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Das Leben kann manchmal hart sein


Er zog das Schwert aus der Scheide und die schwarze Klinge glänzte wie poliert. Asyl schreckte zurück, fasste sich aber wieder und stellte sich Stefan entgegen, obwohl sie Angst hatte. Doch sie musste ihre Angst überwinden, das wusste sie.
»Also gut, bist du bereit, Asyl?«, fragte Stefan.
»Ja, so bereit wie man sein kann«, antwortete sie.
»Gut, greif mich an! Zögere nicht, ich könnte dich töten, denk daran.«
Mit einem einzigen Schrei griff Asyl Stefan an. Dieser blockte einen Angriff nach dem anderen ab. Er brauchte sich kaum anzustrengen, da er größer und stärker war, aber genau das nutze Asyl in einem günstigen Augenblick aus. Sie beugte sich nach hinten, um einem Schwerthieb von Stefan auszuweichen, streckte ihren Fuß und zog ihn dann blitzschnell zurück, wobei sie Stefan zu Fall brachte. Sie streckte ihr Schwert vor sein Gesicht und lächelte. Auch Stefan lächelte dabei.
»Du hast es also geschafft Asyl, du hast mich besiegt. Gut gemacht.«
Sie nahm ihr Schwert wieder weg und steckte es in das Futteral zurück.
Stefan stand auf, hob sein Schwert auf und schob es ebenfalls in seine Schwertscheide.
»Du warst ausgezeichnet, Asyl, du hast meine Stärke zu meiner Schwäche gemacht. Das war ein großartiger Einfall von dir.«
Während des Trainings unterhielt er sich mit ihr über viele Dinge. Über Lyra, über sich und über das Buch der Weisheit. Das Interessanteste, so empfand es Asyl, war die Geschichte von Drâgnôs und Drafûs, den zwei Drachen, die gegeneinander gekämpft hatten. Drafûs, der das Buch der Weisheit erschaffen hatte. Alles war so spannend, was er erzählte, und doch klang es beinahe unfassbar, wenn auch wahr.
Es war später Abend, als sie aufhörten zu trainieren. Beiden lief der Schweiß herunter und doch waren sie glücklich darüber, ein bisschen mehr über den anderen zu wissen. Stefan war vor allem glücklich, dass er Asyl hatte beibringen können, sich zu verteidigen. Nun konnte sie sich vor Gefahren schützen, selbst, wenn er nicht mehr leben sollte. Er spürte, dass seine Zeit bald kommen würde. Beide gingen zurück in den Aufzeichnungsraum, wo Korel sie schon grimmig begrüßte.
»Wo wart ihr? Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Wir haben trainiert. Stefan hat mir beigebracht, mich zu verteidigen und ich habe ihn besiegt«, sagte Asyl fröhlich und hüpfte dabei wie ein kleines Schulmädchen.
»Stimmt das, Stefan?«, fragte Korel und Stefan nickte. Danach war Korel wieder friedlich.
Das wollte er nur wissen.
»Das nächste Mal sagt ihr es mir, wenn ihr weggeht, okay?«
»Ja, Papa«, sagten beide und mussten lachen. Korel, der eigentlich nicht lachte, musste es in diesem Moment auch. Es war ein hallendes Gelächter.
»Wir sollten jetzt zu Asyls Freund gehen, findet ihr nicht?«, sagte Stefan
»Ja, lasst uns gehen.«
Sie gingen in den Raum, in dem Ajoi lag. Es stank nach verwesendem Fleisch und einer Mischung aus undefinierbaren anderen Gerüchen. Asyl und Stefan standen links und rechts neben Ajoi. Asyl überkamen die Tränen und sie weinte mehrere Minuten lang ununterbrochen. Stefan überkam ein Gefühl von Hilflosigkeit, er kannte zwar den Jungen nicht, aber wenn Asyl seinetwegen so viele Tränen vergoss, musste er für sie etwas Besonderes gewesen sein. Als Asyl sich ausgeweint hatte, fragte sie:
»Was sollen wir jetzt mit Ajoi tun? Ihn einfach hier liegen und verfaulen lassen will ich nicht.«
»Bei den Titanen gab es einst einen Brauch bei Verstorbenen, doch ich weiß nicht, ob du das möchtest.«
»Wie lautet er?«
»Die Bären fraßen die Überreste ihrer Toten, bis nur noch Knochen von ihnen übrig waren.«
Korel, der bis zu dem Zeitpunkt nichts gesagt oder getan hatte, schaute zu den beiden hinüber.
»Meinst du, das ist richtig so? Hätte er es so gewollt?«, fragte Asyl Stefan.
»Ich weiß nicht. Aber er hätte sicher auch nicht gewollt, dass er hier verfault.«
»Das stimmt. Korel?«
Der Bär kam näher:
»Was ist, Kind?«.
»Würdest du Ajoi die letzte Ehre der Bären zu Teil werden lassen?«
Er schaute zu Stefan und dann wieder zu Asyl.
»Na gut, aber lasst mich bitte alleine. Das wollt ihr nicht sehen.«
Asyl und Stefan gingen aus dem Raum. Letzterer wusste, wieso Korel sie nicht dabei haben wollte. Nicht, weil Asyl zu jung war, sondern weil Ajoi ihr Freund war und es für sie ein zu schrecklicher Anblick gewesen wäre.
Korel zog Ajoi langsam die Kleider herunter und versuchte dabei, das Fleisch nicht zu verletzen. Mit einer seiner Krallen schlitzte er den Brustkorb des Jungen auf. Vorsichtig trennte er Darm und Leber ab. Beides durfte er nicht beschädigen, sonst schmeckte das Fleisch abscheulich. Er schaffte es und legte die Organe auf den Boden. Als erstes aß er Fleisch und Muskeln vom Ober- und Unterleib, danach alles andere, bis auf die Leber und den Darm. Als er fertig war, legte er die Knochen sacht und ehrerbietig zusammen. Die Leber und den Darm versteckte er in einer Ecke des Raumes.
Stefan und Asyl warteten, bis Korel fertig war und er herauskam. Er hatte zwar ein paar Blutflecken im Fell, sonst aber sah man ihm nichts an.
»So, was machen wir jetzt?«, fragte Korel.
»Wir sollten mit dem Schiff nach Avalon fliegen«, meinte Stefan.
»Gut, und wo ist dieses Schiff?«, erkundigte sich Asyl.
»Im Hangar. Der ist etwa zehn Minuten von hier entfernt.«
Stefan ging voraus, gefolgt von Asyl und Korel. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie am Hangar ankamen. Stefan öffnete die Türe und vor ihnen erstrahlte ein riesengroßes Kampfschiff, mindesten sechzig Meter lang und ausgerüstet mit Steuer- und Backbord-Waffen. Es musste ganz neu sein, so wie es aussah. Alle drei schauten erstaunt auf das Schiff, das nun ihnen gehören sollte. Stefan ging voraus, er war der einzige der drei, der Ahnung hatte, wie man solch ein Raumschiff bediente.
»Dieses Raumschiff ist noch nicht getauft, also werde ich ihm den Namen Pandora geben. «
Er nahm einen Farbtopf, der herumstand, obwohl er selbst nicht wusste, was ein Farbtopf in einem Hangar zu suchen hatte, und schrieb den Namen des Schiffes auf den Bug. Er gab sich viel Mühe, den Namen groß und schön zu schreiben. Es sah beeindruckend aus.
»Und wie kommen wir jetzt hier raus?«, fragte Korel, der ein paar Trümmer, die gefährlich wankten, aus dem Weg räumte.
»Normalerweise müsste sich das Dach öffnen, sobald die Motoren gestartet werden. Lasst uns in das Schiff gehen.«
Das Raumschiff war ausgestattet mit Technik, unbeschreiblicher Technik. Technik, die keiner von uns beherrschen könnte, aber Stefan tat das. Er verstand die einzelnen Zahlen und Buchstaben, die kurz aufflackerten. Er erklärte Asyl und Korel einiges über Raumschiffe und wie man sie fliegt, doch weder Asyl noch Korel begriffen, was er sagte. Es klang wie eine fremde Sprache für die zwei. Als sie an einem Fahrstuhl ankamen, sagte Stefan
»Dieser Fahrstuhl bringt uns direkt zur Brücke. Von dort aus werden wir das Schiff steuern.«
»Du meinst, du wirst es steuern«, sagte Korel.
»Ja, ich werde es steuern, aber ihr werdet mir helfen müssen, ich habe ja keine hundert Arme.«
Asyl musste sich Stefan mit hundert Armen vorstellen, worauf sie lachen musste. Stefan und Korel schauten sie an und erkannten dann, wieso sie lachte. Stefan betätigte den Schalter für den Fahrstuhl, worauf dieser heranrauschte. Alle drei stiegen ein, Stefan drückte den Knopf, auf dem in einer fremden Sprache «Brücke« stand.
Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und in wenigen Minuten waren sie auf der Brücke. Sie wirkte sehr aufgeräumt. Mehrere Konsolen, mit denen man die Geschütze, die Schiffe kontrollieren und andere Kommandos geben konnte war zu erkennen. Stefan setzte sich in einen Sessel in der Mitte des Raums und erklärte, dass es der Sitz des Kapitäns des Schiffes sei. Der Sessel war aus einem seltsamen Material und obwohl es kalt aussah, war es angenehm warm. Er hatte kunstvolle Verzierungen am den Arm- sowie an der Rückenlehne. Korel legte sich auf den Boden und als Stefan ihn da so liegen sah, erinnerte er sich an Balof Norel, den Wolf, den er sehnlich vermisste. Fast genauso, wie er Korel und Asyl vermissen würde, wenn er die zwei nicht mehr bei sich hätte. Er musste die ganze Zeit über alles Mögliche nachdenken. Über seine Vergangenheit als Soldat, seine halbe Gehirnwäsche, die er bei der Nationalen Sozialistischen Armee über sich ergehen lassen musste, über seine Zukunft, über die Zukunft von Asyl, Korel und über jeden anderen, den er mochte.
»Was ist, Stefan? Du schaust so traurig aus«, fragte Korel.
»Ach, Korel, das alles weckt wieder Erinnerungen und Angst bei mir . Das ist alles, aber keine Sorge ich werde nicht davor weglaufen. Ich bleibe standhaft wie ein Fels in der Brandung.«
Korel nickte. »Was anderes hätte ich auch nicht von dir erwartet.«
Stefan lächelte, woraufhin sich Korel freute. Er mochte es nicht, wenn Stefan schlechte Laune hatte. Das machte ihn nur gefährlich. Stefan hatte die Angewohnheit der Bären angenommen, sich mit allen Mitteln zu verteidigen, komme, was wolle.
»Stefan? Hier leuchtet etwas Komisches auf, lauter Lichter«, sagte Asyl erschrocken.
Stefan vermutete, was das hieß, wollte aber es nicht wahrhaben und erschrak, als er auf Asyls Bildschirm schaute.
»So ein Mist«, sagte Stefan.
»Das sind Tervano-Jäger, sie müssen uns entdeckt haben. Haltet euch fest, ich muss einen Schnellstart machen.«
Stefan drückte hastig auf die Knöpfe, die in den Armlehnen seines Stuhls eingebaut waren, woraufhin die Triebwerke zündeten. Das Schiff hob langsam vom Boden ab und Stefan steuerte es mit einer übernatürlichen Genauigkeit. Es hob die Nase nach oben und gab dann die ganze Energie auf die Triebwerke. Mit einem Knall, der von herumfliegenden Teilen im Hangar kam, stiegen sie immer höher, bis sie mehrere hundert Meter über dem Boden waren. Auf einmal gab es krachende Geräusche und es sprühten Funken.
»Mist, ich versuche, die Energie auf die Schutzschilde umzuleiten«, schrie Stefan.
Nach einiger Zeit hatte Stefan es geschafft. Es gab zwar noch Erschütterungen, aber sie waren nicht mehr so stark.
»Diese verdammten Tervano-Jäger, wir müssen die irgendwie zerstören. Oder wir sind bald selbst tot.«

Impressum

Texte: Cover: Michèle Matthé
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2012

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