht mehr, aber als er an Farim vorbeiging, spuckte er ihm vor die Füße. Aber Farim war zu erschöpft um etwas zu sagen. 

Als Stiff weg war, atmete er tief durch. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Er war zwar sehr müde, aber mitten in der Prüfung konnte er doch nicht schlafen. Außerdem hatte er Durst.

Langsam näherte er sich dem Waldschwein. Er sollte die Stoßzähne verwenden, um sich eine bessere Waffe zu bauen, denn die Waldschweinzähne waren um einiges härter als Stein und außerdem sehr spitz. Vielleicht konnte er sich eine Art Speer bauen. Mithilfe seines Messers machte er sich an die Arbeit, die Zähne herauszulösen. Es war eine sehr blutige Arbeit, aber seine Körper war sowieso schon blutüberströmt. Als er zwei der Zähne rausgelöst hatte, versagten seine Kräfte und er beschloss weiterzuziehen und sich eine Wasserstelle zu suchen.

Nachdem er alle seine Sachen in seinem Rucksack verstaut hatte, holte er die Karte heraus. Anhand der Sonne orientierte er sich und suchte sich die nächste Wasserstelle, die eingezeichnet war.

Nach ungefähr fünfzehn Minuten war er angekommen und das Wasser war kristallklar und sauber. Er warf seinen Rucksack neben sich und kniete sich hin um etwas zu trinken. Er wusch sich und das einkalte Wasser, machte ihn wieder wacher.

Mit dem Schmutz und Blut entfiel auch ein größer Teil seiner Schmerzen und der Ehrgeiz, die Prüfung zu gewinnen, meldete sich wieder. 

Als er mit dem Waschen fertig war, suchte er sich zuerst einen langen Stock. Relativ schnell fand er einen und setzte sich mit seinem Messer, etwas Schnur, und einem der beiden Stoßzähne ans Wasser. Nachdem er den Stock richtig zugeschnitzt hatte, befestigte er mithilfe der Schnur den spitzen Stoßzahn an der Spitze. Als er fertig war begutachtete er sein Werk. Vielleicht nicht die Topwaffe, aber besser als ein stumpfes Messer.

Als er gerade aufgestanden war surrte plötzlich ein schwarzer Pfeil direkt an seinem Gesicht vorbei. Schnell blickte er in Richtung, aus der der Pfeil seiner Meinung nach gekommen war. Eine große, schwarz vermummte Gestalt stand ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt und blickte ihn an. Sie war komplett in einen schwarzen Anzug gekleidet und trug eine Kapuze und einen Mundschutz, sodass man nur die Augen sehen konnte. In der einen Hand hatte sie einen schwarzen, metallisch glänzenden Bogen und in der anderen Hand ein kurzes Schwert. Auf dem Rücken hatte er einen Köcher mit einigen Pfeilen. Das musste eine von diesen Schöpfungen sein, vermutete Farim.

Innerhalb von Sekunden hatte die Schöpfung einen neuen Pfeil angelegt, doch Farim war vorbereitet und konnte gerade noch ausweichen.

Er packte seinen selbstgebauten Speer und rannte auf die Gestalt zu. Diese warf nun den Bogen zur Seite und hob das Schwert.

Kurz bevor Farim die Gestalt erreicht hatte, warf er seinen Speer. Doch die Schöpfung wich aus und Farim blieb stehen. Schon wieder stand er ohne Waffe da, denn sein Speer lag gut zehn Meter weiter auf dem Boden. 

Die Schöpfung griff jetzt an. Geschickt wich Farim den Schwerthieben aus. Dabei bewegte er sich langsam um die Gestalt herum, sodass sie nicht mehr zwischen ihm und dem Speer stand. Mit schnellen Schritten immernoch ausweichend bewegte er sich auf seinen Speer zu. Als er ihn endlich erreicht hatte warf er sich zu Boden, nur um sofort wieder mit seiner Waffe in der Hand aufzustehen.

Er wich einem schnellen Hieb von der Seite aus und griff an. Doch der Kreatur schaffte es immer wieder seinen gezielten Hieben auszuweichen.

Endlich ergab sich eine Chance.

Die Schöpfung startete einen Angriff von der Seite und erwartete, dass er abblockte. Doch Farim sprang zur Seite, wodurch die Gestalt für einen Bruchteil einer Sekunde das Gleichgewicht verlor. Bevor sie sich darauf vorbereiten konnte, stieß Farim seinen Speer in die Brust seines Gegners.

Erst sackte die Schöpfung weg, doch dann zerfiel sie in tausende kleine Splitter und nur ein Häufchen blieb übrig.

Farim atmete tief durch. Das war knapp gewesen. Nun spürte er auch wieder die Schmerzen in seinen Rippen. Zu seiner Verwunderung waren die Waffen der Schöpfung nicht zerfallen und lagen auf dem ganzen Kampfplatz verstreut.

Farim nahm sich alles, sammelte auch die beiden schon abgeschossenen Pfeile in und kehrte dann zu seinem Lager zurück. 

Seinen Speer, seinen selbstgebauten Bogen und die alten Pfeile packte er in seinen Rucksack. Den Köcher mit den Pfeilen band er sich um den Rücken und dem neuen Bogen und das Schwert behielt er in den Händen.

Etwas erschöpft machte er sich wieder auf den Weg. Er wusste nicht genau wohin, also ging er einfach schon einmal in die Richtung des Trainingsplatzes. Die Sonne wanderte immer weiter nach Westen und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie unterging.

Seinen Berechnungen zufolge müsste er den Treffpunkt kurz nach Sonnenuntergang erreichen.Er ging langsam, da sein ganzer Körper schmerzte. Er freute sich sehnsüchtig auf die Ruhe, wenn alles vorüber war. 

Während er so ging und nichts besonderes passierte, kamen seine Sorgen wieder. Es wäre schrecklich, wenn all seine Mühen umsonst gewesen wäre. All die Gefahr und die Schmerzen. Ganz abgesehen davon, wäre die Enttäuschung seiner Eltern, wenn er versagte, mit Sicherheit groß.

Die Sonne war inzwischen fast untergegangen und Farim verschnellerte seinen Schritt.

Auf einmal passierte etwas Merkwürdiges. Ein Schrei schallte durch dem Wald und er hörte sich genauso an, wie in seinem Traum. Farim rannte los, denn, wenn es so war wie im Traum, müsste es auch das Mädchen geben und sie war in größter Gefahr.

Auf einmal fühlte sich alles unwirklich an. So als würde es wieder ein Traum sein. Doch dieses mal hatte die Kontrolle über das, was er tat und war vorbereitet auf das, was kommen würde.

Schon hörte er den zweiten Schrei und änderte ein wenig die Richtung. Er war schon ganz nahe. Dieses mal würde er sich ganz gewiss nicht wie ein ungeschickter Trottel aufführen.

Er erreichte das Felsplateau und sah das Gleiche wie in seinem Traum. Das bildschöne Mädchen, das gegen zwei Wölfe kämpfte. Neben ihnen lag der dritte Wolf. Er war schon tot. Alles war, wie im Traum. Nur war das Mädchen verletzt. Sie hatte eine klaffende Wunde an ihrem Schwertarm. Die ganze Zeit hatte er beide Waffen in den Händen gehabt. Das Schwert warf er erstmal auf den Boden. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken, legte ihn auf die Sehne und schoss ihn ab. Er traf einen der beiden Wölfe am Hinterbein, wodurch er für einen Moment abgelenkt war. Das Mädchen nutzte die Gelegenheit und die Schwäche dieses Wolfes um ihn mit ihrem Schwert zu erstechen. Dem anderen Wolf hatte sie allerdings den Rücken zugekehrt. Dieser sprang und stieß sie zu Boden.

Währenddessen hatte Farim den Bogen hingeschmissen, sein Schwert aufgehoben und stürmte zu dem Mädchen. Er bohrte seine Waffe in den Körper des Wolfes. Dieser war zum Glück abgelenkt und konzentriete sich nur auf das Mädchen.

Nach einigem Jaulen und Wimmern brach der Wolf tot zusammen. 

Plötzlich sah Farim aus den Augenwickel eine Bewegung. Er wirbelte herum, doch es war nur Hady, der auf sie zugelaufen kam.

≫Farim, Arianne, ist alles in Ordnung?≪

≫Ja, es ist alles gut.≪, antwortete Farim etwas außer Atem. Er wandte sich zu dem Mädchen um, das immernoch auf dem Boden lag und sich, das Gesicht schmerzhaft verzerrt, den Arm hielt, ≫Es ist doch alles in Ordnung, oder?≪ , fragte er sie.

≫Ja, es geht schon. Verdammte Wölfe!≪

Farim half ihr hoch und drehte sich dann zu Hady um.

≫Wir sollten uns auf den Weg zu den anderen machen.≪, sagte er.

 

Das Ergebnis

 Nachdem Farim, Hady und das Mädchen wieder zu Atem gekommen waren, machten sie sich sofort auf den Weg. Sie mussten sich beeilen, da die Sonne schon vollständig untergegangen war. Hady wusste offenbar genau wohin sie mussten, wofür Farim sehr dankbar war, denn während er gerannt war, hatte er die Orientierung verloren. Nach gut zwanzig Minuten hörte Farim einige Stimmen und ein paar Meter weiter kamen sie auf eine Lichtung, die er sofort als den Trainingspunkt erkannte.

≫Hady wo warst du denn so lange?≪, fragte Hajota laut, als er sie sah, ≫Ah, sehr gut. Du hast Farim und Arianne gefunden. Endlich. Dann können wir ja anfangen.≪

Die anderen achtzehn Schüler saßen auf dem Boden. Alle sahen sehr erschöpft aus und einige hatten sogar Verletzungen. Unter ihnen entdeckte Farim auch Stiff. Er hatte einige tiefe Kartzer an der Wade und wurde gerde von einem Arzt versorgt. Hady ging jetzt nach vorne, wo Hajota und einige andere Männer standen. Das schienen die anderen Prüfer zu sein.

Farim hatte das Gefühl, dass er gleich vor Müdigkeit umkippen würde, also setzte er sich lieber schnell auf den Boden neben einen Jungen, der mit ihm in der Kutsche gesessen hatte. Das Mädchen setzte sich neben ihn.

Hajota trat einen Schritt vor und räusperte sich laut. Alle Blicke wandten sich nun nach vorne, als er zu sprechen begann.

≫Herzlich Willkommen. Jetzt einmal an alle. Einige von euch kennen mich ja schon, aber für die anderen darf ich mich kurz vorstellen. Ich bin Hajota Sorum, stellvertretener Direktor unserer schönen Akademie und leite diese Prüfung.

Dieses Jahr ist die Prüfung hier sehr gut verlaufen. Außer einigen Verletzungen ist nichts weiter passiert. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass Sie alle trotzdem sehr müde sind. Sie haben jetzt etwas Zeit, sich auszuruhen, während wir uns beraten.Wenn wir fertig sind werden die Gewinner der Prüfung ausgerufe und noch heute Nacht zur Akademie gebracht. Die anderen werden nach Hause gebracht.

Wenn ihr verletzt seid, habt ihr jetzt die Chance euch von einem Arzt untersuchen zu lassen.≪

Mit diesen Worten trat Hajota zurück und ging zu den anderen Prüfern. Hinten war ein grober Holztisch aufgebaut an dem sie Platz nahmen. 

Auf der Lichtung brach jetzt eine allgemeine Unruhe aus. Die einen erzählten sich gegenseitig wie ihr Tag verlaufen war und warum sie an der Akademie studieren wollen, die anderen legten sich hin und versuchten zu schlafen.

Farim war zwar sehr müde, aber leider zu aufgeregt, als dass er sich jetzt schlafen legen könnte.

≫Hey≪, hörte Farim plötzlich eine Stimme neben sich. Er hatte das Mädchen ganz vergessen. Nun drehte er sich zu ihr um.

≫Ich wollte mich eigentlich nur bei dir bedanken. Dass du mich gerettet hast, und so.≪

≫Ach, kein Problem. In der Situation hätte das jeder getan.≪

≫Aber es war wirklich sehr mutig. Also, danke.≪ Sie lächelte ihn an. ≫Ich heiße Arianne Morvin.≪

≫Farim Winterreach. Woher kommst du?≪

≫Ursprünglich komme ich aus Firath. Aber in dem großen Feuer vor neun Jahren sind meine Eltern umgekommen. Seitdem lebte ich bei meinen Großeltern in Solión.≪

≫Das tut mir Leid. Ich habe von dem Feuer gehört. Muss schrecklich gewesen sein beide Eltern zu verlieren.≪

≫Wem sagst du das. Aber ich habe es überwunden. Ich glaube aber meine Großeltern fanden es nicht so schlimm. Sie brauchten viel Hilfe auf dem Feld. Wenn ich es schaffe auf die Akademie zu kommen, bin ich dem hoffentlich entkommen.≪

≫Ich habe früher in Walde gelebt, aber mit drei Jahren bin ich von dort weggezogen. Meine Eltern haben sich eine Mühle nahe Morganth gekauft. ich kenne nichts anderes. Mein Vater war auf der Akademie und jetzt bin ich an der Reihe.≪

≫Hast du Geschwister?≪

≫Nein. Eigentlich hätte ich noch eine kleine Schwester gehabt, aber sie hat es nicht geschafft.≪

Arianne legte ihm eine Hand auf die Schulter.

≫Das tut mir Leid. Ich habe auch keine Familie. Außer meiner Großeltern und meinem Onkel natürlich.≪

≫Dein Onkel?≪

≫Ja, Hady Newman. Der Mann, der uns zurückgebracht hat.≪

≫Ja, auf der Hinfahrt saß ich mit ihm in einer Kutsche. Und der ist dein Onkel?≪

≫Ja, was dagegen?≪

≫Wieso sollte ich. Dann schaffst du es aber doch sicherlich auf die Akademie. Ich meine...≪

≫Nein, das ist nicht gesagt. Er ist nicht soeiner. Aber das will ich auch nicht. Ich will wegen meines Könnens auf die Akademie, nicht wegen meiner Verwantschaft.≪

≫Natürlich. Wie lief denn der Tag so für dich?≪

≫Oh, eigentlich ganz gut. Bis auf das Ende natürlich.≪ Sie hielt sich den Arm. ≫Tat ziemlich weh.≪

≫Kann ich mir vorstellen. Vielleicht sollltest du mal zum Arzt gehen.≪

≫Ist wahrscheinlich gar keine schlechte Idee.≪ Sie stand auf. ≫Also, bis bald, Farim≪

≫Ja, gute Besserung.≪

Farim blickte Arianne noch eine Weile hinterher. Sie wirkte so müde, wie er sich fühlte. Er betete, dass die Prüfer sich schnell entscheiden konnten, wer die Prüfung gewonnen hatte.

Farim legte sich auf den Rücken und blickte in die scheinbar unendlichen Weiten des Himmels. Die Sterne leuchteten und man sah einen Sichelmond. 

Er musste wohl doch noch weggedämmert sein, denn das nächste, an das er sich erinnern konnte, war Arianne, die ihn hektisch weckte.

≫Hey, Farim. Es geht jetzt los. Oder hast du vor die Entscheidung zu verschlafen?≪

Er setzte sich schnell auf und blickte sich verwirrt um. Einige Schüler blickten ihn an. Er wandt seinen Blick nach vorne zu den Prüfern. 

Hajota räusperte sich laut.

≫Also, nach einigen Überlegungen sind wir zu einem relativ deutlichen Ergebnis gekommen. Von euch zwanzig werden wir nun die vier Schüler aufrufen, die die Prüfung bestanden haben. Doch ein letztes Mal wollen wir Sie noch warnen. Ich weiß, ihr hab das alles genau überdacht und euer größter Wunsch ist es jetzt, an die Akademie aufgenommen zu werden. Aber≪, und er hob einmal die Stimme, ≫aber es ist auch ein harter Weg, den ihr damit beschreitet. Die Ausbildung wird euch viel abverlangen und um durchzuhalten, müsst ihr viel Stärke und Willenskraft besitzen. Die vier Jungen und Mädchen, die wir ausgewählt haben, besitzen diese Eigenschaften. Doch wir wollen auch diejenigen ehren, die es nicht geschafft haben.≪

≫Mann, jetzt mach es nicht so spannend!≪, flüsterte der Junge neben Farim.

≫Also dann... Der erste Gewinner hier hat es mit einer Willensstärke geschafft, die seinesgleichen sucht. Wir freuen uns immer sehr einen solchen Schüler bei und aufzunehmen und zu lehren. Bitte einen Applaus für Akhim Moors.≪

Farim blickte sich um, um zu sehen, von wen eine Reaktion kam. Sein Blick fiel auf den Jungen neben sich. Wie erstarrt saß er da und blickte zu den Prüfern hoch. Langsam stand er auf und bewegte sich auf die Prüfer zu. Alle Blicke folgten ihm. Niemand applaudierte. Auf dem halben Weg nach vorne, schien Akim zu realisieren, was gerade passiert war. Er begann zu Grinsen. Da es niemand sonst tat, klatschte Farim langsam in die Hände. Er hatte es verdient. Dann brach wie eine Welle tosender Applaus aus.

Akhim hatte inzwischen die Prüfer erreicht und schüttelte ihnen nacheinander die Hände.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, räusperte sich Hajota vernehmlich begann wieder zu reden.

≫Der nächste Gewinner... Es gibt nur wenige, die so eine Kraft und Ausdauer besitzen, wie Stiff Tellenby. Kommst du bitte nach vorne!≪

Stiff saß nur ein paar Plätze von Farim entfernt. Als er aufstand, lag auf seinem Gesicht ein breites, selbstverliebtes Grinsen. Mit großen Schritten ging er nach vorne. nachdem er allen Prüfern die Hand gerschüttelt hatte, hob er die Arme zur Siegerpose. Einige applaudierten und jubelten.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, hob Hajota erneut die Stimme.

≫So, kommen wir zu unserem dritten Prüfungsgewinner. Er hat mit viel überlebenswichtigem Talent und Feingefühl, aber auch mit seinem Umgang mit Gefahr bewiesen, dass er es verdient. Farim Winterreach!≪

Farim saß wie vom Blitz getroffen da. Hatte Hajota da ehrlich gerade seinen Namen genannt? Farim konnte sich nicht bewegen. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Hajota sah ihn erwartungsvoll an. Farim atmete einmal tief durch, wodurch seine Starre etwas gelockert wurde. Ganz langsam stand er auf und ging nach vorne. Er konnte es einfach nicht fassen. 

Geistesabwesend ging er zu Hady und schüttelte ihm die Hand. Dann zu den anderen Prüfern und zuletzt zu Hajota. Dieser lächelte ihn jetzt Stolz an. Farim sog einmal scharf die Luft ein und ging zu Stiff und Akhim.

Hajota begann wieder zu reden, aber es kam Farim so vor als würde er ganz weit weg sein. Er stand immernoch wie unter Strom und alles kam ihm gerade wie ein Traum vor. Unfähig irgendetwas zu sagen oder zu tun, blickte er einfach auf den Boden.

≫...Arianne Morvin!≪

Farims Kopf schnellte in die Höhe. Er blickte einen Moment verwirrt durch die Reihen der Prüfungsteilnehmer, weil er sie nicht finden konnte.

Da, er hatte sie gefunden. Sie stand gerade langsam auf und wankte nach vorne. Sie sah genauso aus, wie Farim sich fühlte. Einfach nur komplett überfordert mit der Situaton. Er folgte ihr mit seinen Blicken, bis sie neben ihm stand. dann wandte er seinen Blick wieder auf Hajota, der sich anschickte wieder zu reden.

≫Also, wir haben jetzt unsere Sieger. Für alle anderen tut es uns leid. Sie werden jetzt gleich nach Hause zurückgebracht. Die Gewinner≪, und er wandte sich an uns vier, ≫werden direkt in die Akademie gebracht.≪

 

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Tag der Veröffentlichung: 25.05.2015

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