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Die Blutbraut


Eisige Kälte schlug der jungen Frau ins Gesicht. Hart und Erbarmungslos peitsche ihr der Wind entgegen. Nur ein Gedanke hämmerte tief in ihrem Inneren.
‚Lauf Alyssa, so schnell du kannst.’
So erkannte sie viel zu spät, dass sich vor ihr eine vereiste Fläche auftat. Einige Schritte weiter, verlor sie schon ihr Gleichgewicht. Ihre Beine schwebten sekundenlang in der Luft und sie ruderte wie wild mit ihren Armen. Nur einen Atemzug später schlug sie mit ihren Knien und Händen auf den harten Boden auf.
„Merde!“, schrie sie in die Nacht.
Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihren schlanken Körper. Tränen traten ihr in die Augen. Doch sie hatte keine Zeit zu verlieren und sprang sofort wieder auf die Beine. Ein kurzes Straucheln und schon rannte sie weiter.
Sie musste schnell ein Versteck finden. Eins, wo SIE sie nicht finden konnten. Ihre Beine flogen über den glatten Asphalt. Ihre Lungen brannten und in ihrem Kopf dröhnten ihre eigenen Gedanken.
‚Lauf, Alyssa! Lauf!’
Ohne Rücksicht jagten SIE pfeilschnell hinter ihr her.
Wie SIE es einmal mehr geschafft hatten, sie zu finden, war ihr unbegreiflich. Doch sie konnte SIE spüren. Sie konnte SIE beinahe riechen. Es war ihr eigener ausgeprägter Sinn, der ihr immer wieder zur Flucht verhalf. Ohne diesen wäre sie längst in IHRE Fänge geraten. Warum sie IHRE Nähe jedes Mal wahrnahm, wusste sie nicht. Es war ihr einziger Vorteil zum Überleben. Immer wieder wurde sie von IHNEN gejagt. Egal wo sie Unterschlupf suchte. Egal in welcher Stadt sie sich befand.
So war es auch an diesem Abend geschehen, als sich während ihrer Schicht ihre Nackenhaare aufstellten und signalisierten, dass Gefahr in der Luft lag. Alyssa rannte wieder einmal durch die kalte New Yorker Nacht. Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Nur jahrelanges hartes Training kam ihr in diesen Augenblicken zu Gute. SIE durften sie nicht in Ihre Hände bekommen. Sonst war sie verloren. Was danach kam, konnte sie nur ahnen und bei diesen Gedanken erfasste sie immer wieder ein tiefes Grauen. Doch darauf ließ sie es sicherlich nicht ankommen. Sie war IHNEN immer eine Armeslänge voraus. So versuchte Alyssa auch in dieser jämmerlichen und vereisten Nacht IHNEN zu entwischen.
Sie rannte durch die Straßen und spürte bereits wie Nahe ihre Verfolger ihr bereits kamen. Viel zu Nah. Näher als sie es jemals geschafft hatten. Angst und Panik erfasste die junge Frau. Wenn sie nicht bald ein gutes Versteck finden würde, wäre sie IHNEN ausgeliefert und SIE könnten mit ihr machen, was SIE wollten. Was auch immer SIE dann mit ihr taten. Alyssa biss ihre Zähne aufeinander und hastete weiter durch die dunklen Gassen. Ihre Lungen pumpten immer wieder die eisige Luft in ihren Körper, doch sie spürte die Kälte nicht mehr. Sie wollte nur noch weg. Raus aus diesem Alptraum.
Doch nur einen Moment später fühlte sie einen leichten Stromschlag. Es tat nicht weh, doch er signalisierte die große Gefahr in der sie sich nun befand.
Ihre Verfolger hatten sie erreicht. In diesem Augenblick, als sie voller Hektik unkonzentriert sich in den Gassen von Big Apple verloren hatte und einmal weniger wusste wo sie sich befand, würde sie ihrem Feind zum ersten Mal gegenüber stehen.
Sie konnte gerade noch erkennen, dass sich nur wenige Meter vor ihr eine Hauptstraße befand, als sie auch schon herum wirbelte, um ihren Verfolgern entgegenzutreten. Ihr Atem ging stoßweise als sie zwei große schwarze Gestalten im Schatten ausmachen konnte, welche auf sie zuflogen.
Innerhalb weniger Sekunden waren sie bei ihr.

Alyssa duckte sich, machte einen Ausfallschritt zur Seite und rammte dem Ersten ihr Knie in dessen Weichteile. Der Schatten krümmte sich zusammen und stöhnte laut auf. Sie rollte sich sofort ab und trat dem zweiten Schatten auch schon mit einem kräftigen Tritt in den Bauch. Auch hier war ein schmerzvolles Stöhnen zu hören. Die Beiden hatten einen Angriff nicht erwartet und ließen im ersten Moment von ihr ab. Genau diesen Überraschungseffekt nutzte die junge Frau. Ihr rauschte das Blut in den Ohren. Wie eine Katze sprang sie auf ihre Beine und rannte der belebten Hauptstrasse entgegen.
Nur um nur einen Moment später gepackt zu werden. Große, feste Arme legten sich wie Schraubstöcke um ihren Oberkörper und machten ihr beinahe jede Hoffnung auf einen guten Ausgang in dieser Nacht zunichte.
„Du hast keine Chance gegen uns!“, raunte ihr eine männliche tiefe Stimme ins Ohr. Nicht unfreundlich, jedoch bestimmend.
Doch sie würde sich IHNEN nicht kampflos ergeben. Niemals! Der Wille zu leben, war stärker als jegliche Angst und Panik vor IHNEN.
Sie begann laut zu schreien.
„Hilfeeee…“
Als Antwort legte sich eine große Hand um ihren Mund.
„Bleib still, Mädchen.“, brummte die Stimme erneut.
Doch sie dachte gar nicht erst daran. Sie biss IHM fest und ohne Gnade in die Hand, so dass sich die Arme um ihren Körper lockerten. Sie schmeckte Blut an ihren Lippen, doch das störte sie nicht weiter. Im nächsten Augenblick stieß sie ihren Ellenbogen in seine Eingeweide. Der Schatten keuchte auf und schon war frei. Weiter ging ihre Flucht. Doch sie kam nur wenige Schritte, als sie herum gerissen wurde. Sie erwartete einen Schlag, doch der blieb aus. Stattdessen hielten sie wieder zwei Hände des anderen Verfolgers fest.
Ein großer, schwarz gekleideter Hüne stand vor ihr. Die junge Frau war erstaunt darüber einen Menschen und keinen Dämon vor sich zu stehen zu haben. Trotz allem funkelte sie ihn böse an.
„Du wirst ein braves Mädchen sein und jetzt endlich mit uns kommen!“, befahl ihr der Mann. Er beugte sich zu ihr hinunter und blickte ihr weiterhin grimmig ins Gesicht. Unterdrückte Wut breitete sich in Alyssa aus. Was dachten die Typen denn, dass sie ihnen klein bei geben und einfach folgen würde? Niemals würde sie es soweit kommen lassen. Auch wenn sie nun wusste, dass ihre Verfolger Menschen waren. Wenn SIE sie erst einmal hatten, dann war es aus und vorbei mit ihrer Freiheit.
„Niemals!“, schrie sie den Mann an, welcher immer noch in gebeugter Haltung vor ihr stand.
Blitzschnell holte sie mit ihrem Kopf Anlauf. Ihr Schädel traf mit aller Wucht ins Gesicht des Mannes, welcher sie jäh unter lautem Fluchen los ließ. Trotz ihres nun brummenden Kopfes stieß sich Alyssa vom Asphalt ab und rannte in Windeseile auf die belebte Ecke New Yorks zu.
„Du schaffst das!“, munterte sie sich selbst auf. Doch eine wahnsinnige Angst hatte ihren Körper erfasst. Aufgrund des kurzen Kampfes mit den beiden Männern hatte sich die Panik davor von IHNEN gefasst zu werden wie ein Gift in ihr ausgebreitet. Sie durfte sich nun keine weiteren Fehler erlauben.
Sie sprang gerade noch vor ein Taxi, als dieses gerade los fahren wollte. Der Fahrer hupte erschrocken und fuchtelte wie wild mit den Händen in der Luft. Doch das störte sie nicht. Sie sprang einfach ins Wageninnere.
„Fahren Sie los, Mann. Schnell!“, brüllte sie ihm entgegen.
Sie streckte ihm einen Zwanziger in die Hände und schon ließ der Typ die Reifen quietschen. Zitternd sackte Alyssa auf dem Sitz zusammen.
„Geschafft!“, murmelte sie vor sich her.
Sie drehte sich um und starrte auf die sich immer weiter entfernende Seitegasse. Als sie sah, dass ihr niemand folgte, atmete sie erleichtert aus.
„Wohin soll es denn gehen?“, fragte der Taxifahrer und blickte ihr aus seinem Rückspiegel mitleidig entgegen. Wahrscheinlich waren ihm schon oft junge Frauen vors Auto gelaufen und wollten schnell irgendwo hin oder wie in ihrem Falle, nur noch weg.
„Egal, fahren sie einfach.“
Sie musste nachdenken und brauchte einige Minuten zum verschnaufen. In ihre derzeitige Wohnung würde sie nicht mehr gehen können. SIE würden sicherlich wissen, wo sie sich befand. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Nachdem sich eine kurze Erleichterung breit gemacht hatte, schossen ihr auch schon die Tränen in die Augen und liefen ihr übers Gesicht. Wann würden SIE sie endlich in Ruhe lassen?

Währenddessen, standen in einer schmalen Seitenstrasse zwei schwarz gekleidete Männer. Der Kleinere hielt sich seine blutende Hand, den Anderen lief das Blut fast literweise aus der gebrochenen Nase. Damit hatten sie wirklich nicht gerechnet. Die junge Frau hatte sich heftig gewehrt. Ihr Boss würde wieder einmal unzufrieden mit ihnen sein. Doch nun wussten sie, dass sie beim nächsten Mal, besser aufpassen mussten.
„Hast du so was jemals erlebt, Alex?“, fragte der Hüne ungläubig seinen Begleiter. Der schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. Sie konnten es beide nicht fassen. So Nahe waren sie ihr noch nie gewesen. Nach wochenlanger Suche hatten SIE sie endlich gefunden und nun war sie schon wieder in der Nacht verschwunden.
„Das gibt Ärger!“, stellte der Hüne fest.
Die beiden Männer machten sich mit einem beschämenden Gefühl der Niederlage auf dem Heimweg.


1 Stunde zuvor:

Die laute Musik der Bar dröhnte hinaus in die New Yorker Nacht als Alyssa die Hintertür öffnete. Sie sog die kalte Luft in ihre Lungen und atmete sie genüsslich ein und aus. Dann zündete sie sich eine Zigarette an und blies den Rauch hinaus in die Dunkelheit. Es war Mitte Januar, dementsprechend eisig war auch das Wetter. Am hellen Tag, als sie von ihrer langen Schicht die Nacht davor geschlafen hatte, hatte es wieder einmal zu schneien begonnen, so dass sich eine feine Schicht des weißen Pulvers über Straßen, Häuser und Dächer gelegt hatte. Der Schnee strahlte eine scheinbare Ruhe und Idylle aus. Doch die Straßen der Stadt waren auch an diesem Wochenende sehr belebt und der Club in dem sie arbeitete, war wie immer überfüllt. Die junge Frau wollte sich nur eine kurze Pause gönnen, bevor sie sich wieder an die Bar und zur ihrer Arbeit begab.
Ihr dunkles, gelocktes Haar hatte sie mit einer Spange noch oben gesteckt, doch immer wieder fiel ihr eine Strähne ins Gesicht. Sie hatte sich immer gewünscht nicht aufzufallen, doch ihre Erscheinung war alles andere als unscheinbar. Sie hatte einen großen roten und sinnlich geschwungenen Schmollmund. Er zog die Männer scharenweise an. Ihre reine, glatte Gesichtshaut war ohne jeden Makel. Jedes Modell wäre neidisch darauf. Kein Muttermal, kein Pickel befleckte ihr Antlitz. Doch ihre grünen Augen waren das wohl Beeindruckendste an ihr. Groß, mit dichten langen Wimpern umrandet, waren sie der Hingucker schlechthin. Dabei kleidete sich Alyssa so schlicht wie möglich und schminkte sich auch nicht. Sie war mittelgroß und gertenschlank. Unter ihrer Kleidung konnte man jedoch kaum erkennen, wie sportlich und gut trainiert sie war.
So wurde sie immer wieder von jungen Männern angesprochen, die sich zu der dunkelhaarigen Schönheit hingezogen fühlten. Es gab einige, die sich immer wieder mit ihr verabreden wollten. Um sie wieder los zu werden, hatte sie sich einfach einen schlichten, goldenen Ring auf den rechten Finger geschoben und gab an mit einem Bodyguard verheiratet zu sein. Wer sich auch davon nicht abschrecken ließ, erhielt von ihr einen bösen Blick. Spätestens wenn der Türsteher auf der Bildfläche erschien, hatte sie ihre Ruhe. Meist jedenfalls.
Der weiße Rauch ihrer Zigarette verlor sich in der dunklen Nacht. Gedankenverloren genoss Alyssa die Stille. Doch dann wurde die Hintertür abrupt geöffnet. Ihre Kollegin steckte ihren Kopf durch die Tür.
„Hier bist du ja. Ich brauch dich dringend an der Bar. Susan ist wie immer zu spät dran. Ich schaff es nicht mehr allein.“
Schon war sie wieder verschwunden. Bedauernd, aufgrund der kurzen Pause, trat Alyssa die Zigarette aus und schlüpfte wieder in den Flur. Die Musik, die im Club gespielt wurde, war genau nach ihrem Geschmack. Eine gute Mischung aus House und Pop. Sie trug wie jeden Abend eine schwarze Röhrenjeans und ein dunkles kurzärmeliges Shirt. An der Bar drängelten sich die Partygäste in Scharen. Auch dies war nichts Neues für sie. Freundlich nahm sie die Bestellung einer grell geschminkten, prallen Blondine mit großer Oberweite entgegen. Natürlich bestellte sich Blondi einen Cosmopolitan. Alyssa wusste nicht, was man so lecker an dem Getränk finden konnte. Sie mixte den Drink professionell hinter der Theke zusammen und überreichte ihn der Dame mit einem Lächeln. Von dieser kam jedoch nicht einmal ein Danke. Die Blondine rümpfte lediglich ihre Nase und drehte sich um. Dann verschwand sie auch schon in ihrem knappen pinken Kleid, welches kaum ihr Gesäß bedeckte, in der Masse. Alyssa zog nur eine Augenbraue hoch und widmete sich dann den anderen Gästen und mixte weiterhin etliche Cocktails zusammen. Aus den Boxen dröhnte House. Die Party ging weiter, die Musik wurde noch eine Spur höher gedreht und die Masse jubelte. Die Angestellten hinter den Theken wippten im Takt mit und auch Alyssa bewegt sich leicht während sie wieder einmal den Shaker schüttelte.
Im nächsten Augenblick fuhr ihr jedoch in sekundenschnelle ein sengender Schmerz in ihren Unterleib. Es fühlte sich an, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gerammt. Sie krümmte sich heftig zusammen und hätte den Shaker beinahe fallen lassen. Ihr lautes Aufstöhnen wurde jedoch vom Bass verschluckt.
So schlimm hatte es sie noch nie getroffen wie an jenem Abend. Als der Schmerz einige Sekunden später nachgelassen hatte, stellte sie sich wieder heftig atmend auf. Sie musste sich am Tisch geradezu fest halten, um nicht erneut das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre Kollegin hatte ihren Zusammenbruch bemerkt und stand nun verängstigt vor ihr und fragte, was sie denn hatte und wie es ihr ging. Jedoch nahm Alyssa sie nur wie durch einen Schleier wahr. Sie hatte sich aufgerichtet und ihre Augen suchten den Raum ab. Kalter Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet und ihre Hände zitterten nervös. Ihre Kollegin packte sie nun an die Schulter und schrie sie an.
„Alyssa, was ist los mit dir. Sag doch etwas, Kind!“
Sie wusste nicht, was mit ihr passiert war und machte sich große Sorgen. Der Nebel riss und Alyssa blickte der Frau vor ihr ins Gesicht.
„Ich muss heim. Sofort!“
Das waren ihre letzten Worte. Angst breitete sich bereits wie ein Gift in ihren Adern aus und lähmte sie für einen kurzen Augenblick. Ihr war jegliches Blut aus dem Gesicht gewichen. Doch nun schoss es mit einem Schwall zurück und hinterließ auf ihren Wangen rote Flecken.
‚SIE haben mich gefunden.’
Das waren Alyssa´s erste Gedanken. Tränen schossen ihr aus den Augen. Sie drängelte sich an ihrer Kollegin vorbei. Zeit für einen Abschied hatte sie nicht. In der Umkleide packte sie ihre Sachen und rannte zur Hintertür.
SIE hatten sie tatsächlich aufgespürt. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und in ihrem Adern rauschte das Blut als sie die Tür öffnete und in die Nacht hinaus ging. Jetzt konnte sie nur noch fliehen. Sich ein Versteck suchen bis zum Morgengrauen. Denn tagsüber hatten SIE sie noch nie gejagt. Immer nur im Schutz der Dunkelheit, in der Nacht.
‚Lauf, Alyssa! Lauf!’
Hämmerte es in ihrem Schädel und schon rannte sie durch die Gassen. Ihre Verfolger waren ihr bereits dicht auf der Spur.


Logan stand auf der Terrasse seines New Yorker Hauses und blickte hinab auf die Lichter der Stadt. Seine Villa befand sich außerhalb des Ortes auf einem großen Hügel. Obwohl es mitten im Januar war und dementsprechend bitterkalt, stand er nur in einer Jeans gekleidet mit freiem Oberkörper im Dunkeln. Es schien so, als würde er die eisigen Temperaturen nicht spüren. Er stand regungslos in der Kälte und starrte in die Nacht. Ungeduldig wartete er auf die Rückkehr seiner Männer. Am frühen Abend war er noch zuversichtlich gewesen, dass sie in dieser Nacht das Mädchen zu ihm bringen würden. Doch nun ebbte das Hochgefühl ab und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack im Mund. Er konnte die negativen Nachrichten bereits spüren. Etwas war gewaltig schief gelaufen, er wusste nur noch nicht woran es dieses Mal gescheitert war. Die Kleine war verdammt pfiffig, aber sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Zu lange schon hatte sie es geschafft, immer wieder im Nichts zu verschwinden. Und zu lange hatte er bei diesem Spiel mitgemacht. Katz und Maus sollte man sie beide nennen. Doch er war die Katze und würde sie nun persönlich aufspüren müssen. Ein lautes Pochen an seiner Tür kündigte seine Männer an.
„Herein!“, rief er laut.
Er hörte wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Schwere Schritte kamen auf ihn zu. Danach war es einen Moment ganz still. Die beiden Männer standen regungslos hinter ihm und wagten es kaum zu sprechen.
„Logan…“, begann Alex zögerlich.
„Wir….“ Weit kam er jedoch nicht. Logan drehte sich zu ihnen um.
„Welche Laus ist euch denn heute wieder über die Leber gelaufen? Ihr werdet es doch schaffen ein kleines Mädchen einzufangen!“
Als er jedoch erblickte, wie zugerichtet die Beiden vor ihm standen, musste er ein Lachen unterdrücken. Erstaunt über ihren Zustand musterte er sie von oben bis unten.
„Hat sich die Kleine einen Bodyguard zugelegt, oder wer hat euch so zugerichtet?“
Amüsiert zuckten seine Mundwinkel.
„Deine Kleine ist eine Wildkatze, Logan. Außerdem wird sie bald 21 und ist kein kleines Mädchen mehr. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich so arg wehrt, geschweige denn uns zusammenschlägt.“, antwortete der Hüne.
„Ihr wollt mir doch nicht vormachen, dass Alyssa euch allein gegenübergetreten ist.“ Entrüstung stand ihm nun im Gesicht geschrieben.
„Doch, leider war es so.“ Alex wurde nun puderrot im Gesicht.
„Sie hat einen auf Bruce Lee gemacht. Keine Ahnung wo sie das gelernt hat?“ Bedauernd zuckte er mit den Schultern. Seine Röte vertiefte sich aufgrund der Niederlage.
Logan war fassungslos. Als er hörte, dass es Alyssa war, die den Kampf aufgenommen hatte, klappte ihm beinahe der Kiefer runter. Allerdings würde er sich vor seinen Leuten niemals so zeigen.
Er nickte ihnen zu und schickte die Beiden zu Mia, damit sie sich um die Verletzungen kümmern konnte. Die junge Ärztin befand sich bereits in fünfter Generation in den Diensten seines Clans. Sie kannte sich mit speziellen Heilmitteln, Pflanzen und Kräutern aus, die sonst nur wenigen Menschen bekannt waren. Ihre Vorfahren hatten ein umfangreiches Wissen angehäuft und diese Erkenntnisse genau dokumentiert. Außerdem war sie bereits als Kind in die Geheimnisse des Heilens eingeweiht worden und hatte eine jahrelange Ausbildung erhalten, so dass sich Logan keine bessere Ärztin wünschen konnte. Da stand er nun, fassungslos aufgrund der aktuellen Ereignisse, immer noch im eisigen Wind auf der Terrasse und versuchte die Dinge zu verstehen. Die Kleine war ihm zuvor gekommen und kannte sich gut darin aus, sich vor ihm und seinen Leuten zu verstecken. Und dann kämpfte sie auch noch wie eine Tigerin mit ihnen. Er atmete tief ein.
Nun würde er sich persönlich um sie kümmern müssen. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Er konnte sie nur in der Nacht, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, einfangen. Doch gerade eben nachts befand er sich bereits zu oft in einem kritischen Zustand und hatte seine Handlungen nur noch schwer unter Kontrolle. Es konnte gut passieren, dass er die Kontrolle verlor, sowie er ihren Geruch aufgenommen hatte. All seine Sinne würden sich nach ihr ausrichten. Und das wäre der Untergang der Kleinen. Wenn er ihr Blut erst roch, wäre sie verloren.
Logan seufzte laut auf.
„Nun dann, packen wir es an bevor der Morgen anbricht.“, sagte er laut zu sich selbst und begab sich von der Terrasse in die gemütliche Wärme seiner Gemächer. Er musste Alyssa finden. Noch in dieser Nacht. Er durchquerte sein großzügig eingerichtetes Appartement und begab sich ins Erdgeschoss. In der Küche seiner Villa mussten sich Alex und Peter, der Hüne, in genau diesem Augenblick aufhalten. Die Beiden hatten nach einer derartigen Jagd wie heute sicher einen gesegneten Appetit und waren meist dabei seinen Kühlschrank zu plündern oder seine Köchin zu bestechen ihnen noch ein deftiges Mahl zuzubereiten. Wie erwartet, lag der Duft von gebratenem Speck und Ei bereits in der Luft als er durch die große Eingangshalle ging. In der Küche angelangt, spielte sich ein selten anzusehendes Schauspiel ab.
Logan musste wieder erwarten grinsen.
Peter, welcher mit seiner Körpergröße von über zwei Metern alle Bewohner des Hauses weit überragte, stand am Herd und rührte in einer Pfanne. Seine Nase war nun mit Pflastern und Mull verbunden. Jedoch schimmerten seine Wangen bereits bläulich. Er hatte sich die weiße Schürze der Köchin umgelegt und pfiff gemütlich vor sich hin. Daneben saß auf einer Eckbank Alex mit grimmigem Gesichtsausdruck und bandagierter Hand. Vor ihm standen auf dem Tisch bereits Teller und Besteck sowie ein großes, frisches Brot bereit.
Als die beiden Männer Logan beim Eintreten bemerkten, grinsten sie ihn gleichzeitig an. Logan schüttelte nur den Kopf.
„Ihr seid wirklich ohne Worte! Wisst ihr das?“
Das Grinsen auf ihren Gesichtern verstärkte sich. Die Schmach über ihre Niederlage war nach einem ausführlichen Gespräch mit Mia, der Ärztin, verflogen. Sie waren erstaunt über die Kämpfernatur ihres Opfers. Doch noch einmal würde sie ihnen nicht entwischen.
„Wir machen diesen Fehler kein zweites Mal, Logan!“, versprach nun Peter.
„Das glaube ich euch.“, antwortete dieser mit einem unergründlichen Lächeln.
„Ich werde sie nun selbst hierher bringen!“
Alex und Peter blickten nun einander erschrocken an.
„Das ist nicht nötig. Wir schaffen das! Außerdem kannst du es kaum verantworten sie allein aufzustöbern. Du weißt doch gar nicht wie du auf sie reagieren wirst!“
Alex schüttelte heftig mit dem Kopf.
Seine Augen waren weit aufgerissen. Er konnte es nicht glauben, dass Logan so leichtsinnig wurde.
„Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Ich werde das Mädchen nun persönlich holen. Das ist mein letztes Wort!“
Er duldete es nicht, dass seine Autorität unterstellt wurde. Er war der Anführer dieses Clans. Auf ihn mussten sie hören und ihn mussten sie auch respektieren.
„Beschreibt mir nun genau wo ihr Alyssa gefunden habt.“, forderte er die Männer mit grimmigen Gesichtsausdruck auf. Er sah wie sie einander stumm anblickten. Sie würden gegen seinen Willen nichts machen und berichteten ihm nun genau, wo ihr kurzer Kampf statt gefunden hatte.
Anschließend machte sich Logan auf den Weg zu dem Club, in dem Alyssa gearbeitet hatte. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. In nur zwei Stunden war Sonnenaufgang. Logan zog seine dunklen Bikerledersachen an und schnappte sich seine neue Yamaha Fazer. In schwarz mattem Design war das Motorrad seine neueste Errungenschaft. Zielsicher und im rasanten Tempo fuhr er durch die New Yorker Straßen. Er hielt nur eine halbe Stunde später in der kleinen Seitenstrasse neben dem Club und stellte sein Motorrad dort ab. An der Hintertür des Clubs angekommen, suchte er im Dunkeln nach irgendwelchen Hinweisen. Er fand einen Zigarettenstummel auf dem Asphalt und schnupperte daran.
Ja, das war ihrer gewesen. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Wie ein Tier schnüffelte er nun in der Luft und bewegte sich dann zu Fuß die Gasse entlang. Mit einem rasanten Tempo, um ein etliches schneller als sich seine Männer und Alyssa bewegt hatten, rannte er nun die Strassen entlang bis er an jene Stelle ankam, an der das Mädchen und seine Männer aufeinander gestoßen waren. Er nahm den Geruch von Adrenalin wahr. Der Eine war Alyssa´s Adrenalin. In dieser Nacht waren seine Leute ihr zum ersten Mal so Nahe gekommen, dass ein Kontakt statt gefunden hatte.
Doch der Kleinen war ein grober Fehler unterlaufen. Ihr Geruch lag in der Luft, fein säuberlich für ihn zu erkennen und zog sich wie ein roter Faden durch die Stadt. Als Logan ihre Fährte aufnahm, beschleunigte sich sein Herzschlag. Das Blut floss schneller als normal durch seine Adern und sein Puls erhöhte sich mit jeder Sekunde. Sein ständiger Durst brachte ihn nun beinahe um den Verstand. Es war Alyssa´s Blut nach welchem ihn nun dürstete. In seiner Vorstellung war sie das süßeste Geschöpf auf Erden. Nur ihr Blut konnte seine Verwandlung zu einem Dämonen aufhalten. Sie war sein heiliger Gral aus dem er trinken wollte.
In den letzten Monaten hatte sich eine Wandlung in ihm vollzogen. Er war unberechenbar geworden und konnte sich nur noch unter großer Kraftanstrengung zurück halten. Sein Clan hielt zu ihm und er konnte auf jeden Einzelnen zählen. Doch wenn er die Kontrolle komplett verlieren würde, dann konnte ihn niemand mehr fest halten. Seine Kräfte, die ihn jetzt schon über jedes Lebewesen erhoben, begannen immer stärker zu werden. Wenn er nicht bald handelte, würde er sich zu einem Untier entwickeln. Er würde wie ein Berserker um sich wüten und alles menschliche Leben in seiner Nähe vernichten.
Den Geruch der süßen Alyssa in seiner Nase rannte er durch die Straßen, sich in dunklen Nischen und Schatten aufhaltend, damit keine Menschenseele ihn nun zu Gesicht bekam. Mehrmals hatte er ihre Spur beinahe verloren. Doch den Geruch ihrer Angst konnte er immer wieder aufnehmen. Er lag teilweise so klar und deutlich vor ihm, wie ein erleuchteter Weg, dem er nur noch folgen musste. Dann wieder verlor er ihn wieder und musste erneut halten, um ihn wieder aufzunehmen. Seine Jagd durch New York kostete ihm letztendlich viel Zeit. Die Uhr tickte unaufhaltsam und die Minuten verronnen. Schwer atmend stand er erst kurz vor Morgengrauen vor einem großen rotbraunen Haus im Stadtteil Queens. Sein Körper schrie nun nach Hunger als er Alyssa in einem der oberen Appartements ausmachen konnte. Er erblickte das Mädchen durch die dicken Mauern des Gebäudes. Wie durch Glas leuchtete die Flamme ihres Lebens ihm hell und klar entgegen, als wäre sie nur für ihn geboren worden. Als Logan ein böses Knurren hörte, zuckte er zusammen. Es kam von ihm. Aus seiner eigenen Kehle. Er hatte sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln abgestützt und seine Fingernägel bohrten sich nun in sein Fleisch. Heute würde er sie noch in Ruhe lassen, doch in der nächsten Nacht musste er sie holen.
„Alyssa!“, flüsterte er leise in die Luft.
„Ich habe dich gefunden.“ Dann machte sich auf dem Heimweg.


Alyssa sah sich zögerlich in dem kleinen Zimmer um. Sie hatte in einem kleinen Safe in der Stadt wenige Habseeligkeiten und ihr gesamtes Bargeld versteckt. Diese Sachen hatte sie sich zuerst besorgt, um sich anschließend auf die Suche nach einer vorübergehenden Unterkunft zu machen. Ihre neue Vermieterin hatte ihr gerade die Haustürschlüssel in die Hände gedrückt und sie allein in dem kleinen Raum gelassen. Jedoch nicht ohne sie vorher über die Hausordnung lang und breit aufzuklären.
Das Zimmer war zweckmäßig eingerichtet mit einem Bett, einen Schrank und sogar einem alten Fernseher. Natürlich ein Röhrengerät. Nebenan befand sich ein kleines Bad mit Dusche. Ihr reichte diese Ausstattung. Sie würde nur ein oder zwei Nächte bleiben können. Viel Zeit hatte sie nicht, das spürte sie genau. Doch sie musste nachdenken. Sich genau überlegen wohin sie sich wenden sollte. Mit großer Sicherheit musste sie die Stadt verlassen und in einem Zickzack durch die Staaten pendeln damit sich ihre Spur verlor. Damit SIE ihre Spur verloren. Gequält atmete sie aus und ließ sich auf das große Bett fallen. Ihr war hundeelend zumute. Ihre Knie und Hände waren wund und aufgeschlagen. In ihrem Kopf dröhnte ein starker Schmerz. An Konzentration war gerade nicht zu denken. Sie entkleidete sich und schlüpfte unter die Dusche. Sie ließ sich viel Zeit und ließ das heiße Wasser lange an sich hinunter rauschen. Anschließend, nachdem sie sich mit einem weichen Handtuch ihrer Vermieterin abgerubbelt hatte, kümmerte sie sich um die Verletzungen. Sie hatte eine spezielle Heilsalbe. Vor langer Zeit hatte sie ein Rezept von ihrer Großmutter erhalten. So konnte sie sich immer wieder die Creme zubereiten. Die wunden Stellen sogen die Salbe sofort auf und es trat von einem Moment zum anderen eine Linderung ein.
„Ich muss nachdenken.“, murmelte sie noch bevor sie sich auf Bett fallen lies und fast augenblicklich in einen tiefen Schlaf fiel. Bilder aus vergangenen Tagen kamen in ihr hoch.


Sie hockte in einem kurzen weißen Sommerkleid auf dem Rasen vor der alten Holzhütte ihrer Großmutter, welches sich am Rande von New Orleans befand und spielte gerade mit einem kleinen Kätzchen. Es war Spätsommer und die Sonne neigte sich bereits dem Ende des Tages entgegen. Die alte weishaarige Dame hatte Alyssa seid ihrer Geburt aufgezogen. Das Mädchen hatte ihre Großmutter sehr lieb und bewunderte sie mit ihren vielen Weisheiten und Ratschlägen sehr. Die Beiden kamen sehr gut miteinander aus und waren ein Leib und eine Seele.
Alyssa blickte von ihrem Spiel auf und sah wie Granny auf dem großen Schaukelstuhl auf der Veranda saß mit Strickzeug in den Händen und einem leisen Lied auf den Lippen singend. Das Kind strahlte über das ganze Gesicht und winkte ihr heftig zu. Sie wollte ihr zeigen, wie lieb ihr neues Kätzchen war und freute sich, dass ihre Großmutter es ihr endlich erlaubt hatte, ein Haustier zu besitzen.
Im gleichen Moment rief die weishaarige Dame ihrer Enkelin etwas zu, doch Alyssa konnte ihre Worte nicht hören, da gerade in diesem Moment eine große schwarze Limousine vor das Haus fuhr. Das Mädchen machte ganz große Augen und staunte. Sie hatte so ein Auto noch nie gesehen und wusste wohl, dass es reichen Herrschaften gehören musste. Eine feine Lady, in einem dunklen Kostüm mit hohen Absatzschuhen stieg aus und ging auf Granny zu.
Das Mädchen beobachtete wie die beiden miteinander sprachen und ihre Granny heftig gestikulierte.
„Du kannst das Mädchen nicht mitnehmen, Sophie!“ Das waren die einzigen Worte, die die Kleine vernahm. Sophie? War das die Lady vor ihrer Großmutter?
Und was wollte sie überhaupt von ihr? Alyssa schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Ein beklemmendes Gefühl stieg in ihr hoch. Sie schnappte sich das Kätzchen und stand auf.
Sophie. Irgendwie sagte ihr der Name etwas. Sie grübelte nun angestrengt. Dann, ein heller Lichtfunke. War dies nicht der Name ihrer Mutter? Alyssa wurde bleich im Gesicht. Die Frau da vorn neben ihrer Granny war ihre leibliche Mutter. Und wollte sie nun tatsächlich mitnehmen? Wohin denn nur? Als Alyssa erfasste, was los war, wollte sie zu ihrer Großmutter laufen. Doch sie kam nicht weit. Sie wurde von einem Mann im dunklen Anzug gepackt.
„Lass mich los!“, schrie sie und versuchte sich frei zu strampeln.
Die junge Frau namens Sophie kam ihr nun entgegen.
„Meine liebe Alyssa. Wie groß du schon geworden bist.“, säuselte sie mit honigsüßer Stimme.
„Weißt du denn nicht, dass ich deine Mutter bin? Du wirst von heute an bei mir leben.“
Das Kind schüttelte ihren Lockenkopf. Tränen flossen bereits aus ihren großen, grünen Augen.
„Sie dich nur an, wie hübsch du bist!“, staunte die Frau vor ihr und strich ihr über die Haare.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde immer lieb zu dir sein.“
Mit diesen Worten wurde sie von dem Bodyguard ins Auto geschoben. Es nützte kein Jammern und auch kein Flehen. Das Auto fuhr los und in seinem Inneren hockte ein höchst verstörtes zwölfjähriges Mädchen neben seiner fremden Mutter. Die Kleine starrte auf das sich entfernende Haus und die Figur seiner Granny, welche wie eine Säule erstarrt, dem Wagen hinterher blickte. Ihre Tränen hatte das Mädchen nun unter Kontrolle. Doch als die Frau ihre Hand auf ihren Arm sanft legte und sie streichelte, blieb sie starr auf der Rückbank sitzen.

Alyssa erhielt in der mehrstöckigen großen Luxusvilla ihres neuen Stiefvaters ein eigenes hübsch eingerichtetes Zimmer. Sie bekam nun Privatunterricht und jeglicher Kontakt zu anderen Kindern ihres Alters wurde ihr verboten. Im Gegenzug schenkte ihr Stiefvater ihr ein Reitpferd und eine treue Hündin. Die Tage auf dem großzügigen Anwesen, welches sich in der Nähe von L.A. befand, verronnen wie im Sand. Das Mädchen schloss Freundschaft mit allen Hausbewohnern. Nur mit Sophie, ihrer Mutter und ihrem Stiefvater blieb ihr Verhältnis unterkühlt. Ihre Granny sah Alyssa nie wieder.
Es war ihr fünfzehnter Geburtstag als sie eine Unterredung ihrer Eltern mitbekam. Ihre Mutter schien mit ihrer Granny gesprochen zu haben und war schier außer sich.
„Was heißt hier, Alyssa ist einem Logan McEawan versprochen worden und er wäre nun ihr neuer Herr? Was bedeutet hier „Neuer Herr“?“
Ihr Stiefvater war entsetzt.
„Pierre.“, begann ihre Mutter sanft.
„Beruhige dich doch. SIE können sie uns nicht gegen ihren Willen weg nehmen!“ Ihr Stiefvater wanderte jedoch weiter unaufhörlich in dem Raum auf und ab.
„Wie soll ich mich da beruhigen. Wir hatten andere Pläne mit ihr. Das weißt du genau! Und du hast keine Ahnung was dieser McEawan mit dem Kind vorhat. Ich habe gehört, dass er ein Dämon sein soll.“ Er hörte sich nun nicht mehr wie der sanftmütige Mann an, den er vorgab zu sein.
„Meine Familie war jahrelang dem Clan der McEawans zu Diensten. Granny hatte keine andere Möglichkeit als Alyssa ihnen zu geben. Mein Kind wird in den nächsten Tagen von ihnen geholt. Verstehst du was ich sage, Pierre? Wir müssen sie von hier fort bringen.“ Die Stimme der Frau war schrill geworden.
„Sie dürfen sie nicht finden!“
„Das ist alles deine Schuld!“, schrie Pierre sie nun an. Ein lautes Klatschen war zu hören und Sophie war schlagartig still geworden.
Alyssa, welche an der Tür kauerte und die Beiden belauschte, zuckte angesichts der Dinge die sie eben vernommen hatte, zusammen.
Sie sollte verschachert werden wie ein Tier. Sie konnte sich an Dinge erinnern, die ihre Granny ihr vor langer Zeit einmal erzählt hatte. Von Dämonen, die Menschenblut tranken. Sie hatte das alles für einen Mythos gehalten, doch nun schien es so, als wären die Geschichten wahr. Die Fünfzehnjährige bekam es mit der Angst zu tun. Wenn dieser McEawan ein Dämon war und sie nun holen würde, dann hatte sie bald nichts mehr zu lachen. Warum ich, fragte sich das Mädchen. Warum nur?
Hastig sprang sie auf die Beine und rannte auf ihr Zimmer. Eilig packte sie ein paar Sachen in einen Rucksack. Dann zog sie sich Jeans und ein Shirt statt ihres hübschen neuen Kleides an, steckte ihr Füße in Turnschuhe und schnappte sich ihr gespartes Taschengeld, von dem sie nie auch nur einen Cent ausgegeben hatte. Gerade als sie sich die lange Treppe herunter schleichen wollte, kam Besuch durch die große Vordertür in die Halle. Das Mädchen kauerte sich auf den Boden. Es drückte sich ans Geländer und spähte durch die weißen Holzstäbe hinunter. Drei Männer in Anzügen standen nun vor ihrem Stiefvater, welcher im Gesicht hochrot angelaufen war. Ein junger Mann blickte nach oben und schien Alyssa durch das Geländer hindurch zu sehen. Seine schwarzen Augen starrten in ihre. Dem Mädchen klopfte das Herz bis zum Hals. Sie wusste in genau diesem Augenblick wer er war. Logan McEwan. Der Dämon in Menschengestalt. Vielleicht sah er wie ein Mensch aus, aber sie wusste aus den alten Erzählungen ihrer Granny, dass dies mehr Schein als Sein war. Er war gekommen, um sie zu holen. Weil er ihr Blut wollte. Das Mädchen begann zu zittern. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken umher. Sie musste weg von hier und das ganz schnell. Panik stieg in ihr hoch und ihre Beine wurden butterweich. Doch sie zwang sich aufzustehen und begab sich wieder in ihr Zimmer. Schnell rannte sie auf den Balkon und blickte hinunter. Es war nicht sehr hoch.
„Das schaff ich!“, sagte sie zu sich selbst und kletterte hinunter.
Tatsächlich hatte sie es geschafft, über ihren Balkon im ersten Stock auf dem Rasen vor dem Haus zu landen. Klettern konnte sie schon immer gut. Nun bewegte sie sich still und leise auf dem Anwesen.
In dieser stillen Nacht gelang es einem fünfzehnjährigen Mädchen unbemerkt vom Grundstück seiner Eltern zu stehlen und im Nichts zu verschwinden.


Es war heller Tag als Alyssa aufwachte. Sie Sonne schimmerte durch die dunklen Vorhänge auf ihr Bett und erinnerten sie daran, dass es schon sehr spät war und sie keine Zeit verlieren durfte.
Sie erinnerte sich an ihren Traum. Sollte es eine Warnung sein, dass sie von ihrer Vergangenheit geträumt hatte? Sie wusste es nicht und es schien auch egal zu sein. Wichtig war, dass sie Vorbereitungen traf, um wieder einmal unterzutauchen. Dafür würde sie erst einmal ein gutes Frühstück und einen Computer mit Internetzugang benötigen. Munter sprang sie aus ihrem Bett und kleidete sich an. Ihr lockiges Haar band sie mit einem Haargummi zu einem Zopf zusammen. Sie zog ihre dicke Daunenjacke, einen weißen Schal und eine helle Wollmütze auf und machte sich auf dem Weg ins nächste Internetcafe.
Wer zuletzt lacht, lacht am Besten, Logan McEawan!“, sagte sie zu sich selbst als sie das Haus verließ. Am frühen Morgen hatte es erneut zu schneien begonnen.
Nur gut, dass ich noch meine dicken Winterstiefel besitze, dachte die junge Frau während sie durch das Schneechaos Richtung Café lief. Sie bestellte sich einen Café und ein Croissant gefüllt mit Schinken und Käse. Beim Geruch der Leckerei lief ihr schon das Wasser im Mund zusammen. Sie nahm an einem freien Computer Platz und biss herzhaft in das Croissant hinein. Dann erstellte sie einen Fluchtplan. Sie hatte vor von New York aus am nächsten Tag nach Philadelphia zu starten. Von dort es ging es dann weiter nach Washington, North Carolina, Atlanta. Ihr neues Zuhause sollte nun Miami werden.
„Diese ewige Kälte im Winter ertrag ich bald nicht mehr.“, murmelte Alyssa vor sich her als sie ihre Route ausdruckte. Sie würde abwechselnd mit Bus und Flieger die Strecke bewältigen. Da sie jedoch nicht wusste ob unvorhergesehene Komplikationen auftraten, würde sie die Tickets immer nur vor Ort kaufen.
„Geschafft.“ Es war bereits dunkel, als sie das Internetcafé wieder verließ. Am nächsten Morgen nach Sonnenaufgang wollte sie ihre Reise antreten und dafür musste sie ausgeruht sein. Sie begab sich wieder in ihr Apartment. Dort inspizierte sie alle Türen und Fenster, welche in der Nacht als mögliche Fluchtwege dienten. Man kann nie wissen, ob SIE mich nicht doch bis hierher verfolgt haben, dachte die junge Frau. Ihr war speiübel bei dem Gedanken noch eine Nacht in der Stadt verbringen zu müssen. Aber es ging nicht anders. Sie nahm sich ein Buch ihrer Vermieterin und las darin. Doch bereits nach einigen Momenten verschwammen die Worte vor ihren Augen. Sie musste herzlich gähnen. Es half nichts, innerhalb kurzer Zeit war sie tief und fest eingeschlafen.

Logan kehrte am frühen Morgen in seine Villa zurück. Im gesamten Haus herrschte eine angenehme Stille, die er nun sehr genoss. Er begab sich ohne Umwege in seine Räumlichkeiten. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Er war viel zu aufgewühlt. Die Nähe zu dem Mädchen und ihr Geruch hatten ihn ordentlich durcheinander gebracht. In ihm rührte sich mehr als ein Verlangen nach ihrem Blut. Da waren plötzlich Gefühle von denen er dachte, er wäre nie wieder fähig sie zu empfinden. Kopfschüttelnd ließ er sich auf sein breites Bett nieder und starrte die Zimmerdecke an. Es nützte nichts, er brauchte dringend ihr Blut. Eine Tatsache die er nicht verdrängen durfte. Und er würde es bekommen. Das war sie ihm schuldig. Und diese Schuld würde sie begleichen.
Da er an diesem Tag nicht schlafen konnte, begab sich Logan in sein Trainingsbereich. Auf seinem Grundstück hatte er eine große Scheune umbauen lassen und einen Trainingparcours errichten lassen. Stundenlang konnte er sich hier aufhalten und stählte seinen Körper, festigte seine Kräfte und Fähigkeiten. Bisher konnte es keiner mit ihm aufnehmen. Es war ihm wichtig als Clananführer seine Leute und seine Familie zu beschützen. So trainierte er den ganzen Tag bis zum frühen Abend. Schweißnass, hungrig und müde ging er wieder in Haus, auf direkten Weg in die Küche. Er nickte Alex, welcher am Tisch mit einem Laptop saß, grüßend zu. Im Kühlschrank befanden sich seine „Spezialdrinks“. Nachdem er zwei davon leer getrunken hatte, drehte er sich erst um.
„Du siehst echt beschissen aus, weißt du das?“, begrüßte ihn sein Mitarbeiter und guter Freund.
Logan verzog sein hübsches Gesicht und grinste ihn an.
„Wie geht’s deiner Hand?“, fragte er scheinheilig. Das Gesicht des Anderen verdunkelte sich.
„Frag nicht!“ Seine Wangen röteten sich leicht.
„Deine kleine Wildkatze fährt ihre Krallen aus. Ich wünsch dir heut Nacht viel Glück mit ihr mein Lieber!“ Jetzt war es Alex der Logan angrinste und beinahe auslachte. Logan verdrehte seine Augen.
„Wenn ich mir etwas fest vornehme, dann erreiche ich auch mein Ziel. Im Gegensatz zu einigen anderen Herrschaften hier im Raum!“, stichelte er wieder zurück.
Die beiden Männer musterten sich eindringlich. Dann mussten sie laut lachen.
Alex stand auf und klopfte Logan auf die Schulter.
„Viel Glück. Und das meine ich auch so!“ Ernst geworden blickten sie einander an.
„Danke mein Freund. Das kann ich gut gebrauchen. Es hängt viel von ihr ab.“
Mit diesen Worten begab sich Logan auf sein Apartment. Er entledigte sich seiner nassen Trainingsklamotten und ging unter die Dusche. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, zog er frische Sachen an und legte sich noch für einige Stunden ins Bett. Er brauchte dringend Schlaf, denn in der kommenden Nacht würde er all seine Kräfte und Sinne benötigen.

Es war zehn Uhr abends als er aufwachte. Irgendetwas knurrte in dem Raum. Er gähnte und unterdrückte sein Verlangen. Es war sein Bauch, der ihn geweckt hatte. In seinem Traum war ihm Alyssa erschienen. Allerdings als fünfzehnjähriges Mädchen. Es war immer wieder derselbe Traum. Alyssa drückte sich verängstigt gegen das Geländer ihres Elternhauses und er starrte sie durch die Holzstäbe an. Sie trug einen Pferdeschwanz und ein seidenes Kleid. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie blickte ihm angsterfüllt entgegen. Er wollte ihr sagen, dass sie sich nicht fürchten brauchte und wollte sie trösten. Auch wenn er es anders wusste. Er würde ihr unwiderruflich weh tun müssen. Er sah wie das Mädchen vor ihm fort wich. Und schon verlor er sie aus den Augen. Er zog bedauernd die Schultern nach oben. In diesem Augenblick hatte er nicht damit gerechnet, dass sie dabei war, fortzulaufen und auf unbestimmte Zeit im Nichts verschwand.
Logan reckte und streckte sich und sprang kurzerhand aus dem Bett hoch. Es wurde Zeit. Er musste seine kleine Tigerin einfangen. Er zog sich dunkle Sachen an. Sein Chauffeur wartete bereits in der Küche auf ihn. Auch Peter und Alex saßen dort und schienen auf ihn zu warten.
„Ihr werdet heute Abend hier gebraucht.“, gab Logan ihnen unmissverständlich zu verstehen. Die beiden Männer nickten. Sicher wollten sie ihm nur helfen, aber es war nun seine Aufgabe, die er zu bewältigen hatte. Er hätte es längst allein machen müssen. Sein Chauffeur ließ die Limousine nur wenige Minuten später vorfahren. Es hatte den ganzen Tag geschneit und die Stadt lag verträumt vor ihnen. Unruhig setzte sich Logan auf die Rückbank. In seinem Bauch begann es vor Abendteuerlust zu gribbeln. Je näher sie dem Stadtteil Queens kamen, desto mehr rauschte ihm das Blut durch die Adern. Als sie vor dem Haus kurze Zeit später hielten, hatte sich ein unbändiges Verlangen in seinem Körper ausgebreitet, welches er nur mühsam unterdrücken konnte. Wieder erblickte er Alyssas Lebensflamme hell und klar durch das alte Gemäuer des New Yorker Stadthauses. Beruhigt aufgrund der Tatsache, dass sie nicht wieder verschwunden war, stieg er aus dem Auto aus und begab sich zu ihr.


Ein leises Geräusch weckte Alyssa aus ihrem traumlosen Schlaf. Es war dunkel in ihrem Zimmer. Beunruhigt blickte sie auf die leuchtende Anzeige der Funkuhr neben ihrem Bett. Es war kurz nach Mitternacht. Sie legte ihren Kopf wieder zurück auf ihr Kissen und atmete langsam ein und aus. Irgendetwas war heut Nacht anders als sonst. Doch sie konnte nicht genau benennen was es war. Wahrscheinlich kam es nur von der bevorstehenden Reise. Da sie nachts die Heizungen stets runter drehte, war es kalt geworden in ihrem Apartment und sie fröstelte leicht. Doch ihr schien als wäre es kälter als sonst.
Das liegt sicher daran, dass das Gemäuer hier so alt ist, grübelte sie. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit im Raum und Alyssa starrte an ihre Zimmerdecke. Sie versuche ihre Unruhe zu verdrängen und atmete tief ein und aus. Dabei stieg ihr ein fremder Geruch in die Nase. Sie hatte ihn vorher in dem Apartment nie wahr genommen. Er erinnerte sie an frisches Moos. Sie dachte an die vielen alten Filme, die sie früher gesehen hatte in denen die Highlands vorgekommen waren. Obwohl sie nie dort gewesen war, erinnerte sie eben jener Geruch an die grünen Hügel und Berge Schottlands.
Ihre inneren Alarmglocken schrien ihr in diesem Moment laut entgegen. Schottland!!! Es gab einen Namen, der sie an Schottland erinnerte.
McEawan!
Es war kein Geruch von grünem Moos, den sie in ihrem Näschen hatte. Es war ein herber frischer Männergeruch der in der Luft lag. In ihrem Apartment. Erschrocken setzte sie sich im Bett abrupt auf und sah sich im Raum um.
Eine dunkle Silhouette hob sich am Fenster ab. Sie fragte sich, warum ihr Gespür sie verlassen hatte und konnte es kaum glauben, dass sie nun in der Falle saß.
Alles schrie in ihr. Angst und Panik machten sich in ihr breit und lähmte ihre Gliedmaßen.
Sie wusste, dass sie ihm heute nicht entkommen würde und konnte sich nicht von ihrem Bett bewegen. Ihr Atem ging stoßweise und ihre Hände hatten zu zittern begonnen. Seine Augen schienen sich auf ihrem Körper zu einbrennen zu wollen. In der Dunkelheit glühten sie Alyssa entgegen.
Die Frau bewegte ihre zitternde Hand zur Nachttischlampe und schaltete sie ein. Das plötzliche Licht durchflammte den kleinen Raum mit einem Mal und erhellte ihn.
Alyssa blickte dem Dämon direkt ins Gesicht. Da stand er nun lässig am Fenster und beobachtete sie interessiert.
Logan McEawan!
Ihr Untergang!
Ihr Ende!
„Du hast mich also gefunden!“, flüsterte sie. Es war mehr ein Hauch ihrer Worte, welche nun sein Ohr erreichten. Sie sah ihm mit ihren schönen grünen Augen entgegen. Ein leichtes Zittern um die Mundwinkel. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

„Hallo, Alyssa!“, sagte Logan mit klarer und fester Stimme.

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Tag der Veröffentlichung: 13.02.2012

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