Cover

Großmutters Garten




Ich war knapp fünf und fuhr den Bollerwagen
von meinem Elternhaus zu Omas Garten.
Die weiß geschrubbten Wäschestücke lagen
sortiert. Ich lief, ich wusste, dass sie warten.
Bald sah ich Großpapa am Törchen stehen,
nach der geliebten Enkeltochter sehen.

Am Sprossenfenster wehte die Gardine;
im Hof roch man schon Zwetschgenkuchenduft
und unterm Kirschbaum - mit verschmitzter Miene -
saß Großmama in frischer Sommerluft.
Bald hing die Wäsche flatternd an der Leine
und Oma sprach: Setz dich zu mir, du Kleine.

Es gab ein großes Glas mit Limonade,
vom Kuchen, was das Kinderherz begehrte.
Und manchmal auch den Riegel Schokolade,
den ich genüsslich, ohne Hast, verzehrte.
Von Weitem hörte man es rhythmisch stampfen,
sah bald den Schornstein eines Zuges dampfen.

An einem starken Ast hing zwischen Tauen
ein schmales Brett, auf dem ich gerne saß.
Von oben konnte ich die Welt beschauen,
es war ein unvergesslich schöner Spaß.
Wir fädelten auf Schnüre Apfelkerne
und Omas Augen schweiften in die Ferne.

Es war, als ob sie irgendwas vermisste,
doch niemals drang aus ihrem Mund ein Wort.
Der Opa griff in die Zigarrenkiste
und mit dem Rauch zog Omas Trauer fort.
Das glaubte ich und mochte die Zigarren.
Ich ließ mich gern von diesem Glauben narren.

Als Opa starb, hielt ich mit ihr die Wacht;
er lag sehr still, ganz ohne Gegenwehr
und ging am dritten Tag nach Mitternacht.
Dies war mein erster Abschied. Er fiel schwer.
Ihr blieb noch eine ganze Menge Zeit.
Doch nie verriet sie mir ihr Herzeleid.


Großvater




Hoch auf deinen Schultern
staunte ich hinaus ins Leben,
erkundete an deiner Hand
die Wunder der Natur.
Duftendes Sommergras,
der lehmige Geruch der Flussaue
und blühende Obstbäume,
grünglänzende Laubfrösche,
glitzernde Spinnennetze,
Schwalbenschwanz.
Kletten im Haar, pochendes Herz
und ungebändigte Lust am Leben.

Großvater,
unsere Wege haben sie zubetoniert,
begraben sind Blumenwiesen
und der Storch auf dem Schornstein
des Bäckers hat sich verabschiedet.
Die alten Linden mitsamt Gartenrestaurant
mussten einem kahlen Flachbau weichen.

Großvater, es hat sich vieles verändert,
die Welt ist kalt geworden seit damals.
Aber das Schlimmste, Großvater,
das Schlimmste ist,
dass es Menschen gibt,
die Lust finden am Zerstören,
das Staunen ist ihnen verloren gegangen
und die Liebe kennen sie nur aus dem TV.

Großvater, sie bauen keine Papierdrachen mehr
und spielen nicht Fang den Hut,
nein, sie fangen Seelen und spielen damit
Russisch Roulett.
Aber das hast du wohl
damals schon gewusst.
Und ich unerfahrenes Kind dachte,
als ich vor deinem Sarg stand
und den tiefen Ernst in den nun strengen Zügen sah,
der Tod hätte dich gezeichnet.
Nein, es war nicht der Tod,
es war das Leben

Großvater, das Herz pocht noch immer,
aber die Lust am Leben hat sich minimiert
im Kampf um die eigene Existenz.

Du kommst langsam näher

Großvaters Geheimnis




Wie sehr mich deine Kammer faszinierte;
der Lieblingsplatz befand sich unterm Dach.
Ich lernte dort Canasta, später Schach
auf einem Holzbrett, das den Schreibtisch zierte.
Dahinter eine Adler-Schreibmaschine,
direkt daneben hing die Violine.

Die Bücherborde bogen sich ob ihrer Lasten;
Herrn Ludwigs Büste schmückte das Klavier.
Ein grünes Etwas war halb Mann, halb Stier.
Am Fenster stand – verstaubt – der Geigenkasten
und – nur für mich – die kleine Eichenbank,
auf der ich saß. Doch dieser schmale Schrank,

der mich so int'ressierte, blieb verschlossen.
Wie sehr ich schmeichelte und innig bat,
die Antwort war stets gleich: „Kommt Zeit, kommt Rat.“
Das hat mich kleines Mädchen oft verdrossen.
Doch gleich fing Opa an, zu fabulieren
von Hexen, Drachen und diversen Tieren.

Die Jahre gingen hin. Der Abschied kam
und brachte jener Unbeschwertheit Wende.
Es fiel ein Schlüsselbund in meine Hände,
den ich aus Neugier mit in Opas Zimmer nahm.
Der Schrank ging auf. Es wurde offenbar,
dass er ein passionierter Dichter war.

Anno 1955




Die Straße lag in weihnachtlicher Stille.
Von fern drang Glockenklang ans Ohr.
Im Haus roch es nach Apfel und Vanille,
ein Braten brutzelte im Rohr.

An deinen Fenstern wuchsen glitzernd Blumen,
im Ofen knisterte ein Scheit.
Und draußen pickten Vögel hastig Krumen
in dieser kalten Jahreszeit.

Doch in der Stube strahlte Kerzenschimmer.
Ein bunter Teller stand parat
mit Nüssen, Plätzchen, Datteln und wie immer
das Hutzelbrot mit Zitronat.

In Glanzpapier, mit Silberband gebunden,
lag eine Gabe unterm Baum.
Nie wieder gab es solche Festtagsstunden,
nie wieder solchen Weihnachtstraum.

Nun ist es Heiligabend und ich denke
an dich und jene fernen Tage.
Der Gabentisch trägt kostbare Geschenke.
In mir wächst lautlos eine Klage.


Waschtag




Es dampft und brodelt in der Wäscheküche;
im Wasserkessel schwimmen weiße Linnen.
Durch Haus und Hof zieh`n saubere Gerüche
und Oma schwingt die Bürste wie von Sinnen.
Beflecktes schrubbt sie auf dem Brett mit Seife
und Opas Kragen kriegen Halt mit Steife.

Es laufen Tröpfchen über ihre Wangen,
doch ihre blauen Hände schwenken, raffen,
wringen aus und formen Wäscheschlangen,
die wir in Körben in den Garten schaffen.
Bald hängt die weiße Pracht im Sommerwind.
Und Oma sagt: Nun gibt es Kuchen, Kind!

Lavendel




Ganz plötzlich warst du wieder nah:
Als ich die blauen Blüten schnitt
und wie in Trance ins Gestern glitt,
wo ich dein liebes Antlitz sah.

Ein Netz hielt Haar so grau wie Asche;
die Augen blickten klar und blau.
Und da! Ich kannte sie genau:
Aus grünem Glas die kleine Flasche!

Stilles Geleit




Im Traum kann ich den Weg noch finden
zum kleinen Haus am Rand der Stadt,
im Schatten hinter Sommerlinden,
wo meine Seele Wurzeln hat.

Besinnlich war so manche Stunde,
die ich bei dir am Tische saß
und in der fröhlich heitren Runde
die Welt um mich herum vergaß.

Wie sehr du meine Wege lenktest,
begriff ich erst nach langer Zeit.
Die Liebe, die du mir einst schenktest,
trug mich durch Freude und auch Leid.

Und manches Mal in stillen Stunden
seh ich dein Bildnis klar vor mir,
fühl mich mit dir noch tief verbunden:
Für deine Güte dank ich dir.

Vor Jahren




So oft gedenke ich der Sommertage,
die uns so satt und restlos glücklich machten;
wo wir zusammen aus der Rückenlage
dem Himmel und der Welt ins Antlitz lachten.

Wie sich die Auen an den Flusslauf schmiegten;
den Weg entlang, so weit das Auge reichte
und Weidenzweige sich im Windhauch wiegten,
derweil die Sonne mir die Haare bleichte.

Wir atmeten der Erde schwere Düfte
und ließen ohne Not den Alltag fliehen.
Hoch oben durch die flirrend heißen Lüfte
sah hin und wieder man die Störche ziehen.

Und in den saftig-grünen Blumenmatten
erblickten wir die schönsten Schmetterlinge.
Es war nicht viel, was wir im Beutel hatten.
Doch trotzdem waren wir stets bester Dinge.

Das Schifferklavier




Es galt nicht als sehr fein.
Die Oma und die Tante
und andre Anverwandte
benannten es gemein
als Quetschkommode, die
nach Markt und Rummel schrie.

Dann lachte Opas Mund.
Er spielte Seemannslieder;
dazwischen immer wieder
die Vogelhochzeit und:
Der Kuckuck auf dem Zaune.
Und Oma sang mit Laune.

Drachenzeit




Der Herbst war da. Es roch im Haus nach Holz,
nach Pappmaché, nach Eicheln und nach Kleister.
Wir Kinder bastelten und zeigten stolz
die kleinen Werke unsrem Bastelmeister.
Doch Opa wühlte lang in seinen Sachen;
er suchte Zubehör für einen Drachen.

Dann teilte er uns für die Arbeit ein:
Die Kleinen falteten den langen Schwanz,
den Rumpf gestaltete er ganz allein.
In unsren Augen stand der helle Glanz,
begeistert schafften unsre Kinderhände.
Und schließlich fand das Werkeln auch ein Ende.

Wir mussten allen unser Kunstwerk zeigen!
Jedoch, so sehr sich Großpapa bemühte,
der Drachen wollte fallen und nicht steigen,
bis Opas Kopf vor Zorn und Scham erglühte.
Er fluchte: Fahr zur Hölle, alter Drachen.
Am Ende musste er - wie wir -laut lachen.

Was sie nicht sagten




Sie sagten mir, du warst ein Träumer,
Phantast und Lebenszielversäumer.
Anstatt Karriere anzutreiben,
sah man dich grübeln und viel schreiben.

Du seist kein Mann der Tat gewesen,
stattdessen leider nur belesen;
ansonsten galtest du als Spinner.
Gewiss, du warst wohl kein Gewinner.

Dass Schmähgeschichten sich leicht wenden,
beweist das Buch in meinen Händen.
Vergessen sind die Anverwandten,
die dich so oft verschroben nannten.

Von ihnen ist mir nichts geblieben;
doch du hast dich tief eingeschrieben!


Impressum

Texte: Janna Ney
Bildmaterialien: Janna Ney
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Großeltern gewidmet

Nächste Seite
Seite 1 /