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Heimat ist






Wo Dörfer sich verstreut in Hänge schmiegen,
die ringsum sich zu einem Wall verketten,
wo grüne Ufer ihren Fluss sanft betten
und Silberpfeile über Wellen fliegen;

wo Obstbaumkronen ihre Früchte wiegen
und in der Ferne zarte Silhouetten
von Hügelland in nachbarlichen Stätten
an klarenTagen zur Begrenzung liegen,

dort wurde ich geboren und erwachsen,
dort hab ich mich verloren und verwachsen.
Ich lernte mich im Gegenwind zu biegen

und dass die Standhaften sich selbst besiegen
um dann, wie es die leeren Felder tun,
nach jeder Ernte in sich selbst zu ruhn.




Der Besuch




Der alte Friedhof ist fast unsichtbar.
Nur hier und da ein paar vermooste Steine
erinnern und am Wegesrand die kleine
Kapelle, die einst Leichenschauhaus war.

Es ist die Ruhestätte der Verwirrten,
die anders dachten, fühlten und auch lebten,
in unbekannten Dimensionen schwebten
und hilflos durch uns fremde Reiche irrten.

Aus Kronen hundert Jahre alter Rüstern
ertönen Stimmen wie ein leises Raunen.
Ich kann nur still stehn, horche voller Staunen

und schließlich höre ich, wie sie mir flüstern:
Wir leben fort! In Wind und Baum und Strauch.
Verrückt! Das ist bei Menschenkindern Brauch!



Heutige SHG-Klinik, früher:
Landeskrankenhaus, Landesnervenklink,
Provinziale Irrenanstalt.


Jenseits der Mauer




Das Haus versteckt sich hinter Sandsteinmauern.
Wer sich in diese Gegend mal verirrt,
horcht im Vorübergehen irritiert:
Ein Kichern, als wenn Kobolde dort lauern.

An einer Eiche scheint ein Wicht zu kauern.
Passanten fühlen hier sich leicht verwirrt,
als ob ein Vöglein in dem Kopfe schwirrt.
Doch wird der Spuk nur eine Weile dauern.

Für die, die hinter jenen Steinen leben,
wird es normales Leben niemals geben.
Doch sehn sie draußen die Besucher laufen,
vermuten sie aus ihrer eignen Sicht:

Kein Grund, verzweifelt sich das Haar zu raufen,
da draußen sind sie auch nicht immer dicht!

Blick auf die Heimat




In Kurven schlängelt sich der Fluss durchs Becken,
leicht modriger Geruch durchzieht die Auen.
Man kann bei klarer Sicht bis Frankreich schauen,
wohin sich sanfte Hügel weit erstrecken.

Ich kenne in der Stadt fast alle Ecken.
Ich sah die Männer neue Häuser bauen,
las Lebensspurn im Antlitz alter Frauen,
fand Liebesinseln hinter Weißdornhecken.

So manches traute Heim sah ich verschwinden,
an Straßen fällten sie die stolzen Linden.
Selbst die Gesichter sind nicht mehr die gleichen,
die Alten mussten längst ins Jenseits weichen.

Auch mich wird dieser Kreislauf nicht verschonen:
In meinem Haus wird bald ein andrer wohnen!



Letzter Wunsch




Der Hannes darf nicht mehr auf Gnade hoffen;
das Urteil lautet: Tod durch Strang.
Nur einen letzten Wunsch hat er noch offen
und Hannes überlegt nicht lang:
Noch einmal möchte er den Särkov sehen
und wandern durch die grünen Auen.
Noch einmal durch die Fallobstwiesen gehen
und auf die Weizenfelder schauen.

Die Bitte wird erfüllt und alsbald leiten
die Henkersknechte ihn hinaus.
Des Hannes Blick verliert sich in den Weiten
des schönen, heimatlichen Gaus.
Man drängt ihn schließlich, sich doch zu beeilen,
doch Hannes lässt sich reichlich Zeit.
An jedem Baum und Haus muss er verweilen.
Fast eine kleine Ewigkeit

sieht man die Gruppe durch die Lande streifen;
man setzte Hannes keine Frist.
Der Sommer geht, die Apfelernten reifen
und Hannes siegt mit seiner List.
Als endlich dann, nach dreizehn langen Jahren,
zum Galgenplatz er wieder findet,
erblickt man einen Mann mit weißen Haaren,
dem schnell das Lebenslicht entschwindet.

Zwei Zoll entfernt vom Strang ging es zu Ende.
So wurde Hannes über Nacht Legende.


Nach einer Legende aus dem Kreis Merzig-Wadern





Viezzeit

Zwei Hörnchen huschen emsig durch die Kronen.

Zu meinen Füßen kullern prall Maronen;

das Eichenlaub zeigt sich in Edelrost;

Geruch von Äpfeln und von frischem Most

 

durchzieht die Stadt. Als weiße Fahne winkt

der Dampf aus den Kanälen und es schwingt

ein Hauch von Wehmut über der Chaussee.

Am Abend brodelt auf dem Stövchen Tee.

Impressum

Texte: Janna Ney
Bildmaterialien: Janna Ney
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2012

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