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Kapitel 1

Krankenhäuser

 

Man ist schneller drin, als man glaubt!

 

Kennt ihr dieses Phänomen? Man sitzt gemütlich im Auto und fährt durch die Stadt. Ein kurzer Blick nach rechts und ihr erblickt ein großes Schild auf dem mit fetten schwarzen Buchstaben das Wort "KRANKENHAUS" euch träge aus der Ferne entgegenblinzelt.

In solchen Momenten gibt es bei mir immer nur eine ganz klare Reaktion. Ich trete kräftig auf die Bremse, so dass die Reifen nur quietschen. Lege den Rückwärtsgang ein und gebe Gas. Erst nach mindestens 500 Meter Entfernung reiße ich mein Lenkrad herum, so dass ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum stehen komme. Ein weiterer Blick in den Spiegel lässt mich erkennen, dass ich mich immer noch im Gefahrengebiet befinde. Ich gebe Vollgas und rausche mit voller Motordröhnung den "Highway" entlang. Mein Puls befindet sich ebenso wie mein Auto bei ca. 100 Umdrehungen.

 

Liebe Kinder, lasst euch eines sagen. Diese Art von Stunts sind nicht ungefährlich. Also macht dies auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen nach. Nur im Falle eines Äußersten Notfalls. Dann dürft ihr so wie ich eben reagieren.

Ich habe gerade mal weitere fünf Kilometer Abstand gewonnen als sich mein Herzschlag etwas beruhigt und mein Plattfuß sich am Pedal lockert. Noch immer umklammere ich mit meinen Händen fest das Lenkrad. In einem Augenblick der Unachtsamkeit habe ich mich beinahe einer massiven Gefahr hingegeben.

Dem Krankenhausterror!

"Au weia. Das wäre doch beinah schief gegangen", denke ich bei mir und wische mir den kalten Schweiß aus dem Gesicht. Ich atme langsam tief ein und wieder aus. Angeblich sollen bestimmte Atemübungen beruhigend wirken. Welcher Quacksalber dies einmal in der Glotze von sich gegeben hat, weiß ich nicht mehr, aber wenns scheen macht?

Noch immer ist mir etwas schwummerig vor den Augen. Diese körperliche Reaktion auf ein potentielles Gefahrengebiet stellt sich immer bei mir ein. Mein Traumbody signalisiert mir damit höchste Alarmstufe. Daher versuche ich diese Art von öffentlichen Anstalten stets zu meiden. Leider ist dies nicht immer möglich. Zum Beispiel, wenn ein Bekannter oder Verwandter mit einer Erkrankung danieder liegt. Natürlich begebe auch ich mich dann auch an diese Orte, um den Ärmsten gute Besserung zu wünschen. Aber ich leide dann mit den Personen ebenso mit und drücke mein höchstes Mitgefühl aus. Doch sowie ich das Gebäude wieder verlasse, bekreuzige ich mich und küsse den Erdboden. Nun, wer möchte schon gern im Krankenhaus liegen.

Ich nicht!

 

Doch eines Tages holte mich meine düstere Vergangenheit ein. Die schwarze Seite der Macht streckte ihre langen Spinnenfinger nach mir aus und zog mich unwiderruflich auf ihre Seite.

Eine ganze Woche kämpft nun schon mein Jedikrieger gegen die Armee der Sith. Tapfer stellt er sich ihnen entgegen. Doch die dunkle Macht ist stärker und zieht nun meinen weißen Krieger auf seine Seite. In der Stille meines Schlafzimmers höre ich in der sechsten Nacht eine seltsame Stimme röcheln.

"Luke.... äh Clarissa! Ich bin  dein Vater!"

Mir wird augenblicklich übel. Dies kann nur ein Albtraum sein. Ein Besuch meiner Ärztin erscheint mir nun unumgänglich. Mit Ach und Krach raffe ich mich am siebten Tag aus meinem Bett und schleppe mich in die Praxis.

Nach einer ewigen Wartezeit darf ich dann endlich zu ihr. Da ich felsenfest der Überzeugung bin lediglich an einer Magenverstimmung zu leiden, warte ich geduldig ihre Diagnose ab. Und die soll anders ausfallen als gedacht.

Ich erhalte einen kurzen Blick auf meinem Gesundheitszustand und ein leichtes Kräuseln ihrer Stirn signalisieren mir, dass es wohl ganz und gar nicht so gut aussieht wie ich denke.

"Frau Gonzales, Ihre Blutwerte sehen sehr bedenklich aus. Ich muss Sie leider ins Krankenhaus einweisen!"

Die Worte meiner Ärztin dröhnen in meinem Schädel und schallen durch mein Gehirn wie ein Echo in den Alpen wieder. Ich ertappe mich dabei, meinen Körper imaginär an diesen Ort transformieren zu lassen. Doch irgendwie scheint es diese Methode im 21. Jahrhundert noch nicht zu geben.

Ja schade! Dann wohl nicht!

Statt dessen entscheide ich mich dafür meine Ärztin blöd anzuklotzen.

"Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?", frage ich Ungläubige.

Frau Doktor bleibt gnadenlos. Die Schwester drückt mir einen blauen Wisch in die Hände und ich darf abdampfen. Na toll! Soviel zum Vermeiden diverser Institute. Aber gut. Dann geben die mir im Krankenhaus *brech*würg*schluchz* eben ein paar tolle Medikamente und in ein paar Nächten penn ich wieder zu Haus.

Easy. Das schaff ich schon.

Ich zucke mit den Schultern und packe erst mal in aller Seelenruhe daheim meine Sachen zusammen. Um noch einen drauf zu setzen, wasche ich mir noch meine Haare und lege ein leichtes Tagesmakeup auf. Man weiß ja nie, wann man wieder dazu kommt, sich hübsch zu machen. Außerdem will ich in der Allgemeinheit untertauchen und möchte nicht gleich als "Grünes Monster aus dem Sumpft" betitelt werden. Meine Gesichtsfarbe sieht keineswegs gesund aus. Nach dieser Hiobsbotschaft können nun Spinat, Brokkoli und ich uns die Hände reichen.

Mahlzeit!

Als ich nun fertig bin und mich im Spiegel begutachte, lächelt mir meine kleine innere Prinzessin huldvoll entgegen. Also los.

Im Schneckentempo schlürfe ich dann einige Zeit später in Richtung Krankenhauseingang. Wie immer setzt meine rote Alarmleuchte ein und beginnt zu dröhnen.

Achtung! Röhrt eine Robotorstimme.

Bitte begeben Sie sich außerhalb der Gefahrenzone!

Meine Hände beginnen zu zittern. Dreimal tief ein und aus atmen und durch, denke ich bei mir. Da klingelt das Telefon.

"Hey Mäuschen, was machst du für Sachen?", trällert die vertraute Stimme meiner besten Freundin Ulrike mir aufgeregt entgegen.

"Ach ja. Nö... is nix. Muss halt mal ins Krankenhaus. Bin auch gleich da.", bekunde ich eher gleichgültig, um erst gar nicht in einen emotionalen Gemütszustand zu geraten.

"Das glaub ich grad nicht. Warum das denn?" Die Gute ist entsetzt.

"Ach ja, meine Leberwerte sind irgendwie nicht so doll. Ich denke mit ein paar bunten Pillen geht's ihr schnell wieder gut."

Ulrike entscheidet sich schnellstens auf den Weg zu mir zu machen.

"Ich lass dich doch da nicht allein, Mäuschen! Was denkst du denn? In 30 Minuten bin ich bei dir. Ich find dich schon. Kopf hoch und durchhalten!"

"Ich muss doch erst mal in die Notaufnahme. Da sitz ich eh nur doof rum", versuche ich sie zu warnen.

"Keine Widerrede. Ich bin quasi fast da", sprach sie und legte prompt auf.

Naja, denke ich mir. Wenn sie schon dabei sein will. Also, schaden kann es nicht.

Die Eingangstür des mir verhassten Institutes öffnet sich vor mir. Verdammt, denke ich. Hier komm ich wohl nicht so schnell wieder raus. Böse Vorahnung oder einfach nur Panik? Kein Plan. Der Horror beginnt seinen Lauf. Ich stehe eine halbe Ewigkeit an der Notaufnahme. Nur gut, dass ich beinahe am Zusammenbrechen bin. Aber egal. Lasst mich ruhig hier verrecken. Mitten im Gang befinden sich einige Betten mit bereits wartenden Patienten. Auch ich bekomme eines dieser Gangbetten.

"Wir sind überfüllt!", nuschelt mir eine gestresste Schwester entgegen und drückt mich auf eines der freien Betten.

Ein überfülltes Krankenhaus ist ja mal was ganz Neues!

Wohlgemerkt, ich sitze nun auf einem Bett mitten im Gang. Ich glaube ich muss sterben.

Tick, Tack. Die Zeit vergeht überhaupt gar nicht. Die anderen wartenden Patienten leiden ebenso wie ich. Außerdem kommt Paulchen Panter ein paar Mal vorbei und singt uns das Lied "Wer hat an der Uhr gedreht" quietsch vergnügt vor. Ich dreh dir gleich was an der Uhr, zische ich dem rosafarbenem Vieh entgegen. Doch der löst sich nur wie die Grinsekatze im Wunderland lächelnd in Luft auf. Zwei Stunden später sitze ich schon mal in einem Untersuchungszimmer. Von Ulli weit und breit nichts zu sehen. Aber auch das ist nichts Neues und stört mich in meinem derzeitigen Gesundheitszustand überhaupt nicht. Wenn auf Jemanden Verlass ist, dann auf meine beste Freundin. Allerdings mit Verspätung. Aber lieber spät, als nie.

Mein emotionaler Zustand wankt nun bereits bedenklich. So langsam reißt die harte Steinmauer, die ich um mich herum aufgebaut habe, ein.

Da ertönen mir wohl bekannte Schritte über den Gang.

Klack Klack Klack.

Na nu? Diesen Schritt würde ich im Traum erkennen. Und schon erscheint am Türeingang Ulrike. Mit ihrem charmanten Lächeln begrüßt sie mich und ihre leuchtenden braunen Rehaugen vertreiben sofort die Gewitterwolken, die sich bereits bedrohlich über mich aufbauen.

"Mensch, Gott sei dank bist du da!", hauchte ich ihr schlaff entgegen.

"Na klar Süße, dass ist doch das Mindeste was ich für dich tun kann", entgegnet meine hübsche dunkelhaarige Freundin. Ihre Ausstrahlung erhellt nun das Untersuchungszimmer, so dass sich sogar die schrille Neonleuchte an der Decke neidisch wird und sich in einen wärmeren Ton verwandelt.

Ich berichte von meinen bescheidenen Blutwerten und dass ich nicht wisse, was nun genau passieren würde. Es hieß erst mal abwarten, diverse Untersuchungen über mich ergehen lassen. Nach einigen Minuten sitze ich wieder vergnügt mit meiner Freundin zusammen und wir klönen über dies und jenes. Jeder Andere hätte wohl gedacht, wir sind beim Frühstück bei Tiffany und nicht im Krankenhaus.

Wie wir da so zusammen hocken, würde man uns beide glatt für Schwestern halten können. Äußerlich beide dunkelhaarig mit braunen Augen und innerlich eine Verrückter als die Andere. In der Zwischenzeit wurde bei mir mal wieder Blut abgenommen. War ja nur das Zweite Mal heute.

Vielen Dank auch.

Die Untersuchungen laufen weiter. Nun lässt sich sogar einmal eine Ärztin blicken. Sie drück mir ein Ultraschallgerät schön auf meinem Bauch. Ist ja nicht so, dass mir seid einer Woche Dauerübel ist. Nein, wirklich nicht.

Jaaa, liebe Frau Doktor, bitte noch etwas fester drücken. Dann haben Sie auch was davon!

Brech.

Muahaaaa...

Die ganze Prozedur dauert scheinbar eine Ewigkeit. Es ist bereits Mitternacht als man mir ein Bett zuweist. Die Patienten schlafen bereits als ich auf ein Dreibettzimmer mit vier Betten aufgrund von Überfüllung erhalte. Im Zimmer herrscht bereits Dunkelheit. Ein übler Geruch steigt mir beim Eintreten in die Nase und ich weiß.

Hier kommste net mehr raus!

Ulli blickt mir ratlos und mitleidig in die Augen. Ich glaube, sie hat mehr zu kämpfen als meinereiner.

"Sei jetzt ganz tapfer, Mäuschen. Ich bin in Gedanken bei dir!"

Ich bin viel zu erledigt von dem ganzen Tag. Der Abschied geht schnell. Meine Lieblingsfreundin verspricht am nächsten Tag so schnell wie möglich wieder bei mir zu sein und ich bin zum ersten Mal heilfroh diese Worte zu hören. Die erste Nacht im Krankenhaus streiche ich mal lieber aus meiner Erzählung. Ehrlich. Wollt ihr nicht wissen. Sie war kurz. Schmerzhaft. Ich habe kaum geschlafen und fühlte mich innerlich am verecken. Und ich hatte einen üblen Dauergeruch von Medizin und Fäkalien in der Nase.

Würg.

 

Tag Zwei meiner Krankenhausodysse verheißt nicht besser zu werden. Mir geht es mittlerweile so schlecht, dass ich kaum laufen kann. Wieder gibt es Blutentnahme ohne Ende. Ich bilde mir ein, die Ärzte sind die Daybreaker aus dem bekannten Vampirfilm und wollen allesamt nur mein Blut trinken, um zu Überleben. Es gibt jedoch noch einen Haufen Untersuchungen bis Ulli endlich mittags auftaucht.

Gott sei dank, sag ich nur. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Diese Worte sollen in den nächsten Tagen meine Lieblingsworte werden.

Wieder liege ich in einem Untersuchungsraum und ein netter Arzt untersucht mit einem Gerät meinen Bauch bzw. meine Innereien. Ich hoffe, dass alles noch an seinem richtigen Platz ist. Meine Organe fühlen sich so an, als würden sie Stuhlrücken spielen. Das finde ich nun gar nicht mehr so lustig. Ein anderer Arzt wird hinzugezogen. Der Oberarzt.

Als dieser den Raum betritt, erhellt sich zusehends mein Gesicht.

Der Doc, dem ich meine Krankengeschichte berichte, begutachtet dann wieder einmal meinen Bauchraum und scheint sich zu fragen, woran meine Erkrankung wohl liegt. Ich betrachte den leicht ergrauten und dennoch attraktiven Mann mittleren Alters ganz genau.

Gar nicht so schlecht für dein Alter, denke ich und grinse in mich hinein.

Meine innere Prinzessin rückt ihr hübsches Sonntagskleidchen zurecht und lächelt entzückt.

Der schlanke Arzt mit den graublauen Augen und netten Lächeln blickt interessiert auf seinen Monitor. Eines der Medikamente die ich noch vor ein paar Tagen genommen hatte, lassen ihn dann plötzlich weiß im Gesicht werden. Dies löst eine Kettenreaktion aus. Der andere Doc wird auch ganz grau und auch mir weicht augenblicklich jegliches Blut aus den Wangen. Wenn die beiden Herren schon so gucken, dann verhießt dies nichts Gutes. Oder ist es mal wieder in Mode gekommen wie The Cure herum zu laufen?

"Tja, junge Frau! Ich glaube, Ihr Körper hat auf dieses Mittel allergisch reagiert. Ich werde Sie daher in das nächst beste Krankenhaus der Stadt einweisen. Dort kann man Sie wesentlich besser behandeln als hier bei uns auf dem "Dorf!"

Augenblicklich setzte bei mir eine Art "Schnappatmung" ein.

Ich sollte tatsächlich verlegt werden? Au Backe. Das verhieß doch nichts Gutes, oder doch?

"Aber ich dachte mit ein paar Medikamente ist das abgetan?" Ich versuche tatsächlich dem Arzt noch eine bessere Diagnose aus dem Handgelenkt zu schütteln. Doch dieser schüttelt statt dessen bedauernd den Kopf.

"Glauben Sie mir, Frau Gonzales, dort sind Sie besser aufgehoben als hier! Das Krankenhaus in der Stadt hat eine wesentlich bessere Leberstation als wir hier." Mit diesem Worten und einem Ausdruck des Bedauerns auf dem Gesicht werde ich vom Oberarzt entlassen.

Aschfahl im Gesicht komme ich wieder auf dem Überfüllten, nach Medizin und immer noch nach Fäkalien riechendem Patientenzimmer an und breche kraftlos auf meinem Bett zusammen. Ulli streichelt mir die Hände als ich ihr berichte wohin die Reise geht. Doch sie ist immer noch sehr positiv gestimmt. Sie gibt dem Arzt recht.

"Der Doktor will dir doch auch nur helfen, Clarissa. Denk an deine Gesundheit. Und das Krankenhaus in der Stadt ist wirklich besser ausgestattet als hier", beruhigt sie mich. Meine Mutter arbeitet dort auch. Und wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Ich schlucke schwer und beginne mich mit der Situation zu arrangieren.

Da muss ich nun durch. Ich hab mir die Suppe eingebröckelt und nun muss ich sie auch aufessen. 

Eine Schwester kommt mit einem Perfusor, was auch immer Gerät, ins Zimmer.

"So Frau Gonzales, Sie bekommen jetzt erst mal zwei Infusionen innerhalb der nächsten Stunde. Die tun nicht weh, werden Ihren Körper und Ihre Organe auch erst einmal schön entgiften."

"Super", japse ich.

"Entgiften steht auf meiner Liste ganz an oberster Stelle."

Ironie und Sarkasmus kennt die liebe Schwester nicht und kümmert sich nicht weiter um meine Worte.

Ich sinke aufs Bett zurück und ergebe mich meinem Schicksal.

Nach den ganzen Partys in der letzten Zeit mit vielen gerauchten Zigaretten, Champagner, Cocktails und Kopfschmerztabletten habe ich eine Entgiftung auch bitter nötig. Na klar nehme ich davon ne Ladung mit.

"Bitte, hier ist meine Vene. Immer rein mit dem Zeug", versuche ich mir ein wenig Mut zu machen.

Da versichert mir die nette Schwester doch glatt, die Infusion hätte keinerlei Nebenwirkungen.

"Davon werden Sie nichts merken. Das machen wir hier im Schlaf und ganz andere Patienten haben das alles auch schon durch", säuselt sie mir zu. Ich freu mich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Die Hoffnung, dass sich mein Gesundheitszustand nun endlich bessert, wächst in mir. Scharf fließt die holde Flüssigkeit in meinen Körper. Innerhalb weniger Minuten bau ich so was von ab, dass Ulli mich ganz mitleidig entgegenblickt.

"Na Mäuschen. Hältst du es noch aus?", fragt sie mich mit einem liebevollen Blick aus ihren Rehaugen.

"Ja", hauche ich wieder einmal.

"Bin ein großes Mädchen!"

Meine innere Prinzessin sinkt grazil auf ihr hellblaues Himmelbett und verlangt nach einem Diener, welcher ihr Luft zufächeln soll. Sie ist ganz aus dem Häuschen. In so einem desolatem Zustand hat sie sich noch nie befunden, von daher schaut sie mich vorwurfsvoll an.

Ihr Blick sagt nur eines.

"Ich habe es dir doch gesagt. Zu viel Feiern, zu viel Zigaretten, zu viel Alkohol. Das hält doch keine Sau aus!"

Doch ich kann es nicht ändern. Ich sieche weiter vor mir her als plötzlich alle Alarmsignale in mir schrillen.

Achtung! Tönt schon wieder die Roboterstimme.

Gefahr! Gefahr! Gefahr!

Ruckartig setze ich mich auf. Der Schwindel, welcher mich erfasst, ist schnell gebannt. Meine Augen weiten sich und ich packe Ulrikes Hand.

"Jetzt passiert was!", japse ich.

"Ja was denn?" Ulli schaut mich irritiert an. Sie hat grad gar keinen Plan was abgeht.

"Keine Ahnung, ich muss erst mal raus hier! Zur Toilette oder so?" Nervös komme ich auf die Beine und ziehe mit zitternden Händen den Stecker zu meinem neuen Freund, dem Perfusor. Nur gut, dass das Teil auf Rädern ist und einen Akku hat.

Ich habe selbst keinen Plan was los ist. Ich fühle nur, dass ich auf die Hufe kommen muss.

"Wir müssen uns beeilen!"

Mühsam schlürfe ich im Zimmergang entlang.

Doch dann guck ich Ulrike auf einmal blöd an.

"Zu spät. Das schaff ich nicht!"

Meine Schultern sacken nach vorne und ich beginne fieberhaft zu überlegen, was genau nun bei mir abläuft. Ich wedele mit der Hand Ulrike entgegen.

"Ich muss brechen.

Jetzt!

Aber wohin?"

Meine Augen suchen das Zimmer ab. Da war kein Gefäß, kein nichts. Doch Ulli ist ja ein schlaues Mädchen. Sie zeigte auf den schönen ockerfarbenen Fußboden des Zimmers aus den 50er Jahren. Franz wäre stolz gewesen ein so tolles Krankenhaus erbaut zu haben. Doch mich interessiert das vorkriegszeitliche Haus nun weniger und dessen Inneneinrichtung gerade auch überhaupt nicht.

"Hier, Clarissa. Hier darfst du alles hin brechen. Das wischen die Schwestern hinterher einfach wieder weg!"

OK. Deine Worte in Gottes Mund.

Gesagt.

Getan.

Entledigt.

Krampf über Krampf rollen nun über mich hinweg. Ich spucke was das Zeug hält und habe das Gefühl jeden Moment zu sterben.

Meine innere Prinzessin ist beleidigt. So etwas Unwürdiges hat sie noch nie erlebt. Genau vor dem Bett der liebenswerten älteren Dame, die heut morgen noch auf ihrem Stuhl mitten im Raum ihr Geschäft verrichtet hatte, würge ich nun mein Wasser wieder hoch. Mehr kommt da auch nicht raus. Wie auch? Ich hab in den letzten Tagen mindestens 5 Kilo abgenommen, weil ich keinen Bissen hinunter schlucken konnte.

Die alte Dame im Bett vor mir ruft mir aufmunternd zu.

"Mädchen, was raus muss, muss raus! Das machste gut!"

Und ich denke nur.

Verdammt, bitte Schnauze halten.

Und.

Würg.

Einige Minuten später tun mir meine Gedanken auch wieder leid. Die Dame kann ja nichts dafür. Erleichtert begutachte ich mein Werk. Gar nicht mal so schlecht. Ein schönes Aquarellbild. Reines klares Wasser, ein wenig gemischt mit Magensäure. Wenn die Schwestern das Zeug dann wieder weg wischen, ist der Fußboden endlich wieder tiefengereinigt. Man, ich bin stolz auf mich und meine Ulrike. Ich danke ihr groß und breit mit einem fetten Grinsen auf meinem Gesicht. So langsam kehrt auch wieder etwas Farbe auf meine Wangen zurück. Ich fühl mich nach der inneren Säuberung pudelwohl und kann auch wieder schwatzen wie ein Spatz auf dem Rohrdach.

Lange hält der gute Zustand nicht an. Ich glaube, die haben mir in den Infusionen so was wie Morphium hinein getan. Mein nächster WC Gang fällt wesentlich schwerfälliger aus. Ich wanke eher den Gang hinunter und vor meinen Augen verschwimmt auch irgendwie immer wieder das Bild.

Kann hier bitte jemand mal das Kabel wieder befestigen?

"Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube die haben mir etwas Alk in den Tropf getan.", lalle ich bereits und muss grinsen.

Ulli schüttelt nur ihre langen dunklen Haare.

"Nix da mit Alkohol. Der wird erst mal gestrichen für den Rest deines Lebens!" Frau Lehrerin hat ihre weise Brille aufgesetzt und beäugt mich eindringlich.

"Mein liebes Kind, das ist mein Ernst. Wenn du nicht auf mich hörst, dann bekommst du Sauerkrautsaft täglich bis zum Ende deines Lebens."

Ich nicke zustimmend.

"Alles, hauptsche wieder gesund", stottere ich.

Doch dann guck ich Ulli erschrocken an.

Igitt.

Sauerkraut.

Das ist doch unmöglich ihr Ernst?

Doch sie zeigt sich unnachgiebig.

Was jetzt kommt, ist die Fahrt meines Lebens. Nein, besser gesagt unseres Lebens. Ulrike und ich werden mit einem Transporter von zwei jungen Typen ins nächste Krankenhaus gefahren. Ich sitze schön auf einem Rollstuhl und werde hoheitsvoll durch das Gebäude hinaus kutschiert. Meine Prinzessin ist entzückt wie noch nie und winkt ihrem Hofstaat hoheitsvoll entgegen. Ich fühle mich jedoch als wäre ich in einem falschen Film. Immer noch auf Droge stehe bzw sitze ich völlig neben mir und grinse während der ganzen Fahrt dämlich vor mir her. Die Fahrt mit dem Transporter wird noch toller. Hinten ist es arschkalt. Obwohl die Jungs vorne im "Cockpit" ab und an die Heizung hoch drehen, friere ich wie Hulle bei den eisigen Märztemperaturen.

"Brrr, es ist kalt hier drin", beschwert sich die kleine Schneekönigin mir gegenüber. Ullis Zimmertemperaturen stehen maximal auf 19 Grad und niedriger. Also Frostschutz. Woher die junge Dame ihre innere Hitze nimmt, weiß ich nicht. Aber sie ist kalte Temperaturen gewohnt. Daher sitz ich meist in einem dicken Mantel bei ihr auf der Couch. Nach nur einer halben Stunde in ihrem trauten Heim und meine Körperteile sind bereits halb erfroren, aber meiner lieben Ulrike macht das nichts aus. Aber hier im Krankentransport beginnt auch meine allerliebste Freundin zu frieren. Komisch. Dann ist sie wohl doch keine richtige Schneekönigin, was?

"Ulli", lalle ich.

"Mach mal nen Foto von uns Beiden!" Ich quietsche beinahe vor Lachen.

"Na klar!", kichert sie.

"Willste erst mal schön auf Fatzebook posten, wa?"

"Aber so was von!", kreische ich zurück.

Wir beide amüsieren uns schrecklich. Die Fahrt ist schon geil.

"Mensch schade, dass der Herbert nicht da ist", überlege ich laut.

"Hä? Was? Wer ist denn Herbeeert?"

"Na weißt du nicht? Der mit dem Hubschrauber! Ausn Fernsehen!"

Ulrike platzt vor Lachen beinahe aus ihren Nähten.

"Wie geil bist du denn, Clarissa! Hast ne Kotztüte vor deinem Mund, weil dir jeden Moment übel werden könnte. Aber mit´n Heli fliegen wollen!"

Ich grinse vor mir her.

"Ist doch eh alles scheiß egal. Wer weiß, wie es mit mir weiter geht. Ob ich den Transporter voll spucke oder aus´n Heli über die Dächer von Hannover herunter breche, das ist dann auch Latte."

Ha ha ha.

Im Krankenhaus angekommen, beginnt eine ganz tolle Tour über das riesige Gelände. Zuerst kutschieren uns die beiden Jungs auf meine Station. Dort befindet sich jedoch kein Arzt mehr, weil es bereits nach vier nachmittags ist. Tolle Dienstzeiten haben die Herren Doktoren heutzutage. Also drehen wir wieder ab und werden auf die Notaufnahme gebracht. Die Jungs im Stechschritt und Ulli mit meinen ganzen Klamotten bepackt, klack klack klack, hinterher.

Das Wort Notaufnahme hat sich bei mir bereits verinnerlicht. Das heißt, man muss ganz lange warten bis man endlich behandelt wird. Ulli und ich gucken uns an. So, sind wir wieder da. Tschaka. Der Marathon beginnt seinen Lauf. Nach einer Stunde bekommen wir einen eigenen Raum. Irgendeine Vorratskammer in der Notaufnahme. Aber immerhin besser als mit den anderen Patienten dort zu hocken allemal. Wieder einmal werden diverse Untersuchungen an mir gemacht und Blut wird literweise gezapft. Ich frage mich nun wirklich, ob die Ärzte kein Eigenes haben? Dann der nächste Schock. Ulli wird nach draußen gebeten und eine Mannschaft ganz ins Weiß tritt an mich heran.

"Frau Gonzales!", erklingt gleichzeitig aus ihren Mündern.

"Wir sind die Borg!

Widerstand ist zwecklos.

Sie werden assimiliert!"

Meine Augen weiten sich und huschen von einem Arzt zum Anderen.

"Alter, was geht hier denn ab?", entrutscht mir laut.

Ich werde ganz weiß im Gesicht und sehe mit meinen strähnigen schwarzen Haaren nun leider nicht mehr aus wie Schneewittchen sondern eher wie das ungewaschene Aschenputtel.

Die Ärzte machen mir wirklich Angst. Ich schreie nach Ulrike, die mir dann zu Hilfe eilt. Einer dieser Borg tritt hervor und lächelt mich an.

"Keine Angst, wir kümmern uns um Sie. Wir konnten bisher Jedem hier helfen und außerdem bekommen sie ein Einzelzimmer."

Megakreisch.

Jaaaa, denke ich bei mir. Ich bekomm ein Einzelzimmer damit sie an mir herum experimentieren können. Ist doch ganz klar.

Doch als der Doc meine Hand nun nimmt und mich nett anlächelt, löst sich mein verzerrtes Weltbild wieder auf. Er geht und ich sinke matt in die Arme meiner Freundin und flenne erst mal los.

"Ich komme hier nie wieder lebendig raus", jammere ich.

"Vielleicht mache ich gleich mal mein Testament!"

Doch Ulrike will nichts davon hören.

"Hör mal, Mädchen. Dieses Krankenhaus ist wirklich sehr gut. Mein erster Freund,  der Michael, der lag hier auch einige Wochen. Sogar auf der Intensivstation. Und dem ging es auch richtig Scheiße. Die haben den sowas von fit gemacht. Du schaffst das auch. Ich glaube fest daran!"

Tränen kullern aus meinen Augen, als ich ihr zuhöre.

"Danke. Du bist die Beste Freundin der Welt!", schniefe ich.

Da erscheint ein Pfleger auf der Bildfläche und die Beiden bringen mich auf mein Zimmer und drücken mich auf mein neues helles Bett. Irgendwie ist es in diesem Krankenhaus ganz anders. Der Raum ist hell und sauber und vor allem GERUCHSFREI.

Ich beginne mich tatsächlich so langsam wohl zu fühlen. Das kann jedoch auch an den ganzen Infusionen liegen. Ich bin mir sicher, die haben mir etwas Morphium mit hinein getan.

Puh. Dieser Tag wäre nun bereits auch geschafft. Es ist sieben Uhr abends und der Perfusor hat es tatsächlich geschafft, dass es mir besser geht. Die Übelkeit ist erst einmal gebannt und als ich ein kleines Abendbrot bekomme, habe ich sogar etwas Appetit. Eine schöne dunkle Scheibe Brot mit Käse für mich und eine für meine Lieblingsfreundin. Nachdem wir den ganzen Tag nichts gegessen hatten, fühlt sich diese Mahlzeit wie ein Galadinner an.

Meine innere Prinzessin ist jedoch angewidert. Sie empfindet es beinahe als Beleidigung keinen Kaviar zu erhalten. Doch mir ist ihr Getue so was von Wurscht. Eingeschnappt zieht sie sich auf ihr verschnörkeltes Himmelbett zurück.

Meine Freundin verabschiedet sich später von mir und ich schlafe zum ersten Mal seid langen so richtig gut.

Ich träume von weißen Pulverstrand und türkisfarbenen Meer. Am liebsten würde ich ewig weiter schlafen. Doch Morgens werde ich geweckt und bekomme mein Frühstück ans Bett. Frische Brötchen mit Butter, Marmelade und Joghurt. Dazu eine Tasse Tee. Ich fühl mich wie im Urlaub. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass krank sein gar nicht so schlimm ist, dann hätte ich doch nie so ein Theater daraus gemacht. Eigentlich sind Krankenhausaufenthalte so eine ziemlich geile Sache. Für nur 10,- Euro täglich bekomme ich ein tolles All-Inklusive-Programm.

Ich hab Fernsehen, Vollpension und wenn ich mich gut anstelle, werde ich sogar gewaschen.

Hi hi.

Der letzte Urlaub in Spananien hatte mich wesentlich mehr gekostet.

Kopfschüttelnd sinke ich auf mein Bett wieder nieder. Ich bin immer noch sehr müde und schlapp, aber irgendwie wird es jetzt bergauf gehen. Das muss es. Und dann öffnet sich wieder meine Zimmertür. Ich sehe nach, wer mich heut morgen denn schon besuchen möchte. Doch statt einer Person tritt jedoch ein helles gleißendes Licht in den Raum. Gebannt starre ich auf die Erscheinung und kann meine Augen kaum von ihr nehmen. Mir wird heiß und kalt zugleich. Außerdem erhöht sich mein Herzschlag zusehends. Total verwirrt fixiere ich das Licht, welches um mein Bett herum geht und nun nach meiner Hand greift.

"Geht es Ihnen gut?", ertönt eine freundliche und junge Männerstimme.

Der Schleier fällt und ich erkenne vor mir einen gut aussehenden jungen Arzt, welcher mich mit einem eigentümlichen Ausdruck anschaut.

Mein Mund ist leicht geöffnet und mir fließt bereits der Sabber heraus.

"Ob sie was für mich tun können?", frage ich statt dessen und glotze den Doc immer noch dämlich an. Meine Prinzessin ist mittlerweile hellwach. Erfreut setzt sie sich ihre Lieblingsbrille auf die Nase und begutachtet den Jungen ganz aufgeregt. Dann setzt sie sich in Pose und nickt mir aufmunternd zu.

Mach schon Mädchen, der ist es! Siehst du das denn nicht?

Oh ja, ich sehe. Ein dunkelhaariger Arzt mit braunen Augen und schönen langen Wimpern steht direkt vor meinem Bett und fragt mich, was er für mich tun kann? Und mir fallen gleich einige Dinge ein womit er am Besten gleich anfangen könnte. Ich beginne bei diesem Gedanken dämlich zu grinsen und begutachte nun meinerseits den Arzt von oben bis unten.

Gar nicht mal so schlecht, Herr Doktor.

"Mein Name ist Dr. Jansen. Ich bin hier der Stationsarzt."

So jung, so gut aussehend und schon Arzt. Na dann ran an den Jungen, denke ich und freu mich wie ein kleines Kind.

Der liebe Doc nimmt mir etwas Blut ab. Nichts Neues für mich, aber seine Berührung lassen kleine elektrische Impulse über meine Haut gleiten. So ungefähr stelle ich es mir im Himmel vor.

Mein Engel in Weiß lächelt mich süß an und meint, er würde später mit den Testergebnissen noch einmal nach mir sehen. Und schwups verschwindet er schon wieder aus meinem Zimmer.

Oh, wie schade!

Ich seufze tief. Naja, der kommt ja wieder. Der Doktor Jansen.

Kicher.

So, jetzt erst mal quer Beet telefonieren. Meine Familie sowie der Rest der Welt weiß ja noch gar nicht, dass ich mich derzeit auf Krankanaria befinde. Also nehme ich mein mega neues.. äh altes Handy heraus und wähle die ersten Nummern. Nach zwei Telefonaten schnaufe ich bereits wie ein Wahlross. Ulrike erhält von mir den Auftrag Nummer eins. Eine Rundmail an alle senden. Denn ich bin erst mal wieder fertig mit der Welt. Aber meine Eltern muss ich ja auch noch informieren.

Gesagt, getan.

"Hallo Mummi! Wie geht's dir?"

Ich mein das jetzt wirklich nicht ironisch oder so, aber ich habe gelernt, erst einmal den Angerufenen nach seinem Wohlbefinden zu fragen. Meine Prinzessin schüttelt ungläubig mit ihrem blonden Lockenkopf und rümpft ihr kleines Näschen.

Mutti ist auch etwas leicht erkältet, aber ansonsten ist alles bestens. Bei meiner Hiobsbotschaft fällt ihr jedoch glatt die Kinnlade runter. Ich höre noch den Hörer durch die Luft fliegen und "Knall" kracht es in meiner Ohrmuschel.

Na vielen Dank. Meine Hörkraft verlässt mich jetzt auch noch.

"Kind!", ruft meine Erzeugerin entsetzt.

"Bist du noch da?"

Was für eine Frage. Taub! Aber ja, ich lebe noch. Betonung liegt auf "noch". Ich kann meine Eltern nun auch leider nicht mehr aufhalten. Mein Papa ist bereits dabei alle Sachen zusammen zu raffen und hechtet ins Auto. Zwischen den Türen japst mir meine Mum ins Ohr.

 "Halt durch, Clarissa. Wir sind gleich da!", und knallt der Hörer mal wieder aufs Telefon.

Krawumm!

Ich fahre mit meinem Zeigefinger ins Ohr. Noch nicht taub, aber sicherlich bald, wenn das so weiter geht. Ich ziehe noch etwas Ohrschmalz mit raus.

Lecker.

Zufrieden damit meine Eltern so schnell auf den Weg gebracht zu haben, falle ich in die Kissen zurück und träume von den richtigen kanarischen Inseln. Einige Stunden später stehen Mama und Papa dann mit wehenden Haaren vor meinem Bett. Aufgelöst werde ich umarmt und muss von meiner Leidensgeschichte erzählen. Ich berichte von schlechten Leberwerten und den ganzen Krams. Doch meine Eltern hören nur eines.

Zu viel Party, zu viel Alkohol, zu viele Zigaretten und zu viele Tabletten.

"Kind, wir haben es dir gesagt. Du lebst ungesund", rügen sie mich.

"Dein ganzer Tablettenkonsum in den letzten Jahren muss sich ja mal bemerkbar machen. Und dann die ganze Feierei!"

Ich kann's nicht mehr hören.

Brech.

"Das hilft mir jetzt auch nicht weiter", gebe ich schwach zu bekennen.

Wo sie Recht haben, haben sie Recht. Aber ändern kann ich es nun auch nicht mehr. Um mir etwas Ruhe zu verschaffen, säusele ich was von wegen "ich schreib dann wohl schon mal mein Testament" vor mir her.

Meine Eltern werden aschfahl im Gesicht. Davon wollen sie auch nichts hören. Ich grinse in mich hinein. Ich hab noch lange nicht vor Abzutreten. Aber mit dieser Methode erreiche ich erst mal etwas Freiraum.

Geschafft!

Mama und Papa gucken mich geschockt und mundtot an.

 

Ich seniere über meine Vergangenheit.

Bin ich eine gute Tochter? Ich bilde mir ein, das schwarze Schaf der Familie zu sein. Ich meine, meine Eltern und ich, wir lieben einander wirklich. Trotz aller Streitigkeiten. Aber manchmal richten die Beiden diesen eigentümlichen Blick auf mich, der wohl heißt:

Wurde unser Kind etwa bei der Geburt vertauscht?

Natürlich trage ich diesen Gedanken auch hin und wieder. Aber die Ähnlichkeit mit meiner Mum ist doch zu verblüffend. Egal wohin wir kommen, stets heißt es: Ach, die Clarissa sieht doch ganz wie die Mutter aus!

Mum ist stolz wie Oskar und ich denke nur: Danke!

Wie Mutti wollt ich schon immer aussehen.

Bin ja nur satte 20 Jahre jünger.

Aber macht nichts.

Auf jeden Fall habe ich es immer geschafft, meine Eltern von den Socken zu Hauen. So auch im Hochsommer 1981.

Klein Clarissa ist gerade mal vier Jahre alt und turnt quietsch vergnügt im Garten umher. Doch siehe, was versteckt sich denn da unter den Wäscheklammern?

Eine Schachtel Streichhölzer!

Au fein. Den Struwwelpeter hat mir Mammi ja vorgelesen. Also weiß ich ganz genau wie man ein Feuerchen macht. Mein braunen Kulleraugen bekommen einen eigenartigen Glanz bei dieser Vorstellung.

Schwups, ich schnappe mir die Hölzer und pirsche mich aus den Garten auf die anschließende Wiese.

"Warum lange überlegen", meint das kleine schwarze Teufelchen auf meiner rechten Schulter?

"Los, Clarissa! Hau rein und zünd dir ein Streichholz an. Das flackert doch so schön!"

Gesagt.

Getan.

Zisch!

Oh, und wie das Hölzchen flackert.

Doch kaum ist es an, ist es auch wieder aus.

Meine Äuglein füllen sich mit Tränen.

"Sei kein Hasenfuß, Clarissa. Einmal ist keinmal", lacht der kleine Teufel wieder auf meiner Schulter.

Hui, und wie das neue Zündholz brennt. Doch ehe ich mir meine Fingerchen verbrenne, lasse ich es schnell fallen.

Und hui, wie die trockene Wiese in Flammen aufgeht.

Ich schiele über meine Schulter. Doch der kleine Zwerg mit den Hörnern ist bereits verschwunden. Angst breitet sich in mir aus. So schnell meine kleinen Beinchen können, renne ich in Richtung unseres Hause. Und das Feuer hinter mir her. Doch da sehe ich sie schon. Die geliebte Mutti. Weinend falle ich in ihre Arme. Die Gute reißt mich schnell hoch und rennt japsend weiter. Irgendwo in der Ferne ertönt eine Feuerwehr.

Ja, das war mein Sommer. Gevatter Tod ärgert sich bis heute noch, da ich ihm mit meinen schnellen Beinchen entkommen bin. An die Tracht Prügel kann ich mich auch noch gut erinnern. Mein kleiner Popo hat im Dunkeln so schön geleuchtet. Beinahe wie die hoch lodernde Wiese vor unserem Grundstück.

Und nun hock ich im Krankenhaus und meine Eltern dürfen sich um ihre ledige Tochter in den Dreißigern kümmern.

Sie tun mir, wenn ich es recht überlege auch richtig leid.

 

Nach einer schönen Schweigeminute will ich die Gesellschaft mal wieder aufmuntern. So ne Trauergemeinde hält man ja nicht aus.

"Mummi", nuschele ich.

"Hilf mir doch bitte mal beim Duschen!"

Begeisterung sieht anders aus, aber da muss sie wohl durch.

"Ja klar Kind. Wenn du meinst."

Ich freu mich wie ein kleines Baby. Früher hat die liebe Frau mir ja auch den Hintern abgewischt. Wenn nicht jetzt, wann dann? So schnell kommt sie nicht mehr in den Genuss. Ich verspüre nun heftig ein Bedürfnis nach frischer Wäsche auf meiner Haut und meine fettigen Haare haben auch schon bessere Tage gesehen. Kraft meiner Wassersuppe in meinem Traumbody stemme ich mich hoch. Eine nette Schwester befreit mit von meinem besten Freund, dem Perfusor. Im Schneckentempo entkleide ich mich dann auch. Papa hat mittlerweile das Weite gesucht und erkundigt den riesigen Krankenhauskomplex.

Als ich dann so nackt wie Gott mich schuf vor meiner Erzeugerin stehe, blickt sie mich ganz entgeistert an.

"Schatz, sag mal?", beginnt sie zaghaft und ich frag mich, was nun wohl wieder kommt.

"Du bist so braun. Warst du im Urlaub oder gehst du immer noch unter diese Höllentoaster?"

Wie durch Zeitlupe drehe ich mich um und glotze meine Mutter blöde an.

"Nein Mutti! Ich habe Gelbsucht!"

Beinahe muss ich lachen.

"Braun sieht anders aus!", nuschle ich in mich hinein. Ein Blick in den Spiegel zeigen mir meine gelben Katzenaugen.

Weiß war einmal, go yellow ist nun hip. Zu diesem Zeitpunkt war mir im Grunde alles so was von egal. Ich hatte keine Ahnung was noch auf mich zukommen würde. Wirklich gar keine.

Nach einer schönen Dusche, die ich dann doch allein bewältige und in frischen Schlafklamotten entlasse ich dann auch huldvoll meine liebsten Eltern. Es ist nun bereits acht Uhr abends und meine kleinen Katzenäuglein wollen sich zur Ruhe betten. Untypisch für die kleinen Biester, aber was soll´s? Meine innere Prinzessin schläft bereits tief und fest. Sie träumt schon wieder von Krankanaria... äh Gran Kanaria.

 

Tag drei kam langsamer als geahnt. Obwohl ich regelrecht fertig bin von dem ganzen Prozedere, schlafe ich fürchterlich. Alle zwei Stunden werde ich wach und muss zur Toilette. Mein Bauch tut mir die ganze Zeit weh und ich sehne mich nach einer Kotztüte. Ganz hervorragend. Das letzte Mal bin ich gegen sechs Uhr morgens wach. Als dann halb acht die Schwester mit ihren Gerätschaften auftaucht, fühle ich mich wie gerädert.

Aha. Daher also der Ausdruck.

Sehr schön. Ich sehe, ich kann hier so einiges lernen.

Mein Puls und Blutdruck werden gemessen. Wenn meine Leber schon im Arsch ist, dann funktionieren wenigstens diese Werte.

Sauber, sagt die Schwester und huscht wieder aus dem Raum, um mir anschließend mein Frühstück zu bringen.

Ich bin's nicht gewohnt am Bett zu essen.

Aber ein All Inklusive Programm lehn ich nicht ab. Wäre ja schön doof von mir. Und obwohl ich mein schönes Essen bestehend aus zwei frischen Brötchen, lecker Butter mit Marmelade und Joghurt, nicht aufessen kann, werde ich belohnt. Kurze Zeit später klopft es an meiner Tür und das gleißendes Licht vom Tag zuvor betritt den Raum. Wie beim Ersten Mal klappt mir der Kiefer runter und mein Speichel läuft mir aus dem Mund.

Ich setze mir nun eine imaginäre Sonnenbrille auf. Dieses viele Licht kann ja keiner ertragen. Und schon sehe ich ganz klar, welcher junge Gott da vor mir steht.

"Guten Morgen Frau Gonzales", begrüßt mich Dr. Jansen mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

"Wie geht es Ihnen heut morgen?"

Jetzt geht es mir schon viel besser, Herr Doktor, denke ich bei mir. Und wenn Sie noch ein wenig bei mir bleiben und mir weiterhin mein Händchen streicheln, dann bin ich sicher bald wieder fit genug, um auf ihrem Schoß Platz zu nehmen.

Meine innere Prinzessin ist nun auch schon aus ihrem Königsschlaf erwacht und zappelt neugierig auf ihrem Bett herum.

Oh ja, auch sie will auf Doktors Schoß.

"Ich habe eine schwere Nacht hinter mir", entgegne ich statt dessen mit schwacher Stimme.

Der liebe Doc sieht mich mitfühlend an. Dann werd ich gepiekst. Die obligatorische Blutabnahme erfolgt. Die Sauger in diesem Institut wollen immer mehr von meinem süßen Saft.

Doch die Blutentnahme macht der Dr. Jansen wirklich hervorragend. Ich verspüre keinerlei Schmerzen und freu mich.

"Leider befinden sich Ihre Leberwerte weiterhin in einem bedenklichen Zustand. Das müssen wir beobachten. Aber wir hoffen natürlich, dass die Infusionen Ihnen dabei helfen."

Mir ist zu diesem Zeitraum relativ egal, was bedenklich heißt. Ich fühl mich wie ausgekackt und hingeschissen. Der Doc verschwindet wieder und lässt mich mit meiner Lethargie allein.

Na toll!

Ich sinke in meine Kissen zurück und denke an die letzten Monate. Und schwups ist mein kleines Prinzesschen auch schon auf den Beinen und hält mir groß und breit meine Verfehlungen vor. Aber ich hatte es auch nicht leicht. Zuerst meine Trennung von meinem Freund verbunden mit dem großen Umzug in eine neue Stadt. Und dann diese grässlichen Nachbarn.

Also, Eltern kann man sich nicht aussuchen. Die liebe Nachbarschaft schon. Ich weiß nicht, warum ich mir das angetan habe. Meine innere Uhr schrillte bereits als ich das qietschgelbe Mehrfamilienhaus, welches in einer ruhigen Seitengasse liegt, von Weitem erblickte.

Ulrike hatte mir die Wohnungsanzeige heraus gesucht und saß nun erwartungsvoll neben mir im Auto.

"Das sieht doch nett aus, Clarissa! Hier fühlst du dich bestimmt bald wohl!"

Ich glaube sie hat ihre Worte ironisch gemeint.

"In so nem ollen Bunker willst du mich verfrachten?" Meine Zweifel lasse ich frei raus.

"Der Maler hat sich an dem Gebäude wohl verewigen wollen? Ein Blinder würde nicht blinder werden bei dieser schrecklichen Farbe!"

Jetzt muss ich lachen. Ulli sieht mich aus ihren braunen Äuglein ganz komisch an. Ihr sitzen noch die letzten Wochen im Nacken. Wir Beide in einer 50qm Wohnung. Von Mord bis Todschlag hatte es alles bei uns gegeben, so dass sogar die liebe Ulrike, meine Weltbeste Freundin, beherzt die weiße Flagge hisste und mich los werden wollte. Ich sehe den Kampfgeist in ihrem Blick und denke nur, Augen zu und durch.

Schluck.

Als wir beide jedoch den netten Herrn von der Wohnungsgesellschaft sehen, sitzt uns der Schalk erneut im Nacken.

Ein Unikum schlechthin. Ulli flüstert mir ganz aufgeregt zu.

"Der heißt bestimmt Detlev!", und quietscht leise vor sich her. Auch ich kann mein leises Auflachen kaum unterdrücken. Der schlanke Herr von dem Verein ist inmitten sommerlicher Temperaturen ganz in schwarz gekleidet. Darunter staut sich bestimmt schon die Hitze. Das Hemd sitzt auch eins a. Schön aus der Hose raus. Die Haare benötigen seid Langem schon einen neuen Schnitt. Sogar die Schnürsenkel hängen lose an der Seite herunter. Typischer Mittvierziger Junggeselle sinnieren Ulrike und ich im Geiste. Ich habe wohl noch nicht erwähnt, dass wir beide telepathische Kräfte besitzen?

Har har har.

Die Wohnung ist wirklich sehr schön. Wenn von Außen schon nicht erkennbar, so doch ganz sicher beim Betreten. Es ist ein schöner sonniger Julitag und die Räume sind in ein warmes Licht geflutet. Die Küche ist der Oberhammer. In braun-beige und mitten im Raum ein Kochblock. Ich glaube zu träumen und habe bereits im Geiste meine Unterlagen unterschrieben. Mit zitternden Händen überreicht mir Detlev dann die Papiere, welche ich noch ausfüllen muss. Dafür belohne ich ihn mit meinem schönsten Lächeln. Und Detlevs Hände zitterten noch mehr. Tja, mit schönen Frauen muss man umgehen können. Ich freue mich hämisch über seine Reaktion wie ein kleines Kind und wenn ich noch breiter grinsen könnte, würde ich es sofort tun. Kaum habe ich meine Bankdaten und Unterschriften geleistet, zieh der Herr Junggeselle bereits von Dannen.

Soweit, so gut. Ich habe nun eine neue Wohnung. Also, freu ich mich und überlege gerade mit Ulrike, wie ich mich schön einrichten kann. In diesem Augenblick gibt es einen großen Knall. Erschrocken blicken Ulrike und ich uns an.

"Was ist hier denn los?", stammelt sie erschrocken.

"Ist nun der 3. Weltkrieg ausgebrochen oder was?"

Ich stehe ganz verdattert in meiner neuen Errungenschaft und kann es kaum glauben.

Rumps, macht es erneut.

Sekunden später fliegen bei meinen neuen Nachbarn bereits die Fetzen. Wortstücke der neuesten Mode donnern durch die Wand und ich werde, wie so oft in letzter Zeit, aschfahl im Gesicht. Wie ich feststellen muss, hat die liebe Nachbarin ein sehr lautes Gesprächsorgan. Sie betitelt gerade ihren Typen als Weichei. Nun gut, wir wissen es jetzt auch! Vielen Dank!

"Ich muss hier raus. Kann ich den Vertrag zurück geben?", heule ich nun leise vor mir her.

"Mit diesen Nachbarn werde ich nie warm!" Ich spüre wie ich innerlich zerfalle.

"Die bringen sich gleich um, wenn wir nichts tun!", schreit Ulrike ganz aufgeregt. Ich glotze sie blöde an.

"Nix da. Die erledige ich gleich in einem Abwasch. Haben die keine Manieren?"

Mein Entsetzen kennt keine Grenzen. Ulli aber auch nicht. Schon hat sie die Haustür aufgerissen und klingelt wie blöde bei den neuen Nachbarn. Die Beiden haben es wohl nicht kommen sehen, denn sie öffnen sogar die Tür.

"Hallo", sagt meine Freundin.

"Mein Name ist Ulrike von Hohenhausen. Ich bin Heilpraktikerin und Seelenklempner. Kann ich euch vielleicht helfen?"

Mir stockt der Atem.

Den Nachbarn auch.

Der große Bär von Mann brummelt was in seinen Bart. Es hörte sich an wie "wir kommen klar" und schon war die Tür auch schon wieder zu.

Ich zucke mit den Schultern.

Wieder ein Problem mehr. Nette und höfliche Nachbarn.

Verdammt, ich hätte es schlimmer Treffen können.

Ich triefe vor Ironie und Sarkasmus.

Ich kann nur hoffen, dass ihre Zoffereien eher die Ausnahme sind. Doch meine Hoffnungen werden zerstört. Mehrmals täglich beschimpft nun die junge Damen nebenan ihren Göttergatten und belegt ihn mit wüsten Flüchen. Das der überhaupt noch lebt? Jede Zigeunerin wäre stolz auf sich gewesen. Aber dieser Typ scheint das einfach so hin zu nehmen. Ich bin immer wieder verwundert. Aber scheinbar stimmt es. Je schlimmer die Weiber, desto lieber die Männer. Da stelle ich mir immer wieder eine Frage.

Was mache ich nur falsch?

Ich schaffe es doch immer wieder diese eisigen Typen a la Mr. Frost anzuziehen. Ich meine, ich sehe nicht schlecht aus und hab Grips im Kopf. Aber mit Männern hab ich mal ganz krass derbe meine Probleme. Nachdem ich beinahe zwei Jahre schön meine Singelzeit genossen hatte, begegnete mir eines Tagen ein echt netter junger Mann. Und mit jung, meine ich auch jung. Also der Typ hätte glatt mein Bruder sein können. Aber ich dachte mir nur eines.

Clarissa, scheiß drauf. Die Liebe nimmt auf Alter keine Rücksicht.

Und ehe ich es mich versehen hatte, war ich total verloved. In einem Erzieher. Du liebe Güte. Ich kam mir vor wie in dem Film aus "Zweiohrküken". Mit dem Unterschied, dass ich die Ältere von uns beiden war und mein "Ludo" mit seinem dunklen Wuschelhaaren mir total den Kopf verdrehte. Ich blickte nur einmal in diese unglaublichen grün-grauen Augen und schon war es um mich geschehen. Das Schöne an den Mittzwanzigern ist immer noch die Aussprache. Während ich es schaffe Worte wie "geil" und "krass" voll und ganz in meinem Alltag einzubinden, so kann man von den jungen Kerlen doch echt noch mal was lernen.

Er so eines Tages: "Bam!"

Und ich so: "Was? Hä?" Spricht er jetzt mit mir oder was will er mir nun sagen, grübelte ich.

"Na Bam!"

Ach so! Was sonst!

Ph!

Hab ich glatt gegoogelt.

Was soll ich sagen? BÄM halt! Was bei mir soviel heißen soll wie, ich hab keinen Plan was er meint.

Die darauf folgenden Wochen waren der reine Jungbrunnen. Ich lernte eine Menge kluge Sachen von Mr. Oberschlau und spielte seid langem Mal wieder diverse Autorennen am PC. Natürlich verlor ich haushoch. Wir rauchten komische Sachen. Nein KInder, keine Drogen. Ein Herr Erzieher ist sehr verantwortungsbewusst. Außerdem wurde gekuschelt ohne Ende. Der pure Wahnsinn. Meine kleine Prinzessin setzte ihre rosa Sonnenbrille auf und chillte jeden Tag. Ich erlebte Genuss hoch drei und brachte es sogar fertig meiner Mum von ihm zu berichten. Erstaunlicherweise war sie sehr daran interessiert mehr über den jungen Mann zu erfahren. Sein Alter schien ihr egal zu sein. Das kam mir doch sehr merkwürdig vor, so dass ich eine ganze Weile darüber grübeln musste. War es tatsächlich soweit, dass es meinen Eltern egal war, wie alt der potentielle Schwiegersohn ist. Hauptsache er war nicht mehr Minderjährig, Verantwortungsbewusst und tat seine Pflicht. Was bei meinen Eltern soviel hieß wie. Heirate unsere Tochter. Mach sie glücklich. Schenkt uns ein paar Enkel.

Jou, so haben sie es sich wohl vorgestellt. Ich mir in meinem Kleingeist auch, aber ich werde ja immer wieder eines Besseren belehrt.

Mein Ludo stellte mir ab und an die Frage, wo bei mir der Haken verborgen wäre? Ja, ich bin am Anfang immer sehr pflegeleicht. Die Furie lass ich erst nach ein paar Wochen raus. Kleiner Scherz. Ich bin echt harmlos.

Muahahaha.

Aber bitte, mein lieber Ludo! Einen Haken bei mir? Was für eine blöde Frage. Ich doch nicht! Und dann dachte ich nur, den findest du früh genug. Ich bin zu verrückt, durchgedreht und überhaupt für diese Welt. Das ist mein einziges Manko. Der ganz normale Wahnsinn also. Was sonst, Kleiner? Nun, der Herr Erzieher blieb leider nur ein paar Wochen an meiner Seite. Dann rauschte er, wie all die anderen Männer, an mir vorbei. Er hatte wohl Lunte gerochen, schwups seine Sieben-Meilen-Stiefel angezogen und war schnellstens davon geeilt.

Ja, schade.

Der wäre es doch gewesen.

Oder doch nicht?

Wie immer hatte ich keinen Plan. Nur jede Menge Sehnsucht und Herzschmerz. Auch das war nichts neues. Letztens habe ich mir ein Bild von mir und meinem jüngeren Bruder angesehen. Ich meine, meinen richtigen Bruder. Ist schon komisch, den Altersunterschied sieht man ja kaum. Ehrlich! Ich schwöre. Ok, ein bisschen. Aber kaum!

 

Tag vier meines All-Inklusive-Krankenhaus-Urlaubes ist der Hammer schlechthin. Wie üblich wird morgens mein Blutdruck gemessen. Da meint die Schwester mal soeben nebenbei noch einige andere Dinge zu überprüfen.

"Ach, Frau Gonzales. Wie sieht es aus, waren sie denn schon mal auf der Waage seitdem sie bei uns sind?"

Was für eine doofe Frage. Als hätte ich die letzten Tage nichts besseres im Sinn gehabt als meinen Traumkörper zu wiegen. Daher frage ich eher dämlich zurück.

"Ähm, nö. Muss das sein?"

Die Schwester lächelt mich an.

"Auf jeden Fall. Husch, aufstehen und einmal wiegen bitte."

Meine Augen verdrehend, hieve ich mich aus dem Bett. Ziehe den Stecker zu meinem liebsten Freund, dem Herrn Perfusor und schlürfe über den Gang.

"Na toll", murmel ich vor mir her.

"Hab ja nix besseres zu tun."

Da ich noch meine leichte Nachtkleidung bestehend aus einem Shirt und einer schwarzen Jogginghose trage, stelle ich mich also ohne mit der Wimper zu zucken drauf. Dafür zucke ich beim Erscheinen der Zahl zurück und falle beinahe von dem Gerät. Halb in Trance gehe ich wieder zurück aufs Zimmer. Natürlich wartet die Schwester noch auf mich. Immer noch lächelnd.

"Na, wie sieht es denn aus?"

Ich reagiere im ersten Moment gar nicht, sondern robbe mich geistesabwesend wieder auf mein Bett.

"Vier Kilo", nuschel ich in mich hinein und schüttle die ganze Zeit mit dem Kopf.

"In vier Tagen!" Ich fasse es einfach nicht.

Die Schwester hakt genauer nach und will nun auch noch von mir wissen, ob ich abgenommen hätte. Ich muss mir mein hysterisches Auflachen verkneifen.

"Ich habe zugenommen! Wie geht das denn? Ich kann ja kaum was essen!"

Doch ich werde beruhigt.

"Das geht ganz schnell wieder runter, Frau Gonzales. Das sind nur die Infusionen. Wassereinlagerungen halt."

Ok, denke ich. Scheiß auch darauf. Ich lieg hier im Krankenhaus und mein Zustand ist mehr als Beschissen. Ich soll froh sein, dass ich noch lebe. Also atme ich dreimal tief ein und wieder aus. Mein schöner Adoniskörper wird mir das verzeihen und alles wieder richten. Die Schwester verschwindet also wieder aus dem Zimmer. Nur um einen drauf zu setzen, esse ich heute mein ganzes Frühstück auf fein auf. Also, ein ganzes Brötchen mit Marmelade statt einem halben. Und ich bestell mir ein kleines Schälchen mit Müsli. Na, dass war vielleicht lecker. Um sicher zu gehen, dass auch alles hübsch ankommt, streichle ich mein kleines Bäuchlein zur Belohnung.

"Damit du auch schon wächst und gedeihst, während unserer Vollpension auf Krankanaria. Wäre ja gelacht, wenn ich wie ein Hungerhaken wieder heim kommen würde."

Meinen Humor habe ich auf jeden Fall schon wieder gefunden. Und damit meine gute Laune an Tag vier auch bleibt, klopft es kurz nach neun einmal kurz an meiner Zimmertür. Und siehe da, wer kommt heut morgen zu Besuch? Mein Lieblingsdoktor. Mein kleines Herz macht einen Luftsprung als Dr. Jansen mit seinem überirdischen Schein den Raum betritt. Ich muss ein paar Mal blinzeln, bis sich meine Augen an sein helles Licht gewöhnt haben.

"Na, wie geht es meiner Lieblingspatientin heut morgen denn?"

Ich muss mehrmals schlucken. Lieblingspatientin? Das sind aber mal ganz andere Worte als beim letzten Mal. Also schenke ich dem Doc mein schönstes Lächeln.

"Mir geht es heut morgen schon viel besser!"

Nun, das entsprach so halbwegs der Wahrheit. Die Nacht war wie immer ganz doll schlimm. Aber beim Anblick eines so attraktiven jungen Mannes, da kann es mir einfach nur gut gehen.

"Das freut mich zu hören. Dann nehmen wir doch ein wenig Blut ab und schaun wir uns die Werte an."

Aufmunternd zwinkert Dr. Jansen mir zu und ergreift meine Hand. Kleine elektrische Pulse durchzucken mich und mein Herz beginnt einen Takt schneller zu schlagen. Hoffentlich klappt das heut morgen mit der Blutabnahme, denke ich aufgeregt. Wird ja mit jeden Tag schlimmer den Doktor zu sehen. Die kleine Prinzessin in mir hat sich bereits in Pose gesetzt und jubelt mir zu.

 

Los, Mädel. Mach schon. Ran an den Jungen!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.10.2013

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