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Man hat nichts zu verlieren, wenn man schon alles verloren hat. Ein einfacher Satz aber welch tiefer Schmerz damit verbunden ist, was er auslösen kann, dass sieht man ihn, auf dem ersten Blick nicht an. Verloren. Schon das Wort allein war wie eine glühende Eisenkette um meine Seele. Es hält sie gefangen. Lässt sie trotz schon fast totem Gewebe nicht vergessen. Wenn man glaubt endlich neu Anfangen zu können, zieht sie sich fester zu und versenkt mehr Fleisch. Man sollte meinen irgendwann müsste es doch aufhören. Irgendwann dürfte nichts mehr da sein. Nur noch eine leere Hülle die einmal von einem Leben zeugte. Von Träumen und Zukunftsvisionen. Aber die menschliche Seele war hartnäckig. Sie beugte sich auch nach Jahren nicht. Ein guter Soldat, der auch als einziger Mann gegen Hunderte auf dem Schlachtfeld nicht aufgibt. Dem auch der kleinste Funken Hoffnung reicht, um mit Kampfgeschrei allem entgegen zutretten. Wenn doch nur die Hülle auch so hoffnugsvoll und stark wär. Verloren. Ich hatte den Kampf verloren. Fast vier Jahre ist es jetzt her, seit ich alles hinter mir gelassen hatte. Der Plan war einfach. Von vorne Anfangen und nicht mehr zurück schauen. Tja hatte leider nicht ganz geklappt. Auch nach 4 Jahren ist in meinen Kopf nur ein Wort. Verloren. Es lässt kaum Platz für andere Gedanken und damit ich es auch nicht übersehen kann war es noch bunt und leuchtend. Aber jedesmal wenn es mich zu überrollen schien, brüllt mich eine innere Stimme an. "Gib nicht auf. Kämpf! KÄMPF!" Es hört sich jetzt total bescheuert an aber es hilft. Ich schaffte es wieder die Kontrolle zu übernehmen und die Leuchtreklame ein wenig in die Ecke zu drängen. Genau das passierte gerade als ich die Theke im "Susi" schrubbte. Susi war eine kleine Kneipe die nach ihrer Besitzerin, einer flotten (das sagt sie) älteren (das kommt von mir) Dame benannt wurde. Nein, sie war mit ihren 60 Jahren wirklich noch voller Energie und Lebenslust. Immer ein lockeren Spruch auf ihren Pink bemalten Lippen. Quasi ihr Markenzeichen. Ihre immer top frisierten blonden Haare rundeten das Bild der immer jung gebliebenden Susi ab. Ich mochte sie wirklich. Sie war ein durch und durch guter Mensch. Absolut ehrlich und immer für mich da, wenn ich sie lassen würde. Ich konnte einfach niemanden näher an mich heran lassen. "Hattest du vor die Theke neu zu lackieren?" Aus meinen Gedanken gerießen schaute ich einen Moment erst zu Susi und dann auf das Tuch in meiner Hand. Sie hatte ein warmes Lachen im Gesicht, dass kurz davor war zu einen spitzbübischen Grinsen zu werden. Ich verstand die Anspielung erst nicht aber verbarg das ganz schnell und nach einem kurzen Moment und meiner wiederkehrenden Kontrolle, fiel der Groschen aber sie kam schon mit der Erklärung. "Da du sie jetzt schon so lange schrubbst, dass der Lack fast abblättert, dachte ich das war dein Gedanke." Ein schneller Blick auf meine Uhr verrit mir, dass ich jetzt gute 2 Stunden damit beschäftigt war. Wir hatten schon seit ner Stunde auf und die Stammgäste waren auch schon da. Ich hatte nichts davon mitbekommen. Eigentlich wär ich jetzt rot geworden und ins stammeln geratten aber das war früher einmal. Meinem neuen Ich passierte soetwas nicht. Immer ganz Herr der Lage. In nur einem Wimpernschlag verbarg ich meine Gedanken und präsentierte Susi ein warmes Lächeln. Das Brennen in meiner Seele konnte ich so aber nicht ausschalten. Ich konnte es nur einige Zeit auf Sparflamme halten. "Nötig hätte sie es auf jedenfall mal" gab ich grinsend zurück. Sie legte den Kopf einen Moment schief und schaute mich irgendwie wissend an. Als würde sie hinter meine Fassade aus Unbeschwertheit schauen können aber das konnte sie nicht. "Ich überlege gerade ob ich dich noch ein paar Stunden putzen lassen soll oder eine Firma von deinen Geld bestellen soll, die sich der Theke annimmt." Einen kurzen Moment hilt sie den Kopf noch so, dann konnte sie das Lachen nicht mehr zurück halten und schloss mich herzlich in die Arme. Da ich immer noch den Putzlappen in der Hand hatte, umarmte ich sie nur mit einen Arm. Sie meinte es gut und sie war ebend so aber die Umarmung zerbrach fast meine Maske. Sie kostete mich eine unglaubliche Überwindung. Ich musste gegen den Reflex ankämpfen sie nicht so weit wie möglich von mir zu stoßen. Jede Berühung war wie ein Schlag ins Gesicht für mich. So löste ich mich so schnell es das gute Benhemen zuließ und ging zur Spühle um den Lappen auszuwaschen. Susi ging zum Ende der Theke und redete mit einem Gast. Wärend ich den Hahn aufdrehte, ließ ich langsam die Luft entweichen. Ich war so angespannt gewesen, dass ich die Luft angehalten hatte um nichts unüberlegtes zu tun. Tief atmete ich die rauchige Luft ein. Es ging nicht mehr. Ich musste wieder weggehen. Ich hatte die Menschen schon wieder zu nah an mich heran gelassen, dass konnte nicht gut gehen. "Bekomm ich noch ein Bier Selena?" Heinz war einer unserer Stammgäste. Er kam jeden Abend um die selbe Uhrzeit, trank seine zwei Bier und ging dann wieder. Er war ein angenhemer Gast. Immer nett und höfflich aber nie aufdringlich. Als ich zu ihm schaute, hilt er sein fast leeres Bierglas in der Hand und blickte mich an. Kurz nickte ich ihm zu und ging zum Zapfhahn. Ich nahm ein Glas und hilt es leicht schräg unter den Hahn. Als ich an dem Hebel zog floß das Bier langsam in das Glas. Dabei schaute ich mich in der kleinen Kneipe um. 6 Gäste davon 5 Stammgäste. 4 an der jetzt fast glänzenden Theke und 2 im Gespräch an einen der 6 Tische. Ein normaler Abend. Ich passte den richtigen Moment für die Schaumkrone ab und ging damit zu Heinz, der wie immer allein an seinen Stammplatz am linken Ende der Theke saß. Es lief wie immer Musik aber so, dass ein Gespräch noch einigermasen möglich war. Gerade irgendeine Rocknummer, bei der sich der Liedsänger, wenn man ihn den so nennen wollte, sich die Seele aus dem Leib sang oder besser gesagt brüllte. Musik war für mich echt was anderes. Ich nahm das leere Glas und stellte das Neue vor ihm hin. Gerade wollte ich ihn den zweiten Strich auf seinen Deckel machen als die Tür laut aufgemacht wurde. Ein junger Mann, ich schätzte ihn in meinem Alter, kam ein paar Schritte herein und schaute sich dann um. Er hatte schwarze Haare die er gekonnt nach oben gegeelt hatte. Sein Blick ging einmal durch den Raum. Als er bei mir für eine Sekunde stoppte, konnte ich seine Augen besser sehen. Grün. Ein auffalendes mosgrün, umrandet von dichten schwarzen Wimpern. Er ging zu einem der Tische und setzte sich mit Blick auf die Tür. Diese Sekunde reichte um irgendetwas in mir zu wecken. Mein Körper schien irgendetwas erkannt zu haben, was meinem Gehirn verborgen blieb. Es wurde wärmer im Raum und ich hatte sofort einen süßlichen Geruch in der Nase mit einem Hauch von irgendetwas anderem. Ich könnte es nicht beschreiben aber es kam mir so vor als sollte es mir etwas sagen. Meine Sinnesorgane schienen verrückt zu spielen. Ich hatte ein rauschen in den Ohren. Ganz leise nahm ich noch die Rockmusik und die Gespräche war aber ich konnte nichts wirklich verstehen. Nur dieses Rauschen. Ähnlich dem Rauschen im Radio. Wie in einen sehr schnellen Sendersuchlauf hörte ich Fetzen von anderen Geräuschen. Ob es Wörter waren konnte ich nicht sagen. Mein Blick wurde anders. Das Sichtfeld wurde irgendwie unscharf und farblos. Nur er wurde deutlich hervor gehoben. Langsam wurden alle anderen irgendwie leicht rötlich. Ich sah wie er in Zeitlupe auf den Tisch zu trommeln began und den Blick kaum von der Tür abwenden konnte. Dabei fiel mir sein Tattoo am Handgelenk auf. Wie ein verschlungendes schwarzes Armband lief es um das Handgelenk. Ich konnte fühlen wie mein Herz schneller schlug und das Blut nur so durch meine Adern rasste. "Danke, Selena." Mit einem Wimpernschlag war alles vorbei. Rosi schien gerade über einen Witz von Thomas, einen unserer Stammgäste, zu lachen. Ich hilt meinen Kulli in der Hand der über den Deckel von Heinz schwebte. Es waren wohl nur ein paar Sekunden vergangen. Mir kam es wie Minuten vor. Mir wurde warm und kalt. Meine Hände wurden schwitzig. Ich schaute mich schnell um und blieb bei den jungen Mann hängen. Er saß immer noch genauso. Alles wieder normal. Es hatte niemand etwas mitbekommen und niemand schien den Jungen groß Beachtung zu schenken. Was war da gerade nur mit mir passiert. Wer war dieser Mann und warum reagierte mein Körper so auf ihn. Das war doch alles nicht normal. Ich merkte wie meine Maske zu bröckeln began. Verloren prangte wieder in meinen Kopf. Die Kette brannte sich tiefer in meine Seele. Vor Schmerz hätte ich beinah geschrien. Ich musste hier raus und das schnell. Ich drehte mich auf der Stelle um und rannte fast durch den Vorhang in den Nebenraum, an den Kühlsckrank und den Tischchen vorbei in den Keller. Ich machte nicht das Licht an, sondern rannte nur hinein und schloß die dicke Stahltür hinter mir ab. Völlig verschwitz und ausser Atem ließ ich mich die Wand runter gleiten und keuchte. Ich war den Tränen nah. Mein Inneres schien sich nach aussen zu brennen. Ich hätte mir am liebsten Haut und Fleisch von den Knochen gerißen, wenn es nur was gebracht hätte. Ich legte mich auf die Seite und umschlug meine Beine mit den Armen. So fest ich konnte drückte ich mich zusammen. Hilt meinen Körper zusammen und versuchte so irgendwie wieder zur Ruhe zu kommen. Ich bieß die Zähne zusammen. Der Schmerz tobte unaufhörlich in meinen Körper. Verloren kreißte weiter in meinen Kopf. Was war das nur. Stumm schrie ich vor Schmerz und Wut. Und da hörte ich wieder diese Stimme in mir. "Gib nicht auf. Kämpf! KÄMPF!" Ich versuchte es doch aber ich war einfach zu schwach. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. 4 Jahre waren einfach zu lange gewesen. Deswegen hatte ich auch verloren, weil ich zu schwach war. Ich war nur ein 19 jähriges Mädchen welches keine Zukunft mehr hatte. Ich hatte immer alles gegeben aber jetzt wollte ich nur noch sterben. Ich wollte das sofort alles vorbei ist. Der Schmerz würde aufhören. Meine Gedanken würden mich nicht mehr demütigen und mein Leben würde nicht noch beschießener werden. Ich würde wieder verlieren aber das war mir jetzt egal. "Dein Blut ist stark und du bist es auch! Du musst es nur rauslassen!" Die Stimme klang aufgebracht. Blut! Welches verdammte Blut? Der Schmerz wurde schlimmer, wenn das überhaupt möglich war. Jetzt gab es kein Halten mehr. Ich drehte mich auf den Bauch und hämmerte mit den Fäusten auf den Steinboden. Ich schlug so fest ich konnte zu. Immer und immer wieder donnerte ich mit beiden Fäusten auf den Boden, dabei schrie ich allen Schmerz aus mir heraus. Meine Haut platze an den Fäusten auf und das Blut floss nur so heraus. Ich bieß wieder die Zähne zusammen und hämmerte weiter auf den Boden ein. Ich schlug mir alle aufgestaute Wut, alle Demütigungen von der Seele. Ich verfiel wie in einen Wahn. Mir wurde schon ganz schwindelig aber ich konnte nicht aufhören. Es schien mir zu helfen. Es war wie ein großer Druck der nachliess und mit den Druck verschwand auch der Schmerz. Und dann wurde ich bewusstlos.

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Tag der Veröffentlichung: 26.05.2011

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