Kurzgeschichte 1 - Die Morrigan
Das Knacken brechender Knochen riss mich aus dem Tiefschlaf und aus den ätzenden Träumen in denen es um Leichenfresser ging, die mit meiner Freundin – ´tschuldigung Exfreundin – vermittelt werden wollten. Zwischen dem Rupfen und den Nagen der Ghule auf dem benachbarten Friedhof meinte ich immer noch die Traum-Vorwürfe meiner Ex zu hören.
Die Vorwürfe waren Realität, die Vermittlung leider nicht. Aber es war eine Selbst-Vermittlung gewesen und auf gar keinen Fall meine Schuld, dass sich die doofe Kuh in einem Anflug lesbischer Neugierde mit der gut aussehenden Nixe von nebenan eingelassen hatte.
Immerhin die Nixe würde meine Ex nie betrügen – oder zumindest nicht öfter als einmal. Ich gönnte ihr den Spaß, selbst herauszufinden, dass die nette Nixe eine Undine war.
Treue und Tod durch Weinen inklusive.
(Nur zur Erklärung für diejenigen, die trotz des inzwischen 25jährigen Zusammenlebens mit magischen Wesen noch zu den Nix-Blickern gehören: Eine Undine ist eine germanische Wassernixe, die meist in menschlicher Gestalt auftritt, die man nie nach ihren echten Namen fragen und der man unbedingt treu sein sollte. Sonst weinte sie mit einem Kuss zu Tode – wie genau das vonstatten ging, wusste niemand, denn anschließend lösten sich Undinen in Tränen auf. Und ist keine Metapher.)
Bei dem Gedanken grinste ich in mich hinein. Zumindest, bis mich die erste Erlösungsparole zu Tode erschrak. Nicht wortwörtlich, aber genug, um von der Couch zu springen.
„Sorry!“ Lilly grinste mir aus dem Badezimmer entgegen. Sie sah nicht nur unverschämt gut gelaunt aus, sondern für die frühe Morgenstunde auch noch generell verdammt gut. Dabei versuchte sie zumindest letzteres mit Make up zu bekämpfen. Frauen.
„Ich vergesse dauernd das Fenster zu schließen“, erklärte sie und deutete vage in Richtung des benachbarten Friedhofes.
„Könnte mir nicht passieren.“ Ich trat zu dem doppelt verglasten Wunderwerk der modernen Welt. „Zumindest nicht mehr als einmal.“ Mit einer Kippbewegung verschloss ich die Wohnung und endlich kam ich in den Genuss, Lillys Nachbarn zu hören. Naja, die Nachbarkinder. Wenn sie keine kleinen Wer-Elefanten waren, gab es keine rationale Erklärung für ihr Poltern, das aus dem oberen Stockwerk zu uns klang.
„Sie sind tolle Wecker, aber es wird noch schlimmer“, erklärte Lilly und zog ihr Regencape an. „Beeil dich lieber.“
***
Nachdem ich das Geheimnis gelüftet hatte, warum meine Chefin gerne und früh zur Arbeit ging, erkannte ich, dass auch die Einhörner, die den ganzen Tag über vor der Matching-Myth lauerten, nicht von ungefähr kamen.
„Ignorier sie einfach“, empfahl Lilly.
Tatsächlich taten unserer vier Verfolger nichts anderes, als uns in einem einigermaßen sicheren Abstand nachzugehen. Sicher für uns. Bewaffneten Pferden stand ich skeptisch gegenüber.
Sie taten zwar deutlich weniger, als der Regenvogel, der ebenfalls hinter uns herhüpfte und der für eine schwarze Gewitterwolke direkt über Lilly sorgte, aber so ein langes, spitzes Horn war nur für einsame und romantische Gelehrte ein Phallussymbol. Für mich war es in aller erster Linie nur eines: nämlich gefährlich.
Ich trat einen Schritt zur Seite, da ich mich zu nahe an Lilly privatem Regenradius herangewagt hatte und die ersten Tropfen meinen Ärmel trafen. Der legale Verfolger – von der Aufspürungs- und Verfolgungs GmbH auf Lilly angesetzt – war wirklich ein Ärgernis. Zumindest für Lilly, alle anderen hatten eigentlich sehr viel Spaß mit der Gargamel-Wolke (Sie wissen schon, der Zauberer aus der Serie „Die Schlümpfe“).
Nichtsdestotrotz blieb die Laune meiner Chefin gut. Sie glitzerte förmlich, als sie am Kiosk hielt, den Inhaber begrüßte und „Wie jeden morgen, nur dieses Mal zwei Kaffee“ orderte. Mit einem geschickten Handgriff befreite sie eine „Foto“ und die Zeitschrift „In-Magix“ aus dem Ständern, ohne das sie nass wurden und reichte dem attraktiven Spanier das Geld.
„Illegale Wunderlampen“, las sie leise, dann suchte sie Neuigkeiten zur Matching-Myth. Zum Glück hatten sich die Untergangsprophezeiungen gewandelt, seit ausgerechnet eine Menschenfrau – Lilly – die erfolgreichsste LiebesVermittlungsAgentur für magische und mythologische Wesen übernommen und den ersten Monat erfolgreich überstanden hatte.
Doch zu welchem Preis?
Ich drehte mich zum Regenvogel zurück und verharrte reglos. Da war noch ein Wesen! Mein Gehirn weigerte sich, es ganz wahrzunehmen. Es war schlimm. Richtig schlimm. Wie in „schlimm“ster Albtraum.
Ich blinzelte, um die Tränen aus meinen Augen zu vertreiben und endlich setzte mein Verstand einige Dinge zusammen. Einzelteile. Skelettartig. Vogelkrallen. Haut wie Schuppen – nein, wie Baumrinde, borkige Baumrinde. Haare wie kleine Äste, Schlangen. Draht?
Als sich das Wesen bewegte, war es das Fürchterlichste, was ich je gesehen hatte. Ich wollte vor Angst sterben. Nur, um es nicht mehr sehen zu müssen.
Das Wesen öffnete etwas, was ich aus Ermanglung anderer Worte als „Mund“ bezeichnen musste und das was folgte, war eine Drohung. Auch wenn ich kein Wort verstand.
Lilly, die eben noch genauso versteinert gewesen war wie ich, begann zu lachen. Der Laut der Menschenfrau vertrieb das unheimliche Gefühl und schien die magisch-mythologische Gestalt unangenehm zu berühren.
Schlagartig erlosch Lillys Lachen. Sie trat einen Schritt vor und baute sich zu voller Größe auf, dabei ragte dem Wesen beeindruckend bis zum Knie.
„Was sonst?“ Ihre Frage grenzte an Wahnsinn, enthielt aber einen so drohenden Unterton, dass es klappte. Das Wesen fiel förmlich in sich zusammen, bis es ebenso groß war, wie meine Chefin.
Selbst Lilly wirkte überrascht und gab ihre kampfbereite Haltung nur zögernd auf. Apropos: Hätte mich schon interessiert, wie sie gegen das Wesen gekämpft hätte. Und vor allem: Wie lange?
„Vermittelt mich!“
Ich blinzelte ungläubig, weniger ob des flehenden Tonfalls als vielmehr wegen der Bitte selbst. Der Tod auf Raten suchte Liebe und Zärtlichkeit? Skurril.
Ich warf Lilly einen Blick zu, doch diese zuckte nur mit den Achseln. Offenbar hatte sie schon seltsamere Dinge erlebt. Ich nicht – und Lilly toppte meine Nr. 1 noch einmal. „Morrigan, dein Vermittler Jens! Jens, die Morrigan, Kundin.“
Kälte kroch über meinen Rücken, floss durch meine Adern und trotz der frühmorgendlichen Sonne bekam ich eine Gänsehaut.
Ich musterte meine menschliche Chefin. Nur weil die Matching-Myth bisher alles und jeden vermittelt hatte, hieß es noch lange nicht, dass wir alles und jeden vermittelten! Und definitiv nicht ich! Nicht für einen Aktivjob von einem Euro die Stunde. Und sicher kein Gruselwesen.
Doch scheinbar blieb mir nichts anderes übrig. Lilly vernichtete mich schon allein wegen meines Mienenspiels mit ihren Blicken. Ich seufzte einmal tief.
„Dann folgen Sie uns doch bitte ins Büro, werte Kundin Morrigan!“, setzte ich eine freundliche Miene auf und machte mich mit der, was auch immer sie darstellte, Morrigan, auf den Weg ins Büro um zuerst einmal ihre Daten aufzunehmen. Allerdings war es mir wirklich unangenehm dieses Gruselwesen im Rücken zu haben. Als gutmütiger Elf war ich sowieso eher pazifistisch veranlagt und ich glaube nicht, dass man das von der Morrigan behaupten konnte. Trotzdem trottete ich brav vor ihr her und versuchte zwanghaft mich nicht umzudrehen und dieses unheimliche Gefühl einfach zu ignorieren. Das würde ein schwerer Fall werden! Gab es irgendwelche Wesen in unserer Kartei, die vielleicht nicht mehr viel empfinden konnten? Nein, dann wären sie nicht auf der Suche nach etwas Liebe… Vielleicht jemand bitterböses und düsteres? Ich glaube auch nicht. Verdammt! Wir erreichten gerade schon das Büro und ich hatte noch keine Ahnung, was ich mit ihr anstellen sollte. Was sollte das nur werden? Das würde doch nie funktionieren!
„Setzen Sie sich.“, ich verwies auf den leeren Stuhl mir gegenüber und ließ mich selbst auf meinen Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Die Morrigan setzte sich ebenfalls.
„Okay. Bevor wir Sie vermitteln können, müssen wir einige persönliche Daten und Angaben von Ihnen in unsere Kartei aufnehmen. Fangen wir am besten gleich damit an.Wollen Sie etwas zu ihrem Namen hinzufügen außer Morrigan?“, eröffnete ich so schnell es ging die kleine Fragerunde. Ich wollte sie loswerden.
„Nein.“, erwiderte sie. Immerhin kurz angebunden.
„Alter? Geschlecht? Wesen? Wesentliche Charakterzüge?“, bohrte ich nach.
„1307 Jahre alt. Weiblich. Göttin, meist in Krähengestalt anzutreffen. Jähzornig, aufbrausend, gebieterisch und unnachgiebig.“, antwortete sie wieder knapp.
Ich tippte lieber während ich nach unten schaute. Göttin? Die habe ich mir doch immer etwas schöner vorgestellt… naja, man sollte eben keine voreiligen Schlüsse ziehen!
„Wie stellen Sie sich ihren Traumpartner vor? Und ihre gemeinsame Zukunft?“
„Er sollte böse sein oder wenigstens einen Hang zum Bösen haben. Mächtig muss er sein, oh ja. Und später werden wir die gesamte Welt unterjochen und gemeinsam über sie herrschen!“, brachte sie voller Überzeugung hervor. Das würde wirklich schwierig werden!
„Vielen Dank. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir jemanden gefunden haben. Wir machen uns sogleich an die Arbeit.“. verabschiedete ich sie. Sie stand auf und verließ kommentarlos den Raum. Sogleich kehrten Wärme und Harmonie zurück und ich fühlte mich nicht mehr so beklemmt. Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen und verzweifelte schon bei dem Gedanken daran, sie zu vermitteln, beinahe. Da rauschte Lilly in den Raum.
„Na, wie lief es?“, fragte sie gut gelaunt.
„Wie sollen wir SIE bitte vermitteln? Mir fiel noch niemand bösartiges, nach der Weltherrschaft strebendes in unserer Kartei auf.“, schaute ich sie hilflos an.
„Mir aber! Gestern, nachdem du schon nach Hause bist, kam hier ein verbitterter, böser, kleiner Zwerg zur Tür herein. Ich glaube, die beiden sind wie füreinander bestimmt!“, berichtete Lilly mir begeistert.
„Aber der wird ihr nicht mächtig genug sein…“, nuschelte ich vor mich hin.
„Oh, da täuschst du dich, mein Lieber! Er ist einer der sieben auserwählten Kriegerzwerge. Sie gehören zum stärksten herrschenden Geschlecht unter ihnen und besitzen Zauberkräfte, die übertreffen die vieler anderer magischer Wesen um Längen!“
„Das ist ja wunderbar! Lass sie uns doch direkt einander vorstellen!“
„Wunderbar! Ich sage unserem Zwerg Bescheid und du der Morrigan und dann steht der großen Liebe nichts mehr im Weg!“
Und so kam es auch. Wir ließen die beiden aufeinander treffen und sie verfielen sofort blutrünstige und grausame Gespräche. Ich musste zwanghaft weghören, da ja zur Sicherheit beim ersten Aufeinandertreffen zweier Vermittelter immer einer von uns dabei war. Sie schienen sich prächtig zu amüsieren und ich versuchte zwanghaft den Inhalt meines Magens bei mir zu behalten. Nach Stunden dieser Qual entließen sie mich, indem sie sich – scheinbar schweren Herzens – voneinander trennten und sich schon auf ein nächsten Mal verabredet hatten. Zum Glück ohne mich! Zu diesem Zeitpunkt würde ich mich dann wohl daran machen, meinem Liebesglück mal wieder einen Tritt in den Hintern zu geben, nachdem meine Ex-Freundin ja nun eher ein Reinfall war. Aber es gab ja noch genügend alleinstehende Elfenfrauen, die nur so auf mich zu warten schienen…
Tag der Veröffentlichung: 18.10.2012
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