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Das Mädchen mit den saphirblauen Augen


Es lebte einmal vor langer Zeit, in einem Land jenseits des ewigen Frühlings, weit hinter dem großen blauen Meer, im hohen Norden ein junger Bauer mit seiner Frau. Der Bauer hieß Juuso und war ein fleißiger und ehrlicher Mann. Er lebte mit seiner Frau Lilja glücklich und zufrieden in einem kleinen Häuschen dicht am Waldrand von Nordland.
Es geschah an einem sonnigen Wintertag als der junge Bauer Juuso mit seinem großen Schlitten durch den Wald heimwärts fuhr und der Wind ihm ein seltsames Wimmern zu trug. Der Bauer hielt seine Pferde an und stapfte durch den tiefen Schnee bis er an einer großen alten Eiche angekommen war. Von dort hatte er das Geräusch vernommen. Verwundert ging er um den dicken Stamm des Baumes und erblickte im Wurzelwerk eine kleine Höhle. Da der Eingang viel zu klein für ihn war, griff er mutig hinein und zog ein kleines Körbchen heraus. Im ganzen Wald war es plötzlich still geworden. All dies schien dem Bauern jedoch nicht aufzufallen. Neugierig öffnete er den Korb und war ganz überrascht als er in dicken und weichen Fellen eingehüllt ein kleines Mädchen erblickte. Das Kind hörte auf zu weinen und es schaute den Bauern mit seinen großen Augen an. Dann streckte es ihm seine kleinen Händchen entgegen, so dass dem Mann nicht anderes übrig blieb als es in seine Arme zu nehmen.
"Wer bist du denn und wo sind deine Eltern?", fragte der Bauer mehr zu sich selbst, denn das Mädchen war viel zu klein und konnte noch nicht sprechen. Stattdessen lachte es plötzlich ganz hell auf. Der Mann hatte noch nie so ein süßes Stimmchen gehört und hatte das Kind mit einem Mal ganz lieb gewonnen. Er drückte es an sich und nahm es mit zu seinem Schlitten.
Die Pferde wieherten als er ihnen entgegen stapfte. Sie hatten ihn bereits erwartet. In Windeseile begab er sich aus dem tiefen schneebedeckten Wald heimwärts zu seiner Frau.
Als er seinem Weib berichtete was er da gefunden hatte, erschrak sie zutiefst.
"Ach Juuso. Was hast du nur getan?". Tränen füllten die Augen der jungen Frau "Ich konnte das Kind doch nicht draußen im Walde lassen!" Tröstend nahm er sie in seine starken Arme. "Lilja, sieh doch nur wie lieb das Mädchen ist!"
Er zeigte auf das kleine zappelnde Bündel aus Fellen, welches nun auf dem Holzboden des Raumes lag. Doch immer mehr Tränen traten aus den braunen Augen der jungen Frau hervor.
"Oh mein Juuso", jammerte sie.
"Du hast uns ein Waldkind ins Haus gebracht."
Der Haufen aus Decken und Fellen teilte sich plötzlich und das kleine Mädchen streckte seinen Kopf in die Höhe.
Als Lilja das Kindlein erblickte, wurde ihr jedoch ganz warm ums Herz. Sie löste sich von ihrem Mann und hob das Mädchen auf ihre Arme. Das Kind lächelte sie herzlich an, so dass die Frau es sofort lieb gewann. Es war ein wirklich hübsches kleines Mädchen mit großen wunderschönen Augen von einem solchen Blau, wie es das Bauernpaar noch nie gesehen hatte. Wie zwei hellblaue Saphire strahlten sie das Paar an. Ihre Wangen waren gerötet wie zwei reife Äpfel und aus ihrem Kirschmund erklang ein liebliches Lachen.
Die junge Frau seufzte und blickte ihren Mann sanft an.
"Wir behalten das Kind und ziehen es auf als wäre es unser Eigenes.", sagte sie.
"Wir nennen sie Saphira, denn das ist ein schöner Name für so ein besonderes Mädchen." Das Kind vernahm zum ersten Mal seinen neuen Namen. Müde kuschelte sie sich an Lilja. Dann gähnte sie noch einmal herzhaft, schob den Daumen in ihren kleinen Honigmund und schon war sie in ihren Armen eingeschlafen.

Das Ehepaar hätte sich nicht glücklicher schätzen können, denn Saphira brachte ihnen viel Glück und Segen ins Haus. Die Äcker und Felder des Bauern gediehen, das Vieh war gesund und vermehrte sich prächtig. Die kleine Familie lebte in Harmonie miteinander. Bald lernte das kleine Mädchen laufen und sprechen. Ihre Eltern wunderten sich nicht als sie sich mit dem Hauskater Maurice befreundete und mit ihm stundenlange Gespräche führte. Saphira erklärte ihnen, dass sie mit den Tieren sprechen könne. Juuso und Lilja dachten sich nichts dabei. Es gab merkwürdigere Dinge. Das Mädchen hatte eine so liebliche und schöne Stimme, dass sein Klang die Herzen erwärmte und alle Leute im Dorf mochten sie sehr. Sie war zu Mensch und Tier stets liebevoll und gut.

Die Jahre vergingen wie im Nu. Saphira wurde größer und von Tag zu Tag schöner. Sie besaß ein anmutiges Wesen und ihr langes seidiges Haar glänzte in der Sonne beinahe wie Silber. Sie half ihren Eltern im Haus, kochte, nähte und kümmerte sich um die Tiere. In ihrer Nähe befand sich stets der Kater Maurice. An jeden freien Sonntagnachmittag begaben sich die Beiden in den Wald. Saphira liebte die Natur und hatte sich mit allen Waldbewohnern angefreundet. Im Sommer spielte sie mit dem kleinen Eichhörnchen. Im Winter, wenn sie durch den schneebedeckten Waldboden wanderte, war es der zahme Rabe, der sie mit seiner krächzenden Stimme immer über die neuesten Ereignisse und Geschehnisse im Wald unterhielt. Ihre Eltern erlaubten ihr diese Besuche. Jedoch durfte sie nicht zu weit in den Wald hinein gehen. Sie warnten das Mädchen vor wilden Tieren und Räubern. Der Sommer wich dem Herbst und bald hielt der Winter wieder Einzug in das Land. Saphira liebte den Winter sehr. In dieser Jahreszeit hatte sie Geburtstag und freute sich immer darauf. Ihre Mutter schenkte ihr in diesem Jahr ein neues weißes Winterkleid. Es war aus einem dichten edlen Stoff gewebt mit vielen Stickereien und fiel ihr bis an die Knöchel. Dazu bekam sie passende flauschige Fellstiefel und einen ebensolchen dicken Mantel. Saphira sah bezaubernd aus in ihren neuen hellen Wintersachen, so dass sie es an ihrem Geburtstag nicht lange in der warmen Stube bei den Eltern aushielt und ihren Freunden aus dem Wald einen Besuch abstatten wollte. Den Kater nahm sie natürlich mit.

Es war ein herrlicher Tag und die Sonne schickte ihre Strahlen auf die weiße Landschaft, so dass der Schnee glitzerte als wäre er mit tausenden Diamanten überzogen. Verzaubert von seinem Anblick stapfte das Mädchen träumend durch den Winterwald. Auf den hohen Baumkronen befanden sich kleine weiße Häubchen und die dicken Tannen hatten sich weite Kleider übergezogen. Am Rand des kleinen Baches hatten sich vereiste und glitzernde Figuren gebildet. Auch Maurice, der Kater mit dem schwarzen Samtfell, liebte den Schnee sehr. Er sprang verspielt vor Saphira herum und sie wanderten immer weiter in den Wald hinein und vergaßen dabei die Zeit. Bald hatte es wieder zu schneien begonnen. Zuerst waren es nur wenige Flocken, welche langsam vom Himmel fielen. Saphira staunte wieder einmal über die Schönheit eines einzelnen Schneekristalls. Wie Federn schwebten große dicke Flocken herab und das Mädchen und der Kater freuten sich über die weiße Pracht. Doch dann kamen immer mehr Flocken herabgeschneit und der Himmel verdunkelte sich. Maurice drängte das Mädchen heim zu kehren. Doch es war bereits zu spät. Der Wind peitschte den Beiden dichten Schnee und Kälte entgegen und der Heimweg war nicht mehr zu sehen. So irrten sie stundenlang umher, immer tiefer in den Wald hinein, bis die Nacht herein brach. Saphira trug den Kater, welcher bereits erschöpft und müde war, auf ihren Armen und lief unbeirrt weiter. Das Schneegestöber hatte mit einem Mal aufgehört und der Mond schien nun zwischen den Ästen hindurch. Plötzlich waren Geräusche zu hören, welche immer näher kamen. Saphira war gerade an einer großen Lichtung angekommen und blickte sich ängstlich um. Es knackte und krachte im Unterholz und vier Gestalten kamen aus ihm hervor. Dunkel und bedrohlich kamen sie dem Mädchen immer näher. Eine der Gestalten zündete eine Fackel an, so dass sich die Umgebung erhellte. Es waren vier Räuber, die das Mädchen und den Kater nun umstellt hatten und ihr immer näher kamen.

"Was macht so ein junges Ding wie du denn nur allein im Wald?", lachte ein Räuber sie aus. Die Männer hatten lange dichte Bärte und trugen schwarze Hüte auf ihrem Kopf.
"Ich habe keine Angst vor euch!“, rief Saphira ihnen tapfer entgegen. Doch Maurice sprang dem Räuber blitzschnell an und fuhr ihm mit seinen scharfen Krallen übers Gesicht. Der Mann schüttelte den Kater jedoch ab und starrte das Mädchen finster an. Bedrohlich kam er ihr immer näher und als sie das große breite Messer in seiner Hand blitzen sah, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Der Kater war indessen auf einen großen Baum gesprungen und hatte mit einem lauten und wilden Geheul begonnen. Es klang wie ein Hilferuf an alle Bewohner des Waldes. Und dieser sollte auch erhört werden. Plötzlich fegte ein starker Wind über die Lichtung hinweg und löschte die Flamme der Fackel. Ein großer Schatten huschte durch die Bäume. Irritiert blickten sich die Männer im Dunkeln um. Doch sie konnten nichts erkennen. Immer wieder huschte ein großer Schatten an den Männern vorbei und stieß sie kraftvoll an, so dass sie Einer nach dem Anderen in den Schnee fielen. Die Räuber bekamen es mit der Angst zu tun. Nur mühsam rappelten sie sich wieder auf ihre Beine. Dann ertönte mit einem Mal ein tiefes und bedrohliches Knurren aus dem Unterholz. Die Männer nahmen ihre Beine in die Hand und flüchteten in alle Himmelsrichtungen. Auch Saphira hatte bei diesem Schauspiel zu zittern begonnen. Sie konnte sich kaum vom Fleck rühren als der riesige Schatten auf sie zu kam und vor ihr stehen blieb. Wie durch Zauberhand erhellte in diesem Moment der Mond die Lichtung und warf sein blaues Licht auf den glitzernden Schnee. Ein riesiger weißer Wolf war vor dem Mädchen stehen geblieben und roch nun an ihr. Das Tier überragte das Mädchen weit mit seiner Größe. Doch er blickte sie mit seinen silbergrauen Augen liebevoll an. "Ich kenne dich, Mädchen." Seine tiefe Stimme hörte sich seltsam vertraut in ihren Ohren an. "Was machst du hier nur allein mitten in der Nacht?", fragte auch er. Sein Atem bildete kleine Wölkchen als er mit ihr sprach.

"Ich habe mich verirrt und finde meinen Heimweg nicht mehr." Zaghaft ging sie einen Schritt auf den Wolf zu. "Ich möchte dir danken. Du hast mein Leben gerettet und ich bin dir nun etwas schuldig." Der große Wolf beugte sich vor ihr herab. "Mein Name ist Aidan. Steig auf meinen Rücken und halt dich gut fest.", forderte er sie auf. "Ich bring dich heim." Auch der Kater Maurice bekam einen Platz auf dem breiten Wolfsrücken. In Windeseile brachte Aidan die Beiden bis zum Waldrand. Das Mädchen kletterte wieder runter und bedankte sich herzlich bei dem Wolf. "Werden wir uns wieder sehen?" Fragend blickte sie ihn mit ihren saphirblauen Augen an. "Komm Sonntag zur großen Eiche. Ich warte dort auf dich." Mit einem großen Satz war das Tier auch schon wieder im Wald verschwunden. Als Saphira dann mitten in der Nacht bei ihren Eltern wieder auftauchte, war die Freude sehr groß. Juuso und Lilja hatten sich große Sorgen gemacht und erneut warnten sie das Mädchen nicht zu tief in den Wald hinein zu gehen. Von dem Erlebnis auf der Lichtung erzählte Saphira ihnen nichts. Ihre Eltern sollten sich keine Sorgen machen.

So kam es, dass sich der Saphira und Kater Maurice jeden Sonntagmittag zur großen Eiche begaben an welcher der weiße Wolf Aidan mit den silbergrauen Augen auf sie wartete. Der Kater freundete sich sehr schnell mit ihm an und zu dritt wanderten sie durch den Winterwald. Der Wolf zeigte ihnen Orte, die so tief im Walde verborgen lagen, dass vor ihnen noch kein Mensch sie betreten hatte. Saphira und Maurice durften auf ihren Reisen auf seinem starken Rücken Platz nehmen. Das Mädchen kuschelte sich dann fest an das weiche warme Fell des Tieres. Aidan berichtete ihnen von seiner Heimat einem entfernten Land in dem immer Winter herrschte. Saphira war von seinen Erzählungen ganz verzaubert und plötzlich erfasste sie eine tiefe Sehnsucht. Auch Saphira erzählte den Wolf aus ihrem Leben und von ihren geliebten Eltern, die sie als kleines Kind im Wald gefunden hatten und obwohl sie ein Findelkind war, aufgezogen hatten. Sie gewann Aidan sehr lieb als sich der Winter dem Ende neigte. Es hatte sich in den gemeinsamen Winterwochen ein zartes Band der Freundschaft zwischen ihnen geknüpft. Und dann wartete sie eines Tages vergebens auf ihn. Er erschien an diesem Tag und auch an den darauf folgenden Tagen nicht an der großen Eiche. Betrübt grübelte Saphira nachts in ihrem Bett, warum ihr Wolf ohne einen Abschied von ihr gegangen war. Er hatte ihr nie erklärt, woher er wusste wer sie war. Saphira wollte schon immer heraus finden, woher sie kam. Sie hatte es jedoch nie über ihr Herz gebracht, ihre Eltern zu verlassen denn sie hatte Juuso und Lilja sehr lieb. "Maurice.", sprach sie mitten in der Nacht zu den Kater. "Wir werden eine lange Reise unternehmen." Sie berichtete ihm von ihrem Vorhaben. Davon war der Kater nun ganz und gar nicht begeistert. "Du wirst doch nicht allein durch die vielen Länder reisen, um nach Aidan zu suchen?" Besorgt blickte er sie mit seinen grünen Katzenaugen an. Doch Saphira ließ sich nicht beirren. Sie packte sich ein wenig Brot in ihr kleines Bündel, zog sich ihre dicken Wintersachen über und begab sich im Morgengrauen auf ihren Weg. Zögernd blieb sie am Waldrand stehen und blickte auf das kleine Bauernhäuschen zurück. Ihre Eltern schliefen noch und wussten nicht, dass sich ihre Tochter auf eine lange unbekannte Reise begab. Doch Saphira wusste, dass sie beide wieder sehen würde. Also machte sie sich mit Maurice auf den Weg.

Es wurde bereits Frühling und durch die Schneedecke reckten bereits ein paar Schneeglöckchen ihre Köpfchen in die Höhe. Noch war es winterlich weiß im Wald, doch bald würde der Schnee tauen. So wanderten Saphira und ihr Kater immer tiefer in den Wald hinein. Als erstes trafen sie auf ein kleines Häschen, welches an ihnen eilig vorbei hoppeln wollte. Doch der Kater hielt es an und Saphira fragte: "Liebes Häschen. Bitte sag mir, hast du meinen Wolf gesehen und weißt du vielleicht in welchem Land er wohnt?" Dem Häschen zitterten die kleinen Öhrchen: "Einen Wolf? In unserem Wald? Nein, den hab ich nicht gesehen." Ängstlich hüpfte es schnell weiter. Saphira und der Kater blickten einander an und weiter ging ihre Reise. Es war bereits Mittag und die Sonne stand hoch am Horizont als sie einem Fuchs begegneten. Auch ihn fragte das Mädchen: "Lieber Fuchs. Hast du vielleicht meinen Wolf gesehen?" Doch der Fuchs antwortete: "Es tut mir sehr leid. Ich habe ihn leider nicht gesehen." Und so liefen das Mädchen und ihr Kater weiter und tiefer in den Wald hinein. In der Abenddämmerung als die Sonne ihre violetten Strahlen auf den Schnee warf und die Landschaft in ein rotes Farbenspiel hüllte, begegneten sie einem stattlichen Hirsch, welcher gerade an den ersten frischen Knospen eines Baumes knabberte. Auch ihn fragte Saphira. "Lieber Hirsch. Hast du meinen Wolf gesehen und weißt du in welchem Land er wohnt?" Der Hirsch blickte sie mit seinen braunen Augen an. "Ich kenne deinen Wolf, Saphira.", sprach er zu ihr und das Herz des Mädchens machte einen freudigen Ruck. "Doch er lebt im weit entfernten Reich des ewigen Winters. Wenn du es wünscht, dann werde ich dich dorthin bringen." Dankbar nahm das Mädchen das Angebot des Hirsches an. "Wir haben eine lange Reise vor uns. Setzt euch auf meinen Rücken und haltet euch gut fest.", forderte er Saphira und den Kater auf.

Leichtfüßig und schnell sprang der Hirsch nun durch den Wald. Er schien den Boden kaum zu berühren und flog beinahe über ihn hinweg. Die Tage und Nächte vergingen. Sie durchquerten den Wald und erreichten bald ein Land in dem es immer Frühling war. Das Mädchen zog sich ihren dicken Fellmantel und die warmen Stiefel aus, da ihre Kleider viel zu warm für den Frühling waren. Sie trug jetzt nur noch ihr schönes mit vielen Stickereien versehenes Kleid am Körper. Saphira und der Kater bestaunten die immergrünen Wiesen mit den schönsten bunten Blumen die sie je gesehen hatten. Die Luft war erfüllt mit einem Summen und Brummen fleißiger Bienchen und eine warme Brise wehte ihnen den süßen Duft junger Frühlingsblumen in die Nase. Bald erreichten sie das Land des Sommers. Hell und warm sendete die Sonne ihre Strahlen auf die Reisenden und das Mädchen musste sich auch ihr Kleid ausziehen. Nun war sie nur noch in einem leichten Hemd gekleidet. Sie kamen an tiefblauen Seen und plätschernden Bächen mit schillernden Fischen vorbei bis sie schließlich durch das Land des Herbstes reisten. Die Blätter der Bäume leuchteten in warmen roten, braunen und gelben Farbtönen durch das weite Land und in den Wäldern roch es nach frischen Pilzen. Immer weiter ging die große Reise bis es nach und nach wieder kälter wurde und Saphira sich ihr schönes Kleid und die flauschigen Fellstiefel mit dem passenden warmen Mantel wieder überziehen musste. Es hatte auch zu schneien begonnen und die saftigen grünen Wiesen und Berge verschwanden unter einer zarten Schneeschicht. Die kleine Gruppe erreichte das Reich des ewigen Winters. Das Gebiet des großen Reiches, welchen sie nun betraten, nannte sich Eisland.

"Wir sind bald an unserem Ziel!", munterte der Hirsch Saphira auf. Behänd sprang er über die verschneiten Felder. Sie kamen an Dörfern vorbei, deren Häuser ganz aus Schnee erbaut waren. Saphira bestaunte die Schönheit dieses Landes und ihr wurde ganz warm ums Herz. Sie hatte das Gefühl als wäre sie schon einmal hier gewesen, doch das konnte nicht sein. Oder etwa doch? Die Reise ging weiter und führte immer tiefer in das Landesinnere. Sie kamen an Gebirgen aus puren Eis vorbei. Die vielen Seen und Flüsse waren gefroren und warfen in der Wintersonne ein hellblaues Licht über die verschneite Landschaft. Es war später Nachmittag als die Reisenden in weiter Ferne ein großes helles Funkeln erblickten. Je näher sie dem Licht kamen, umso heller wurde es. Saphira musste sich die Hände vor ihren Augen halten, da es sie so sehr blendete. Die Sonne ging bereits unter und färbte den Himmel in ein rot violettes Licht als sie ein wunderschönes großes Schloss mit spitzen Türmen aus Schnee und Eis erreichten. Die untergehende Abendsonne ließ das Schloss wie einen roten Rubin erstrahlen. Sprachlos kamen Saphira und ihre Freunden an zwei gigantischen Toren mit langen Eiszapfen an, welche sich öffneten als sie näher an ihnen heran traten. Vor ihnen lag ein glitzernder Weg gesäumt mit strahlend blauen Eisskulpturen. Dieser führte bis zur großen Eingangstür des Schlosses. Ein höflicher Lakai in einer blau weißen Livree gewandet, ließ die Gäste ein und führte sie in einen prächtigen Saal. Auch wenn es im Reich des ewigen Winters sehr kalt war, so war es im Inneren des Palastes angenehm warm und Saphira musste ihren dicken Wintermantel ausziehen. Auch hier schien alles aus Schnee und Eis zu bestehen. Als Saphira zaghaft einen Eiszapfen berührte, war dieser jedoch nicht wie erwartet eiskalt. Das Mädchen war begeistert von der Schönheit des Schlosses. Noch nie hatte sie derart geheimnisvolle Gebilde und strahlende Kristalle wie hier gesehen. Sie war mit ihren Freunden, dem Kater Maurice und dem Hirsch, in eine geheimnisvolle Welt eingetaucht und spürte, dass es noch mehr Überraschungen zu erleben gab. Ihre strahlend blauen Augen glänzten und ihr roter Mund hatte sich leicht geöffnet. Sie bestaunte den großen Raum in dem sie sich nun befanden. An den Wänden glitzerten hellblaue Eisblumen und an der hohen Decke befanden sich große Kristallleuchter. Am meisten faszinierte Saphira jedoch der Fußboden. Unter einer glasklaren Eisschicht befand sich ein See, in welchem sich Goldfischchen tummelten. Zaghaft betrat Saphira die Eisfläche, stellte dann jedoch fest, dass sie sicher über den Boden laufen konnte.

„Herzlich Willkommen in Eisland!" Laut und kraftvoll erklang eine männliche Stimme hinter Saphira. Erschrocken wirbelte das Mädchen herum und erblickte am anderen Ende des Saales eine große Treppen auf dessen Stufen ein junger Mann stand. Er strahlte ihr entgegen und kam direkt auf die kleine Gruppe zu. Saphira war beeindruckt von seiner Erscheinung. Er war in einem prächtigen goldbestickten Mantel, welcher ihm bis an die Knie reichte, gekleidet. Dazu trug er dunkle enge Hosen sowie schwarze Stiefel. Der junge Mann blieb vor Saphira stehen und verneigte sich höflich. „Willkommen Saphira!", sagte er noch einmal freundlich und lächelte sie an. „Vielen Dank.", antwortete sie und machte einen Knicks. „Sag mir bitte, woher kennst du meinen Namen?" Irritiert blinzelte sie an den dunkelhaarigen Mann hoch und blickte in seine Augen. Sie waren silbergrau und zwinkerten sie vergnügt an. „Erkennst du mich denn nicht, Saphira?" Ein sanftes Lächeln machte sich auf seinen schönen Gesichtzügen breit. Dem Mädchen blieb das Herz beinahe stehen als sie erkannte wer vor ihr stand. Diese Augen hatte sie in ihrem ganzen jungen Leben nur einmal gesehen. „Aidan!", rief sie aus und presste ihre Hände an ihre Wangen. „Du bist ein Mensch?" Saphira verstand die Welt nicht mehr. Was war er nur? Ein Mensch oder ein Wolf? Aidan umfasste ihre zarten Hände und antwortete: „Ich bin ein Mensch, aber auch ein Wolf. Meine Familie und alle meinen Untertanen im Reich des ewigen Winters sind Gestaltenwandler, doch wir halten uns nur in unserer Heimat auf." Als Saphira diese Neuigkeit erfuhr, staunte sie ihn mit offenem Mund an. „Hast du dich jemals gefragt wer deine Eltern sind?" Das Mädchen nickte ihn mit großen Augen. Der junge Prinz kam ihr seltsam vertraut und doch fremd vor. Sie spürte seid ihrer Begegnung im Nordland ein zartes Band zwischen ihnen. Aidan sprach weiter: „Deine Eltern sind der König und die Königin von Schneeland. Es liegt direkt neben Eisland und gehört ebenso zum Reich des ewigen Winters. Daher leben auch dort Gestaltenwandler. An deinem ersten Geburtstag wurde ein großes Fest gehalten. Alle Bewohner von Eisland und Schneeland kamen zusammen, um deinen Eltern und dir ihre Ehre zu erweisen. An jenem unglückseligen Tag war eine kleine Gruppe reisender Zigeuner auf dem Fest aufgetaucht. Eine alte Frau Zigeunerin war an dich heran getreten und bewunderte deine außergewöhnlichen Augen. An diesem Abend noch verschwanden die Leute und mit ihnen warst auch du verschwunden. Boten und Gesandte wurden in alle Himmelsrichtungen entsandt, um dich zu finden. Doch von dir und den Zigeunern war jede Spur verloren. Doch wir haben nie die Hoffnung aufgegeben dich wieder zu finden. Ich begab mich vor einigen Wochen erneut auf die Suche und es war ein glücklicher Zufall, als ich dich endlich gefunden hatte. Meine liebste Saphira. Ich hätte dich gern mit heim genommen, aber ich sah wie glücklich du in deiner neuen Heimat warst und brachte es nicht über mein Herz." Die Wangen des Mädchens röteten sich bei seinen Worten. Ihr kleines Herzchen hüpfte vor Freude. "Ich bin so froh, dass du die lange Reise auf dich genommen hast und nun endlich bei mir bist."

Mit diesen Worten nahm er sie in seine starken Arme. Saphira schmiegte sich an ihn und als sie zu ihm aufblickte, lächelte er liebevoll. Er strich ihr eine ihrer silbernen Strähnen aus ihrem lieblichen Gesicht und küsste sie sanft. Das Mädchen war überglücklich, denn sie hatte ihren geliebten Wolf wieder gefunden. "Ich entsende sofort einen Gesandten nach Schneeland. Deine Eltern werden sich sehr freuen, wenn sie die frohe Botschaft deiner Heimkehr erhalten. Selbstverständlich laden wir deine Eltern Juuso und Lilja und all deine Freunde aus Nordland ein. Und dann halten wir Hochzeit!" Freudentränen füllten die saphirblauen Augen des Mädchens und liefen über ihre rosigen Wangen. Der Kater Maurice schlug vor Begeisterung Purzelbäume. Auch der Hirsch strahlte das junge Paar aus seinen braunen Augen an. Im ganzen Reich des ewigen Winters wurde die frohe Botschaft verkündet, dass Prinz Aidan und seine Prinzessin Saphira Hochzeit feierten. Als das Königspaar aus Schneeland ihr Töchterchen zum ersten Mal nach vielen Jahren in die Arme schloss, war die Freude groß. Als das Königspaar Saphiras Zieheltern Juuso und Lilja kennen lernte, freundeten sie sich miteinander an und beschlossen sich mindestens einmal im Jahr gegenseitig zu besuchen.

An einem schönen und sonnigen Wintertag, es war der Tag an Saphiras achtzehnten Geburtstag, fand das prunkvolle Hochzeitsfest im Ballsaal des Schlosses statt. Ein paar Schäfchenwolken zogen über das blaue Himmelszelt und ließen sanft einige Schneeflocken auf das Hochzeitspaar herabschweben. Prinzessin Saphira trug ein wunderschönes weißes Hochzeitskleid welches mit feinen goldenen Fäden durchwirkt war und in der Sonne herrlich funkelte und glitzerte. Auf ihrem Kopf befand sich ein zierliches Krönchen. Auch der Prinz trug einen kostbaren goldgewebten Mantel und feine glänzende Stiefel. Die Gäste hatten sich festlich heraus geputzt und waren vergnügt. Als das königliche Paar in einem großen Schlitten von vier prächtigen Schimmeln gezogen vor dem Schloss vorfuhr, riefen sie ganz laut: „Hurra! Hurra! Unser Königspaar ist da!“
Es wurde getanzt, gelacht und gefeiert. Und jedermann im ganzen Reich war glücklich.
In jener Nacht erschienen leuchtende und farbenfrohe Nordlichter am Abendhimmel. Um Mitternacht, als sich das Brautpaar in seine Gemächer zurück gezogen hatte, verwandelte sich Saphira zum ersten Mal in ihrem Leben in eine wunderschöne Wölfin.

Wer sich zur Winterszeit zu tief in die Wälder von Nordland vorwagte oder gar verirrte, konnte einem stattlichen Wolfspaar begegnen. Eines lieben Tages gesellte sich zu dem königlichen Paar ein kleines süßes Wolfskindlein hinzu. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden




Impressum

Bildmaterialien: Bilder über iPhone appstore
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte mich bei meiner Familie, meinen Freunden und meinen lieben Bookrixlesern bedanken, die mich unterstützt haben. Es hat mir großen Spaß und viel Freude bereitet, dieses bezauberndes Wintermärchen zu verfassen.

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