Refugium
In meinem Haus wird renoviert.
Vom Stubenboden bis zur Decke;
jedwede noch so schmale Ecke
wird frisch gemalt und neu verziert.
Ein jedes Zimmer variiert;
die Töne zwischen schwarz und hell
schattieren individuell.
Mein Haus hat mehr als ein Gesicht.
Doch immer streifen meine Hände
die altvertrauten, rauen Wände.
Kartenhäuser
Das Haus sah lauschig aus mit buntem Garten;
die Tür und alle Fenster standen offen,
fast so, als lebte dort ein stilles Hoffen
ganz einvernehmlich neben dem Erwarten.
Die Fremde zögerte, es zu betreten,
in ihr erwuchs die altbekannte Ahnung;
sie schob sie fort, sie wollte keine Mahnung.
Als leis im Windzug die Gardinen wehten,
vermochte sie den Sturm nicht zu erkennen
und nicht, die Dinge richtig zu benennen.
Sie wärmte sich am Ofen ihre Hände,
bewunderte die hübsch verzierten Wände
und spürte lang entbehrte Lebensfreude.
So stand sie lange, mit entspannten Zügen.
Sie stand noch immer aufrecht im Gebäude
als es zusammenbrach. Was übrig blieb:
die Lügen.
Schattendasein
Sie stand, wie meist, bewegungslos im Schrank.
Aus ihrem Seidenkleid, das leicht changierte
und sich am Saum entlang mit Rüschen zierte,
entwuchsen blasse Arme und die Hände -
zwei Blütenkelche - wirkten filigran
und durchscheinend wie dünnes Porzellan.
Von Zeit zu Zeit rieb man die Schöne blank
und stellte sie auf jenen Apparat,
der sie mit Schall und Schwung zum Tanze bat.
Ihr Auftritt ging sehr schnell zu Ende,
und sie verschwand mit unbewegter Miene
erneut in der geschlossenen Vitrine.
Eines Tages war die Puppe weg.
Zurück blieb lediglich ein Fleck.
Über-Ich
Du hast dein Hausrecht nur geträumt, mein Kind.
Begreife, deine Untermieter nisten
in deinem Heim auf Lebenszeit. Sie sind
nicht auszurotten. Ihre Umzugskisten
versperren manchmal deine freie Sicht.
Du denkst, sie sind längst fort und siehst bloß nicht.
Dann bildest du dir ein, du hast gesiegt:
Du tanzt und wirst dir selbst zum Pausenclown,
der nach der Show erschöpft am Boden liegt.
Aus allen Ecken, Winkeln, Spalten schaun
nun voller Spott und Häme die Dämonen,
die längst in deinem Oberstübchen wohnen.
Große Schwester
Sie sagen, du bist Gift. Doch ich versöhnte
mich schon vor ungezählten Jahren. Schwester,
das Band wird mit dem Alter stetig fester.
Wenn mich das Leben wieder mal verhöhnte
sind deine Arme mir stets fester Halt:
Versenke ich mich tief in deine Gründe,
so scheint es mir, als ob ich fester stünde
und meine Lebensangst verliert Gestalt.
Wir sind uns immer treu und lieb gewesen;
nach jedem Tief bin ich erneut genesen.
Warst du auch manchmal eine böse Schwäre,
ich glaube, ohne deine Nähe wäre
mein Horizont beschränkt.
Du hast mich. Und du hast mich reich beschenkt.
Altlasten
Ich mag dich. Ja, ich mag dich sehr
und rüste doch zur Gegenwehr.
Denn leider läuft auf Schritt und Tritt
dein dummer kleiner Bruder mit.
Er streut mir Salz in alte Wunden
und hat genau den Punkt gefunden,
auf den er seinen Daumen hält.
Auf dem Speicher
Sie kam mir plötzlich in den Sinn,
als ich in den Gedanken räumte:
Die süße Stelle, dort am Kinn,
die ich zu küssen nie versäumte,
als ich dein Schatz gewesen bin
und mit dir manche Nacht verträumte.
Im Abstellraum vom Oberstübchen
steckt immer noch dein freches Grübchen.
Er hat was gegen heile Welt.
Ich & Ich
Es gibt in meinem Domizil
die unterschiedlichsten Personen.
Ich weiß nicht mal genau, wieviel
Gestalten bei mir wohnen.
Als eingesessner Hauptakteur,
der glaubt, dass er die Wohnung kennt,
frag ich, wo kommt der Typ bloß her,
der in der Küche Amok rennt.
An manchen Tagen wird aktiv,
wer jahrelang im Keller schlief.
Rastplatz
Dein Häuschen lag so still im Dunkeln.
Durch Ritzen seiner Läden drang
ganz unverhofft ein warmes Funkeln,
das mir den Weg und Sinn erhellte.
Ich zögerte - doch nicht sehr lang -
bis ich an deiner Haustür schellte.
Gefäße
In der Vitrine steht ein Krug.
Wer immer ihn zum Brunnen trug,
hat seinen Durst an ihm gestillt
und ihn zuweilen aufgefüllt.
Verschwommen zeigt sich auf dem Grund
ein Lächeln um den welken Mund,
durch das sich feine Risse ziehen
und letzte Wassertropfen fliehen.
Aus milchig weißem Porzellan
sehn mich fast blinde Augen an:
Wir sind vom Leben wund.
Texte: Janna Ney
Bildmaterialien: Janna Ney
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2012
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