Cover

Oooch! … Nee… Schlimm… Dieses Wetter! Mein Rücken! Meine Knochen! … Nee… Man ist nicht mehr so jung… Arghhh…

Eigentlich wollte ich einen neuen Eintrag in mein Tagebuch machen. Ich schreibe schon seit Jahren das Tagebuch, wisst ihr. Für meine Enkel. Meine Kinder interessieren sich nicht dafür – so ist es halt.

Irgendwann schlagen die Enkel das Tagebuch auf und werden sagen: „So war also unser Opa!“ Aber heute… Nee… Meine Knochen! Ich kann nicht einmal richtig den Stift in der Hand halten. Der gestrige Tag wird also für sie für immer verloren sein. Was hat denn Opa am Mittwoch, dem … gemacht? Keine Antwort, keine Notiz.

Das Einzige, was ich noch für die Generation der Zukunft tun kann, ist… Ja! Genau! Ich tippe es mit dem Computer. Wofür denn habe ich sonst die Volkshochschule besucht? Den Kurs „Computer für Senioren“?

Also… Ich versuche es einfach. Das Problem dabei ist aber, dass ich dafür mit meinem Enkel in direkte Interaktion einsteigen muss. Ich muss mit ihm reden. Mehr noch – ich muss ihn überreden, mir mal doch, bitte, Platz am Computer zu machen. Denn das ist sein heiliger Platz, ja, sein einziger Platz – er isst dort, er schläft dort, er…

Aber einen Versuch ist es wert. Also wolln mer mol…

(Hüstel-hüstel!)

Keine Reaktion.

(Kchm… He-he-he… Hust-hust! )

Nichts.

“Joschka!”

“Mmmmh…”

Oh, er hört mich!

“Joschka, könntest du bitte…”

“Mmmmh…”

“… mir Platz machen?”

“Eh?”

“Ich möchte was tippen”.

“Mmmmh…”

“Joschka Maximilian Bruno!”

Mensch, haben die Kinder von heute komische Namen!


„Ja, was?!“

„Mach Platz!“

So ein Mist, eigentlich wollte ich zu meinem Enkel ganz höflich sein. Es gab sogar Zeiten, als ich ihn zu einem netten jungen Mann erziehen wollte, der „Bitte“ und „Danke“ sagt. Aber die Jugend von heute versteht nur Hundekommandos. Daran sind die Eltern schuld – wer denn sonst? - sie lassen ihn tun und machen, was er will. Ja, zu meiner Zeit…

Oh, er schaut hoch, er schaut mich an, er sieht mich!

„Was willst du, Opa?“

„Mach Platz!“

„OK, OK, ich verabschiede mich nur…“

Sicher, sicher, natürlich. Mein Enkel „Tschetet“ nämlich. Siehst du, Rosi, meine liebe Frau, meine Perle, - es steht ja eigentlich ganz gut um mich. Der Arzt hat gesagt, ich muss mein Gehirn trainieren. Kreuzworträtsel lösen, Fremdwörter lernen. Also habe ich gelernt: das, was Joschka Maximilian Bruno macht, heißt „tscheten“. Tscheten - tschetete - hat getschetet -…hat getschetet gehabt. Nee… da ist etwas falsch.

Ich blicke ihm über die Schulter. Im orangefarbenen Kasten auf dem blauen Bildschirm erscheinen die Schriftzeichen:

(Hast du schon Deutschhausaufgaben gemacht?)



Der Bildschirm blinkt und macht dann ein quakendes Geräusch.

„Ist etwas kaputt gegangen?“ erkundige ich mich besorgt.

„Mmmmh… Nö… - meint die Generation der Zukunft – Hapf nur ne neue Nachricht“.

Ah, da ist sie schon:


„Wann darf ich?“ frage ich vorsichtig.

„Ugggrhu“, kommt als Antwort der kehlige Ton. Die Finger des 14-Jährigen fliegen nur so über die Tastatur. Hätte ich so schnell tippen können!

„Bestimmt schreibt er ein Gedicht oder gibt sein Lieblingszitat weiter“, denke ich und schau ihm nochmals über die Schulter… Ooch, mein Rücken!

Im Kasten vor mir leuchtet das Geschriebene:


„Joschi, darf ich mal?“

„Ooooh…“ Ja, jetzt ist er gereizt. – „Mmmmh… Gleich. Muss noch…“

„Was musst du denn, Joschi?“

„Gleich…“

(KZ - Keine Zeit)

Nein, Rosi, ich bin doch alt, zu alt. Ich kann so viele Fremdwörter nicht auf einmal lernen.

„Darf ich jetzt?“

„Eh, gleich, sie muss noch ne Antwort schreibe“.

Ach, er schreibt mit einem Mädchen! Gott, wie schnell werden die Kinder groß.

Quak. Die Antwort ist da:

(Okay, tschüss, hab dich lieb)

„Jetzt darfst du“, Joschka Maximilian Bruno tippt noch kurz


(Ja, sorry, ich muss jetzt, wir sehen uns, bis dann, ich dich auch)

schmeißt sich auf die Rückenlehne des Bürostuhls, hebt die Beine hoch und lässt sich von den bei einem Bürostuhl obligatorischen Rädern viele Meter vom Tisch wegtragen.

Auf dem halben Weg springt er vom Stuhl ab - dabei macht er es so elegant, als wäre er gerade von einem schäumenden Ross herunter gesprungen, um eine Prinzessin zu retten, - fängt mit der Hand den weiterfahrenden Stuhl auf und schiebt ihn zu mir:

“Bitte!“

Ach, Rosi! Du hast dir den unpassendsten Moment ausgesucht, um einkaufen zu gehen. Sonst hättest du es jetzt nicht verpasst, wie unser Enkel gerade „Bitte!“ gesagt hat. Nein, sie – die Jugend von heute – sind doch noch nicht ganz verloren.

Ich schleppe den widerspenstigen Stuhl wieder zum Tisch und setzte mich hin. So, jetzt sitze ich … Oooch, mein Rücken! Wie kann man bloß auf so einem Ding sitzen? Es wackelt ja alles!

Gut, dann fangen wir an. Wie hat Herr Klabs im Computerkurs gesagt? „Vergewissern Sie sich zuerst, dass Ihr Computerarbeitsplatz vollständig installiert und einsatzbereit ist“.

So, was gehört zu einem Computerarbeitsplatz?

„Joschka!“

Er hört mich nicht.

„Joschka Maximilian Bruno!“

„Mrhhhh…“ kommt aus der hintersten Ecke des Zimmers.

„Eh, du, Bruno!“

„Ähm, … Opa?“

„Bring mir mein Heft, wo „Computer“ drauf steht. Liegt auf dem Couchtisch… Bitte!“

Klatsch! Das Heft landet gefährlich nah vor meiner Nase.

„Danke!“

„Is-scho-okei“.

Ach ja, da sind meine Aufzeichnungen. Ich habe mir damals alles genau notiert. Die Tastatur. So sieht sie aus:

Der Monitor:


Die Maus:


Tastatur, Monitor, Maus – gibt einen Computerarbeitsplatz:


Halt! Und was ist das?



Wofür habe ich das denn damals gezeichnet? Mensch, Rosi, ich habe wieder falsche Brille an. Was steht denn darunter? „Die Arbeitsstation“.

„Eh, du, Bruno!“

„Jaaammh?“

Also, unsere Kommunikation macht Fortschritte.

„Was ist eine Arbeitsstation?“

„Hä?“

„Na, komm mal her! Was ist das?“

Ich stupse mit dem Finger auf die Zeichnung.

„Ahmm, das… das ist der Rechner. Mann, Opa, du kannst gut malen! Voll geil!“

„Und wo ist er?“ – frage ich, sichtlich stolz auf das Lob, das aus dem Mund meines Enkels kam.

„Steht unter dem Tisch. Wieso?“

„Ach, nichts… Und jetzt kann ich hier arbeiten?“

„Klar, kannste… Wieso?“

Ich reagiere nicht. Siehst du, Rosi, aus mir ist doch noch etwas herauszuholen – jetzt habe ich die Regeln der Jugendsprache gelernt.

Joschka Maximilan Bruno bleibt noch eine Weile neben mir stehen und schlendert dann in seine Zimmerecke.

„Wann biste fertig, Opa?“ fragt er von dort.

Ich reagiere nicht.

Also, dann fangen wir an.

Die Tastatur muss parallel zum Körper liegen.

Die Maus gehört in die rechte Hand:



Der Abstand zum Monitor soll mindestens 30 cm betragen:



Jetzt das Wortprogramm aufmachen. Linksklick. Ach, nee, Linksdoppelklick. Wo ist hier das Wortprogramm? Da, da ist er, … es: das große W. Klick. Nichts passiert. Klick-klick. Ich habe es geschafft! Es öffnet sich!

So, jetzt kann ich „den Text eingeben“, wie Herr Klabs es genannt hat.


Liebes Tagebuch!



Mensch, was ist denn das?! Im Computerkurs habe ich ganz andere Buchstaben gesehen.

„Eh, Bruno!“

„Mmmh-wa?“

„Was sind das für Buchstaben?“

Sch-sch-schmatz-schmatz. Joschka Bruno nähert sich mir:

„Uuuuh … das? Das ist die Schrift, die ich für meine Referate benutze“.

„Kann man das irgendwie…?“

„Ohm, klar, hmmm“.

Seine flinken Finger ergreifen die Maus, und das kleine Pfeilchen beginnt zu rasen. Kästchen öffnen und schließen sich, der Bildschirm zittert, und schließlich meint die junge Generation:

„Sou, jez kannste. Ich find die Schrift voll cool!“

Sch-sch-schmatz-schmatz – mein Enkel entfernt sich wieder.

Ich schaue auf den Text:

Liebes Tagebuch!



Schon besser. Zwar etwas anderes als wir in der VHS gelernt haben, aber immerhin besser. Nun, dann wollen wir…


Liebes Tagebuch!
Liebe Enkelkinder!



(Die nachfolgende Schrift wurde von der Redaktion der Unleserlichkeit wegen geändert - Bruno :-P)




„Zum ersten Mal in meinem Leben schreibe ich auf einem Computer. Ich will euch nun von meinem gestrigen Tag berichten. Habt keine Angst – ich werde versuchen, meinen Eintrag für euch so lesbar wie möglich zu machen. Ich habe heute nämlich Einiges gelernt: Ein Eintrag, ein Schriftstück muss in der heutigen Zeit so wenig Buchstaben wie möglich enthalten. Stattdessen werde ich für euch malen. Mein Enkel Bruno meinte, ich kann gut malen...“



„Eh, du!“

„Ja, Opa?“

„Wie kann ich hier malen?“

„Wosch wolltescht du molen, Op?“ Bruno kaut endlich durch.

„Ich will Bilder für euch malen“.

„Lass es lieber, Opa, - (Rülps) – Oder du malst se aufm Papier, ich mach das dann rein“.

Na, dann ist auch diese Sache geklärt. Machen wir weiter:

„…Also. Der Tag fing für mich prächtig an. Meine Tochter hat mir ja die Disk mit der Oper geschenkt, das wisst ihr ja. Davon habe ich euch schon berichtet. Die Disk sah so aus:

Auch hat mir meine Tochter zu Weihnachten einen „Pleer“ geschenkt. Der sieht so aus:

Und hat mir erklärt, wo ich die Disk hintun kann:


Also legte ich meine Disk ein, schloss die Augen und ließ mich von den wunderbaren Klängen in eine andere Welt tragen, weiter, noch weiter…

- Hä? …

Ich schrak hoch – vor mir stand mein Enkel Bruno.

- Hä? Wann fangen sie endlich an zu reden?
- Das ist eine Oper, Bruno. Da singt man statt zu reden.
- Hä?
- Ja, so ist es.
- Hä? … Egal. Opa?
- Ja?
- Du hast mir versprochen, dass du mit mir einkaufen fährst.

Oh, Gott, ich habe es ganz vergessen.

Ich zog mich an, packte den Autoschlüssel und ging aus dem Haus. Bruno wartete schon ungeduldig am Auto.

- Wo willst du denn hin, Bruno?
- Ähm… Jou… Njujorker.
- Was für´n Joker?
- Vergiss es, Opa. Ich zeig dir einfach den Weg.

Hm, Joker? Ja, Joker. Mensch, wie schön waren diese Skatabende, die Rosi einst für die Nachbarschaft organisierte… Aber ein Laden „Joker“ zu nennen… Soll das Schild denn etwa so aussehen:


Dann kamen wir in dieses „Njujoker“ an. Der geheimnisvolle Ort entpuppte sich als einfaches Bekleidungsgeschäft. Berge von Jacken, Hosen und Pullis türmten sich auf den Regalen, kiloweise hingen sie an Bügeln, meterweise waren sie auf dem Boden zerstreut. Eine Horde junger Wilder, die mir wie ein unbekanntes Volk der Steinzeitmenschen vorkam, rannte den Verkaufsraum quer und durch ab, packte mal dies, mal das, ließ es wieder fallen und rannte weiter.

Wer hat sie denn so erschreckt, in diese Aufruhr gebracht? Die armen Wilden.

Sofort blendete mich das grelle Licht, und die laute Musik tat meinen alten Ohren weh:



Mein Enkel Bruno schien dagegen sehr glücklich zu sein. Oder – wie sagt man heute? – „Heppi“.

Er reihte sich sofort in die Horde ein und verschwand in der Menge. Ab und zu tauchte er auf, mit einer neuen Beute in der Hand, und fragte mich:
„Was denkst du, steht mir diese Hose:

Oder diese Hose:

Besser?“

Gott, verzeih mir, ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Bruno schien es wohl verstanden zu haben, denn er tauchte wiederum ab und kam erst eine Viertelstunde später mit diesem Stück wieder:


„Was denkst du, - wollte er meine Meinung wissen, – wird es IHR gefallen?“

Ich drückte ihm stumm ein paar Geldscheine in die Hand und rannte aus diesem Teufelsgeschäft aus. Ich bin noch nie in meinem Leben weggerannt. Aber diesmal bin ich regelrecht geflohen. Der grinsende Schädel mit einem Schleifchen auf seinem haarlosen Kopf verfolgte mich bis zum Marktplatz.

Auf dem Marktplatz sah ich dieses Gebäude stehen:


Das war meine letzte Rettung. Ich stürzte in die offenen Türen, rannte zwei ältere Damen fast um und ließ mich schließlich auf ein weiches Sofa sinken. Puhh! Ich war in Sicherheit.

Ich wartete noch eine Weile, bis sich mein Atem beruhigt hatte, dann stand ich auf und ging zu einem der Auslegetische. „Bestseller“ – verkündete das Leuchtröhrenschild darüber.

„Vielleicht soll ich meinem Enkel ein Buch kaufen?“ dachte ich.

Ich bin übrigens sehr stolz darauf, dass meine Enkelkinder Bücher lesen. Es ist bei der Generation von heute nicht so selbstverständlich. Natürlich sind für mich einige literarische Werke der modernen Zeit nicht immer verständlich, aber es ist eine durchaus normale Entwicklung. Jede Epoche bringt neue Helden mit sich. Jedenfalls bemühe ich mich, den Schritt zu halten und schmökere ab und zu in den Büchern aus der Schulbücherei.

Ich habe es schon mit meinem Verständnis der modernen Literatur so weit gebracht, dass ich mich mit Frodo Potter und seinem Schädel-Hirn-Trauma abgefunden habe. Ein Trauma, ja, was sonst? Die hässliche Narbe auf seiner Stirn ist doch ein klares Zeichen dafür, dass der arme Junge Schäden von irgendwelchem Unfall in der Kindheit (vielleicht war er vom Wickeltisch gefallen?) davon getragen hat. Und dann diese Visionen… und das Gefühl, ständig verfolgt zu werden… Nicht umsonst kam er in diese Anstalt, wo man solchen Kindern zu helfen versuchte.

Also mit Potter war für mich alles soweit klar.

Neulich habe ich aber in das Buch einer meiner Enkelin reingeschaut. Da wurde jemand ständig gebissen: am Morgen, zur Mittagszeit und auch noch am Abend.


Ich erinnere mich heute noch, wie sie mich anschaute, als ich mich bei ihr erkundigt hatte: „Hoffentlich ist der Hund gegen Tollwut geimpft?“

Sie sah mich an, als wäre ich ein Gespenst, ein auferstandener Toter.

„Opa, das ist kein Hund!“

„Bist du dir da ganz sicher?“ fragte ich.


„Opa, es ist …“

„Oh, ich verstehe – eine Katze.“


„Opa-a-a-agrh!!!“

Die zweite Frage, die mir auf der Zunge lag, nämlich „Warum ist das Tier so schlecht erzogen?“, beschloss ich lieber nicht zu stellen.

Aber zurück zum Bücherladen. Also stöberte ich in den Büchern, die „Bestseller“ genannt wurden.

Das erste Buch, das ich in die Hand nahm, hieß „Nie mehr wieder Mitternacht

“. Ich las mir den Klappentext durch: Es handelte sich um einen Straßenjungen, der eigentlich ein verloren gegangener Spross einer Adelsfamilie war. Natürlich ahnte niemand davon, und, auf sich allein gestellt, freundete sich der junge Mann mit der russischen Mafia an, die ihm das Mordhandwerk beigebracht hatte. Dafür, dass er sich in diesem Handwerk als außerordentlich begabt zeigte, waren seine adligen Gene verantwortlich, denn seine blaublütigen Vorfahren waren allesamt gute Duellanten. Und so meuchelte und meuchelte, und meuchelte er weiter, bis ihn ein genauso verlorenes Straßenmaid auf die Idee brachte, mal bei den Leuten im Schloss zu klingeln und sich zu erkundigen, woran wohl die verblüffende Ähnlichkeit der Gesichtszüge der Schlossbewohner und des verwahrlosten Obdachlosen mit einer Kalaschnikow in der Hand liege.

Das zweite Buch von diesem bunten Stapel trug den erschreckenden Titel „Der letzte Tag der Galaxie

“ und ging, im Grunde genommen, ums Gleiche. Man brauchte nur den Straßenjungen durch einen wissensgierigen Naturfreund zu ersetzen, die russische Mafia – durch Außerirdische, den Schloss – durch das geheime Labor, das Straßenmaid - durch Laborassistentin und die Kalaschnikow – durch eine Laserkanone.

Die nächsten zwei Bücher – „Ich meine, du bist verrückt

“ und „Die Sterne leben ewig

“ – waren die Umkehrung der ersten zwei. Hier musste man nur „meucheln“ gegen „lieben“ austauschen.

So verstand ich, dass die Bücher von heute entweder um Blutströme mit dem Hauptheld (wahlweise: charismatischer Auftragskiller, südländischer Macho oder auch ein nichtmenschliches Wesen) knöcheltief darin:

oder aber vom Rosenregen, vom Hauptheld (siehe oben) verursacht, ausgelöst oder wie auch immer:

handeln müssen, um gelesen zu werden.

Ich legte das letzte Buch, das ich vom „Bestseller“-Stapel geholt hatte, - „Der dunkle Dämon einer Oberstufenparty

“ – aus der Hand und begab mich in die Abteilung „Kochbücher“. Bald hat Rosi, meine Alte, meine Perle, meine alte Perle, Geburtstag, und ich hoffte, hier ein passendes Geschenk für sie finden zu können.

Auf einem Ehrenplatz, ganz groß herausgebracht, sah ich einen Riesenband, der in seinen Abmessungen und seiner Aufmachung den mittelalterlichen handgeschriebenen Rittergeschichten im Nichts nachstand:

Exklusive Kuchen



in fünf Minuten!




Und dann der Untertitel: So überraschen Sie ihre Gäste, ohne nur einen Finger zu rühren

!“



Ach, Rosi, Rosi, warum hat es dieses Buch nicht früher gegeben? Sonst hättest in diesen fünfzig Jahren nicht stundenlang in der Küche stehen müssen, um etwas auf den Tisch zu zaubern!

Deprimiert verließ ich die Buchhandlung. Draußen auf dem Marktplatz schaute ich auf die Uhr: Es wurde langsam Zeit, den Enkel Bruno abzuholen.

Bruno wartete schon auf mich vor dem Geschäft mit dem Clownnamen. An seine Brust drückte er liebevoll eine Riesentüte, sein Gesicht strahlte:

“Guckst du, Opa, was ich mir gekauft hab!“

Er öffnete die Tüte und zum Vorschein kam … der liebestolle Totenkopf.

„Schon gut, schon gut“, - kalter Schweiß lief mir über den Rücken, aus letzter Kraft versuchte ich, den Freudetanz ausführenden Enkel von mir weg zu halten:

„Können wir jetzt fahren?“

„Jou, klar, könne mer. Und … Opa … ich hab mir vom letzten Geld noch eine CD gekauft, die könne mer im Auto hören. Voll geil! Nee, echt!“

Unterwegs hörten wir die CD, die Disk, von der Bruno so begeistert war. Es war leider keine Oper:


Zu Hause brauchte ich erst einmal meine Ruhe. Ich ging in mein Schlafzimmer und legte mich ins Bett, konnte aber nicht einschlafen. Ich stand wieder auf, kramte aus meinem Bücherregal einen alten Gedichtsband und vertiefte mich in die wundervollen, vertrauten Versen. Die Tränen traten mir in die Augen: „Wie schade, dass die Jugend von heute diese Schönheit, diese Welt der Poesie nicht kennt. Weder in der Schule noch zu Hause wird ihr davon erzählt. Aber … ich bin ja auch noch da. Ich werde diese Lücke schließen! Ich werde meinem Enkel die Strophen näher bringen!“

Fest entschlossen, diese Heldentat zu vollbringen, betrat ich das Wohnzimmer, mit dem Büchlein in der Hand.

Bruno kauerte vor dem Fernseher.

„Joschka Maximilian Bruno! – begann ich feierlich. – Ich will dir etwas vorlesen“.

„Ach nee, Opa, is grad so interessant…“

Ich warf meinen Blick auf den Bildschirm und sah eine tränenüberströmte Frau, die schluchzend davon berichtete, wie ihre liebste, ihre süßeste Katze von vierzig, die sie in einer Zweizimmerwohnung hielt („Die Nachbarn verstehen mich nicht, die Herzlosen!“) an einer Verstopfung litt („Ich kann es nicht mehr ansehen!“). Heulanfall, die Korrespondentin legt tröstend ihre Hand auf die Schultern der Frau, Kameraschwenk, Kamera wird ausgeschaltet, nächstes Bild: die leidende Katze, das Frauchen hat sich einigermaßen beruhigt und berichtet weiter: Der Tierarzt habe ihr (eigentlich ihrer Katze) Zäpfchen verschrieben, die müssen in … nun, ihr wisst ja, wohin, eingeführt werden. Die Katze aber wehre sich dagegen, so müsse ein Stiefel über ihren (der Katze) Kopf und die Vorderpfoten geschoben werden, damit sie ruhig ist:


„Bruno, schalte das aus“, sagte ich mit gepresster Stimme.

„Nee, Opa, ist grad so… - der Enkel schaute auf und stutzte. - Nee, Opa, vielen Dank natürlich, dass du mich heut gefahren hast, aber…“

„Bruno, schalte das aus und komme hierher!“

Bruno packte die Fernbedienung, ließ den Tonbalken nach links fahren und blickte mich fragend an:

“Zufrieden?“

„Ich will dir etwas vorlesen, Bruno“.

„Dann tu es doch!“

„Du musst mir zuhören“.

„Mach ich doch die ganze Zeit“.

Ich schlug das Buch auf, fand das Gedicht, das mich so fasziniert hatte, legte mir einen ehrwürdigen Gesichtsausdruck zu und begann mit einer hohen festlichen Stimme (wie man uns das damals in der Schule beigebracht hatte) zu lesen:

Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.



„Ehm…“

„Was ist, Bruno?“

„Warum ist er dann überhaupt in den Wald gegangen?“

„Oh, Bruno…“

„Nee, ich will ja nichts sagen. Das Gedicht ist ja schön…“

„Es ist noch nicht zu Ende“.

„Ach so…“

Ich las weiter. Bei

Nun zweigt er immer
und blüht sofort.



schaute ich vom Buch hoch und sah meinen Enkel wieder vor dem Fernseher sitzen. Die Frau mit der Katze schien ihre Probleme und die der Katze überwunden zu haben und lächelte frisch geschminkt in die Kamera.

„Hast du mir zugehört, Bruno?“

„Ja, klar, Opa… Ist er am Ende also doch gestorben?“

„Wer?“

„Na, der Typ, der sich im Wald verirrt hat?“

Ich schlug das Buch zu. Es war sinnlos.

„Bruno!“ – meine Stimme bebte.

„Mhhh...“

„Kannst du wenigstens umschalten?“

„Gleich… Mach ich gleich… „

„Schalte das verdammte Weib mit seinem Vieh weg!“

„Ja, schon gut, Opa. Du brauchst nicht zu schreien. Das hier ist sowieso zu Ende…“

Und er schaltete einen Kanal weiter.

Dröhnend flog vom Bildschirm ein schwarzer Windstrudel direkt auf mich zu. Etwas blitze und funkelte, die Musik wurde lauter und schließlich erschienen im Tornado die abgetrennten Hände, die den Fernseher von innen mit etwas Rotem verschmierten:


„Geil!“ hörte ich noch meinen Enkel flüstern, bevor ich das Wohnzimmer erhobenen Hauptes verließ.

Und so befand ich mich, meine lieben Enkelkinder, am Abend wieder in meinem Zimmer. Dort schaltete ich das alte Fernsehgerät und auch den „DeVauDe-Pleer“ ein, den ich ebenfalls von meiner Tochter geschenkt bekommen hatte. Davon wisst ihr nichts, meine Enkel. Ich habe es euch bewusst vorenthalten. Jetzt ist es an der Zeit, euch zu sagen, dass ich einen besitze. Das heißt aber nicht, dass ihr morgen zu mir kommt und fragt:

„Opa, dürfen wir bei dir im Zimmer einen DVD-Abend veranstalten? Am Wochenende? Wir laden nur die zehn besten Freunde ein…“

Nur über meine Leiche!

Nun ja, also schaltete die ganzen Sachen so ein und legte die Disk mit meinem Lieblingsfilm ein, genau dorthin, wo es mir meine Tochter gezeigt hatte. Der Film heißt „Die Lichter der Großstadt“ mit Charles Chaplin.


Irgendwann muss ich beim Film eingenickt haben. So also war mein Tag, Mittwoch, der….“




Also, jetzt bin ich fertig.

„Eh, du, Bruno!“

„Mhhhm…?“

„Wie kann ich das drucken?“

„Einfach den Knopf da oben…“

„Was für nen Knopf?“

„Mann, Opa, bis hohl oder was? Na, egal. Lass es, ich machs für dich“.

„Danke!“




Diese Geschichte ist frei erfunden.
Alle Namen, handelnden Personen, Orte und Begebenheiten entspringen der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit real lebenden oder toten Personen, Ereignissen oder Schauplätzen wäre völlig unbeabsichtigt und reiner Zufall.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinen Töchtern Alterseinschränkung: bis 16 only!

Nächste Seite
Seite 1 /