Cover

Kapitel 1


Es war wieder einmal ein verregneter, stürmischer Tag in Seattle. Nicht weiter verwunderlich für diese Stadt und vor allem diese Jahreszeit. Im Herbst war dies nämlich oft so, und dagegen konnte selbst die immer so gut gelaunte Haushälterin Elfriede nichts tun. Im oberen Stockwerk des Anwesens brannte in einzelnen Zimmern Licht, und eigentlich waren es zu viele Lichter dafür , dass sich nur zwei Personen in diesem Haus aufhielten. Allerdings konnte die Sechzehnjährige es nicht ab , wenn es draußen auf dem Flur dunkel war. Sie bekam Angst, wenn dies so war, selbst jetzt am helllichten, wenn auch verregneten Tag.
Gerade saß sie in ihrem Zimmer auf der breiten Fensterbank, auf welcher man sogar hätte schlafen können. Sie war so breit und lang, dass man bequem liegen und währenddessen nach draußen in den angrenzenden Park sehen konnte. Das Mädchen hatte sich die Fensterbank mit einem Polster und ein paar Kissen verschönert und nun lag sie da , an die Wand gelehnt und las entspannt in einem Buch. Neben ihr lag noch ein ganzer Stapel anderer Bücher, dem sie sich wahrscheinlich anschließend widmen würde. Allerdings stammten diese Bücher aus der hauseigenen Bibliothek, noch dazu aus dem Teil, der für Nevia eigentlich tabu war. Ihre Eltern waren wieder einmal fort gegangen und nun saß das Mädchen schon wieder alleine zu Hause. Nein, alleine war das falsche Wort. Richtig war, sie saß alleine mit der Haushälterin Elfriede hier fest. Weggehen würde sie bei diesem schrecklichen Wetter sowieso nicht und außerdem verboten ihre Eltern dies auch. Was hatte sie also schon für eine Wahl gehabt? Die spannenden Bücher befanden sich eben da , und außerdem würde es sowieso keinem auffallen. Dies sagte sie sich immer wieder trotzig, wenn sie nahe daran war doch erwischt zu werden. Aber bisher war dies noch nie geschehen.
Die Braunhaarige hatte ihr Zimmer selbst gestaltet. Weiß war die dominierende Farbe, neben den vielen lilafarbenen Accessoires. Lila war zum Beispiel die Bettwäsche auf dem großen Himmelbett. Auch Teile der Wand waren in dem hübschen Lilaton gestrichen. An der Wand neben ihrem Bett hing ein Bild von einem blondhaarigen, wunderhübschen Schutzengel. Jedes Mädchen würde sich wohl wünschen, genau so auszusehen. Aber es war nur ein Bild. Nichts Reales. Auf dem Bett befanden sich ebenfalls noch ein paar Kissen und einige Stofftiere, von denen die Sechzehnjährige sich nicht trennen konnte. Wie auch? Diese hatten sie ihr ganzes Leben lang begleitet, vor allem dann, wenn ihre Eltern nicht da waren. Mit irgendwem oder –was hatte sie sich die Zeit ja vertreiben müssen.
Entspannt las sie weiter in dem Buch, das von Engeln ,Menschen und Liebe handelte.Es war fast wie ein Märchen. Und die Zeilen, die sie las, spielten sich lebhaft vor ihrem inneren Auge ab. Am liebsten wäre sie selbst Teil der Geschichte. Aber es war eben nun mal nur eine Geschichte, nichts weiter. Nichts oder niemand hätte ihr erzählen können, dass es Engel wirklich gab. Mythologie eben. Genauso wenig wie es Vampire, Werwölfe und diese ganzen der Mythologie entsprungenen Wesen gab. Nevia war sich dessen nur allzu sehr bewusst und manchmal schon hatte sie sich gewünscht, dass sie einfach Flügel hätte, die sie ausbreiten konnte und mit derer Hilfe sie über den Himmel bis hin zum Horizont und weiter fliegen konnte. Dem Sonnenuntergang entgegen als weiße Gestalt deren Antlitz die Welt bezaubern würde.
Ihre innere Stimme meldete sich zu Wort. So wie in den letzten Tagen viel zu oft. Es passierte immer öfter und Nevia fand dies langsam sehr beunruhigend , vor allem, da diese ihr in allen Gelegenheiten reinredete und das schon fast nicht mehr normal war. War sie verrückt? Nein, du bist nicht verrückt. Und du wirst es niemals sein. Du bist nur etwas besonderes, okay?

Schon wieder! Sie musste unbedingt herausfinden, wie sie diese lästige Stimme unterdrücken konnte. War es ihr Gewissen, das mit ihr sprach, oder hatte sie echt ein Problem mit der Psyche?
Leicht frustriert hörte sie auf zu denken, und stellte somit auch erleichtert fest, dass die Stimme Ruhe gab. Endlich.
Das Mädchen widmete sich einem neuen Buch, welches die Aufschrift 'Ehrenkodex der Wächter der Drei Dimensionen' trug. Ha ha. Wie witzig. Welchem Autor war so ein dummer Roman bloß eingefallen? Wen interessierte, was sein krankes Hirn vor sich hin fantasierte? Niemanden, richtig. Wieso auch? Es war Humbug.Nicht weiter etwas, das Beachtung verdient hätte. Trotzdem war sie neugierig und wollte unbedingt wissen, was in dem Buch stand. Fast, als würde sie irgendetwas dazu verdammen, dieses Buch zu lesen. Los! Lies schon. Komm, tu's. Es wird dir gefallen , glaub mir.

Wieder diese schreckliche Stimme in ihrem Kopf. Sei ruhig und lass mich in Ruhe. Es ist immerhin noch meine Entscheidung, was ich tue und was nicht. Und was fällt dir eigentlich ein, mir jedes Mal Dinge zu befehlen? Hallo? Das ist MEIN

Körper und nicht deiner!

, dachte Nevia leicht wütend.
Gerade, als sie das Buch aufschlagen wollte um es zu lesen, flog die Tür mit einem lauten Rums auf und ihre Mutter kam hereingestürmt. Nevia fuhr aus Schreck zusammen und umklammerte das Buch fest mit den Händen. Aber der Stapel der anderen Bücher war ihrer Mutter längst aufgefallen. Wie sollte es auch anders sein? Da kamen sie einmal früher zurück und dann mussten sie sofort in ihr Zimmer stürmen. Na toll. Jetzt war Nevia echt geliefert. Aber ganz im Gegenteil, ihre Mutter blieb ruhig. Nevia's Mutter Skye war stets ruhig und besonnen. Bei der rothaarigen, kleinen Frau konnte man sich auch nichts anderes vorstellen. Nevia verglich ihre Mutter wieder einmal mit den Engeln aus ihren Büchern. Sie war klein, zierlich, gutaussehend, hatte lockiges rotes Haar und ihre Augen schimmerten in einem hellen Moosgrün. Sie war einfach bildhübsch. Nevia seufzte und streckte die Bücher von sich, ihrer Mutter entgegen, als eben jene sie aufforderte die Bücher herzugeben und was ihr einfiel , einfach so diese Bücher anzurühren.
Es waren doch nur Bücher. Nichts weiter. Vielleicht konnte Nevia diese im Internet finden und dann bestellen. Dann konnte sie diese doch noch lesen und konnte somit auch ihre unbändige Neugierde stillen. Nachdem ihre Mutter sie aufgefordert hatte, mit nach unten zu kommen um etwas zu essen, nickte sie bloß , stand auf und zog ihr weißes Longtop richtig hin, nur um dann Skye nach unten ins Esszimmer zu folgen.


Am Abend dieses Tages saß Nevia tatsächlich hinter ihrem schneeweißen Laptop und suchte nach den Büchern. Nichts. Null. Das konnte doch echt nicht wahr sein!
Nevia war etwas verwirrt darüber das es diese Bücher hier im Internet nirgends zu bestellen gab. Nicht bei Google , nicht bei Amazon, ja nicht einmal Ebay konnte damit dienen. Also mussten diese Bücher etwas besonderes sein. Hmm... meine Chance hab ich verpasst. Was nun? Jetzt könntest du mir ausnahmsweise mal helfen, aber ausgerechnet jetzt schweigst du? Bist ja wirklich mal wieder eine Super Hilfe.

, dachte die dunkelhaarige und schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte sie sich wirklich alles nur eingebildet oder so.
Ihren Vater hatte sie an diesem Tag auch noch nicht zu Gesicht gekriegt. Entweder er war noch fort, oder aber er hatte sich wieder einmal in seinem Arbeitszimmer verschanzt. War nicht unüblich für Pharys, wie Nevia genauestens wusste. Sie war theoretisch genau so aufgewachsen. Ständig mit Elfriede zusammen oder alleine auf ihrem Zimmer. Oder bei ihrem Hauslehrer. Ihre Eltern hatten einstimmig beschlossen das sie keine öffentliche Schule besuchen durfte, da es zu gefährlich war. Damals war das für Nevia ein Aufhänger gewesen, aber jetzt fand sie sich mittlerweile damit ab. Was anderes konnte sie eh nicht tun, da musste sie eben durch dieses Schlamassel durch. Aber wenn sie nie rausging oder eine Schule besuchte, konnte sie auch keine sozialen Kontakte knüpfen. Aber anscheinend sollte sie das auch gar nicht, weil es theoretisch jeden Tag soweit sein könnte das sie umzogen. Weit, weit, weit weg. Warum auch immer. Aber soviel hatte man ihr wenigstens verraten. Und irgendwie verstand sie ihre Eltern Pharys und Skye auch. Schließlich hatten alle Eltern Angst um ihre Kinder und machten sich Sorgen. Waren einfach nur ein bisschen zu fürsorglich.
In einer bequemen grauen Trainingshose und einem weißen Top setzte sie sich wieder auf die Fensterbank und zog ihre Katze auf ihren Schoß. Diese hatte strahlend blaue Augen und ein grau schwarz geschecktes Fell. Die Katze trug den Namen Farah und war fast schon so alt wie Nevia selbst. Nevia fragte sich ständig warum die Katze nicht unter Altersschwäche oder dergleichen litt, aber sie fand keine Antwort dafür. Der Katze ging es blendend , sie tobte stundenlang durchs Haus als wäre sie ein Katzenbaby oder etwas in der Richtung. Ihre Haare hatte sie locker zusammen gebunden sodass einige Strähnen in ihr Gesicht fielen und die Katze sich prompt auf den Rücken drehte um mit ihren Tatzen danach zu schlagen. Nevia brachte dies zum lachen und sie fuhr Farah andächtig durch ihr Fell. Weich,

war das einzige Wort was ihr dazu einfiel. Ihr Blick wanderte von der Katze nach draußen in den dunkelblauen , klaren Himmel. Er war von Sternen hell erleuchtet und schimmerte hübsch. Für Seattle war es unüblich das man die Sterne so klar sehen konnte und deswegen war Nevia nur noch mehr angetan. Ihr Blick glitt weiter zum Vollmond der heute Nacht schien. Dieser war wunderhübsch und hatte eine gewisse, anziehende Wirkung auf sie. So als wäre der Mond menschlich und die beiden würden sich schon Ewigkeiten kennen, sich verstehen, Freunde sein und miteinander auskommen, sich gegenseitig Kraft schenken und einander blind vertrauen. Nevia wusste nicht was genau sie mit diesen Gefühlen anfangen sollte und ob sie darauf wirklich soviel Wert legen sollte wie sie es gerade tat. Farah war ein genickt und so angelte Nevia nach einer leichten Decke die sie über sich und der schlafenden Katze ausbreitete und lehnte dann den Kopf ans Fenster. Die Scheibe war kühl und beschlug von ihrem warmen Atem. Selbst darüber musste Nevia lächeln. Sie schloss die Augen und dachte noch eine Weile nach ehe sie schließlich dort auf der Fensterbank einschlief.


Fast eine Woche später war es wieder soweit das ihre Eltern , Skye und Pharys das Anwesen verließen um ihren Tätigkeiten nachzugehen. Nevia hatte nie nachgefragt was sie eigentlich taten denn sie wusste das sie keine Antwort bekommen hätte. Ihre Eltern könnten Profikiller sein , ihr würde das nie in den Sinn kommen. Nicht mal annähernd.

Impressum

Texte: Alle Ideen usw. beruhen auf gedanklichem Material der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /