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Die Blutbraut Teil 3




Alyssas Körper fühlte sich herrlich weich und fest zugleich unter ihm an. Logan lehnte sich mit seinem ganzen Oberkörper gegen sie und drückte sie nur noch fester gegen die Wand.
Bumm bumm bumm.
Ihr Herzschlag hämmerte ähnlich einer lauten Trommel gegen seine Brust und sein Verlangen drohte überhand zu nehmen. Logan spürte wie sich seine Zähne und seine Fingernägel verlängerten und der Dämon in ihm erwachte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Ihr Duft hatte seinen Blutdurst geweckt. Starke Schmerzen aufgrund seines starken Verlangens breiteten sich allmählich in seinem Unterleib aus. Wie durch einen Nebelschleier hindurch sah er auf Alyssa herab. Wie wunderschön sie doch war, dachte er.
Ihre Augen erinnerten in an zwei Smaragde. In ihnen spiegelten sich seine moosbegrünten und geliebten Highlands wieder. Immer tiefer senkte er seinen Kopf zu ihr hinunter, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.
„Du fühlst dich also unwohl in UNSERER Gegenwart?“, verführerisch weich glitten ihm die Worte über die Lippen.
Seine Hand streichelte ihr erhitze rosige Wange und fuhr weiter hinab über ihrem schlanken weißen Hals.
Bumm bumm bumm, schlug ihr Puls unter seinen Fingern.
Er musste den Kopf nur noch ein kleines Stück tiefer senken und seine Lippen würden ihren Hals berühren.
Alyssa bebte unter ihm.
Jede Faser seines Körpers schrie nun nach ihrem Blut.
Sein Eigenes rauschte durch die Ohren und hallte in seinem Kopf wider.
„Bitte!“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.
Doch ihre Worten schienen an seinen Ohren vorbei zu schweben.
Wie hypnotisiert starrte er weiterhin auf ihren Hals und beobachtete das Hüpfen ihres Pulses.
„Was mache ich jetzt nur mit dir?“, sprach er heiser.
Sein Verlangen durchbohrte ihn, so dass ihm starke Hitzewellen durch den Körper fuhren.
Ihr roter Mund zog seine Aufmerksamkeit auf ihn. Verheißungsvoll schienen ihre vollen Lippen ihn anzuflehen sie zu küssen. Und tatsächlich neigte er seinen Kopf noch ein weiteres Stück zu ihr hinunter.
„Bitte, nicht!“, wisperte Alyssa erneut.
Ihre kleine Hand hatte sich auf seine Brust gelegt und versuchte nun ihn von sich zu schieben. Doch er war viel zu stark. Wie ein Fels in der Brandung stand er vor ihr und sie war zu keiner Regung fähig.
Ihre ängstlichen Worte stießen schließlich durch den Nebel hindurch und der Schleier, welcher sich vor seinen Augen gelegt hatte, riss nun endgültig.
Ein anderes ihm unbekanntes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus, doch er schob es beiseite.
Als Logan erblickte, wie Alyssa ihn aus großen angsterfüllten Augen anstarrte, trat er einen kleinen Schritt zur Seite und dann noch einen. Er musste sich unter Kontrolle bekommen. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet.
Was hatte er nur getan?
Als er genügend Abstand zu ihr genommen hatte, wandte er sich dem Fenster zu.
Seine Unterkiefer presste er fest aufeinander.
Was hatte er sich dabei gedacht?
„Du hast von meiner Familie wirklich nichts zu befürchten, Alyssa. Geh nun bitte auf dein Zimmer. Wir reden später miteinander!“, presste er nun mit rauer Stimme hervor. Dies war ein eindeutiger Befehl, dem die junge Frau abrupt Folge leistete. Wie ein Schatten huschte sie völlig verstört aus dem Zimmer und verschwand am Ende des Ganges.
Logan stand wie erstarrt am Fenster und blickte in den Garten hinaus ohne jedoch irgendetwas zu erkennen. Noch immer kämpfte er mit dem Dämon in ihm und er hatte keine Lust, sich einen seiner „Spezialdrinks“ zu genehmigen. Aber es würde ihm nichts anderes übrig bleiben. Er hatte der jungen Frau eine wahnsinnige Angst bereitet.
Teufel noch mal, fluchte er innerlich.
Wie konnte er sich nur soweit gehen lassen?
Logan fieberte dem nächsten Vollmond und der Zeremonie entgegen, so dass er sich kaum noch unter Kontrolle hatte. Sein Verlangen und seine Gefühle spielten ihm Streiche, so dass er seine Beherrschung verloren hatte.
Damit tat er sich keinen Gefallen. Anstatt sie zu erobern und ihr umsichtig die Lage zu erklären, verschreckte er sie. Logan schüttelte den Kopf. Nachdem er sich ein Hemd über seinen nackten Oberkörper gezogen hatte, ging er in die Küche hinunter. In einer abgeschlossenen Kammer befand sich ein besonderer Kühlschrank, in welchem sich kleine Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit gefüllt, befanden. Gierig trank Logan gleich zwei Flaschen auf einmal aus. Der Effekt, welcher nun eintrat war verblüffend. Sein Puls beruhigte sich, Zähne und Fingernägel nahmen wieder die ursprüngliche Form an. Der rote Kranz um seine Pupillen hatte sich erweitert, färbte sich nun jedoch in ein sanftes Gold statt einem ursprünglichem tiefschwarz. Doch Logan wusste, dass dieser Zustand nur kurz anhalten würde.
„Wir müssen miteinander reden!“
Die Stimme seines Onkels riss Logan aus seinen Grübeleien. Er hatte sich lautlos hinter ihm gestellt und forderte ihn nun auf, ihm zu folgen.
Sie gingen in die kleine Bibliothek der Villa. Nachdem Aiden es sich in einem großen Sessel bequem gemacht hatte, begann er bereits mit seinem Vortrag.
„Mein lieber Junge. Du musst unbedingt mit dem Mädchen sprechen. Sie hat ja keine Ahnung womit sie es hier zu tun hat. Ich hatte gehofft, dass Granny sie wenigstens über uns und unsere Sitten und Gebräuche aufgeklärt hat. Aber anscheinend ist dies nicht der Fall. Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, als ihr bewusst wurde, dass es sich bei uns um einen besonderen Clan handelt. Ihr stand das blanke Entsetzen im Gesicht. Du regelst diese Angelegenheit, darauf will ich mich verlassen.“
Der ernste Ausdruck in Aidens Gesicht blieb, auch als er sah wie hilflos Logan am Türrahmen stand. Er konnte keine Rücksicht auf die Gefühle seines Neffen nehmen.
„Du veränderst dich bereits und das hat Auswirkungen auf alle Beteiligten! Es geht um viel mehr als nur ein Menschenleben!“
Logan nickte mit dem Kopf.
„Ich werde nicht zulassen, dass jemanden etwas passiert. Das weißt du. Ich werde heut Abend noch mit Alyssa sprechen.“, gab er zerknirscht zu.
Aiden nickte ihm aufmunternd zu.
„Das ist gut. Ich werde dich in allen Dingen unterstützen. Und wenn du ihr erst erklärt hast, worum es geht, dann wird sie es bis zum nächsten Vollmond auch leichter bei uns haben. Wir werden ihr den Aufenthalt hier auf der Insel so gut wie möglich bereiten. Denk daran, ihr Opfer ist unsere Rettung.“
Wieder spürte Logan ein leichtes Ziehen in seiner Brust als er an die junge Frau dachte und wieder wusste er seine Gefühle nicht zu deuten. Daher schob er erneut seine Gedanken beiseite. Sie erschienen ihm unwichtig. Er musste seine Leute und die Menschen die er liebte außer Gefahr bringen. Mehr war ihm in diesen Moment nicht wichtig.
Einen Augenblick später stürmte Alex in das Zimmer. Er war völlig außer Atem und pumpte Luft in seine Lungen.
„Ich habe eben einen Anruf aus New York erhalten.“, japste er.
„Der Überfall … das war Pierre Dunneway.“
Erstaunt blickten sich Logan und Aiden an.
„Habt ihr etwas über ihn heraus gefunden?“, fragte Aiden.
„Wir sind dabei. Viel wissen wir leider im Moment nicht über ihn und seine Motive!“, antwortete Alex mit grimmigen Gesichtsausdruck.
„Auf jeden Fall stinkt da etwas gewaltig.“
Pierre Dunneway, dachte Logan stirnrunzelnd. Er war Alyssa Stiefvater bisher nur ein einziges Mal begegnet. Und zwar als er das Mädchen in seine Obhut übernehmen wollte und sie an jenem Abend vor einigen Jahren aus dem Hause ihrer Eltern flüchtete und im Nichts verschwand. Logan hatte damals ein ungutes Gefühl beschlichen als er dem Mann begegnet war. Pierre Dunneway erschien ihm ein gewissenloser Mann zu sein, wobei er vorgab jemand anderes zu sein. Er spürte bereits die nahende Gefahr.

Mit klopfenden Herzen verkroch sich Alyssa auf ihr Zimmer. Obwohl es im Haus angenehm kühl war, breitete sich eine sengende Hitze in ihr aus. Die junge Frau fragte sich, ob es die Angst war, die tief in ihr steckte, ausgelöst durch Logans Verhalten. Ruhelos ging sie in dem großen Raum auf und ab. Ihre Wangen glühten und tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sein Körper hatte sich seltsam vertraut angefühlt und der Geruch nach seinem frischen Rasierwasser hing ihr noch immer in der Nase. Doch seine Augen hatten sie noch mehr verwirrt. Der goldene Kranz um seine Pupillen hatte sie hypnotisiert und in seinen Bann gezogen.
Sie war in ihnen versunken, wie in einem schimmernden Meer der Ruhe, doch mit einem Mal veränderten sich seine Augen. Das Gold verfärbte sich plötzlich in ein Blutrot und ein tiefer Sog der Angst riss sie mit sich hinunter.
Logan war ein Dämon und sie sollte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen. Daher musste sie fort von ihm, fort von der Insel und fort von den Personen, die sich bisher höflich und sogar liebevoll um sie gekümmert hatten. Ihr Empfang war zwar kurz gewesen, aber sie sah noch immer die freundlichen Gesichter der Bewohner vor ihrem inneren Auge. Besonders die beiden Frauen Melodie und Mia hatten sich führsorglich um ihr Wohl gekümmert. Vor vielen Jahren hatte sie das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Menschen in ihrer Umgebung verloren. Sie war stets allein geblieben und hatte nur wenige Kontakte geknüpft, da sie stets wusste, dass ihre Beziehungen nie von Dauer blieben. Wie auch, wenn sie immer auf der Flucht vor Logan war.
Doch in diesen kurzen Augenblicken in der Teeküche und mit Aiden im Garten hatte es sich angefühlt, als wäre sie endlich heim gekommen.
Traurig schob sie diese Gedanken beiseite.
Es nützte nichts, sie waren Vampire und sie, Alyssa ein Mensch. Was viel wichtiger war und was sie nicht vergessen durfte war die Tatsache, dass sie ihr Blut wollten. Auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatten und sie lediglich Logans Blutdurst zu spüren bekommen hatte, so dachte sie jedoch, dass auch die anderen daran beteiligt waren.
Wie komme ich nur unbemerkt aus diesem Haus raus, überlegte sie krampfhaft. Es war bereits Nachmittag und bald würde die Dämmerung eintreten. Bis dahin musste sie verschwunden sein. Müde strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. Sie benötigte unbedingt andere Kleidung. Also durchforstete sie als erstes den Kleiderschrank und war überrascht als sie diesen tatsächlich randvoll mit Sachen und sogar Schuhen fand. Alyssa entschied sich für eine Jeans und eine helle Bluse sowie ein paar leichte Sommerschuhe. Ihre offenen Haare band sie mit einem Haargummi zusammen. Grübelnd stand sie vor ihrem Bett und entschied sich dafür alles so aussehen zu lassen, als würde sie erneut schlafen.
Auf einen Versuch kommt es an, dachte sie bei sich.
Anschließend spähte sie in den Flur. Da keine Menschenseele zu sehen war, ging sie auf Zehenspitzen den Flur entlang und die große Treppe hinunter in den Eingangsbereich. Sie runzelte leicht die Stirn. Die Flucht erschien ihr zu leicht zu sein. Und schon näherten sich einige Stimmen. Alyssa kauerte sich in Windeseile unter die Treppe in eine kleine Nische und hoffte unbemerkt zu bleiben. Es waren Alex und Peter die nun an ihr vorbei, die Treppe hinauf gingen und leise miteinander sprachen.
Die Beiden waren also auch auf der Insel. Nun wusste die junge Frau, dass sie sich schleunigst aus den Staub machen musste. Wenn Logan´s Männer ihre Flucht erst bemerkt hatten, wäre alles vergebens gewesen. Mit Sicherheit würde Logan sie dann im Haus einsperren. Nein, dazu durfte es nicht kommen. Still und leise schlich sie sich aus dem Haus. Erstaunt erblickte sie einen kleinen Lastwagen auf der Auffahrt. Alyssa überlegte nicht lang. Sie blickte nach links und nach rechts und innerhalb weniger Sekunden sprang sie auf den Anhänger und versteckte sich unter der grauen Plane.
Sie lag nun genau auf einem Apfelhaufen und lächelte gequält in sich hinein. Nur einen Augenblick später hörte sie Schritte, die sich dem Wagen näherten. Die Tür wurde geöffnet und der Motor wurde gestartet. Mit klopfenden Herzen kauerte Alyssa auf dem hinteren Teil und hoffte, dass ihre Flucht gelingen würde. Doch da hörte sie schon aufgeregte Stimmen. Logan´s Männer hatten wohl ihre Finte bemerkt und hielten nun das Gefährt auf. Aufgeregt sprachen sie mit dem Fahrer, doch Alyssa konnte die Worte nicht genau verstehen. Sie hielt die Luft an und betete im Stillen auf ein Wunder. Und tatsächlich bewegte sich der Wagen nur einige Herzschläge später und humpelte die Auffahrt hinunter. Ihr war es ein Rätsel warum die Beiden nicht unter die Plane geguckt hatten, aber das war ihr auch nur recht und so spähte sie darunter vorsichtig hervor und beobachtete das Treiben vor der Villa. Sie hatten gerade das große Tor durchquert als Logan aus dem Haus heraus trat. Er blickte wie wild umher und gestikulierte mit Alex und Peter.
„Alyssaaaaa!“
Sein angsterfüllter Schrei durchhallte die Stille.
Logans Ruf war so herzzerreißend, so dass der jungen Frau eine Gänsehaut über den Körper fuhr. Hatte sie tatsächlich Angst in seiner Stimme gehört oder täuschten sie ihre Sinne wieder einmal? Sie schob diese Gedanken beiseite.
Der kleine Lastwagen holperte über die Straße und Alyssa musste sich immer wieder abstützen, da ihr die Äpfel in die Seiten drückten. Sie würde mehr als nur einen blauen Flecken bekommen, aber Hauptsache war, dass sie von der Insel runter kam. Oder etwa nicht? Vor ihren Augen erschien unverhofft Logans Bild, wie er in völliger Verzweiflung auf der Suche nach ihr auf dem Grundstück umher irrte. Die junge Frau war verwirrt von ihren Empfindungen und versuchte krampfhaft die Bilder aus ihrem Kopf zu bekommen. Die Fahrt dauerte einige Zeit an und sie wurde auf dem Laster immer wieder hin und her geworfen. Als sie endlich hielten, fühlte sich ihr Körper zerschunden und zerschlagen an.
Vorsichtig schaute sie unter der Plane hervor. Da sie gehört hatte wie sich der Fahrer entfernte und sie niemand in ihrer Nähe erspähen konnte, schlüpfte sie hervor und entfernte sich schnellen Schrittes. Sie erblickte überrascht die Umgebung. Alyssa befand sich in einem kleinen Ort und ging eine kleine gepflasterte Seitengasse entlang. Die Sonne schien ihr hell ins Gesicht und sie bestaunte die kleinen schönen weiß gestrichenen Häuschen, in deren blauen Fensterläden bunte Blumenkästen standen.
Ihr Gespür führte sie unwiderruflich zum Hafen hin und nach wenigen Schritten konnte sie bereits das Meer ausmachen. Ein kleiner Fischerhafen tat sich vor ihr auf, an dessen Kai sich einige Boote und sogar eine kleine Yacht befanden. Sie hoffte, dass sie mit ihrem schlechten spanischen Wortschatz heraus finden würde, wie weit es bis zum Festland wäre. So sprach sie einen jungen Burschen an, welcher an einem kleinen Boot stand.
Die Fahrt übers Meer würde nur eine Stunde dauern, beteuerte ihr der Junge. Alyssa fragte ihn, ob er sie nicht hinüber bringen könne. Doch da sie die Fahrt nicht bezahlen konnte, zuckte er nur bedauerlich mit den Schultern. Es half kein Bitten und auch kein Betteln, ohne Geld in den Taschen würde sie nicht von der Insel herunter kommen. Tränen traten ihr in die Augen und sie erntete einen mitfühlenden Blick. Er tippte auf ihren goldenen Ring als Gegenleistung für eine Überfahrt und in ihrer Verzweiflung stimmte Alyssa ihm zu.
Was bedeutete ihr schon ein Ring. Er war ein Teil ihrer Freiheit und begleitete sie seit vielen Jahren. Für ihre erneute Flucht vor Logan McEawan würde sie ihn gern her geben.
Der Junge war nun mehr als einverstanden mit dem Geschäft und führte sie freudig auf sein Boot, welches kaum größer als eine Nussschale war und innerhalb weniger Minuten tuckerten sie langsam aus der Bucht hinaus aufs offene Meer. Eine seichte Brise wehte Alyssa ins Gesicht und ein paar Möwen begleiteten ihre Tour. Der Geruch ihrer Freiheit lag in der Luft.
Nervös blickte die junge Frau immer wieder zurück, doch am sich entfernenden Kai waren keine Männer von Logan zu sehen. Lediglich ein paar Matrosen verrichteten dort ihre Arbeit.
Die Fahrt verlief angenehm und die Sonne stand bereits tief am Himmel. Der Junge lachte Alyssa breit an, es schien im durchaus Spaß zu machen sie aufs Festland zu bringen. Er gestikulierte wild mit seinen Händen und hieß ihr an, das Steuer zu übernehmen. Lachend stellte er sich hinter ihr und steuerte mit ihr zusammen das Boot. Befreit über die Ablenkung und die neue Herausforderung verschwanden die Sorgenfalten auf ihrem Gesicht. Es bereitete ihr viel Spaß, als er ihr zeigte, wie man mit dem Kompass die Richtung bestimmte.
Die Beiden waren gerade einmal eine viertel Stunde auf dem offenen ruhigen Meer unterwegs und die Insel lag weit hinter ihnen als plötzlich ein kräftiger Wind aufkam. Irritiert starrte der Junge an ihrer Seite zuerst in die Ferne und dann den Himmel an. Ein ungutes Gefühl stieg in Alyssa auf als sie sah wie sich die weißen Schäfchenwolken immer schneller am Horizont bewegten.
Gerieten sie etwa in ein Unwetter?
Beruhigend redete sie sich ein, dass alles ganz normal war und ihnen nichts passieren würde. Doch der Wind wurde immer stürmischer, die Wolken türmten sich zusammen und verfärbten sich in ein bedrohliches graugelb. Das Boot wankte bereits beträchtlich auf dem Wasser hin und her, so dass sich Alyssa gut fest halten musste. Dann wurde es immer grauer und dunkler um sie herum.
Bis das Tageslicht mit einem Mal ausgelöscht wurde und tiefe Schwärze sich breit machte. Riesige Gewitterwolken füllten den Horizont aus und als der erste Blitz über dem mittlerweile pechschwarzen Meer zuckte, geriet die junge Frau in Panik.
Der Junge übernahm das Steuer und manövrierte sie weiterhin zielsicher über das mittlerweile tosende Meer.
Mitten in ihrer rasanten Fahrt trat dann ganz plötzlich eine Totenstille ein und die Welt um sie herum erstarrte in einem Stillstand. Der Wind hatte sich gelegt, als ruhe er sich für eine Minute aus und das Wasser hatte sich beruhigt. Auf der rauen glatten Oberfläche spiegelten sich die grauen Gewittertürme und die beiden Menschen auf dem Boot blickten einander verwirrt an.
Was war das plötzlich für ein Spuk? Zu keiner Regung fähig, glitten sie durch die Stille.
„Wir müssen wieder zurück! Sofort!“, sagte der Junge stirnrunzelnd an ihrer Seite und voller Angst nickte ihm Alyssa nur zu. Das Boot wurde gewendet und tuckerte ihr nun viel zu langsam wieder auf die Isla del Guara zu.
Wie viel Zeit würde ihnen nur bleiben, fragte sich Alyssa beklommen. Sie verstand diese plötzliche Ruhe nicht. Ihr Körper fühlte sich seltsam steif an. Zitternd rieb sie sich die Arme, doch die innere Kälte blieb.
Und nur wenige Minuten später brach das Unwetter erneut über ihnen aus und dieses Mal gab es kein Entrinnen.
Das Meer bäumte sich auf, es regnete grelle Blitze und der Sturm heulte ihnen um die Ohren. Das kleine Boot tanzte verloren auf dem Wasser. Es war den Elementen hilflos ausgeliefert und Alyssa klammerte sich mit aller Mühe an der Reling fest.
Sie konnte es kaum glauben als sie sah wie stark der Junge gegen die Naturgewalten ankämpfe und sie immer näher an die Insel heran brachte. Doch das Meer schien sie verschlingen zu wollen und ihre Hoffnung je wieder lebendigen Fußes auf festen Boden zu landen, sank ins Unendliche.
In diesen Moment völliger Hoffnungslosigkeit sah sie erneut Logans Gesicht vor ihren Augen und spürte ein leichtes Ziehen in ihrem Bauch.
„Hilf mir! Ich bitte dich.“, flüsterte sie in sich hinein.
Sie hatte keine Ahnung warum ausgerechnet ihr Todfeind ihre Rettung sein sollte. Gerade er, vor dem sie doch auf der Flucht war und erst in diese Situation hinein geraten war, sollte sie nun retten? Alyssa wusste nicht, warum diese Gedanken mit einem Mal tröstend waren, aber sie betete innerlich, dass ein Wunder geschehen würde. Denn nur ein Wunder konnte den Jungen und sie vorm sicheren Ertrinken bewahren. Es waren ihre eigenen Gedanken, die ihr nun Mut gaben. Sie straffte ihre Schultern und klammerte sich noch fester an das nasse Holz. An Aufgeben war nicht zu denken.
Der Sturm tobte auf dem wild gewordenen schäumenden Meer und die Wellen überrollten sie immer wieder. Alyssa war patschnass und fror, doch sie blickte dem Unwetter nun tapfer ins Auge.
Sie hatten die Küste bereits in Sicht und die beiden Menschen wurden immer zuversichtlicher sich bald aufs Land in Sicherheit zu bringen als sich eine meterhohe Welle dem Boot nahte. Der Wasserspiegel sank so stark herab, so dass sie sich plötzlich in einem Tal befanden. Der Junge und das Mädchen starrten aus angstgeweiteten Augen die Wand vor ihnen an.
Zu keiner Regung fähig, sahen sie wie sich in einer Zeitlupe das Meer über ihnen auftürmte, um sie dann krachend und mit voller Wucht zu verschlingen. Alyssa konnte sich nicht mehr an der Reling fest halten und ihr schmaler Körper wurde von den Massen mitgerissen.
Ein gewaltiger Sog zerrte an ihr und zog sie unweigerlich mit hinab bis auf dem Meeresgrund.
Im dunklen Wasser konnte sie kaum etwas erkennen. Das Salz brannte in ihren Augen und ihre Lungen flehten um Sauerstoff.
Sie stieß sich kraftvoll vom Boden ab und kämpfte sich wieder an die Oberfläche. Japsend holte sie nur wenige Sekunden später tief Luft. Den Elementen war sie nun hilfloser denn je ausgeliefert. Immer wieder wurde sie hinunter gedrückt und kam hustend und nach Atem ringend wieder nach oben. Auf der Suche nach dem Jungen blickte sie sich umher, konnte ihn jedoch nicht entdecken. So übersah sie auch ein Teil des Bootes, welches direkt neben ihr auftauchte. Sie verspürte einen scharfen Schmerz am Kopf als sie getroffen wurde und versank augenblicklich in tiefe Schwärze. Das Meer schnappte sich ihren leblosen Körper und zog sie erneut hinab auf dem Meeresboden.


Logan konnte es nicht fassen.
Alyssa hatte es wieder einmal getan und war vor ihm davon gelaufen. War er denn so ein Untier, das sie nicht einmal so lange bei ihm bleiben konnte, bis er ihr die Wahrheit über sich erzählt hatte?
Die Tatsache, dass sie sich auf einer kleinen Insel befanden und es nur den Weg übers Meer gab, machte es nicht gerade einfacher und beruhigen tat es ihn erst recht nicht. Er bekam es sogar richtig mit der Angst zu tun, als sie Alyssa nicht finden konnten und die Sonne immer tiefer am Himmel stand. Unruhe erfasste ihn, so dass er seine Männer hin und her kommandierte ohne auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
Aiden schnappte sich seinen Neffen und nahm ihn beiseite.
„Es bringt nichts, wenn du kopflos herum läufst, Logan!“, ermahnte er ihn.
„Wir werden Alyssa vor Sonnenuntergang finden. Dessen bin ich mir sicher.“
Logan nickte ihm zu, versuchte sich zu beruhigten und sortierte seine Gedanken. Er besann sich auf seine Intuition und wusste, dass die junge Frau alles daran setzte würde, ans Festland zu kommen. Doch er hatte nicht den leisesten Plan wo sie sich in diesen Moment aufhielt.
Auf der Insel gab es drei kleine Häfen und von jedem konnte sie ihre Flucht starten. Auch wenn sie sich nicht einmal auskannte, so war er sich ziemlich sicher, dass sie übers Meer fliehen würde.
Also sandte er seine Männer aus. Aiden fuhr mit Peter in die eine Richtung. Alex, Melodie und Mia in die Andere und Logan begab sich allein zu einem der Häfen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn auf der Fahrt mit dem Jeep dorthin.
Das Wetter veränderte sich mit einem Mal und die Luft fühlte sich schwül und drückend an.
Die Vögel flogen mittlerweile sehr tief wie sie es nur bei einem bevorstehenden Gewitter taten. Besorgt blickte Logan, während er über die holprige Straße fuhr, zum Himmel hinauf.
Doch dort waren nur wenige Schäfchenwolken zu sehen. Eine trügerische Idylle lag wie ein Schleier über dem Land.
Logan hatte den Kai gerade erreicht als sich das Wetter abrupt veränderte und ein gewaltiger Sturm aufkam. Beklommen starrte er auf das Meer hinaus, aber er konnte kein Schiff auf dem Wasser ausmachen. Er befragte einige Matrosen, die eilig ihre Sachen befestigten, ob sie eine junge Frau gesehen hatten. Doch die Männer schüttelten nur ihre Köpfe und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu.
Ruhelos lief Logan am Pier entlang und stolperte beinahe über einen angetrunkenen älteren Seefahrer. Als er an ihm vorbei eilen wollte, hielt in der Alte am Ärmel fest.
„Mein Junge, du glaubst nicht was mir heut passiert ist!“, lallte er.
„Noch nie habe ich so etwas gesehen.“
Der Mann boxte Logan in die Seite als er sich abwenden wollte.
„Alterchen, du bist betrunken. Da draußen zieht ein Unwetter auf. Sieh zu, dass du heim kommst.“, ermahnte Logan ihn.
Doch der Mann gab nicht auf.
„Sie war kein Geist!“ Glaub mir doch!“
Sie? Wovon sprach der Seemann nur?
Logans Alarmglocken läuteten.
„Sprich, wen hast du gesehen? Beschreib sie mir!“, forderte er ihn nun auf.
Der Alte kicherte.
„Hör mir zu, mein Junge. Vor vielen Jahren war ich einmal so blutjung und unerfahren wie du. Ich habe alle Geschichten über sie gehört und auf jedem Schiff waren es die ähnliche Sagen. Doch Eine dieser Wesen ist mir nie begegnet.“
Sein Gesicht war ganz an Logan heran gekommen und sein Atem stank nach Bier und Zigarre. In seiner knöchernen Hand befand sich noch erstaunlich viel Kraft als er Logan fest am Arm packte.
„Sie war wunderschön.“, schwärmte er weiter.
„Wen meinst du, Alterchen?“
Es brachte Logan beinahe um den Verstand, da der Seemann vor ihm so ein Geheimnis draus zu machen schien.
„Ich meine diese kleine Meerjungfrau. Sie stand genau hier am Kai. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen.“
Logan dachte er hörte nicht recht. Der Alte halluzinierte und erzählte ihm eine Geschichte von irgendwelchen Mythen, die er früher gehört hatte. Kopfschüttelnd machte er sich los.
„Geh heim und schlaf deinen Rausch aus!“
Doch der betrunkene Seemann dachte gar nicht daran. Er zerrte an Logans Arm.
„Hör doch zu. Ihre Augen..“, stotterte er aufgeregt.
„Diese funkelnden Augen sahen aus wie das blühende Meer. So ein grün habe ich noch nie gesehen. Bei Gott, die Nixe sah so wunderschön aus!“, schwärmte er.
Logan stockte der Atem. Hatte der Alte tatsächlich Alyssa am Hafen gesehen?
Er konnte sein Glück kaum fassen.
„Wohin ist sie gegangen, Alterchen?“, fragte er ihn nun eindringlich.
„Was sagst du da? Wohin soll sie schon gegangen sein. Zurück ins Meer natürlich.“, ungläubig schüttelte er seinen Kopf, so dass sein zottiger dunkler Bart hin und her schwankte. Er rollte mit seinen kleinen Kulleraugen.
Logan wusste nun gar nicht mehr was er von dem Gerede halten sollte. Das Unwetter machte ihn nervös. Wenn er Alyssa nicht bald finden würde, könnte es zu einer Katastrophe kommen.
„Erzähl doch weiter!“, forderte er den Seemann ungeduldig auf.
„Sie hat sich den jungen Fischer geschnappt. Der Ärmste ist Waise, hat kaum was zu futtern. Die Nixe hat ihn ganz sicher verhext, denn er hat sie auf sein Boot gebracht und dann sind sie aus der Bucht hinaus gefahren. Die Beiden sehen wir nie wieder!“, meinte er bedauernd und seufzte tief.
„So ein lieber Junge. Hatte für den alten Dug immer einen Penny übrig.“, sprach er dann mehr zu sich.
Logan hatte sich aus der Umklammerung des Alten befreit und stellte sich ganz nah an den Kai. Das Wasser spritzte ihm entgegen, doch das machte ihm nichts aus. Eine tiefe Angst breitete sich aus.
Alyssa befand sich da draußen auf dem Wasser während eines mächtigen Sturmes. Das würden die beiden Menschen nie und nimmer überleben. Er rannte zum Jeep und informierte per Funk seinen Onkel und die anderen. Dann fuhr er mit den Wagen instinktiv zu einer kleinen Bucht. Er wusste nicht genau was es war, das ihn führte, aber er wusste, dass er sich dorthin begeben musste.
Er kam gerade an, als sich der Sturm mit einem Mal legte. Besorgt schaute er aufs Meer hinaus, doch auf der dunklen glatten Oberfläche konnte er kein Boot erblicken. Panik überkam ihn.
Was wäre, wenn sein Gefühl ihn getäuscht hatte?
Doch bisher war immer Verlass darauf gewesen. Er unterdrückte seine negativen Gedanken als der Sturm mit einem Mal in all seiner Heftigkeit über das Meer herfiel.
Unruhig starrte Logan, mittlerweile klatschnass vom Regen geworden, auf die raue See hinaus als er nur wenige Minuten später Alyssas Gesicht in der Luft vor sich erblickte. Er spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ohne zu zögern watete er ins Wasser und begann zu schwimmen. Das Bild der jungen Frau vor seinen Augen führte ihn immer weiter hinaus. Die Wellen zogen an seinen Körper und wollten ihn zurück an Land drücken.
Doch mit übermenschlichen Kräften tauchte er zwischen ihnen hindurch als ihm plötzlich große Teile eines Bootes entgegenkamen. Er konnte gerade noch zur Seite schwimmen, wurde jedoch mit voller Wucht am Bein erwischt. Der Schmerz benebelte beinahe seine Sinne als er mit einem Mal eine leise Frauenstimme hörte. Sein Herz schlug schneller als er erkannte, dass es Alyssa sein musste, doch er konnte sie an der Oberfläche nicht erblicken.
Logan tauchte unter Wasser. Es war sehr dunkel und vom Sand aufgewühlt, konnte er kaum etwas erkennen. Doch er gab nicht auf. Obwohl er sich bereits unter der Oberfläche befand und immer tiefer tauchte, hallte erneut Alyssas zarte Stimme in seinen Ohren. Immer weiter wühlte er sich durch das feuchte Element als er wenige Meter vor sich einen Schatten ausmachte. Nur einige Sekunden später ergriff er den Körper der jungen Frau und brachte sie zurück an die Oberfläche. Das tosende Meer schien sich noch mehr aufzubäumen, so dass er Mühe hatte, sich über dem Wasser zu halten. Er dachte gerade an den Jungen, der sich hier irgendwo befinden musste, als Aiden neben ihm auftauchte.
„Hier ist noch irgendwo der junger Seefahrer!“, rief er ihm durch den tobenden Sturm zu. Aiden nickte und wies ihm mit einer Handbewegung zu wieder an Land zu schwimmen. Doch der Rückweg wurde sehr schwierig und lang. Logan kämpfte sich mit Alyssa in den Armen durch die Wassermassen. Unbeirrt bahnte er sich seinen Weg bis an den kleinen Strand. Außer Atem legte er den leblosen Körper der jungen Frau auf den Sand. Ihr Gesicht war schneeweiß und als er keinen Puls fühlen konnte, überrannte ihn die Panik. Melodie und Mia kamen auf ihn zu gelaufen.
„Bei Gott, lass sie nicht tot sein!“, rief die Ärztin und schob Logan sanft zur Seite. Auch sie fühlte den Puls der leblosen Alyssa und wollte unverzüglich mit den Widerbelebungsmaßnahmen beginnen. Doch Logan übernahm ihre Rolle, da im gleichen Augenblick Aiden mit dem bewusstlosen Jungen aus dem Wasser gestiefelt kam. Melodie, die alles überblickte, schlug entsetzt die Hände über den Kopf zusammen, als sie die beiden jungen Leute auf dem Strand liegen sah.
Mia wandte sich dem jungen Seefahrer zu.
Als Logan Alyssas Bluse öffnete, stockte ihm der Atem. Ihr zierlicher Körper war übersäht mit blauen Flecken und Prellungen. Entsetzt starrte er sie an bevor er sich konzentrierte und mit der Mund zu Mund Beatmung begann. Abwechseln pumpte er nun Sauerstoff in ihre Lungen, um dann mit seinen Händen eine Herzdruckmassage durchzuführen. Doch bei Alyssa blieb jegliche Reaktion aus. Leblos lag sie wie eine Leiche auf dem Strand.
Doch Logan begann immer wieder von vorne. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und die nackte Angst breitete sich wie ein Geschwulst in seinem Bauch aus. Nach einigen Minuten legte Melodie sanft ihre Hände auf Logans Schulter.
„Es ist zu spät. Du hast alles getan was du konntest.“, sagte sie traurig.
„Nein, das glaube ich nicht!“, rief Logan heftig aus.
„Das kann nicht sein! Niemals.“
Er wollte wieder mit der Reanimation beginnen, doch Aiden hielt ihn zurück.
„Junge, sieh es doch ein. Du holst sie nicht wieder zurück.“
Eine bedrückende Stille trat ein.
Logan erblickte die leblosen beiden Körper, die nun rechts und links neben ihm lagen und konnte es kaum fassen.
„Sie ist nicht tot!“, schrie er und hieb mit einem Mal auf Alyssas Brust ein.
„Atme!“ rief Logan.
„So atme doch!“
Aiden wollte ihn packen und hielt seinen Arm in der Luft fest, doch Logan stieß ihn voller Wut kraftvoll zurück, so dass sein Onkel durch die Luft flog und mit einem harten Aufprall auf dem Sand landete. Die umherstehenden Leute blickten erschrocken auf.
Als Logan dann ein zweites Mal mit seiner Faust auf dem Oberkörper der jungen Frau einhieb, hörte man ein leises Knacken. Ihre Rippen waren gebrochen. Aber genau in diesem Moment ging ein Ruck durch ihren bisher leblosen Leib. Sie prustete und spuckte jede Menge Meerwasser aus.
Logan drehte sie zur Seite, so dass sie Luft holen konnte. Erschöpft, völlig benebelt aber am Leben blieb sie einfach so liegen.
„Mia“, rief Logan.
„Hilf ihr bitte weiter!“
Er musste seine ganze Aufmerksamkeit nun dem Jungen widmen. Alyssa würde ihm niemals vergeben, wenn er tot wäre. Und so fuhr er mit seiner eigenen Belebungsmaßnahme auch bei ihm fort und nach nur zwei Schlägen und mehreren gebrochenen Rippen, erbrach der Junge sich im Sande, bis er schließlich tief Luft holen konnte. Doch im Gegensatz zu Alyssa schlug er die Augen auf und erblickte die Umherstehenden.
„Ich danke euch.“, krächzte er mit rauer Stimme.
„Ich danke euch.“
Er wollte aufstehen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Wäre Aiden nicht rechtzeitig an seine Seite gesprungen, so wäre er wieder gefallen. Er blickte Aiden dankbar an, brachte jedoch nur ein gequältes Lächeln auf seinen bläulichen Lippen zustande. Erst jetzt fühlte er den wahnsinnigen Schmerz, welcher sich in seinem Körper ausbreitete. Ohnmächtig brach der Junge zusammen.
„Wir müssen die Beiden schnell ins Haus bringen!“, ermahnte Mia Logan eindringlich.
Alyssa war immer noch bewusstlos, aber zumindest war sie am Leben. Noch jedenfalls.


Die Fahrt zurück dauerte Logan viel zu lange. Ungeduldig und zähneknirschend saß er auf der Rückbank des Jeeps, die junge Frau fest in seinen Armen haltend, während Alex am Lenkrad saß.
Unterschiedliche Gefühle stiegen in ihm hoch. Er hätte sie beinahe verloren. Die Angst um Alyssa hatte ihn brutal erfasst. Er betete, dass ihnen genug Zeit blieb und sie ihm nicht wieder genommen wurde. Ihr Körper war eiskalt und er hatte sie in eine wärmende Decke gewickelt. Zärtlich strich er ihr eine nasse Haarsträhne aus ihrem regungslosen und blassen Gesicht. Ihre Wimpern zitterten in diesen Moment kurz, doch ihre Augen blieben weiterhin geschlossen.
Logan seufzte tief auf. Er wollte sie nicht wieder verlieren.
Bei Aidens Haus angekommen, wurden der Junge und Alyssa ins Obergeschoss gebracht. Mia untersuchte die Beiden, während Logan im Raum unaufhörlich auf und ab wanderte. Besorg trat die junge Ärztin an ihn heran.
„Es sieht bei Beiden nicht sehr gut aus.“, sagte sie leise.
„Meine Heilmittel können da kaum etwas ausrichten. Sie haben beide schwere innerliche Verletzungen davon getragen.“
Logan zuckte zusammen. Er wusste, dass es schlimm um sie stand, aber dass es so schlimm war, hätte er niemals gedacht.
„Wenn sie nicht eine Infusion mit deinem Blut bekommen, werden sie sterben. Dessen bin ich mir sicher!“ Bedauernd legte sie ihre Hand auf seine Schulter.
„Aber das musst du entscheiden. Der Junge wird mit den Nachwirkungen leben müssen. Wie es bei Alyssa aussieht, wissen wir nicht.“
Logan musste eine Entscheidung treffen, die ihm ganz und gar nicht behagte. Aber er hatte sich geschworen, dass er ihr Leben retten würde und das des Jungens ebenso. Und wenn dies die letzte Möglichkeit war, dann würde er alles tun, um die beiden Menschen zu retten. Entschlossen krempelte er seine Ärmel nach oben.
„Sie sollen beide leben. Tue bitte was du zu tun hast, Mia.“
Die Ärztin nickte ihm zu. Sie hatte mit dieser Antwort fest gerechnet.
„Ich muss dir leider sagen, dass noch ein Restrisiko bleibt.“ Darauf war er nicht gefasst.
„Was denn noch?“, fragte er erstaunt.
„Der Junge wird es ganz sicher schaffen, aber Alyssa hat zu viel Blut verloren. Sie wurde schwer am Kopf verletzt. Ich weiß nicht, ob ihr dein Blut helfen wird, aber ich werde alles tun, um ihr sie zu retten. Das verspreche ich dir.“
Bei diesen Worten spiegelte sich das blanke Entsetzen in seinem Gesicht. Doch er konnte jetzt nichts mehr für sie tun, außer zu beten. Er hatte seit vielen Jahren nicht mehr gebetet. Warum auch?
„Du musst nun das Zimmer verlassen.“, forderte Mia ihn auf.
„Ich lass sie nicht allein!“ begehrte er auf.
„Du kannst nichts mehr tun. Außerdem werde ich ihr nun die Kleider abnehmen. Also geh jetzt bitte.“
Er zuckte hilflos mit seinen Schultern und verließ mit hängendem Kopf das Zimmer. Mia schüttelte angesichts seines Widerspruchs ihren Kopf und begann sich darum um ihre Patienten zu kümmern.
Doch Logan konnte sich nicht beschäftigen. Er begab sich auf sein Zimmer und duschte kurz. Nachdem er sich umgezogen hatte, stellte er sich vor Alyssas Zimmer, in welchem sich noch immer die Ärztin um sie kümmerte. Eine Stunde später kam sie müde heraus und erblickte Logan wie er den Flur auf und ab lief.
„Du kannst es nicht lassen, hm?“, fragte sie ihn müde.
Doch er schüttelte nur den Kopf.
„Wie geht es ihr?“, antwortete er stattdessen. Die Frau vor ihm zuckte mit den Schultern. Eine kleine Sorgenfalte erschien auf ihrer Stirn.
„Wenn sie die Nacht übersteht, dann wird sie es schaffen. Aber es sieht nicht gut aus. Sie hat hohes Fieber. Es ist gut möglich, dass wir ihr später noch eine Infusion geben müssen. Du weißt, was das für sie bedeuten könnte?“
Logan nickte.
„Ich werde bei ihr bleiben. Leg dich hin und ruh dich aus. Ich rufe dich, wenn es kritisch wird.“, antwortete er leise.
Mia nickte.
„Ach ja, wie geht es dem Jungen?“, fragte er als sie schon vorbeigehen wollte.
„Er schläft tief und fest. Um ihn mache ich mir keine Sorgen, die Infusion hat sogar schon ihre Wirkung in ihm verbreitet. Er sieht gut aus und ist stabil.“
Mit diesen Worten verließ sie ihn und begab sich in die Küche. Dort warteten bereits die Anderen auf sie und wollten ebenso wissen, wie es um die beiden Patienten stand.
Beunruhigt von Mias Worten betrat Logan leise Alyssas Zimmer und trat an ihr Bett heran. Die junge Frau lag in einem seidenen langen Hemd auf dem Bett und bewegte sich nicht. Ihr Gesicht war mittlerweile so blass, dass man die kleinen blauen Adern unter ihrer Haut sehen konnte, ihre Arme waren von Blutergüssen übersäht. Vorsichtig zog er sich einen Stuhl näher heran und setzte sich zu ihr. Er nahm ihre kleine schmale Hand in seine und spürte wie kalt sie war.
„Ich bitte dich nur um eines.“, sprach er leise.
„Lebe! Bitte lebe!“
Stundenlang harrte er nun an ihrer Seite aus und streichelte ihre Hand. Ab und an steckte einer der Bewohner seinen Kopf durch die Tür, um sich zu erkundigen wie es der Patientin ging. Doch ihr Zustand veränderte sich nicht. Blass und regungslos lag sie auf dem Bett. Die Zeit verging, die Sonne war längst untergegangen und es wurde Mitternacht als sich das Fieber drastisch erhöhte und sich in Schüttelfrost verwandelte. Logan stand wie erstarrt vor dem Bett und beobachtete wie der schlanke Körper der jungen Frau zitterte. Alyssa warf sich hin und her und begann im Fiebertraum leise zu sprechen. Doch Logan konnte ihre Worte nicht verstehen. Unschlüssig was er tun sollte, legte er sich neben ihr ins Bett und zog sie fest an sich heran. Er hielt ihren Kopf an sich gedrückt und umschlang mit dem anderen Arm ihre Gestalt. Leise sprach er mit beruhigenden Worten auf sie ein. Doch sie stöhnte laut auf und wollte ihn instinktiv von sich weg schieben Allerdings reichten ihre Kräfte hierfür nicht aus. Logan gab nicht auf. Er wollte eine weitere Infusion unbedingt vermeiden. Wenn es denn möglich war. Logan kannte die Auswirkungen seines Blutes auf Menschen. Sie würde sich unwiderruflich verwandeln, spätestens bei der zweiten Infusion.
Doch jetzt, nachdem er tief in sich drinnen das Band zwischen ihnen entdeckt hatte und seine Gefühle für Alyssa immer stärker wurden, wollte er ihr das nicht mehr antun. Sie musste so leben.
„Alyssa, hör mir zu.“, flüsterte er heiser.
„Ich möchte dir heute etwas versprechen. Du sollst frei entscheiden, ob du bei mir bleiben willst oder nicht. Ich werde dich nicht mehr fest halten und entbinde dich und deine Familie von dem Versprechen. Das schwöre ich dir.“ Er atmete tief ein. Sanft streichelte er ihre heiße Wange und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Bitte lebe doch!“

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Tag der Veröffentlichung: 29.03.2012

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